Zwischen Fremde und Heimat
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Zwischen Fremde und Heimat
Bahnhof. Die Züge Fahren ab, die Züge kommen an. Ich bin eine Nachtigall, ich singe hier auf dem Baum. Es gingen viele, viele Jahre vorbei. Der Bauer kam mit seinem Esel Merlin Christophersen, K2 Modul des Deutschstudiums, Roskilde Universität Wintersemester 2010/2011, betreut durch Klaus Schulte aus Alamania. Der Bauer war nicht mehr zu erkennen. Die Hälfte seines Gesichts war gelähmt, weil die faschistischen Türken ihn geschlagen hatten. Statt seiner schönen Haare hatte er jetzt eine Glatze. Er trug eine Brille, einen Diplomatenkoffer und einen dunkelblauen Anzug. Sein Kopf war mit einer Bandage umwickelt. Sein Esel trug die alten Sachen vom Bauern, auch seine schöne rote Weste. Und er hatte eine Rote Trinkernase bekommen. Auf seinem Rücken schleppte er viele Geschenke. Das Minarett Bekam ein Tonband. Man sah den Hodscha nicht mehr. Der Ezan ertönte aber in der falschen Geschwindigkeit. Eine Frau saugte Staub. Die Maschine zog an ihren langen Haaren. Ein uralter Mann trocknete mit einem Haarföhn seinen Bart, den er am Brunnen wieder und wieder naßmachte. Eine Waschmaschine arbeitete. Ein Kind Zwischen Fremde und Heimat wollte seine Katze auch in der Maschine waschen. »Voriges Jahr fand ich eine Laus auf meinem Kragen, ich habe sie für Allah auf ihrem Platz gelassen. Sie hungert aber noch heute.«-Er meinte, daß er so arm sei, daß KleiderSevgi nicht mal eine Laus ernähren Diasporaerlebnisse inseine Emine Özdamars könnten. »Hey, Aga, Augen beißen dich irgendwoher.in Aber woher?« Damit „Karagöz inmeine Alamania Schwarzauge Deutschland“ meinte er, er kenne ihn irgendwoher. »Mein 25-Bauer steigt in den Bus, zwischen Wohnheim und Fabrik, und notiert, wo er jeden Tag aussteigen muß, und trotzdem steigt er falsch aus. Warum? Weil er ›Haltestelle‹ aufgeschrieben hat. Mein Honig. Sollen wir also eingestehen, was wir durch Sehen wahrnehmen oder durch Hören, daß wir alles dieses auch zugleich verstehen? Zum Beispiel Ausländer, deren Sprache wir noch nicht gelernt haben: Sollen wir leugnen, daß wir die hören, wenn sie darin sprechen? Oder sollen wir sagen, daß wir sie nicht nur hören, sondern auch das verstehen, was sie sagen? Ebenso, wenn wir Buchstaben noch nicht kennen, doch aber unsere Augen auf sie richten: Sollen wir behaupten, daß wir sie nicht sehen, oder daß wir sie auch verstehen, wenn wir sie doch sehen?« Die Türken sprachen in ihrer Sprache, die mit deutschen Wörtern gemischt war, wofür sie in Türkisch keine Worte hatten, wie: Arbeitsamt, Finanzamt, Lohnsteuerkarte, Berufsschule. Ein gestandener Gastarbeiter sprach: »Sonra Dolmetscher geldi. Meisterle konustu. Bu Lohn steuer kaybetmis dedi. Finanzamt cok fena dedi. Lohnsteuer yok. Bombok. Kindergeld falan alamazsin. Yok. Aufenthalt da yok. Fremdenpolizei vermiyor. Wohnungsamt da yok diyor. Arbeitsamt da Erlaubnis vermedi. Ben oglani Berufschule ye gönderiyorum. Cok Scheiße bu. Sen krankami ciktin.« »Verstehe ich etwas von Schmuck und Kopftuch? Verstehe ich nicht! Aber ich liebe mein Kopftuch. Ich nikis verstehen, was wollen türkische Arbeitsvermittlungs-Gastarbeiterhandbuch von meinem Kopftuch.« Neben meinem Betreuer, Klaus Schulte, danke ich besonders Jan Niermann und Duncan Paterson für ihre Unterstützung im Entstehungsprozess dieser Arbeit. - Merlin Christophersen, Dezember 2010 Anmerkung zum Titelblatt: Die Zitate sind aus Özdamars „Karagöz in Alamania Schwarzauge in Deutschland“ (2006). Das Nachtigallmotiv ist ein Design von Miyo Mori (http://www.miyo-mori.com/, letzter Zugriff am 16.12.2010). Inhaltsverzeichnis BEMERKUNGEN ZUM SOZIALEN KONTEXT UND ANALYTISCHEN RAHMEN 3 EINLEITUNG ZUR INTERTEXTUELLEN EINBETTUNG DER ERZÄHLUNG EINE KURZE ZUSAMMENFASSUNG ZUM POLITISCHEN KONTEXT ZUM ANALYTISCHTHEORETISCHEN RAHMEN ZUR ANWENDUNG POSTKOLONIALER THEORIEN 3 5 6 7 13 17 ERZÄHLSTRATEGIEN: IMPLIKATIONEN VON GATTUNG, STIL UND SPRACHE 22 GATTUNGSBRÜCHE ALS IDENTITÄTSREFLEXIVE ERZÄHLSTRUKTUR EIN VERFLECHTEN VON MÄRCHEN UND DRAMATIK ANLEHNUNG AN DAS KARAGÖZSCHATTENTHEATER EINE POSTMODERNE, ODER EINE POSTKOLONIALE ÄSTHETIK? ZUR KOMÖDIE UND MIMIKRY: IRONISCHE WIEDERGABE VON STEREOTYPEN ERZÄHLPOSITIONEN, SPRACHE UND ÜBERSETZUNGSPROBLEMATIKEN 22 24 30 35 37 42 THEMATISCHE ANALYSE: NATION, NOMADEN (NICHT)DAZUGEHÖREN 51 NATIONALE VORSTELLUNGEN UND IHRE PROBLEMATIKEN TRANSNATIONALE IDENTITÄTEN PERSPEKTIVEN DES NOMADENDASEINS AUF DEN SPUREN DER TRAUER 51 58 62 64 KONKLUSION LITERATURVERZEICHNIS ANHANG 68 DEUTSCHE ZUSAMMENFASSUNG DÄNISCHES ABSTRACT 73 74 69 73 2 Bemerkungen zum sozialen Kontext und analytischen Rahmen Einleitung Emine Sevgi Özdamars Erzählung „Karagöz in Alamania Schwarzauge in Deutschland“ (1990)1 schildert die Migration eines türkischen Gastarbeiters nach Deutschland und lädt die Leser zur Reflexion über die interkulturellen Begegnungen ein, die durch die Gastarbeitermigration entstanden und fortläufig entstehen. Indem die Erzählung in diesem Kontext eine tiefgehende Berührungsfläche mit Vorstellungen von kollektiven Identitäten – mit unter nationalen, ethnischen, religiösen und sprachlichen – bildet, liegt es nicht fern sie als Teil der gegenwärtigen Debatten um die Ausländerpolitik zu lesen, die sich in der modernen deutschen Geschichte in der sogenannten ‚Ausländerfrage’ kristallisiert: Wie soll die deutsche Politik und Öffentlichkeit auf die stetig anwachsende Zahl von Ausländern – deren Mehrheit Türken bilden – reagieren? Diese Frage findet im gegenwärtigen Ausländerdiskurs leider meist problembetonte Antworten. Ausländer – besonders die mit muslimischem Hintergrund – werden als Problem für die Gesellschaft dargestellt, das als in der Kultur des Anderen fundiert beschrieben wird.2 In den gegenwärtigen Debatten wird so ein organisches Kulturverständnis begründet, das die christlich-jüdischen Wurzeln der deutschen Identität hervorhebt, sie als Leitkultur begründet und eine Kluft zur Identität des Anderen – einer angenommenen muslimischen Identität – beschreibt und festzuschreiben versucht.3 Die eigene Identität stützt sich hier auf die Imagination einer gemeinsamen Sprache, Geschichte und Kultur, die alle im organischen Sinne als abgrenzbare Phänomene verstanden werden. In „Karagöz in Alamania Schwarzauge in Deutschland“ scheint ein anderes Kulturverständnisses vorherrschend. Kulturelle Unterschiede werden als verschiedene Die hier angewandte Ausgabe ist eine Neuauflage von 2006. Insgesamt ist das Buch in vier Auflagen erschienen. 2 Für ein aktuelles Beispiel für dieses Kulturverständnis siehe man Thilo Sarrazins Buch Deutschland Schaft Sich Ab – Wie wir unser Land aufs Spiel setzen (2010), in welchem Türken kategorisch stark kritisiert und genetisch kategorisiert werden. Sarrazin hat mit seinem Buch bundesweite Debatten initiiert. Christian Geyer nennt etwa das Buch in der Frankfurter Allgemeine Zeitung „ein antimuslimisches Dossier“ (Geyer). 3 Z.B. spricht CSU-Chef Horst Seehofer in der Integrationsdebatte von dem „Fundament der Werteordnung unseres [deutschen] Grundgesetzes und unserer deutschen Leitkultur, die von den christlich-jüdischen Wurzeln und von Christentum, Humanismus und Aufklärung geprägt ist” („Seehofer legt Sieben-PunktePlan nach“, Focus 16.10.2010). 1 3 kulturelle Praxen beschrieben, die verändert werden können und auch im Laufe der Erzählung verändert werden. Somit wird hier dem organischen ein konstruktivistisches Identitäts- und Kulturverständnis, das Kultur als Performance versteht, entgegengesetzt. Damit werden auch die aufgeworfene Frage der kollektiven Identitäten problematisiert: Es wird die Frage der Dazugehörigkeit aufgeworfen; was ist eigentlich Deutsch und Türkisch? Damit wird im Ausländerdiskurs einer Minoritätsposition Ausdruck gegeben, die das Potential besitzt, die Grundvorstellung der Majorität – die vorgegebene Vorstellung von nationaler Identität – zu erschüttern. Es ist in dieser Arbeit mein Vorhaben, dieses Potenzial in „Karagöz in Alamania Schwarzauge in Deutschland“ zu analysieren, um zu zeigen wie dieser Text kulturellen Klüften ‚entgegenarbeiten’ und interkulturelles Verständnis fördern kann. Hier geht es in anderen Worten darum, einem sozioökonomisch wie kulturell gesehenem hegemonialen Gefälle entgegenzuarbeiten, wo die Majoritätskultur durch Prozesse der Alterität subalterne Subjekte konstruiert. Solchen Subjektivierungsprozessen wendet sich die postkoloniale Theorie zu, die ein kritisches Neudenken des Verhältnisses zwischen (ehemalig) Kolonisierten und Kolonisierenden repräsentiert. Dabei wird versucht hegemoniale Diskurse zu dekonstruieren und Minoritätsperspektiven Ausdruck zugeben. Den deutsch-türkischen Begegnungen liegt zwar kein (ehemaliges) Kolonialverhältnis zu Grunde, dennoch zeigen sich aber auch hier Alteritätsprozesse die durch eine von postkolonialer Theorie inspirierte Perspektive aufschlussreich zu analysieren sind. Eine solche postkoloniale Perspektive, mit Ausgangspunkt in Homie K. Bhabhas und Stuart Halls Ansätzen, soll dieser Arbeit so als Inspiration und als theoretischer Leitfaden dienen, um sich der Analyse zu widmen wie die Erzählung gegen festgeschriebene Vorstellungen von Identität und Zugehörigkeit anschreibt. 4 Zur intertextuellen Einbettung der Erzählung Als dritte unter vier weiteren von Özdamars Erzählungen in der Erzählsammlung Mutterzunge (1990)4 – die sich insgesamt mit türkischen Diasporaerlebnissen in Deutschland beschäftigt – sticht „Karagöz in Alamania Schwarzauge in Deutschland“ als längste Erzählung hervor, die zudem als einzige ohne weibliche Hauptperson auskommt. Während die anderen drei Erzählungen die Erlebnisse von türkischen Migrantinnen und Gastarbeiterinnen schildern, die sich bereits in Deutschland befinden, wird in „Karagöz in Alamania Schwarzauge in Deutschland“ die Geschichte eines jungen türkischen Bauern erzählt. Dieser bricht aus der Türkei auf, um als Gastarbeiter im deutschen Wirtschaftswunder seinen Wert als Arbeiter zu erhöhen. So schildert die Erzählung nicht nur ein Resultat der türkischen Diaspora, sondern einen die gesamte Gastarbeitermigration durchziehenden Diasporaprozess. Die Schilderung dieses Diasporaerlebnisses lehnt sich eindeutig an Özdamars Theaterstück Karagöz in Alamania (1982)5 an, aus dem die Dialoge mit kleinen Variationen direkt übernommen wurden. Da das Theaterstück wiederum von einem Brief eines türkischen Gastarbeiters inspiriert ist (vgl. Özdamar et al. 46f), kann „Karagöz in Alamania Schwarzauge in Deutschland“ als die einzige Erzählung in Mutterzunge verstanden werden, die sich an einem konkreten Diasporaerlebnis orientiert, das allerdings nicht in der Biographie der Autorin verortet werden kann. Diese Beobachtung kann auch die männliche Hauptperson erklären, da die weiblichen Hauptpersonen der drei anderen Erzählungen, als teils autobiographische Erlebnisse der Autorin ausdrückend, angesehen werden können. Özdamar kam selbst 1965 als 19-jährige ohne Deutschkenntnisse nach West-Berlin, wo sie auch Erfahrungen als ‚Gastarbeiterin’ in einer Fabrik sammelte.6 Der Name der Erzählung, wie der des Theaterstücks fordern des weiteren zur Assoziation mit der Karagöz-Schattenspieltradition auf, auf die ich im Abschnitt „Anlehnung an das Karagöz-Schattentheater“ noch eingehen werde. Die anderen Erzählungen sind „Mutter Zunge“, „Großvater Zunge“ und „Karriere einer Putzfrau Erinnerungen an Deutschland“. 5 Das Stück wurde 1982 geschrieben und hatte seine Erstaufführung im Frankfurter Schauspielshaus 1986. 6 Besonders „Mutter Zunge“ und „Großvater Zunge“ schildern die (auch sprachlich initiierte) Auseinandersetzung mit der deutschen Sprache, wie auch das Verhältnis zu dem Phänomen der Muttersprache, welches hier weitgehend als phantastische Vorstellung kritisiert wird. „Karriere einer Putzfrau Erinnerungen an Deutschland“ beschäftigt sich des weiteren auch konkret mit der Arbeitserfahrung einer Gastarbeiterin. 4 5 Das Özdamar auf Deutsch schreibt, obwohl Deutsch für sie eine erlernte ‚Fremdsprache’ ist, bewirkt einerseits, dass sich ihre Texte in eine deutsche Literatur einbetten, und andererseits, dass die Texte auch als erlebnisbildene Räume verstanden werden können, welche die Vorstellung von Gastarbeiteridentitäten als Teil eines deutschkulturellen Identitätskontextes ermöglichen. Letztere Annahme beinhaltet auch eine Reorientierung von deutscher Nationalidentität. Diese Arbeit verfolgt einen Ansatz, der Literatur als Quelle von Identitätsbildung versteht. Zu Beginn soll jedoch nun ein kurzer Überblick über die Erzählung gegeben werden. Eine kurze Zusammenfassung In „Karagöz in Alamania Schwarzauge in Deutschland“ werden die Leser einem armen Bauern vorgestellt, der in seiner Heimat – einem kleinen türkischen Dorf – mit seiner schwangeren Frau, seinem Onkel und einem Esel lebt. Am Anfang der Erzählung hat die Frau des Bauern einen vorhersehenden Traum, in dem sie erfährt, dass der Bauer nach Deutschland gehen wird, um dort 25-mal so viel Geld zu verdienen, wie es für einen Bauer in der Türkei möglich ist. In ihrem Traum sieht sie den Bauern auf des Nachbarn Apfelbaum, um dort, von Armut getrieben, Äpfel zu klauen. Nach dem Traum bereitet sich der Bauer, von seinem Onkel unterstützt, auf seine Deutschlandreise vor. Auf die Reise nimmt er aber statt seiner Frau seinen Esel mit, der wie sich zeigt, sprechen kann und oft auf lyrische Weise philosophische Gedanken äußert. Auf ihrem Weg begegnen den beiden verschiedene, teils mystische, Charaktere, wie z.B. ein Schatzgräber, ein Musiker sowie ein hinterhältiger Urinverkäufer. Dazu treffen sie auf einen Löwen und später auf zwei Grabsteine, die auch in teils lyrischer Sprache gesellschaftskritisch philosophieren. Später erreichen die zwei Reisegefährten Deutschland, wo der Bauer zu arbeiten anfängt und der Esel Rotwein zu trinken. Seinen Lohn schickt der Bauer zurück ins Dorf, indem sein Onkel für ihn eine Apfelbaumplantage anpflanzt und verwaltet. Der Bauer vermisst aber schon bald die Türkei und seine Frau, und kehrt in die Türkei zurück um seine Frau nach Deutschland zu holen. Hiernach folgen viele Jahre in Deutschland, in denen die Frau des Bauern, stetig zwischen der Türkei und Deutschland hin- und herreist, wieder schwanger wird und Kinder gebärt. Während dieser Zeit wechselt der Bauer ständig 6 seine Arbeit, verdient mehr Geld und fährt in den Ferien in sein Heimatdorf, wo seine Plantage stetig wächst. Er hat immer wieder Heimweh, und trotz vieler Versuche scheint er sich in Deutschland nicht richtig zurechtfinden zu können. Langsam werden sowohl der Bauer wie auch der Esel politisch bekehrt. Der Esel liest Marx, der Bauer orientiert sich ebenfalls politisch links und wird dafür sowohl in Deutschland wie in der Türkei von türkischen Faschisten verprügelt und niedergestochen. Zum Ende hin zerstreitet der Bauer sich sowohl mit seiner Frau – der er eine Affäre mit seinem Onkel vorwirft, während er selbst in Deutschland nach Affären sucht – wie mit dem Esel, den er schlägt. Der Bauer – der nun 125-mal so viel verdient wie ein Bauer in der Türkei – ist zuletzt in seinem Dorf völlig entfremdet; er ist zwar politisch links, ist aber zum Großgrundbesitzer geworden und tritt in Jackett und mit Aktenkoffer auf. So scheint er im Dorf nicht mehr zugehörig. Dies drückt sich darin aus, dass der Bauer sowohl von seiner Apfelbaumplantage, wie auch vom Esel verschmäht wird. Indem der Bauer am Ende der Erzählung seinem jüngerem Alterego begegnet, wird die bisherige Chronologie der Erzählung erschüttert. Der Esel geht zuletzt mit dem jüngerem Bauern weg, während der Bauer mit seiner Frau und Kindern zurück nach Deutschland fährt. Zum politischen Kontext An dieser Stelle will ich einen Überblick über die Gastarbeitermigration und ihre auf deutsche Nationalidentität einwirkende Folgen bis in die deutsche Gegenwart geben. Dabei sollen auch gegenwärtige Diskurse über die mit dieser Migration zusammenhängenden „Ausländerfrage“ (vgl. Herbert 9) analysiert werden. In Geschichte der Ausländerpolitik in Deutschland (2000) legt Ulrich Herbert eine detaillierte Analyse der deutschen Ausländerpolitik vor, die auch die Gastarbeiterpolitik einschließt. Auf diese Analyse werde ich mich im Folgenden weitgehend beziehen. Die Gastarbeitermigration wurde vor dem Hintergrund eines Mangels an Arbeitskräften im deutschen Wirtschaftswunder von 1955 bis 1973 politisch unterstützt und mit Anwerbeabkommen in den 1950ern und 1960ern zwischen der Bundesrepublik 7 und sechs südeuropäischen Ländern7 – 1961 mit der Türkei – konsolidiert (vgl. Herbert 202ff). In der Politik wie in der Wirtschaft herrschte in diesen Jahren eine stetige „KostenNutzen-Diskussion“ (Ibid. 229) über die Gastarbeitermigration. Soziale Umstände der Migration – z.B. Lohn- und Wohnraumfragen sowie Einwirkungen auf den Arbeitsmarkt der Anwerbeländer – nahmen vergleichsweise wenig Platz ein. Verstärkt zu Beginn dieser Periode, aber auch darüber hinaus, wurden Gastarbeiter aus Wohnungsmangel und Kostenspargründen in kümmerlichen Verhältnissen zusammengestaucht (vgl. Ibid. 206ff). Als Anfang der 1970er ein Defizit in der Kosten-Nutzen Frage der Gastarbeiter auffiel, beschloss man das Ende der Anwerbeabkommen. Offiziell wurde dieser Beschluss jedoch durch die, durch den Ölboykott ausgelöste, Finanzkrise 1973 begründet (vgl. Ibid. 228f). Zu diesem Zeitpunkt befanden sich knapp 2,6 Millionen ausländische Arbeiter auf dem deutschen Arbeitsmarkt, etwa 600.000 von ihnen waren Türken, die somit die größte Gruppe unter den Ausländern ausmachte (vgl. Ibid. 224). Die Gastarbeiter, besonders die nicht aus dem EG-Mitgliedsland Italien kommenden, hatten einen prekären und wechselnden rechtlichen Status. Am Anfang orientierte sich dieser Status an der Ausländerbeschäftigung vor 1945.8 Erst ab 1965 wurde ein eigentliches Ausländergesetz in der Bundesrepublik eingeführt, das aber die Aufenthaltserlaubnis der Gastarbeiter an deren Arbeitssituation band und so mit einer möglichen Abschiebung durch Verlust der Arbeit drohte (vgl. Ibid. 211ff). Die deutsche Politik und Öffentlichkeit ging von Anfang an davon aus, dass die Gastarbeiter – man sehe hier auch die Beschreibung der Arbeiter als Gäste –, von denen die meisten mit 20 bis 40 Jahren noch sehr jung waren, nur vorübergehend in Deutschland arbeiten würden um später in ihre Heimatländer und zu ihren Familien zurückzukehren (vgl. Ibid. 209). Obwohl viele dies auch taten, blieb dennoch eine signifikante Anzahl über die Jahre in der Bundesrepublik. Diese Gruppe wurde durch Familienzusammenführungen und später Ab 1955 wurden Anwerbeabkommen mit folgenden Ländern in folgender Reihenfolge eingegangen: Italien (1955), Griechenland und Spanien (1960), Türkei (1961), Portugal (1964) und Jugoslawien (1968) (vgl. Herbert 203, 208). 8 Dies bedeutete, dass Staatsbürgerschaft nach dem Abstammungsprinzip gegeben wurde. Viele Kriegsflüchtlinge und Vertriebene aus den Ostzonen, die deutsche Ahnen hatten, bekamen so die deutsche Staatsbürgerschaft (vgl. Herbert 192ff). Die Integrierung von Flüchtlingen in den späten 1940gern und 1950gern, sowie auch das verfassungsmäßige Asylrecht – welches auch zur Integration in Deutschland beitrug – sind spannende Themen, die hier aber nicht weiter verfolgt werden sollen. Für die Gastarbeiterintegration bedeutete die politische Orientierung an der Zeit vor 1945, das die öffentliche Wahrnehmung der Gastarbeiter beeinträchtigte und negativ gefärbt wurde (vgl. Herbert 206). 7 8 durch hohe Geburtenraten noch vergrößert, was zu der heutigen „Präsenz einer signifikanten türkischen Minderheit in der [Bundesrepublik führte]“ (Boran 17).9 Während die Gastarbeiter mit schlechtem Lohn und schlechter sozialer Sicherheit Arbeitsplätze besetzten, die für die deutschen Arbeiter wenig Reizvoll waren, machten sie es für deutsche Arbeiter möglich, sich für andere Positionen zu qualifizieren (vgl. Herbert 213). So entwickelten sich die Gastarbeiter, nach Herbert, zu einem „Subproletariat“ (Ibid. 214) in der deutschen Gesellschaft. In „Karagöz in Alamania Schwarzauge in Deutschland“ kann in der marxistischen Orientierung des Esels, sowie in der Beschäftigung des Bauern, eine Anspielung auf diese soziale Position der Gastarbeiter gesehen werden, die zu der kulturellen Kluft eine soziale Kluft beifügt. Neben der Teilung und Wiedervereinigung hat sich Deutschland auch durch die Gastarbeiterimmigration seit dem Ende des Zweiten Weltkrieges durchgehend verändert.10 Dies allein fordert schon eine Neuorientierung von Vorstellungen der nationalen Identität, die sich auf das Zusammenleben in einer multikulturellen Gesellschaft beziehen muss. Leider scheint derzeit in Deutschland die abstrakte Idee einer ‚Leitkultur’ im politischen Diskurs über die eines ‚Multikulti’-Zusammenlebens zu stehen.11 So scheint eine kollektive Angst vorzuherrschen, dass die eigene Kultur von fremden Kulturen wie der türkischen überwältigt werden könnte. Dieses Phänomen von der Todesangst der eigenen Kultur, die von einer Fremdheit überschwemmt, verändert und letztlich vernichtet werden könnte, beschreibt Kevin Robins in „Interrupting Identities: Turkey/Europe“ (1996) als ein generell europäisches Phänomen, in dem eine historisch verwurzelte kollektive Angst vor dem nicht-europäischen, oft islamischen Anderen Ausdruck findet (vgl. Robins 66). Wie eine solche Angst in der deutschen Bevölkerung an Ausbreitung gewinnt, zeigt die kürzlich erschienene Studie der Friedrich-Ebert-Stiftung Die Mitte in der Krise (2010), die das Aufblühen rechtsradikaler Strömungen in der politischen Mitte beschreibt.12 Im Jahre 1998 waren etwa 2,1 Million Türken, die somit 28,8% der in Deutschland lebenden Ausländer – hier wird von der juridischen Definition der Staatsangehörigkeit ausgegangen – ausmachten (vgl. Herbert 290). 10 Dazu kommen natürlich auch die Immigranten die besonders seit der Wende als Flüchtlinge nach Deutschland kommen (vgl. Herbert 232ff). 11 So spricht sich etwa CSU Chef Horst Seehofer für die Idee einer undefinierten deutschen „Leitkultur“ aus, während er die Politik des Multikulturalismus – welcher hier als ein Zusammenleben in Verschiedenheit verstanden wird – als „tot“ erklärt. Auch Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) erklärt den Multikulturalismus als „gescheitert“ (vgl. Herzinger). 12 Z.B. kann man in dieser Studie folgendes über Ausländerfeindlichkeit in Deutschland lesen: „Die Eigengruppenaufwertung als Deutsche findet ihre Entsprechung in der Abwertung der Fremdgruppen. In der 9 9 Demzufolge scheint es nicht überraschend, dass sich die öffentliche Debatte in Deutschland primär um die Wahl zwischen Integration – die hier eher als Assimilation, also als Anpassung, verstanden werden muss – oder Ausschließung von Ausländern dreht (vgl. Mandel 61). In der aktuellen politischen Situation besteht also für Ausländer die Wahl zwischen einem Beitreten zu einer deutschen ‚Leitkultur’, oder eines geographischen Zurückgehens an den Ort, wo man herkommt.13 Diese Wahl beruht auf der schon einleitend angemerkten organischen Kulturvorstellung, die ein Volk natürlich an eine bestimmte Nation – einen bestimmten Ort der Heimat – bindet.14 In dieser Auffassung ist auch die Vorstellung einer kulturellen Dichotomie vorherrschend, welche die identitätsstiftenden Unterschiede zwischen deutscher/westlicher und türkisch/islamischer Kultur als global und modern gegenüber lokal und traditionell hervorhebt (vgl. Littler B 221). Diese Gegenübersetzung ist auch, wie ich später noch eingehender ausführen werde und wie Erol M. Boran auch in seiner Dissertation Eine Geschichte des TürkischDeutschen Theaters und Kabaretts (2004) anmerkt, als eine Exotisierung von türkischer Kultur zu verstehen, welche Türken als subalterne nichtdazugehörige Subjekte konstruiert und generalisierend klassifiziert. Vorstellungen von Dazugehörigkeit und Nichtdazugehörigkeit sind äußerst problematisch. Dies zeigt schon die juridische Definition von Ausländern. Erst im Jahre 2000 wurde eine Gesetzgebung über die Staatsangehörigkeit geändert, so dass nun neben „dem Abstammungsprinzip auch das Geburtsprinzip“ gilt, „das den Erwerb der Staatsangehörigkeit mit dem Geburtsort verknüpft“ (Boran 26). Damit wurde den in Deutschland geborenen Kindern der Gastarbeitergeneration nun zwar auch die deutsche Staatsangehörigkeit zugesichert, dennoch gibt es aber in Deutschland immer noch juridisch gesehene Ausländer, die in Deutschland geboren sind, und ihr ganzes Leben in der Bundesrepublik verbracht haben (vgl. Ibid. 27). Dazu klassifiziert der Alltagsgebrauch Dimension „Ausländerfeindlichkeit“ finden wir konsequenterweise durchgängig hohe Zustimmungswerte. Hier sticht die extrem starke Befürwortung in Ostdeutschland ins Auge. Gut die Hälfte der ostdeutschen Befragten äußert die Ansicht, dass die „Ausländer“ den Sozialstaat ausnutzen und nur deshalb nach Deutschland kommen. Insgesamt bewegt sich die Zustimmung damit im Osten zwischen 40 % und 50 %, während sie im Westen nur geringfügig schwächer ausgeprägt ist und zwischen 30 % und 34 % liegt“ (Decker et al.. 77). Darüber hinaus wird die Feindlichkeit Muslimen gegenüber darin begründet, das 58,4% der Deutschen gerne die Religionsfreiheit von Muslimen eingeschränkt sieht (Ibid. 177). 13 Das diese Annahme auch in der Bevölkerung Ausbreitung findet, sieht man z.B. in Die Mitte in der Krise, wo gezeigt wird, dass 31,7% der Deutschen der Aussage zustimmen, dass Ausländer in ihre Heimat zurückgeschickt werden sollten, wenn in Deutschland Arbeitsplätze knapp werden (vgl. Decker et al.. 78). 14 Ein Ort in dem das Volk zuhause ist, andere aber Fremd sind. 10 „Menschen unabhängig ihrer Staatsangehörigkeit aufgrund äußerer Merkmale, beziehungsweise hinsichtlich ihres kulturellen Hintergrundes als ’Ausländer’“ (Ibid.). Seit der Erstveröffentlichung von Mutterzunge im Jahre 1990 haben sich ausländerskeptische Diskurse weiterhin verschärft, was auf eine globale Intensivierung der diskursiven Dichotomie zwischen einer ‚Westlichen’ und einer ‚Islamischen’ Welt zurückverfolgt werden kann. Neoliberale politische Diskurse in Europa und den USA, die den Islam als Feind eines liberalen und demokratischen ‚Westens’ beschreiben, haben besonders nach dem Terrorangriff vom 11. September 2001 an Ausbreitung gewonnen. Diese diskursive Entwicklung beschreibt Talal Asad in On Suicide Bombing (2007), wo er jedoch diese Vorstellung – die ebenfalls Samuel P. Huntingtons These vom ‚Kampf der Kulturen’ inspiriert – dekonstruiert. Die islamische Welt und das christliche Europa stehen schon seit eh und je in einem Verhältnis von kulturellem Austausch, Handelsbeziehungen und verschiedenen militärischen Allianzen. Die aktuellen Diskurse – die sich auch auf eine ‚Geschichte der Demokratie’ berufen, die zurückgehend bis zum antiken Griechenland beschrieben wird – sind so durch ein selektives kollektives Gedächtnis geprägt (vgl. Asad 7ff). In einem europäischen Kontext kann dieser Entwicklung auch das islamische Feindbild des von der NATO geleiteten Kosovokrieges im Jahre 1999, sowie die Terrorangriffe in Madrid (2004) und London (2005) zugeschrieben werden. So gewinnt die Neuauflage von Mutterzunge im Jahre 2006, und damit auch „Karagöz in Alamania Schwarzauge in Deutschland“, an erneuter Aktualität. „Karagöz in Alamania Schwarzauge in Deutschland“ scheint einen Standpunkt einzunehmen, der die politischen Diskurse der Dazugehörigkeit herausfordert und solchen diskursiven Verschärfungen entgegenarbeitet. Demnach zeigt sich die Erzählung als Abbildung des nationalen Anderen, der trotzdem dazugehört; eines Fremden im Heimischen. Es ist ein Bild von dem, was sich in der Peripherie des abstrakten imaginativnormativen Raums der nationalen Gemeinschaft befindet, aber sich real in der Mitte des geographischen Raumes der Nation befindet. Die Frage von nationaler und kultureller Dazugehörigkeit wird so durch die Schilderung der Gastarbeiterdiaspora ins Bewusstsein des Lesers gerufen. Somit wird auch die Frage nach nationalem Eigentum gestellt und was eigentlich den identitätsstiftenden Bau der Nation ausmacht. Im Sinne eines traditionellen Kulturbegriffs, wie etwa dem oben dargestellten Leitkulturgedanken, besteht der nationale Raum aus gemeinsamer „Literatur-Sprache-Kultur“ (Lutter et al. 16), die als organische Phänomene und so als natürlich an die Nation gebunden imaginiert werden. Dem 11 entgegen verstrickt sich in „Karagöz in Alamania Schwarzauge in Deutschland“ nicht nur die Geschichte des Bauern, sondern auch die Stilart und Gattung des Erzählung, in polyphonen Ausdrucksformen, die jeden Anspruch auf essentielle Stellungnahme zurückzuweisen scheinen. Identität ist hier, wie wir sehen werden, nichts gegebenes, sondern etwas, das in sozialem und historischem Kontext konstruiert und aufgeführt wird. Die Frage der Dazugehörigkeit ist auch in Bezug auf die Vorstellung einer deutschen Literatur wiederzufinden, in der Literatur von ‚nicht-deutschen Autoren’ prinzipiell eine Nischenrolle zugewiesen wird. In der damaligen Rezeption stieß Özdamar mit Mutterzunge auch auf vehemente Kritik. So schrieb etwa Hermann Kurzke 1990 in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung über die Veröffentlichung von Mutterzunge: Özdamar wäre „eher ein Fall als eine Begabung“ (Kurzke). Zwölf Jahre später schreibt Margaret Littler noch, dass die sogenannte „MigrantInnenliteratur“ 15 in der Germanistik eine marginale Rolle einnimmt und nur in den angelsächsischen „German Studies“ verbreitetes Interesse findet (vgl. Littler A 219). Dazu schreibt Angela Weber in Im Spiegel der Migrationen Transkulturelles Erzählen und Sprachpolitik bei Emine Sevgi Özdamar (2009), dass „[d]urch Kategorien wie Gastarbeiter-, Ausländer-, Migranten-, Exil- oder Deutschlandliteratur [...] Literatur, die in komplexer Weise kulturelle Differenzen artikuliert, aus dem Kanon deutscher Literatur ausgegrenzt [wird]“ (Weber 181). So scheint sich auch in der Germanistik eine Angst vor dem Untergang eigener Kultur zu zeigen. In meinen Nachforschungen bin ich auch hauptsächlich auf englischsprachige Literatur über Özdamar und ihre Werke gestoßen.16 Obwohl Özdamar als die prominenteste Vertreterin der ‚MigrantInnenliteratur’ angesehen wird (vgl. Littler A 219), sind Arbeiten über ihre Werke nicht sehr verbreitet. Es gibt so z.B. nur sehr wenige wissenschaftliche Abhandlungen über „Karagöz in Alamania Schwarzauge in Literatur, die auf Deutsch von ‚Nichtdeutschen’ geschrieben wird, hat viele Definitionen: Margeret Littler spricht von ‚MigrantInnenliteratur’, Lucia Perrone Capano von ‚Interkultureller Literatur’ (vgl. Capano 242) und in Metzlers Deutsche Literatur Geschichte (2001) findet man unter der Überschrift „Literatur aus naher Fremde“ „Begriffe wie »Gastabeiter- und Betroffenheitsliteratur« (H. Weinrich), »Literatur der Fremde« (S. Wiegel) [...] und »Migranten- oder Migrationsliteratur« (H. Rösch)“ (Beutin et al.. 694). Alle diese Begriffe „belegen den Versuch, eine Geschichte literarischer Werke von Autorinnen und Autoren verschiedenster nationaler Herkunft zu benennen, die seit nunmehr fünf Jahrzehnten zur deutschsprachigen Literatur gehört, aber immer noch als »andere« und »erweiterte« deutsche Literatur bezeichnet wird“ (Ibid.). Ich werde mich in dieser Arbeit von solchen Definitionen fernzuhalten versuchen. 16 Hier ist etwa Webers Im Spiegel der Migrationen Transkulturelles Erzählen und Sprachpolitik bei Emine Sevgi Özdamar eine gerngesehene Ausnahme. 15 12 Deutschland“. Diese Arbeit bemüht sich somit der deutschsprachigen wissenschaftlichen Marginalisierung in diesem Gebiet entgegenzuarbeiten. Zum analytisch-theoretischen Rahmen In der Orientierung von „Karagöz in Alamania Schwarzauge in Deutschland“ an einem Theaterstück ist auch die Gattung der Erzählung stellenweise an die Dramatik angelehnt. Dies spiegelt sich in der Struktur wieder, in welcher die Erzählung in neun Szenen bzw. Kapitel aufgeteilt ist, die – bis aufs erste und fünfte Kapitel – alle mit der Unterüberschrift „ES WURDE DUNKEL / ES WURDE HELL“ eingeleitet werden. „Karagöz in Alamania Schwarzauge in Deutschland“ endet nur noch mit dem Text „ES WURDE DUNKEL“. Diese Einteilung kann auf verschiedene Weisen analysiert werden: Die Unterüberschrift kann einfach einen zeitlichen Ablauf durch das Vergehen von Tagen beschreiben, so dass es die Sonne ist, die unter- und aufgeht. Sie kann aber auch auf eine Bühne hinweisen, wo die Erzählung als ein Theaterstück verstanden werden kann, das von den Lesern als Zuschauer betrachtet wird. So wird nach jeder Szene das Licht ausgemacht, welches den Bühnenbildnern erlaubt, unbemerkt die Kulisse und so auch den Ort zu wechseln. Die nomadenhaften Ortswechsel, die in der Erzählung von dem Bauern, dem Esel und seiner Frau unternommen werden, werden so auch vom strukturellen Aufbau der Erzählung unterstützt. Auch liegt hier die Assoziation zum Karagöz-Schattentheater nicht fern, welches im Gebiet der heutigen Türkei im Osmanischen Reich bis zum 18. Jahrhundert weit verbreitet war (vgl. Boran 43).17 Das Karagöz-Schattenspiel ist die bedeutendste türkische Theatertradition, die Boran als höchstwahrscheinlich von Zigeunern entwickelt beschreibt (vgl. Ibid. 41f, 48). Dieses Schattenspiel basiert technisch auf einem Puppentheater, das von einem Puppenmeister vor einer von hinten beleuchteten Leinwand gesteuert wird. Der Zuschauer sieht so nur die Schatten der Figurenpuppen auf der Leinwand (vgl. Ibid. 51). Auch das Hell- und Dunkelwerden kann als auf das bildliche Spiel der Schatten im KaragözSchattentheater hinweisend verstanden werden. In dieser Tradition passiert der ‚Ortswechsel’ plötzlicher, da es keine eigentliche Bühne gibt die erst umgestaltet werden muss (vgl. Boran 42). 17 13 Wir sehen so im Namen der Erzählung, der auch auf die Hauptperson, den Bauern, anspielt, eine Assoziierung mit etwas zigeunerisch Nomadenhaften. Gleichzeitig ruft der Bezug auf das Schattentheater Assoziationen mit Wahrnehmungstäuschungen hervor, welche die von Descartes ausgehende europäische Wissenstradition der von Vernunft geprägten Kognition transzendiert. Denn die Schatten sind hier, wie in Platons Höhlengleichnis, nur Abbilder der eigentlichen Figuren. In einem gesellschaftskritischen Ansatz kann dies als durchgehende Kritik von statischen Wirklichkeitsansprüchen gesehen werden, denn die Realität, welche die Zuschauer sehen (oder in diesem Falle lesen), ist nur ein Schatten einer Wirklichkeit. Dennoch ist sie aber für die Zuschauer real. Dies kann wie ein Paradox klingen, ist aber durch ein Verständnis von Realität als Repräsentation zu erklären. Einen solchen Ansatz beschreibt Stuart Hall in seiner Einleitung „Introduction“ (1997) und „The Work of Representation“ (1997) aus dem Sammelband Representation Cultural Representations and Signifying Practices (1997). Hier ist die Repräsentation der Realität – d.h. die bedeutungsgebende Beschreibung – gleichzeitig auch der konstituierende Moment dieser Realität. Er beschreibt dies folgendermaßen: ”It is by our use of things, and what we say, think and feel about them – how we represent them – that we give them a meaning” (Hall B: 3). Unsere Wirklichkeit ist also, so Hall, ein sprachliches Konstrukt, wo aber Sprache im breiten Sinne auch als z.B. Vorstellungen, Gedanken, Körper und andere kulturelle Produkte und Praxen – als aus Zeichen bestehendes semantisches System – verstanden wird (Hall C 19ff). Dieses Verständnis von Sprache als wirklichkeitskonstruierend, statt nur wirklichkeitswiedergebend, liegt auch dieser Arbeit zugrunde, und wird, in „Karagöz in Alamania Schwarzauge in Deutschland“, auch in der Assoziation mit dem Karagöz-Schattenspiel, gesehen. Die Hauptperson des Schattenspiels, das stets nach einem „einheitlich[en] Konstruktionsschema“ verläuft (Boran 51), ist Karagöz („Schwarzauge“), den Boran wie folgt beschreibt: Sein Äußeres, wie auch sein sprachlicher Ausdruck werden [...] mitunter Zigeunern in Bezug gebracht, was unter anderem seine Unabhängigkeit von kleinbürgerlicher Mentalität betont. Karagöz ist ein fröhlicher Geselle, impulsiv, spontan und von einer schlagfertigen Bauernschläue, die es ihm 14 gestattet, auf scheinbar naive Weise herkömmliche Ordnungen zu hinterfragen. (Boran 49) Diese Charakteristik scheint, wie wir auch noch in größerem Detail sehen werden, sehr gut auf den Bauern in „Karagöz in Alamania Schwarzauge in Deutschland“ zuzutreffen. So kann der Bauer, Karagöz, auch in dieser Erzählung Ordnungen hinterfragen, während die Erzählung an sich genau dies im übertragenen Sinne tut; sie hinterfragt die Ordnung der nationalen Vorstellungen. Im Karagöz-Schattenspiel findet sich dazu eine Gattungsvermischung von „Gedichten, Musik, Volksgeschichten und Miniaturen“ (Boran 48). Dies verleiht einer weiteren Assoziation mit „Karagöz in Alamania Schwarzauge in Deutschland“ Ausdruck, da auch diese Erzählung Gattungsarten vermischt. So enthält sie Elemente des Märchens, der Lyrik und, wie erwähnt, der Dramatik. Die Handlung, die auf das performative Element der Identitätskonstruktion aufmerksam macht, findet damit Resonanz in der Verknüpfung von Gattungen in der Erzählung. Dies werde ich auch im Abschnitt „Gattungsbrüche als identitätsreflexive Erzählstruktur“ eingehender analysieren. Eine solche Verknüpfung scheint für Özdamars Texte typisch zu sein. In diesem Zusammhang schreibt auch Lucia Perrone Capano in „Sprachfremde and Fremderfahrung as Acoustic and Visual Experience in Works by Yoko Tawada and Emine Sevgi Özdamar“ (2007) über Özdamars Texte, dass sie auf des Lesers Wahrnehmungsvermögen Einfluss nehmen: The structuring of recognizable and classifiable genres is replaced [...] by forms of perception and consciousness that go beyond mere non-formalization, in which the time of existence coincides with that of reading and/or writing. (Capone 243) Die Vermischung der Gattungen kann so als eine Wiedergabe von Auffassungs- und Bewusstseinsmodi gelesen werden, die mit traditionellen Erzählmustern brechen und gleichzeitig identitätsstiftend auf die mit dem Text sich auseinandersetzenden Personen einwirken. Diese Modi können in dem hier gegebenen Argument somit als eine identitätsstiftende Komponente beinhaltend beschrieben werden, die in Texten wie „Karagöz in Alamania Schwarzauge in Deutschland“ eine Reorientierung der nationalen 15 Vorstellung fordern und Identitätspositionen zwischen den kulturellen und nationalen Sphären zu öffnen scheinen. Auch im sprachlichen Stil gibt die Ehrzählung eine Reorientierung vor. Die Aufführung des türkischen Diasporaerlebnisses in Deutschland wird auch sprachlich als ein solches unterstützt. Özdamar schreibt zwar alle ihre Werke auf Deutsch, jedoch schreibt sie in einem sehr kreativen, virtuosen und unkonventionellen Deutsch, da sie Redewendungen teils vom Türkischen und teils vom Arabischen ableitet, aber auch religiöse Koranverse mit profaner, manchmal vulgärer Sprache vermischt (vgl. Roy). Özdamars Sprache ist demnach, so Weber, Ausdruck einer „irreduziblen Mehrsprachigkeit“ (Weber 181), die einen entfremdenden Effekt auf ihre deutschen Leser hat. Indem die Schreibweise auf eine Zukunft hinweist, wo Mehrsprachigkeit nicht nur Realität geworden,18 sondern auch eine anerkannte Realität geworden ist, werden die Perspektiven der Leser durch das Lesen erweitert (vgl. Ibid.). Mit Ausgangspunkt in einer, von Derrida inspirierten, poststrukturalistischen Sprachphilosophie, beschreibt Weber so Özdamars Sprachgebrauch als einen „‚Ort’ zwischen den Sprachen“ (Ibid. 188), der auf den in ihrer deutschen Schreibweise liegenden Verlust ihrer Muttersprache hindeutet und gleichzeitig eine Vorstellung von in sich geschlossenen Sprachen kritisiert. Sprachen sind demnach immer in Bewegung und in Veränderung. Als Beispiel nennt sie hier aus Mutterzunge Özdamars Gebrauch von „der Metapher der ‚gedrehten Zunge’ [die] auf das türkische Verb ‚cervimek’“ anspielt, „welches ‚drehen’, ‚wenden’, ‚übertragen’ und ‚übersetzen’ bedeuten kann“ (Ibid.173), womit sie auch auf die Unmöglichkeit von Eins-zueins-Übersetzungen von Sprachen hindeutet: Sprache ist demnach „immer schon übersetzte Sprache“ (Ibid.).19 Der Mehrsprachigkeit in „Karagöz in Alamania Schwarzauge in Deutschland“ wende ich mich im Abschnitt „Ehrzählpositionen, Sprache und Übersetzungsproblematiken“ eingehender zu. So findet sich in der Erzählweise eine Polyphonie von Stimmen, die durch den Sprachgebrauch und die Gattungsvermischung unterstützt, sehr verschiedene Versionen von Erlebnissen von Exil, Fremde und Diaspora geben. Die Stimmen geben somit auch In der Bundesrepublik, so schätzen Ingrid Gogolin und Hans Reich, lebten schon 2001 um die 10 Millionen ‚nichtdeutschstämmige’ bi- oder multilinguale Personen, die sowohl Deutsch wie mindestens eine andere Sprache verwenden (vgl. Gogolin et al.. 193). 19 Diese Argument könnte man in der Verknüpfung von Kultur und Sprache auch analog zur Kultur führen, dass also Kultur immer schon vom dem mit der Kultur sich auseinandersetzendem Individuum ‚übersetzte’ Kultur ist und nicht als einheitliche Sphäre angesehen werden kann. 18 16 ihre erlebnisbezogenen Versionen davon preis, was Deutsch und Deutschland (auch) ist. Es sind Versionen, die von ihren marginalisierten Positionen aus kontrastierende Bilder der vorgestellten nationalen Gemeinschaft zeichnen. Zur Anwendung postkolonialer Theorien Sowohl die beschriebenen sprach- wie auch die gattungsbezogenen Komponenten von „Karagöz in Alamania Schwarzauge in Deutschland“ scheinen die Normen des Schreibens zu erschüttern und damit erschüttern sie auch die narrative Struktur von Nation und Identität, die im öffentlichen Raum erzählt werden. Dieses Argument soll hier in Bezug auf postkoloniale Theoriebildung erläutert werden. Der Stil der Erzählung wirkt neckisch, an die Komödie und das KaragözSchattentheater angelehnt und teils parodierend, wo besonders die Gastarbeiter und die türkische Landbevölkerung Ziel der Parodie werden. Dies wird auch im Abschnitt „Zur Komödie und Mimikry: ironische Wiedergabe von Stereotypen“ näher analysiert. Die stilistischen Merkmahle sowie der Bruch mit den sprachlichen und gattungsbezogenen Konventionen erinnert stark an eine Form des ambivalenten Konzept der Mimikry, für das Homi Bhabhas „Of Mimicry and Man: The Ambivalence of Colonial Discourse“ (1984) ein grundlegender Text ist. Im Konzept von Mimikry haben subalterne Subjekte das Potenzial gegen die hegemoniale Dominanz der Kolonialmächte durch ein ‚Zurückschreiben’ anzugehen, in dem sie die herrschenden Diskurse für sich einnehmen und sprachlich unscheinbar verändern. Es entsteht ein Nachäffen des dominanten Diskurses, das diesen erschüttert und in den hierdurch entstehenden Spalten das fremde Element des diskursiven Anderen durchscheinen lässt. Die britischen Literaturtheoretiker Bill Ashcroft, Garett Griffiths und Helen Tiffin beschreiben in Post-Colonial Studies – The Key Concepts (2000), in Bezug auf Bhabha, den Prozess von Mimikry in folgender Weise: When colonial discourse encourages the colonized subject to ‘mimic’ the colonizer, by adopting the colonizer’s cultural habits, assumptions, institutions and values, the result is never a simple reproduction of those traits. Rather the result is a ‘blurred copy’ of the colonizer that can be quite threatening. This is 17 because mimicry is never very far from mockery, since it can appear to parody whatever it mimics. (Ashcroft et al. 139) Sehen wir also bestimmte Arten des Schreiben von kolonisierten Subjekten als Mimikry, also als ein störender Moment im dominanten Diskurs der kolonialen Hegemonie, so sehen wir gleichzeitig Literatur als eine hochpolitische Institution die in einen Ideologiekampf eingeht. Aber können wir überhaupt die Schilderung des deutschen Diasporaerlebnisses aus Sicht eines türkischen Bauern in das Schema einer postkolonialen Perspektive der Mimikry eingliedern? Diese Frage wird eindeutig von einer weiteren Frage begleitet, die ich aufdecken möchte, was Kolonisierung und das Postkoloniale eigentlich ist: Wie verstricken sich Machtverhältnisse in den komplexen hegemonialen Verhältnissen zwischen (ehemalig) Kolonisierenden und Kolonisierten und ist ein solches Verhältnis überhaupt in den deutsch-türkischen Beziehungen wiederzufinden? Hall argumentiert in „When was ‘The Post-Colonial’? Thinking at the Limit“ (1996), dass der Begriff Postkolonial sowohl das historische Ende der Kolonialzeit bedeuten kann – das sich, wie auch argumentiert wird, in jeder postkolonialen Gesellschaft anders ausmacht (vgl. Hall F 245) –, aber auch ein Neudenken beinhaltet. Wie Hall schreibt, ist die Kolonialzeit, wie auch die Zeit danach, Ausdruck einer gewissen Geschichts-Erzählung, die Geschichtsschreibung nach gewissen normativen, wertbetonten und theoretischen Kodexen inszeniert: ‘Colonialism’ refers to a specific historical moment (a complex and differentiated one, as we have tried to suggest); but it was always also a way of staging or narrating a history, and its descriptive value was always framed within a distinctive definitional and theoretical paradigm. (Hall F 253) Die Definitionsmacht lag in der Kolonialzeit bei den Kolonisierenden. Da es unklar scheint, ob die koloniale Definitionshegemonie nicht immer noch in den (post-)kolonialen Beziehungen wiederzufinden ist, könnte man argumentieren, dass Geschichte – wie auch wissenschaftliche Theorie und somit Definitionen der Realität – auch heute aus ‚westlicher’ Perspektive geschrieben wird (vgl. Connell; vgl. Coronil). Die Mächtigen schreiben die Geschichte, wobei Geschichtsschreibung sich in einer foucaultschen 18 Macht/Wissen-Relation verankert. Das postkoloniale (Neu)Denken, die postkoloniale Theorie, ist dann in diesem Sinne ein Bruch mit den Normen, Werten und Theorien der Kolonialzeit, welches auch ein Neuschreiben der Geschichte und somit der Identität aus anderen, eher marginalisierten Perspektiven beinhaltet. Mit anderen Worten ist der postkoloniale Ansatz Ausdruck einer Kritik an hegemonialen Diskursen, die sich darin auszeichnen, dass sie subalterne Subjekte (re-)konstruieren. Hierzu können wir z.B. kapitalistische und imperialistische Diskurse zählen. Auch Deutschland hat eine koloniale Geschichte. Jedoch war die Türkei, die bis 1923 Zentrum des Osmanischen Reichs war, nie von Deutschland annektiert. Sie stand vielmehr mit Deutschland in politischer Verbindung. Das Osmanische Reich kämpfte so im Ersten Weltkrieg mit dem Deutschen Reich verbündet auf der Seite der Mittelmächte. Die historische Perspektive zeigt demnach, dass Deutschland im klassischen Sinne nicht als Kolonialmacht gegenüber der Türkei angesehen werden kann. Dennoch lässt sich, wie Boran anmerkt, „die Methode westlicher Kolonialmächte“, die „ihre östlichen Territorien unter Absolutsetzung eigener Werte und Maßstäbe als zivilisatorisch retardierte, defektive Welten“ kodifiziert (Boran 23f), auch im Verhältnis zwischen der Türkei und Deutschland auffinden. Wenngleich „sich in diesem Fall [auch] die ’Koloniesituation’ anders, nämlich als innerhalb der Grenzen des eigenen Landes lokalisiert, darstellt“ (Ibid. 24). Es dreht sich in anderen Worten nicht so sehr um die Frage, ob ein geographisches Gebiet einst von einer nationalen Macht annektiert worden ist oder nicht, sondern vielmehr um die Machtprozesse, die als Ausdruck eines hegemonialen Verhältnisses die Wirklichkeit der Begegnung zwischen Menschen verschiedener kulturellen Hintergründe konstruieren. In den deutsch-türkischen Begegnungen können so unterdrückende Definitions- und Subjektivierungsprozesse wiedergefunden werden, die denen der kolonialen Macht/Wissen-Verhältnissen ähneln und aufschlussreich durch postkoloniale Theorien analysiert werden können. Im deutsch- türkischen Verhältnis zeigen sich solche Prozesse, so Boran, in einer „Exotisierung türkischer Kultur“ (Ibid.). In einer Analyse muss man natürlich hier auch auf die historisch-kontextuelle Idiosynkrasie dieser Prozesse achten, und so stets das deutsch-türkische Verhältnis im Gedächtnis behalten. Die hegemonialen Diskurse in denen derartige Subjektivierungsprozesse fungieren, stehen immer auch im Verhältnis zu materiellen Gegebenheiten. Das soll heißen, dass sie Einfluss auf die materielle Realität der Subjekte haben, deren Realität sie konstruieren. So spricht Iain Chambers in „A Stranger in the House“ (2001) von kapitalistischer und 19 kolonialer Hegemonie im gleichen Atemzug, wobei Kapitalismus als ein Modus angesehen werden kann, der sowohl die Kolonisierung unterstützt, wie auch unterstütztend auf diese einwirkt. In diesem Sinne stellt Chambers die Frage an das nationale Zentrum der Kolonisation – an die nationale Heimat der Kolonialmächte – wer für den Aufbau dieser eigentlich verantwortlich ist: „who build this house, and whose house is it?“ (Chambers 163). Diese Frage, wenn sie an die deutsch-türkische Migrationsbegegnung gerichtet ist, wirft die Frage auf, auf welchem ökonomischen und kulturellem Boden das ‚Haus’ Deutschland gebaut worden ist. Obwohl ich Deutschland nicht als eigentliche Kolonialmacht gegenüber der Türkei verstehe, hat diese Frage hier hohe Relevanz. In Deutschland leben etwa 2,6 Millionen Muslime (vgl. Hodkinson et al. 2), von denen die Mehrheit Türken sind, die etwa als Gastarbeiter oder deren Nachkommen zum Wirtschaftswunder beigetragen haben, indem sie dem Arbeitsmangel der spät 1950ger, 1960ger und früh 1970ger Jahre abhalfen (vgl. Herbert 202ff). Dies gibt ihnen in diesem Argument ein ökonomisches Recht auf ihre neue Heimat. Analog kann das Argument auch für die deutsche Kultur angeführt werden. Jedoch wird dieses Recht auf sozial-politischer, ökonomischer und kultureller Ebene selten anerkannt. Die Debatten um Ausländer, speziell um Türken und den Islam, sind, wie schon bemerkt, von Marginalisierung und Fremdenangst geprägt, die zu einer Exotisierung des absoluten Anderen beitragen und so reziprok auch die eigene Vorstellung von nationaler Identität konsolidieren. Genau wegen dieser Marginalisierung von Minoritäten, wie der türkischen, ist es wichtig die schon angedeutete Idee der Literatur als ein politisches Mittel aufzugreifen, um eine Pluralität der Perspektiven zu zeichnen die einer einheitlichen Nationalidentität der ‚Leitkultur’ entgegenarbeiten kann. Wir können hier Literatur, im Sinne des cultural materialism (vgl. Sinfield), als ein auf ideologische Diskurse einflussnehmendes sprachliches Konstrukt verstehen. So schreibt Alan Sienfield in „Art as Cultural Production“ (1999) über Literatur im cultural materialism Ansatz: Literature becomes one set of practices within the range of cultural production; a ’discourse’, we might say, meaning the working assumptions of those involved in those practices, together with the institutions that sustain them. Notions of literature transcending society, history, and politics then appear, in themselves, as ideological maneuvers. (Sinfield 633) 20 Diese Auffassung, die mit traditionellen Literaturauffassungen, als z.B. reine Kunst, bricht, gibt Literatur eine sehr ausgeprägte Relevanz und ein politisches Potential zur Veränderung von hegemonialen Diskursen. Es ist unverkennbar, dass Literatur hier sowohl eine Abschwächung wie den Ausbau der Diskurse bewirken kann. Deshalb kann und muss hier für die spezifische Verantwortung der Literaturwissenschaft plädiert werden, die im wissenschaftlichen Diskurs kanonbildend ist.20 Die Literaturwissenschaft muss sich in anderen Worten auch, und vielleicht besonders, für marginale Literatur interessieren, um Einblicke in andere Versionen von Identitäten in hegemonialen Diskursen zu gewährleisten. In diesem Sinne will ich mich nun in den nächsten Teilen dieser Arbeit einer eingehenden Analyse von „Karagöz in Alamania Schwarzauge in Deutschland“ zuwenden. Z.B. durch die Ausarbeitung von Literaturhistorischen Nachschlagswerken und Lehrbüchern, die sowohl auf den höheren Lehranstalten wie in Schulen Anwendung finden. Auch Weber deutet in diesem Sinne auf die identitätsstiftende Funktion der Germanistik hin (vgl. Weber 181f). 20 21 Erzählstrategien: Implikationen von Gattung, Stil und Sprache Gattungsbrüche als identitätsreflexive Erzählstruktur Im Bewusstsein des Risikos sich mit dem zu beschäftigen, was Hans Magnus Enzensberger „das trübseligste Kapitel der Literaturwissenschaft“ nennt (Enzensberger 65), will ich mich nun der einleitend angedeuteten, literarischen Gattungsvielfalt in „Karagöz in Alamania Schwarzauge in Deutschland“ zuwenden. Es scheint eindeutig, dass in der Erzählung verschiedene Gattungen – z.B. Dramatik, Epik und Lyrik – vermischt werden. Weniger eindeutig ist das Verständnis davon, was eine literarische Gattung eigentlich ist. Wie Enzensberger in der vierten seiner „Frankfurter Poetikvorlesungen“ (1964-65)21 bemerkt, ist nicht nur die klassisch-aristotelische Dreiteilung der literarischen Gattungen in Lyrik, Epik und Dramatik problematisch. Selbst bei Anwendung vielfältigerer Gattungsklassifikationen könnte sich am Ende „herausstellen, daß es überhaupt nur gemischte Texte gäbe“ (Enzensberger 70). Das heißt also, dass man im Prinzip unendlich viele Gattungen und Subgattungen klassifizieren könnte. Um dieses Problem der ewigen Vervielfältigung der Gattungen zu umgehen, beschreibt Enzensberger (mit Inspiration von Harry Lewin und N.H. Pearson) literarische Gattungen als institutionalisierte Abstraktionen, die ihre konventionelle Macht auf alle an der Literatur Teilhabenden auswirken, seien dies Autoren, Kritiker, Wissenschaftler, Buchproduzenten und Händler oder eben Leser. Alle haben eine Vorstellung von Gattungen. Diese manifestiert sich z.B. bei den Autoren durch Erfahrungen von, und in Anlehnung an, anderen Texten. Ein Autor kann nur im Bezug auf andere Texte schreiben und wird so auch immer im Bezug zu bestimmten Gattungskonventionen schreiben, selbst wenn er sie zu brechen versucht. Beim Leser ist es die Nachfrage nach bestimmten Gattungen – die zum Großteil auch von Kritikern geprägt wird – die reproduzierend wirkt (Enzensberger 75-82). Wichtig ist es hier zu bemerken, dass Gattungsklassifikationen, wie Enzensberger ganz richtig bemerkt, immer normativ geprägt sind, da sie Grenzen der Zugehörigkeit ziehen. Mit anderen Worten „gehen alle bisherigen Gattungslehren von einer Grenzziehung zwischen Literatur und Nichtliteratur aus“ (Enzensberger 71). 21 Hier in Enzensbergers Enzensbergers Über Literatur (2009) wiedergegeben. 22 Dabei wird hier die Frage von Zugehörigkeit mit Widererkennbarkeit verknüpft, was analog die Frage der Grenzen zwischen literarischen – und somit auch nationalliterarischen – Traditionen aufwirft, denn es gibt keine globale Tradition des Literatur- und Gattungsverständnisses. So können etwa literarische Gattungen aus einer (nationalen) Tradition in einer anderen als fremd vorkommen. Osmanische Gattungen etwa, wie das Karagöz-Schattentheater oder arabische, wie die poetisch-intertextuelle Form der „mu’âradah“, als welche Kate Roy in „German-Islamic Literary Interperceptions“ (2009) Özdamars Texte analysiert (vgl. Roy 174ff),22 können in einem deutschen Kontext fremd wirken. Roys Auslegung zeigt uns auch, wie Enzensberger schon argumentiert hat, dass sich Texte oft durch verschiedene Gattungskonventionen auszeichnen und klassifizieren lassen. Auch wirft die Frage der Zugehörigkeit – damit auch die Frage der Anerkennung von Literatur an sich – in einem okzidentalen Kontext weitere Problemstellungen auf. Hier kann nämlich ein hegemoniales Gefälle zwischen den alten Kolonialmächten und den alten Kolonien entdeckt werden. Literatur ist in großem Ausmaß ein nationales Phänomen, aber auch eins, das als hoch zivilisierte Kunstart stark in die Imagination eines westlicheuropäischen Selbstverständnis einwirkt. Es ist mit anderen Worten die Vorstellung einer reinen Kunstart, die sich in Europa selbstinitiiert hat. Dies beschreiben Nancy Armstrong und Leonard Tennenhouse ausgehend vom englischen Roman in The Imaginary Puritan (1992), wo sie die Idee eines originalen Ursprungs der Romangattungsform zurückweisen (vgl. Armstrong et al. 215). Sie argumentieren stattdessen, dass die Romanform in einem komplexen Nexus zwischen nationalen Expansionen und Begegnungen in den Kolonien entstanden ist und so nicht auf einen bestimmten Entstehungsort zurückweist, sondern viel eher das kolonialen Bewusstsein, und so auch die Identität der Kolonialmächte verändert hat: „the novel [was not] first and foremost a European genre, but rather one that simultaneously recorded and recoded the colonial experience“ (Ibid. 197). Der Roman war, und ist, anders ausgedrückt eine Erzählform, die zur (kollektiven) Identitätsbildung beiträgt. In dieser Funktion besteht aber auch, wie es aus Armstrongs und Tennenhouses Die Tradition der mu’âradah, ist auch eine durchgehend intertextuelle Poetische Form, wo eine Person ein Gedicht anfängt, welches von einer anderen weitergeschrieben wird (Roy 174). Weber schreibt dieser poetischen Schreibweise, wie wir noch sehen werden, immense Bedeutung in der Entfremdung der Sprache zu (Weber 185ff). 22 23 Argument hervorgeht, die Möglichkeit der Veränderung von z.B. nationalen Identitäten durch Erfahrungen des Fremden. Ich sehe „Karagöz in Alamania Schwarzauge in Deutschland“ nicht als ein Ausdruck der Romangattung. Dennoch sehe ich die Erzählung als mögliche Komponente einer nationalen Imagination, als ein zum Teil fremdes Element, das die nationale Identität neu kalibrieren kann. So verhalte ich mich zu Gattungen in der Erzählung im Sinne einer strategischen Anwendung. Damit meine ich, dass ich den Text weniger als zugehörig zu einer (oder mehreren) Gattungen klassifizieren möchte, als dass ich mich dort für Gattungen interessiere, wo sie eine eigentliche Auswirkung auf mein Lesen haben; da wo sie in erzähltechnischen Griffen eingebunden Anwendung in Erzählstrategien finden. Dies wird speziell dort interessant, wo die Schreibweise mit bekannten Gattungskonventionen bricht und sich so ein Fremdes in der Erzählung zeigt. Das Fremde wird sich dort, wie wir sehen werden, oft im Bekannten zeigen. Ein Verflechten von Märchen und Dramatik Im Folgenden soll das Argument verdeutlicht werden, wie die Gattungskonventionsbrüche zwischen Elementen von Märchen und Dramatik in „Karagöz in Alamania Schwarzauge in Deutschland“ als Strategie zur Anregung von Identitätsreflexionen dienen können. „Es war einmal ein Dorf, das hatte einen Brunnen und ein grünes Minarett, von dem der Dorfhodscha fünfmal täglich den Ezan singt“ (Özdamar A 47). Mit diesem Anschlag der Erzählung werden verschiedene Spannungsverhältnisse in der Erzählung berührt. Zum einen lässt uns die einleitende Phrase an ein Märchen denken – eine Gattungskonvention, an die sich der weitere Erzählungsverlauf nur sporadisch hält. Zum anderen geschieht in diesem Satz ein Bruch im Tempus, indem vom Präteritum ins Präsens gewechselt wird. So wird auf einen konkreten Zustand hingewiesen, nämlich, dass am Anfang der Erzählung der Hodscha vom Minarett singt und nicht sang. Dies symbolisiert eine Form von Einbettung des Geschehens in die Traditionen der Dorfgemeinde. Diese Traditionen werden durch die Märcheneinleitung „es war einmal“ in einen zeitlich nicht eindeutigen Zustand versetzt, der als eine mythische Form verstanden werden kann, da der Zustand 24 auf eine mystisch verankerte, aber unkonkretisierte Traditionsoriginalität hinweist: Es war einmal, so ist es immer gewesen und so ist es auch jetzt, in diesem Moment wo wir zu lesen anfangen. Spannend ist hier die Entwicklung der Geschehnisse, da diese verankerten Traditionen durch das Deutschlandabenteuer des Bauern verschoben und brüchig werden. Zunächst möchte ich nun einen Blick auf die Anlehnung an die Märchengattung werfen. Die Handlung eines Märchens ist traditionell zeitlich und räumlich unkonkret, welches von der zeitlich vagen Einleitung ‚es war einmal’ angedeutet wird. Die Charaktere sind stilisiert und werden meist aus Helden und Widersachern ausgemacht. Überdies kommen im Märchen traditionell magische Figuren vor (vgl. Rasmussen et al. 105). In „Karagöz in Alamania Schwarzauge in Deutschland“ stoßen wir auch auf magische Figuren, wie z.B. die sprechenden Tiere, unter ihnen der Esel und der Löwe, und die Grabsteine. Die Charaktere sind, wie wir noch im Detail sehen werden, auch stilisiert, z.B. in jenem Sinne, dass diese einige stereotype Vorstellungen zu rekonstruieren scheinen, so etwa den Stereotyp des Gastarbeiters. Zudem wird die unkonkrete Einleitungsform des Märchens zwar übernommen, jedoch finden wir im gleichen Satz Andeutungen auf einen konkreten Raum in einer konkreten Zeit. Wir ahnen so, dass wir uns in einem kleinen Dorf in einer islamisch geprägten Gegend befinden. Dazu deutet der Zustand, dass der Dorfhoodscha von dem grünen Minarett „den Ezan singt“, eine gewisse Aktualität des Geschehens an, die in der traditionellen Erzählform des Märchens nicht vorkommt. Bemerkenswert ist jedoch, dass es nicht eindeutig bei dieser Aktualität bleibt. Im nächsten Satz findet ein weiterer Tempuswechsel statt, der die Erzählung nun wieder in eine sprachlich unkonkretisierte Vergangenheitsform23 versetzt, in der sie danach auch hauptsächlich bleibt. Die Handlung hat, wie auch das traditionelle Märchen, einen kausalen kontinuierlichen Verlauf, ein Anfang und ein Ende. Es scheinen keine zeitlichen Sprünge vorzukommen. So kann die Handlung als Entwicklungserzählung in einem epischen Sinne beschrieben werden, der aber durch das Wiederauftauchen der Jugend des Bauern auch gebrochen wird. Im kontinuierlichen Zeitverlauf der Erzählung kommen zeitliche Selbstreferenzen vor, die auf das Vergehen einer Zeitspanne in der erzählten Zeit hinweisen.24 Z.B. Mit „sprachlich unkonkretisiert“ meine ich hier, dass sich die Vergangenheitsform auf keine bestimmte Zeit bezieht. Es gibt ein „es war einmal“ statt eines „es war damals“. 24 Die „erzählte Zeit“ ist die Zeitspanne, von der in einem Narrativ erzählt wird, während „Erzählzeit“ auf die „Dauer des Lesens oder Erzählens“ eines epischen Werkes hinweist“ (von Wilpert 239). 23 25 verweisen „[e]s vergingen ein paar Monate“ (Özdamar A 67) und „[e]s gingen viele, viele Jahre vorbei“ (Ibid. 79) auf den zeitlich-kontinuierlichen Verlauf der erzählten Zeit. Diese Selbstreferenzen stellen aber selten einen Aktualitätsanspruch. Demgegenüber stehen Wendungen wie „[da] wurde es Dunkel“ und „[j]etzt war der Bauer“ (Ibid. 50f), die neben gestellten Aktualitätsansprüchen auch auf einen bestimmten Zeitpunkt in der erzählten Zeit hinzuweisen scheinen. In übertragenem Sinne sind derartige Aktualitätsansprüche auch in der Gattungsvermischung des epischen Märchens mit der Dramatik – nach aristotelischem Vorbild – wiederzufinden. Am Anfang dieser Arbeit wurde beschrieben, wie sich „Karagöz in Alamania Schwarzauge in Deutschland“ intertextuell an das Karagöz-Schattentheater anlehnt und sich auf das fast gleichnamigen Theaterstück „Karagöz in Alamania“ bezieht, von dem es seine Dialoge meist direkt übernimmt. Die häufig vorkommenden Dialogszenen, die oft auch eine reine Form einnehmen – das heißt, dass Dialoge ohne erklärenden Zwischentext vorkommen (z.B. vgl. Özdamar A 68f, 73f) – vermischen das beschriebene märchenhafte Gattungselement mit der replikbezogenen Struktur eines Dramas (vgl. von Wilpert 187ff), die auch im Präsens gehalten, einen gewissen Aktualitätsanspruch stellt. Diese Ansprüche auf Aktualität im Geschehen zeigen sich auch in weiteren Bezügen auf das traditionelle Theater. In einem Theaterstück sind Szenen traditionell unter Unterüberschriften eingeteilt, unter denen einleitende Angaben stehen, die z.B. das Geschehen der Szene an einen bestimmten Ort versetzen, oder eine Stimmung beschreiben. Solche einleitenden Angaben tauchen in „Karagöz in Alamania Schwarzauge in Deutschland“ stellenweise im Text auf, etwa da, wo die Erzählung durch Unterüberschriften in Szenen eingeteilt ist. Unter der Unterüberschrift „URLAUB, WEINACHTEN, O TANNENBAUM“ (Özdamar A 74) – die direkt aus „Karagöz in Alamania“ übernommen worden ist (vgl. Özdamar B 26) – steht demzufolge: Bahnhof. Die Züge Fahren ab, die Züge kommen an. (Özdamar A 74) Zum einen ist der Ort des Geschehens damit spezifisch unspezifisch, wir befinden uns an einem Bahnhof, wissen aber nicht an welchem genau, Zum anderen wechselt die grammatikalische Zeit ins Präsens, während sowohl der davor- als auch der 26 dahinterstehende Text im Präteritum gehalten ist. Darüber hinaus erinnert dies an eine klassisch einleitende Angabe, von der aus ein Bühnentechniker die Kulisse aufbauen könnte (obwohl die Ausarbeitung von Kulissen von abfahrenden Zügen technische Schwierigkeiten bereiten könnte). Ähnlich können die Sätze gelesen werden, die mit „jetzt kam der Bauer“ und „da wurde es Dunkel“ angeben, wann genau ein Schauspieler auf die Bühne des Geschehens tritt, oder wann der Bühnentechniker das Licht auszumachen hat. Im auf die Erzählgattung übertragenen Sinne bedeutet dies, dass die Erzählungsstruktur einen selbstreferenziellen Rahmen in der Erzählzeit aufbaut, aus dem die Charaktere im Bewusstsein des Lesers immer wieder aktuell in die erzählte Zeit, und so in die Handlung, eingebettet werden. Damit wird der Fokus auf performative Elemente in der Erzählung gesetzt. So kann argumentiert werden, dass die Aktualitätsansprüche, die durch Tempusbrüche auf performative Elemente im ‚Hier-und-Jetzt-Geschehen’ der Erzählung verweisen, die erzählte Zeit zu transzendieren scheinen. So wird ein Aktualitätsanspruch im Präsens, im Hier und Jetzt, der Erzählzeit vorgebracht, der mit den dramatikbezogenen Gattungselementen in Verbindung zu stehen scheint. Der Leser wird also in seinem Erlebnis des Lesens latent gestört, welches wiederum seine Aufmerksamkeit fordert. Erinnern wir uns hier noch einmal an das, was Capone über Özdamars Sprachgebrauch schreibt, um auf diese Weise dem Ganzen vielleicht etwas näher kommen zu können. Sie schreibt, wie schon in der Einleitung zitiert: The structuring of recognizable and classifiable genres is replaced [...] by forms of perception and consciousness that go beyond mere non-formalization, in which the time of existence coincides with that of reading and/or writing. (Capone 243) In dem hier beschriebenen Argument, kann Capones Fokus auf die Gattungsvermischung dem Spiel mit den Tempusbrüchen und deren Auswirkung auf die Aktualität des performativen Elements zugefügt werden. Wichtig ist hier Capones Gleichstellung von der Zeit des Lesens mit der Zeit des Existierens – also in anderen Worten, eine Gleichstellung zwischen der Erzählzeit, also der Zeit des faktischen Lesens der Erzählung, und der Zeit des Lebens, also des historisch-individuellen Zeitrahmens in dem der Leser lebt. Damit 27 wirkt sich die Sprachbeziehung auf performative Elemente, die wir in der Gattungsvermischung finden auch auf die performative Identitätskonstruktion des Lesers aus. In anderen Worten findet eine Identitätskonstruktion in des Lesers Begegnung mit dem Text statt. Capone schreibt, in Bezug auf Özdamars Texte, dazu: In Özdamar’s writing the question of identity becomes an intellectual and existential challenge to constantly redefine oneself, and is connected to what we remember, to language and history (or histories) that we know. (Capone 251) Die Identitätskonstruktion der Leser wird so durchs Lesen konstant mit der Fragen des Performativen konfrontiert, die in den Texten – und auch in diesem Text – vorkommen. Identitätsauffassungen der cultural studies beziehen sich auf Identitäten als relationsbezogen und dynamisch (vgl. Lutter et al. 83ff). Hall schreibt dazu in „Old and New Identities, Old and New Ethnicities” (1997): „identities are never completed, never finished; […] they are always as subjectivity itself is, in process.” Und deshalb ist Identität “always in the process of formation” (Hall C 47). Es ist hier wichtig zu bemerken, dass, wie Hall es auch selbst in diesem Text erklärt, Identität immer im Plural gedacht werden muss, da sowohl die eigene Vorstellung der Identität, wie auch die Vorstellungen, die andere von einer Person haben, dessen Identität ausmachen. Alle Vorstellungen von Identität verändern sich stetig (vgl. Ibid.). Jedoch können, wie Richard Jenkins in Social Identity Second Edition (2004) anmerkt, einige Formen von Identitätsvorstellungen statischer, also robuster gegenüber Veränderungen sein, als andere. Diese Identitätstypen, die im sozialen Kontext des Aufwachsens konstruiert werden, nennt er „primary identities“ und zählt zu ihnen gender – also geschlechtsbezogene –, territoriale und ethnische Zugehörigkeit (vgl. Jenkins 19). Wir könnten zu diesen primären Identitäten auch die Vorstellung der eigenen kontinuierlichen Identität fügen, die Vorstellung vom wahren Ich, welche Hall die Idee eines inneren Kerns nennt, mit dem man identisch sein kann (vgl. Hall C 42f). Das Argument ist hier, dass sich die Relationen der Identität auch auf das durch bspw. Literatur stimulierte, eigene Bewusstsein beziehen, in welches die Formationsprozesse dann verlagert werden. Es dreht sich hier also in erster Linie um die subjektive Vorstellung der eigenen Identität der Leser. Hier hat „Karagöz in Alamania 28 Schwarzauge in Deutschland“ das Potential – durch den unkonventionellen Gattungsgebrauch und das Hervorheben des Performativen – festgeschriebene Vorstellungen von Identität beim Lesenden in Frage zu stellen. Wenn diese Vorstellungen im eigenen Bewusstsein in Frage gestellt werden, bilden sie auch eine Reflexionsebene, die auf einen sozialen Kontext ausgeweitet werden kann. Diese Ausweitung wird durch die Thematik der Erzählung animiert, die sich etwa mit Stereotypen befasst, die, wie wir noch sehen werden, so karikiert dargestellt werden, dass sie sich selbst hinterfragen. Somit hat die Erzählung ein Potential im Bewusstsein der Leser die Narrative zu verändern, die den imaginativen Raum von Geschichtsschreibung und nationaler Zugehörigkeit ausmachen. So wird die eigene Identitätsstabilität, aber auch die der vorgestellten Gemeinschaft untergraben und in Frage gestellt. Ein solches Untergraben kann jedoch ein äußerst träger Prozess sein, da es sich bei diesen Infragestellungen um primäre Identitätsformen handelt, wie besonders die territoriale Zugehörigkeit der nationalen Identität. Wenn wir nun noch einmal auf die zeitliche Verknüpfung des „es war einmal“ mit der traditionellen Einbettung des singenden Dorfhodschas zurückkommen, können wir diese Reorientierung der Identitätsvorstellungen noch etwas näher reflektieren. Denn die Erzählung beginnt an einem Zeitpunkt, wo der Bauer sich noch zuhause in seinem türkischen Dorf befindet. Seine Identität ist noch in traditioneller Weise intakt, er ist ein türkischer Bauer in einem türkischen Dorf, welches sich in einem traditionellen Zustand befindet, denn der Dorfhodscha singt, wie er es immer getan hat. Dieser Zustand kann mit dem Modus der Geschichtserzählung gleichgesetzt werden, den Bhabha in „Narrating the Nation“ (1990) beschreibt: „Nations, like narratives, lose their origins in the myths of time and only fully realize their horizon in the mind´s eye” (Bhabha C 359). Wir sehen so in dieser Szene eine Form der Erzählung von Traditionen, die durch die märchenhafte Einleitung einen mythischen, zeitlich unkonkretisierten Charakter bekommt. Wir befinden uns in einem Zustand einer zeitlos vorgestellten kollektiven Identität der Dorfbewohner. Dieser Zustand wird jedoch durch das Weggehen des Bauern gebrochen. So leitet uns die Erzählung von einem zeitlich unkonkreten Zustand der mythischen Identitätsform in eine konkretisierte Zeit des ‚In-der-Fremde-Seins’ des Bauern, dessen Identität damit auf verschiedene Weisen radikal verändert wird. Er wird selber vom Bauern zum Arbeiter, wird für die Deutschen zum Gastarbeiter und in der Türkei zum Apfelkönig. Reziprok wirkt sich dieses ‚in der Fremde sein’ auch auf die Dorfgemeinschaft aus. Es wird durch das Auftauchen von modernen Apparaten eine Veränderung der Traditionen eingeleitet, 29 die in der Erzählung auf ironische Weise dargestellt wird. In dem Sinne wird die erzählte Zeit mit einer Zeit des ‚In-der-Fremde-Seins’ gleichgesetzt, welche sich auf die Identitätsformationen aller Beteiligten ausübt, und so auch den Leser zur Reflexion anreizt. In von Bhabha inspirierten Worten wird so der Horizont der mythischen Erzählung der traditionellen Identität im Bewusstsein des Lesers klar gezeichnet – es wird eine Grenze zwischen dem noch traditionellen Dorf und dem Anderen, dem deutschen Ausland, gezogen –, um danach überschritten zu werden, in dem der Bauer sich in die Fremde begibt und damit alles verändert. Der Darstellung dieser Veränderung will ich mich im nächsten Abschnitt zuwenden. Anlehnung an das Karagöz-Schattentheater Hier will ich die Annahme verfolgen, dass sich „Karagöz in Alamania Schwarzauge in Deutschland“ an dem traditionellen türkischen Karagöz-Schattentheater anlehnt. Ähnlich wie im Märchen sind die Figuren im traditionellen türkischen Theater, und so auch im Karagöz-Schattentheater höchst stilisiert, „in ihnen vollzieht sich keinerlei Charakterentwicklung, sondern es handelt sich bei den dargestellten Figuren stets um festgeschriebene, dem Publikum bekannte Typen mit charakteristischen Zügen“ (Boran 42). In Kontrast zu Karagöz – den wir, mit Borans Worten, schon als bauernschlaue, impulsive, naive und gesellschaftskritische Figur beschrieben haben, die stets die bestehenden Ordnung kritisiert – finden wir im Karagöz-Theater auch Hacivat, der als ein opportunistischer Kleinbürger verstanden werden kann (vgl. Ibid. 50). Hacivat [ist] ein akademischer Typ, ein gebildeter Türke des alten Osmanischen Reichs, was auch sprachlich seinen Ausdruck findet. Er handelt überlegen und vernünftig, akzeptiert bestehende Ordnungen und hält sich, auf seinen eigenen Vorteil bedacht, an die moralischen Prinzipien und die Etikette der Oberschicht. Sein förmliches Auftreten, sowie seine vermeintliche Bildung verleihen Hacivat eine gewisse Glaubwürdigkeit; tatsächlich erweist sich sein Wissen jedoch für gewöhnlich als oberflächlich und realitätsfern. (Boran 50) 30 Zusammen stehen die beiden Hauptpersonen des Karagöz-Schattenspiels als „Spiegelbild der osmanischen Gesellschaft“ da (Boran 49). Sie treten in jeder Aufführung des Schattenspiels auf, wodurch die Handlung eng an die beiden Figuren gebunden ist. Neben ihnen treten auch weitere Figuren auf; so mitunter „Karagöz’ Ehefrau“, „Prostituierte“, „ethnische Typen“, „körperlich oder geistig behinderte“, „Künstlertypen“ sowie „Tiere und Gegenstände“ (Ibid. 50). Aber es ist der Kontrast zwischen den beiden Hauptfiguren, der dem Schattenspiel seine „politische Sprengkraft“ gibt (Ibid.). Die Themen des Karagöz-Schattenspiels sind meist, so schreibt Boran mit Bezug auf Parzakayra, „Parodien von Sitten, Gebräuchen und Berufen“, „soziale Satiren, die als Grundmotiv häufig Karagöz’ Arbeitsuche behandeln“ oder „parodistische Adaptionen von allgemein bekannter Geschichten“ (Ibid. 53). Die Sprache ist hier kreativ und von Konventionen gelöst: „Als Charakteristikum aller Dialoge kann die Freiheit von allen logischen Zwängen, das heißt das freie Spiel mit Sprache und mit sprachlichen Konventionen gelten“ (Ibid. 52). Mit diesen Charakteristiken des Schattenspiels, liegt die Annahme nicht fern, dass sich „Karagöz in Alamania Schwarzauge in Deutschland“ bewusst an dieser Tradition orientiert. So scheinen die Thematiken des Schattenspiels in der Erzählung klar wiedergegeben: Wir scheinen es mit einer sozialen Satire zu tun haben, folgen Karagöz’ Arbeitsuche und können die Erzählung auch als parodistische Adaption einer Gastarbeitererzählung auslegen. Der Sprachgebrauch, wie es noch eingehender beschrieben wird, ist unkonventionell, und es kommen sogar viele der traditionellen Schattenspiel-Charaktere in der Erzählung vor – etwa Karagöz’ Ehefrau, die ethnischen Typen, hier als andere Gastarbeiter wiedergegeben, Musiker und sogar Tiere. Jedoch kann hier keinesfalls von einer deckungsgleichen Übernahme der Charakteristiken des Schattenspiels die Rede sein, welches wir an den Hauptfiguren der Erzählung sehen können. Zwar erinnert der Bauer in seiner naiven Einfältigkeit sehr an die Beschreibung des Karagöz im Schattenspiel – z.B. sehen wir seine Einfältigkeit in jener Situation zum Ausdruck kommen, in der er nur knapp, gerade noch vom Esel gerettet, davon abkommt, dem „Urinverkäufer“ vor „der deutschen Vermittlungsstelle“ sein schlechtes Urin abzukaufen (Özdamar A 58) –, aber der Bauer weist auch durchaus Charakterzüge eines opportunistischen Kleinbürgers auf, welches besonders durch seine Charakterentwicklung zum Ausdruck kommt. Analog wirkt der Esel auf ersten Blick als 31 das exakte Gegenstück des Bauern Karagöz. Er kommt zwar auch aus ärmlichen Verhältnissen, wirkt aber stets als der gebildetere und klügere der beiden, welches auch aus der Szene mit dem Urinverkäufer hervorgeht, und auch in einer späteren Szene sucht der Bauer des Esels Rat, z.B. als es um das Verhältnis seiner Frau zu seinem Onkel geht (vgl. Ibid. 74). Dazu entstehen auch stetig Konfliktsituationen zwischen den beiden. So fangen sie schon zu Anfang ihrer Reise an, sich darüber auseinanderzusetzen, wer von beiden nun den anderen tragen soll (vgl. Ibid. 52), und am Ende zerstreiten beide sich, so dass der Bauer sogar den Esel schlägt (vgl. Ibid. 99). Dennoch ist aber auch der Esel keine stilisierte Figur und weicht auch in anderen Bezügen deutlich von der Hecivita Figur ab. Dadurch, dass besonders die genannten Hauptpersonen im Verlauf der Erzählung eine Entwicklung durchgehen, die bspw. den Bauern vom armen türkischen Landbewohner zum Gastarbeiter und Landbesitzer umwandelt, weicht die Erzählung schon stilistisch von den stilisierten Charakteren des Schattenspiels sowie des traditionellen Märchens ab. Die Entwicklung der beiden Hauptpersonen kann in gewisser Weise auf ihren Deutschlandaufenthalt, also auf die Zeit des ‚In-der-Fremde-Seins’ zurückgeführt werden. Demnach ist die stärkste Veränderung des Bauern am Anfang der 6. Szene so vermerkt: Es gingen viele, viele Jahre vorbei. Der Bauer kam mit seinem Esel aus Alamania. Der Bauer war nicht mehr zu erkennen. Die Hälfte seines Gesichts war gelähmt, weil die faschistischen Türken ihn geschlagen hatten. Statt seiner schönen Haare hatte er jetzt eine Glatze. Er trug eine Brille, einen Diplomatenkoffer und einen dunkelblauen Anzug. Sein Kopf war mit einer Bandage umwickelt. Sein Esel trug die alten Sachen vom Bauern, auch seine schöne rote Weste. Und er hatte eine Rote Trinkernase bekommen. Auf seinem Rücken schleppte er viele Geschenke. (Özdamar A 79) So erfahren wir am Anfang dieser Szene, dass in der erzählten Zeit viele Jahre vergangen sind, die der Bauer und der Esel – so müssen wir annehmen – hauptsächlich in Deutschland verbracht haben, aber nun in die Türkei zurückkehren Die immense Veränderung, die dem Bauern zugeschrieben wird, ist 32 hier vorläufig als physische Veränderung repräsentiert: Der Bauer trägt Spuren davon, dass er verprügelt wurde und trägt nun ein typisches Businessoutfit, bestehend aus Anzug und Diplomatenkoffer, während er seine ehemalige Kleidung dem Esel überlassen hat. Jedoch weißt diese äußere Veränderung auch auf eine Charakterveränderung hin. So wissen wir, dass der Bauer wegen seinen politischen Aktivitäten von den Faschisten verprügelt wurde, während seine Kleidung einen Karriereaufstieg assoziiert, der ihn durch ein erhöhtes Einkommen im Vergleich mit der heimischen Dorfbevölkerung als ökonomisch überlegen darstellt. Wir erfahren so auch in dieser Szene, dass der Bauer nun 50-mal so viel wert ist wie sein türkisches Gegenstück. So stehen wir vor einem Paradox in der Charakterentwicklung des Bauern. Auf der einen Seite richtet er sich politisch nach Links aus, während er auf der anderen Seite langsam zum Großgrundbesitzer wird, der in der Türkei sein Geld für sich arbeiten lässt. In Deutschland gehört er, in Herberts Worten, zum Subproletariat, während er in im türkischen Dorf nun als Kapitalist dasteht. Ganz am Ende der Erzählung hat er eine Plantage von 1000 Apfelbäumen angebaut, die ja auch irgendwie betrieben werden muss. Wir können nur annehmen, dass dies von türkischen Bauern verrichtet wird, die 50-mal, später sogar 125-mal, weniger verdienen als er. Dies widerspricht den vom Esel gelesenen Lehren von Marx, die den Mehrgewinn an produktiven Prozessen den Arbeitern zuschreiben und nicht den Kapitalisten. So steht der Bauer hier selbst in gewisser Weise als Hacivat da, dessen Bildung – also seine sozialistische Ausrichtung – am Ende doch als hohl und unglaubwürdig dasteht. Gleichzeitig steht er aber auch als Karagöz des Schattenspiels da, indem er die alten Ordnungen – hier die alten Ordnungen des Dorfes, denn in diesem Kapitel folgt auch die schon beschriebene Geschenkverteilung – umwirft. Im Sinne eines Umsturzes der bestehenden Ordnung, steht hier der Esel als Hacivat-Figur da. Er ist der Traditionalist, der des Bauern alte Kleidung trägt, mitunter seine alte Weste. Da Westen im Osmanischen Reich als Kleidungsstücke sehr verbreitet waren, weißt der Esel so auf die osmanischen Traditionen hin, die Hacivat vertritt. Auch sehe ich in diesem Festhalten an das Alte eine gewisse Melancholie zum Ausdruck kommen, mit der ich mich am Ende dieser Arbeit noch beschäftigen werde. Neben der Rolle des Traditionalisten, verkörpert der Esel hier jedoch auch immer noch das lastenschleppende Hilfstier, eine Rolle aus dem der 33 Esel nie richtig herauskommt.25 Analog kommt der Bauer auch nicht aus seiner Bauernrolle heraus, indem er stur ‚der Bauer’ genannt wird. Auf diese Festschreibung werde ich auch noch später zurückkommen. So sehen wir, dass sowohl der Bauer wie auch der Esel nicht eindeutig in das Schema des Karagöz-Schattenspiels hineinpassen. Sie durchgehen beide Charakterentwicklungen, die auch stellenweise durch die genannten Widersprüche zum Ausdruck kommen. Es ist hier das ‚In-der-Fremde-Sein’ welches diese Entwicklungen herbeiführt. Aber es scheinen genau diese Widersprüche zu sein, die den Charakteren eine gewisse Tiefe geben, die auch die Gesellschaftskritik in der Erzählung raffinierter ausfallen lässt, als dies eine bloße Parodie umzusetzen vermag. So kann man die Erzählung als Verlagerung der Charaktere des traditionellen Karagöz-Schattenspiels in einen modernen Migrationskontext verstehen. In gewisser Weise gibt sie in diesem Sinne den deutschen Lesern einen latenten Einblick in ein türkisches Kulturphänomen, welches auf der einen Seite fremd, auf der anderen Seite aber auch sehr bekannt wirkt. Das Bekannte liegt zum einen in der Verlagerung, denn die Erzählung spielt zu einem großem Teil in der Bundesrepublik und bezieht sich auf das in Deutschland bekannte Phänomen der Gastarbeiter. Dazu kommt zum anderen, dass auch die Kulturtradition, von der das Schattenspiel stammt, in einem deutschen Kontext gar nicht dermaßen fremd ist. Zwar unterscheidet sich das Schattenspiel auf verschiedene Weisen vom klassischen aristotelischen Theater – es kennt z.B. nur die Komödie, also nicht die Tragödie, und es hat keine eigentliche Bühne und so nur den entfremdenden „verweisenden Charakter“ der Schatten (Boran 42) –, aber es hat auch mehrere Gemeinsamkeiten mit dem ‚westlichen’ Theater, sowie mit ‚westlichen’ Erzähltraditionen. Die türkische Theatertradition beruht so, in etwa wie das deutsche Volksmärchen, auf überlieferten Mund-zu-Mund Erzählungen (vgl. Ibid. 41), während es auch, wie das Volksmärchen, stilisierte Charaktere beschreibt. Dazu können gesellschaftskritische Insgesamt nimmt der Esel eine merkwürdige Zwischenrolle zwischen Mensch und Tier ein. Wir erfahren zu erst über ihn, dass er „sehr klug“ ist, da er sprechen kann (Özdamar A 51), der Bauer sagt zu ihm „sei wie ein Mensch“ (Ibid. 52) und später wird ihm sogar eine „Hand“ gegeben (Ibid. 59). Dennoch nimmt er aber stetig die Rolle des tragenden Haustieres ein. 25 34 Ansätze auch im klassischen satirischen Theater wiedergefunden werden, z.B. in der griechischen Antike. Auf diese Weise vermischen sich in der Genremischung der Erzählung Elemente von Fremd und Heimisch, welche es den Lesern nicht gestatten in einfachen Kategorien zu denken. Diese Tendenz spiegelt sich, wie schon angemerkt und wie ich später noch genauer ausführen werde, in der Thematik der Erzählung wieder. Eine postmoderne, oder eine postkoloniale Ästhetik? Die Gattungsvermischung in „Karagöz in Alamania Schwarzauge in Deutschland“ können wir im Rahmen einer postmodernen Ästhetik verstehen. Eine solche beschreibt Umberto Eco in „Innovation and Repetition: Between Modern and Post-Modern Aesthetics“ (1985) als eine Art der Wiederholung, die mit anderen Texten in einem intertextuellen Dialog steht (vgl. Eco 166ff). Wenn wir diese Intertextualität auf ein abstrakteres diskursives Feld ausweiten, können wir auch die textuellen Hinweise zu ausländerfeindlichen und kulturarroganten Diskursen, als eine Art der mimetischen Widerholung verstehen. Außerdem definiert Steffen Richter von Eco ausgehend eine hier m.E. anwendbare Gattung des postmodernen Romans. Auf dem Onlineportal Einladung zur Literaturwissenschaft von der Universität Duisburg-Essen, schreibt er folgendes über diese Gattung: [Der Postmoderne Roman] rückt ab vom Postulat der unbedingten Neuheit und Authentizität und arrangiert stattdessen bekanntes Material neu. Seine ausgeprägte Zitatkultur ist Ausweis des Bewusstseins, nicht mehr unschuldig erzählen zu können. Mit der Hochschätzung von Intertextualität geht ein Hang zu verschachtelten metafiktionalen Konstruktionen einher. Der aufklärerische Anspruch auf Weltdeutung wird weitgehend abgelöst von der Aufwertung des Spielerischen und des vollmundigen Fabulierens, das der Unterhaltungsfunktion von Literatur gerecht zu werden versucht. (Richter) 35 Anhand von „Karagöz in Alamania Schwarzauge in Deutschland“ sehen wir, dass wir diese Wiederholungstheorie des Postmodernen Romans, auch als Theorie der Postmodernen Erzählung im Allgemeinen verstehen können. In der Postmoderne stehen, wie hier auch, „Genremischungen [...] hoch im Kurs“ (Richter). Der Text ist auch, wie schon beschrieben, voll von intertextuellen Zitaten und diskursiven mimetischen Hinweisen. Auch Roys Analyse des Texts als mu’âradah zeigt diese Tendenz. Darüber hinaus reiht sich die Erzählung als Wiederholung in eine Serie ein, von der das Theaterstück „Karagöz in Alamania“ ein Teil ist. Den Ursprung der Serie können wir aber noch weiter zurückverfolgen: „Karagöz in Alamania“ basiert, wie erwähnt, auf einem Brief, den ein türkischer Gastarbeiter wahrscheinlich für seine Nachfolger geschrieben hat.26 Özdamars eigenen Migrationshintergrund im Gedächtnis haltend, sehen wir hier wiedergegeben, was Richter ferner als typisch für den postmodernen Roman beschreibt: „Autobiographische und fiktive Elemente gehen unauflösliche Verbindungen ein“ (Richter). Dies führt zu einer Bildung von metafiktionalen Verschachtelungskonstruktionen, wo die Grenzen zwischen Wirklichkeit und Fiktion in der Postmoderne aufgehoben werden. Auch sehen wir, dass „Karagöz in Alamania Schwarzauge in Deutschland“ jeden Anspruch auf Authentizität verneint. Dem entgegen gerichtet, geht die Erzählung direkt gegen Authentizitätsauffassungen an. So geht der von Richter beschriebene „aufklärerische Anspruch auf Weltdeutung“ verloren und wird von einem spielerischen Umgang mit Konventionen und Weltbildern abgelöst. So können wir die Erzählung als Ausdruck einer postmodernen Ästhetik verstehen. Jedoch würde ich dem hinzufügen, dass die Erzählung zwar einen bestimmten aufklärerischen Anspruch verneint, aber dem entgegen eine Pluralität der aufklärerischen Ansprüche artikuliert. Es geht so nicht um Aufklärung im klassischen Sinne – z.B. im Sinne von Rousseau, Kant, oder anderen Aufklärungsphilosophen – sondern vielmehr um Bewusstmachung, Infragestellung und Erschütterung von bestimmten Wissensparadigmen. Hier geht es nicht nur um den Unterhaltungswert der Literatur, es geht um eine Anregung zur Reflexion. So kann die Erzählung vielleicht statt postmoderner Ästhetik besser im Rahmen einer postkolonialen Ästhetik verstanden werden, welches Dieser Brief besteht gegebenen Falls wieder aus Wiederholungen von Gastarbeitererlebnissen. In einem poststrukturalistischen Kontext besteht, infolge des amerikanischen Literaturkritikers Jonathan Culler, alles aus Zitaten (vgl. Culler 57ff). 26 36 auch dem Verständnis dieser Arbeit entspricht. Den Unterschied sehe ich darin, dass die Postmoderne eher auf ästhetische Elemente fokussiert, während die postkoloniale Theorie dem Ästhetischen auch eine politische Dimension zuschreibt, in welcher reflexionsanregende Strategien wie Mimikry – die im engen Zusammenhang mit dem Mimetischen steht – einen zentralen Platz einnehmen und eine Pluralität der Stimmen artikuliert. Diese Annahme werde ich im folgenden Abschnitt weiter verfolgen. Zur Komödie und Mimikry: ironische Wiedergabe von Stereotypen Ich habe schon mehrmals angemerkt, dass sich „Karagöz in Alamania Schwarzauge in Deutschland“ an der Komödie orientiert. Doch habe ich bislang nicht beschrieben, wie diese Orientierung stattfindet. Ich meine, dass die Erzählung durch eine übertriebene Darstellung von einer stereotypen West-Nichtwest Dichotomie zur Komödie wird. Diese Dichotomie lässt sich bereits strukturell und inhaltlich im Titel der Erzählung wiederfinden. Strukturell sehen wir dies in der Gegenüberstellung von den zwei Versionen des Titels. Zunächst haben wir eine Ausgabe des Titels auf Türkisch27 und dann eine Version auf Deutsch. Inhaltlich spielt die Beschreibung vom Bauern als „Karagöz“ bzw., auf Deutsch, „Schwarzauge“ in diese Dichotomie ein. Schwarzauge, der ja bekanntlich der Held des traditionellen türkischen Schattentheaters ist, ist per Definition fremd in Deutschland – egal ob als von äußeren Merkmalen geprägter Ausländer oder als literarische Gattung. Darüber hinaus werden im weiteren Erzählverlauf auch scharfe Grenzen zwischen Moderne und Tradition sowie zivilisiert und unzivilisiert gezogen. Die klassische Dramatik ist nach Aristoteles in die zwei Unterkategorien der Komödie und der Tragödie aufteilbar (vgl. Reinhard-Becker). In beiden Formen des Dramas sind Menschen Konflikten ausgesetzt. Während die Konflikte in der Tragödie unlösbar und unabwendbar erscheinen, „so werden in der Komödie „Deutschland“ schreibt sich auf Türkisch eigentlich Alamanya, also mit einem „y“ statt einem „i“, wie es Özdamar hier schreibt (vgl. Langenscheidt’s School Dictionary English-Turkish Turkish-English (2008)). 27 37 Menschen gezeigt, die sich in einem lösbaren Konflikt befinden, aber nicht unbedingt von dieser Lösbarkeit wissen“ (Ibid.). Dies verleiht dem Geschehen eine gewisse Komik, da die Zuschauer oder Leser oft die Lösbarkeit des Konflikts erkennen können, welche die Charaktere nicht sehen. Die Konflikte werden so oft übertrieben dargestellt: Warum ist die Komödie aber "komisch", wenn sie doch ähnlich ernste Konflikte zeigt wie die Tragödie? Einerseits natürlich durch die Zeichnung der Charaktere, denn weder 'Schläue' noch 'Dummheit' sprechen für einen besonders edlen Charakter, andererseits wird die Komödie komisch durch eine übertriebene, geradezu groteske Darstellung des Konflikts. (Reinhardt-Becker) In „Karagöz in Alamania Schwarzauge in Deutschland“ scheint es mehrere Konflikte zu geben, die miteinander verwoben sind. Ein Hauptkonflikt, der durch die ganze Erzählung läuft, ist der Konflikt zwischen materialistischem bzw. ökonomischen Reichtum und Armut. So sehen wir einleitend einen Konflikt zwischen dem reichen Nachbarn und dem armen Bauern. Dieser Konflikt verlagert sich kurz darauf auf das Verhältnis zwischen der Türkei und dem reicheren Deutschland, wo ein Bauer erst 25-mal, später 50-mal und zuletzt 125-mal so viel wert ist, wie in dem türkischen Dorf (vgl. Özdamar A 49, 81, 98). Darüber hinaus verlagert sich das Verhältnis zwischen dem ‚armen’ Bauern und dem ‚reichen’ Teil der Dorfgesellschaft. Durch seinen Deutschlandaufenthalt steigt der Bauer nämlich in ökonomischer Betrachtung zu absoluten Dorfelite auf. Er wird zum Apfelplantagenbesitzer und so zum Kapitalisten oder, gemäß der Erzählung, zu einem „Apfelkönig“ (Ibid. 85). Der nun reiche Bauer mit seiner Deutschlanderfahrung und seinen materiellen Gütern – dem „Diplomatenkoffer, Taschenrechner, Kassettenrecorder, einen kleinen Mini-Fernseher, seine Sonnenbrille“ und seinem „Opel Record“ (Ibid. 100f) –, steht im scharfen Kontrast zum Rest der Dorfbevölkerung, die mit den neuen Gegenständen, die der Bauer als Geschenke aus Deutschland mitbringt, nicht umzugehen weiß: Das Minarett Bekam ein Tonband. Man sah den Hodscha nicht mehr. Der Ezan ertönte aber in der falschen Geschwindigkeit. Eine Frau saugte Staub. Die Maschine zog an ihren langen Haaren. 38 Ein uralter Mann trocknete mit einem Haarföhn seinen Bart, den er am Brunnen wieder und wieder naßmachte [sic.]. Eine Waschmaschine arbeitete. Ein Kind wollte seine Katze auch in der Maschine waschen. (Özdamar A 85) In dieser Szene kommen wir auch gleich zum Kern dieses Arguments. Wir sehen, wie die Dorfbewohner als unzivilisierte Traditionalisten repräsentiert werden, die die Moderne – hier symbolisch durch moderne Haushaltsapparate wiedergegeben – nicht verstehen. Dieser Konflikt wird durch einzelner Misserfolge, die bei der Anwendung der aufgezählten Gegenstände aufkommen, übertrieben dargestellt. Dadurch wird auch auf die (unzivilisierte) Dummheit der Dorbewohner aufmerksam gemacht. So liegt die groteske Konfliktwiedergabe weniger in dem Konflikt selbst begründet, als in der Lächerlichkeit des bartnässenden alten Mannes oder des katzenwaschenden Kindes. Es dreht sich mit anderen Worten um die Wiedergabe einer kulturellen Dummheit, um einen Prozess der Alterität. Das Kind ist in diesem Zusammenhang kulturell ungeschult, so dass es nicht weißt, dass eine Katze nicht in der Waschmaschine zu waschen ist, und kann es auch nicht wissen, da es nicht in einer ‚modernen Gesellschaft’ aufgewachsen ist. Auf der einen Seite sehen wir so eine übertriebene Wiedergabe einer Dichotomie zwischen Westen (Deutschland) und Nicht-Westen (eine ländliche Gegend der Türkei), wodurch die Annahme unterstützt wird die Erzählung als eine Komödie zu verstehen, welche die unwissende Dummheit der türkischen Bauern übertrieben wiedergibt. Auf der anderen Seite können wir uns aber auch die Frage stellen, ob diese Wiedergabe in einem deutschen Kontext der Stereotypisierung von Türken nicht doch Widerklang findet und so als Ausbauung von fremdenfeindlichen Diskursen gelesen werden kann. Robins analysiert so jenen Aspekt, den er eine kulturelle Arroganz der Europäer nennt, und schreibt dazu, dass Europa ihre Nachbarn nicht als kulturell gleichwertig ansieht. Somit werden in Europa vorherrschende Diskurse kulturelle Gebiete, wie hier exemplarisch die Türkei, nicht als Ausdruck einer dynamischen Kultur angesehen, die mit der Europäischen – der so bezeichneten Kultur der Moderne – verglichen werden kann. Stattdessen wird die Türkei in einem simplifizierenden Muster als Europas Gegensatz angesehen; als eine benachtete unzivilisierte und traditionsgebundene Kultur (vgl. Robins 62ff). Boran fügt diesem Argument hinzu, dass die Türkei als unzivilisiert und rückständig repräsentiert wird, um die Repräsentation einer eigenen westlichen Identität aufrecht zu 39 halten. Es geht in diesem Alteritätsprozess, so Boran, „um die Frage der Lokalisierung der Türkei und der Türken“, und fügt dem hinzu: Solange diese [die Türkei und die Türken] nämlich jenseits der ideologischenimaginären Grenzlinie auszumachen sind, die den Westen vom Osten trennt, und damit die Identität des kulturell wie ökonomisch geeinten Europas, beziehungsweise der Vorstellung einer deutschen Kulturnation stützen, übernehmen sie eine wichtige stabilisierende Funktion. Wird diese Grenze jedoch überwunden (wie es im Falle von Migration geschieht) oder verschoben (was in EU-Beitritt der Türkei zu Folge hätte), dann sieht sich das Konstrukt ’Europa’ – wie auch das Konstrukt ’Deutschland’ – einer zweifachen Bedrohung ausgesetzt: dem Wegfall eines Gegenpols und dem Zwang, eine erhöhte innere Diversität anerkennen zu müssen. (Boran 22f) Indem Europa in einem selbstbestätigenden Mechanismus die eigene Identität entsprechend arrangiert, schließt es arrogant die Augen für die Realität anderer Kulturen und versucht diese Kulturen nur durch die eigene gefärbte Brille als Andere in gewissem Sinne zu verstehen. Hierin öffnet sich auch, wie Robins treffend anmerkt, ein Abgrund von Fremdenangst, der leicht in Fremdenhass überschlagen kann. Dies passiert besonders, wenn das Anders-Sein als unüberwindbar – also als nicht veränder- oder integrierbar – repräsentiert wird. Im Alltagsverständnis wird dies oft mit biologisierten Kennzeichen erklärt, z.B. mit der Konnotation von äußeren Merkmahlen, wie Haut-, Haar- und Augenfarbe – das was Hall, nach W.E.B Du Bois die groben physikalischen Merkmale eines Menschen nennt (vgl. Hall D 46:00) – und den adjektivistischen Zuschreibungen „fremd“, „anders“ und „gefährlich“. Die Gefahr, die das Fremde auf die heimische Kultur ausübt, besteht, wie schon bemerkt, in einer kollektiven Todesangst um die eigene Kultur, die ansonsten als unsterblich in der kollektiven Imagination steht (vgl. Robins 61). Man hat in anderen Worten Angst um die eigene kulturelle Identität, die als vom fremden Anderen angegriffen gesehen wird. In deutsch-historischer Perspektive kann ein Fremdenhass gegenüber Türken, so Robins, als Verlängerung des osmanischen Feindbildes gesehen werden, das seine Spuren von der Belagerung Wiens bis in die Gegenwart zieht (vgl. Robins 66). Dieser Auslegung stimmt auch Boran zu, wenn er über die „Türkenrezeption der vergangenen 40 Jahrhunderte“ schreibt, „die im westlichen Europa und gerade in Deutschland von Negativbildern geprägt war, die im Kontakt und über Konfrontationen mit dem Osmanischen Reich entstanden und zum Teil bis in die Gegenwart nachwirken“ (Boran 13). Er führt weiter aus, dass die spezielle Situation der deutschen Gastarbeitergeschichte sich negativ auf das Türkenbild in Deutschland ausgewirkt hat. Der Türke, seit dem langwierigen Zerfall des Osmanischen Reichs nicht mehr als schlicht gefährlich angesehen, wird nun zudem einer Geste zuschreibender Minderwertigkeit, als subaltern, stumm und teils lächerlich, ausgesetzt (vgl. Ibid. 17ff). In einem deutschen Kontext, in welchem ‚Türke’ scheinbar ein Synonym für ‚Ausländer’ geworden ist, und dazu noch die niedrigste soziale Klasse von Ausländern bezeichnet (vgl. Mandel 63), wo Türken als des Deutschen Anderen gesehen werden, ist die karikierte Wiedergabe der Stereotypen in „Karagöz in Alamania Schwarzauge in Deutschland“ wichtig. Denn die übertriebene ironische Brille setzt sich über banales Lächerlichmachen hinaus und präsentiert so einen positiven Gegenpol zu den negativen diskursiven Strömungen, die hier beschrieben wurden. Die türkischen Dorfbewohner, wie die Gastarbeiter und auch der Bauer selbst, werden als naive, aber dennoch liebenswürdige Charaktere dargestellt, z.B. ist die oben zitierte Geschenkszene ein Ausdruck dieses Darstellungsverfahren. Das Gleiche können wir auch in der ersten Szene am deutschen Grenzübergang beobachten, in welcher der Bauer mit anderen farbenfrohen Gestallten auf die erhoffte Einreise nach Deutschland wartet. Besonders springt hier der Gastarbeiter ins Auge, der als Fußballer verkleidet versuchen will, die deutschen Grenzbehörden zur Einreisegenehmigung zu überreden (vgl. Özdamar A 60-67). Diese naive Liebenswürdigkeit ist in rechten Parolen wie ‚Türken geht nach Hause’ (vgl. Mandel 63) schwer wiederzuerkennen. Indem die mimetische Erzählweise so doch ein etwas anderes ‚Türkenbild’, als die beschriebenen Diskurse wiedergibt, können wir die Erzählstrategie als eine Form von Mimikry verstehen, die wie schon einleitend angemerkt die hegemonialen Diskurse wiederholend nachäfft und diese dadurch leicht verändert. Das theoretische Konzept der Mimikry ist infolge der theoretischen Ausführungen Bhabhas zwischen dem plumpen Nachäffen und der Mimesis angesiedelt. Dies beschreibt er in „Of Mimicry and Man: The Ambivalence of Colonial Discourse“ folgendermaßen: 41 What emerges between mimesis and mimicry is a writing, a mode of representation, that marginalizes the monumentality of history, quite simply mocks its power to be a model, that power which supposedly makes it imitable. (Bhabha D 128) Mimikry ist also kein simples Nachäffen und zum Gespöttstellen – als welches es aus dem Englischen auch direkt übersetzt werfen kann – sondern es liegt mehr oder minder im Dazwischen. Es wiederholt, aber es verändert auch das, was es in der Wiederholung wiederholt. Das Konzept ist in diesem Sinne ein Hybrid. Indem es sich so an die hegemonialen Diskurse anlehnt, ist es von diesen auch schwer zu trennen und auszuschließen. Bhabha konzeptualisiert Mimikry somit als eine höchst effektive Strategie koloniale Autorität zu hinterfragen: “[…] mimicry emerges as one of the most elusive and effective strategies of colonial power” (Bhabha D 126). In diesem Sinne können wir die liebevollere Wiedergabe der Stereotypen als einen Ausdruck einer Strategie der Mimikry verstehen, die zwar die hegemonialen Diskurse wiederholt, sie aber durch das komische Element leicht verschiebt. Erzählpositionen, Sprache und Übersetzungsproblematiken Der Sprachgebrauch in „Karagöz in Alamania Schwarzauge in Deutschland“ kann auf verschiedenen Ebenen als mehrsprachig beschrieben werden. Zum einen sehen wir in der Erzählung die Ebene der Erzählpositionen, auf welcher sowohl eine Erzählstimme wie auch die Charaktere durch teils verschiedene Stimmen zum Ausdruck kommen. Zum anderen kann auch der allgemeine Sprachgebrauch der Autorin als polyphon beschrieben werden, so wie es z.B. Weber mit der Benennung der irreduziblen Mehrsprachigkeit tut, in der sich die Autorin selbst neu erfindet. Die Mehrsprachigkeit ist, so Weber, durch die von Derridas Sprachphilosophie inspirierte Annahme begründet, „dass die Frage der Identität nicht unabhängig von der Dimension der Sprache verhandelbar ist“ (Weber 199). Die Dimension der Sprache wird bei Derrida wiederum vom Anspruch von fixierter Objektivität befreit, welche z.B. auch einem organischen Sprachverständnis zugrunde liegt. Damit wird Sprache auch von der Annahme befreit von einem Individuum besessen 42 werden zu können (vgl. Ibid 185). Es geht daher nicht so sehr um die Anneignung einer bestimmten Sprache als vielmehr um das Sprechen an sich, welches auch immer an sein Gegenüber, das Schweigen, gekoppelt ist. Özdamar erlebte ein Schweigen durch den Verlust der türkischen Muttersprache. Dieses Schweigen bezieht sich auf die traumatischen Erlebnisse in den Jahren nach dem Militärputsch 1971, insbesondere nach dem zweiten Putsch 1980, als in der Türkei politische Aktivitäten verboten wurden und so die Meinungsfreiheit eingeschränkt wurde. Diese historischen Ereignisse rühren Özdamar an, indem sie diese mit dem Verlust ihrer Sprache verbindet (vgl. Ibid 200f). Dieser Verlust wurde im deutschen Exil intensiviert und trieb Özdamar zur „Notwendigkeit [...] die Sprache und im gleichen Zuge sich selbst neu zu erfinden“ (Ibid. 203). Um diesem Verlust entgegenzuschreiben, so Weber, macht sich Özdamar die deutsche Sprache zueigen. Sie drückt im Deutschen ihr ‚Ich’ aus und entwickelt dabei eine höchst geladene Schreibweise, die sich an eigenen Spracherfahrungen orientiert und teils eine übersetzende Funktion zwischen dem Türkischen und Deutschen einnimmt (vgl. Weber 176ff). In diesem Aspekt einer Identitätserfindung kommt der Sprachgebrauch nicht zum Stillstand, sondern experimentiert vielmehr mit sich selbst. Genau dieses Experimentieren beinhaltet die Polyphonie der Stimmen, die, wie wir sehen werden, durch ihren geladenen Ausdruck auch gegen die stereotypen Diskurse des stummen türkischen Immigranten (vgl. Boran 28) angehen. Dabei beinhaltet diese experimentierende Polyphonie die entfremdenden Elemente, die den Leser zu einer eigenen Identitätsreflexion bewegen können. In „Karagöz in Alamania Schwarzauge in Deutschland“ finden wir verschiedene Erzählpositionen, die sich teils ergänzen – teilweise sogar zwischen einzelnen Positionen übersetzen –, teils zusammenfließen und teils widersprechen. Als Haupterzählposition sehen wir eine nüchterne Erzählstimme, die den Leser auf teils olympische Weise in das Geschehen einführt. Diese Stimme weiß z.B. über den Traum der Frau und über die Beweggründe anderer Charaktere zu berichten und hat so Einsicht in die Psyche der Charaktere. Diese Einsicht erweist sich jedoch als partikulär, da wir im Verlauf der Handlung meist auf die direkte Rede der Charaktere angewiesen sind und wenig über deren Beweggründe erfahren. Als Hauptcharaktere, die sich in der Erzählung durch direkte Rede ausdrücken, sehen wir den Bauern und den Esel. Dazu kommen u.a. andere Gastarbeiter, der Löwe und Türken in der Türkei. Diese Charaktere drücken sich alle auf 43 verschiedene Weise aus. Dabei wechseln sie auch ihre Ausdrucksformen, so dass die Leser einer Polyphonie aus verschiedenen Stimmen ausgesetzt werden, die manchmal auf Deutsch, manchmal auf Gastarbeiterdeutsch oder English reden, singen und manchmal dichten.28 So fällt der Sprachgebrauch der Erzählung auch in verschiedenen Stücken verschieden aus, und wir sehen so einen vielfältigen Umgang mit der Sprache. Die Erzählstimme berichtet am Anfang der Erzählung vom Traum der Frau. Doch kommt in diesem Bericht schon direkte Rede vor. So redet der Vater des Bauern mit dem Apfelbaumbesitzer in Sprichwörtern, um mit ihm über die Zukunft des Bauern zu verhandeln. Hier spricht z.B. der Vater über seine Armut, um einer potenziellen Bezahlung für die Tat seines Sohnes zu entgehen: »Voriges Jahr fand ich eine Laus auf meinem Kragen, ich habe sie für Allah auf ihrem Platz gelassen. Sie hungert aber noch heute.« Er meinte, daß er so arm sei, daß seine Kleider nicht mal eine Laus ernähren könnten. (Özdamar A 48) Als Leser werden wir hier einem unüblichen Verhandlungskontext ausgesetzt, da nur in Sprichwörtern verhandelt wird. Diese Sprichwörter werden zudem als etwas Fremdes repräsentiert, da sie eine Übersetzung benötigen, welche die Erzählstimme vermittelt, und so als kulturell übersetzend dargestellt wird. Diese Übersetzungsfunktion nimmt die Erzählstimme auch an anderer Stelle ein. Ein Beispiel ist der Ausbruch des Bauern, als er den als Fußballer verkleideten Gastarbeiter wiedersieht. Auch hier wird von der Erzählstimme übersetzt: „»Hey, Aga, meine Augen beißen dich irgendwoher. Aber woher?« Damit meinte er, er kenne ihn irgendwoher“ (Özdamar A 76). Hier sehen wir auch, wie türkische Redewendungen in die Sprache der Erzählung übernommen werden. Im übertragenen Sinne können wir diese vermittelnde Position der Erzählstimme als die Position Özdamars oder in einer postmodernen Position als die Position des Texts analysieren. Uns werden verschiedenen Stimmen vorgestellt, die sich untereinander zu verstehen versuchen. Genauso versuchen wir diese zu verstehen, vermögen dies aber durchaus nicht immer. Der Text gibt somit einem Versuch des Verstehens Ausdruck, den wir auch in der von Weber beschriebenen sprachlichen Identitätssuche Özdamars sehen. Dabei nimmt die Frage des Übersetzens eine Zentrale Rolle ein. Weber erinnert uns hier 28 Dies kann man speziell beim Esel bemerken. 44 durch Derrida daran, dass exakte Übersetzungen unmöglich sind. Denn Sprachen sind keine abgegrenzten Größen, die zu erlernen und als ein Instrumentarium zu benutzen sind. Sie verdeutlicht dies dementsprechend: „Sprache ist immer schon übersetzte Sprache, und Schreiben bedeutet teilzuhaben an den – einen steten Wandel mit sich führenden – Übersetzungsprozessen“ (Weber 173). In „Karagöz in Alamania Schwarzauge in Deutschland“ philosophiert der Esel über die Frage der Übersetzung, indem er die Schwierigkeit des sprachlichen Exils anspricht: »Mein 25-Bauer steigt in den Bus, zwischen Wohnheim und Fabrik, und notiert, wo er jeden Tag aussteigen muß, und trotzdem steigt er falsch aus. Warum? Weil er ›Haltestelle‹ aufgeschrieben hat. Mein Honig. Sollen wir also eingestehen, was wir durch Sehen wahrnehmen oder durch Hören, daß wir alles dieses auch zugleich verstehen? Zum Beispiel Ausländer, deren Sprache wir noch nicht gelernt haben: Sollen wir leugnen, daß wir die hören, wenn sie darin sprechen? Oder sollen wir sagen, daß wir sie nicht nur hören, sondern auch das verstehen, was sie sagen? Ebenso, wenn wir Buchstaben noch nicht kennen, doch aber unsere Augen auf sie richten: Sollen wir behaupten, daß wir sie nicht sehen, oder daß wir sie auch verstehen, wenn wir sie doch sehen?« (Özdamar A 69) Wieder wird der Bauer hier auf liebevolle Weise als naiv repräsentiert, indem sein kulturelles Unverständnis vom Bus fahren, beschrieben wird. Dies wird hier aber mit der problematischen Position des sprachlichen Exil zusammengebracht. Diese Position kann in der weiteren fragenden Ausführung des Esels jedoch sowohl auf eine Minoritäts- wie auf eine Majoritätsperspektive hindeutend gesehen werden. Dies ist eine Grenzziehung die, wie wir sehen werden, in diesem philosophischen Exkurs zu verschwimmen scheint. Von einer Minoritätsperspektive aus, sehen wir den Esel sowie den Bauern als Immigranten in Deutschland, die sich mit der deutschen Sprache auseinanderzusetzen versuchen und dabei oft auf Barrieren des Verstehens stoßen. Als Vorstellung des sprachlichen Exils spielt diese Beschreibung in ein Verständnismuster des nichtverstehenden Ausländers ein, der sich die fremde Sprache aneignen muss, um im Ausland 45 überleben zu können. Demnach werden hier Fragen der Sprachaneignung aufgeworfen, die auch im politischen Kontext des Integrationsforderung verankert sind.29 In der nationalen Heimat des Deutschen oder der Deutschen sind der Bauer und der Esel als Ausländer nicht zuhause und demnach unheimlich. In anderen Worten sehen wir hier schon eine Anspielung auf eine Sprachgemeinschaft, in der ihr Nicht-Verstehen die sprachliche Homogenität der nationalen Vorstellung beeinträchtigen kann. Dies wird noch deutlicher, wenn wir die Perspektive wechseln. So können wir versuchen des Esels Fragen als von einer Majoritätsperspektive ausgehend an die Minorität – die nichtverstehenden Ausländer – gestellt zu verstehen. Diesem Versuch spielt auch das Faktum zu, dass des Esels philosophischer Exkurs, wie der Rest der Erzählung, ja auf Deutsch – also der Majoritätssprache – geschrieben ist. Soll eine sprachliche Majorität also versuchen die Sprache der Minorität zu verstehen? Soll sie so tun, als würde sie diese verstehen? Oder sollte sie diese ignorieren? Die Praxis der vorgestellten Gemeinschaft der Nation scheint zuerst vorzugeben Letzteres zu tun, denn die gemeinsame Sprache ist ein bedeutender Teil des Kitts, der eine Nation zusammenhält. Deshalb müssen Minoritätssprachen ausgegrenzt werden. Dazu kann aber auch angefügt werden, dass die nationale Sprachideologie auch ein bestimmtes Verstehen vorgibt. Am Beispiel der schon beschriebenen anti-muslimischen Diskurse können wir sehen, dass nationale Vorstellungen sehr wohl vorgeben den Fremden oder den Anderen zu verstehen, indem sie ihn in ihren eigenen Diskursen repräsentieren. Dies ist in einem voranstehenden Abschnitt bereits auf einem Makroniveau durch eine postkoloniale Perspektive analysiert wurden. Hier können wir diesen Prozess jedoch noch mal auf einem anderen Niveau in der persönlichen Begegnung beleuchten. Der Esel bezieht sich in seinem Gebrauch des Pluralpronomens „wir“ persönlich auf die Begegnung mit dem Fremden. Ob er dies aus einer Minoritäts- oder Majoritätsposition aus tut, ist hier von beiläufigem Belang, denn er scheint hier vielmehr diese Grenze zu überschreiten. So können wir die Aussage hier sowohl der einen wie der anderen Position in der Begegnung zuschreiben. Auch Bhabha schreibt in „DissemiNation: Time, Narrative, and the Margins of the Modern Nation“ (1990) über das Übersetzungsproblem in der zwischensprachlichen Begegnung im sprachlichen Exil der Gastarbeiter in Deutschland. Von John Berger ausgehend, beschreibt er so die automatische Wiederholungsgeste des türkischen 29 Dies wäre in gewisser Weise eine der ersten Forderungen von Assimilation. 46 Gastarbeiters, der die Wörter, die er hört, wiederholt und dessen Bedeutung lernt. Dann aber im Versuch der Anwendung dieser, ignoriert bzw. durch hegemoniale Diskurse der Nicht-Zugehörigkeit verstanden wird. Sein Aussehen und sein Sprachgebrauch lassen ihn als nicht-zugehörig dastehen. In Bergers hier von Bhabha zitierten Worten: „[the words] meaning changed as he spoke them“ (Bhabha B 316).30 Seine Sprachversuche in Verbindung mit seinem Äußeren gehen so gegen Normen des Auftretens und dazu gegen die Normen der Nation, die Sprache mit bestimmter ethnischer Herkunft und Zugehörigkeit gleichsetzt. Durch die verschiedenen Stimmen in „Karagöz in Alamania Schwarzauge in Deutschland“, werden die Fragen des Esels auch dem Lesenden gestellt. Dies passiert nicht nur im übertragenem Sinne – also im Sinne einer Reflexion der Leser über die gestellten Fragen – sondern auch direkt durch den Sprachgebrauch. So geben etwa Passagen, in denen Charaktere Gastarbeiterdeutsch sprechen,31 diesen Fragen Nahrung. Sollen wir sie verstehen? Und dazu noch: Sollen wir sie als an der deutschen Sprache teilhabend verstehen? Sollen wir sie als Deutsche verstehen? Im extremen Fall sprechen die Gastarbeiter sogar nur Türkisch mit deutschen Wörtern vermischt. Hier im fünften Kapitel, kurz vor Weinachten, wo eine Gruppe Türken vor dem Bahnhof stehen. Unter ihnen auch der Bauer und der Esel: Die Türken sprachen in ihrer Sprache, die mit deutschen Wörtern gemischt war, wofür sie in Türkisch keine Worte hatten, wie: Arbeitsamt, Finanzamt, Lohnsteuerkarte, Berufsschule. Ein gestandener Gastarbeiter sprach: »Sonra Dolmetscher geldi. Meisterle konustu. Bu Lohn steuer kaybetmis dedi. Finanzamt cok fena dedi. Lohnsteuer yok. Bombok. Kindergeld falan alamazsin. Yok. Aufenthalt da yok. Fremdenpolizei vermiyor. Wohnungsamt da yok diyor. Arbeitsamt da Erlaubnis vermedi. Ben oglani Berufschule ye gönderiyorum. Cok Scheiße bu. Sen krankami ciktin.« (Özdamar A 75) Bhabha bezieht sich hier auf Bergers Beispiele des Falschverstandenwerdens: Ein Gastarbeiter geht in eine Café und bestellt mit den von ihm gelernten Wörtern Kaffe, erfährt dabei aber nur dass er sich an einem Ort befindet an dem er als Türke nicht Kaffe bestellen soll. Er lernt das Wort ‚Mädchen’ wird aber indem er es wiederholt als geiler Hund aufgefasst (Bhabha B 316). 31 Etwa spricht ein Meister nach seiner Entlassung kurz vor Weinachten zum Bauern auf einer Art Gastarbeiterdeutsch: „Wir sind hundert Mann, alle entlassen. Du gehen stempeln, ich gehen stempeln. Tschüß, Kollega“ (Özdamar A 74). 30 47 An dieser Stelle wird den nicht Türkisch sprechenden deutschen Lesern die Bedeutung des Gesagten erstmal vorenthalten. So werden die Leser entfremdet. Dennoch gibt der Gebrauch des Gastarbeiters von deutschen Wörtern dem Leser sowohl einen Anreiz verstehen zu wollen wie auch eine Vorstellung von dem Gesagten. So wird die Frage des Verstehens hier transzendiert, da es schon ein partikuläres Verständnis gibt. Symbolisch lässt uns das erste deutsche Wort in dem Gesagten, „Dolmetscher“, die Übersetzungsproblematik assoziieren. Diesem Wort folgt dann, durch die anderen Wörter skizziert, die eigentliche Erzählung des Gastarbeiters. Diese dreht sich um „Meisterle“, „Lohnsteuer“, „Finanzamt“, „Kindergeld“, „Aufenthalt“, „Fremdpolizei“, „Wohnungsamt“, „Arbeitsamt“, „Erlaubnis“, „Berufsschule“ und „Scheiße“ – letzteres hier angenommen als negativer Kraftausdruck. Der deutsche Leser versteht so zwar, dass der Gastarbeiter mit seinem Lohn und den deutschen Behörden Probleme zu haben scheint, das Gesagte wird aber erst durch ein Verständnis der türkischen Worte mit der Entlassung des Bauern und Hundert weiteren, die am Ende der letzten Szene vom Meister verkündet wurde (vgl. Özdamar A 74), verkoppelt. Wir erfahren, dass auch der Job dieses Gastarbeiters vom Meister gekündigt wurde und dass das Finanzamt das nicht gut findet; „cok fena dedi“ bedeutet auf Deutsch etwa ‚sagte es sei sehr schlecht’. Dies wird dadurch begründet, dass er nun keine Lohnsteuer mehr zahlen kann; „yok“ ist auf Türkisch eine negative Aussage, die auch mit ‚keine’ übersetzt werden kann. Deshalb bekommt er Probleme mit anderen Behörden und zuletzt mit der Fremdenpolizei, die ihm mit Abschiebung droht. Kurz darauf wird die Problematik der Abschiebung des arbeitslosen Gastarbeiters von der Erzählstimme auch aus der Perspektive des Bauern erläutert, indem wir erfahren, dass er über Weinachten nicht nach Hause fahren kann, da er als Arbeitsloser wahrscheinlich nicht wieder durch die „Deutschland-Tür“ reinkommen könne (vgl. Ibid. 76). So wird der Problematik des Übersetzens hier mit der drohenden Abschiebung eine Dimension zugefügt, die sehr materielle Konsequenzen für die Gastarbeiter trägt. Es zeigt sich demnach ein Dilemma für die Gastarbeiter: Sie müssen scheinbar zwischen Sprachaneignung und Arbeit – und damit auch dem weiteren Aufenthalt in Deutschland – wählen. Der Gastarbeiter spricht hier nicht ohne Grund auf Türkisch. Wir können annehmen, dass er nicht sehr gut Deutsch kann, da er einen Dolmetscher benötigt, um seinen Meister zu verstehen. Wir erfahren dazu über ihn, dass er ein „gestandener“ Gastarbeiter ist und können so annehmen, dass er schon seit vielen Jahren in Deutschland 48 lebt. Er hat in dieser Zeit jedoch wenig Deutsch lernen können, welches wahrscheinlich mit ständiger Arbeit zu erklären ist.32 Diese Annahme wird von Bergers Worten über einen türkischen Gastarbeiter unterstützt. Hier von Bhabha zitiert: The rate of work allows no time to prepare for the gesture. The body looses its mind in the gesture. How opaque the disguise of words... He treated the sounds of the unknown language as if they were silence. To break through this silence. He learned twenty words of the new language. (Bhabha B 315f) Die Arbeitsmenge lässt keine ordentliche Sprachaneignung zu und so wird der Gastarbeiter zum Nicht-Verstehen und zum Verstummen gezwungen. Er steht mitten zwischen den Positionen des Verstanden-Werdens und Verstehen-Wollens. Er hat weder die Möglichkeit völlig zu verstehen, denn er kann seinen Job nicht verlieren, noch verstanden zu werden, denn, wie wir oben schon gesehen haben, ändern seine Worte ihre Bedeutung, da sein Äußeres ihr in einem deutschen Kontext andere Bedeutung zuschreibt. Er wird, wie Berger und Bhabha bemerken, im hegemonialen Diskurs der Stereotypisierung verstanden.33 Dem könnte die hier zitierte Erzählung des gestandenen Gastarbeiters entgegenwirken. Denn sie liegt anhand ihrer Vermischung türkischer Sprache mit deutschen Nomen zwischen den Grenzen des Nicht-Verstehens/Nicht-Verstandenwerdens und des Verstehens. Die Aufmerksamkeit der Leser wird angesprochen und mit dem Problem der Übersetzung in Bezug gesetzt, denn der Leser wird mit dem Übersetzungsproblem allein gelassen. Die Erzählstimme nimmt hier nicht, wie an anderen Stellen, eine übersetzende und vermittelnde Funktion ein. Demnach muss der Leser um verstehen zu wollen auf eigene Übersetzungen zurückgreifen, womit der Wille zum Übersetzen potentiell gefördert werden kann. So trägt der kreative Sprachgebrauch – das Vermischen von Redewendungen und Wörtern verschiedener Sprachen sowie der spielerische Umgang mit der deutschen Grammatik, der auch in den Zitaten zu sehen ist – Gehen wir hier davon aus, dass dieser Gastarbeiter in etwa den selben Jobs nachgeht wie der Bauer – in etwa Bergarbeiter, Auto-Hersteller und Putzmann –, wissen wir auch dass diese nicht sehr kommunikativ sind. 33 Es ist hier wichtig zu bemerken, dass das Verstummen aus der hegemonialen deutschen Perspektive aus gesehen wird. Wenn der Gastarbeiter Türkisch redet, ist das aus dieser Perspektive mit einem Verstummen gleichzusetzen. 32 49 zu einem reflexiven Lesen bei. Dabei werden auch schon Problematiken von Zugehörigkeit von vorgestellten Gemeinschaften, wie die der Nationen, berührt, die ich nun in einer thematischen Analyse weiterverfolgen will. 50 Thematische Analyse: Nation, Nomaden (Nicht)Dazugehören Nationale Vorstellungen und ihre Problematiken Das zentrale Argument dieser Arbeit schlägt vor, dass Texte wie „Karagöz in Alamania Schwarzauge in Deutschland“ das Potenzial besitzen ein deutsches nationales Narrativ zu transformieren und es besonders in Bezug auf vermehrt heterogene Zugehörigkeitsparameter auszuweiten. Deshalb will ich mich hier unserem potentiellen Verständnis einer Nation und dessen Wiedergabe bzw. Hinterfragung in der Erzählung zuwenden Benedict Anderson schlägt in Imagined Communities: Reflections on the Origin and Spread of Nationalism (1983)34 vor, Nationen als vorgestellte Gemeinschaften zu verstehen: „[the nation] is an imagined political community – and imagined as both inherently limited and sovereign“ (Anderson 6). Das Nationale ist demnach durch eine von allen Individuen geteilte Vorstellung konstruiert. Es ist die Vorstellung von dem, was die Nation ist und sein kann. Die Nation ist in anderen Worten ein kulturelles Artefakt („cultural artefact“), dessen historische Entstehung Anderson zurückverfolgen will (vgl. Ibid. 4). Sein Argument bindet das Aufkommen der Nation an die Erfindung und Verbreitung von Druckmedien. Dadurch wird die vorgestellte Gemeinschaft wiederum an eine narrative Struktur im Auffassungsvermögen seiner Mitglieder gebunden. Hier hebt er die Abhängigkeit des imaginierten nationalen Raums von Literatur und Zeitungen hervor. Beide Druckmedien basieren auf Arten des Schreibens, welche narrative Formen aktivieren, die eine Idee von zeitübergreifender Simultanität wiedergeben – in Andersons Worten eine Form von homogener, leerer Zeit:35 The idea of a sociological organism moving calendrically through homogenous, empty time is a precise analogue of the idea of the nation, which also is conceived as a solid community moving steadily down (or up) history. (Anderson 26) Hier liegt die „Revised Edition” aus dem Jahre 2006 vor. Den Begriff der homogenen leeren Zeit hat Anderson an Walter Benjamins Auffassung der messianischen Zeit angelehnt (vgl. Anderson 24). 34 35 51 Der imaginäre Raum, den ein Roman oder eine Zeitung – welche Anderson als eine Inszenierung von Charakteren und Geschehnissen analysiert – im Bewusstsein der Leser kreiert, ist analog mit der Vorstellung der Nation. In anderen Worten lesen Mitglieder einer Nation ihre jeweilige Nation durch narrative Fragmente, die in Büchern, Zeitungen, nationalen Mythen und Artefakten Ausbreitung finden. Diese verbinden sich in Andersons Argument im Narrativ der Nation. Jedes Individuum nimmt hier die doppelte Rolle des Lesers des nationalen Narratives und gleichzeitigt eines teilnehmenden Charakters in genau diesem ein. Exakt wie beim Lesen eines Romans, wo die Leser wissen, dass die anderen Charaktere des Romans nicht aufgehört haben zu existieren, nur weil sie gerade über einem bestimmten Charakter lesen, wissen auch die Leser des nationalen Narratives von den simultanen, aber anonymen Aktivitäten anderer Nationsmitglieder, obwohl sie die meisten dieser nie getroffen haben. Wie Anderson über ein Mitglied der nationalen Vorstellung schreibt: „he has complete confidence in their steady, anonymous, simultaneous activity“ (Anderson 26). In der Erzählung sehen wir bspw. eine solche Vorstellung der souveränen politischen Nation in der zweiten und dritten Szene. In der zweiten Szene entscheidet die deutsche Vermittlungsstelle für die türkischen Bauern, ob diese „nach Alamania gehen [...] dürfen, oder nicht [...] dürfen“ (Özdamar A 57). Die Bauern werden einer ärztlichen Untersuchung unterworfen, die entscheiden soll, ob sie gesund genug sind, um infolge des Anwerbeabkommens als Arbeitskraft nach Deutschland geschleust zu werden. In der dritten Szene landen der Bauer und sein Esel dann „vor der Tür von Deutschland“ (Ibid. 60). Sie stehen im physischen Sinne vor der geographischen Grenze von Deutschland bzw. eher an dessen Repräsentationsstelle im Istanbuler Flughafen. Sie stehen vor einer Grenze, die als eine Materialisierung einer nationalen Vorstellung verstanden werden kann. Im übertragenen Sinne können wir sie aber auch als Grenze zwischen den Vorstellungen von Ost und West, zwischen Europa und dem nicht-europäischen Anderen verstehen, denn der Mechanismus der vorgestellten Nation kann auch auf andere Formen der kollektiven Identität abgewandelt werden. So argumentiert Robins, dass wir die Vorstellung eines wertgleichen (christlichen) Europas gegenüber eines (islamischen) Nicht-Europas als ähnliche Formen von kollektiver, auf Mythen aufbauender Identität verstehen können (vgl. Robins 61). 52 Diese Vorstellung ist nicht nur von einer Seite der Dichotomie bedingt, sondern scheint sich im Bewusstsein aller Beteiligten internalisiert zu haben. Wie Hall in „Cultural Identity and Diaspora“ (1998) anmerkt, hatten Kolonialmächte im Wissensregime des kolonialen ‚Westens’ die Macht, die Kolonisierten nicht nur durch ihre Repräsentationsstrategien als Anders darzustellen, sondern obendrein die Macht dieses Wissen der Vorstellung von Anderssein im Bewusstsein der Kolonisierten einzuprägen. Dadurch werden die kolonisierten Subjekte als subaltern positioniert. Diese Positionierung findet in einer foucaultschen Macht-Wissen Relation statt, in der Wissen gleichzeitig Macht bedeutet und sprachliche Repräsentationen nicht nur die Welt beschreiben, sondern diese dagegen als Realität konstruieren und definieren (vgl. Hall A 225f). Obwohl wir uns hinsichtlich des Verhältnisses zwischen Deutschland und der Türkei, wie schon in der Einleitung angemerkt, in einem anderen Kontext befinden als jenem des britischen Kolonialismus, der Halls Analysen primär zugrunde liegt, kann dieses Argument hier Anwendung finden. Zum einen befinden wir uns in einer Form von ökonomischer Abhängigkeit; zum anderen können wir hier von einer symbolischen Kolonisierung sprechen bzw. von dem, was Hall die symbolische Ökonomie der Kolonisierung nennt, die in enger Relation zur Alterität steht (vgl. Ibid. 227). Dies zeigt uns auch Robins, wie wir noch sehen werden, in seiner Analyse der Türkischen kulturellen Offenheit gegenüber Europa und der europäischen Geschlossenheit gegenüber der Türkei (vgl. Robins 67ff). Im übertragenen Sinne steht der Bauer demgemäß zusammen mit den anderen Gastarbeiterbewerbern vor einer kulturellen Grenze, die eben eine Grenze ausdrückt, der sie sich auch durchaus bewusst sind. Es ist eine Grenze zwischen Tradition und Modernität, zwischen Rückständigkeit und Zivilisation, aber auch zwischen Armut und Reichtum. Diese Grenzziehung zusammen mit dem Bewusstsein, das es von ihr gibt, zeigt sich in verschiedenen Beispielen: In den Aussagen über Deutschland, in denen die Gastarbeiter über deutschen Reichtum und Kulturunterschiede erzählen, und besonders in dem Gastarbeiterhandbuch der türkischen Arbeitsvermittlung. So liest der Bauer den anderen Wartenden aus diesem Buch über gute europäische Manieren beim Toilettenbesuch und beim Gebrauch öffentlicher Verkehrsmittel vor. Daraufhin kommt er auf das Essen von Fleisch: „Jedes Land schlachtet das Tier nach seiner eigenen Art. Manches Land versetzt das Tier erst in Ohnmacht, dann wird geschlachtet. Das erlaubt unser Glaube, eßt [sic.] ruhig alles“ (Özdamar A 64). Es ist hier zu bemerken, dass auch das Gastabeiterhandbuch auf kollektive nationalkulturelle Normen anspielt, indem es von 53 ‚Ländern’ anstatt von ‚Völkern’ spricht. So setzt das Gastarbeiterhandbuch einen gemeinsamen türkischen oder islamischen Glauben voraus und spricht dabei zu einer kollektiven türkischen, aber auch religiösen, Identität, die auf einer anderen kulturellen Praxis aufbaut, als die europäische oder deutsche Identität. Kurz darauf sehen wir jedoch die gleiche Gegenüberstellung, in welcher diesmal aber diese Vorstellung einer einheitlichen türkisch-islamischen Identität problematisiert wird. Der Bauer liest nun aus dem Gastarbeiterhandbuch über Kopftücher vor: „In Europa trägt man kein Kopftuch, wenn Türkisch-Frau Kopftuch trägt, Europa sie nix lieben. Und wenn willen Kopftuch, dann machen wie Europa-Frau tragen Kopftuch“ (Özdamar A 65). Hier sehen wir zum einen wie die türkisch-islamische Identität kontrastiv zu einer gesamteuropäischen Identität, in welcher Kopftücher besonders im religiösen Sinne unerwünscht sind, repräsentiert wird. Zum anderen scheint die vorgestellte Einheit der türkischen Identitätsform aber auch transzendiert zu werden. Dies passiert indem die Aufmerksamkeit des Gastarbeiterhandbuchs, aber auch die der Leser der Erzählung, auf eine Verschiebung der Begriffspaare verlagert wird: Die Dichotomie zwischen islamisch und nicht-islamisch scheint nun plötzlich auch innerhalb der türkischen Identität aufzutreten. Das Kopftuch wird hier vorläufig von seiner Trägerin als religiöses Symbol beschrieben (vgl. Ibid. 65f), welches sie aber vom Gastarbeiterhandbuch aufgefordert wird abzulegen. Das Gastarbeiterhandbuch scheint somit eine recht adaptive Vorstellung der türkischen Identität vorzuschlagen, die sich, je nachdem ob es passt, an traditionelle, kulturelle und religiöse Vorschriften hält und, wo es nicht harmoniert, sich dem neuen (deutschen) kulturellen Kontext anpasst. Dies passt aber nicht allen Wartenden. Wir sehen so eine Spaltung in der vorher noch kohärent beschriebenen religiösnationalen kollektiven Identität. Diese Spaltung lässt sich auch in der kleinen Gruppe von wartenden Gastarbeiterbewerbern wiederfinden. Es scheinen sich hier (mindestens) zwei Gruppen zu bilden: Die erste beruht auf einer Offenheit gegenüber der westlichen Modernität, die andere beruht eher auf einer traditionellen Religionsgebundenheit. Diese Unterscheidung treffe ich abhängig von Robins Analyse einer Kluft in der türkischen Identitätsvorstellung, die er als eine Spannung zwischen traditioneller Religiosität und moderner Offenheit, aber auch als eine demographische Spannung zwischen städtischer Elite und Landbevölkerung beschreibt. Diese Spannungen sind Ausdruck eines ungleichen Offenheitsverhältnisses zwischen Europa und der Türkei. Das Fatale ist hier, so Robins, dass das dynamische Element in der türkischen Kultur durch westliche Einflüsse der 54 Modernität überlagert wird. Diese externen Einflüsse haben aber nie wirklich dynamische Formen angenommen. Die Offenheit der Türkei gegenüber Europa wurde so nie wirklich von Europa entgegnet. Deshalb wurde die türkische Zuwendung zur Moderne ein Ausdruck von (technologischer) Abhängigkeit anstatt von kultureller Kreativität.36 Aus dieser Situation entstehen regressive Ausrichtungen auf eine undynamische Vergangenheit. So schreibt er: [In Turkey] [t]here is choice, it seems, between assimilation of an alien modernity and revision to the spurious authenticity of (ethnic or religious) origins. It is a false choice, an absurd choice. (Robins 63) In diesem Zusammenhang ist es sinnvoll den Gedanken der zwei Gruppen unter den Wartenden weiter zu verfolgen. Wo wir in der modernitätsoffenen ersten Gruppe z.B. den Bauern und den Esel sehen, wird die andere durch den Mann mit dem Schaf und der Türkin mit Kopftuch verkörpert. Obwohl er vom Land kommt, zeigt der Bauer hier durch seinen großen Wille sein Leben zu verändern, um Geld zu verdienen, einen hohen Offenheitsgrad gegenüber seinem bevorstehenden Deutschlanderlebnis. Er hat, wie schon erwähnt, sein altes Leben und sogar seine Frau zurückgelassen. Es ist auch der Bauer, der anfängt aus dem Gastarbeiterhandbuch mit seinen adaptiven Identitätsvorstellungen vorzulesen. Der Esel, der ihm folgt, wird in Deutschland zum rotweintrinkenden, linken Intellektuellen und scheint sich so den neuen Gegebenheiten anzupassen (vgl. Özdamar A 69). Der Mann mit dem Schaf liest dagegen aus dem Koran vor, während die Türkin mit dem Kopftuch ihre Kopfbekleidung am Anfang religiös begründet (vgl. Ibid. 65f).37 Die Spannungen zwischen den Positionen verdeutlichen und verdichten sich, indem der Bauer das Textstück über das Kopftuch der Türkin, die eben ein Kopftuch trägt, provozierend Es sind hier besonders Kemal Atatürks Anhänger, die einen modernen Türkischen Staat wünschen, die sich der europäischen Modernität gegenüber offen stellen, während die regressiven Strömungen in der vortürkischen Geschichte des Osmanischen Imperiums finden. Dies ist gegebenenfalls ein Paradox, da die offizielle kemalische Türkei diese Geschichte verschweigt. Das undynamische Element der modernen Türkei zeigt sich etwa in der offiziellen linguistischen, kulturellen und nationalen monolithischen Identitätsausrichtung, die sich stark von dem linguistischen und kulturellen Pluralismus des Osmanischen Imperiums unterscheidet. Es ist demzufolge das (echtere) pluralistische Andere der Türkei – das z.B. auch auf kurdischer Identität aufbaut –, das sich in den Identitätskämpfen zeigt (Robins 69ff). 37 Symbolisch analog zur Aussage des Gastarbeiterhandbuchs, dass Europa keine Kopftücher mag, wird die Türkin mit Kopftuch am Ende dieser Szene auch nicht durch die „Deutschland Tür“ gelassen. Der Grenzbeamte gibt zu verstehen, ihre „Aufenthaltserlaubnis ist abgelaufen“ (Özdamar A 66). 36 55 vorliest (vgl. Ibid. 65). Auch in der Auseinandersetzung zwischen dem Esel und dem Mann mit dem Schaf, die auf die Vorlesung von dem Stück übers Fleisch folgt, wird dies gewiss. Hier macht der Esel sich latent über die religiösen Vorschriften sowie über die kulturellen Unterschiede lustig, auf die sich das Gastarbeiterhandbuch beruft. Besonders des Esels humorvolle Aussage über das Verbot von Schweinefleisch scheint den Mann mit dem Schaf so zu provozieren, dass er fast mit einem Messer auf den Esel losgeht (vgl. Ibid. 64). Die Dichotomie zwischen religiös, regressiv und geschlossen auf der einen Seite und modern, progressiv und offen auf der anderen verweist also nicht mehr ausschließlich auf die Gegenübersetzung von Europa und Türkei, sondern nun auch auf Spaltungen zwischen religiös und nicht-religiös sowie modern und traditionell zwischen den Gastarbeiterbewerbern. Doch auch diese Gegenüberstellung von einer eher modern offenen und einer traditionell religiösen Gruppe wird komplizierter. Dies sehen wir besonders in der weiteren Entwicklung vom Bauern und Esel, aber auch in der weiteren Beschreibung von der Türkin mit Kopftuch. Sie gibt zwar erst Religion als Hauptgrund für ihr Kopftuchtragen an, spricht sich später – nachdem der Bauer sie aufforderte ihren weiblichen „Schmuck“ auch ihm zu zeigen – aber anders über ihre Wahl aus: »Verstehe ich etwas von Schmuck und Kopftuch? Verstehe ich nicht! Aber ich liebe mein Kopftuch. Ich nikis verstehen, was wollen türkische Arbeitsvermittlungs-Gastarbeiterhandbuch von meinem Kopftuch.« (Özdamar A 66) Somit basiert ihre Wahl nun eher auf Affekt als auf einer religiösen Überlegung und reduziert dadurch das schmale strukturelle Feld der zwei kulturellen Gruppen. Dasselbe sehen wir beim Bauern und Esel geschehen. Der Bauer vergisst, kurz nachdem er nach Deutschland gekommen ist, seine erste Initiative zum versuchten Neuanfangs, vermisst darüber jedoch seine Frau so sehr, dass er in Konsequenz zurück in die Türkei geht (vgl. Özdamar A 67f). Später stellt der Bauer sich z.B. bei seiner Frauensuche in Deutschland dermaßen plump an (vgl. Ibid. 81ff), dass man erwarten würde, dass er von anderen in Deutschland lebenden Türken nicht als ein offener Metropolit angesehen wird, sondern viel eher als ländlicher Hinterwäldler. So würde er dem in „Ethnicity and Identity among 56 Migrant Guestworkers in West Berlin“ (1989) von Ruth Mandel beschriebenen Scham der westlich gesonnenen Türken begegnen. Mandel schreibt hierüber: The self-designated “westernized” urban Turks sense no end of shame and resentment towards their “backwards, embarrassing” compatriots, who, they say, give all Turks, “even the well integrated, modern ones” a bad name. (Mandel 63) Indem der Bauer gegen Ende der Erzählung mit seinem kaputten Auto, das nur noch rückwärts fährt, zusammen mit elf anderen und einem Ziegelstein auf dem Gaspedal in die Türkei fährt, unterscheidet er sich überhaupt nicht mehr von den anderen als rückständig beschriebenen Gastarbeitern, die zuvor auf der Autobahn in überfüllten Autos gestorben sind (vgl. Özdamar A 96f). Dem gegenüber wendet der Esel sich am Ende einer Vorstellung von kultureller Originalität zu, indem er das jüngere alter Ego des Bauern dem Alten bevorzugt (vgl. Ibid. 101). So wird die Vorstellungen einer türkischen Dichotomie zwischen modern und rückständig weiter problematisiert. Solchermaßen sehen wir hier schon Problematiken der essentialistisch angehauchten Definition von kollektiven Identitäten. Diese wirken sich auch auf die Vorstellung der Nation als Narrativ aus. Es scheint demnach nicht eine gemeinsame Vorstellung davon zu geben, was eine Nation ist. Damit gibt es auch keine gemeinsame Vorstellung von einer kollektiven nationalen Identität. Auf jeden Fall nicht, solange diese Vorstellung einen monolithischen Charakter hat. Damit ist erkennbar, wie mehrere zum Teil sich widersprechende Narrative in einer angeblich kohärenten Auslegung von türkischer Identität einspielen. Dieser Problematik wendet sich Bhabha in „DissemiNation: Time, Narrative, and the Margins of the Modern Nation” zu, wo er Andersons oben beschriebenem Argument zufügt, dass Nationen eben nie allein von einem Narrativ bedingt sind, sondern immer aus einer Vielfalt von Narrativen bestehen. Diese Vielfalt beinhaltet Narrative, die von Subjektpositionen ausgehen, welche normalerweise als national nicht-zugehörig gelten, z.B. Minoritätspositionen, die wir als national Andere verstehen können. So finden herrschende nationale Narrative ihre Anderen in einer narrativen Inversion der Vielfalt. In diesem Zusammenhang schreibt Bhabha: 57 This narrative inversion [...] makes untenable any supremacist, or nationalist claims to cultural mastery, for the position of narrative control is neither monocular or monologic. (Bhabha A 301) In diesem Sinne können wir auf verschiedenen Ebenen sowohl „Karagöz in Alamania Schwarzauge in Deutschland“, wie auch die im Text immanenten Erzählungen von türkischen Diasporaerlebnissen als narrative Inversionen verstehen. Indem die Erzählung selbst auf einer deutschen nationalen Ebene als Narrativ wirkt, findet eine Position des heterogenen Anderen Ausdruck, die durch die textimmanenten Erlebnisse unterstützt wird. Damit meine ich, dass die Erzählung an sich auch aus narrativen Fragmenten besteht, was die Auswirkung dieser Position auf nationaler Ebene unterstützt. So gibt die Erzählung Diasporaerlebnissen Ausdruck, die normal als Minoritätspositionen in der Nation, aber wie schon angedeutet wurde auch in den Minoritätsgruppen von Ausländern marginalisiert sind. Wir sehen in diesem Sinne, dass deutsche nationale Identität genauso vielfältig und genauso umkämpft ist, wie wir es bei der türkischen im Text gesehen haben. Transnationale Identitäten In der Gastarbeiterdiaspora ist das Problem der nationalen Zugehörigkeit auffallend. Viele türkische Gastarbeiter haben, indem sie nach Deutschland gingen, erlebt irgendwo zwischen den Grenzen der Zugehörigkeit zu landen. In Deutschland werden sie als unterste Klasse von Ausländern angesehen; in der Türkei wiederum als deutsch-ähnliche oder deutsch-gleiche („Alamanyalî“ oder „Almancîlar“ (Mandel 63)). Sie scheinen also nirgends dazuzugehören und werden so Ausdruck von zwischen-, oder transnationalen Identitäten. Mandel beschreibt dieses Problem so: Typically the returnee or repatriot has endured the best years his/her life as an unwelcome stranger in gurbet, exile, the foreign land. […] The migrants hope that the degradation and alienation they experienced as foreign workers and third class citizens in Germany will be rectified by the summer journey home, 58 where they will be accepted and respected. But instead, they are met with the mocking appellation of “Alamanyalî.” (Mandel 63f) In „Karagöz in Alamania Schwarzauge in Deutschland“ drückt besonders das Diasporaerlebnis des Bauern dieses Problem aus. Er scheint sich sowohl in Deutschland wie auch in der Türkei entfremdet zu fühlen. Beispiele für die Entfremdung in Deutschland sind die Szenen, in denen der Bauer als Zeichen seiner Arbeit Kostüme trägt. Schon sein allererster Auftritt in Deutschland wird demnach folgendermaßen beschrieben: „Es vergingen ein paar Monate. Der Bauer trat aus Alamania-Tür. Er hatte ein StraßenkehrerKostüm an“ (Özdamar A 67). Hier werden wir zum einen wieder an die performative Komponente der Identität erinnert. Der Text bezieht sich spezifisch auf die schauspielerische Assoziation mit dem Kostüm und gibt so die Identität vom Bauern als eine Art Vorführung wieder. Zum anderen wirkt diese Assoziation auch auf verschiedene Weisen entfremdend. Man kann argumentieren, dass das Tragen eines Kostüms und das Schauspielern allein schon entfremdend wirkt; es geht ja gerade darum eine Rolle zu spielen und sich so in einen Anderen, einen bestimmten Charakter, zu versetzen. In diesem Sinne spielt der Bauer hier nur den Straßenkehrer. Er identifiziert sich aber nicht mit ihm. Auch wir als Leser identifizieren ihn nicht weiter mit dieser Beschäftigung, denn er trägt ja ein Kostüm. Es wird in der Erzählung auch nichts weiter über diese Arbeit berichtet – ob er sie gut oder schlecht macht, ob er sie mag usw. –, stattdessen wird er weiterhin als „Bauer“ bezeichnet. Wie können wir ihn so als Leser in diesem Job ernst nehmen? Außerdem wechselt der Bauer im Laufe der Erzählung ständig den Job. So sehen wir ihn z.B. auch als Bergarbeiter, Autohersteller und später im „Putzmann-Kostüm“ (Ibid. 92). Von keiner dieser Rollen wissen wir vielmehr als den Namen und das was wir mit dem Namen assoziieren. Für ein tiefgründigeres Verständnis dieser Rollen können wir uns einer älteren soziologischen Identitätstheorie zuwenden. In „The Presentation of Self in Everyday Life“ (1959) analysiert Erving Goffman das was er das Rollenspiel im Alltag nennt. Er versteht Identität hier als eine Reihe von performativen Akten, durch welche ein Individuum in verschiedenen Situationen verschiedene Rollen spielt, die alle in der bestimmten Situation die Identität des Rollenspielenden ausmachen. Dieses Rollenspiel vergleicht er mit dem Tragen von Masken, die man anziehen und ablegen kann, je nachdem in welcher Situation man sich gerade befindet (Goffman 54). Im Rollenspiel geht es sowohl um die äußere 59 Anerkennung wie auch um die eigene Überzeugung, die man einer Rolle zuspricht (Ibid. 52). Mit anderen Worten spielt man die Realität für einen selbst und andere. Über die äußere Anerkennung dieser Identitätsrealität schreibt Goffman: When an individual plays a part he implicitly requests his observers to take seriously the impression that is fostered before them. They are asked to believe that the character they see actually possesses the attributes he appears to possess, that the task he performs will have the consequences that are implicitly claimed for it, and that, in general, matters are what they appear to be. (Goffman 52) Obwohl Goffmans Theorie dafür kritisiert werden kann, dass sie doch eine Recht statische Identitätsauffassung wiedergibt. Die Identität des Einzelnen ändert sich zwar situationsbedingt, abhängig davon welche Maske getragen wird, ist aber sozusagen durch die Masken fixiert. Dessen ungeachtet ist sie für diese Analyse ausnehmend nützlich. Wir können so beobachten, wie der Bauer verschiedene Rollen einnimmt. Statt Masken zu tragen, hüllt er sich in verschiedene Kostüme. Jedoch verfehlt er die äußere Anerkennung dieser Rollen. Er kann den Leser sowie auch andere Charaktere der Erzählung einfach nicht überzeugen. Wir glauben ihm nicht, dass er, wie Goffman über die überzeugende Rolle schreibt, die Attribute besitzt, die er vorgibt zu besitzen.38 Dies soll allerdings nicht so verstanden werden, dass die Leser dem Bauern nicht zutrauen würde sich z.B. die Attribute eines Straßenkehrers anzueignen, sondern vielmehr, dass der Bauer einfach nicht eine tatsächliche Straßenkehreridentität übernimmt. Stattdessen bleibt er „der Bauer“, der sich in seinen Kostümen nirgends in Deutschland wirklich mit etwas identifizieren zu können scheint. In der Türkei hatte der Bauer dieses Problem noch nicht. Er war hier in einer traditionelleren Situation, wo er Bauer sein konnte und diese Identität von niemanden hinterfragt wurde. Die Entfremdung entsteht also durch die Situation des Exils. Sie taucht im Nomadendasein auf, in welchem der Ort ständig gewechselt wird und der Bauer ständig neue Rollen einnehmen muss. Dies gilt in räumlicher Betrachtung sowohl für Deutschland Sehr deutlich ist dies in der nicht errungenen Annerkennung von seinen Äpfeln. Dort hilft auch das Business Outfit nichts (vgl. Özdamar A 100). 38 60 als auch für die Türkei. Diesem Nomadendasein schreibt Bhabha eine bestimmte Position in der Vorstellung der Nation zu. Migranten erzeugen nämlich eine Affirmation und zugleich eine negierende Herausforderung der vorgestellten Gemeinschaft: They articulate the death-in-life of the idea of the ‘imagined community’ of the nation; the worn-out metaphors of the resplendent national life now circulate in another narrative of entry permits and passports and work permits that at once preserve and proliferate, bind and breach the human rights of the nation. (Bhabha B 315) Das Paradox ist einleuchtend. Je mehr Migranten in ein Land wie Deutschland einreisen, desto mehr wird diese Einwanderung rechtlich reguliert. Dies geschieht im Namen von Rechten, welche den Staatsangehörigen dann automatisch zugeteilt und den Migranten in Aussicht gestellt werden. Etwa kann man sich das Recht der Staatsangehörigkeit in einer Welt, in der keine Migration stattfindet, überhaupt nicht vorstellen. Gleichzeitig trägt genau ein solches Recht, wie die Staatsangehörigkeit, sehr zur vorgestellten Gemeinschaft bei, sie erzählt, wer rechtlich dazugehören kann und wer nicht. So tragen Migranten zur rechtlichen Ausbauung und Abgrenzung der Nation bei. Jedoch fordern sie die nationale Vorstellung gleichzeitig auch heraus, indem sie als Fremdelemente im kohärent vorgestellten Bau der Nation auftauchen. Sie sind in psychoanalytischen Termen das Unheimliche in der nationalen Heimat (vgl. Bhabha B 315). Diesem Nomadendasein setzt der Bauer sich aus und wird dabei sowohl in der Türkei wie in Deutschland ein unheimlicher Fremder. Seine Entfremdung in der Türkei zeigt sich unwiderruflich am Ende der Erzählung, wo der Esel den jungen Bauern – also den traditionellen türkischen Bauern, dessen Identität nicht gestört ist – dem alten Bauern gegenüber bevorzugt (vgl. Özdamar A 101). Somit schwebt der Bauer hier in einer Identitätskrise, die noch dadurch ausgebaut wird, dass er nicht einmal mehr von seinen Äpfeln – die ja ein Zeichen seiner neuen Identität als „Apfel-König“ in dem türkischen Dorf sein sollten – akzeptiert wird. Die Äpfel lehnen seine Liebeserklärung kalt ab (Ibid. 100). Dies veranlasst den Bauern dazu zurück nach Deutschland zu fahren, wo die Erzählung endet. Die letzte der vier Erzählungen in Mutterzunge erzählt uns hierauf folgend die Geschichte einer türkischen Putzfrau in Deutschland, womit die Diasporaerlebnisse symbolisch weitererzählt werden. 61 Perspektiven des Nomadendaseins Da wir nun gesehen haben, welche Problematiken das Nomadendasein des Diasporaerlebnisses sowohl für die kollektive Ebene der nationalen Vorstellung wie auch für die Ebene der individuellen Identität beiträgt, will ich mich hier mit möglichen Lösungsvorschlägen beschäftigen. Denn welchen Platz kann der Bauer in seinem Nomadendasein überhaupt einnehmen, wenn er weder im Exil noch in der Heimat anerkannt wird? Um dieser Frage näher zu kommen, will ich mir erst Implikationen des Nomadendaseins anschauen. Chambers beschreibt das Nomadendasein der Migration, indem er es vom Exil abgrenzt. Exil bedeutet ein stetiges an einem Fremden-Ort-Sein, während das Nomadendasein eine ständige Bewegung fordert. Er schreibt: The passage from exile to migration […] involves movement from the forsaken certainties of the former to the altogether more ambiguous, uncertain settlements of the new habitat. For even if the migrant still clings to an imagined community, it is one that is always accompanied by the transformation of its culture, tradition, language, even religious rites and myths, into a translated space in which both it, and the host community, undergo transformation. In this context to narrate the nation is also to narrate another, a further story, and to stitch ulterior interrogations into the weave of individual and communal identity. (Chambers 162) Das Nicht-Dazugehören wird hier von Chambers anders, vielleicht positiver, beschrieben, als wir es von den oben beschriebenen Prozessen der Entfremdung sehen. Die vorgestellten Nationen werden hier durch die ständige Bewegung des Migrantendaseins neuinterpretiert und transformiert, wobei sich auch die Möglichkeit zeigt die Zukunft der Nation neu zu schreiben und sie so zu verändern.39 Dabei werden, nach Chambers, auch Konzeptionen von Ort und Zugehörigkeit neu artikuliert (vgl. Chambers 166). Wenn wir uns dabei noch mal an Bhabhas oben zitierte Beschreibung der Migrantenposition als dem „death-in-life“ der Nation erinnern, können wir diese ambivalente Position nun doch eher In Andersons Terminologie würde dies bedeuten, die Nation aus der heterogenen lehren Zeitvorstellung herauszureisen. 39 62 positiv verstehen. Denn hier sehen wir einen möglichen Lösungsvorschlag für die widersprüchliche Situation, in der sich Migranten und so auch der Bauer befinden. Dabei bleibt die Identität des Migranten zwar in der Krise – sie bleibt in stetiger Bewegung und kann nicht festgehalten werden –, aber eine pure Identitätsvorstellung ist in dieser Konzeption auch gar nicht erwünscht. Wie Hall anmerkt, ist das Diasporaerlebnis des Migranten von Heterogenität geprägt und muss deshalb auch durch eine heterogene Identitätskonzeption verstanden werden; durch eine Perspektive der Hybridität: The diaspora experience [...] is defined, not by essence or purity, but by the recognition of a necessary heterogeneity and diversity; by a conception of ‘identity’ which lives with and through, not despite, difference; by hybridity. (Hall A 235) Wenn wir die ambivalente Position des Migranten als hybrid verstehen, wird der Blickwinkel in dem Sinne gewechselt, dass wir sie nicht mehr als zwischen den kulturellen Welten lebend verstehen können. Die Position des Migranten ist nicht, wie sie Leslie A. Adelson in „Against Between: A Manifesto“ (2000)40 beschreibt, auf einer Brücke zwischen den Kulturen (vgl. Adelson 266). Sie muss viel mehr als eine neue Dimension, ein neuer Ort verstanden werden. Einer solchen Konzeption gibt Bhabha in „Culture’s In-Between“ (1996) Ausdruck. Hier beschreibt er eine Zwischenposition nicht als zwischen den Kulturen stehend, sondern als an verschiedenen Kultursphären teilhabend, welches der Position ein höchst kreatives Potential zuschreibt: The… hybrid is not only double-voiced and double-accented… but is also double-languaged; for in it there are not only (and not even so much) two individual consciousnesses, two epochs […] such unconscious hybrids have been at the same time profoundly productive historically: they are pregnant with the potential for new world views, with new ‘international forms’ for perceiving the world in words. (Bhabha A 58) 40 63 Der Aufsatz wurde ursprünglich im Berliner Haus der Kulturen als Rede gehalten. Das kreative und hybride Individuum hat also auch hier das Potenzial unsere Konzeptionen der Wirklichkeit zu verändern, da es an verschiedenen Kultursphären teilhat und sich so über festgeschriebene Normen und Gedankenmuster der jeweiligen Sphäre hinwegsetzen kann. Dieses Phänomen der Teilhabe nennt Bhabha „partial culture“ (Bhabha A 54). Dazu weißt schon der Titel seines Essays auf den Zustand hin, dass diese Neukonzeption nicht nur für die Kultur des ‚In-der-Fremde-Seins’ gedacht werden muss, sondern für Kultur an sich. Kulturen sind immer durch Differenzen definiert, genau wie auch kulturelle Identitäten durch Differenz konstruiert sind. So schreibt auch Hall: “[Identity is] [a]lways constructed through splitting. Splitting between that what one is, and that which is the other (Hall C 47f). In Bhabhas Konzeption sehen wir hier jedoch, dass sowohl die eigene Identität, wie die des Anderen auch in sich hybrid ist. Sie ist sowohl gleich als auch anders (Bhabha A 54). Im ‚In-der-Fremde-Sein’ kommt das Hybride jedoch speziell zum Ausdruck. So sehen wir hier wieder das Unheimliche im Heimlichen auftauchen, sich nun aber unwiderruflich mit diesem im Hybriden zu vermischen. Obwohl wir das Nomadendasein so auf eine positivere Weise verstehen können, da ihm ein spezielles Veränderungspotenzial zugeschrieben wird, dürfen wir nicht vergessen, dass sich dieses Potenzial auf die Zukunft bezieht und das Hier-und-Jetzt des Migrantendaseins von der Unruhe und Melancholie des Andersseins geprägt ist (vgl. Bhabha B 315), welches sich, wie wir es beim Bauern gesehen haben, in einem Gefühl der Nicht-Zugehörigkeit zeigt. Als Hybrid angesehen zu werden kann, in Bhabhas Worten, demnach genauso mit Tod wie mit Leben assoziiert werden. Der Melancholie dieser ambivalenten Position will ich hier abschließend nachgehen. Auf den Spuren der Trauer Am Anfang der Erzählung hat die schwangere Frau des Bauern einen scheinbar prophetischen Traum der ihr zeigt, dass ihr Mann nach Deutschland gehen wird. Sie sieht wie ihr Mann durch Armut getrieben bei ihrem Nachbarn Äpfel klauen geht, dabei erwischt wird und sich als Tarnung vor dem Nachbarn als Nachtigall ausgibt. Da wir am Ende der Erzählung den Bauern in einer reziproken Situation wiederfinden, wo der Bauer, 64 nun Besitzer der Apfelplantage, sein jüngeres Ebenbild auf einem Baum auffindet, bilden die Geschehnisse des Traums einen Rahmen um die Handlung. Die Dialoge am Anfang und Ende der Erzählung zwischen dem Apfelbaumbesitzer, dem Ebenbild und dem entsprechenden jungen und alten Bauern sind demnach auch fast identisch. Auf die Frage des Apfelbaumbesitzers/Bauern, was der Bauer/sein Ebenbild denn im Baum tun würde, fällt die prompte Antwort demnach so aus: „Ich bin eine Nachtigall ich, singe hier auf dem Baum“ (Özdamar A 47).41 Durch das Motiv der Nachtigall scheinen sowohl Anfang wie Ende mit einer gewissen Melancholie verbunden. In der griechischen Mythologie taucht die Nachtigall öfters als ein melancholisches Motiv der Trauer auf.42 Der Gesang der Nachtigall ist hier ein Trauergesang, der Eng mit etwas Tragischem verbunden ist (vgl. March 457ff). So sehen wir, dass sich die Erzählung, die ich oben eher als Komödie beschrieben habe, durch dieses Motiv auch an der Tragödie orientiert ist; dass sich hinter der humorvollen naiven Oberfläche tiefergehende Risse zeigen, die Spuren von dem schweren Verlust der Heimat und des ‚Ich’ wiedergeben. Dazu ist der Traum prophetisch, das heißt, dass er als schicksalhaft verstanden werden kann. Wie in der Tragödie kann der Bauer hier seinem Schicksal nicht entrinnen. Die Entwicklung seines Schicksals verläuft über die Zeitspanne der Erzählzeit, wo der Bauer am Anfang jung und am Ende alt ist. Diese Spanne ist aber nicht unbedingt kontinuierlich, da wir den jungen Bauern am Ende der Erzählung wiedertreffen. Im Spannungsfeld zwischen alt und jung, hat der junge Bauer im Baum noch keine Erfahrung mit der Trauer, da er noch nichts verloren hat. Zwar ist er arm, aber man kann annehmen, dass er so geboren wurde und die Armut somit keinen Verlust ausmacht. Sein Gesang wird deshalb vom Nachbarn und später vom alten Bauern selbst nicht als der einer Nachtigall anerkannt. So spricht der Nachbar: „So eine Nachtigall habe ich noch nicht gesehen“ (Özdamar 47). Es scheint sich am Anfang – im Traum – vielmehr um die Antizipation einer Trauer zu drehen, während das Ende eine Reflexionsebene für die Annerkennung einer nun durch Verlust erfahrenden Trauer bietet. Am Ende der Geschichte heißt es: „Ich bin eine Nachtigall ich, singe hier“ (Özdamar A101). Z.B. in der Sage über Prokne und Tereus. Um ihre Schwester Philomel – die von Proknes Mann Thereus vergewaltigt wurde – zu rechen, bringt Prokne ihren und Thereus Sohn Itys um. Danach gibt Prokne Therus Itys’ Fleisch als Speise zu essen. Die Götter verwandeln danach alle in Vögel. Dabei wird Prokne zur Nachtigall, die über den Verlust ihres Sohnes trauert (March 457-461). 41 42 65 Obwohl der Traum wenig Auskunft über die Gefühle der schwangeren Frau gibt, sieht sie im Traum vorwarnend ihren Mann von ihr gehen. Am Ende ist die Melancholie deutlicher, da der Bauer sich vor seiner Jugend mit den Wahlen seines Lebens und ihren Konsequenzen konfrontiert sieht. Hier kommentiert seine Jugend seinen eigenen Gesang genau wie er einst: „Eine unerfahrene Nachtigall singt so“ (Özdamar A 101). Damit wird darauf hingedeutet, dass der alte Bauer nun eine erfahrene Nachtigall ist. So wird auf die Erfahrung des alten Bauern angespielt, die der junge noch nicht besitzt, also die Diasporaerfahrung des ‚In-der-Fremde-Seins’. Es bildet sich so eine Spannung zwischen jung und alt, unerfahren und erfahren, aber auch latent zwischen einer traditionellen Sesshaftigkeit der türkischen Bauerngemeinde und dem Aufbruch ins Fremde. Somit steht der Umbruch von Traditionen im Zentrum der Erzählung. Die Erfahrung im Allgemeinen und im Besonderen vielleicht die Erfahrung des Aufund Umbruchs von traditionellen Werten und Vorstellungen bringt auch die Möglichkeit des Bereuens und so der Melancholie mit sich. Ob der Bauer seine Erfahrung wirklich bereut, bleibt unklar. Jedoch verliert er am Ende sowohl die Anerkennung seines Esels, seiner Frau, und sogar seiner Apfelbaumplantage, welche in Form seines Vermögens als der eigentliche kapitalistische Beweggrund für seine Arbeit in Deutschland zu stehen scheint. Dazu wird er, wie wir gesehen haben, nun weder in der Heimat noch in der Fremde anerkannt, was zum Hin- und Herreisen zwischen seinen beiden Welten führt. Er erfährt so, dass eine unwiderrufliche Veränderung stattgefunden hat. Er kann nie wieder zu seiner Jugend zurückkehren. So ist der Verlust von Anerkennung mit einer Krise der Identität des Bauern verknüpft. Diese ist wiederum an die Vorstellungen von nationaler Zusammengehörigkeit gebunden, die von dem Diasporaerlebnis des Bauern problematisiert wird. Der Bauer steht in seiner Identitätskrise, wie wir schon gesehen haben, zwischen den Grenzen der nationalen Zugehörigkeit. Er ist explizit hybrid. Hier zeigt sich das Hybride jedoch nicht von seiner positiven, kreativen Seite, sondern eher von einer melancholischen. Der Bauer hat Sehnsucht nach seiner türkischen Heimat, wenn er in Deutschland ist (vgl. Özdamar A 67), kann sich in der Türkei aber auch nicht zurechtfinden und fährt so am Ende zurück in nach Deutschland. Diese Rückreise passiert aber rückwärts (vgl. Ibid. 101), und man fragt sich so als Leser, ob sie ein Versuch der Aufhebung der Geschehnisse, oder eher ein Rückschritt darstellt, der nun vom Bauern akzeptiert wird; dass er sich trotz der Sehnsucht, in der Fremde zurechtzufinden versucht. Egal, wie wir diese Rückfahrt sehen, mutet sie tragisch an. Dazu wird sie auch noch von 66 einem klaren Abschluss der Geschehnisse begleitet, indem es hiernach nur noch dunkel wird. Die Erzählung endet mit den Worten: „ES WURDE DUNKEL“ (Ibid.). Hiernach folgt kein weiteres Bühnenbild, kein weiterer Tag. Das positive Element des Hybriden ist also nicht in der Personencharakteristik des Bauern zu finden. Eher können wir es jedoch in der Erzählung selbst erkennen, wenn wir diese an sich als ein hybrides Phänomen auffassen. Z.B. zeigt sich dies in der Problematisierung von nationalen und kulturellen Grenzen, die wir auch im Nachtigallmotiv wiederfinden. Auf einer geographischen Ebene zeigt die Assoziation zwischen Nachtigall und griechischer Antike schon, welchen Problemen die Vorstellung der Nation gegenüber steht. Die vorgestellte geographische Abgegrenztheit der Nation – in welcher die nationale Grenze als natürlich an ein Volk gebunden imaginiert wird – zeigt sich durch eine historische Perspektive eher als Ausdruck von politischen Machtverhältnissen. So sehen wir z.B., dass die alte griechische Welt – welche als Wiege der zivilisierten Demokratie imaginiert wird – sich auch über die westliche Türkei erstreckte (vgl. March xvi-xvii). Dabei sehen wir wieder, wie problematisch die Typographie der Nationen und die Dichotomie zwischen Europa – als Ausdruck moderner Zivilisation – und der Türkei – als rückständige Region – ist. In gewisser Weise transzendiert das Nachtigallmotiv, wenn es mit der griechischen Mythologie assoziiert wird, diese Dichotomie. Durch die Nachtigallszene, die die Erzählung einleitet, den Auf- und Umbruch voraussagt und am Ende Reflexion über das Geschehne erregt, kann man so den Gesang der Nachtigall als melancholisches Rahmenmotiv der Erzählung deuten, welches als Grundprämisse Abstand zu essentialistischen Vorstellungen von Nationen und Kultursphären nimmt. Trauer muss hier dadurch überwunden werden, dass auch die Nicht-Zugehörigkeit des Andern überwunden wird. 67 Konklusion Es ist das Ziel dieser Arbeit gewesen Emine Sevgi Özdamars Erzählung „Karagöz in Alamania Schwarzauge in Deutschland“ durch die Brille einer postkolonialen Perspektive zu analysieren. Dabei wurde die Annahme verfolgt, dass Texte wie diese Erzählung das Potenzial besitzen, die narrativen Konstruktionen von Geschichtsschreibung und nationaler Vorstellungskraft zu erschüttern. Dies geschieht hier indem die Erzählung durch verschiedene Strategien essentialistische Wirklichkeitsvorstellungen hinterfragt und die Leser zu Reflexion anreizt. Die hier analysierten Strategien der Erzählung beziehen sich hauptsächlich auf eine Gattungsvermischung, einen kreativen Sprachgebrauch, einem Anschreiben gegen hegemoniale Diskurse – welches wir als Mimikry verstehen können – und einer thematischen Auseinandersetzung mit Problemen der nationalen Vorstellung und des Diasporaerlebnisses. Der Stil der Erzählung zeigt sich durch einen spielerischen Umgang mit Gattungskonventionen, sowie mit verschiedenen Sprachaspekten als fragmentarisch; es werden polyphone Stimmen zum Ausdruck gebracht, die durch eine wechselnde Sprache – manchmal ist die Sprache erzählend, manchmal lyrisch manchmal Deutsch manchmal nicht – den performativen Charakter der Erzählung hervorheben. Dieses Performative wird auch von der, aus der Gattungsvermischung hervorgehenden, Anlehnung an das klassische Theater, sowie an das Karagöz-Schattentheater unterstützt. Speziell das letztere assoziiert hier ein Repräsentationsspiel von Schatten auf einer Leinwand, das als Sinnestäuschung des logischen Denkens verstanden werden kann. Dadurch werden auch die Leser angereizt ihr eigenes Lesen – und endlich ihr eigenes Leben – als performativ zu betrachten. Die thematische Behandlung der Diaspora, stellt kritisch die Frage von nationalen Zugehörigkeiten. Indem sie transnationale Nomadenidentitäten beschreibt, die nirgends zuhause scheinen, bringt sie das Unheimliche im nationalen Heim hervor und fordert so nationale Vorstellungen heraus. Gleichzeitig werden stereotype Vorstellungen von etwa stummen Immigranten in der Erzählung zwar wiedergegeben, doch geschieht dies mit einer liebevollen Abweichung von fremdenfeindlichen Diskursen. So können wir die Erzählung als Strategie der Mimikry verstehen. 68 Literaturverzeichnis Adelson, Leslie A. „Against Between: A Manifesto“. Germany in Transit: National Migration, 1995-2005. Ed. 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Sowohl durch seinen thematischen Schwerpunkt der Migration eines türkischen Gastarbeiters, als auch durch verschiedene narrative Strategien – z.B. durch Gattungsvermischungen und einen kreativen Sprachgebrauch, der grammatische Regeln bricht und verschiedene Sprachen vermischt – weist der Text essentialistische Vorstellungen von Kultur und Identität zurück, Darüber hinaus macht er auf ein performatives Element von Identität aufmerksam um so die Frage nach nationalen Zugehörigkeiten aufzuwerfen. Diese Infragestellung essentialistischer Identitätsvorstellungen steht kontrastierend zur organischen Kultur- und Identitätsvorstellung, die die gegenwärtige ausländerpolitische Debatte in der Bundesrepublik zu prägen scheint. In diesen Debatten werden Türken oft als subalterne Subjekte konstruiert, die als das Andere der deutschen Leitkultur repräsentiert werden. Diese Subjektivierungsprozesse werden in dieser Arbeit durch eine von postkolonialer Theoriebildung inspirierten Perspektive analysiert. Im Kontext der Ausländerdebatten, wird „Karagöz in Alamania Schwarzauge in Deutschland“ hier als Ausdruck einer Mimikry-Strategie analysiert, welche bekanntes auf leicht veränderte Weise darstellt. So bezieht sich die Erzählung in ihrer Darstellung von Gastarbeitern auf Stereotypen, die aber von fremdenskeptischen und -feindlichen Diskursen leicht Abweichen. Damit zeigt sich ein Fremdes im heimischen Raum der Nationalen Vorstellung, das diese Vorstellung zu erschüttern scheint. Dazu scheint die Erzählung, von Minoritätsperspektiven ausgehend, nationalen Erzählungen Ausdruck zu geben, die gegen ein monolithisches Narrativ der Nation angehen. So wird Minoritätspositionen hier eine Stimme gegeben die nationale Zugehörigkeit herausfordert und dadurch Vorstellungen von nationaler Zugehörigkeit neu zu kalibrieren versucht. 73 Dänisches Abstract Hovedargumentet i dette projekt er, at Emine Sevgi Özdamars fortælling ”Karagöz in Alamania Schwarzauge in Deutschland” besidder et potentiale til at nykalibrere forestillinger om tysk nationalidentitet. I Tyskland hersker der for tiden debatter om udlændingepolitikken, der beskriver en tysk identitet gennem en organisk kulturforståelse. Özdamars fortælling kontrasterer disse forståelser, ved at fokusere på et performativt kulturbegreb gennem forskellige fortællestrategier. Tysk identitet er her ikke blot en majoritets-, men også en minoritetsidentitet, som ikke består af et enkelt, men derimod af en pluralitet af nationale narrativer. 74