Offener Brief an den Vorstand der DGU
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Offener Brief an den Vorstand der DGU
Offener Brief an den Vorstand der DGU 17.04.2012 Sehr geehrter Herr Prof. Dr. med. Dr. h.c. Stefan C. Müller, Am 09.02.2011 wurde eine Pressemeldung von Prof. Dr. Frank Sommer, Präsident der DGMG (Deutsche Gesellschaft für Mann und Gesundheit) veröffentlicht, in welcher der Wegfall der Musterungsuntersuchungen durch die Aussetzung der Wehrpflicht beklagt wird. Als Schriftsteller und Initiator von BASTA, einer Initiative gegen erniedrigende Musterungsuntersuchungen der Bundeswehr habe ich mich mit dieser Thematik bereits seit mehreren Jahren beschäftigt und war über diese Äußerung von einem Arzt, der für sich Anspruch nimmt, sich für Männergesundheit einzusetzen, äußerst irritiert. Eine erzwungene und unter entwürdigenden Bedingungen durchgeführte Intimuntersuchung durch Musterungsärztinnen und –ärzte, die in der Regel ohne zusätzliche fachliche Qualifikation arbeiten, wurde implizit mit einer ethisch akzeptablen und qualifizierten Vorsorgeuntersuchung ziviler Praxen gleichgesetzt! Daher habe ich mich in einem Schreiben vom 25.01.2012 an Sie gewendet und Sie um eine klärende Stellungnahme gebeten. Normalerweise gilt nach dem Gesetz jeder ärztliche Eingriff, der nicht mit dem Einverständnis des Patienten durchgeführt wird als Körperverletzung. Eingriffe im Intimbereich ohne Einwilligung werden als sexueller Übergriff gewertet. Auch die Musterung basiert auf gesetzlichen Vorgaben. Wehrpflichtige bzw. aktuell Interessenten des Freiwilligen Wehrdienstes und freiwilligen Bewerber sind vom Gesetzgeber verpflichtet, notwendige Untersuchungen zuzulassen. Dies ist der erlaubte Rahmen für die Untersucher/innen der Wehrbehörden. Die Intimuntersuchung ist keineswegs gesetzlich vorgeschrieben. Diese basiert lediglich auf einer Vorgabe der rechtlich nicht verbindlichen internen Zentralen Dienstvorschrift der Bundeswehr. Diese geht über den gesetzlichen Rahmen hinaus, wenn sie die erzwungene Inspektion des männlichen Genitals, die Hodenpalpation sowie die Phimoseabklärung als Bestandteil der Musterung in den Untersuchungskatalog mit aufnimmt. Kategorisch sollen diese Untersuchung in Gegenwart weiblicher Assistentinnen ohne Sichtschutz durchgeführt werden! Einer mündlichen Anordnung des Leitenden Medizinaldirektors Bernhard Rymus vom Bundesamt für Wehrverwaltung aus dem 2009 zufolge soll der Sichtschutz während der Intimuntersuchung ganz entfernt werden. „Das weibliche Assistenzpersonal solle so die gesamte Untersuchung bis ins letzte Detail mit verfolgen können.“ Begründet wurde diese Maßnahme mit dem „Forensischen Prinzip“. Beschwerden sollten so aufgrund der Zeugenlage auf jeden Fall erfolglos verlaufen. Nein, den Dr. Titel habe ich übrigens nicht vergessen. Der Oberste aller Musterungsärztinnen und –ärzte in Deutschland verfügt selbst über keinen Doktortitel). Ausdrücklich ist hier von weiblichem Assistenzpersonal die Rede, obwohl der Bundeswehr auch genügend männliche Sanitätssoldaten zur Verfügung stehen. Gerade die Situation, unter Zwang den fixierenden Blicken weiterer weiblicher Personen im Zustand der völligen Entblößung während der Hodenpalpation und des Vor- und Zurückziehens der Vorhaut ohne Sichtschutz ausgeliefert zu sein, wurde von vielen Männern als seelisch äußerst belastend wenn nicht gar traumatisierend empfunden. Dabei stellt eine Phimose laut derselben Zentralen Dienstvorschrift nicht einmal ein Ausschlusskriterium für den Wehrdienst dar! Bei Frauen dagegen ist die Genitaluntersuchung in den Vorschriften übrigens ausdrücklich ausgeschlossen. Aus Gutem Grund hat daher derselbe Herr Rymus, der für die Männer die entwürdigende Vorgehensweise zur Regel gemacht hat, sogar die langjährige Praxis, routinemäßig ein gynäkologisches Attest einer Zivilpraxis der eigenen Wahl von weiblichen Bewerberinnen einzufordern, durch eine Dienstanweisung inzwischen wieder rückgängig gemacht. Stattdessen wird bei Frauen gemäß der besagten ZDv 46/1 nur noch dann eine konsiliarische Untersuchung eingeleitet, wenn sich aufgrund der Anamnese hinweise für eine Auffälligkeit in diesem Bereich ergeben. Dennoch ist bei den Untersuchungen weiblicher Bewerberinnen die Anwesenheit männlicher Aisstenz ausgeschlossen. Die von den Behörden immer wieder ins Feld geführte Geschlechtsneutralität der Untersucher/innen und auch der Assistentinnen als Rechtfertigung für die Anwesenheit und Tätigkeit weiblichen Personals bei Männern, wird offenbar sehr einseitig beurteilt! Zum Vergleich: Bei Tauglichkeitsprüfungen für die Feuerwehr reicht laut deren Dienstvorschrift ebenfalls eine Anamnese aus, wenn es um die Abklärung von Erkrankungen des Intimbereichs geht - für beide Geschlechter gleichermaßen. Selbst bei gerichtlich angeordneten Untersuchungen des Intimbereichs wäre eine solche Vorgehensweise gesetzeswidrig. Die betroffenen Männer genießen hier also weniger Schutz ihrer Intimsphäre und ihres Schamgefühls, als normale Strafgefangene. Die psychischen Folgen einer solchen Situation der sexuellen Nötigung, wird von einigen Experten als „Musterungstrauma“ bezeichnet. Ein von uns befragter renommierter Psychologe (ein Universitätsprofessor, der sich mit den psychologischen Methoden des Militärs befasst) meinte im Rahmen eines e-Mailverkehrs zur Praxis der erzwungenen Intimuntersuchungen u. a.: „ … Mit psychischen Traumatisierungen ist bei einer solchen Prozedur und den hohen Fallzahlen in jedem Fall zu rechnen …“ Müsste nicht spätestens hier ein Mediziner, dem es um die Gesundheit von Männern geht, nicht merken, dass es sich bei den Musterungsuntersuchungen eben nicht um normale Vorsorgeuntersuchungen handelt? Zu einer medizinischen Vorsorge sind die Wehrbehörden gesetzlich auch gar nicht befugt – sondern nur zu einer militärischen Tauglichkeitsuntersuchung. Das Ganze ist also als ein sexueller Übergriff und eine Verletzung der sexuellen Selbstbestimmung, die zu den Persönlichkeitsrechten nach Artikel 2 des Grundgesetzes gehört, zu werten. Erschwerend kommt hinzu, dass die überwältigende Mehrheit der Musterungsärztinnen und – ärzte über keine fachärztliche Qualifikation zur urologischen Vorsorgeuntersuchung besteht! Selbst die Prostatavorsorgeuntersuchung ab dem 45 Lebensjahr müssen Soldaten per ZDv 46/1 oft durch unqualifiziertes ärztliches Personal über sich ergehen lassen, welches nach abgeschlossenem Universitätsstudium nur noch über eine mehrwöchige Einweisung in die musterungsspezifischen Aspekte einer Untersuchung verfügt. Wird hier nicht eine gefährliche Scheinsicherheit erzeugt, wenn unter diesen Umständen Diagnosen u. U. mit weitreichenden Konsequenzen erstellt werden? Beides, sowohl die Einhaltung ethischer und gesetzlicher Vorgaben als auch die erforderliche Sachkenntnis, sind nach meiner Meinung integraler Bestandteil ärztlicher Qualifikation. Wenn bei dem einen geschludert wird, gehe ich davon aus, dass auch der andere Teil vernachlässigt wird! Fakt ist: Die erzwungenen Intimuntersuchungen durch die Behörden der Bundeswehr verstoßen gegen alle Regeln des Anstands und der ärztlichen Berufsethik, gegen rechtliche Standards und stellen eine Verletzung der Menschenwürde dar! Dies alles habe ich in meinem Schreiben an den Vorstand der DGU mit den entsprechenden Quellennachweisen dargelegt. Umso erstaunter war ich, als ich Ihre Antwort, die Sie nach eigenem Bekunden in Absprache mit dem Vorstand der DGU verfasst haben, erhielt. Sie stimmen zu, dass „die Musterung junger Männer in einem menschlich und medizinisch normalen Umfeld stattfinden sollte“, ohne allerdings auszuführen, worin diese besteht. Sie bestätigen auch: „Junge Männer in der Pubertät (und auch danach) sind oft sehr schamhaft. Gemäß neuerer Statistiken wenden sie sich nicht mehr an den Pädiater, sondern eher an den Hausarzt der Familie, wenn es zu gesundheitlichen Problemen im urologischen Gebiet kommt.“ Sollte gerade diese Tatsache Ihnen als Vertreter Ihres Berufsstandes nicht zu denken geben? Ist dies nicht als Abstimmung mit den Füßen zu werten? Von uns befragte Urologinnen hielten es durchaus für möglich, dass Männer, speziell junge, die bereits ihre „Musterungserfahrung“ hinter sich haben, künftig den Gang zum Arzt tunlichst vermeiden werden! Als völlig unverständlich und unangemessen erachte ich Ihre flapsige Bemerkung „Durch die Hose keine Diagnose“, mit der Sie sogar die „die körperliche Untersuchung am völlig entkleideten Menschen“ als notwendig rechtfertigen wollen, „um gerade im urologischen Gebiet Krankheiten und Auffälligkeiten zu erkennen“(!) Solche unsinnigen Modalitäten in urologischen Praxen sind sowohl mir persönlich als auch den Männern, die wir auch dazu befragt haben, gänzlich unbekannt! Merkwürdigerweise entsprechen sie aber den von der Bundeswehr gewünschten „Gepflogenheiten“ bei der Musterungsuntersuchung. Würde während einer medizinischen Abklärung dieser Diagnosen von meinem Sohn verlangt, sich vollständig zu entkleiden, würde bei mir der Verdacht eines sexuellen Übergriffs aufkommen und die Untersuchung wäre beendet. Für solche „Doktorspielchen“ stünden weder er noch ich zur Verfügung! Wozu dies bei der Feststellung von Hypospadien geringer Ausprägung, kongenitaler Penisdeviationen, die Varicocele und einer Phimose sinnvoll sein soll, muss wohl Ihr Geheimnis bleiben! Auf dem Westfälischen Urologenkongress in Münster wurde am 29.04.2009 in dem Vortrag "Transsexuelle Männer in Polizei - und Wehrdienst" berichtet, dass zum 01.01.2008 der erste transsexuelle Mann als Zeitsoldat in die Bundeswehr eingestellt worden ist. Dieses geschah unter fachlich urologischer Führung von Herrn Prof. Dr. Schmelz aus dem Bundeswehrzentralkrankenhaus in Koblenz sowie von Herrn Prof. Dr. Sparwasser aus dem Bundeswehrkrankenhaus in Ulm. Wenn eine Penisprothese aus Plastik kein Ausschlusskriterium für die Armee darstellt, wieso sollte dann ein Mann mit Morbus Klinefelter (die einzige Erkrankung, die Sie aufgezählt haben, bei der die körperliche Konstitution bei der Diagnosestellung eine Rolle spielt) weniger geeignet sein, als eine derart ausgestattete und umgebaute Frau? Zur ärztlichen Qualifikation formulieren Sie merkwürdig unscharf: „In jedem Fall sollten entsprechend geschulte Ärzte und Ärztinnen diese Untersuchungen durchführen“. Welche Schulung Sie als entsprechend ansehen, bleibt ungewiss! In meinem Buch „Musterung – staatlich legitimierte Perversion“ habe ich zu diesem Thema deutlicher Stellung bezogen, als Sie es selbst tun. Nach ausführlicher Darstellung der urologischen fachärztlichen Ausbildung habe ich zusammenfassend festgestellt: „Gerade in diesem Gebiet der Medizin spielt wie sonst kaum der geschulte Tastsinn eine entscheidende Rolle. … Es ist ganz sicher nicht zu viel gesagt, hier von ärztlicher Kunst zu sprechen, bei der vorhandenes Talent durch jahrelange Ausbildung nach absolviertem Medizinstudium noch geschult werden muss. Auch und gerade bei der Diagnostik durch Palpation!“ (Musterung, S. 91 bis Seite 92) Habe ich mich hier etwa zu weit aus dem Fenster gelehnt? Ist die Bedeutung des Faches Urologie am Ende gar nicht so wichtig, wie ich ursprünglich annahm? Eine Schlussfolgerung, die Ihre Formulierung durchaus zulässt! Seit einiger Zeit geht bei Ihren Kolleginnen und Kollegen zu Recht die Angst um, dass ihr Fach in Gefahr ist. Der Zerfall der Urologie und die Aufteilung der Bruchstücke auf andere Disziplinen wie beispielsweise Andrologie, Onkologie, Chirurgie usw. wird befürchtet. In seinem Grußwort auf dem Urologenportal spricht Dr. Axel Schroder, Präsident des Berufsverbandes der Deutschen Urologen e.V. gar davon, dass u. a. der Versorgungsanspruch behauptet werden muss! Glauben Sie, dass Sie mit Ihrem Antwortschreiben vom 21.02.2012, welches sehr den fragwürdigen Intention der Bundeswehr entgegen kommt, die Interessen Ihres Berufsstandes und Ihrer Patienten angemessen vertreten haben? Ich fühle mich wohler, wenn ich weiß, dass mein Arzt oder Ärztin in diesem Bereich spezialisiert sind und sich nicht nur zwischendurch neben vielen anderen Fragen auch mal mit meinem urologischen Problem beschäftigen. Zum Vergleich: Der Wehrbeauftragte hat in seinem letzten Bericht an den Bundestag folgendes kritisiert: „Soldatinnen haben dazu (Anm: fehlende Untersuchungs- und Behandlungskapazitäten im Fachgebiet Gynäkologie) erklärt, dies auch nicht zu wünschen, weil sie weiterhin einen frei praktizierenden Gynäkologen ihres Vertrauens aufsuchen wollen. Das ist zu respektieren.“(!) Frauen wird also ohne weitere Hindernisse zugebilligt, sich nur von Ärzten ihres Vertrauens im Intimbereich anfassen und inspizieren zu lassen – und zwar nicht von Ärzten mit „entsprechender Schulung“ sondern von qualifizierten Fachärzten! Warum haben Sie nicht schon längst die Initiative ergriffen und sich für Ihr Fach im Interesse Ihrer Patienten, und Ihres medizinischen Faches genauso stark gemacht? Daher meine konkreten Fragen an Sie: 1. Hält die DGU die Anordnung des Ltd. Medizinaldirektors Herrn Bernhard Rymus als kompatibel mit einem erforderlichen "menschlich und medizinisch normalen Umfeld", wie Sie es selbst formulierten, für Intimuntersuchungen? 2. Hält es die DGU für normal, dass sich Männer für einfachste (Vorsorge) Untersuchungen ihrer Genitalien komplett nackt ausziehen müssen? 3. Halten Sie es unter den beschriebenen Umständen für verantwortbar, dass Vorsorgeuntersuchungen von ärztlichem Personal ohne urologische Facharztausbildung durchgeführt wird? Mit freundlichen Grüßen Lars Peterson Dieser offene Brief wird in der nächsten Zeit deutschlandweit u. a. an zahlreiche urologische Praxen und Einrichtungen, Patientenverbände und Presseorganen zugestellt. Anlagen Briefwechsel DGU Musterung – staatlich legitimierte Perversion (e-book)