PDF-Dokument 08.06.2015

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PDF-Dokument 08.06.2015
UMWELT BAUT BRÜCKEN
Montag, 8. Juni 2015
Umfrage
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„Wasser ist Grundlage für unser Leben“
IZMIR - Das Meer in der Bucht von
Yavus Coban, Fischer: „Meine
Fische sind gesund – das waren sie
schon immer.
Seit ein paar
Jahren sind es
wieder mehr
geworden. Makrele, Barsch und
Brasse – sie sind
alle lecker! Ob
ich schon von
der Kläranlage
gehört habe? Was die läuft noch?“
Izmir ist in der türkischen Mittelmeerstadt allgegenwärtig. Fünf
Bewohner erzählen von dem Stellenwert des Wassers in ihrem Alltag. Clara Schönwald, Milena Kaltenthaler und Jannik Link haben mit
ihnen über dieses Thema gesprochen.
Nehit Kaya, Teehändler: „Der
Zustand des Meeres hat sich verbessert, aber das
hilft mir nicht.
Für den Tee, den
ich verkaufe,
kann ich kein
Leitungswasser
verwenden,
sondern muss
immer noch
Trinkwasser
kaufen.“
Adem Keles, Lehrer: „In meinem
Haus habe ich eine Wasseraufbereitungsanlage,
da ich wegen des
Chlors im Wasser
Angst um meine
Gesundheit habe
– ob beim Duschen, Kochen
oder Zähneputzen.“
Rahim Pinar, Friseur: „Aus meiner Sicht ist die
Kläranlage in
Izmir (ISZU)
erfolgreich, aber
das reicht noch
nicht. Das
Buchtwasser hat
sich zwar verbessert; trotzdem ist noch
Luft nach oben.“
Mustafa Oktay, Fischhändler: „Für
mich ist das
Meer ein Stück
meines Alltags.
Es ist unsere
Lebensgrundlage.
Ohne das Meer
und seine Fische
hätten wir keine
Arbeit.“
Kommentar
●
Von Clara Schönwald und Milena Kaltenthaler
Baden ohne Beipackzettel
Weiße Sandstrände und blaues,
klares Ozeanwasser – es sind hohe
Erwartungen, die Urlauber an die
schönste Zeit des Jahres stellen
und deren Erfüllung in der Türkei
und anderen Mittelmeerländern
suchen.
Jedes Jahr schießen mehr Ferienanlagen aus dem Boden, um diesen Erwartungen gerecht zu werden. Oft wird das viele Abwasser,
das dabei anfällt, in das Meer geleitet, obwohl dies illegal ist. Jedoch
wird das selten kontrolliert und
auch beim Aufdecken einer solchen Straftat sind die darauf folgenden Geldstrafen offenbar nicht
abschreckend genug, um diese
Umweltverschmutzung zu verhindern.
Diesen Vorwurf erhebt Professorin Berit Dural, die an der Ege
Universität Izmir am Institut für
Biologie arbeitet. Sie untersucht
schon lange das Meer und dessen
Bewohner und ist über die letzte
Entwicklung besorgt. „Das Abwasser ist nicht nur ein Problem für
die Algen, sondern betrifft uns alle“, warnt sie. In dem Abwasser be-
fänden sich Schadstoffe und Chemikalien, die letztendlich zum Absterben des Meeresbodens führen
könnten und das gesamte Ökosystem durcheinanderbringen würde.
Das verschmutzte Wasser könne auch gesundheitliche Folgen
für Strandurlauber haben. Auch
wenn der Badeort wie das wahr gewordene Paradies aussehe, könnten Bakterien im Meer enthalten
sein. Immer wieder erreichen Berit Dural Meldungen von badefreudigen Touristen, die mit
Darminfektionen im Krankenhaus
gelandet sind. Wie sich das anfühlt, hat die begeisterte Meeresbiologin, die durch ihre Forschung
täglich mit kontaminiertem Wasser in Berührung kommt, schon
am eigenen Leib erfahren.
Türkei-Reisende sind also gut
damit beraten, für einen schönen
Urlaub bei Sonne, Strand und
mehr auch einmal hinter die Kulissen zu schauen und sich bereits im
Vorfeld über die Wasserqualität
und Abwasserentsorgung am Urlaubsort ausreichend zu informieren.
Verbrauchertipps
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Trübe Brühe oder klares Nass?
Ein Meer, viele Häuser, noch mehr Menschen und jeder muss mal. In Izmir ist Abwasser ein Problem.
FOTO: SANDRA KRAUSS
Volles Rohr
Kläranlage am Anschlag: Wie die türkische Millionenstadt Izmir gegen das Abwasser kämpft
Von Manuela Piott, Sandra Krauß,
Vanessa Golic und Dunja Striebel
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IZMIR - Das Problem, das eigentlich
gar keines mehr sein sollte, gleicht einem Spinnennetz. Wie dünne Fäden
ziehen sich die Abwasserrohre durch
die Straßen Izmirs. Sie überwinden
Hügel, Häuser, Straßenschluchten –
und scheinen kein Ende zu haben. So
sieht das Abwassersystem dieser Mega-Stadt heute noch aus – trotz enormer Investitionen und Entwicklungen.
4,8 Millionen Einwohner zählt die
türkische Provinz Izmir momentan.
Allein in den vergangenen zehn Jahren wuchs die Zahl um eine Million
Menschen – Tendenz steigend. Im
Kampf um den besten Platz mit Meeresblick, reiht sich ein Hochhaus an
das andere. Menschenmassen und
Verkehrschaos prägen das Stadtbild.
Für die Meeresbucht dieser MegaStadt bedeuten Größe und Wachstum
vor allem eines: Mega-Probleme.
Infrastruktur nicht für
Bevölkerungswachstum gerüstet
Diese sind typisch für stark wachsende Städte. 2011 veröffentlichte die Umweltorganisation WWF eine Studie
mit dem Titel: „Big Citys. Big Water.
Big Challenges“, die genau diese Probleme thematisiert. Laut der Studie
werden 2050 rund 70 Prozent der
Weltbevölkerung in Städten leben, arbeiten, duschen – und eine beachtliche Menge Abwasser produzieren.
Doch in den meisten Städten hinkt die
Infrastruktur den Bevölkerungsmassen weit hinterher. Das Abwasser wird
oft einfach in nahe gelegene Gewässer
geleitet und verursacht dort große
Umweltkatastrophen.
Beispiel: Buenos Aires. Die Flüsse
sind so stark verschmutzt, dass von
„öffentlichen Kloaken“ gesprochen
werden kann. Somit besteht ein Gesundheitsrisiko für alle Bewohner,
speziell für Kinder, die häufig an
Darmerkrankungen sterben. WWF
schlägt vor, dass „ein effektives und
nachhaltiges Abwassermanagement
[…] ausschlaggebend“ sei, um die zukünftige Städteplanung nachhaltig zu
gestalten. Izmir versucht seit vielen
Jahren durch unterschiedlichste Projekte diesen Problemen standzuhalten.
Abwässer vernichteten Tierund Pflanzenarten
Bestialischer Gestank – vor allem dafür war Izmir früher bekannt. Daran
erinnert sich auch Rukiye Dulkadir.
Die 76-jährige Türkin sitzt mit ihrer
Freundin Mükeriem Kurt in einem
Café an der Strandpromenade im
Stadtteil Karsyiyaka. „Heute lässt es
sich hier gut aushalten, früher war der
Gestank unerträglich“, erzählen die
beiden Frauen. Denn bis zum Jahre
2000 wurden die gesamten Abwässer
Izmirs ungeklärt ins Meer geleitet.
„Dies führte zu solch starken Verschmutzungen, dass viele Tier- und
Pflanzenarten in der Bucht ausstarben“, erklärt Gagdas Hatirnaz, Wasserbauingenieur der größten Kläranlage der Türkei.
Um diese Umweltverschmutzung
einzudämmen, wurde vor 15 Jahren
ein weltweit einzigartiges Projekt ins
Leben gerufen, das „Grand Channel
Project“. Die Stadt Izmir verlegte hierzu 4150 Kilometer Rohrleitungen, die
das Abwasser von neun Bezirken in
die Kläranlage transportieren. Täglich
spülen diese drei Millionen Menschen
605 000 Kubikmeter dreckige Abwasserbrühe in die Rohre. In den restlichen 21 Bezirken stehen weitere Kläranlagen zur Verfügung, die das Wasser vor Ort reinigen.
Projekt ermöglicht
weiteres Leben am Meer
Auch Rukiye Dulkadir ist über die
bisherigen Ergebnisse des Projekts
glücklich, nun kann sie wieder an ihrem geliebten Meer entlanggehen.
„Das Meer ist für uns Lebensgrundlage. Ohne es wären wir nicht hier“,
sagt sie. Deshalb sei das „Grand
Channel Project“ notwendig gewesen, um den Bewohnern der MegaStadt ein weiteres Leben am Meer zu
ermöglichen.
Wie sauber ist sauber
Um die Sauberkeit der Bucht von
Izmir zu erhalten, fährt ein Forscherteam regelmäßig aufs Meer
hinaus, um dort Wasserproben zu
entnehmen. Doch welche Kriterien
müssen erfüllt werden, damit Urlauber bedenkenlos im Meer vor
Izmir baden können? „Zum einen
gibt es die physischen Aspekte, die
mit dem bloßen Auge erkennbar
sind und ohne technische Geräte
gemessen werden müssen, zum
Beispiel die Sichttiefe oder der
Geruch“, erklärt Meral Coban,
Umweltingenieurin der ISZU-Kläranlage in Izmir. Vor dem Bau der
Kläranlage betrug die Sichttiefe nur
einen Meter, jetzt liegt sie bei vier
bis fünf Metern und auch der Geruch hat sich deutlich verbessert.
Durch die optimierte Sichttiefe
kann das Sonnenlicht tiefer ins
Wasser eindringen und begünstigt
damit die Fotosynthese vieler
Pflanzen. Zum anderen wird die
Wasserqualität nach chemischen
Kriterien untersucht, denn es sollten so gut wie keine Phosphate
oder Nitrate vorhanden sein. Daraus folgt ein optimaler pH-Wert
von 8,1.
Auch das Ökosystem hat sich
stabilisiert, da viele verschiedene
Fischarten in die Bucht von Izmir
zurückgekehrt sind. Dies wurde
nach dem biologischen Kriterium
untersucht. Das weitere Ziel ist, die
Bucht nachhaltig sauber zu halten.
(Von Katharina Wegelin, Jacquelin
Schwemm und Felizitas Eglof)
Doch der Schein trügt. Die MegaStadt wächst immer weiter und somit
steigt auch die Menge des Abwassers.
Wer genau nachrechnet, bemerkt:
„Die Verschmutzung ist nicht behoben, obwohl das Ziel eine weitere Belastung des Meeres zu verhindern, erreicht worden ist“, sagt Professorin
Berit Dural, Meeresbiologin der Ege
Universität Izmir.
Aufgrund des stetigen und schnellen Bevölkerungswachstums ist die
Erweiterung der Kläranlage unvermeidbar. Die neue Phase ist im Bau
und bringt nach der Fertigstellung eine weitere Kapazität von 216 000 Kubikmetern pro Tag mit sich. Rechnet
man mit der momentanen Bevölkerungszahl, ist diese Erweiterung ausreichend. Doch die Stadt wächst weiter und bis der Bau der Erweiterung
abgeschlossen ist, reicht dessen Kapazität wieder nicht aus.
„Machtlos gegen die
türkische Bürokratie“
Eine erneute Erweiterung der Erweiterung ist also unvermeidbar – doch
weitsichtiges Vorausplanen ist unmöglich. Es dauert Jahre, bis Genehmigungen erlangt werden können.
„Wie Pilze schießen die Häuser aus
dem Boden, doch die Infrastruktur
hinkt hinterher“, sagt Gagdas Hatirnaz. Allgemein sind sich die Verantwortlichen des Projekts der Probleme
bewusst, jedoch können sie nichts dagegen tun. „Eines der größten Probleme in der Türkei ist die Bürokratie“,
gibt Gagdas Hatirnaz zu und gegen
dieses Problem seien sie machtlos.
Trotz der immer noch bestehenden Abwasserproblematik an der
Bucht Izmir steht schon wieder ein
neues Projekt an – ein Badestrand.
„Denn auch den Touristen soll in Izmir etwas geboten werden“, sagt Berit
Dural. Doch kann man wirklich in diesem Wasser baden? Das könne jeder
für sich selbst entscheiden, antwortet
sie ausweichend. Sie als Meeresbiologin würde es derzeit niemandem empfehlen.
Von Felizitas Eglof
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Die Strände rund um den Mittelmeerraum ziehen jedes Jahr viele
Urlauber an. Doch was passiert,
wenn so viele Menschen eine Abkühlung im frischen Nass suchen?
Unsere Meere werden immer mehr
durch Umwelteinflüsse belastet und
so entsteht eine schlechte und
gesundheitsschädliche Wasserqualität.
Um diese zu überprüfen, gibt es
EU-Richtlinien, nach denen die
Wasserqualität untersucht wird, wie
zum Beispiel der ideale Gehalt an
E-coli-Bakterien oder Enterokokken. Anhand dieser Richtlinien hat
die Europäische Umweltagentur
EUA im Jahr 2013 Küsten- und Binnengewässer getestet und eine
Karte erstellt, welche die Wasserqualität im gesamten europäischen
Mittelmeerraum zeigt. Des Weiteren ist es möglich, seinen persönlichen Lieblingsbadeort auf die
Wasserqualität zu untersuchen.
Auch der ADAC hat 2011 einen
Test an der oberen Adria durchgeführt und die Werte von mehr als
20 Badeorten veröffentlicht. Jedoch
muss berücksichtigt werden, dass
nicht jede kleine Bucht und jeder
Badesee regelmäßig getestet wer-
Energie aus Dreck
Ein deutsch-türkisches Projekt macht aus Klärschlamm einen nützlichen Rohstoff
Von Mona Heinz, Willi Schlecht
und Johannes Nobis
in ihm enthaltene Energie wird genutzt.
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IZMIR - „Citius, altius, fortius“ (lat.
Taucher nehmen Messungen am
Meeresboden vor.
FOTO: DURAL
den können. Außerdem kann man
sich auch über Gefahren durch
Tiere und Pflanzen im Mittelmeer
informieren. Dazu hat der ADAC
eine Liste für Badeurlauber zusammengestellt.
Mit diesen Tipps steht einem
Badeurlaub ohne Beipackzettel
nichts mehr im Weg.
Die Links zu den genannten Informationen finden Sie unter
» www.schwäbische.de
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„schneller, höher, stärker“) – nach
diesem Motto wurde 2013 im Stadtteil Çigli der Millionenstadt Izmir
die weltweit größte Klärschlammtrocknungsanlage realisiert. Umgesetzt haben das Projekt die deutsche
Firma „stela“ und ihr türkischer Partner „HAUS“.
Klärabfall als Problemprodukt
Klärschlamm besteht aus Feststoffen, die während der Klärung vom
Wasser getrennt und gesammelt
werden. Der Abfall einer Kläranlage enthält eine ganze Reihe von
Schadstoffen, die eine Entsorgung
erschweren. Daneben setzt sich
Klärschlamm aber auch aus Stoffen
wie Phosphor, Stickstoff oder Kalium zusammen. Um die Entsorgung
zu erleichtern, wird der Klärschlamm getrocknet. So kann er
einfach verbrannt werden und die
Ablauf der Klärschlammtrocknung
Zu Beginn besteht der dünnflüssige
Klärschlamm aus einem Prozent
Feststoffen. Dieser wird entwässert,
wodurch der Anteil von Feststoffen
auf sechs Prozent ansteigt. Nun wird
dieser Klärschlamm in Fäulungstanks gefüllt. Dort wird er fast einen
Monat bei warmen 38 Grad Celsius
gelagert. Nach diesem Zeitraum und
einer weiteren Entwässerung ist bereits ein Viertel an Feststoffen vorhanden. Während dieses Stadiums
In dieser riesigen Schlamm-Sauna trocknen die Klärabfälle.
FOTO: STELA
wird der Klärschlamm in der Türkei
„Schlammkuchen“ genannt. In den
Trocknungsöfen wird der weitergeleitete Schlammkuchen unter Hitze
komplett entwässert und besteht am
Ende aus 95 Prozent Feststoffen. So
entstehen in der Anlage in Izmir täglich 60 Tonnen getrockneter Klärschlamm, so viel wie 20 Elefanten gemeinsam auf die Waage bringen.
Weiterverwendung
Zurzeit wird das Endprodukt der Anlage in Tanks gelagert oder zum Auffüllen von Gräben der Kläranlage
verwendet. Bald soll der getrocknete
Klärschlamm an Zementfabriken
weitergegeben werden. Dort wird er
verbrannt und so als Zusatztreibstoff
genutzt.
In Deutschland wird der Klärschlamm meistens in der Landwirtschaft als Dünger für die Felder verwendet oder als Energielieferant benutzt. Seit dem 1. Juni 2005 ist es bei
uns verboten, den Klärschlamm in
Deponien zu beseitigen.
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20 Schwäbische Zeitung
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