Einfluss der oralen Gesundheit auf die Allgemeingesundheit

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Einfluss der oralen Gesundheit auf die Allgemeingesundheit
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Einfluss der oralen Gesundheit auf die Allgemeingesundheit
Kongress „Innere Medizin – fachübergreifend: Diabetologie grenzenlos“
am 10./11. Februar 2012 in München
Professor Dr. Dietmar Oesterreich,
Vizepräsident der Bundeszahnärztekammer
Es gilt das gesprochene Wort
Zahnmedizinische Prävention ist vielseitig. Wissenschaftliche Erkenntnisse aus
Untersuchungen der letzten Jahre zeigen: Die Mundgesundheit steht in enger
Wechselwirkung mit der Gesundheit des gesamten Körpers.
Die Mundgesundheit wird zum einen durch eine Vielzahl von körperlichen Faktoren,
von kognitiven und psychosozialen Aspekten beeinflusst - man spricht hier vom biopsycho-sozialen Krankheitsverständnis. Darüber hinaus können altersphysiologische
Abbausyndrome, Mangelerscheinungen, eine geschwächte Immunabwehr oder
Medikamente Auswirkungen haben.
Andererseits existieren vielfältige Hinweise dafür, dass Erkrankungen des Mundes einen
negativen Einfluss auf die Allgemeingesundheit haben können.
Einige Beispiele sollen diese Wechselwirkungen zwischen der Mundgesundheit und der
allgemeinen Gesundheit illustrieren:
Einerseits haben viele allgemeine Erkrankungen deutliche Auswirkungen auf die
Mundhöhle und verstärken das Risiko für Karies und Zahnbett- oder
Mundschleimhauterkrankungen. So ist bei Diabetikern im Vergleich zu NichtDiabetikern das Risiko, an einer Zahnbetterkrankung zu erkranken, dreimal so hoch. Der
Zahnarzt ist nicht selten der Erste, der Erkrankungen des Körpers an Erscheinungen in
der Mundhöhle erkennt.
Andererseits verstärken entzündliche Erkrankungen in der Mundhöhle das Risiko für
bestimmte Allgemeinerkrankungen. Einen massiven entzündlichen Angriff erfährt der
Körper durch die Bakterien des Zahnbelags bzw. oralen Biofilms. Sie können zu
Zahnbetterkrankungen (Parodontitis) führen. Gelangen die dabei freigesetzten
Bakteriengifte in den Organismus, stellen sie ein Risiko für den ganzen Körper dar –
auch auf vom eigentlichen Entzündungsherd weit entfernte Regionen. Sie können
beispielsweise Stoffwechselerkrankungen wie Diabetes mellitus begünstigen oder eine
Verengung der Blutgefäße verursachen, die dann zu Herzinfarkt und Schlaganfall
führen. Es besteht auch ein auffälliger Zusammenhang zwischen Erkrankungen des
Zahnbettes bei Schwangeren und einem geringen Geburtsgewicht sowie einer
Frühgeburt.
Besteht also eine Zahnbetterkrankung über viele Jahre hinweg, erhöht sich
entsprechend die Gefahr einer negativen Wechselwirkung mit dem Organismus.
Werden solche Erkrankungen erkannt, sollte eine kausale Therapie in der Zahnarztpraxis
durchgeführt werden, um weitere Folgeschäden und Wechselwirkungen zu vermeiden.
Die tägliche, häusliche Zahnpflege und die regelmäßige Professionelle Zahnreinigung
(PZR) sind sehr viel mehr als nur Maßnahmen zum Erhalt der Zähne. Sie können
schwerwiegenden Erkrankungen vorbeugen und dienen so der Verbesserung und dem
Erhalt der allgemeinen Gesundheit und damit der Lebensqualität. Leiden Patienten
bereits an Allgemeinerkrankungen, wie Diabetes, kann der Krankheitsverlauf durch
gesunde Mundverhältnisse günstig beeinflusst werden. Es handelt sich also bei
Parodontitis und Diabetes um eine bidirektionale Beziehung.
Für alle Patienten sind Aufklärung und Information sehr wichtig – das gilt natürlich auch
für Diabeteserkrankte. Allein in Deutschland gibt es ca. sechs Millionen diagnostizierte
Diabetiker. Und jüngsten Untersuchungen zu Folge werden die an „Alterszucker“ (Typ II
Diabetes) Erkrankten immer jünger. Hier gilt es, das Duo ungesunde Ernährung und
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Bewegungsmangel zu beseitigen, um einer möglichen Stoffwechselerkrankung
vorzubeugen. Den Zahnärzten kommt bei der Aufklärung eine besondere Rolle zu. Es
sind häufig zahnärztliche Untersuchungen, bei denen sich erste Anzeichen für eine
eventuelle Diabeteserkrankung offenbaren. Zahnärzte sollten in diesem Fall ihren
Patienten dazu raten, zum Hausarzt zu gehen um dies abklären zu lassen. Der
zahnmedizinischen Diagnostik kommt im Sinne des Screenings von wichtigen
medizinischen Erkrankungen also eine zunehmende Bedeutung zu.
Zum anderen ist für Patienten, die wissen, dass sie an Diabetes erkrankt sind, die
Aufklärung bedeutend. Die Zahnärzte sollten geeignete Maßnahmen der
Mundhygiene aufzeigen, welche die Auswirkungen eines Diabetes positiv beeinflussen
können.
Umgekehrt sollten aber auch Diabetiker ihren Zahnarzt frühzeitig über ihre Krankheit
und ihre Blutzuckerwerte informieren, damit dieser die Behandlung darauf abstimmen
kann. Darüber hinaus ist in Abhängigkeit der Schwere der Erkrankung auch eine
Zusammenarbeit zwischen Zahnarzt, Hausarzt oder Diabetologen zu empfehlen.
Unser heutiges Symposium versteht sich als Baustein im Rahmen der von beiden
Partnern, Bundeszahnärztekammer und Colgate-Palmolive, getragenen Initiative
„Gesund im Mund bei Diabetes“. Ziel ist es, auf der Grundlage evidenzbasierter Daten
über eine Vielzahl von Maßnahmen Aufklärungsarbeit zu betreiben. Die inhaltliche
Arbeit erfolgt über einen interdisziplinären Wissenschaftsausschuss, besetzt mit Experten
aus der Diabetologie und Parodontologie. Im letzten Jahr wurde ein Konsensuspapier
von der Deutschen Gesellschaft für Parodontologie und der Deutschen Diabetes
Gesellschaft veröffentlicht.
Fazit für die Praxis
Aufgrund der Erkenntnisse über die Wechselwirkungen zwischen allgemeinen und
oralen Erkrankungen, und hier v. a. zwischen Diabetes und Parodontitis, stellen die
Parodontitisprävention, -therapie und Nachsorge ein wichtiges Bindeglied zwischen
der Zahnheilkunde und der Diabetologie dar. Die medizinische Kompetenz des
Zahnarztes und des zahnärztlichen Teams muss gestärkt werden. Auf Grund dieses
Wissens gilt die Empfehlung: Jeder Diabetespatient sollte zum Zahnarzt überwiesen
werden, wie auch vice versa, die zahnärztliche Praxis ein Screeningort für Diabetiker
und andere Allgemeinerkrankungen sein könnte. Die zahnmedizinische Perspektive
sollte also ein integraler Bestandteil des Diabetesmanagements sein. Die orale
Prävention leistet so einen wichtigen Beitrag zur Senkung des allgemeinen
Erkrankungsrisikos.
Für Rückfragen:
Prof. Dr. Dietmar Oesterreich,
Dr. Sebastian Ziller, Tel.: 030 / 40005-125 [email protected]
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