Der Monte San Giorgio im Südtessin

Transcription

Der Monte San Giorgio im Südtessin
Gesetzliche Bestimmungen zum Suchen und Sammeln von Fossilien am
Monte San Giorgio
Im ganzen Kanton Tessin ist das Suchen und Sammeln von Fossilien gemäss
kantonalem Naturschutzgesetz vom 12. Dezember 2001 verboten. Der Staatsrat
des Kantons Tessin kann zu wissenschaftlichen Zwecken Ausnahmen bewilligen. Zufällige Funde müssen dem Museo cantonale di storia naturale in Lugano
gemeldet werden.
In Italien ist ein Verbot der Fossiliensuche gemäss Gesetzesverordnung Nr. 490
vom 29. 10. 1999 in Kraft. Zufällige Funde müssen der zuständigen archäologischen Aufsichtsbehörde (Sopraintendenza Archeologica) gemeldet werden.
Das kann auch über die Museen und Universitäten erfolgen.
Umschlagbilder
Oben. Neusticosaurus ist der häufigste kleine Meeressaurier in der Mitteltrias des Monte San Giorgio
(Zeichnung B. Scheffold/PIMUZ).
Unten. Ein perfekt erhaltenes Skelett von Neusticosaurus pusillus von 20 cm Länge aus dem unteren
Meride-Kalk des Monte San Giorgio (Foto H. Lanz/PIMUZ).
Above. Neusticosaurus is the most common small marine saurian from the Middle Triassic of Monte
San Giorgio (drawing B. Scheffold/PIMUZ).
Below. A well preserved skeleton of Neusticosaurus pusillus with a length of 20 cm from the lower
Meride Limestone of Monte San Giorgio (photograph H. Lanz/PIMUZ).
PIMUZ = Paläontologisches Institut und Museum der Universität Zürich
PIMUZ = Palaeontological Institute and Museum of the University of Zurich
MCSN = Museo cantonale di storia naturale, Lugano
NEUJAHRSBLATT
herausgegeben von der
Naturforschenden Gesellschaft
in Zürich
auf das Jahr 2004
206. Stück
2003
Veröffentlichung
der
Naturforschenden Gesellschaft in Zürich
im Anschluss an den Jahrgang 148 der
Vierteljahrsschrift der Naturforschenden Gesellschaft in Zürich
Redaktion: Conradin A. Burga, Frank Klötzli und Marlies Gloor
Ausgegeben am 31. Dezember 2003
ISSN 0379-1327
Die Redaktion der Vierteljahrsschrift der Naturforschenden Gesellschaft in Zürich
dankt dem Paläontologischen Institut und Museum der Universität Zürich, das die
Kosten für die Farbabbildungen paritätisch mitgetragen hat.
Druck und Verlag:
KOPRINT AG, Untere Gründlistrasse 3, CH-6055 Alpnach Dorf
Nachdruck, auch auszugsweise, nur mit Quellenregister gestattet
Der Monte San Giorgio im Südtessin –
vom Berg der Saurier zur Fossil-Lagerstätte
internationaler Bedeutung
Heinz Furrer
Zusammenfassung
Im Juli 2003 erhielt die weltweit einmalige Fossil-Lagerstätte am Monte San Giorgio im Südtessin die begehrte Auszeichnung «international bedeutendes Weltnaturerbe» von der Unesco. Dies ist unter anderem auch eine Anerkennung für
die wissenschaftliche Arbeit mehrerer Generationen von Fachleuten und Laien,
die seit Mitte des 19. Jahrhunderts im italienischen Nachbargebiet bei Besano und
am Monte San Giorgio in der Nähe des Tessiner Bergdorfes Meride geleistet wurde. Mehr als 10 000 kleinere und grössere Fossilien wurden in mühsamer Handarbeit aus dem harten Fels geborgen, sorgfältig freigelegt, studiert und in vielen
Publikationen beschrieben. Eine Auswahl der schönsten Stücke ist in öffentlichen
Museen ausgestellt. Es sind über 200 verschiedene Tier- und Pflanzenarten gefunden worden: fossile Reptilien oder «Saurier» (20), Fische (80), wirbellose Tiere
(100) und Pflanzen (5). Die Überreste der Organismen wurden in einer mächtigen
Schichtfolge aus tonigen, kalkigen und dolomitischen Gesteinen konserviert, die
in einem subtropischen Meeresbecken abgelagert wurden. Einmalig ist am Monte San Giorgio das Vorkommen von fünf übereinander liegenden fossilreichen
Schichten, die nach geologischen Untersuchungen aus der Mitteltrias stammen
und 230 bis 245 Millionen Jahre alt sind. Die ausgezeichnete Erhaltung von vielen
zusammenhängenden Skeletten macht das Gebiet zu einer fast unerschöpflichen
Fundgrube für die Paläontologie. Nur sie kann dieses Zeitfenster der Evolution
öffnen und damit der langen Entwicklungsgeschichte des Lebens auf unserem
Planeten auf die Spur kommen.
Schlagwörter: Evolution – Fische – Fossilien – Geologie – Meride –
Mitteltrias – Ölschiefer – Paläontologie – Schweiz – Südtessin
Monte San Giorgio in southern Ticino – From the «saurian mountain» to a
«Fossillagerstätte» of international importance
With the inclusion in the Unesco World Heritage List in July 2003, Monte San
Giorgio in southern Ticino received the honour to be internationally recognized
as a unique «Fossillagerstätte». This also reflects the appreciation of the scientific work of several generations of professionals and amateurs in palaeontology.
They have worked on the fossils from Monte San Giorgio since the middle of the
19th century, partly in the Italian vicinity near Besano as well as on Monte San
Giorgio near the small village Meride in southern Switzerland. More than 10 000
fossils of various dimensions have been gathered by painstaking manual labour
from the hard rocks. Then they were carefully prepared, scientifically studied,
and finally published in numerous publications. Some of the best specimens are
exposed in public museums. More than 200 different animal and plant species
have been found: fossil reptiles or «saurians» (20), fish (80), invertebrate animals
(100) and plants (5). The remains of organisms are conserved in a thick sequence
of shaly, calcareous and dolomitic sediments from a subtropical marine basin.
The occurrence of five successive levels rich in vertebrate fossils from the Middle Triassic, dated by geologists as 230 to 245 millions years old, is world wide
unique. The perfect preservation of many articulated skeletons makes the area
a nearly inexhaustible treasure chest for palaeontology. Only palaeontologists
may open this time window of evolution and, consequently, get insight in the long
history of life on our planet.
Key words: Evolution – fish – fossils – geology – Meride – middle Trias –
oilschale – palaentology – southern Ticino – Switzerland
Inhaltsverzeichnis
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2
Einleitung
Geschichte der paläontologischen Forschung am Monte San Giorgio
2.1 Erste Fossiliengrabungen auf italienischem Gebiet
2.2 Bernhard Peyer macht den Monte San Giorgio zum Berg der Saurier
2.3 Die grösste Fossiliengrabung unter Emil Kuhn-Schnyder
2.4 Die Fische rücken in den Vordergrund
2.5 Die neuesten Grabungen sind paläoökologisch ausgerichtet
2.6 Neuere Grabungen von zwei Mailänder Forschungsgruppen
2.7 Schon mehr als 30 Fossiliengrabungen
3 Steinbrüche und Bergwerke haben am Monte San Giorgio eine lange Tradition
3.1 «Marmor»-Steinbrüche
3.2 «Ölschiefer»-Bergwerke
3.3 Erzbergbau
4 Geologische Geschichte des Monte San Giorgio
4.1 Der Monte San Giorgio ist Teil der Südalpen
4.2 Die Ablagerungen der Trias entstanden im Flachmeer
4.3 Im Jura öffnete sich der Ozean
4.4 Die alpine Gebirgsbildung begann vor 90 Millionen Jahren
5 Die Gesteine und Fossilien der Mitteltrias am Monte San Giorgio
5.1 Fünf Fundschichten mit Wirbeltierfossilien
5.2 Die Grenzbitumenzone ist die reichste Fundschicht
5.3 Drei Fundschichten im unteren Meride-Kalk
5.4 Viele kleine Fische und ein Saurier aus der Kalkschieferzone
6 Regionale Vergleiche und Paläogeographie
7 Lebens- und Ablagerungsraum in der Mitteltrias
8 Ein Saurier erwacht zu neuem Leben – die Arbeit der Paläontologinnen
und Paläontologen
9 Verdankungen
10 Literatur
Adresse des Autors
Tabelle 1: Grabungschronologie
Tabelle 2: Systematik der vorkommenden Tierfossilien
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Der Monte San Giorgio im Südtessin –
vom Berg der Saurier zur Fossil-Lagerstätte internationaler Bedeutung
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EINLEITUNG
Am 2. Juli 2003 wurde das Gebiet des Monte San Giorgio von der UnescoKommission in Paris auf die Liste international bedeutender Weltnaturerbe
gesetzt. Der Berg der Saurier (Abb. 1, 2) figuriert somit neben Naturschönheiten wie dem Grand Canyon und dem Kilimandscharo oder klassischen Fossilfundstellen wie Messel in Deutschland. Das hätte der gebürtige Schaffhauser
BERNHARD PEYER als junger Privatdozent der Universität Zürich kaum zu
träumen gewagt, als er im Anschluss an die Jahresversammlung der Schweizerischen Naturforschenden Gesellschaft in Lugano an einem schönen Herbsttag
1919 nach Meride fuhr, um am Monte San Giorgio nach Wirbeltierfossilien
zu suchen. Schon seit einigen Jahrzehnten war bekannt, dass in schwarzen
bituminösen Tonsteinen der Mitteltrias, die auf italienischer Seite bei Besano
(Provinz Varese) und auf Tessiner Gebiet bei Serpiano bergmännisch abgebaut
wurden, erstaunlich gut erhaltene Reste von Fischen und Reptilien vorkommen.
Im Materialhaufen der Ölfabrik Spinirolo bei Meride fand Peyer auf Anhieb
das gut erhaltene Skelett einer Vorderflosse eines Fischsauriers. 1924 begann
er mit ersten Abbauversuchen in einem bestehenden Stollen des Bergwerks Tre
Fontane bei Serpiano, um vollständigere Fossilien zu gewinnen, als es beim
Abb. 1.
Die schroffe Ostflanke des Monte San Giorgio oberhalb von Riva San Vitale (Foto
H. Furrer).
Fig. 1.
The steep eastern slope of Monte San Giorgio above Riva San Vitale (photograph
H. Furrer).
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Der Monte San Giorgio im Südtessin –
vom Berg der Saurier zur Fossil-Lagerstätte internationaler Bedeutung
Abb. 2.
Das unter Denkmalschutz stehende Tessiner Bergdorf Meride liegt auf der Südseite des
Monte San Giorgio (Foto H. Furrer).
Fig. 2.
The small village Meride on the southern side of Monte San Giorgio is a protected architectural monument (photograph H. Furrer).
üblichen Abbau mit Sprengungen möglich war. Das Ergebnis blieb unbefriedigend und so nahm Peyer nach einigen Wochen mit zwei Bergleuten die Arbeit
in einem verlassenen Tagbau in der Val Porina auf. Hier gelang es, eine grössere
Schichtfläche freizulegen und sodann die anstehenden Gesteinsbänke flächenhaft abzutragen. In den folgenden Jahren wurde bei systematischen kleinen
Grabungen in der Grenzbitumenzone und den etwas jüngeren Schichten des
unteren Meride-Kalks weiter gegraben.
Neben vielen wissenschaftlichen Beschreibungen der neu entdeckten fossilen
Reptilien veröffentlichte Bernhard Peyer, der seit 1918 Privatdozent für Paläontologie und vergleichende Anatomie und von 1943–1956 Professor für Paläontologie an der Universität Zürich war, auch viele populärwissenschaftliche Artikel.
Eine erste umfassende Darstellung mit dem Titel «Die Reptilien vom Monte San
Giorgio» erschien als 146. Neujahrsblatt der Naturforschenden Gesellschaft in
Zürich (PEYER, 1944). Unter Peyers Leitung wurde aber auch der Grundstein für
die reiche Zürcher Sammlung von Fossilien aus dem Lias der bekannten «Marmor»-Steinbrüche von Arzo angelegt.
Peyers Mitarbeiter und Nachfolger Prof. EMIL KUHN-SCHNYDER widmete
seine wissenschaftliche Tätigkeit hauptsächlich der Erforschung der Reptilien
und Fische vom Monte San Giorgio. Höhepunkt seiner Arbeit war sicher die
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vom Berg der Saurier zur Fossil-Lagerstätte internationaler Bedeutung
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grosse systematische Grabung in der Grenzbitumenzone bei Mirigioli oder Punkt
902 nahe beim Fussweg zum Gipfel des Monte San Giorgio, die von 1950 bis
1968 in Zusammenarbeit mit Geologen der Universität Basel durchgeführt wurde. Die Basler Schule unter LOUIS VONDERSCHMITT bearbeitete schon lange
die Geologie und Stratigraphie des Südtessins (KUHN-SCHNYDER und VONDERSCHMITT, 1954). Die grosse internationale Anerkennung der Forschungsergebnisse der Paläontologen der Universität Zürich veranlasste den Regierungsrat des
Kantons Zürich, 1956 ein selbständiges Paläontologisches Institut und Museum
an der Universität Zürich zu gründen. Zum Direktor dieser neuen Institution, die
nun die Forschung und den Unterricht in Paläozoologie an beiden Zürcher Hochschulen übernahm, wurde Kuhn-Schnyder ernannt. Er verstand es, das Paläontologische Institut und Museum personell und räumlich auszubauen, wobei ihm
besonders auch an der Modernisierung der Fossilienpräparation gelegen war. Im
Rahmen der Jahrestagung der Paläontologischen Gesellschaft wurde 1965 eine
erste grössere Ausstellung der schönsten und wichtigsten Funde aus der Mitteltrias des Monte San Giorgio eröffnet. Von 1971 bis 1975 leitete Kuhn-Schnyder
seine letzte Grabung bei der Cassina oberhalb von Meride.
1967, vier Jahre nach dem Tod von Bernhard Peyer, ehrte die Gemeinde Meride die Zürcher Paläontologen. Seine Witwe Hildegard Peyer durfte die Ehrenbürgerurkunde von Meride entgegennehmen. Dieselbe Ehrung kam auch Emil
Kuhn-Schnyder und seiner Gattin Hanni zuteil. Die «Via Bernardo Peyer» in
Meride erinnert noch heute an diese denkwürdige Feier. Um dem schon lange
angemeldeten Wunsch der Tessiner Bevölkerung nach «ihren Sauriern» entgegen
zu kommen, half Kuhn-Schnyder 1973 der Gemeinde Meride bei der Realisation
eines Paläontologischen Museums (Museo dei Fossili, Meride) und stellte einige Originale und Kopien der besten Funde zur Verfügung (KUHN-SCHNYDER,
1979). Kurz vor seinem Rücktritt 1976 gab KUHN-SCHNYDER (1974) im 176. Neujahrsblatt der Naturforschenden Gesellschaft in Zürich mit «Die Triasfauna der
Tessiner Kalkalpen» einen hervorragenden Überblick über den damaligen Stand
der paläontologischen Forschung am Monte San Giorgio.
Kuhns langjähriger Mitarbeiter und Nachfolger Prof. HANS RIEBER bearbeitete hauptsächlich die Ammonoideen und die dünnschaligen Muscheln der
Gattung Daonella aus der Grenzbitumenzone. Neben dem Nachweis vieler neuer
Formen gelang es ihm auch, durch Vergleich mit entsprechenden Gesteinsserien
der Bergamasker Alpen und der Südtiroler Dolomiten, die Biostratigraphie, d. h.
die altersmässige Gliederung der Mitteltrias am Monte San Giorgio mittels Leitfossilien in einen internationalen Rahmen zu stellen. Unter seiner Leitung wurde
das in den Magazinen gelagerte Fundmaterial der systematischen Grabungen am
Monte San Giorgio weitgehend aufgearbeitet. Dabei verschob sich der Schwerpunkt von den Reptilien zu den vorher etwas vernachlässigten Fischen. Ein Höhepunkt in seiner Amtszeit an der Universität Zürich war sicher die Eröffnung der
neu eingerichteten Ausstellung im Jahre 1991, in der die inzwischen weltberühmten Fossilien des Monte San Giorgio in einem ansprechenden Rahmen präsentiert
werden (BRINKMANN, 1994). Aus dem «Berg der Saurier» der Zürcher Paläontologen war eine klassische Fossilfundstelle oder eine in Fachkreisen international
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vom Berg der Saurier zur Fossil-Lagerstätte internationaler Bedeutung
bekannte Fossil-Lagerstätte im Sinne von SEILACHER et al. (1985) geworden
(BÜRGIN et al., 1989; ETTER, 2002).
Nach einem 19-jährigen Unterbruch begann das Paläontologische Institut und
Museum der Universität Zürich 1994 mit neuen Grabungen im Meride-Kalk, die
von HEINZ FURRER in Zusammenarbeit mit dem Museo cantonale di storia
naturale di Lugano durchgeführt werden. Seit 1996 arbeitet auch eine Gruppe des
Dipartimento di Scienze della Terra dell‘Università degli Studi di Milano unter
der Leitung von ANDREA TINTORI in der Kalkschieferzone bei Meride.
80 Jahre nach Beginn der Zürcher Fossiliengrabungen am Monte San Giorgio,
60 Jahre nach Peyers und 30 Jahre nach Kuhn-Schnyders Bilanz im Neujahrsblatt
der Naturforschenden Gesellschaft in Zürich bietet sich nun die willkommene
Gelegenheit, den aktuellen Forschungsstand darzustellen.
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GESCHICHTE DER PALÄONTOLOGISCHEN FORSCHUNG
AM MONTE SAN GIORGIO
2.1
Erste Fossiliengrabungen auf italienischem Gebiet
Paläontologische Untersuchungen begannen in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts auf italienischem Gebiet bei Besano und Viggiù. CURIONI (1847) publizierte die erste wissenschaftliche Abhandlung über fossile Wirbeltiere in einer
Beschreibung fossiler Fische. Das erste formell benannte Fossil war der kleine
Meeressaurier Pachypleura edwardsii (der 1927 zu Pachypleurosaurus edwardsii und 1989 zu Neusticosaurus edwardsii umbenannt wurde) von Ca’ del Frate
nördlich von Viggiù (CORNALIA, 1854). Etwas später folgten die Arbeiten über
fossile Fische von BELLOTTI (1857), fossile Pflanzen von SORDELLI (1857) und
von CURIONI (1863). Spektakulärere Funde wurden bei ersten wissenschaftlichen Grabungen im Vallone oberhalb von Besano gemacht, die 1863 und 1878
von der Società Italiana di Scienze Naturali (unter der Direktion des Geistlichen
ANTONIO STOPPANI) in Zusammenarbeit mit dem Museo Civico di Storia
Naturale di Milano (unter der Leitung von EMILIO CORNALIA) durchgeführt
wurden. Dabei wurden Reste von verschiedenen Fischsauriern, zahlreichen Fischen, Ammonoideen, Muscheln und Landpflanzen geborgen. Stoppani – der als
Autor des Buches «Il Bel Paese» auf der Etikette der berühmten gleichnamigen
Käsemarke verewigt wurde – schrieb in seinem Rapport zur Grabung: «Pesci
o porzioni di pesci e di rettili si raccolsero in copia considerevole. Ma il capo
d’opera fu un magnifico Ichthyosaurus, a doppio impronta … … mi si permetterà
di affermare che il nostro Ichthyosaurus di Besano è il più bel fossile scoperto
finora in Lombardia» (STOPPANI, 1863). Ammonoideen «im bituminösen Dolomit
von Besano» erwähnte MOJSISOVICS (1882). Stoppanis «schönstes bisher in der
Lombardei entdecktes Fossil» beschrieb erstmals BASSANI (1886) als Ichthyosaurus cornalianus (heute Mixosaurus cornalianus) (Abb. 3, 4). Anfang 20. Jh.
folgten weitere geologische und paläontologische Studien durch Forscher aus
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vom Berg der Saurier zur Fossil-Lagerstätte internationaler Bedeutung
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Abb. 3.
Mixosaurus cornalianus, ein Fischsaurier von etwa 1 m Länge, ist ein charakteristisches
Fossil der Grenzbitumenzone/Besano-Formation des Monte San Giorgio (Foto H. Lanz/
PIMUZ).
Fig. 3.
Mixosaurus cornalianus, an ichthyosaur of about 1 m length, is a characteristic fossil
from the Besano Formation of Monte San Giorgio (photograph H. Lanz/PIMUZ).
der Lombardei: R EPOSSI (1902), R EPOSSI (1909), DE ALESSANDRI (1910) und
AIRAGHI (1911, 1912). Das reiche Fossilmaterial im Museum von Mailand zog
etwas später das Interesse des österreichischen Paläontologen Baron FRANZ
VON NOPSCA an. Er benannte einen «Flugsaurierrest» als Tribelesodon longobardicus (NOPSCA, 1923), der später als schlecht erhaltenes Fossil der Gattung
Tanystropheus (Ordnung Protorosauria) umklassiert wurde. Wenig später folgten
die Erstbeschreibungen von Askeptosaurus italicus (NOPSCA, 1925) und Macrochemus (später Macrocnemus) bassanii (NOPSCA, 1930) (Abb. 5, 6). Leider sind
die meisten der damals beschriebenen Fossilien im August 1943 bei der Bombardierung des Museo Civico di Storia Naturale di Milano zerstört worden. Es
blieben nur jene wenigen Stücke erhalten, die zu Studienzwecken an Bernhard
Peyer in Zürich ausgeliehen worden waren. Darunter befand sich der Holotyp von
Pachypleurosaurus edwardsii (heute Neusticosaurus edwardsii).
2.2
Bernhard Peyer macht den Monte San Giorgio zum Berg der Saurier
Seit der Intensivierung des Ölschieferabbaus im Bergwerk Tre Fontane bei
Serpiano durch den Chemiker PIERO NERI SIZZO DE NORIS im Jahre 1907
förderte man auch auf Schweizer Seite zahlreiche Reste von Fischen, Meeressauriern, Ammonoideen und Muscheln zutage. Die ersten fossilen Fische von dieser Lokalität beschrieb ANDERSSON (1916), ein schwedischer Paläontologe, der
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vom Berg der Saurier zur Fossil-Lagerstätte internationaler Bedeutung
Abb. 4.
Lebensbild der Fischsaurier Mixosaurus cornalianus (Länge bis 1,50 m) und Cymbospondylus buchseri (Länge bis 5 m) aus der Mitteltrias des Monte San Giorgio
(Zeichnung B. Scheffold/PIMUZ).
Fig. 4.
Reconstruction of the ichthyosaurs Mixosaurus cornalianus (length up to 1.50 m) and
Cymbospondylus buchseri (length up to 5 m) from the Middle Triassic of Monte San
Giorgio (drawing B. Scheffold/PIMUZ).
später unter dem Namen STENSIÖ weltberühmt wurde. Im Jahre 1916 erwarb
das Zoologische Museum der Universität Zürich die ersten Fossilien vom Monte
San Giorgio von ALBERT FRAUENFELDER, der damals seine Dissertation zur
Geologie der Tessiner Kalkalpen abschloss. Gemäss handschriftlichem Katalog
handelte es sich um «8 Stücke Fossilien (Fische und Reptilien) von Tre Fontane
bei Meride (Tessin) inkl. 2 Stücke von Campione». FRAUENFELDER (1916) gab
einen guten Überblick über die damals bekannten Wirbellosen, vor allem Ammonoideen und Muscheln der so genannten Grenzbitumenzone. Diesen Begriff
führte er für den im Grenzbereich der beiden Triasstufen Anisian und Ladinian
liegenden Horizont bituminöser Dolomite und Tonsteine am Monte San Giorgio
ein. Im gleichen Jahr wurden dank Vermittlung des Zürcher Geologieprofessors
HANS SCHARDT auch noch vier unbestimmte Fische aus Serpiano von GAETANO FOSSATI in Meride gekauft.
Angeregt durch Bemerkungen des bekannten Münchener Paläontologen
FERDINAND BROILI interessierte sich der junge Privatdozent Bernhard Peyer
an der Universität Zürich für diese Fossilien. Im Anschluss an die Jahresversammlung der Schweizerischen Naturforschenden Gesellschaft (der heutigen
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vom Berg der Saurier zur Fossil-Lagerstätte internationaler Bedeutung
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Abb. 5.
Ein vollständiges Skelett des Protorosauriers Macrocnemus bassanii, der erstmals 1930
von F. von Nopsca aus der Mitteltrias von Besano beschrieben wurde (Länge 80 cm;
Foto H. Lanz/PIMUZ).
Fig. 5.
Complete skeleton of the protorosaur Macrocnemus bassanii, described first by F.
von Nopsca from the Middle Triassic of Besano (length 80 cm; photograph H. Lanz/
PIMUZ).
Schweizerischen Akademie der Naturwissenschaften) in Lugano fuhr er an einem schönen Herbsttag 1919 nach Meride, um am Monte San Giorgio nach Wirbeltierfossilien zu suchen. Man erlaubte ihm in der damaligen Ölfabrik Spinirolo
einen zur Verarbeitung bereitliegenden Haufen Ölschiefer nach Versteinerungen
zu durchsuchen. Schon bald entdeckte er auf einer Platte das gut erhaltene Skelett
einer Vorderflosse eines Fischsauriers. Nach dem Fund einiger weiterer Fossilreste aus der Halde des nahe gelegenen Bergwerks Tre Fontane bei Serpiano wollte
Peyer unbedingt im anstehenden Fels nach vollständigeren Fossilien suchen. 1924
konnte er dank einem Kredit von Fr. 1000.– der Georges- und Antoine-ClarazSchenkung mit Bergarbeitern die fossilführenden Gesteine der mittleren Grenzbitumenzone in einem Stollen bei Tre Fontane abbauen. Da unter den schwierigen Bedingungen in den engen Stollen nur kleinere Platten ausgebrochen werden
konnten, versuchte er noch im gleichen Jahr in einem damals schon aufgelassenen Tagbau der Val Porina auf der Südseite des Monte San Giorgio sein Glück.
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vom Berg der Saurier zur Fossil-Lagerstätte internationaler Bedeutung
Abb. 6.
Der knapp 1 m lange Protorosaurier Macrocnemus bassanii lebte wohl auf Inseln am
Rande des Monte San Giorgio-Beckens (Zeichnung B. Scheffold/PIMUZ).
Fig. 6.
The 1 m long protorosaur Macrocnemus bassanii probably lived on islands along the
basin of Monte San Giorgio (drawing B. Scheffold/PIMUZ).
Beim flächenhaften Abbau der anstehenden Gesteinsbänke konnten verschiedene
komplette Skelette von Mixosaurus cornalianus, dem damals ältesten bekannten
Vertreter der Fischsaurier (Ordnung Ichthyosauria), und ein neuer Pflasterzahnsaurier Cyamodus hildegardis (Ordnung Placodontia) gefunden werden (PEYER,
1927, 1931a, b; Abb. 7, 8). 1927 entdeckte man in einem Stützpfeiler eines Stollens
von Tre Fontane das 2,30 m lange Skelettfragment eines grossen Fischsauriers
von ursprünglich 5,50 m Länge, der erst viel später als Cymbospondylus buchseri
beschrieben wurde (SANDER, 1989a). In einer grossen Grabung beim ehemaligen
Bergwerk Val Porina gelang 1929 der sensationelle Fund des ersten praktisch
vollständigen Giraffenhalssauriers Tanystropheus longobardicus (Ordnung Protorosauria) (Abb. 9, 10). Damit war das Rätsel des geheimnisvollen Reptils Tanystropheus aus dem etwa gleichaltrigen Muschelkalk von Bayreuth in Deutschland
gelöst. Peyer meldete die Entdeckung umgehend seinem Freund Ferdinand Broili
in München, der sich sofort in den Zug setzte und nach Einbruch der Dunkelheit
im Quartier bei Tre Fontane eintraf. Im Schein einer Grubenlampe bewunderten
beide das fast vollständige Skelett (Abb. 11). Wenige Tage später konnte Peyer
bei einem Besuch im Museum Mailand nachweisen, dass ein von BASSANI (1886)
erwähntes und von NOPSCA (1923) als Tribelesodon longobardicus beschriebener
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vom Berg der Saurier zur Fossil-Lagerstätte internationaler Bedeutung
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Abb. 7.
Das Gebiss des Pflasterzahnsauriers Cyamodus hildegardis mit seinen kräftigen Knackzähnen von 2 cm Durchmesser (Foto H. Lanz/PIMUZ).
Fig. 7.
The dentition of the placodont reptile Cyamodus hildegardis with strong crushing teeth
measuring 2 cm in diameter (photograph H. Lanz/PIMUZ).
Skelettrest eines vermeintlichen Flugsauriers von Besano ebenfalls ein kleiner,
schlecht erhaltener Tanystropheus ist (PEYER, 1931c). Bei der gleichen Grabung
von 1929 in Val Porina fand Peyer einen neuen Pflasterzahnsaurier (Paraplacodus
broilii; PEYER, 1931d) und den bisher einzigen Skelettrest eines weiteren neuen
Reptils (Hescheleria ruebeli; PEYER, 1936a). 1932 wurde in einem Stollen von
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Der Monte San Giorgio im Südtessin –
vom Berg der Saurier zur Fossil-Lagerstätte internationaler Bedeutung
Abb. 8.
Lebensbild des Pflasterzahnsauriers Cyamodus hildegardis von 1,30 m Länge aus
der Grenzbitumenzone/Besano-Formation des Monte San Giorgio (Zeichnung B.
Scheffold/PIMUZ).
Fig. 8.
Reconstruction of the placodont reptile Cyamodus hildegardis with a length of 1.30 m
from the Besano Formation of Monte San Giorgio (drawing B. Scheffold/PIMUZ).
Tre Fontane das fast 4 m lange Skelett von Paranothosaurus amsleri, einem
neuen Vertreter der Paddelsaurier (Ordnung Sauropterygia), geborgen (PEYER,
1939); 1933 der einzige Fund von Clarazia schinzi (PEYER, 1936b) (Abb. 12). Bei
der grössten Grabung in der Val Porina von 1931 bis 1933 entdeckte man das erste
vollständige Exemplar von Macrocnemus bassanii. Ein weiterer Fund erwies sich
nach der aufwändigen Präparation als zerfallenes, aber vollständiges Skelett eines Landsauriers (Ordnung Thecodontia), der von K REBS (1965) als Ticinosuchus
ferox beschrieben wurde (Abb. 13). Weitere bemerkenswerte Funde sind ein Skelettrest von Helveticosaurus zollingeri im Jahre 1935 (PEYER, 1955), das bisher
vollständigste Skelett von Paraplacodus broilii aus dem Bergwerk Tre Fontane
von 1936 (KUHN, 1942) und das vollständige Skelett von Askeptosaurus italicus
(Ordnung Thalattosauria) von 1937 (KUHN-SCHNYDER, 1952). Von den vielen
Fischsauriern wurde vorerst nur eine Gebissstudie durchgeführt (BESMER, 1947).
Die ersten Arbeiten über Fischfunde der Zürcher Paläontologen in der Grenzbitumenzone publizierten GUTTORMSEN (1937) und KUHN (1946). Eine klassische
Arbeit über die Fische vom Monte San Giorgio publizierte der englische Paläontologe JAMES BROUGH (BROUGH, 1939).
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Abb. 9.
Schädel und Hals des Giraffenhalssauriers Tanystropheus longobardicus. Der hinterste
der stark verlängerten Halswirbel wurde von einem Räuber durchgebissen (Foto H.
Lanz/PIMUZ).
Fig. 9.
Skull and neck of the protorosaur Tanystropheus longobardicus. The last of the very
elongated vertebrates has been bitten through by a predator (photograph H. Lanz/
PIMUZ).
Abb. 10. Lebensbild des Giraffenhalssauriers Tanystropheus longobardicus von 5 bis 6 m Länge
aus der Grenzbitumenzone/Besano-Formation des Monte San Giorgio (Zeichnung
B. Scheffold/PIMUZ).
Fig. 10.
Reconstruction of the protorosaur Tanystropheus longobardicus with a length of 5 to 6
m from the Besano Formation of Monte San Giorgio (drawing B. Scheffold/PIMUZ).
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Abb. 11. Bernhard Peyer (links) mit seinem Münchener Kollegen Ferdinand Broili im Herbst
1929 in der Val Serrata (Foto PIMUZ).
Fig. 11.
Bernhard Peyer (on the left) with his colleague Ferdinand Broili from Munich in autumn 1929 in the Serrata valley (photograph PIMUZ).
Noch während den sehr erfolgreichen Grabungen in der Grenzbitumenzone
entdeckten die Zürcher Paläontologen im Herbst 1927, dank Hinweisen von
GAETANO FOSSATI und A. ZAPPA aus Meride, auch die etwas jüngeren
Fossilhorizonte im unteren Meride-Kalk in der Val Serrata und bei Crocifisso
(Abb. 14). In verschiedenen Grabungen von 1927 bis 1938 kamen einige Exemplare eines neuen Paddelsauriers von 0,80 bis 2,30 m Länge zum Vorschein.
Im Vergleich mit dem sehr ähnlichen Sauropterygier Lariosaurus balsamii aus
der Mitteltrias von Perledo am Comersee (in Italien Lario genannt) bezeichnete
Peyer seinen neuen Fund nach dem italienischen Namen des Luganersees (Ceresio) als Ceresiosaurus calcagnii (PEYER, 1931e, 1934) (Abb. 15). Die relativ
häufigen kleinen Pachypleurosaurier, von PEYER (1932) und ZANGERL (1935)
als Pachypleurosaurus edwardsii zusammengefasst, wurden später zu drei
verschiedenen Arten der schon früher aus dem germanischen Muschelkalk bekannten Gattung Neusticosaurus gestellt (SANDER, 1989b). Die Schichtreihe des
Meride-Kalks und die Verteilung seiner vier Fossilhorizonte wurden von WIRZ
(1945) untersucht.
2.3
Die grösste Fossiliengrabung unter Emil Kuhn-Schnyder
1950 begann unter Leitung des Paläontologen Emil Kuhn-Schnyder von der Universität Zürich und des Geologen Louis Vonderschmitt von der Universität Basel
die grösste systematische Grabung bei Mirigioli oder Punkt 902 (Abb. 16). Auf
einer Fläche von ursprünglich 240 m 2, die sich bis zum Schluss im Jahre 1968
Der Monte San Giorgio im Südtessin –
vom Berg der Saurier zur Fossil-Lagerstätte internationaler Bedeutung
21
Abb. 12. Der 1 m lange Thalattosaurier Clarazia schinzi suchte seine Nahrung vermutlich im
besser durchlüfteten Randbereich des Meeresbeckens vom Monte San Giorgio (Zeichnung B. Scheffold/PIMUZ).
Fig. 12.
The thalattosaur Clarazia schinzi (about 1 m long) presumably looked for prey in
the better oxygenated marginal areas of the Monte San Giorgio basin (drawing B.
Scheffold/PIMUZ).
auf 90 m2 reduzierte, wurde die etwa 16 m dicke Abfolge der Grenzbitumenzone detailliert untersucht. Bank für Bank wurden sorgfältig abgetragen. Alle
Funde wurden notiert, in einem Fundplan eingezeichnet und wenn möglich mit
ihrer Längsachse eingemessen. Die für die damalige Zeit vorbildliche Grabung
zeigte erstmals die Verteilung und Häufigkeit der arten- und individuenreichen
Fauna und Flora in einem Standardprofil der ganzen Grenzbitumenzone (KUHNSCHNYDER, 1964; MÜLLER, 1969; R IEBER, 1973a; RÖHL et al., 2001). Die früheren Funde stammten ja praktisch nur aus der mittleren Grenzbitumenzone,
die wegen dem hohen Bitumengehalt in den Bergwerken ausgebeutet wurde. So
konnten z. B. in der 8,5 cm dicken Bank Nr. 113 auf einer Fläche von 120 m2 62
Skelette von Mixosaurus, einige grössere Fische wie Saurichthys, Colobodus und
Birgeria und etwa 80 kleinere Fische gefunden werden (Abb. 17). Andere Bänke
lieferten viele Muscheln der Gattung Daonella, deren verschiedene Arten ein
gutes Beispiel der Evolution während etwa einer Million Jahre dokumentieren
22
Der Monte San Giorgio im Südtessin –
vom Berg der Saurier zur Fossil-Lagerstätte internationaler Bedeutung
Abb. 13. Der Rauisuchier Ticinosuchus ferox war ein 2,50 m langer Landsaurier und wurde vermutlich erst nach dem Tod ins Meer gespült (Zeichnung B. Scheffold/PIMUZ).
Fig. 13.
The rauisuchid Ticinosuchus ferox was a 2.50 m long terrestrial reptile that has been
washed into the ocean after his death (drawing B. Scheffold/PIMUZ).
(R IEBER, 1965, 1968, 1969). Das Studium der relativ häufigen Ammonoideen in
den Dolomitbänken der Grenzbitumenzone erlaubte eine genauere Festlegung
der Grenze zwischen den Trias-Stufen Anisian und Ladinian (R IEBER, 1973a). In
der Amtszeit von Emil Kuhn-Schnyder entstanden wichtige Beschreibungen von
Reptilien, z. B. Ticinosuchus ferox durch K REBS (1965) und Tanystropheus longobardicus durch WILD (1974), Fischen wie Birgeria stensioei durch SCHWARZ
(1970), sowie Arbeiten zur Entstehung der Grenzbitumenzone (R IEBER, 1973b)
und Ausbildung des gleichaltrigen Salvatore-Dolomits (ZORN, 1971). Seine letzte
Grabung führte Kuhn-Schnyder von 1971 bis 1975 in der Nähe der Kapelle Cassina oberhalb von Meride durch. Die dort bereits 1933 vom einheimischen Präparator FRITZ BUCHSER entdeckten und noch im gleichen Jahr von Bernhard
Peyer ausgebeuteten Cassina-Schichten des unteren Meride-Kalks hatten sich
damals als sehr fossilreich erwiesen und neben vielen Exemplaren des jüngsten
und grössten Pachypleurosauriers Neusticosaurus edwardsii (ZANGERL, 1935;
CARROLL und GASKILL, 1985; SANDER, 1989b) auch einige schöne Exemplare
von Ceresiosaurus calcagnii (HÄNNI, 2002) sowie ein Exemplar von Macrocnemus bassanii geliefert (R IEPPEL, 1989a). Die neuen systematischen Grabungen
brachten viele Fische (RIEPPEL, 1985a; BÜRGIN, 1992) und einen neuen Giraffenhalssaurier (Tanystropheus meridensis) zu Tage (WILD, 1980).
Der Monte San Giorgio im Südtessin –
vom Berg der Saurier zur Fossil-Lagerstätte internationaler Bedeutung
23
Abb. 14. Die Fossiliengrabung in den Cavasuperiore-Schichten (unterer Meride-Kalk) von Acqua del Ghiffo bei
Crocifisso im Jahre 1928 war sehr
erfolgreich (Foto M. Linck).
Fig. 14.
The excavation for fossils in the Cava
superiore beds (lower Meride Limestone) at the locality Acqua del Ghiffo
near Crocifisso in 1928 was very successful (photograph M. Link).
Abb. 15. Das 2,30 m lange Skelett des Sauropterygiers Ceresiosaurus calcagnii und die sieben
Exemplare des kleinen Neusticosaurus pusillus wurden 1937 aus dem unteren MerideKalk von Acqua Ferruginosa bei Crocifisso geborgen (Foto H. Lanz/PIMUZ).
Fig. 15.
The 2.30 m long skeleton of the sauropterygian Ceresiosaurus calcagnii and seven specimens of the small Neusticosaurus pusillus were discovered in 1937 in the lower Meride
Limestone at Acqua Ferruginosa near Crocifisso (photograph H. Lanz/PIMUZ).
24
Der Monte San Giorgio im Südtessin –
vom Berg der Saurier zur Fossil-Lagerstätte internationaler Bedeutung
Abb. 16. Die grösste systematische Grabung in der Grenzbitumenzone/Besano-Formation wurde
von 1950 bis 1968 von Emil Kuhn-Schnyder in Mirigioli/Punkt 902 geleitet (Foto H.
Rieber, 1963).
Fig. 16.
The largest systematic excavation in the Besano Formation was organized from 1950 to
1968 by Emil Kuhn-Schnyder in Mirigioli/point 902 (photograph H. Rieber, 1963).
2.4
Die Fische rücken in den Vordergrund
Unter der Direktion von Hans Rieber wurde von 1976 bis 2001 das reiche Fundmaterial in der Sammlung weiter bearbeitet. Dabei rückten die bisher eher vernachlässigten Fische in den Vordergrund (RIEPPEL, 1980, 1981, 1985a, b, 1992;
BÜRGIN, 1990, 1992, 1996, 1998, 1999a; MUTTER, 1998, 2002) (Abb. 18). Daneben wurden Neubeschreibungen und Revisionen bei den Reptilien durchgeführt
(R IEPPEL, 1989b; SANDER, 1988, 1989a, b; TSCHANZ, 1986, 1988, 1989; BRINKMANN, 1996, 1997, 1998a, b; HÄNNI, 1998, 1999, 2002).
R IEBER (1980) machte den überraschenden Fund von Conodonten-Apparaten
aus der Grenzbitumenzone bekannt. Sie bestehen aus mehreren, offensichtlich
zusammengehörigen Paaren von spiegelbildlich symmetrischen Conodonten.
Einzelne Conodonten, mikroskopisch kleine zahnartige Gebilde aus Calciumphosphat, die nach heutiger Ansicht von sehr ursprünglichen Wirbeltieren oder
deren unmittelbaren Vorläufern stammen, waren früher schon bekannt (MÜLLER,
1964). ETTER (1994) beschrieb den bisher einzigen Krebs aus der Grenzbitumenzone. Die Daonellen des Meride-Kalks wurden von SCHATZ (2000, 2001)
revidiert.
Der Monte San Giorgio im Südtessin –
vom Berg der Saurier zur Fossil-Lagerstätte internationaler Bedeutung
25
Abb. 17. Beispiel eines Fundplanes von Bank 113 in der Grabung Mirigioli/Punkt 902 in der
Grenzbitumenzone/Besano-Formation (nach MÜLLER, 1969; unveröffentlicht). Ein
Quadrat misst 2 x 2 m.
Fig. 17.
Example of a site map indicating the most important fossil remains discovered in
bed 113 during the excavation at Mirigioli/point 902 in the Besano Formation (after
MÜLLER, 1969; unpublished). A square measures 2 x 2 m.
2.5
Die neuesten Grabungen sind paläoökologisch ausgerichtet
Nach einem 19-jährigen Unterbruch startete das Paläontologische Institut und
Museum der Universität Zürich 1994 zusammen mit dem Museo cantonale di
storia naturale di Lugano neue Grabungen im Meride-Kalk. Unter der Leitung
von Heinz Furrer wurden zuerst Detailprofile in der Kalkschieferzone (obers-
26
Der Monte San Giorgio im Südtessin –
vom Berg der Saurier zur Fossil-Lagerstätte internationaler Bedeutung
Abb. 18. Lebensbild einiger typischer Knochenfische von 4 bis 80 cm Länge aus der
Grenzbitumenzone/Besano-Formation des Monte San Giorgio (Zeichnung B. Scheffold/
PIMUZ).
Fig. 18.
Reconstruction of some representative fishes with lengths of 4 to 80 cm from the Besano
Formation at Monte San Giorgio (drawing B. Scheffold/PIMUZ).
ter Meride-Kalk) der Val Mara bei Meride untersucht (BÜRGIN, 1995; FURRER,
1995). Dort waren bei früheren Profilaufnahmen und Aufsammlungen kleine
Fische und ein juveniler Lariosaurier (Ordnung Sauropterygia) gefunden worden (WIRZ, 1945; KUHN-SCHNYDER, 1987). 1995/96 folgte eine systematische
Grabung in den Cava-inferiore-Schichten bei Acqua del Ghiffo (FURRER, 1998;
BÜRGIN, 1999b) (Abb. 19). Seit 1997 wird in den darüber liegenden Cava-superiore-Schichten gegraben (FURRER, 1999). Beide Fundschichten im unteren Meride-Kalk bei Crocifisso sind reich an Pachypleurosauriern, lieferten aber auch
eine interessante Fischfauna (Abb. 20, 21). Allerdings liegt das Hauptgewicht bei
den neuen Grabungen auf paläoökologischen Studien. Durch detaillierte Studien
zur Art, Häufigkeit und Verteilung der Fossilien und zur Zusammensetzung der
Gesteine in einzelnen Bänken soll ein umfassendes Bild zur Entstehung und Entwicklung des Lebens- und Ablagerungsraumes im spannenden Zeitfenster der
Mitteltrias rekonstruiert werden.
2.6
Neuere Grabungen von zwei Mailänder Forschungsgruppen
Auf italienischer Seite des Monte San Giorgio wurde die paläontologische Arbeit
durch das Museo Civico di Storia Naturale di Milano in der Besano-Formation
Der Monte San Giorgio im Südtessin –
vom Berg der Saurier zur Fossil-Lagerstätte internationaler Bedeutung
27
Abb. 19. Archaeosemionotus sp. (Länge 15 cm) aus der Grabung 1995 in den Cava-inferioreSchichten von Acqua del Ghiffo bei Meride (Foto H. Lanz/PIMUZ).
Fig. 19.
Archaeosemionotus sp. (length 15 cm) from the excavation 1995 in the Cava inferiore
beds of Acqua del Ghiffo near Meride (photograph H. Lanz/PIMUZ).
(Grenzbitumenzone) oberhalb von Besano wieder aufgenommen, zuerst im Vallone, dann von 1975 bis 1984 am Rio Ponticelli und seit 1985 am Sasso Caldo. Ziel
war in erster Linie die Wiederbeschaffung von gutem Fossilmaterial als Ersatz
für die im Krieg 1943 zerstörte Sammlung. Dabei wurde und wird die Hauptarbeit im Gelände durch engagierte Freiwillige geleistet. Der grosse Erfolg der neuen Grabungen zeigt sich in ersten Publikationen und Neubeschreibungen (PINNA
und TERUZZI, 1991; DAL SASSO und PINNA, 1996; NOSOTTI und R IEPPEL, 2003).
Seit 1990 arbeitet eine weitere Gruppe unter der Leitung von ANDREA TINTORI vom Dipartimento di Scienze della Terra dell‘Università degli Studi di
Milano in der Kalkschieferzone, der jüngsten Fundschicht mit Wirbeltierfossilien
in der Mitteltrias des Monte San Giorgio. Von 1990 bis 1999 wurde die Lokalität
Besnasca/Ca‘ del Frate auf italienischem Gebiet nördlich von Viggiù untersucht
(TINTORI, 1990a–d; TINTORI und R ENESTO 1983, 1990; R ENESTO, 1993). Seit
28
Der Monte San Giorgio im Südtessin –
vom Berg der Saurier zur Fossil-Lagerstätte internationaler Bedeutung
Abb. 20. Saurichthys curionii, ein 30 cm langer Raubfisch mit zwei Embryonen in der Leibeshöhle. Grabung 1997 in den Cava-superiore-Schichten von Acqua del Ghiffo bei Meride
(Foto H. Lanz/PIMUZ).
Fig. 20. Saurichthys curionii, a 30 cm long predatory fish with two embryos in the abdominal
cavity. Excavation 1997 in the Cava inferiore beds of Acqua del Ghiffo near Meride
(photograph H. Lanz/PIMUZ).
1996 führt die gleiche Gruppe auch Grabungen in Zusammenarbeit mit dem Museo cantonale di storia naturale di Lugano in der Kalkschieferzone auf schweizerischem Gebiet bei Meride durch (TINTORI et al., 1998).
2.7
Schon mehr als 30 Fossiliengrabungen
Bis heute wurden mehr als 30 kleinere und grössere Grabungen unter wissenschaftlicher Leitung an 24 verschiedenen Lokalitäten durchgeführt. Die Bedeutung der Fossilienfunde am Monte San Giorgio ist in naturwissenschaftlichen
Kreisen international anerkannt, und mehr als 100 wissenschaftliche Artikel über
anatomische, systematische und stammesgeschichtliche Aspekte der Fossilien,
aber auch über die altersmässige Einstufung der Gesteine und die Ökologie des
damaligen Lebensraumes sind weltweit publiziert worden.
Aber selbst 150 Jahre nach den ersten paläontologischen Arbeiten sind die
Ergebnisse der letzten Grabungskampagnen von grossem Interesse. Sie zeigen,
dass das wissenschaftliche Potenzial dieser klassischen Fossilfundstelle noch
lange nicht ausgeschöpft ist (R IEPPEL, 1993). So wurde 1993 in der Besano-
Der Monte San Giorgio im Südtessin –
vom Berg der Saurier zur Fossil-Lagerstätte internationaler Bedeutung
29
Abb. 21. Der langschnäuzige Raubfisch Saurichthys aus der Mitteltrias des Monte San Giorgio
wurde bis 1 m lang (Zeichnung B. Scheffold/MCSN).
Fig. 21.
The long snouted predatory fish Saurichthys reached up to 1 m length in the Middle
Triassic of Monte San Giorgio (drawing B. Scheffold/MCSN).
Formation (Grenzbitumenzone) am Sasso Caldo auf italienischem Gebiet ein
5,80 m langes Exemplar eines neuen Fischsauriers (Besanosaurus leptorhynchus)
mit Embryonen entdeckt (DAL SASSO und PINNA, 1996). Aus dieser Grabung
stammen auch die erstmals vom Monte San Giorgio nachgewiesenen Thylacocephalen, Vertreter einer Gruppe urtümlicher Krebse (AFFER und TERUZZI, 1999).
Aber auch in altem Sammlungsmaterial wurden neue Entdeckungen gemacht.
So konnten auf Schädelfragmenten von Fischsauriern aus dem Bergwerk Tre
Fontane in der Universität Tübingen zwei neue Gattungen und Arten aufgestellt
werden (MAISCH und MATZKE, 1997, 1998). Ein neuer Fund eines jugendlichen
Exemplares von Ceresiosaurus calcagnii aus dem unteren Meride-Kalk von Acqua del Ghiffo im Jahre 1995 gab den Anstoss zur Neubearbeitung dieser Reptilgattung, in der eine neue Art Ceresiosaurus lanzi vorgeschlagen wird (HÄNNI,
2002). In den vier Fossilhorizonten des Meride-Kalks entdeckte man seit 1990
rund 20 neue Arten kleiner Fische (TINTORI und R ENESTO, 1983; TINTORI,
1990a–d; BÜRGIN, 1995, 1999a, b; LOMBARDO, 1997, 2001, 2002). Neue Ergebnisse ergaben sich auch zur Ernährung und Fortpflanzung der Fische (BÜRGIN,
1996; LOMBARDO, 1999). Die ersten fossilen Insekten vom Monte San Giorgio
wurden während den Grabungen 1998 in der Val Mara (LOMBARDO et al., 2001;
K RZEMINSKI und LOMBARDO, 2001) und 1999 in Acqua del Ghiffo zu Tage gefördert (FELBER et al., 2000). Spannend sind schliesslich die neuen Erkenntnisse zur
Paläoökologie im damaligen Triasmeer und zur Entstehung der verschiedenen
Fossil-Lagerstätten.
30
3
Der Monte San Giorgio im Südtessin –
vom Berg der Saurier zur Fossil-Lagerstätte internationaler Bedeutung
STEINBRÜCHE UND BERGWERKE HABEN AM
MONTE SAN GIORGIO EINE LANGE TRADITION
3.1
«Marmor»-Steinbrüche
Die ältesten geschichtlichen Urkunden zur Nutzung von Gesteinen im Gebiet des
Monte San Giorgio stammen aus dem 16. Jh. Sie dokumentieren den Betrieb von
Steinbrüchen in Viggiù und Saltrio an der Südflanke des Monte Orsa auf italienischem Gebiet sowie im Dreieck Arzo–Tremona–Besazio auf Schweizer Seite.
Abgebaut wurde aber wahrscheinlich schon Ende 14. Jh. Damals entdeckten vermutlich Steinhauer von Viggiù die guten Bearbeitungseigenschaften und die Verwitterungsbeständigkeit des lokalen Gesteins Pietra di Viggiù aus dem Unterjura
(Lias), das sich ausgezeichnet zur Herstellung von dekorativen Elementen eignet.
Die reiche und grosse Ortschaft war das Zentrum für die Bearbeitung und den
Handel der Gesteine vom Monte San Giorgio.
Die Steinbrüche von Arzo wurden erst später unter dem Einfluss der Unternehmer von Viggiù eröffnet. Dank deren Beziehungen zu kirchlichen Kreisen erstreckte sich der Absatzmarkt von Rom bis Nordeuropa. Sicher waren zur Zeit der
Renaissance auch die Steinbrüche von Arzo und Umgebung ausgelastet. Wie bei
den Gesteinen von Viggiù fanden die verschiedenen Typen des «Marmo d’Arzo»
aus dem Lias nicht nur lokale, sondern in ganz Europa Verbreitung und wurden
wegen ihren bunten Farben speziell in Barockkirchen eingebaut. Die drei wichtigsten Gesteinstypen Macchia Vecchia, Broccatello und Rosso d’Arzo wurden
kunstvoll zu Taufbecken, Weihwasserbecken, Balustraden, Säulen, Fussböden
und Treppenstufen verarbeitet. Sie schmücken Altäre, wie dies z. B. in den Domen von Como und Mailand sowie im Kloster Einsiedeln zu sehen ist.
Die Bearbeitung und der Handel von Gesteinen des Monte San Giorgio fanden die grösste Verbreitung im Barock (17. Jh.), im Neoklassizismus (18. Jh.)
und in etwas kleinerem Umfang im 19. Jh. Trotz der ökonomischen Krise zu
Beginn des 20. Jh. und weiterer ungünstiger Faktoren (Beginn der Herstellung
von Zementfabrikaten) bedeutete der Abbau von Gestein für die Bewohner bis
Mitte 20. Jh. eine wichtige Verdienstquelle. 1931 waren in Viggiù mit insgesamt
2400 Einwohnern etwa 50 Betriebe aktiv, die 240 Personen beschäftigten. Saltrio
zählte zu dieser Zeit 16 Betriebe und Arzo deren 6. Abgebaut wurde von kleinen
Familienunternehmen unter Mithilfe von Tagelöhnern. Die Steinbrüche gehörten
den Betrieben selbst (Viggiù) oder waren von der Gemeinde (Saltrio) oder vom
Patriziat (Arzo) gepachtet.
Der Abbau der Steinblöcke erfolgte ursprünglich mit traditionellen Werkzeugen wie Vorschlaghammer, Spaltkeil, Fäustel und Meissel. An Seilen gezogen,
wurden die Blöcke auf Brettern und Holzrollen bewegt. Bei der Arbeit im Steinbruch und in der Werkstatt musste oft die ganze Familie mithelfen. Um 1925
wurde die Sägetechnik eingeführt, bei der von Motoren angetriebene Drahtseile
den Stein dank der schleifenden Wirkung von Quarzsand aus der Felswand
schnitten. Heute geschieht dies noch effizienter mit Diamantseilsägen. Auch die
Der Monte San Giorgio im Südtessin –
vom Berg der Saurier zur Fossil-Lagerstätte internationaler Bedeutung
31
weitere Verarbeitung mit Steinsägen und Schleifmaschinen ist heute weitgehend
mechanisiert.
Die unterirdischen Steinbrüche und Kavernen von Viggiù und Saltrio, aber
auch die als Tagebau angelegten Steinbrüche von Arzo, Tremona und Besazio
sind heute kaum noch sichtbar oder sogar ganz verschwunden. Einzig die Steinbrüche der Macchia Vecchia und des Broccatello der Firma Rossi & Cie. bei Arzo
sind noch in Betrieb. Der Abbau in den andern Steinbrüchen wurde zwischen
1950 und 1960 beinahe vollständig eingestellt. In Saltrio schloss 1964 das letzte
kleine Unternehmen zur Verarbeitung von Steinblöcken; der heutige Steinbruch
dient zur Produktion von Splitt und Asphaltbelägen für den Strassenbau.
3.2
«Ölschiefer»-Bergwerke
Die bituminösen Tonsteine oder so genannten «Ölschiefer» des Monte San Giorgio waren wegen ihrem Gehalt an leicht brennbarem Öl sicherlich schon seit
Jahrhunderten bekannt. Aber erst seit Mitte des 18. Jh. wurde die Suche nach fossilen Brennstoffen in den Tälern der Lombardei durch die Mailänder Regierung
intensiviert, weil es an brennbarem Material für die Industrie fehlte. Es wurden
sogar Prämien für das Auffinden von neuen Lagerstätten ausgesetzt. Deshalb
nahm zwischen 1774 und 1790 ein gewisser VALSECCHI aus Lecco die Arbeit
in einer alten Mine bei Besano auf. Dies ist der erste Nachweis bergmännischer
Tätigkeit am Monte San Giorgio. Die ersten Studien wurden 1830 mit der Absicht
unternommen, Gas für die Strassenbeleuchtung von Mailand zu gewinnen. Die
Bergwerksarbeit oberhalb Besano wurde aber bald wieder eingestellt. Andere
Unternehmen folgten mit der Absicht, Brennstoffe zu fördern. Sie waren alle
nicht besonders erfolgreich, weil der Gehalt an organischem Kohlenstoff nicht
ausreichte. Immerhin wurde oberhalb von Besano schon 1856 ein 42 m langer
Stollen in den Berg vorgetrieben. Die Entdeckung der «Ölschiefer» auf schweizerischem Gebiet wurde 1856 von ANTONIO DE MARTINI aus Astano gemeldet,
der 1861 von der Tessiner Regierung die Erlaubnis zum bergmännischen Abbau
auf Gebiet der Gemeinden Meride und Brusino erhielt. Dies war der Beginn einer
dreissigjährigen Bergwerksgeschichte, die gekennzeichnet war durch Erteilung
von Konzessionen, Erneuerung von Lizenzen und Streit, aber durch wenig konkrete Resultate.
Einen entscheidenden Impuls für die Ausbeutung von «Ölschiefer» am Monte
San Giorgio gab der kommerzielle Erfolg des Ichthyols aus Seefeld in Tirol, das
aus einem ähnlichen «Ölschiefer» der Obertrias gewonnen wurde und als Medikament zur Behandlung von Hautkrankheiten diente. Pionier am Monte San
Giorgio war GIUSEPPE RATTI, der Anfang 20. Jh. oberhalb von Besano ein
Bergwerk betrieb. Es gelang ihm, von der Tessiner Regierung auch die Lizenz für
den Abbau von «Ölschiefer» auf schweizerischem Gebiet zu erhalten, die dann
1906 dem Chemiker PIERO NERI SIZZO DE NORIS übertragen wurde. Neri
Sizzo nahm nach einer sachlichen Bestandesaufnahme und Sondierungen im
Mai 1907 den Abbau in einem alten Stollen oberhalb Tre Fontane bei Serpiano
wieder auf. 1910 eröffnete die neu konstituierte Società Anonima Miniere Scisti
Bituminosi di Meride e Besano eine Ölfabrik in Spinirolo bei Meride. Hier wurde
32
Der Monte San Giorgio im Südtessin –
vom Berg der Saurier zur Fossil-Lagerstätte internationaler Bedeutung
das Öl durch trockene Destillation gewonnnen und zu Saurol raffiniert, einem
Ichthyol-ähnlichen Produkt für die pharmazeutische Industrie von Mailand und
Basel (Abb. 22, 23). Im Jahre 1916 waren in Tre Fontane fünf Stollen mit einer
Gesamtlänge von 900 m in Betrieb, die etwa 2100 t verwertbares Material geliefert hatten. Um 1940 waren etwa 1770 m Stollen ausgebaut (RICKENBACH, 1947).
Zwischen 1917 und 1927 wurde auch das Vorkommen in der Val Porina ausgebeutet. 1922 nahm das Bergwerk in Selva Bella oberhalb Besano seinen Betrieb
wieder auf, und wenig später begann die Ölfabrik Novella mit der Verarbeitung
des Rohmaterials, das früher im Betrieb von Spinirolo raffiniert worden war.
Die «Ölschiefer» stammen aus der Grenzbitumenzone oder Formazione di Besano, einer etwa 16 m dicken Abfolge von Dolomit und bituminösem Tonstein der
Mitteltrias. In ihrem oberen Drittel liegt die Grenze zwischen den geologischen
Zeitstufen Anisian und Ladinian. Graue Dolomitbänke von 20 bis 30 cm Dicke
wechseln mit schwarzen bituminösen Tonsteinen und seltenen dünnen Lagen
von gelben vulkanischen Tuffen ab. Die für den Abbau geeigneten bituminösen
Tonsteine treten nur im mittleren Teil der Grenzbitumenzone auf. Die chemische
Zusammensetzung wurde mit verschiedensten Methoden untersucht (HRADIL
und ALMASY, 1938; BERNASCONI und R IVA, 1993; RÖHL et al., 2001). Der Gehalt
an organischem Kohlenstoff (TOC) liegt zwischen 20 und 44%. Nach RICKEN-
Abb. 22. Die alte Ölfabrik Spinirolo bei Meride um 1940 (Foto Archiv Sommaruga).
Fig. 22.
The old oil refinery Spinirolo near Meride in 1940 (photograph archive Sommaruga).
Der Monte San Giorgio im Südtessin –
vom Berg der Saurier zur Fossil-Lagerstätte internationaler Bedeutung
33
Abb. 23. Das pharmazeutische Produkt «Saurolo» wurde noch 1947 mit dem wissenschaftlich
unzutreffenden Bild eines gestrandeten und von Nagetieren angefressenen Fischsauriers
angepriesen (Archiv PIMUZ).
Fig. 23.
The pharmaceutical product «Saurolo» was advertised under the label (which is incorrect from a scientific point of view) of a stranded ichthyosaur carcass and eaten by
rodents (archive PIMUZ).
(1947) lag der Ertrag aus dem Rohmaterial von Tre Fontane, das durch die
Società Anonima Scisti Bituminosi di Meride e Besano in der Ölfabrik Spinirolo
verarbeitet wurde, bei 74–85 l Rohöl pro Tonne «Ölschiefer», was etwa 8% Ausbeute entspricht. Durch trockene Destillation bei niedriger Temperatur entstanden aber nicht nur diese 8% Rohöl mit einem Schwefelgehalt von 7%, sondern
auch 8–9% Gas (d. h. 160–180 m3 pro Tonne Rohmaterial) und 2–3% Ammoniak. Die mittlere Jahresproduktion von «Ölschiefer» bewegte sich zwischen 300
und 400 t, woraus 22–30 t Rohöl gewonnen wurden. 1941 verfasste das Büro für
Bergbau des Eidgenössischen Kriegs-, Industrie- und Arbeits-Amtes eine Studie
zur Produktion von Treibstoff oder Heizöl. Es zeigte sich, dass diese selbst in der
damaligen Krisenzeit unwirtschaftlich gewesen wäre. Trotzdem wurde von der
privaten Gesellschaft Inol S.A. am Ostabhang des Monte San Giorgio südlich
von Riva San Vitale eine grosse oberflächliche Schürfung ausgeführt, die wegen
des Nachrutschens des Gehänge- und Moränenschutts bald wieder aufgegeben
werden musste. Wegen Ausfuhrschwierigkeiten nahm die Produktion während
des Zweiten Weltkriegs ab, gefolgt von einem kleinen Aufschwung, der aber nur
wenige Jahre dauerte. Damals waren 30 Personen (Mineure und weitere Angestellte) in der Bergwerksgesellschaft beschäftigt. Um 1950 wurde der Abbau
BACH
34
Der Monte San Giorgio im Südtessin –
vom Berg der Saurier zur Fossil-Lagerstätte internationaler Bedeutung
eingestellt. Von da an wurden nur noch Lagerbestände verkauft. Der ehemalige
Direktor Neri Sizzo starb 1951, und wenige Jahre später wurde die Bergwerksgesellschaft aufgelöst. Die letzten Lieferungen von Saurol an englische, belgische
und schweizerische pharmazeutische Firmen sind 1954 durch Dokumente des
Archivs Sommaruga belegt (FELBER et al., 2000).
3.3
Erzbergbau
Neben den «Ölschiefer»-Bergwerken finden sich am Monte San Giorgio zahlreiche Spuren früheren Bergbaus. In meist kleinräumigen Tagebauen und Bergwerken wurden hauptsächlich in der ersten Hälfte des 20. Jh. lokale Anreicherungen
von Bleiglanz, Barit und Fluorit abgebaut und weiter verarbeitet. Diese Mineralien treten am Monte San Giorgio meist in Gängen oder Adern auf, sei es in den
vulkanischen Serien des Perm oder in direkt darüber liegenden Sedimenten der
Trias (NERI et al., 1996; OPPIZZI et al., 1999; FELBER et al., 2000).
4
GEOLOGISCHE GESCHICHTE DES MONTE SAN GIORGIO
4.1
Der Monte San Giorgio ist Teil der Südalpen
Der Monte San Giorgio ist geologisch gesehen Teil der tektonischen Einheit der
Südalpen (SPICHER, 1980; TRÜMPY, 1980) (Abb. 24). Die ältesten Gesteine finden
sich am Ufer des Luganersees zwischen dem Zoll von Brusino Arsizio und Porto
Ceresio, wo sie den obersten Teil einer mächtigen Serie von Gneissen (von präpermischem Alter, d. h. älter als 300 Mio. Jahre) bilden. Dieses Insubrische Kristallin ist nördlich des Luganersees bei Melide und Morcote sowie im Malcantone
und am Monte Ceneri weit verbreitet.
Das kristalline Grundgebirge wird von einigen hundert Metern dicken, etwa
280 Millionen Jahre alten vulkanischen Gesteinen des frühen Perm überlagert.
Am Nordfuss des Monte San Giorgio zwischen Porto Ceresio und Riva San Vitale sind es Lavaergüsse in Form von Andesiten (früher als «Porphyrite» bezeichnet), die von Rhyolithen und Ignimbriten («Quarzporphyre und verschweisste
Quarzporphyr-Tuffe») durchschlagen und überlagert werden.
4.2
Die Ablagerungen der Trias entstanden im Flachmeer
Die ersten Ablagerungsgesteine über den permischen Vulkaniten entstanden zu
Beginn der mittleren Trias (Anisian, vor etwa 245 Mio. Jahren; Abb. 25), was auf
eine grosse Schichtlücke durch intensive Erosion im späten Perm und der frühen
Trias hinweist. Es handelt sich um bunte Konglomerate, Sandsteine und Tonsteine
der Bellano-Formation (früher auch als Servino bezeichnet), die auf Schwemmebenen am Rande eines flachen Meeres entstanden sind. Das Gebiet des Monte
San Giorgio lag damals etwa 20 Grad nördlich des Äquators am Westrand des
grossen weltumspannenden Ozeans, der Tethys, und war von einem subtropischen
Monsunklima beeinflusst (PARRISH et al., 1982; DERCOURT et al., 2000). Durch
Der Monte San Giorgio im Südtessin –
vom Berg der Saurier zur Fossil-Lagerstätte internationaler Bedeutung
Abb. 24. Geologische Karte des Südtessins (PIMUZ, 1994).
Fig. 24.
Geological map of southern Ticino (PIMUZ, 1994).
35
36
Der Monte San Giorgio im Südtessin –
vom Berg der Saurier zur Fossil-Lagerstätte internationaler Bedeutung
Abb. 25. Geologische Schichtreihe am Monte San Giorgio (nach FURRER, 1995).
Fig. 25.
Stratigraphic column from Monte San Giorgio (after FURRER, 1995).
Der Monte San Giorgio im Südtessin –
vom Berg der Saurier zur Fossil-Lagerstätte internationaler Bedeutung
37
stärkere Absenkung bildeten sich in der Mitteltrias kleinere Meeresbecken, die
durch Schwellen voneinander getrennt waren (JADOUL und ROSSI, 1982). Im
Flachwasser bildeten sich Karbonatgesteine, wie sie z. B. im Gebiet von Lugano
durch eine dicke dolomitische Serie des Anisian–Ladinian (Salvatore-Dolomit,
etwa 230 – 245 Mio. Jahre) belegt sind. Gleichzeitig entstand im Gebiet des
heutigen Monte San Giorgio ein Becken, das während längeren Zeitabschnitten
weitgehend oder ganz vom offenen Ozean abgeschlossen war. Im meist ruhigen
Wasser dieses Beckens wurden die Gesteine des Albiga-Dolomits, der Grenzbitumenzone (auch Besano-Formation genannt), des San-Giorgio-Dolomits und
des Meride-Kalks abgelagert. In diesem Milieu herrschten wiederholt spezielle
Bedingungen für die optimale Erhaltung von Überresten der reichen Fauna und
Flora, die im Meer wie auch auf benachbarten Inseln und dem entfernten Festland
lebten. Mit radiometrischen Methoden konnte an Zirkon-Kristallen das Alter einer vulkanischen Aschenlage in der oberen Grenzbitumenzone auf etwa 241 Mio.
Jahre bestimmt werden (MUNDIL et al., 1996).
Zu Beginn der späten Trias (Carnian, vor etwa 230 Mio. Jahren) entstanden
durch eine Meeresspiegelabsenkung extrem seichte Meeresgebiete und grosse
flache Festlandbereiche. Durch Ansammlung feinsten Schlammes entstanden
in austrocknenden Becken, einer Art Salzpfannen oder «Sebkhas», die bunten
Pizzella-Mergel, in denen Linsen von Gips eingelagert sind. Südlich von Meride wurden solche Gipslinsen früher sogar zur Produktion von Dünger und als
Zuschlagsmaterial bei der Mörtelherstellung abgebaut. Mit dem Hauptdolomit
(Norian, vor etwa 225 Mio. Jahren) bildete sich erneut ein weiträumiger Flachwasserbereich mit Lagunen. Die Karbonatabfolge der Trias endet mit der Tremona-Formation des Rhaetian, bestehend aus fossilreichen Kalken, die teilweise
dolomitisiert sind.
4.3
Im Jura öffnete sich der Ozean
Zu Beginn des Jura (Hettangian, vor 205 Mio. Jahren) führte eine intensive Dehnungstektonik durch die Öffnung des Tethys-Ozeans zum Zerbrechen der vorher
entstandenen Karbonatgesteine. Das Gebiet des Monte San Giorgio und von
Arzo bildete im frühen Lias eine untermeerische Schwelle (Arbostora-Schwelle),
die im Osten (Monte Generoso) und Westen (Monte Nudo) von tieferen Becken
begrenzt war. Am Rande dieser Schwelle lagen komplizierte Bruchzonen mit
breiten und tiefen Spalten. Diese Spalten wurden mehrmals mit Gesteinsbruchstücken, Organismenresten und Schlamm gefüllt und nach der Verfestigung
erneut aufgerissen. Die dabei entstandenen vielfarbigen Brekzien sind heute als
Macchia Vecchia bekannt, während die bunten fossilreichen Kalke als Broccatello bezeichnet werden (WIEDENMAYER, 1963; Abb. 25). Seit dem Mittelalter in
kleineren und grösseren Steinbrüchen bei Arzo zu Bauzwecken abgebaut, fanden
die verschiedenen Typen des «Marmo d’Arzo», der petrographisch gesehen kein
Marmor ist, in ganz Europa Verbreitung und schmücken dank ihren schönen Farben speziell Barockkirchen.
Zur gleichen Zeit, in der sich im Bereich der Schwelle wenige Meter dicke
bunte Ablagerungen von Broccatello bildeten, die nur in den Spaltenfüllungen
38
Der Monte San Giorgio im Südtessin –
vom Berg der Saurier zur Fossil-Lagerstätte internationaler Bedeutung
bis 100 m Mächtigkeit erreichten, lagerte sich im schnell absinkenden Becken des
Monte Generoso eine über 3000 m dicke Serie von kieselreichen Kalken (Moltrasio-Kalk) ab (BERNOULLI, 1964); im Monte-Nudo-Becken waren es etwa 1500 m
(Saltrio-Kalk; K ÄLIN und TRÜMPY, 1977). Dies demonstriert eindrücklich die unterschiedliche Absenkung der Becken gegenüber den Schwellen im frühen Lias.
Im mittleren und späten Lias (Pliensbachian – Toarcian, vor etwa 185 – 170 Mio.
Jahren) versank auch die Arbostora-Schwelle im tieferen Ozean. Im Gebiet von
Arzo und Besazio bildeten sich zuerst der fossilreiche Besazio-Kalk mit Seelilien
(Crinoiden) und Ammoniten, später die roten knolligen Kalke und Mergel des
Rosso Ammonitico Lombardo. Im Bereich von Clivio und Saltrio lagerten sich die
grauen Saltrio-Kalke ab, die teilweise reich an Crinoiden sind.
Im Gebiet des Monte San Giorgio sind jüngere Schichten nur im Raum Besazio – Ligornetto – Clivio erhalten geblieben. Dort finden sich Ablagerungen des
mittleren und späten Jura (Dogger und Malm, vor 160 – 140 Mio. Jahren) in Form
von Radiolariten, Mergeln und Kalken, die zur Radiolarit-Gruppe gehören (früher auch als Selcifero Lombardo bezeichnet). Diese Gesteine entstanden in 1000
– 2000 m Wassertiefe. Dagegen ist in der Gole della Breggia an der Südflanke
des Monte Generoso ein vollständiges geologisches Profil vom Jura (Sinemurian)
bis in die Kreide (Campanian) prachtvoll aufgeschlossen (STOCKAR, 2003). Die
Schichtreihe wird dort abgeschlossen von Gesteinen des Jungtertiärs (Miozän
– Pliozän).
4.4
Die alpine Gebirgsbildung begann vor 90 Millionen Jahren
Heute fallen die Schichten am Monte San Giorgio mit etwa 30 Grad gegen Süden
ein und tauchen unter die Po-Ebene ab. Vergleichbare Schichten finden sich dort,
durch die Bohrungen von Gaggiano, Trecate und Villafortuna der italienischen
Erdölgesellschaft Agip nachgewiesen, in gut 4500 m Tiefe wieder. Dies veranschaulicht die erdgeschichtlichen Prozesse, die als Überschiebung, Verstellung,
Kippung, Hebung und Senkung bei der alpinen Gebirgsbildung in der späten
Kreide und im Tertiär stattgefunden haben.
5
DIE GESTEINE UND FOSSILIEN DER MITTELTRIAS AM
MONTE SAN GIORGIO
5.1
Fünf Fundschichten mit Wirbeltierfossilien
Seine Bedeutung als Fossil-Lagerstätte internationalen Ranges verdankt der Monte San Giorgio der speziellen Ausbildung in der Mitteltrias (Anisian–Ladinian;
Abb. 25). Während sich im Gebiet von Lugano die dicken Flachwasserkarbonate des Salvatore-Dolomits bildeten, entstand gleichzeitig am Ort des heutigen
Monte San Giorgio ein vom offenen Ozean weitgehend abgeschlossenes Becken, in dessen ruhigem Bodenwasser die Gesteine des Albiga-Dolomits, der
Grenzbitumenzone/Besano-Formation, des San-Giorgio-Dolomits und des Me-
Der Monte San Giorgio im Südtessin –
vom Berg der Saurier zur Fossil-Lagerstätte internationaler Bedeutung
39
ride-Kalks abgelagert wurden. In diesem Milieu herrschten wiederholt spezielle
Bedingungen für die Fossilisation von Überresten der reichen Fauna und Flora,
die im Meer wie auch auf benachbarten Inseln und dem entfernten Festland lebten. Weltweit einmalig ist die Situation mit einer Abfolge von fünf übereinander
liegenden Fundschichten mit ausgezeichnet erhaltenen Skeletten von Reptilien
und Fischen.
Die Sedimentreihe am Monte San Giorgio beginnt mit den detritischen Gesteinen der Bellano-Formation, die mit scharfer Grenze stark verwitterte Rhyolithe
überlagern. Die Konglomerate, Sand- und Tonsteine wurden früher als Servino
bezeichnet und in die Untertrias gestellt, setzen nach neueren palynologischen
Datierungen aber erst im Anisian ein (SOMMARUGA et al., 1997). Da die frühe
Trias nicht belegt ist, liegen die detritischen Gesteine offensichtlich mit einer
bedeutenden Schichtlücke, d. h. einer Zeitlücke von etwa 35 Mio. Jahren, den
Vulkaniten des Perm auf. Die Sandsteine der Bellano-Formation zeigen häufig
Schrägschichtung und Strömungsrippeln, seltener Trockenrisse und Abdrücke
von Steinsalzkristallen. Neben kohligen Pflanzenresten kommen Linsen mit Muscheln und Schnecken vor (FRAUENFELDER, 1916). Die Bellano-Formation dürfte
im Küstenbereich eines seichten Meeres mit strömungsdominierten Deltas und
Sandbarren sowie ruhigeren Lagunen und teilweise austrocknenden Tümpeln
entstanden sein.
Gegen oben gehen die Sand- und Tonsteine in Dezimeter-gebankte Dolomite des Albiga-Dolomits über. Darin finden sich neben vereinzelten Schnecken
hauptsächlich Kalkalgen, die ursprünglich im Kalksand seichter Lagunen gewurzelt haben. Die Fossilien sind meist als Hohlformen im Dolomit erhalten. Die
ursprünglich kalkigen Bestandteile der Organismen wurden bei der Diagenese,
und zwar nach einer ersten Verfestigung und Umwandlung des Schlammes zu
Stein, weitgehend aufgelöst. Dabei ist vermutlich der zementierte Kalkschlamm
durch Zufuhr von Magnesium in Dolomit umgewandelt worden (CaCO3 zu CaMg
(CO3)2. Die Fossilien des Albiga-Dolomits erlauben keine Alterszuordnung.
5.2
Die Grenzbitumenzone ist die reichste Fundschicht
Über dem Albiga-Dolomit folgt die 16 m dicke Wechsellagerung von bituminösen Dolomitbänken und dünneren Lagen schwarzer bituminöser Tonsteine
(«Tonschiefer») der Grenzbitumenzone (oder Besano-Formation, wie sie von
italienischen Autoren bezeichnet wird; Abb. 25). Im Standardprofil von R IEBER
(1973a) wird ein unterer Teil (Bank 3 – 53) mit hauptsächlich feingeschichteten
Dolomiten, ein mittlerer Teil (Bank 54 – 132) mit den dicksten bituminösen Tonsteinen und ein oberer Teil (Bank 133 – 186) mit wiederum dominierenden feingeschichteten Dolomiten ausgeschieden. Die bituminösen Tonsteine enthalten bis
44% organischen Kohlenstoff (TOC) und bis über 10% Schwefel (BERNASCONI
und R IVA, 1993; BERNASCONI, 1994; RÖHL et al., 2001). Zur Ölgewinnung wurde
nur ein Schichtpaket von etwa 3,90 m Dicke in der mittleren Grenzbitumenzone
abgebaut. Daraus sind auch am meisten Wirbeltier-Fossilien bekannt geworden.
Am bekanntesten sind die Saurier, von denen bisher zwölf im Meer lebende und
40
Der Monte San Giorgio im Südtessin –
vom Berg der Saurier zur Fossil-Lagerstätte internationaler Bedeutung
zwei landbewohnende Arten beschrieben wurden (Abb. 26). Dazu kommen 40
verschiedene Fischarten, darunter Knorpel- und Knochenfische (Abb. 27).
In den Tonsteinen sind die Wirbeltierfossilien auffallend gut und oft als vollständige Skelette erhalten geblieben, aber immer flachgedrückt. In den Dolomiten
sind sie weniger deformiert. Die ausgezeichnete Erhaltung zusammenhängender
Skelette, die meist ungestörte Feinschichtung der Gesteine und das Fehlen
von autochthonem Benthos, d. h. bodenbewohnender Organismen, zeigt, dass
die auf den Grund gesunkenen toten Tiere und Pflanzen im lebensfeindlichen
Bodenwasser eines kleineren, vom offenen Meer abgetrennten Beckens oder
einer grossen Lagune von feinem Schlamm zugedeckt wurden. In einem nicht
lebensfeindlichen Milieu wären die Kadaver von aasfressenden Fischen, Krebsen
oder Schnecken rasch bis auf die Knochen abgenagt und zerteilt worden. Bei der
späteren Kompaktion des ursprünglich sehr wasserreichen Faulschlamms sind
die eingebetteten Skelette plattgedrückt und die Knochen teilweise zerbrochen
worden. Vereinzelte Muschellagen, Ablagerungen von Trübeströmen (Turbidite)
und sedimentäre Gleitfalten (Slumps) weisen auf kurzfristig auftretende Bodenströmungen und Rutschungen hin. Vulkanische Aschenlagen (Bentonite) dokumentieren wiederholte, allerdings weit entfernte Vulkanausbrüche.
Nur in den Dolomiten kommen neben häufigeren Mollusken wie Ammonoideen, Phragmoteuthiden, Nautiliden, Schnecken und Muscheln auch Kalkalgen
und Landpflanzen vor (R IEBER, 1965, 1973a). Zu den Raritäten gehören ein
einziger Krebs (ETTER, 1994) und die mikroskopisch kleinen Conodonten (RIEBER, 1980). Conodonten sind zahnartige Gebilde aus Calciumphosphat, die nach
heutiger Ansicht von sehr ursprünglichen Wirbeltieren oder deren unmittelbaren
Vorläufern stammen. Die Ende Trias ausgestorbenen Conodontentiere glichen
entfernt den heutigen Neunaugen und Schleimaalen.
Spurenfossilien sind auf wenige Horizonte beschränkt, was darauf hinweist,
dass nur sporadisch Bodenleben möglich war. So muss man auch annehmen,
dass die manchmal gesteinsbildend auftretenden dünnschaligen Muscheln der
Gattung Daonella kaum am Einbettungsort gelebt haben. RIEBER (1968, 1973b)
postulierte für die in der Grenzbitumenzone vorkommenden Daonellen eine
pseudoplanktonische Lebensweise mit einer Anheftung an Treibholz und driftenden Algen. SCHATZ (2000) verwarf diese Hypothese wieder und plädierte auf
Grund des Studiums anderer Daonellen für eine bodenbezogene Lebensweise
dieser dünnschaligen Muscheln aus der Familie der Halobiidae. Das scheint kaum
wahrscheinlich am Grund eines lebensfeindlichen Beckens. So ist es wahrscheinlicher, dass die Muscheln in grosser Zahl den besser durchlüfteten Randbereich
des Beckens besiedelt haben und durch Strömungen in den zentralen Beckenbereich gespült wurden (SCHATZ, 2000; RÖHL et al., 2001).
Dank zahlreichen Leitfossilien wie Ammonoideen und dünnschaligen Muscheln der Gattung Daonella konnte gezeigt werden, dass die Grenze zwischen
den beiden Mitteltrias-Stufen Anisian und Ladinian am besten im oberen Teil der
Grenzbitumenzone gezogen werden kann (R IEBER, 1973a; BRACK und R IEBER,
1993; BRACK et al., 1999). Hochauflösende Einzelkorn-Datierungen an Zirkonen
aus einer vulkanischen Aschenlage (Bentonit) unterhalb dieser Grenze ergaben
Der Monte San Giorgio im Südtessin –
vom Berg der Saurier zur Fossil-Lagerstätte internationaler Bedeutung
41
Abb. 26. Systematische Stellung der wichtigsten Reptilien aus der Mitteltrias des Monte San
Giorgio (PIMUZ).
Fig. 26. Systematic position of the most important reptiles from the Middle Triassic of Monte San
Giorgio (PIMUZ).
42
Der Monte San Giorgio im Südtessin –
vom Berg der Saurier zur Fossil-Lagerstätte internationaler Bedeutung
Abb. 27. Systematische Stellung der wichtigsten Fische aus der Mitteltrias des Monte San Giorgio (PIMUZ).
Fig. 27.
Systematic position of the most important fishes from the Middle Triassic of Monte San
Giorgio (PIMUZ).
Der Monte San Giorgio im Südtessin –
vom Berg der Saurier zur Fossil-Lagerstätte internationaler Bedeutung
43
ein radiometrisches U-Pb-Alter von etwa 241 Millionen Jahren (MUNDIL et al.,
1996). Sie verbesserten frühere Datierungen, die an Feldspäten durchgeführt
wurden (HELLMANN und LIPPOLT, 1981).
5.3
Drei Fundschichten im unteren Meride-Kalk
Gegen oben werden die fein geschichteten Dolomite der Grenzbitumenzone
allmählich durch dickbankige Dolomite abgelöst (Abb. 25). Dieser untere Teil
der San-Giorgio-Formation ist fossilleer. Aus knolligen Kalken der oberen SanGiorgio-Formation (früher zum unteren Meride-Kalk gezählt) in der Val Serrata
stammen einige wenige Muscheln (Daonella aff. moussoni) und Ammonoideen
(WIRZ, 1945). Nach einer Neubestimmung von Hans Rieber (in SCHATZ, 2001)
handelt es sich bei den Ammonoideen um Protrachyceras cf. ladinum und Arpadites arpadis, die in das frühere Ladinian gehören.
Darüber folgt der etwa 400 m dicke Meride-Kalk, der durch ein Dolomitband
in einen unteren und oberen Teil gegliedert wird. In den drei Fossilhorizonten
des unteren Meride-Kalks sind neben fünf Saurierarten noch 21 Fischarten,
viele Kalkalgen, aber nur wenige Ammonoideen, Muscheln, Schnecken, Krebse, Mikrofossilien und Landpflanzenreste gefunden worden. Die Untergrenze
des Meride-Kalks wird mit einer 4 m dicken Ablagerung aus gelb anwitternden
Tuffitbänken und Bentonitlagen gezogen. Diese vulkanische Aschenlage stellt
einen ausgezeichneten Leithorizont dar, der im ganzen Gebiet des Monte San
Giorgio verfolgt werden kann (Serrata-Tuffit). Es folgen die nur 1,50 m dicken
fossilreichen Cava-inferiore-Schichten, die wiederum von vulkanischen Ablagerungen von 3 m Dicke überlagert werden. Im unteren Teil treten fein geschichtete
schwarze Tonsteine auf, die gegen oben durch Dolomitbänke und eine Wechsellagerung von Mergeln und dunkelgrauen fein geschichteten Kalken überdeckt
werden. Während sich an der Basis gut erhaltene kleinere Fische finden (BÜRGIN,
in Vorb.), sind im mittleren und oberen Teil auffallend viele vollständige Skelette
des Pachypleurosauriers Neusticosaurus pusillus erhalten (PEYER, 1932; WIRZ,
1945; SANDER, 1989b; FURRER, 1999). Der zufällige Fund eines unvollständigen
Skeletts von Tanystropheus aus den Cava-inferiore-Schichten der Val Serrata ist
von grossem Interesse, da er aus der zeitlichen Lücke zwischen dem Auftreten
von Tanystropheus longobardicus aus der Grenzbitumenzone und T. meridensis
aus den Cassina-Schichten stammt (WILD, in Vorb.). Die im oberen Teil häufigen
Büschel langer Kalkalgen (Diplopora sp.) wurzelten sicher nicht im ursprünglich feinkörnigen Ton- und Kalkschlamm der feingeschichteten Kalke, sondern
müssen zusammen mit den in einzelnen Lagen häufig beobachteten Ostracoden
– mikroskopisch kleinen Muschelkrebschen mit einer doppelklappigen Kalkschale von etwa 0,5 mm Länge – aus einem benachbarten Seichtwasserbereich
stammen. Viele der Zentimeter- bis Dezimeter-dicken Kalkbänke zeigen eine
Korngrössenabnahme von unten nach oben. Solche als Turbidite bezeichnete Ablagerungen submariner Trübeströme zeugen von periodischen Strömungsereignissen, die wohl auf Rutschungen im steileren Randbereich des Meeresbeckens
zurückzuführen sind. Entsprechende Unterwasserrutschungen können nach
heutigen Beobachtungen durch Erdbeben oder Stürme ausgelöst werden. Dazu
44
Der Monte San Giorgio im Südtessin –
vom Berg der Saurier zur Fossil-Lagerstätte internationaler Bedeutung
passen kleinräumige Gleitfalten innerhalb sonst ungestörter Abfolgen, die von
den Geologen als Slumps bezeichnet werden. Sie können schon bei nur geringer
Kippung des Reliefs um wenige Grad ausgelöst werden.
Über den markanten Cava-inferiore-Schichten mit den beiden vulkanischen
Tuffiten folgt eine relativ monotone Abfolge von typischem Meride-Kalk. Es sind
meist feinkörnige graue Kalkbänke von 10 – 20 cm Dicke, die von dünnen, tonigen Lagen getrennt werden. Seltener sind Einschaltungen von feingeschichteten
Kalken oder dickbankigen Kalken und Dolomiten. Vereinzelt sind die Kalkbänke
konglomeratisch ausgebildet, mit Zentimeter-grossen Kalk-, Dolomit- und Tongeröllen an der Basis. Auch die feinkörnigen Kalke zeigen oft eine Korngrössenabnahme von unten nach oben. Beides deutet auf Ablagerungen submariner
Rutschungen und Trübeströme hin. Auch in den überwiegend karbonatischen
Beckenablagerungen dieses typischen Meride-Kalks fallen einzelne dünne Lagen
von vulkanischen Tuffiten und Bentoniten auf, die einen weiterhin andauernden
Vulkanismus belegen.
Knapp 15 m über der Basis des Serrata-Tuffits ist eine auffallend regelmässige Abfolge feingeschichteter Kalke ausgebildet. Aus diesen etwa 10 m dicken
Cava-superiore-Schichten (Abb. 25) konnte Bernhard Peyer im Herbst 1928 an
der Lokalität Acqua del Ghiffo drei Exemplare des grösseren Lariosauriden Ceresiosaurus calcagnii und eine grosse Zahl kleiner Pachypleurosaurier gewinnen
(PEYER, 1932). Die von PEYER (1932) und ZANGERL (1935) zur seinerzeit weit gefassten Art Pachypleurosaurus edwardsii gestellten kleinen Saurier wurden von
SANDER (1989b) als neue Art Neusticosaurus peyeri beschrieben. Darunter fand
sich ein nur 5 cm langes Skelett, das als Embryo gedeutet wird (SANDER, 1989a).
Leider existiert keine Dokumentation der damaligen Grabung. Neben den vielen
Pachypleurosauriern wurde anscheinend nur ein Fossil eines wirbellosen Tieres,
ein Seeigel mit anhaftenden Stacheln gefunden, der von JEANNET (1939) als neue
Art Miocidaris hescheleri (heute Serpianotiaris hescheleri genannt) publiziert
wurde.
Eine detaillierte Neubearbeitung des Profils in den Jahren 1997 – 2003 zeigte,
dass einzelne gut erhaltene Skelette, aber auch Einzelknochen und vor allem Koprolithe, d. h. versteinerter Kot mit unverdauten Knochen des kleinen Meeressauriers Neusticosaurus peyeri über die ganzen 10 m verteilt auftreten. Als weiteres
Ergebnis zeigte sich, dass der grösste Teil der Neusticosaurus-Skelette auf dem
Boden in Rückenlage eingebettet wurde. Offensichtlich stammen die gut erhaltenen Skelette von Tieren, die im etwas tieferen und kühleren Wasser gestorben
und wegen des höheren Wasserdrucks nicht mehr an die Oberfläche gelangt sind
(Abb. 28). Beim langsamen Absinken im ruhigen Wasser drehten sich die Kadaver mit ihren allmählich von Verwesungsgasen aufgeblähten Bauchhöhlen nach
oben und kamen wegen der schwereren Wirbelsäule in der stabilen Rückenlage
am Boden zu liegen. Die meist eingerollten oder sogar geknickten Schwanzspitzen zeigen, dass die toten Tiere üblicherweise mit dem Schwanz voraus auf den
Schlamm auftrafen.
Nur in einem etwa 8 cm dicken, leicht dunkleren Schichtstoss sind diese Fossilien angereichert: Auf einer Fläche von 7 m2 fanden sich sechzehn mehr oder
Der Monte San Giorgio im Südtessin –
vom Berg der Saurier zur Fossil-Lagerstätte internationaler Bedeutung
45
Abb. 28. Mögliche Erhaltungszustände des kleinen Meeressauriers Neusticosaurus: links als
unverdaute Knochen im Kot (Koprolith) eines grossen Raubtiers (Ceresiosaurus); in
der Mitte als komplettes Skelett bei raschem Absinken im ruhigen Wasser und rechts als
isolierte Knochen beim allmählichen Zerfall eines driftenden Kadavers (Zeichnung B.
Scheffold/H. Furrer).
Fig. 28. Various modes of conservation of the small aquatic reptile Neusticosaurus: undigested
bones in the faeces (coprolite) of a large predator (Ceresiosaurus; left); a complete
skeleton which sank quickly to the ground in quiet water (middle) and isolated bones
which dropped down from a decomposing, drifting carcass (right; drawing B. Scheffold/
H. Furrer).
weniger vollständige Skelette. Weitere erstmalige Funde sind einige ausgezeichnet erhaltene Fische, darunter ein Saurichthys mit Embryonen in der Bauchhöhle
(Abb. 20) und ein Legnonotus mit Ostracoden als Mageninhalt (FURRER, 1999).
Vereinzelt treten Kalkalgen, Ostracoden und Foraminiferen, d. h. 0,1– 0,5 mm
grosse Kalkschalen von Einzellern auf, selten Schnecken und Muscheln. Landpflanzenreste wie Holz, Zweige der Konifere Voltzia und ein Schachtelhalm
Equisetites belegen ein nahe gelegenes Festland oder Inseln. Das erklärt auch das
Vorkommen von erstmalig gefundenen Insekten, die wohl wie die Landpflanzen
bei Stürmen ins Meer verfrachtet wurden. Die seltenen Funde von Ammonoideen
(Arpadites cf. arpadis) erlauben eine Einstufung ins frühere Ladinian.
46
Der Monte San Giorgio im Südtessin –
vom Berg der Saurier zur Fossil-Lagerstätte internationaler Bedeutung
Noch etwa 30 m höher im Schichtprofil des unteren Meride-Kalks entdeckte
1933 der aus Meride stammende Präparator FRITZ BUCHSER bei der Kapelle
Cassina oberhalb von Meride einen dritten wirbeltierreichen Horizont, die Cassina-Schichten (Abb. 25). Unter der Leitung von Bernhard Peyer konnten 1933
und 1937 aus der nur 3 m dicken Abfolge von Mergeln und Kalken zahlreiche
Vertreter des Pachypleurosauriers Neusticosaurus edwardsii, drei vollständige
Skelette von Ceresiosaurus lanzi (HÄNNI, 2002), das bisher jüngste Exemplar
von Macrocnemus bassanii (PEYER, 1937) sowie viele Knochenfische geborgen
werden. Bei der späteren Grabung von 1971 – 1975 wurden Schichtprofil und
Fossilverteilung detailliert dokumentiert. Neben vielen weiteren Reptil- und
Fischfunden war ein Exemplar eines neuen Giraffenhalssauriers Tanystropheus
meridensis von grösstem Interesse (WILD, 1980).
Direkt über den Cassina-Schichten folgt das 10 – 30 m dicke Dolomitband
(FRAUENFELDER, 1916), eine morphologisch hervortretende Rippe aus gelb-braun
anwitternden zuckerkörnigen Dolomiten. Das ist die Grenze zum eintönigen oberen Meride-Kalk, dessen fossilarme Wechsellagerung von Kalken und Mergeln
noch kaum untersucht ist.
5.4
Viele kleine Fische und ein Saurier aus der Kalkschieferzone
Zur obersten Meride-Formation wird die 120 m dicke Abfolge der Kalkschieferzone gezählt (WIRZ, 1945; Abb. 25). Durch Einzelfunde und kleinere systematische Grabungen auf schweizerischer Seite in der Schlucht des Gaggiolo bei
Meride (WIRZ, 1945; KUHN-SCHNYDER, 1987; BÜRGIN, 1995; FURRER, 1995;
TINTORI et al., 1998) und bei Ca’ del Frate auf der italienischen Seite (TINTORI,
1990b; TINTORI und R ENESTO, 1990; R ENESTO, 1993; LOMBARDO, 1997, 1999,
2001, 2002) sind vier Saurierskelette (Lariosaurus valceresii), unzählige kleine Knochenfische (vor allem Prohalecites porroi), viele Krebse der Gattung
Schimperella und Reste von Landpflanzen (Voltzia sp.) gefunden worden. Allein
die Bearbeitung der vielen Knochenfische erbrachte viele neue Arten (TINTORI,
1990a–d; BÜRGIN, 1995; LOMBARDO, 1997, 1999, 2001, 2002). Sensationell war
der erste Nachweis fossiler Insekten (Tintorina triassica und Notocubes sp.) vom
Monte San Giorgio während der Grabung Vecchi Mulini 1998 bei Meride (K RZEMINSKI und LOMBARDO, 2001).
Die Kalkschieferzone wurde früher ins Carnian gestellt (WIRZ, 1945), soll
nach Pollen- und Sporenfunden aber noch ins späte Ladinian gehören (SCHEURING, 1978). Erst an der Basis der darüber folgenden Pizzella-Formation mit ihren Mergeln, Dolomiten, Tonsteinen und Gipslinsen ergaben Pollenanalysen eine
Datierung ins Carnian, also an den Anfang der späten Trias.
6
REGIONALE VERGLEICHE UND PALÄOGEOGRAPHIE
Die beschriebene Abfolge der Mitteltrias-Gesteine mit den fünf Fossilhorizonten lässt sich auf etwa 6 km Distanz rund um den Monte San Giorgio verfolgen.
Der Monte San Giorgio im Südtessin –
vom Berg der Saurier zur Fossil-Lagerstätte internationaler Bedeutung
47
Westlich der breiten Talfüllung zwischen Varese und Porto Ceresio treten zwar
weiterhin mächtige Dolomit- und Kalkschichten der Mitteltrias auf. Aber nur
noch im ehemaligen Steinbruch von Rossago östlich von Pogliana wurde eine
2 m dicke Einschaltung fein geschichteter bituminöser Dolomite erkannt, die der
Grenzbitumenzone entsprechen dürfte. Weiter im Westen konnten diese Schichten bisher nicht festgestellt werden (SENN, 1924), so dass hier der Westrand der
Grenzbitumenzone oder Besano-Formation liegen dürfte (ZORN 1971; R IEBER,
1973b; BERNASCONI, 1994). Der Meride-Kalk scheint weiter gegen Westen verbreitet zu sein. Allerdings sind bisher nur in einem ehemaligen Steinbruch bei
Bisuschio Wirbeltierfossilien gefunden worden (Neusticosaurus sp.).
Gegen Norden sind die Zusammenhänge durch die alpine Gebirgsbildung
gestört. Bei Ciona, südlich des Monte San Salvatore, findet sich ein kleines,
tektonisch begrenztes Vorkommen der Grenzbitumenzone von mindestens 10 m
Dicke (ZORN, 1971). Am markanten Berg San Salvatore selbst sind die steil gestellten Ablagerungsgesteine des gleichen Zeitabschnitts ganz anders ausgebildet.
Diese als Salvatore-Dolomit bezeichneten Karbonate der Mitteltrias bestehen aus
hellgrauen, meist dick gebankten Dolomiten, die nur lokal oder in bestimmten
Bänken erkennbare Fossilien zeigen. Wirbeltierreste, wie isolierte Knochen und
Zähne von Fischen und Reptilien, sind äusserst selten. Muscheln, Schnecken,
Kalkschwämme, Korallen, Seelilien und Krebse sind lokal angereichert und
weisen auf begrenzte Riffbildungen und strömungsreiche Kanäle hin. Karbonatsande belegen lokale Sandbarren im hochenergetischen Bereich des seichten
Meeres. Am häufigsten finden sich jedoch lagunäre Flachwasserkarbonate mit
den ursprünglich kalkig ausgebildeten Röhrchen der Grünalge Diplopora annulata. Nach ZORN (1971) kann im Süden ein lagunärer Bereich und im Norden ein
Rückriffbereich mit einzelnen Fleckenriffen unterschieden werden.
Ein ebenfalls tektonisch begrenztes Vorkommen von Mitteltrias bildet die
auffallende Felsrippe nördlich von Campione auf der Ostseite des Luganersees.
In den dortigen aufgelassenen Steinbrüchen war früher ein gutes Profil von der
Bellano- bis zur Pizzella-Formation aufgeschlossen (BERNOULLI, 1964). In einer
dünnen Einschaltung bituminöser Dolomite fanden sich ein Knochenfisch Saurichthys sp. und ein Pachypleurosaurier, der von KUHN (1941) als Pachypleurosaurus edwardsii beschrieben wurde. Nach der Position unter dem so genannten
Gervillienhorizont handelt es sich dabei um stark ausgedünnte Grenzbitumenzone.
Im Osten werden die Trias-Ablagerungen des Monte San Giorgio durch die
bedeutende Lugano-Störung abgeschnitten, die seit BERNOULLI (1964) als synsedimentäre Abschiebung des frühen Jura gedeutet wird, die bei der alpinen
Gebirgsbildung reaktiviert wurde. Erst an der Ostseite des Comersees treten mit
den etwa gleichaltrigen Perledo-Varenna-Kalken wieder Mitteltrias-Karbonate
auf. Diese plattigen Kalke, aus denen seit Mitte des 19. Jh. ebenfalls Funde von
Wirbeltieren bekannt sind, verzahnen sich gegen Osten mit der Plattformfazies
des Esino-Kalks (GAETANI et al., 1992). BERTOTTI (1991) konnte zeigen, dass die
im Westen steil einfallende Luganer Störung in eine flach liegende Scherzone
übergeht, die weit gegen Osten verfolgt werden kann. Damit ist es wahrschein-
Der Monte San Giorgio im Südtessin –
vom Berg der Saurier zur Fossil-Lagerstätte internationaler Bedeutung
48
lich, dass die Mitteltrias des Comersee-Gebiets ursprünglich viel näher beim
Entstehungsort des Monte San Giorgio lag.
7
LEBENS- UND ABLAGERUNGSRAUM IN DER MITTELTRIAS
Die Südalpen gehörten in der Mitteltrias zu einem grossen, durch Plattformen
und Becken gegliederten Flachmeer am Westende des grossen Ozeans, der Tethys (DERCOURT et al., 2000). Die Gesteine der Grenzbitumenzone und des Meride-Kalks gingen aus Ablagerungen hervor, die am Grunde eines Meeresbeckens
oder einer grossen Lagune von etwa 50 – 100 m Tiefe und mindestens 20 km
Durchmesser entstanden. Dieses flache Becken gehörte zu einer breiten Karbonatplattform und war wohl durch Riffe und Kalksandbarren (Salvatore-Dolomit)
weitgehend vom offenen Meer abgetrennt (Abb. 29). Vermutlich gehörten die
Beckensedimente des Monte San Giorgio zum gleichen Ablagerungsraum wie
die etwa gleichaltrigen Perledo-Varenna-Kalke an der Ostseite des Comersees.
Salvatore-Dolomit
Albiga-Dolomit
Grenzbitumenzone
Sprungschicht
San Giorgio-Dolomit
Unterer Meride-Kalk
Abb. 29. Der Lebens- und Ablagerungsraum zur Zeit des unteren Meride-Kalks (Rekonstruktion
B. Scheffold/H. Furrer).
Fig. 29.
Diagram at the time of deposition of the lower Meride Limestone (reconstruction B.
Scheffold/H. Furrer).
Der Monte San Giorgio im Südtessin –
vom Berg der Saurier zur Fossil-Lagerstätte internationaler Bedeutung
49
Diese plattigen Kalke verzahnen sich gegen Osten mit der Plattformfazies des
Esino-Kalks.
Eine eingeschränkte Wasserzirkulation und eine stabile Wasserschichtung
durch schwereres salzreicheres Bodenwasser führte wahrscheinlich zu Sauerstoffmangel am Grund dieses Beckens. Im zentralen Beckenbereich konnte
deshalb die organische Substanz der aus dem reich belebten Oberflächenwasser absinkenden toten Lebewesen – vorwiegend Bakterien, einzellige Pflanzen
und Kleintiere – nicht oder nur teilweise verwesen. Im lebensfeindlichen Faulschlamm, der heute als bituminöser Tonstein vorliegt, blieben dadurch die Skelette abgesunkener Kadaver von Sauriern und Fischen weitgehend im ursprünglichen Zusammenhang erhalten und wurden hervorragend konserviert.
8
EIN SAURIER ERWACHT ZU NEUEM LEBEN – DIE ARBEIT
DER PALÄONTOLOGINNEN UND PALÄONTOLOGEN
Die Paläontologie befasst sich mit der Geschichte des Lebens und steht damit
zwischen den Geowissenschaften und der Biologie. Die erfolgreiche Arbeit der
Zürcher Paläontologen – und in neuerer Zeit auch Paläontologinnen – am Monte San Giorgio war und ist nur möglich dank der interdisziplinären Arbeit im
Überschneidungsbereich dieser naturwissenschaftlichen Disziplinen. Dabei sind
die Forscherinnen und Forscher auf die gute Zusammenarbeit mit engagiertem
technischem Personal angewiesen. Zur Darstellung der Resultate werden wenn
möglich Illustratoren beigezogen, deren zeichnerische Darstellungen oder dreidimensionalen Modelle sich natürlich auch besonders für die Öffentlichkeitsarbeit
eignen. Mit den folgenden Bildern (Abb. 30a–k) sollen am Beispiel eines im August 1995 im unteren Meride-Kalk des Monte San Giorgio gefundenen Skeletts
eines Meeressauriers (FURRER, 1998, 1999), die verschiedenen Arbeitsschritte
von der Grabung über die Bergung und Präparation bis zur wissenschaftlichen
Beschreibung und Rekonstruktion vorgestellt werden. Es handelt sich um ein
etwa 100 cm langes Jungtier von Ceresiosaurus calcagnii, einem ausgewachsen
2 – 3 m langen Paddelsaurier (Ordnung Sauropterygia, Familie Lariosauridae),
der 1931 erstmals von Bernhard Peyer beschrieben worden war (PEYER, 1931).
Die wissenschaftliche Bearbeitung des Neufundes war Teil der Dissertation von
KARIN HÄNNI, die in den Jahren 1996 – 2002 am Paläontologischen Institut und
Museum der Universität Zürich ausgeführt wurde (HÄNNI, 1998, 1999, 2002).
9
VERDANKUNGEN
Die vorliegende Arbeit fasst in verkürzter Form die Ergebnisse der langjährigen
paläontologischen und geologischen Forschung am Monte San Giorgio zusammen. Die neueren Grabungen seit 1994 wurden ermöglicht durch die Zusammen-
50
Der Monte San Giorgio im Südtessin –
vom Berg der Saurier zur Fossil-Lagerstätte internationaler Bedeutung
Abb. 30. Die Arbeit der Paläontologinnen und Paläontologen am Beispiel eines neuen Fossils von
Ceresiosaurus calcagnii, gefunden im August 1995 in den Cava-inferiore-Schichten
(unterer Meride-Kalk) von Acqua del Ghiffo bei Crocifisso.
Fig. 30. The methods of palaeontologists in the case of a new specimen of Ceresiosaurus calcagnii found in August 1995 in the Cava inferiore beds (lower Meride Limestone) of Acqua
del Ghiffo near Crocifisso.
a. Mit Hilfe eines Kleinbaggers werden die
fossilführenden Schichten freigelegt (Foto H.
Furrer).
a. Excavation of the fossil bearing beds with
the help of a small dredger (photograph H.
Furrer).
c. Ein grösserer Skelettrest kommt im fein
geschichteten Kalk zum Vorschein (Foto H.
Furrer).
c. Discovery of an articulated reptile skeleton
in the finely laminated limestone (photograph
H. Furrer).
b. Die einzelnen Bänke werden mit Fäustel und
Meissel von Hand abgebaut (Foto H. Furrer).
b. Splitting the limestone layers with hammer
and chisel (photograph H. Furrer).
d. Provisorisches Kleben und Festigen der Gesteinsplatten mit Kunstharz (Foto H. Furrer).
d. The broken pieces must be stabilised by polyester (photograph H. Furrer)
Der Monte San Giorgio im Südtessin –
vom Berg der Saurier zur Fossil-Lagerstätte internationaler Bedeutung
51
g. Wissenschaftliche Zeichnung des fertig präparierten Skeletts, einem Jungtier von Ceresiosaurus calcagnii (aus H ÄNNI, 1999).
g. Scientific drawing of the skeleton, identified
as a juvenile specimen of Ceresiosaurus calcagnii (from HÄNNI, 1999).
e. Das Fossil wird durch den Präparator in
aufwändiger Feinarbeit mit Stahlnadeln unter
dem Binokular-Mikroskop freigelegt (Foto D.
Röthlisberger).
e. Mechanical preparation of the fossil in the
laboratory using fine steel needles (photograph
D. Röthlisberger).
f. Das fertig präparierte Fossil nach drei Monaten. Schädel und Schwanz sind durch spätere
Deformation verzerrt (Foto D. Röthlisberger).
f. The result of three months of careful work.
Head and tail of the fossil have been sheared
off by deformation (photograph D. Röthlisberger).
h. Rekonstruktion des Skeletts nach Vergleich
mit verwandten Sauriern und heute lebenden
Echsen (aus H ÄNNI, 1999).
h. Reconstruction of the skeleton by comparison with other fossil and living reptiles (from
HÄNNI, 1999).
i. Ein Modell des Sauriers wird aufgebaut (Foto
D. Röthlisberger).
i. A model of the saurian is mounted (photograph D. Röthlisberger).
52
Der Monte San Giorgio im Südtessin –
vom Berg der Saurier zur Fossil-Lagerstätte internationaler Bedeutung
k. Lebensbild von Ceresiosaurus calcagnii, entstanden in Zusammenarbeit mit dem wissenschaftlichen Zeichner B. Scheffold (aus H ÄNNI, 1999).
k. Life reconstruction of Ceresiosaurus calcagnii, made in collaboration with the scientific illustrator B. Scheffold (from HÄNNI, 1999).
arbeit des Paläontologischen Instituts und Museums der Universität Zürich mit
dem Museo cantonale di storia naturale di Lugano (Direktor Filippo Rampazzi;
Konservatoren Markus Felber, bis 2000, und Rudolf Stockar, seit 2001), das
neben der Bewilligung auch für die Finanzierung sorgte. Die Einwohner und
speziell die Vertreter der Gemeinde Meride waren immer sehr interessiert und
halfen bei personellen und materiellen Problemen. Der Text profitierte von den
Diskussionen mit Kolleginnen und Kollegen: Stefano Bernasconi, Daniel Bernoulli, Winand Brinkmann, Toni Bürgin, Markus Felber, Andreas Frimmel, Karin
Hänni, Christian Klug, Cristina Lombardo, Raoul Mutter, Hans Rieber, Olivier
Rieppel, Jochen Röhl, Martin Sander, Wolfgang Schatz, Andrea Tintori und Karl
Tschanz. Besonderer Dank gebührt Hans Rieber und Heinz Lanz, die eine erste
Version des Manuskripts verbesserten. Christian Klug half bei den englischen
Texten. Die vorzügliche Präparation der Fossilien verdanke ich Markus Hebeisen,
Julia Huber, Heinz Lanz, Beat Lüdi, Urs Oberli, Christian Obrist, Leonie Pauli
Bösch und Daniel Schuoler. Die Fotos stammen von Heinz Lanz und Doro Röthlisberger, die Zeichnungen von Wolfgang Schatz und Beat Scheffold.
Bei den jüngsten Grabungen am Monte San Giorgio waren Mitarbeiterinnen
und Mitarbeiter unseres Instituts sowie viele Freiwillige beteiligt: Esther Biesele,
Davide Bionda, Martina Brägger, Winand Brinkmann, Ursula Brupbacher, David
Cook, Walter Dann, Christian Faivre, Fabian Furrer, Andrea Gebhardt, Karin
Hänni, Gaby Hauri, Beat Häusler, Markus Hebeisen, Julia Huber, Hans Knoepfel,
Fritz und Gisela König, Heinz Lanz, Pascal Linder, Beat Louis, Beat Lüdi, Hanna
Luginbühl, Maika Meisner, Silvia Micheletti, Raoul Mutter, Veragioia Pangrazzi, Margrit Pfister, Petra Plüss, Esther Premru, Andrea Rieser, Claude Rosselet,
Simon Sägesser, Wolfgang Schatz, Elisabeth Schaufelberger, Sandra Scherrer,
Christophe Schneble und Karin Stalder. Zum Schluss möchte ich der Familie
Balthasar Peyer und Frau Marina Staehelin-Peyer für ihr stetiges Interesse und
für die Unterstützung danken.
Der Monte San Giorgio im Südtessin –
vom Berg der Saurier zur Fossil-Lagerstätte internationaler Bedeutung
10
53
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Adresse des Autors
Dr. Heinz Furrer, Paläontologisches Institut und Museum der Universität Zürich,
Karl Schmid-Strasse 4, CH-8006 Zürich. E-Mail: [email protected]
Internet-Adressen
www.palinst.unizh.ch
www.montesangiorgio.ch
Der Monte San Giorgio im Südtessin –
vom Berg der Saurier zur Fossil-Lagerstätte internationaler Bedeutung
61
Tab. 1.
Chronologisch gegliederte Tabelle der unter wissenschaftlicher Leitung
durchgeführten Fossiliengrabungen am Monte San Giorgio.
Tab. 1.
Chronologic table of fossil excavations at Monte San Giorgio.
Jahr
Ort, Gemeinde,
Provinz/Kanton
Fundschicht
Institution
Grabungsleitung
1863
Vallone,
Besano, Varese
Besano-Formation
Soc. It. Sci. Nat./
Museo Milano
A. Stoppani
1878
Vallone,
Besano, Varese
Besano-Formation
Soc. It. Sci. Nat./
Museo Milano
A. Stoppani
1924
Cava Tre Fontane,
Meride, Ticino
Grenzbitumenzone/
Besano-Formation
Universität Zürich
B. Peyer
1924
Val Porina,
Meride, Ticino
Grenzbitumenzone/
Besano-Formation
Universität Zürich
B. Peyer
1925
Val Porina,
Meride, Ticino
Grenzbitumenzone/
Besano-Formation
Universität Zürich
B. Peyer
1927
Cava Tre Fontane,
Meride, Ticino
Grenzbitumenzone/
Besano-Formation
Universität Zürich
B. Peyer
1927
Acqua del Ghiffo,
Meride, Ticino
Cava-inferiore-Schichten, Universität Zürich
unterer Meride-Kalk
B. Peyer
1928
Acqua del Ghiffo,
Meride, Ticino
Cava-superiore-Schichten, Universität Zürich
unterer Meride-Kalk
B. Peyer
1929
Val Porina,
Meride, Ticino
Grenzbitumenzone/
Besano-Formation
Universität Zürich
B. Peyer
1930
Selva Bella,
Besano, Varese
Grenzbitumenzone/
Besano-Formation
Universität Zürich
B. Peyer
1930
Val Serrata,
Meride, Ticino
Cava-inferiore-Schichten, Universität Zürich
unterer Meride-Kalk
B. Peyer
1931–1933
Val Porina,
Meride, Ticino
Grenzbitumenzone/
Besano-Formation
Universität Zürich
B. Peyer
1932, 1933
Cava Tre Fontane,
Meride, Ticino
Grenzbitumenzone/
Besano-Formation
Universität Zürich
B. Peyer
1933
Cassina,
Meride, Ticino
Cassina-Schichten,
unterer Meride-Kalk
Universität Zürich
B. Peyer
1937
Cassina,
Meride, Ticino
Cassina-Schichten,
unterer Meride-Kalk
Universität Zürich
B. Peyer
1937
Acqua Ferruginosa,
Meride, Ticino
Cava-inferiore-Schichten, Universität Zürich
unterer Meride-Kalk
B. Peyer
1938
Cassinello,
Meride, Ticino
Cava-inferiore-Schichten, Universität Zürich
unterer Meride-Kalk
B. Peyer
1950–1968
Mirigioli/P. 902,
Meride, Ticino
Grenzbitumenzone/
Besano-Formation
Universität Zürich
E. KuhnSchnyder
Cassina-Schichten,
unterer Meride-Kalk
Universität Zürich
E. KuhnSchnyder
1971–1973, Cassina,
1975
Meride, Ticino
Der Monte San Giorgio im Südtessin –
vom Berg der Saurier zur Fossil-Lagerstätte internationaler Bedeutung
62
Jahr
Ort, Gemeinde,
Provinz/Kanton
Fundschicht
Institution
Grabungsleitung
1975–1984
Rio Ponticelli,
Besano, Varese
Grenzbitumenzone/
Besano-Formation
Museo Milano
G. Pinna
1983, 1984
Valle Stelle,
Meride, Ticino
Grenzbitumenzone/
Besano-Formation
Universität Zürich
H. Rieber
1985–2003
Sasso Caldo,
Besano, Varese
Grenzbitumenzone/
Besano-Formation
Museo Milano
G. Teruzzi
1990–1999
Besnasca/Ca’ del Frate, Kalkschieferzone,
Viggiù, Varese
oberer Meride-Kalk
Università Milano
A. Tintori
1994
Val Mara,
Meride, Ticino
Kalkschieferzone,
oberer Meride-Kalk
Universität Zürich
H. Furrer
1995/96
Acqua del Ghiffo,
Meride, Ticino
Cava-inferiore-Schichten, Universität Zürich
unterer Meride-Kalk
H. Furrer
1996–2003
Vecchi Mulini,
Meride, Ticino
Kalkschieferzone,
oberer Meride-Kalk
Università Milano
A. Tintori
1997–2003
Acqua del Ghiffo,
Meride, Ticino
Cava-superiore-Schichten, Universität Zürich
unterer Meride-Kalk
H. Furrer
Der Monte San Giorgio im Südtessin –
vom Berg der Saurier zur Fossil-Lagerstätte internationaler Bedeutung
63
Tab. 2.
Systematische Stellung der fossilen Reptil- und Fisch-Gattungen aus der Mitteltrias
des Monte San Giorgio.
Tab. 2.
Systematic position of the fossil genera of reptiles and fishes from the Middle Triassic
of Monte San Giorgio.
KLASSE
UNTERKLASSE
Ordnung
CHONDRICHTHYES (KNORPELFISCHE)
Ctenacanthiformes
Familie
Gattung
Phoebodontidae
Hybodontidae
Acrodontidae
Acronemus
Hybodus
Acrodus
Asteracanthus
Palaeobates
Polyacrodontidae
OSTEICHTHYES (KNOCHENFISCHE)
ACTINOPTERYGII (STRAHLENFLOSSER)
Palaeonisciformes
Palaeoniscidae
inc. sedis
Ptycholepiformes
Ptycholepididae
Bobasatraniiformes
Bobasatraniidae
Saurichthyiformes
Saurichthyidae
Birgeriidae
Pholidopleuriformes
Pholidopleuridae
inc. sedis
Perleidiformes
Platysiagidae
Perleididae
Cleithrolepididae
Luganoiidae
Peltopleuriformes
Semionotiformes
Halecomorphi
Teleostei
Peltopleuridae
Habroichthyidae
Eosemionotidae
Semionotidae
Macrosemiidae
Parasemionotidae
Ophiopsidae
inc. sedis
Pholidophoridae
inc. sedis
Gyrolepis
Caelatichthys
Ptycholepis
Bobasatrania
Saurichthys
Birgeria
Pholidopleurus
Gracilignathichthys
Platysiagum
Colobodus
Perleidus
Daninia
Meridensia
Aetheodontus
Ctenognathichthys
Peltoperleidus
Dipteronotus
Luganoia
Besania
Peltopleurus
Peripeltopleurus
Cephaloxenus
Habroichthys
Eosemionotus
Archaeosemionotus
Legnonotus
Gen. nov.
Allolepidotus
Eoeugnathus
Broughia
Furo
Gen. nov.
Gen. nov.
Placopleurus
Gen. nov.
Gen. nov.
Prohalecites
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64
KLASSE
UNTERKLASSE
Ordnung
Familie
Gattung
SARCOPTERYGII (FLEISCHFLOSSER)
Crossopterygii
Coelacanthidae
Ticinepomis
cf. Holophagus
Gen. indet.
Askeptosauridae
Askeptosaurus
Claraziidae
Clarazia
Hescheleria
Macrocnemus
Tanystropheus
Ticinosuchus
Serpianosaurus
Neusticosaurus
Lariosaurus
Ceresiosaurus
Paranothosaurus
Gen. indet.
Helveticosaurus
Eusaurosphargis
Paraplacodus
Cyamodus
Mixosaurus
Phalarodon
Cymbospondylus
Besanosaurus
Mikadocephalus
Wimanius
REPTILIA (REPTILIEN)
Thalattosauria
Protorosauria
Thecodontia
Sauropterygia
Prolacertidae
Tanystropheidae
Rauisuchidae
Pachypleurosauridae
Lariosauridae
Nothosauridae
Placodontia
Helveticosauridae
Ichthyosauria
Placodontidae
Cyamodontidae
Mixosauridae
Shastasauridae
inc. sedis