HEIMSPIEL DIE AKTEURE IM LANDE

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HEIMSPIEL DIE AKTEURE IM LANDE
HEIMSPIEL
DI E A K TEURE IM LAN D E
ANDREAS SITTMANN
PHOTO: STEFAN BACKES
Pfingstsonntag 2007, 18 Uhr. Eine kleine Schar Interessierter versammelt sich erwartungsvoll um einen vollbärtigen Mann mittleren Alters im roten Schnürhemd und mit historischer
Kopfbedeckung, der eine Laute in Händen hält. Im Hintergrund die beeindruckende Kulisse des
Wahrzeichens der Stadt Trier, der Porta Nigra. Andreas Sittmann steigt in historisch verbürgter Manier auf ein
Holzbänkchen, das er eigens zu diesem Zweck mitgebracht hat, und stellt sich als „Bänkel“-Sänger aus dem
17. Jahrhundert vor. „Betrachtet man die wissenschaftliche Forschung, dann haben die Römer die Porta Nigra
um 195 n. Chr. als Stadttor erbaut. Der Gesta Treverorum* zufolge aber, die ein Benediktinermönch in der
vielen Freizeit zwischen dem Hegen des Kräutergartens und dem Beten verfasste, besagt die Gründungssage
der Stadt, dass das Tor von einheimischen Trierern errichtet wurde …“ Man sieht dem Erzählenden an seinem
verschmitzten Lächeln an, dass er selbst nicht recht daran glaubt. Aber es geht ihm vor allem auch darum, mit
einem abwechslungsreichen Programm aus historischen Liedern, witzigen Anekdoten und Wissenswertem am
Rande sowohl den Geist einer vergangenen Zeit Revue passieren zu lassen als auch Touristen wie Einheimische
einmal abseits der gängigen Routen zu führen.
Von Stefan Backes
E
twa eine Stunde zuvor sitze ich
mit Walter Liederschmitt und
Andreas Sittmann, den beiden
offiziellen „Bardenführern“
der Tourist-Information Trier,
im der Porta Nigra schräg gegenüberliegenden Café „täglich“ in der
Spätnachmittagssonne bei einem
Latte Macchiato. „Seit 30 Jahren,
seit meiner Studentenzeit also schon,
mache ich Gästeführungen in
Trier“, erzählt Walter Liederschmitt
alias Woltähr. Noch ein wenig länger schon ist er auch musikalisch
tätig, als Liedermacher, Barde,
Brassens- und Dylaninterpret – auf
Deutsch, Französisch, Englisch
und Moselfränkisch. Mit der Zeit
begann er, passende historische wie
eigene Lieder und Gedichte in seine
Führungen einzubauen, sowohl auf
Hochdeutsch als auch in Mundart,
mal zur Gitarre, mal zur Konzertina,
aber auch schon mal zur historischen Leier. Und seit Jahren schon
gibt es eine Veranstaltungsreihe
„Trier für Trierer“, die aber nicht
nur für Einheimische interessant
ist, sondern deren Reiz darin besteht, dass eher außergewöhnliche, weniger typisch-touristische
Orte aufgesucht werden (wie keltische Quellheiligtümer, Orte mit
Bezügen zur Hexenverfolgung oder
zu Karl und Jenny Marx), wo neben den „Fakten“ dazu vor allem
auch Lieder eingestreut, Gedichte
rezitiert werden.
Anregungen dazu holte er sich in
England und Frankreich, wohin
es Liederschmitt als Lehrer für
Französisch und Englisch öfter
verschlug – insbesondere in die keltischen Regionen, nach Wales, in
die Bretagne oder auch nach Irland
– und wo man, wie er meint, einen
weitaus engagierteren Umgang mit
regionaler Geschichte pflege als
dies hierzulande der Fall sei. Dem
möchte er nacheifern und setzt sich
z. B. unermüdlich für die stärkere Wahrnehmung des keltischen
Aspektes der Region ein, der sich ja
bereits im römischen Namen Triers
manifestiert: „Augusta Treverorum“
– „(Stadt) des Augustus (im Land)
der Treverer“.
Durchsetzungsvermögen
ohne Mikrophon
„In diesem Haus wohnte von 1819
bis 1835 Karl Marx, von dem ich
nun das Gedicht ‚Der Spielmann‘
vortragen möchte. Er verfasste es im
zarten Alter von 18 Jahren …“ Der
Ghettoblaster mit Schlagermusik
im Hintergrund wirkt irritierend
und ablenkend, man muss sich
auf die einnehmend-sympathische
Stimme des Führers konzentrieren. Wie überhaupt an diesem
Tag die Nebengeräusche recht
zahlreich sind, wohl ausgeprägter
als sonst. Zwangsläufig gesellen
sich an jeder Station „Zaungäste“
dazu, die kein Ticket für die
Führung erworben haben, aber
von der ungewöhnlichen musikalischen Darbietung angelockt
werden. Doch Andreas Sittmann
lässt sich nicht aus der Ruhe bringen, hat immer einen Scherz auf
den Lippen und weiß sich gegen
die Konkurrenzgeräusche durchzusetzen – auch ohne Mikrophon
oder Verstärkeranlage. Als er später
mitten auf dem Hauptmarkt eine
Flasche Moselwein auspackt und
seinen Gästen „einschenkt“, um
gleich darauf ein lateinisch-mittelhochdeutsches Trinklied – „Trevir
per dulzor“ aus der Carmina Burana mit neuer Musik von Walter
Liederschmitt – anzustimmen, wird
es sogar beinahe feuchtfröhlich.
Amüsieren tun sich alle gut und
keiner bereut es, dabei zu sein. Auch
nicht das junge Paar aus Dresden,
denen für ihren Tagesausflug in
die Moselmetropole diese Art des
Stadtrundgangs empfohlen wurde.
„Es ist witzig, mal etwas anderes.“
In Ihrer Heimatstadt soll es allerdings ein ähnliches Angebot geben,
verraten sie.
WALTER LIEDERSCHMITT
PHOTO: MARCUS NEUMANN
Leben von der Musik
Als Walter Liederschmitt 2006
sein Anliegen, die „etwas andere“
Geschichte Triers spielerisch-musikalisch zu vermitteln, in Form
der „Bardenführungen“ nun in
direkter Zusammenarbeit mit der
Stadt Trier umzusetzen begann,
wurde ihm klar, dass er dies nicht
alleine bewerkstelligen konnte.
Sofort fiel ihm der langjährige
Musikerkollege Andreas Sittmann
ein, mit dem er bereits 1996 auf
der CD Trierer Venus in ähnlichem
Zusammenhang zusammengearbeitet hatte. So manches Stück
dieses Albums findet sich auch im
aktuellen Stadtführungsprogramm
der beiden wieder. Und dass sie die
von Ostern bis Halloween einmal
wöchentlich stattfindenden Touren
im Wechsel durchführen können,
erlaubt ihnen, auch wichtige andere
Engagements nicht ausschlagen zu
müssen. Im Augenblick bestreiten
beide ihren Lebensunterhalt zu großen Teilen mit der Musik.
Während Liederschmitt im Anschluss an die Sommerferien nach
einjähriger unbezahlter Auszeit
wieder in den Lehrerberuf zurückkehren wird, hat sich Sittmann nun
im dritten Jahr als musikalische
Ich-AG selbstständig gemacht. Im
früheren Leben Bürokaufmann,
verfolgt er seitdem mehrere musikalische Projekte, u. a. die IrishFolk-Combo Rambling Rovers,
die Gruppe Goldrush mit amerikanischem Folk sowie eine Märchenwanderung, bei der er als
singende Begleitung mit einer Erzählerin unterwegs ist. Natürlich
ist er auch solo zu buchen, z. B. mit
einem zweistündigen Programm
als Volks- und Minnesänger.
„Ich gehe auch bei Regen …“
Um die zehn Personen geleiten die beiden im Schnitt pro
Führung zu Stationen wie dem
Dreikönigenhaus, der Judengasse,
dem Dom sowie zur bei normalen Rundgängen selten besuchten
Gruft unter der Jesuitenkirche, in
der Friedrich Spee begraben liegt.
Natürlich unter Verwendung eines Liedes des Jesuitengeistlichen,
Bekämpfers des Hexenwahns
und Verfassers der Trutznachtigall
– „In stiller Nacht“. Aber auch
Volkslieder („Die Gedanken sind
frei“), Spottlieder („Freifrau von
Droste-Vischering“),
Moritaten
(„Dickel, dackel“) und „moderne“ Singer/Songwriter wie Hannes Wader („Heute hier, morgen dort“), Donovan („Donna
Donna“) oder Angelo Branduardi
(„La Pulce D’Aqua“) kommen zu
Gehör, jeweils geschickt eingepasst in den Rahmen der besuchten
Örtlichkeit.
„Ich gehe auch bei Regen. Dann
suche ich mir Markisen, Torbögen
oder dergleichen zum Unterstellen
…“ Andreas Sittmann nimmt die
Sache ernst und hat doch seinen
Spaß dabei. So gelingt es ihm
auch immer wieder, seine Zuhörer
aktiv einzubinden. Z. B. wenn
er sie die zahlreichen Utensilien,
die er zur Veranschaulichung seiner Erzählungen dabei hat, tragen lässt oder vier Personen auswählt, an deren Beispiel er die
am Petrusbrunnen dargestellten
Kardinaltugenden nachstellt. Und
Mitsingen wird sowieso strikt erwartet …
Am Pfingstmontag hat Walter
Liederschmitts neuestes Projekt
Premiere: „Troubadix trifft Konstantin“, anlässlich der Ausstellung
zum ehemaligen römischen Kaiser
in gleich drei Trierer Museen. Auch
dies ein geschichtlicher Rundgang
im Bardenkostüm mit historischen Liedern und Gedichten zur
Leier, über den der SR sogar einen
Film drehen will. Na denn, gutes
Gelingen und dass die Ideen auch
weiterhin nicht ausgehen.
* Bei der Gesta Treverorum handelt es sich
um eine Sammlung von Geschichten,
Legenden, päpstlichen Schreiben und
Aufzeichnungen aus der kurfürstlichen
Zeit Triers.
D
ie Bänkelsängertour durch
Trier findet seit dem 3. Mai
einmal wöchentlich, und
zwar im Wechsel mittwochs
und freitags, jeweils um 18 Uhr
statt und dauert etwa zwei Stunden.
Anmeldungen sind über die Website
der Tourist-Information Trier möglich (www.tit.de), Einzeltickets
können aber auch direkt im Büro
an der Porta Nigra erworben werden. Treffpunkt ist vor der TouristInformation.
auswahldiscographie
Andreas Sittmann,
Der Spielmann – Bänkellieder &
Minnesang (edition stammhaus,
2007)
Diverse, Treverer Barden
(Sampler; Eigenverlag, 2005)
Woltähr, Trierer Venus
(Op der Lay, 1996)
www.
www.andreas-sittmann.de
www.voltaire-woltaehr.de