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£ Im Wilden Westen. In der rauen, hochalpinen Landschaft gibt es mehrere Tausend Höhenmeter zu bewältigen. TEXT: ANDY EBERT FOTOS: CHRISTOPH MICHEL 8 NORDAMERIKA AUF DER SUCHE NACH WILDNIS UND ABENTEUER Der John Muir Trail durch die kalifornische Sierra Nevada zählt zu den beeindruckendsten Weitwanderwegen der USA. Andy Ebert und Christoph Michel waren 18 Tage mit zwei Freunden, viel Gepäck und Lust auf Abenteuer unterwegs – vom Yosemite Valley bis zum Mount Whitney, dem höchsten Berg der USA ausserhalb Alaskas. SOMMER 2015 GLOBETROTTER-MAGAZIN 9 E s ist Ende August, und die Temperaturen liegen nicht viel über null Grad auf dem Zeltplatz von Tuolumne Meadows, hoch oben in der kalifornischen Sierra Nevada. Glutrot ist die Sonne untergegangen. Die Luft ist rauchgeschwängert vom grossen Waldbrand, der derzeit nordwestlich von uns wütet. Heute Nacht soll die Strasse gesperrt und zur Feuerbarriere verbreitert werden. Wir haben gerade noch den letzten Bus vom heissen Yosemite Valley hinauf ins Hochtal des Tuolumne River erwischt. Glück gehabt. Glück hatten wir bereits bei unserer Besteigung des Half Dome, den wir gestern zum Training in einer langen Tagestour erstiegen haben. Da 10 waren wir in der Morgendämmerung einem Bären begegnet. Er stand direkt auf unserem Wanderweg. So richtig wild und menschenscheu kam uns das Tier zwar nicht vor, aber immerhin: ein freilaufender Bär. Und das am ersten Tag unseres Aufenthalts! Was wird uns da erst in der richtigen Wildnis erwarten, Tagesmärsche von Ortschaften entfernt? Morgen geht es nach Wochen des Planens und Träumens endlich los. Wir möchten den legendären John Muir Trail bezwingen. Im Wilden Westen. Der John Muir Trail (JMT) gilt als der landschaftlich reizvollste Abschnitt des Pacific Crest Trails, der sich von der mexikanischen Grenze entlang des amerikanischen Küstengebirges bis zur Grenze zu Kanada zieht. Yosemite Valley. Nach einer Tagestour auf den Half Dome kann der lange Treck auf dem John Muir Trail losgehen. Vor uns liegen rund 320 Kilometer Weg entlang des Hauptkamms der kalifornischen High Sierra. Mehrere Tausend Höhenmeter sind zu bewältigen. Auf dem Weg nach Süden werden wir viele Pässe überqueren, davon elf von mehr als 3000 Metern Höhe. In den Berichten, die ich während der Planung gelesen hatte, stand viel von epischen Kämpfen gegen den Berg, von Entsagungen und Qualen beim Traversieren der hohen Pässe. Wir selbst stufen unser Vorhaben trotzdem eher als normale Weitwanderung ein. Wir, das sind der Wahlbayer Anthony aus Kalifornien NORDAMERIKA sowie Christoph, mein Bruder Thomas und ich aus München. Wir alle gehen die Tour mit unterschiedlichen Erwartungen und Vorerfahrungen an. Anthony war mit der Idee gekommen. Er möchte gleich alle drei Highlights abhaken, die man seiner Ansicht nach als Kalifornier einmal gemacht haben muss: den Half Dome besteigen, den JMT begehen und den fast 4500 Meter hohen Mount Whitney erklimmen. Für Thomas ist es die erste grosse Trekkingtour mit mehr als drei Übernachtungen. Dafür hat er die meiste technische Ausrüstung dabei: Als Ingenieur hat er sich um Wasserfilter, Solarpanel mit Stromtank für all unsere kleinen und grösseren Stromfresser gekümmert. Christoph und ich haben schon mehrere Touren zusammen gemacht und sind wiedermal auf der Suche nach Herausforderungen weitab der Zivilisation, möglichst nur mit dem Nötigsten unterwegs. Uns alle eint die Vorfreude auf Wildnis und Abgeschiedenheit, die es in dieser Art in Europa wohl nicht mehr gibt. Wobei ich mich insgeheim frage, wie wild, wie abgeschieden und wie hart die kommenden Wochen wirklich sein werden. Die Anwesenheit einer grossen Schwarzbärenpopulation verstärkt jedoch meinen Respekt um einiges. Auf staubigem Pfad legen wir am nächsten Morgen die ersten Meilen zurück. Kalifornien erlebt gerade das trockenste Jahr seit Wetteraufzeichnung. Auch heute scheint die Sonne aus einem wolkenlosen, tiefblauen Himmel. Sie leuchtet eine grandiose Szenerie aus: Riesige, SOMMER 2015 GLOBETROTTER-MAGAZIN 11 Harmonisch. Schönes Farbenspiel von nassem Granit und saftigem Grün. ê Thousand Island Lake. Der Lagerplatz auf der Halbinsel wird dank Glück beim Fliegenfischen so richtig perfekt. von Gletschern abgeschliffene Granitdome ragen aus dichtem Kiefernwald. Wiesen, deren Gras von der langen Trockenheit gelb geworden ist, säumen das Tal. Die Vegetation ist für die Höhe überraschend reichhaltig. Wir bewegen uns bereits auf über 2600 Metern Höhe. Die Baumgrenze in der Sierra Nevada liegt mit 3200 bis 3500 Metern deutlich über dem, was wir aus den Alpen gewohnt sind. Während der Mittagspause am Bach ertönt Hufgeklapper. Ein Reiter mit einem halben Dutzend Packpferden im Schlepptau kommt den Trail entlanggeritten. Es fehlt nur noch der Planwagen, um das Wildwestklischee zu komplettieren. Bald treffen wir Wanderer, die lediglich mit einem Tagesrucksack unterwegs sind. Sie lassen sich ihren Proviant und die Ausrüstung für die Übernachtung per Pferd an den nächsten See liefern – mit unserer Einstellung des autarken Wanderns ist das nicht vereinbar. Später begegnen wir zwei Familien, die mit sechs Kindern vier Wochen lang unterwegs sind. Ohne Packpferde, die die Ausrüstung sowie die müden Kinder tragen, wäre das kaum möglich. Wir lernen, dass der JMT nicht nur etwas für Hartgesottene ist – oder für was immer wir uns gerade halten… Kojotengeheul. Abends gestaltet sich die erste Lagersuche in der Wildnis anders als vorgestellt. Die strengen Vorschriften, die wir nach 12 Belehrung und unter Aufsicht eines Nationalpark-Rangers unterschreiben mussten, fordern unter anderem, nur auf etablierten Lagerplätzen zu übernachten. Diese sollen mindestens 30 Meter vom Weg und von Gewässern entfernt sein. Feuer darf nur in bestehenden Feuerstellen entfacht werden. Macht ja alles Sinn. Aber einige Plätze sind schon besetzt, andere zu nah am Weg. Das grosse Gefühl von Freiheit erleben wir jedenfalls noch nicht. Bald bricht die Nacht herein und beschränkt unsere Welt auf den kleinen Lichtkreis rund um unser Lagerfeuer. Wir lassen uns NORDAMERIKA nenhimmel. Bei der Planung waren wir lange um die Frage gekreist, ob wir Zelte oder Tarps mitnehmen. Letztlich hatten wir uns aus Gewichtsgründen entschieden, mit einem leichten 2-Mann-Zelt und einem kleinen Tarp loszugehen. Und nun stellen wir fest, das wir beides fast nie brauchen. Ein leichter Windhauch streicht über mein Gesicht. Das Geheul zweier Kojoten dringt herüber. Den Rufen nach müssen sie irgendwo am Hang oberhalb des Sees durch den lichten Wald laufen. Mit einem wohligen Gefühl von Abenteuer schlafe ich ein. Farbige Gesteinsfalten. Zurück auf dem Weg passieren wir am nächsten Morgen mehrere Zelte, aus denen sich verschlafene Gestalten winden. Heute ist Samstag und der Labor Day am Montag verlängert das Wochenende auf drei Tage – für Amerikaner geradezu ein Muss, zu verreisen. Die meisten sind mit leichter Aus- rüstung unterwegs, einige mit Hunden, die zu unserer Überraschung ihr Futter in speziellen Hunderucksäcken selber tragen. Gegenüber all diesen Leuten erscheinen wir mit unseren gros sen, 25 Kilogramm schweren Rucksäcken etwas deplatziert, so als wollten wir uns das Leben bewusst schwer machen. Rund um das Devils Postpile National Monument kreuzt sich unser Weg mit dem von Touristen, die lediglich die paar 100 Meter von ihrem Auto zur zentralen Klippe aus regelmässig geformten Basaltsäulen schlendern. Der amerikanische Lebensstil führt dazu, dass hier mal nicht wir die Schwergewichte sind. Als wir den Anstieg auf der anderen Talseite beginnen, ändert sich die Umgebung. Bereits am Vormittag waren wir durch einen von Windsturm zerstörten Wald gelaufen. Meterdicke Stämme lagen kreuz und quer im lichten Wald. Beim Umstürzen hatten sie imposante Lagerfeuer. Gedanken an Bären kommen auf. Geniesser. Die Männer lassen es sich mit abwechslungsreichem Essen gut gehen. î Glitzerndes Juwel. Am Fusse des Mount Banner. è die von Christoph am Nachmittag beim Fliegenfischen aus dem Fluss gezogenen und von Thomas über der Glut des Lagerfeuers gegrillten Forellen schmecken. Mit der Dunkelheit und dem Essensgeruch im Lager kommen Gedanken an Bären auf. Die soll es hier zuhauf geben. Aber es bleibt still. Die Wildnis scheint zu schlafen. Über dem Donohue-Pass, mit immerhin fast 3400 Metern der erste hohe unserer Tour, verlassen wir den Yosemite-Nationalpark. Auf der Passhöhe eröffnet sich uns in Richtung Süden ein spektakuläres Panorama aus unzähligen Bergketten, die wir in den nächsten Tagen überschreiten werden. Wir treten in die Ansel Adams Wilderness ein. Wild verdrehte weissstämmige Kiefern und verkrüppelte westamerikanische Wacholderbäume recken sich fotogen in den blauen Himmel. Durchs Wasser unzähliger kleiner Seen und Bachläufe zeigt sich monolithisch kompakter Granituntergrund. Die Berge sind jedoch bereits steiler und schroffer. Ein Gletscherrest hängt in der Nordwand des Mount Banner. Zu dessen Füssen liegt wie ein glitzerndes Juwel der Thousand Island Lake. Auf einer kleinen Halbinsel schlagen wir unser Lager auf. Seit dem frühen Nachmittag haben wir niemanden mehr gesehen: Der See scheint uns alleine zu gehören. Christoph hat grossen Erfolg beim Fliegenfischen und zieht eine beachtliche Regenbogenforelle aus dem Wasser. Die geniessen wir abends zum Steinpilzrisotto. Später liegen wir in unseren Schlafsäcken unter dem weiten Ster SOMMER 2015 GLOBETROTTER-MAGAZIN 13 V I E ANDY R E R B A N D E Christoph Michel und Andy Ebert gehen seit Jahren zusammen auf Tour. Es geht den beiden vor allem darum, unter freiem Himmel unabhängig unterwegs zu sein. Zudem bilden sie seit vielen Jahren eine enge Kletterseilschaft. Von ihren Erzählungen beeindruckt, gesellte sich Thomas Ebert, Andys Bruder, dazu. Anthony, der Vierte im Bunde, ist Amerikaner. Er lernte Andy über seinen Job kennen. Nachdem er auf Touren in den Alpen an besonders schönen Orten regelmässig sagte «It’s like Yosemite» und eine gemeinsame Wanderung auf dem John Muir Trail vorschlug, mussten die drei anderen nicht lange überlegen. Wurzelpakete aus dem sandigen Boden gehebelt. Nun sehen wir mehr und mehr Stämme, die zudem schwarz verkohlt sind. Bald laufen wir durch einen kahlen Stelenwald aus fünf bis zehn Meter hohen und teilweise meterdicken Baumstümpfen. Die düstere Atmosphäre wird noch verstärkt durch Qualm, ein Brandgeruch wird durch den Ostwind von einem weiteren grossen Waldbrand zu uns ins Tal getragen. Es scheint, als wäre das Feuer daselbst gerade erst erloschen. Dabei habe ich gelesen, dass die Feuerwalze hier bereits vor 22 Jahren durchgegangen ist. Neue Bäume sind seitdem nicht gewachsen. Nur Gräser und Sträucher beleben den Hang. Diese wachsen dafür in umso opulenterer Form, da sie das volle Licht nutzen können. Je länger wir diese Szenerie auf uns wirken lassen, desto mehr sind wir beeindruckt von der unerwarteten Andersartigkeit des Ortes. Die nächsten Tage führt uns der JMT in stetem Auf und Ab entlang der zentralen Faltung der Sierra Nevada. Das Gebirge ist der längste und höchste Gebirgszug der USA und entstand durch das Aufeinanderprallen der Pazifischen auf die Nordamerikanische Platte. Je höher wir kommen, desto öfter sehen wir offene Bergflanken, in denen Schichten unterschiedlichsten Gesteins wild gefaltet sind. Es ist ein buntes Spiel aus gesprenkeltem Grau, Ocker, Anthrazit, è Andy (38) ist IT-Projektleiter und wohnt zusammen mit Frau und Tochter in München. Wenn es die Zeit erlaubt, schlägt er sich am liebsten mit einem grossen Rucksack mit allem Nötigen durch die Natur, sei es im Frühling, Herbst oder Winter. Hauptsache, er gelangt an landschaftlich beeindruckende und entlegene Orte, die wie versteckte Juwelen fernab der ausgetretenen Pfade liegen. CHRISTOPH è Christoph (38) ist freiberuflicher Fotograf mit dem Themenschwerpunkt Bergsport. Er lebt in München. 2007 wanderte er – ausgerüstet nur mit Zelt und Schlafsack – alleine von München nach Venedig. Seit dieser Tour ist er begeisterter Weitwanderer und nur noch äusserst selten in Hütten anzutreffen. Immer wieder zieht es ihn in Gebiete, wo das Biwakieren ein Muss ist. Thomas (38) ist Entwicklungsingenieur in der Automobilbranche und wohnt in München-Schwabing. Die Natur geniesst er im Sommer meist auf dem Mountainbike oder beim Herumkraxeln auf Klettersteigen. Im Winter zieht es ihn zum Schneeschuhwandern in abgelegene Gebiete der Alpen. è THOMAS ANTHONY 14 è Anthony (32) ist ein Technikfreak mit einer grossen Passion fürs Reisen. Obwohl er mit seiner Frau und dem baldigen Nachwuchs in München lebt, ist er im Herzen ein Kalifornier geblieben. Seine Hobbys sind Velofahren, Joggen, Klettern und Snowboarden. Und er liebt die Berge. Der John Muir Trail mit seinen surrealen Landschaften, hohen Gipfeln und kristallklaren Seen stand schon lange auf Anthonys Wunschliste. Als Exil-Kalifornier war für ihn die Tour mit seinen deutschen Freunden etwas ganz Besonderes. Rosa, Kupfergrün, Rostbraun, gedecktem bis leuchtendem Weiss. In dünnen Schichten oder dicken Bändern. Mal streng parallel geschichtet, dann wieder verspielt gewunden. Oft sehe ich eine strahlend weisse Linie, die in ihrer Breite und Farbe einer Fahrbahnmarkierung ähnelt, quer über eine graue Granitplatte verlaufend. Hier und da hat die Tektonik diese Linie zerrissen, um Zentimeter oder Meter verschoben, so als wäre die Fahrbahnmarkierungsmaschine auf der schrägen Platte mal eben zur Seite gerutscht. Insbesondere an Tagen, an denen der Himmel mal nicht strahlend blau ist und die Panoramen nicht wie aus dem Fotobildband aussehen, fallen meine Blicke oft auf das Gestein. Für Geologen muss dieser Trail ein wahres Paradies sein! NORDAMERIKA Schlaraffenland. Heute Morgen sind wir mit relativ leichten Rucksäcken aufgebrochen. Bis auf zwei Müesliriegel in meinem Deckelfach ist alles Essen aufgebraucht. Der Tag der Neuverpflegung ist da. Nachdem wir mit Proviant für sieben Tage auf den ersten Abschnitt gestartet sind, werden wir heute Essen für zehn Tage aufnehmen. Bei der Planung hatten wir zwischenzeitlich mit einer Variante ganz ohne Versorgungspunkt geliebäugelt – was unserem Bedürfnis nach Unabhängigkeit entsprach. Aber Mahlzeiten für 18 Tage zu schleppen, war uns dann doch zu viel. Schliesslich wollen wir es uns auch als Wildniswanderer kulinarisch gut gehen lassen. So begeben wir uns am späten Vormittag auf einen kurzen Abstecher weg vom eigentlichen Trail und nähern uns der idyllisch im Tal des San Joaquin River gelegenen Muir Trail Ranch. Durch ein Gatter betreten wir den verschlafen wirkenden Ort. Die Ranch ist die letzte Verpflegungsmöglichkeit auf dem Weg nach Süden und somit fast ein Pflichtstopp für alle JMT-ler. So stehen vor einem Schuppen dann auch an die 30 mit Nummern beschriftete 20-Liter-Plastikeimer mit Essensvorräten. Unter Pavillionzelten sortieren Leute bereits emsig ihr Essen und packen nach sorgfältiger Abwägung des Bedarfs und Gewichts nur das Nötigste in ihre Rucksäcke. Vieles von dem, was zu Hause noch für unverzichtbar gehalten wurde, landet jetzt in grossen Tonnen – ordentlich getrennt nach Kategorien –, für andere, die zu wenig oder falsche Sachen hierher geschickt haben. Über die beiden vergangenen Sommer- Lagerplatz. Die Frage nach Zelt oder Tarp erübrigt sich – bei gutem, wenn auch kaltem Wetter ist beides nicht notwendig. é Neuverpflegung. Bei der Muir Trail Ranch packen die Trekker Essen für zehn weitere Tage ein. ç Ohne Stress. Auch an einem langen Wandertag soll Zeit für Musse bleiben. éé monate ist dadurch ein kleiner Supermarkt mit Apotheken- und Outdoorabteilung entstanden. Auch wir hatten vor der Tour drei grosse Farbeimer besorgt, mit Essen befüllt und bei der US Post aufgegeben. Vom Rande der High Sierra wurden die Eimer dann per Geländewagen, Boot und altem Kettenfahrzeug zur Ranch transportiert. Nun ergiesst sich ein Schwall von Essen aus ihnen: Reis, Pasta, Linsen, Gemüsebrühe, Olivenöl, Parmesan, Tomatenmark, Knoblauch, Ingwer, Sojaschnitzel, Currypaste, Kokosmilch, Gewürze, Pancake-Mischung, Ahornsirup, gemahlener Kaffee und Schokolade. Dazu all das von Thomas in wochenlanger Arbeit zu Hause dehydrierte Gemüse: Tüten von Brokkoli, Zucchini, Paprika, Sellerie, Karotten, Zwiebeln, Tomaten, Pilzen und Kartoffelwürfeln. Wie gesagt – wir wollen es uns gut gehen lassen! Wie bereits beim Start in die erste Wanderetappe passt gar nicht alles Essen in unsere Bärenkanister. Bärenkanister? Ja, zum Schutz der Bären vor Menschennahrung – und nicht andersrum – gibt es diese etwa elf Liter fassen SOMMER 2015 GLOBETROTTER-MAGAZIN 15 Steinwüste. Granitplatten mit imposanten Steinbrocken im Gebiet vom Wanda Lake. é Volle Töpfe. Die Rucksäcke sind schwer, es soll nicht gespart werden beim Kochen. ç Wellness. Ein Schlammbad an der Schwefelquelle der Muir Trail Ranch. éé den, runden Behälter aus bruchsicherem Kunststoff. Sie sollen Bären davon abhalten, mit der kalorienreichen Verpflegung der Menschen in Kontakt zu kommen. Denn sobald das einmal passiert ist, gibt es für sie leider oft kein Zurück mehr zu ihrer ursprünglichen Ernährung. Auf ihrer Suche nach den nahrhaften Kalorienbomben weicht ihr Respekt vor dem Menschen. Die eigentlich menschenscheuen Tiere werden zur Gefahr, was letztlich zur zwangsweisen Tötung führen kann. In manchen Bärengebieten hängt man das Essen noch an ausladende Äste hoher Bäume, was jedoch Übung und entsprechend dimensionierter Bäume bedarf. In den von uns durchquerten Nationalparks sind die leicht zu handhabenden 16 GLOBETROTTER-MAGAZIN SOMMER 2015 Bärenkanister inzwischen vorgeschrieben. Bevor wir weiterziehen, wiegen wir unsere Rucksäcke, um die Last einigermassen gerecht zu verteilen. Mit 25 bis 29 Kilo Gewicht auf unseren Schultern verlassen wir die Ranch wieder. Hochgebirgsseen. Seit der Essensaufnahme ist es ruhiger geworden. Im südlichen Teil sind JMT-ler fast unter sich. Es gibt nur wenige Punkte, von denen Quereinsteiger in den schmalen Korridor entlang des JMT kommen. Der Trail schafft es nun tatsächlich, uns das Gefühl zu geben, weit weg von der Zivilisation zu sein. Dabei wissen wir von den Landkarten, dass es meist bereits ein oder zwei Täler weiter Strassen und Siedlungen gibt. Die Landschaft hat ein raues, hochalpines Gepräge. Die Berge und Pässe werden höher. Doch inzwischen sind wir gut eingelaufen. Die Beine funktionieren. Wir haben unseren Rhythmus gefunden, auch als Gruppe. Und so arbeiten wir uns heute zügig voran, steigen in einem langen, sich nach Süden windenden Tal höher und höher. Da der JMT ursprünglich als Pfad für Vieh angelegt wurde, hat er meist eine stetige, aber nur mässige Steigung. Dies führt oftmals zu unverhältnismässig langen Kehren, die wir gerne abkürzen würden. Mitten in der Wildnis stehen aber Schilder mit der Aufschrift «Do not cut switchbacks». Auf fast 3500 Metern treffen wir am frühen Nachmittag auf den Wanda Lake, einen relativ NORDAMERIKA grossen Gebirgssee. Er liegt in einer strahlend hellen Steinwüste. Schräge, fast weisse Granitplatten mit grossen Steinbrocken darauf reichen sanft von den Hängen in den See. Der sich spiegelnde, tief dunkelblaue Spätsommerhimmel gibt dem Wasser ein sehr sattes, fast warmes Blau. Ich möchte hineinspringen. Einen Teil der Gruppe drängt es jedoch weiter – der Muir-Pass ist nur noch eine halbe Stunde entfernt, und der See dahinter soll auch ein guter Ort für ein Nachtlager sein. Doch nachdem Christoph und ich uns ins eiskalte Nass gestürzt haben und die Umgebung etwas auf uns gewirkt hat, ist uns klar, dass dieser See mit seiner Weite und Einsamkeit etwas ganz Besonderes ist. Wir entschliessen uns, auf einer Landzunge am gegenüberliegenden Ufer zu übernachten. Wir kochen eine leckere Minestrone mit viel Gemüse und Parmesan. Die hohe Lage, gepaart mit den flach nach Westen abfallenden Hängen, lässt uns das Sonnenlicht noch lange geniessen. Wir verbringen eine weitere Nacht unter dem weiten, klaren Sternenhimmel. Höhenkoller. In den nächsten Tagen über- schreiten wir mehrere der für ihre beschwerlichen Auf- und Abstiege berüchtigten Pässe. Zuerst den legendären Muir-Pass, an dessen Südseite wir stundenlang in der prallen Sonne durch eine bunte Steinwüste aus grossem und kleinem Bruch absteigen. Gefolgt vom MatherPass, bei dessen Anstieg nach jeder anstrengenden Geländestufe ein weiteres Tal wartet, das wiederum mit einem steilen Schlussanstieg endet. Aber wir fühlen uns fit und bewältigen die grossen Anstiege und die dazwischenliegenden Distanzen gut. Auf dem Pinchot-Pass mit fast 3700 Metern Höhe entscheiden wir uns gar, zu übernachten. Wasser für Abendessen und Frühstück haben wir vom Lake Majorie mit hochgetragen. Beim Einschlafen macht mir die Höhe zu schaffen. Ich bin müde, aber mein Herz pumpt so kräftig, dass ich nicht zur Ruhe komme. Zudem erzeugt die dünne, trockene Luft ein starkes Durstgefühl. Es fällt mir schwer, den Anblick des weiten Sternenhimmels zu geniessen, da ich ja eigentlich schlafen und mei- nem Körper Erholung gönnen möchte. Morgens erfahre ich, dass es den anderen ganz ähnlich ergangen ist. Interessanterweise kommen wir gut aus den Federn und werden auch tagsüber nicht von überbordender Müdigkeit eingeholt. Vielleicht auch deshalb, weil uns erneut eine neue Landschaftsform erwartet – eine mondähnliche, ohne jegliche Vegetation, mit buntem Gestein in warmem Gelb und Ocker. Ein sich lang ziehender Abstieg in den bewaldeten Talgrund folgt. Zum ersten Mal seit Beginn der Tour zeigen sich ernst zu nehmende Wolken am Himmel. Nachmittags laufen wir im Nieselregen, steigen erneut bergan zu den für ihren Fischreichtum bekannten Rae Lakes. Wir angeln ein zusätzliches Abendessen, welches wir aufgrund einer Fehlkalkulation bei den Essensrationen dringend benötigen. Ein Pass nach dem anderen, Tag für Tag und Tal für Tal, arbeiten wir uns beständig nach Süden vor. Seit gestern schon laufen wir zusammen mit Adam aus Israel. Gross, bärtig und mit einem langen dicken Ast als Wanderstock, sieht er aus wie auf Pilgerreise. Er ist erst ein paar Tage unterwegs, hat aber das gleiche Ziel wie wir. Zusammen nehmen wir die 1200 Höhenmeter Aufstieg zum letzten und höchsten Pass der Tour in Angriff: dem ForresterPass mit beachtlichen 4009 Metern Höhe. Auch heute ziehen dunkle Wolken um uns herum. Von Norden rücken mehrere Regenschleier ins Tal. Wir beeilen uns, zügig zur Passhöhe zu kommen. Unsere Blicke gehen immer wieder zum Himmel, in der Hoffnung, der Regen möge uns verschonen. Wir erhöhen unser Tempo. Adam möchte auch dranbleiben, und die erste Zeit gehe ich mit ihm zusammen. Die anderen sind etwas voraus, steigen bereits in ihrem eigenen Tempo. Als die Passhöhe sichtbar wird, packt es auch mich, und ich arbeite mich fast wie im Rausch die letzte halbe Stunde hinauf. Nach Stunden anstrengenden Steigens erreichen wir in Minutenabständen nacheinander die Passhöhe. Ein paar vereinzelte dicke Schneeflocken beginnen INFOS&TIPPS è 340 Kilometer vom Happy Isles Trailhead im Yosemite Valley bis zum Gipfel des Mount Whitney bzw. 358 mit dem Abstieg bis Whitney Portal. Dauer: 15 bis 21 Tage. Auch in Abschnitten lohnenswert. è Für den JMT wird ein Wilderness Permit benötigt, das im Nationalpark oder im National Forest ausgestellt wird, in dem man seine Tour beginnt. Permits für den Start im Yosemite Valley sind streng limitiert und daher schwer zu bekommen. Permits für alternative Einstiegspunkte erhält man relativ leicht. è Vorgeschrieben ist die Mitnahme von Bärenkanistern zum Verstauen von Lebensmitteln. Beste Zeit | zwischen Mitte Juli und Ende September (hauptsächlich durch die Stärke der Schneeschmelze im Frühjahr und das Schliessen der Versorgungspunkte bzw. den ersten Schneefall im Herbst bestimmt). Tipp | Die meisten Wanderer tragen ihre Ausrüstung selber. Es können aber auch Packpferde gemietet werden. Yosemite Valley (Happy Isles) 4400 m Donohue Pass Tuolumne Meadows J O H N M U I R T R A I L ( JMT) Half Dome Ansel Adams Wilderness Start Yosemite N.P. John Muir Wilderness Muir Trail Ranch KALIFORNIEN Kings Canyon N.P. NEVADA Las Vegas San Francisco Mount Whitney Sequoia N.P. Silver Pass Muir Pass Pinchot Pass Ziel Mount Forrester Whitney Pass Muir Trail Ranch 3800 m 3200 m 2600 m 2000 m 1400 m 17 Pfadfinder. Man kann auch ohne Brücken die zahlreichen Wasserläufe queren. ì Glenn-Pass. In langen steinigen Kehren führt der Pfad auf die Passhöhe. è Am Mount Whitney. Der höchste Berg der USA ausserhalb von Alaska wartet mit einer fantastischen Kulisse. ìì Würdiger Abschluss. Camp auf dem Gipfelplateau des Mount Whitney (4421 Meter). é in der Luft zu tanzen, aber auf der anderen Seite klart das Wetter auf. Wir sind euphorisiert. Etwas ausgekühlt und schon recht erschöpft, brechen wir bald zum Abstieg auf. Christoph bleibt noch etwas oben am Pass, um Bilder von uns anderen zu machen, wie wir den waghalsig in eine Steilwand geschlagenen Pfad absteigen. Wenige Minuten später höre ich Christoph rufen. Ich drehe mich um und sehe ihn wild winken. Den Rufen entnehmen wir, dass es Adam nicht gut gehe, er kriege kaum noch Luft. Wir werfen die Rücksäcke ab und rennen zurück nach oben. Adam hyperventiliert, kann kaum sprechen, deutet an, Schmerzen in der Brust zu haben. Wir nehmen ihm das Gepäck ab und begleiten ihn zügig nach unten. Etwa zweihundert Meter tiefer verbessert sich die Lage. Adam beruhigt sich und damit auch seine Atmung. Später im Lager wird uns bewusst, wie riskant der schnelle und sehr anstrengende Aufstieg für den noch nicht so gut akklimatisierten Adam war und wie wir die Risiken der Höhe unterschätzt haben. Finale am Mount Whitney. Einen Gehtag nach dem Forrester-Pass erreichen wir das westliche Basislager des Mount Whitney. Der Gipfel mit 18 GLOBETROTTER-MAGAZIN SOMMER 2015 einer Höhe von 4421 Metern Höhe soll der Schlusspunkt unserer Tour sein. Viele bunte Zelte stehen hier am Ufer des Guitar Lake. Am nächsten Morgen brechen wir im Licht der Stirnlampen auf. Die anderen Wanderer, die im Lager übernachtet haben, sind bereits vor uns losgegangen. Wir haben es nicht so eilig wie sie, da wir auf dem Gipfel übernachten und erst morgen wieder absteigen wollen. Der Aufstieg gestaltet sich wie gewohnt als technisch wenig anspruchsvoll, aber lang. Auf BUCHTIPPS The John Muir Trail – Through the Californian Sierra Nevada (Englisch), Alan Castle, Cicerone Verlag ISBN 978-1-85284-396-0 John Muir Trail – The essential guide to hiking America’s most famous trail (Englisch), Elizabeth Wenk, Wilderness Press ISBN 978-0-89997-436-1 Der grosse Trip – Tausend Meilen durch die Wildnis zu mir selbst Cheryl Strayed, Kailash Verlag ISBN 978-3-424-63024-4 einem geschickt angelegten Weg steigen wir stetig eine steile Bergflanke hinauf, die einer riesigen Schotterhalde mit zum Teil senkrechten Abbrüchen gleicht. Die dünne Luft macht uns beim Steigen erstaunlich wenig zu schaffen. Nach zweieinhalb Wochen in einer Höhe zwischen 2500 und 3500 Metern sind wir gut akklimatisiert. Nur Adam spürt die Höhe und kehrt auf 4100 Metern vorsichtshalber um. Wir verabschieden uns sehr herzlich und wünschen ihm einen guten Abstieg. Auf den letzten Metern zur Spitze wird es dann plötzlich belebter. Eine bunte Mischung von Wandervögeln läuft auf dem flachen und weiten Gipfelplateau herum. Die meisten haben nur wenig Bergausrüstung dabei. Manche sind wie für einen Stadtspaziergang angezogen. Eine Frau ist gar mit Flipflops bis auf über 4400 Meter aufgestiegen – Bergschuhe finde sie unbequem, sagt sie. Man fotografiert sich vor der Plakette, die den offiziellen Gipfel markiert, und schickt per Mobiltelefon Grüsse ins Tal. Auch wir nutzen die Gelegenheit, ein erstes Lebenszeichen nach Hause zu schicken. Seit unserem Start in Tuolumne Meadows haben wir nur einmal kurz ein Mobilfunknetz gestreift. In dieser Hinsicht ist man auf dem JMT auf jeden Fall sehr abgeschieden. NORDAMERIKA allem visuelle Eindrücke. Es war ein tägliches Abgleichen und Bestätigen von Klischees, einer Suche nach dem filmischen Ideal. Teilweise kam es mir vor, als gingen wir in einer Postkarte oder einem Tourismusprospekt spazieren. Andere mögen genau das suchen. Mir hat dieser latente Abgleich mit bekannten Bildern die unmittelbare Erfahrung des eigentlich doch ganz Neuen erschwert. Das vorwiegend stabile Wetter mag seinen Teil dazu beigetragen haben, dass der Fokus derart auf der visuellen Wahrnehmung lag. Wind, Regen und Kälte sprechen andere Sinne an. Insofern war mir das Wetter also zu gut – so absurd das auch klingen mag. Im Kontext mei- ner Suche nach Abenteuer hat es die dafür so wichtige Ungewissheit und Unsicherheit auf ein Minimum reduziert. Nichtsdestotrotz, die Tour und die Tage mit den Jungs haben sich allemal gelohnt – ich freue mich aufs nächste [email protected] same Erlebnis. [email protected] Weitere Informationen und Karten www.nps.gov/yose/planyourvisit/jmt.htm www.tomharrisonmaps.com/ www.onthetrail.org/jmtmaps.html www.muirtrailranch.com/ © Globetrotter Club, Bern Bald wird es ruhiger auf dem Plateau. Aber im späten Abendlicht laufen noch zwei Brüder auf dem Gipfel des Mount Whitney ein. Nach dem Blick auf die Stoppuhr gratulieren sie sich gegenseitig – sie waren vor gerade einmal sechs Tagen und zwölf Stunden im Yosemite Valley gestartet. Zum Bummeln und Ausruhen blieb da sicher nicht viel Zeit. Ich habe die kalifornische High Sierra als einen ganz besonderen Ort mit viel intakter und wilder Natur erlebt. Unzählige imposante Berge, Täler, Seen und Pässe haben wir passiert. Der Trail war konditionell fordernd, und wir haben eine lange Strecke zurückgelegt. Es bleiben vor «Ich war dort.» Ihre Traumreise-Erfüllerin Dunja Kiefer war 795 Tage in Nordamerika unterwegs. Mehr zu Dunjas Reiseerfahrung unter www.globetrotter.ch/dkiefer An 22 Standorten inSOMMER der Schweiz H globetrotter.ch 2015 GLOBETROTTER-MAGAZIN 19 ZUHAUSE UNTERWEGS BLEIBEN Das Globetrotter-Magazin als Geschenküberraschung zu Weihnachten oder zum Geburtstag! Für 35 Franken pro Jahr liegt die Reisezeitschrift für Weltentdecker alle drei Monate im Briefkasten des Beschenkten. Authentische Reisereportagen, Interviews, Essays, News und Tipps sorgen für Inspiration und viel Lesevergnügen. Ein Geschenk, das vier Mal pro Jahr Freude bereitet. mein Reisemagazin Für 35 Franken pro Kalenderjahr liegt das Magazin mit exklusiven Reisereportagen, Interviews, Essays, News und Tipps alle 3 Monate im Briefkasten. 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