Famke soll mit behinderten Kindern aufwachsen
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Famke soll mit behinderten Kindern aufwachsen
14 0 Eßlinger Zeitung Freitag, 16. August 2013 Kreis esslingen Famke soll mit behinderten Kindern aufwachsen Kommentar ein glücksfall Wernau: Familie ebert und ihr Verein „Durcheinander“ plant integrative spielgruppe Von Regina Schultze Das ist schon eine außergewöhnliche sache: Da bietet ein ehepaar der stadt an, dass sie in ihrem Privathaus räume für eine kleine spielgruppe für ein- bis Dreijährigen kostenlos zur Verfügung stellt. einzige Bedingung: Die siebenköpfige gruppe soll auch drei behinderten Kindern einen Platz bieten. Und das nicht etwa, weil das eigene Kind behindert ist und die eltern wollen, dass es vorurteilsfrei mit nicht-behinderten Kindern aufwachsen soll. solche einrichtungen sind (noch?) rar im landkreis. in diesem Wernauer Fall ist es genau anders herum: Hier wollen die eltern, dass ihre kleine Famke Kinder mit Behinderung kennenlernt und mit ihnen größer wird. so, wie es Famkes Mutter Cornelia ebert selbst mit ihrem geliebten Bruder Volker erlebt hat. Der Ältere mit Down-syndrom war eine Bereicherung für sie und ihre Familie. Und es war eben völlig „normal“ für sie, mit einem Bruder aufzuwachsen, der „außergewöhnlich“ war, der außergewöhnliche 47 statt nur 46 Chromosomen in jeder Zelle hatte. Diese normalität will ebert ihren Kindern ebenfalls ermöglichen, denn sie weiß: ihre Kinder profitieren davon. Für Wernau sind die im Dezember Zugezogenen mit ihrem Verein „Durcheinander“ ein glücksfall. Bisher lief das geplante Durcheinander völlig geordnet ab. Und recht unbürokratisch: Alle seiten waren äußerst hilfsbereit, lobt die initiatorin als Vereinsvorsitzende. Und dass sich Wernau viel offener zeigte als Berlin – wenn das kein dickes lob ist. Von Regina Schultze Wenn sie über ihren Bruder Volker spricht, geht das Cornelia ebert heute noch nahe. Mit 23 Jahren ist er gestorben. Mit Volker zusammen ist sie in Oberwinter bei remagen (rheinland-Pfalz) aufgewachsen, sagt die 37-Jährige, die seit Dezember mit ihrer vierköpfigen Familie in Wernau wohnt. Alles hat sie, die zweieinhalb Jahre jüngere schwester, zusammen mit Volker gelernt. er hatte das Down-syndrom, war stark behindert und hatte einen Herzfehler. „Das war eine ganz enge Beziehung.“ Viele lustige geschichten kann sie über den glühenden Fußballfan berichten, mit dem sie als Jugendliche abends zusammen in die Disco und zu Partys ging. Und der in Fußballstadien regelmäßig für die gegnerische Mannschaft brüllte, ja, selbst in der s-Bahn inmitten Horden von Köln-Fans schnodderte: „Köln ist doch nix!“ Passiert ist ihm nie etwas wegen seiner losen sprüche. Aber alle, die mit Volker Kontakt hatten, wissen, was die inzwischen viel diskutierte inklusion bedeutet: Dass Menschen wie Volker alles mitmachen können und überall willkommen sind. solchermaßen aufgewachsen, hatte sich die promovierte Computerlinguistin früher nie gedanken über inklusion gemacht. Für sie ist sie etwas selbstverständliches. „Das war einfach so.“ Freunde und Bekannte sagten ihr, durch Volker hätten sie erstmals Kontakt zu einem Behinderten gehabt. inzwischen hat Cornelia ebert selbst zwei Kinder: silas (4) und die eineinhalbjährige Famke. sie und ihr Mann Christian wollten, dass ihre Kinder zusammen mit behinderten Kindern aufwachsen. Der nächste integrative Kindergarten ist jedoch in Kirchheim. Für sieben ein- bis Dreijährige silas besucht deshalb in Wernau den Kindergarten Mutter Theresa. „Das ist ganz toll da“, lobt ebert. Aber bei Famke soll es klappen: im Wohnhaus der Familie in der Weidachgasse 13 will die Vorsitzende des Vereins „Durcheinander“ eine integrative spielgruppe einrichten. Der 55 Quadratmeter große raum im erdgeschoss war früher ein schwimmbad. Die eberts haben den raum mit der durchgehenden Fensterfront bislang nur als Abstellraum genutzt. in ihm sollen ab Dezember sieben ein- bis Dreijährige von 9 bis 12 Uhr betreut werden, davon drei mit Behinderung. eines der Kinder wird Famke sein. Die stadt war von der idee sofort angetan, hatte der gemeinderat doch die „erklärung zur inklusion in Kindertagesstätten“ verabschiedet. Cornelia Ebert mit Töchterchen Famke und Sohn Silas (4) im Garten. In den Raum dahinter soll die inklusive Spielgruppe im Dezember einziehen. Der Verein „Durcheinander“ (sitz: Berlin, bald Wernau) ist Träger der spielgruppe. Zu den acht Mitgliedern gehören die eberts – sie als Vorsitzende, ehemann Christian (schriftführer) und ihr Bruder Axel (Kassen- wart). Der Verein stellt die räume kostenlos zur Verfügung, die stadt übernimmt die Kosten für den Umbau und das Defizit. Bei monatlich 50 euro elternbeitrag pro Kind veranschlagt Kämmerer Jan Meier ein Minus von 20 000 euro im Jahr. ein Flurfenster soll einen separaten eingang geben, die Fenster sollen mit einer Folie splittersicher werden. Die sauna wird zum Abstellraum, die Dusche bleibt und bekommt eine Wi- ckelablage. Zwei gartenstücke können die Kinder nutzen, die Open-AirDusche dürfte an heißen Tagen ein renner sein. Bislang lief alles glatt, die idee umzusetzen. Und es ging schnell. Das Jugendamt des landkreises hat die Betriebserlaubnis gleich vor Ort mündlich zugesagt. au und nellingen an dem Modellprojekt „Interdisziplinäres Coaching in Kindertageseinrichtungen“ teil. Mit der „Wernauer Erklärung“ sei man wegweisend, befand haas. Bundesweit sei sie nur vergleichbar mit der „Reutlinger Erklärung“, an der man sich orientiert habe. Die gemeinsame Erziehung sei für alle Beteiligten ein Gewinn. Die Kernfrage laute immer: „Was tut dem Kind gut?“ Schließlich gebe es sehr gute Sondereinrichtungen, die manche Eltern nutzen wollen. Für die Wernauer Stadträte ist die Erklärung eine Verpflichtung, die man sich auferlegt habe. Das gemeinsame lernen sei ein großer Gewinn. Die Inklusion helfe, dass erst gar keine Vorurteile entstehen. nin WG gescheitert ERKläRunG ZuR InKluSIon: „EIn MEnSChEnREChT“ Im oktober 2012 hatte der Wernauer Gemeinderat die „Erklärung zur Inklusion in Kindertagesstätten“ beschlossen. Diese hatte der engagierte Wernauer Tobias haas dem Gemeinderat vorgestellt. Eine Arbeitsgruppe von Vertretern aller Kindergartenträger der Stadt unter der leitung von haas hatte die Erklärung ausgearbeitet. Alle Stadträte und Bürgermeister Armin Elbl stimmten zu, die gemeinsame Erziehung von Kindern mit und ohne Behinderung weiter auszubauen. Man wolle damit eine haltung ausdrücken, erläuterte Elbl. Klar werden solle, dass alle Kinder willkommen sind. unsicheren Eltern solle signalisiert werden: Sie können frei entscheiden, ob sie ihr behindertes Kind zusammen mit den anderen in den Regelkindergarten schicken oder ob sie eine sonderpädagogische Einrichtung bevorzugen. „Manche haben sich bisher vielleicht nicht getraut zu fragen“, hatte Stadtrat Jürgen haas (Freie Wähler) vermutet. Er stellte klar: „Diese Kinder gehören selbstverständlich dazu. Das ist kein Gutmenschentum, sondern ein Menschenrecht.“ Dieses umzusetzen, fordert die un mit ihrer Behindertenrechtskonvention von 2009. Inklusion schließt jegliche Ausgrenzung irgendeiner Personengruppe aus. Wernau beschäftigt sich seit mehr als zwei Jahren mit dem Thema. Damals suchte der landkreis Esslingen zwei Kommunen für ein Pilotprojekt zur Inklusion. Seit April 2011 nahmen Wern- Foto: Bulgrin „ich hatte mir viel Bürokratie vorgestellt“, sagt die initiatorin. Vor allem nach ihren erfahrungen in Berlin, wo sie und ihr Mann studiert hatten. eine inklusive Wg mit gleichaltrigen scheiterte in der als hip geltenden großstadt. „Berlin ist bei dem Thema hintendran“, findet die wissenschaftliche Mitarbeiterin der Uni stuttgart. sie geht davon aus, dass sie zwei erzieherinnen finden wird („davon eine Heilpädagogin wäre schön“). Zweimal pro Woche soll ein Musiktherapeut kommen. Kontakt: [email protected], 0179/46 122 74. Gut vernetzt in die Selbstständigkeit Kirchheim: Mehrgenerationenhaus linde initiiert gründerinnennetzwerk „selbst und ständig“ – Hausleiter: in dieser Form einmalig Das Kirchheimer Mehrgenerationenhaus Linde hat ein Gründerinnennetzwerk mit dem Namen „Selbst und ständig“ ins Leben gerufen. Es unterstützt und berät Frauen, die den Sprung in die berufliche Selbstständigkeit wagen wollen. Dabei geht es nicht darum, vorhandene Beratungsstellen zu ersetzen, sondern um eine bessere Vernetzung der Angebote. te aber nicht, dass deren gründungen deshalb besonders erfolgreich verlaufen. im gegenteil, es gebe „sehr viele rückschläge“, sagt Altwasser. Das netzwerk für gründerinnen will helfen, die richtigen Antworten zu finden. Heidi Wutzel, die für den Kreisjugendring esslingen die Wirtschaftskontakte pflegt und für das gründerinnennetzwerk tätig ist, sieht bei den Frauen nicht-deutscher Herkunft Möglichkeiten, erfolgreich Marktlücken besetzen zu können – durch ihre sprachkompetenz und Know-how aus ihrem Herkunftsland. Vom gründerinnentag der iHK stuttgart hat Wutzel Zahlen und Fakten mitgebracht: so erfolge jede dritte gründung durch eine Frau. Die Frauen seien meist älter als 35 Jahre und verfügten über vielfältige Berufserfahrung. Häufig handle es sich bei ihren gründungen um „kleinere lokale Unternehmen am Wohnort“, vielfach ein nagelstudio oder eine nähstube. Das netzwerk will begleiten, unterstützen, beraten und vernetzen. Kirchheims Oberbürgermeisterin Angelika Matt-Heidecker hat die schirmherrschaft übernommen. ein wichtiger Kooperationspartner ist der Bund der selbstständigen (Bds). Für Bettina schmauder vom Von Andreas Volz Matthias Altwasser, Hausleiter der linde, nennt das gründerinnennetzwerk „etwas ganz Besonderes“. im gesamten Bundesgebiet sei das „in dieser Form einmalig für Mehrgenerationenhäuser“. Dass ein solches Angebot wichtig und notwendig ist, ergebe sich schon allein aus der demografischen entwicklung: „Die gesellschaft ist immer stärker darauf angewiesen, dass Frauen nach einer Familienpause möglichst schnell in den Beruf zurückkehren.“ Politisch habe das Thema eine unglaubliche Dynamik bekommen. ein Thema sei dabei die selbstständigkeit: „Frauen müssen ihren Arbeitsalltag heute viel variabler gestalten als noch vor 20 Jahren.“ Mit dem eigenen kleinen Betrieb lasse sich das oft leichter erreichen. Um sich aber selbstständig machen zu können, müssten die Frauen zunächst wissen, wo sie sich hinwendet können und auf was sie achten müssen. Weil die linde viel mit Migrantenorganisationen zusammenarbeitet, wendet sich das netzwerk explizit an Frauen mit ausländischen Wurzeln. Bei türkischstämmigen Frauen habe die selbstständigkeit einen hohen stellenwert. Das bedeu- Vorstand des Bds Kirchheim war es keine Frage, das netzwerk zu unterstützen. gesucht werden derzeit Mentorinnen, die selbst erfolgreiche Unternehmerinnen sind und die als Ansprechpartnerin zur Verfügung stehen. so soll verhindert werden, „dass jemand zu blauäugig ein großes risiko auf sich nimmt“. es gehe darum, Mut zu machen, ohne ein verklärtes Bild der selbstständigkeit. KREIS ESSlInGEn Sofazügle fährt am Sonntag (nin) – Der historische Wagenzug des sofazügles pendelt am sonntag, 18. August, zwischen den Bahnhöfen nürtingen und neuffen. Von ludwigsburg kommend, trifft der Zug gegen 9.30 Uhr in nürtingen ein. Auf seiner Fahrt durchs neckartal kann zugestiegen werden in esslingen um 8.55 Uhr, in Plochingen um 9.11 Uhr, in Wendlingen um 9.23 Uhr. nach einem weiteren Halt in nürtingen um 10.07 Uhr verkehrt der Zug auf der nebenbahn nach neuffen, das nach 30 Minuten Fahrzeit erreicht wird. Dort ist am sonntag stadtfest, im Freilichtmuseum Beuren ist großes Oldtimertreffen. es folgen mehrere Pendelfahrten, die rückfahrt ist um 17.41 Uhr. Das rollende Museum der gesellschaft zur erhaltung von schienenfahrzeugen aus stuttgart besteht aus Wagen mit offenen Plattformen. eine 1000 Ps starke Diesellok der Baureihe 212 zieht die Wagen. im Zug sind getränke und Vesper erhältlich. Fahrkarten verkaufen historisch gekleidete schaffner nur im Zug. Die Mitnahme von Fahrrädern und Kinderwagen im Packwagen ist möglich. Weitere Auskünfte gibt es abends unter 0 70 25/41 64. www.sofazuegle.de hemmschwelle senken Anja Hezinger, die am 1. september ihre stelle als stellvertreterin des Hausleiters in der linde antritt, setzt auf die Vernetzung mit bestehenden gruppen, Organisationen und Angeboten: „Wir wollen vermitteln und keine bestehenden Angebote ersetzen.“ es gehe darum, die Hemmschwelle zu senken, um überhaupt erst zu Behörden oder professionellen Beratungen zu gehen. Die Hauptakteure des netzwerks wollen eine Plattform für alle bieten – ob mit Kind oder ohne, ob mit Migrationshintergrund oder nicht. „Aber die geschäftsidee müssen sie schon selbst mitbringen, das können wir ihnen nicht abnehmen.“ sehr erfolgreich seien Frauen in Kirchheim jetzt schon im Handel oder in der gastronomie. Matthias Altwasser erwähnt den wachsenden Markt der haushaltsnahen Dienstleistungen. in der Pflege gebe es einen großen Bedarf, der noch zunehme. Aber auch einen Bügelservice zählt er zu den gefragten Dienstleistungen. nalan Tasci-Feldhoff betreibt in Kirchheim ihr Café Streetsmocca. Foto: Jacques Am Freitag, 18. oktober, 9 bis 10.30 uhr, treffen sich Interessierte in der linde. Im november ist eine Auftaktveranstaltung geplant. Eine Diesellok der Baureihe V 100 fährt am Sonntag nach neuffen. Foto: GES ausstellung „mehr als gescheit“ verlängert (nin) – Die Ausstellung „Mehr als gescheit: 40 Jahre landkreis esslingen“, die anlässlich des landkreisJubiläums im landratsamt esslingen seit Juni zu sehen ist, wird um vier Wochen verlängert. Bis zum 16. september können interessierte Wissens- und sehenswertes aus 40 Jahren landkreis esslingen erfahren. neben exponaten, mit denen die geografische und kulturelle Vielfalt des landkreises esslingen veranschaulicht wird, bieten Hörstationen unterhaltende Highlights aus der Kreispolitik der vergangenen Jahrzehnte. Die Ausstellung ist bis 16. September im landratsamt Esslingen zu sehen, Pulverwiesen 11. Öffnungszeiten: Montag bis Mittwoch von 7.30 bis 15 uhr, Donnerstag von 7.30 bis 18 uhr und Freitag von 7.30 bis 12 uhr.