Der Tag beginnt in der Imbissbude - Köln

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M EINE S TR A S S E
Der Tag beginnt in der Imbissbude
Von Bernd Schöneck, 03.08.09, 10:54h, aktualisiert 05.08.09, 17:20h
Die Merowingerstraße in der Südstadt verändert ihr Gesicht - seit
einigen Jahren wird sie zunehmend schicker. Während auf der einen
Seite der hektische Chlodwigplatz liegt, stellt sich am anderen Ende,
dem Martin-Luther-Platz, ein mediterranes Lebensgefühl ein.
INNENSTADT Am Anfang fühlte es sich an wie ein Urlaub
in der eigenen Stadt. Als ich vor acht Jahren vom recht
unpersönlichen Büroviertel am Appellhofplatz in die
Merowingerstraße zog, lernte ich das Leben in Köln auf
eine völlig neue Art kennen: Man lebt hier zwar nicht
mehr ganz im Zentrum - von hier aus fährt man bereits
„in die Stadt“, wenn es zum Einkaufen oder Ausgehen
Viele kleine, bunte
Lädchen und einige
Kneipen sind an der
Merowingerstraße
angesiedelt. (Bild: Michael
Bause)
Richtung Rudolfplatz oder Neumarkt geht -, aber ich bin
mit dem Rad in nur knapp zehn Minuten wieder
mittendrin im Party- und Shoppingtrubel. Und zum
Einkaufen muss man die Merowingerstraße meist gar
nicht verlassen: Es ist eine Straße der kurzen Wege;
Läden für den täglichen Bedarf, von Haushalts- und Schreibwaren, Kiosken,
Bäckereien und Metzgereien, Obst- und Gemüse bis hin zu Feinkost oder einer
originellen Geschenkidee gibt es hier alles in bemerkenswerter Vielfalt.
Meine mit zahlreichen Bäumen gesäumte Straße verläuft auf rund 200 Metern
zwischen dem Chlodwigplatz und der Rolandstraße - von dort ist es nur noch ein
Katzensprung bis zum Volksgarten. Dabei hat die Straße eine ganz eigene
Dramaturgie: Eher hektisch und betriebsam geht es am Chlodwigplatz zu, dem
Dreh- und Angelpunkt der Südstadt, wo der Straßenverkehr brummt, sich die
KVB-Bahn geräuschvoll in die Kurve legt und die Betreiber der Restaurants und
Cafés am Kreisel das Ende der Bauarbeiten für die Nord-Süd-Bahn herbeisehnen.
Je weiter man sich aber hiervon entfernt, desto entspannter wird das Bild - bis
zum Martin-Luther-Platz an der gleichnamigen evangelischen Kirche, wo sich
Mittzwanziger-Cliquen mit jungen Familien und Rentnern im Eiscafé entspannen
oder den Tango-Klängen aus der argentinischen Bar lauschen. Ich wohne etwa in
der Mitte - und erlebe somit diesen Merowingerstraßen-Mix jeden Tag aufs Neue
- und höre mittlerweile auch das morgendliche Hupkonzert der zugeparkten
Autofahrer nicht mehr, das mich in der ersten Zeit immer aufwachen ließ. Denn
freie Parkplätze sind hier, wie im größten Teil der Südstadt, rar.
Der Tag in der Merowingerstraße beginnt früh morgens im Imbiss der Metzgerei
Schmidt an der Ecke Vondelstraße, wo viele aus dem Veedel sich bei einem
belegten Brötchen und einem Kaffee treffen - von Bauarbeitern über Angestellte
bis hin zu Managern. Wer weiß - vielleicht holten sich die Bläck Fööss, als sie ihre
„Kaffeebud“ besungen haben, genau hier ihre Inspiration.
Die Charaktere und Originale, die diese Straße ausmachen, leben und arbeiten
zum Teil schon seit Jahrzehnten hier - wie die Kioskfrau Brigitte, die in ihrem
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Laden neben der Mietwagenzentrale täglich bis ein Uhr nachts die Stellung hält
und fast alle im Viertel kennt. Oder Helga Heider, die einen ganz besonders
verspielten und liebevoll dekorierten Blumenladen besitzt und auch den
Bürgersteig mit ihren Pflanzen schmückt - bis mal wieder das Ordnungsamt
anrückt, dessen Mitarbeiter anscheinend mit einem Millimetermaß die Position
der Blumenkübel kontrollieren.
Schon seit einigen Jahren findet ein spannender Wandel in der Merowingerstraße
statt: Das ganze Viertel wird zunehmend schicker - und neben gut verdienenden
Singles ziehen immer mehr junge, meist grün-alternativ angehauchte
Großstadtfamilien her. Die Aufwertung macht sich auch im Straßenbild deutlich
bemerkbar: In der letzten Zeit haben viele kleine Boutiquen eröffnet, etwa für
Schuhmode, Designerklamotten und Einrichtungs-Accessoires - und entsprechend
des demographischen Trends rund um die Merowinger-Meile gibt es in
Fachgeschäften nun auch Babykleidung und -ausstattung sowie Kinderschuhe zu
kaufen. Immer mehr Häuser aus den 1960er Jahren - wie das Gebäude, in dem
ich lebe - wurden renoviert, manchmal wurde auch ein Penthouse aufgestockt. In
der einst mit grau-braunen Fassaden durchsetzten Straße herrschen zunehmend
warme, mediterran wirkende Farben vor. Und irgendwo steht immer ein
Baugerüst - wie derzeit an der denkmalgeschützten alten Feuerwache um die
Ecke, die zu einem Büro- und Gastronomiehaus umgebaut wird. Kulturell steht
hier eine große Neueröffnung bevor: Die „Comedia Colonia“ wird demnächst aus
dem Severinsviertel in den Seitenflügel dieses Gebäudes in der Vondelstraße
umziehen.
Einmal im Jahr, in der „fünften Jahreszeit“, läuft die Merowingerstraße schließlich
zu ganz großer Form auf: Die Südstadt-Kultkneipe „Filos“, die mexikanische
„Taquería Especial“, der Spanier „Mar y Sol“ und die Kölschkneipe „Melodium“
verwandeln den Platz direkt vor meiner Tür zu einem Hotspot der Jecken mit
Schunkelmusik und Remmidemmi. Wer hier während der tollen Tage nicht an die
Nordsee geflüchtet ist, muss einfach mitfeiern - bis dann in der Nacht auf
Aschermittwoch, begleitet von hunderten Leuten, Schülern aus dem Veedel und
Musikgruppen, unter lautem Wehklagen der Nubbelzug die Straße entlang zieht
und Pfarrer Hans Mörtter aus der Lutherkirche seine pointierte Nubbelrede hält.
Und dann, beim letzten Kölsch der Session denke ich: Meine Südstadt, meine
Merowingerstraße - hier lebe ich, hier will ich sein.
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