Artikel vom 29.04.08

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Artikel vom 29.04.08
Süddeutsche Zeitung
FEUILLETON
Dienstag, 29. April 2008
Deutschland Seite 14, Bayern Seite 14, München Seite 14
Jugoslawisches Herzland
Das Balkan-Fever-Festival beweist: Wien liegt tief in Osteuropa
Ja, sind die denn wahnsinnig? Und wer
sind die überhaupt? Mit Kusturica, Boban Markovic und Roma-Blaskapellen
hat das, was die zehn Herren veranstalten, nicht viel zu tun. Klingt eher wie Dizzie Gillespie goes Speed Metal. Die beiden Schlagzeuger treiben in einem ungeraden Takt Familie Cherkezov vor sich
her, die hinter Hörnern und Tuba die Backen aufbläst. Alt-Sax und Trompeten
setzen ihre vibratösen Fanfaren, dass die
Septakkorde nur so scheppern und man
den Kosovo rausrücken würde für eine
Packung Ohropax. Nur der E-Bass bleibt
cool, während Band-Leader Angel Tichaliev sich zum x-ten Mal den Schweiß von
der Halbglatze wischt. Die Klarinette
setzt ein, hölzerner Blitzableiter im
Blechgewitter, aber davon wird der
Druck auf Ohren und Hirn auch nicht
leichter: Läufe, dass einem Steve Vai
schwindelig würde, zappaesk trudelnde
Soli. Wenn man jetzt die Augen zumacht,
glaubt man, der leibhaftige Zorn stehe
auf der Bühne. Nein, da spielt keine
durchgeknallte New Yorker Bebop-Combo, die auf den Balkan-Express aufgesprungen ist. Die zehn Musiker kommen
echt vom Balkan, aus Sliven am Südhang
des bulgarischen Balkan-Gebirges, dort
wo die Türkei nicht weit ist. Sie heißen
Karandila und offiziell nennt sich das,
was sie machen, Hochzeitsmusik. Was
müssen das für Hochzeiten sein.
Tanzbar ist die Musik von Karandila
allerdings, das beweisen die Hüpfenden
in der Mitte des schwarzen Kubus, der
als „Szene Wien“, eingezwängt zwischen
Schnellbahn und Supermarkt, die alternative Außenstelle der Wiener Stadthalle in Simmering bildet. Die bulgarischen
Blasmusikanten eröffnen in der „Szene“
das „Balkan Fever“-Festival, das heuer
zum fünften Mal in der Stadt grassiert.
Anderswo mag der Hype um transkarpatischen Ausgeh-Pop à la Shantel
schon wieder vorbei oder zum Mainstream verflossen sein – in Wien ist das
Balkan-Fieber seit jeher endemisch. Das
gleichnamige Festival ist nur ein Symptom, und nicht mal das auffälligste. Gut
zehn Prozent aller Wiener erblickten im
ehemaligen Jugoslawien das Licht der
Welt oder haben Eltern, die dort geboren
wurden, mehr als 100 000 allein stammen
aus Serbien und Montenegro. Auch wenn
die zahlenmäßig unterlegenen Türken die ja selbst mit einem Bein auf dem Balkan stehen – wegen Kebab-Buden und
Kopftüchern auf den ersten Blick mehr
auffallen: Es sind die Jugoslawen, die
den Puls der Stadt antreiben.
Als Goran Novakovic 1991 aus Belgrad nach Wien floh, um, wie er es ausdrückt, „100 Kilo kurzsichtiges Kanonenfutter in Sicherheit zu bringen“, empfand der Germanist seine neue Heimat
als provinziell. „Aber es hat sich gebessert“, sagt Novakovic, der bei der Magistratsabteilung für Integrations- und Diversitätsfragen angestellt ist: „Wir ExJugoslawen haben der Stadt ein Herz
gegeben und die Schwarzen ihr das Aussehen einer Großstadt.“ Auf der Ottakringer Straße promenieren junge Frauen in
knapper Kleidung, die Männer dezent
maskulin, Kurzhaarschnitt obligatorisch, Deutsch Fremdsprache. Im Wochentakt öffnen neue Lokale, verspiegelte Läden, die Labyrinth oder Flash heißen. Musikalisch dominiert „TurboFolk“, orientalisch angehauchte TechnoSchlager serbischer Provenienz, die Blondinen und Bodybuilder mit Sonnenbrille
von den Video-Screens herab intonieren.
In den Neunzigern schlug der TurboFolk chauvinistische Töne an, heute vertreiben Serben, Kroaten und Bosnier
sich mit ihm gemeinsam das Heimweh.
Wenn Stars wie das Duo Djogani nach
Wien kommen, füllen sie riesige Hallen.
Mit dieser Szene hat das „Balkan-Fever“-Festival nicht viel gemein. Bands
wie Karandila locken weder Massen an
noch rekrutiert sich ihr Publikum aus bestimmten Ethnien, im Gegenteil. Dass
der Musik Südosteuropas stets das Label
der Authenti- und Ethnizität aufgedrückt wird, ist dem Initiator des Festivals, Richard Schuberth, ein Ärgernis.
„Der Balkan ist mondän“, sagt er, und
Karandila und die anderen Bands geben
ihm recht, von Stars der Roma-Musik
wie den Taraf de Haidouks bis zum armenischen Oudspieler Haig Yazdjian. Ein
musikalischer Subkontinent ist zu entdecken, auf dem Thrakien an Louisiana
grenzt, Arabien und Kuba in Hörweite
sind. Und mittendrin liegt Wien.
Voll das Tschuschen-Auto!
Die Stadt hat sich längst zu einem
Umschlagplatz für Musik aus Südosteuropa entwickelt und zum Sprungbrett
für junge Talente. „In der Diaspora entdecken viele Musiker erst ihre balkanische
Identität“, sagt Schuberth. Der 1976 in
Sofia geborene Martin Lubenov kam
zum Studium nach Wien und reüssiert
heute mit seinem eigenwillig-virtuosen
Akkordeonspiel in ganz Europa. Lubenov ist Rom und kommt aus einem Land
mit einer besonders reichen musikalischen Tradition. Davon kann man sich
sonntags in der Kirche des Heiligen Ivan
Rilski überzeugen. Wenn nebenan, auf
Wiens touristischer Ethnomeile, dem Naschmarkt, die Marktschreier schweigen,
singt in der Hinterhofkirche der exzellente Chor der Kirchengemeinde die Liturgie. „Es sind sogar Sänger der Staatsoper
dabei“, freut sich Bischofsvikar Ivan Petkin nach der Messe beim Pfarrcafé. Als
Seelsorger ist der Familienvater für 7000
Bulgaren in Wien zuständig, unter denen
viele Künstler und Akademiker sind.
Die Bulgaren sind eine kleine, feine
Vorzeigeminderheit, die den sogenannten „echten“ Wiener nicht aus der Gemütsruhe bringen – im Gegensatz zu den
170 000 „Jugos“, die er auch gerne
„Tschuschen“ nennt. Das Wort soll auf
den Wachruf der serbischen Wehrbauern
an der osmanischen Grenze zurückgehen
und wird heute auf Wiens Straßen wie
folgt verwendet: „Mercedes ist voll das
Tschuschen-Auto.“ In ironischer Brechung wurde es namengebend für die
„Wiener Tschuschenkapelle“, die der
Kroate Slavko Ninic 1989 gründete und
die die traditionelle Musik der „Gastarbajteri“ zur Aufführung bringt. Die damals revolutionären „Tschuschen“ sind
längst eine Wiener Institution, sie musizieren mit den Wiener Philharmonikern
und werden sich auch zum Jubiläum des
Balkan Fever die Ehre geben.
Und dann ist da noch die Gitarristin
Ljubinka Jokic, die 1992 aus Bosnien
nach Wien floh, am Konservatorium studierte und bis vor kurzem im 20. Bezirk
den „Pomaly-Grill“ betrieb, wo man
Pljeskavica zu R&B-Musik verzehren
konnte, inmitten bunten Volks, unter farbigen Glühbirnen: Wien verdankt dem
Balkan mehr, als es oft will. Nicht nur
musikalisch. CHRISTIAN JOSTMANN
SZdigital: Alle Rechte vorbehalten - Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Eine Dienstleistung des SZ-Archivs
A42098711
akissler
Süddeutsche Zeitung
FEUILLETON
Dienstag, 29. April 2008
Deutschland Seite 14, Bayern Seite 14, München Seite 14
Jugoslawisches Herzland
Das Balkan-Fever-Festival beweist: Wien liegt tief in Osteuropa
Ja, sind die denn wahnsinnig? Und wer von den Video-Screens herab intonieren.
sind die überhaupt? Mit Kusturica, Bo- In den Neunzigern schlug der Turboban Markovic und Roma-Blaskapellen Folk chauvinistische Töne an, heute verhat das, was die zehn Herren veranstal- treiben Serben, Kroaten und Bosnier
ten, nicht viel zu tun. Klingt eher wie Diz- sich mit ihm gemeinsam das Heimweh.
zie Gillespie goes Speed Metal. Die bei- Wenn Stars wie das Duo Djogani nach
den Schlagzeuger treiben in einem unge- Wien kommen, füllen sie riesige Hallen.
Mit dieser Szene hat das „Balkan-Feraden Takt Familie Cherkezov vor sich
her, die hinter Hörnern und Tuba die Ba- ver“-Festival nicht viel gemein. Bands
cken aufbläst. Alt-Sax und Trompeten wie Karandila locken weder Massen an
setzen ihre vibratösen Fanfaren, dass die noch rekrutiert sich ihr Publikum aus beSeptakkorde nur so scheppern und man stimmten Ethnien, im Gegenteil. Dass
den Kosovo rausrücken würde für eine der Musik Südosteuropas stets das Label
Packung Ohropax. Nur der E-Bass bleibt der Authenti- und Ethnizität aufgecool, während Band-Leader Angel Ticha- drückt wird, ist dem Initiator des Festiliev sich zum x-ten Mal den Schweiß von vals, Richard Schuberth, ein Ärgernis.
der Halbglatze wischt. Die Klarinette „Der Balkan ist mondän“, sagt er, und
setzt ein, hölzerner Blitzableiter im Karandila und die anderen Bands geben
Blechgewitter, aber davon wird der ihm recht, von Stars der Roma-Musik
Druck auf Ohren und Hirn auch nicht wie den Taraf de Haidouks bis zum armeleichter: Läufe, dass einem Steve Vai nischen Oudspieler Haig Yazdjian. Ein
schwindelig würde, zappaesk trudelnde musikalischer Subkontinent ist zu entdeSoli. Wenn man jetzt die Augen zumacht, cken, auf dem Thrakien an Louisiana
glaubt man, der leibhaftige Zorn stehe grenzt, Arabien und Kuba in Hörweite
auf der Bühne. Nein, da spielt keine sind. Und mittendrin liegt Wien.
durchgeknallte New Yorker Bebop-Combo, die auf den Balkan-Express aufge- Voll das Tschuschen-Auto!
sprungen ist. Die zehn Musiker kommen
echt vom Balkan, aus Sliven am Südhang
Die Stadt hat sich längst zu einem
des bulgarischen Balkan-Gebirges, dort Umschlagplatz für Musik aus Südosteuwo die Türkei nicht weit ist. Sie heißen ropa entwickelt und zum Sprungbrett
Karandila und offiziell nennt sich das, für junge Talente. „In der Diaspora entdewas sie machen, Hochzeitsmusik. Was cken viele Musiker erst ihre balkanische
müssen das für Hochzeiten sein.
Identität“, sagt Schuberth. Der 1976 in
Tanzbar ist die Musik von Karandila Sofia geborene Martin Lubenov kam
allerdings, das beweisen die Hüpfenden zum Studium nach Wien und reüssiert
in der Mitte des schwarzen Kubus, der heute mit seinem eigenwillig-virtuosen
als „Szene Wien“, eingezwängt zwischen Akkordeonspiel in ganz Europa. LubeSchnellbahn und Supermarkt, die alter- nov ist Rom und kommt aus einem Land
native Außenstelle der Wiener Stadthal- mit einer besonders reichen musikalile in Simmering bildet. Die bulgarischen schen Tradition. Davon kann man sich
Blasmusikanten eröffnen in der „Szene“ sonntags in der Kirche des Heiligen Ivan
das „Balkan Fever“-Festival, das heuer Rilski überzeugen. Wenn nebenan, auf
zum fünften Mal in der Stadt grassiert.
Wiens touristischer Ethnomeile, dem NaAnderswo mag der Hype um transkar- schmarkt, die Marktschreier schweigen,
patischen Ausgeh-Pop à la Shantel singt in der Hinterhofkirche der exzellenschon wieder vorbei oder zum Main- te Chor der Kirchengemeinde die Liturstream verflossen sein – in Wien ist das gie. „Es sind sogar Sänger der Staatsoper
Balkan-Fieber seit jeher endemisch. Das dabei“, freut sich Bischofsvikar Ivan Petgleichnamige Festival ist nur ein Symp- kin nach der Messe beim Pfarrcafé. Als
tom, und nicht mal das auffälligste. Gut Seelsorger ist der Familienvater für 7000
zehn Prozent aller Wiener erblickten im Bulgaren in Wien zuständig, unter denen
ehemaligen Jugoslawien das Licht der viele Künstler und Akademiker sind.
Welt oder haben Eltern, die dort geboren
Die Bulgaren sind eine kleine, feine
wurden, mehr als 100 000 allein stammen Vorzeigeminderheit, die den sogenannaus Serbien und Montenegro. Auch wenn ten „echten“ Wiener nicht aus der Gedie zahlenmäßig unterlegenen Türken - mütsruhe bringen – im Gegensatz zu den
die ja selbst mit einem Bein auf dem Bal- 170 000 „Jugos“, die er auch gerne
kan stehen – wegen Kebab-Buden und „Tschuschen“ nennt. Das Wort soll auf
Kopftüchern auf den ersten Blick mehr den Wachruf der serbischen Wehrbauern
auffallen: Es sind die Jugoslawen, die an der osmanischen Grenze zurückgehen
den Puls der Stadt antreiben.
und wird heute auf Wiens Straßen wie
Als Goran Novakovic 1991 aus Bel- folgt verwendet: „Mercedes ist voll das
grad nach Wien floh, um, wie er es aus- Tschuschen-Auto.“ In ironischer Bredrückt, „100 Kilo kurzsichtiges Kanonen- chung wurde es namengebend für die
futter in Sicherheit zu bringen“, emp- „Wiener Tschuschenkapelle“, die der
fand der Germanist seine neue Heimat Kroate Slavko Ninic 1989 gründete und
als provinziell. „Aber es hat sich gebes- die die traditionelle Musik der „Gastarsert“, sagt Novakovic, der bei der Magis- bajteri“ zur Aufführung bringt. Die datratsabteilung für Integrations- und Di- mals revolutionären „Tschuschen“ sind
versitätsfragen angestellt ist: „Wir Ex- längst eine Wiener Institution, sie musiJugoslawen haben der Stadt ein Herz zieren mit den Wiener Philharmonikern
SZdigital: Alle
vorbehalten
- Süddeutsche
GmbH,sich
München
gegeben
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die Schwarzen
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das Aus- Zeitung
und werden
auch zum Jubiläum des
Eine Dienstleistung des SZ-Archivs
sehen einer Großstadt.“ Auf der Ottakrin- Balkan Fever die Ehre geben.
ger Straße promenieren junge Frauen in
Und dann ist da noch die Gitarristin
A42098711
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drückt, „100 Kilo kurzsichtiges Kanonenfutter in Sicherheit zu bringen“, empfand der Germanist seine neue Heimat
Süddeutsche
als
provinziell.Zeitung
„Aber es hat sich gebessert“, sagt Novakovic, der bei der Magistratsabteilung für Integrations- und Diversitätsfragen angestellt ist: „Wir ExJugoslawen haben der Stadt ein Herz
gegeben und die Schwarzen ihr das Aussehen einer Großstadt.“ Auf der Ottakringer Straße promenieren junge Frauen in
knapper Kleidung, die Männer dezent
maskulin, Kurzhaarschnitt obligatorisch, Deutsch Fremdsprache. Im Wochentakt öffnen neue Lokale, verspiegelte Läden, die Labyrinth oder Flash heißen. Musikalisch dominiert „TurboFolk“, orientalisch angehauchte TechnoSchlager serbischer Provenienz, die Blondinen und Bodybuilder mit Sonnenbrille
chung wurde es namengebend für die
„Wiener Tschuschenkapelle“, die der
Kroate Slavko Ninic 1989 gründete und
FEUILLETON
Dienstag, 29. April 2008
die die traditionelle
Musik der „Gastarbajteri“ zur Aufführung bringt.
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mals revolutionären „Tschuschen“ sind
längst eine Wiener Institution, sie musizieren mit den Wiener Philharmonikern
und werden sich auch zum Jubiläum des
Balkan Fever die Ehre geben.
Und dann ist da noch die Gitarristin
Ljubinka Jokic, die 1992 aus Bosnien
nach Wien floh, am Konservatorium studierte und bis vor kurzem im 20. Bezirk
den „Pomaly-Grill“ betrieb, wo man
Pljeskavica zu R&B-Musik verzehren
konnte, inmitten bunten Volks, unter farbigen Glühbirnen: Wien verdankt dem
Balkan mehr, als es oft will. Nicht nur
musikalisch. CHRISTIAN JOSTMANN
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