Private Fotos der Roma und Sinti
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Private Fotos der Roma und Sinti
Private Fotos der Roma und Sinti von André J. Raatzsch ( Ausschnitt von der Masterarbeit mit dem selben Titel. Betreut von Wolfgang Knapp. Universität der Künste Berlin · Fakultät Bildende Kunst · Institut für Kunst im Kontext Berlin, 31. Mai 2010) Problematik der Roma-Darstellungen der Gegenwart „Was sind diese Bilder, die sich in meinem Kopf einstellen, wenn ich die Bezeichnungen höre oder lese, die in der Sprache der Mehrheitsgesellschaft diese Volksgruppe benennen? Welche Funktion erfüllen diese Bilder, welche meiner Sehnsüchte, welche meiner Ängste verkörpern die Eigenschaften, die ich mit diesen Bildern assoziiere? Welche Vorurteilsstrukturen schlummern in mir, und woher kommen sie? Wie sprach man in der Familie, in der Nachbarschaft über Zigeuner", welche Erzählungen aus der Schulzeit prägten mein Denken, welche Definitionen suggerieren mir Zeitungen und Fernsehen? (...) Eine weitere Frage drängt sich mir auf: Wie finden sich die Sinti und Roma in diesen Vorstellungen zurecht, die die anderen von ihnen als Zigeunern" haben? Wie erklären sie ihren Kindern, warum so über sie geschrieben, erzählt, gemunkelt wird?“ i Jacqueline Giere Die meisten Medien, die Roma in Bildern oder Fotos präsentieren, sind mit der Erwartungen konfrontiert etwas „Zigeunertypisches“ aufweisen zu müssen. Liest man als Titel zu einer fotografischen Ausstellung beispielweise „Fotos von Roma“, werden viele Vorstellungen aktiviert, mit denen der Begriff beladen und ad nauseam überfüllt ist, und mit dem die Fotos dekodiert werden können. Findet man in den Bildern nichts von seinem Vorwissen entsprechend wieder, so entsteht die Konfrontation zwischen dem Gesehenen und dem Erwarteten, was das vermeintliche Wissen und die Wahrnehmungen herausfordert. Was bedeutet es daher Roma zu sein in der visuellen Repräsentation? Seit Jahrzehnten gibt es klare Vorstellungen dafür, wie Roma in Fotografien und Bildern darzustellen und daher zu erkennen sind. „Zigeuner“ sind in unserer Kultur der Inbegriff der Reisenden, Fahrenden, nomadisch Wandernden und in mobilen Behausungen Lebenden. Zwar leben Roma heute europaweit mehrheitlich sesshaft, doch die Mähr vom Nomadentum im Blut gehört zum „Zigeuner“-Klischee einfach dazu, ist sie doch ein wesentliches Merkmal der konstruierten Differenz zum sesshaften bürgerlichen Subjekt. Doch trotz aller Forschungsergebnisse und ihrer Selbstidentifikation werden Roma heute noch immer als Nomaden betitelt, werden sozio-kulturelle und historische Gewordenheiten ausgeblendet.“ii So zählen zur bekannten Sammlung der antiziganistischen Klischees unter anderem „der romantisierende Mythos von Nomadentum und Heimatlosigkeit, Freiheit und Besitzlosigkeit, [das] Leben unter freiem Himmel und außerhalb der bürgerlichen Gesellschaft, Musikalität, Zauberei [und ein mystisches] Verhältnis zur Natur.“iii Weist ein Bild keine von den oben erwähnten „Kriterien“ auf, bleibt für den RezipientInnen üblicherweise praktisch nichts von dem übrig, was man „Roma“ nennt, bzw. nichts von dem was man als „Roma“ zu kennen glaubt. Um diese Vorstellungsbilder nachhaltig zu verändern, wird immer mehr die visuelle Selbtsdarstellung von Roma gefördert. Es werden meistens Kindern und Jugendlichen Kameras in die Hände gegeben, um sie ihre Umgebung dokumentieren zu lassen; eine Wirklichkeit die mit den Augen der Roma gesehen wird. (siehe z.B. das fotografische Projekt peskere jakhenca / with own eyes – mit eigenen augeniv) Das Mittel, dessen sich diese Projekte bedienen, ist allerdings nicht neu: Seit Erfindung der Fotografie wurde diese von Roma immer zum Abbilden ihrer privaten lebenswelt gebraucht. Es ist bereits sowohl unter den Bildern des 19. Jahrhunderts als auch in den 70er und 80er Jahren zu finden. Jedoch wurden diese bis heute nicht sichtbar gemacht. Schauen wir uns Sammlungen privaten Fotos, Familienfotos oder Fotoalben an, z.B. Fotos, die von alltäglichen Situationen gemacht wurden um einen Familienangehörigen, einen Freund oder ein wichtiges Ereignis darzustellen, wird sie die einfachsten Funktion haben, die Fotos haben können: um zu erinnern. Woran möchten wir uns eigentlich erinnern, wenn wir uns die verbreiteten „typischen“ Fotos von Roma anschauen? Diejenigen Fotos, die aus irgendeinem ethnographischen oder sozialen Interesse gemacht wurden? An die Freiheit, an die Fähigkeit, sich von den Sorgen des Alltags ablenken zu können? Die meisten Roma-Darstellungen sind für den sesshaften bürgerlichen Betrachter eine Projektionsfläche für Träume und Ängste einer anderen, mystischen Welt, wobei die Möglichkeit alternativer Lesungen üblicherweise vergessen wird. Was die visuelle Repräsentation von Roma bis heute prägt, ist ein verzerrtes Bild ihres Alltags, ihrer Sozialisierung, des Lernens, der Arbeit und des Festes. Die Darstellung der Realität würde Zauberkräfte und Geheimnisse verbannen und sie als Teil der Folklore entlarven. Im Falle der Roma ist die Folklore jedoch nicht so explizit unterschiedlich und differenziert wie bei anderen Völker. Roma werden meistens selbst mit ihrer Folkore identifiziert, und nur auf diese Art und Weise als „authentische Roma“ gehalten. Obwohl bereits Abbildungen des 19. Jahrhunderts eine breite Palette von Varietäten zeigen, was das Roma-Sein betrifft, was nicht über die Tracht und Bräuche – um Klischees und Stereotypen nicht zu erwähnen – dekodierbar ist, wird meistens nicht beachtet. Ein Parallelbeispiel ist die bildliche Darstellung arabischer Länder. Wenn Fouad Elkoury, einer der Gründer der Arab Image Foundation darüber spricht, was die Welt während mehr als 150 Jahren Fotografie von den arabischen Ländern gesehen hat, sagt er: „Zwischendurch hat man nichts“. Vor dem ersten Weltkrieg gab es eine Typologie v: Ruinen und Monumente, Straßenszenen und Landschaften von Jerusalem, Alexandria, Kairo, und ihre sogenannten „exotischen Einheimischen". Ab den 1970er Jahren wurden die in den Medien stark verbreiteten negativen Stereotypen dominant. Die Themen und Ereignisse des halben Jahrhundert, zwischen dessen beiden Epochen wurden jedoch kaum dargestellt, ebenso wie alles jenseits der Stereotypen. Heute scheitert die Pressefotografie noch immer an der Darstellung von Arabern oder arabischen Gesellschaften. Die Abbildungen, die wir üblicherweise zu sehen bekommen, zeigen keinesfalls die reale Zivilgesellschaft und bringen nicht die politischen Bewegungen und sozialen Processe der arabischen Regionen zum Ausdruck.vi Dies weist Ähnlichkeiten mit den Problemen der fotografischen Darstellung der Roma auf: Unter den von den Medien gezeigten RomaAbbildungen fehlen gerade diejenigen, die über die Grenzen von Stereotypen hinausgehen und welche Roma geseltschaftlichen Normen entsprechend darstellen würden. Die privaten Fotos von Roma hingegen, die von einem ganz anderen Blickwinkel als dem üblichen gemacht wurden und nur in Familien-Fotoalben oder zerstreut in manchen Sammlungen zu 2 finden sind, bleiben leider noch immer als Dekoration oder als Vorgeschmack am Anfang oder am Ende gewisser fotografischer Buchveröffentlichungen (siehe die Familienfotos, und die Urlaubfotos in der inneren Deckplatte von Joakim Eskildsens Romareisen). vii Im 15. Jahrhundert begann die visuelle Repräsentation von Roma in Europa. Ende des 19. Jahrhunderts, mit dem Anfang der Fotografie hatten „Zigeuner“-Darstellungen Konjunkter, die nicht die Absicht hatten, die realität der Menschen auf den Bildern zu repräsentieren. Sie stellten vielmehr „Zigeuner“-Stereotypen dar, sagt Ines Busch. Wenn wir in der Geschichte weiter gehen, dann können wir feststellen, dass in den 20er Jahren die Roma einerseits ihre Ethnizität verloren haben (Roma zu sein bedeutete einen Zustand zwischen Unterschicht und der Arbeiterklasse) und anderseits eine soziale Erosion zu beobachten war, meint Peter Szuhay. Es existiert ein exakt beschreibbares „Zigeuner“-Bild nach welchem Roma als europäische „Wildmenschen“ dargestellt wurden. Die Darstellung von den ewig reisenden „Zigeunern“ ist nur eines von den zahlreichen weit verbreiteten „Zigeuner“-Klischees. In unserer globalisierten Welt wissen wir, dass das nicht stimmt und die Mehrheit der Roma-Minderheit sesshaft ist. Trotzdem fällt es schwer, daran zu glauben. Die „Zigeuner“ haben sich angepasst – aber das Interesse bezieht sich auf die „Nomaden“, wie es z.B. die in Brasov (Rumänien) entstandene Fotoserie von Artur Adler über die Wanderung der „Kolompáren“ und „Kalderas“ Roma-Gruppen erzählt und die er weiter führt in seinem Essay zur Ausstellung „Bilder, Zigeuner, Zigeunerbilder“.viii Die meisten Bilder zeigen größte Armut. Die erste Darstellungvariante zeigen die Wanderer als exotische Gruppen, während ihre Zeitgenossen in Bauernhäusern gelebt haben. Diese Darstellung von Elend und größter Armut beginnt mit dem Anfang der Soziofotografie zwischen den Weltkriegen. Sie macht keine ethnischen, religiösen oder muttersprachlichen Unterschiede; der Begriff Armut bleibt universal. Ab den 50er Jahren wird der Begriff Armut besonders für die Darstellung von unter dem Existenzminimum lebenden „Zigeunergruppen“ als Menschen in der Peripherie der Gesellschaft auf ethnischer Ebene gebraucht. Wenn die Fotografen an einem konkreten Ort konkrete Personen, Familien und Gruppen fotografieren, dann beinhalten diese Bilder in jenem Moment das Individuum, aber wenn diese in der Öffentlichkeit in einer Ausstellung gezeigt werden, verlieren sie in der Präsentation und Rezeption diese Ebene und beginnen „Zigeuner“-Klischees abzubilden. Sie funktionieren als Dokumentation der gesellschaftlichen Ausgrenzung und festigen damit das vorgefaste Bild, wer die „Zigeuner“ sind und dass alle „Zigeuner“ so sind. Ein weiteres Parallelbeispiel ist die Erforschung der ungarischen Bauernbild. Als die Ethnographen, Anthropologen und Soziologen die Ungarischen Bauern und das Bauerntum erforschten, war der Anfang der Ethnographie der Bauer, welche auf ähnliche Art und Weise als exotisches Mitglied der Gesellschaft dargestellt wurde. ix Warum konserviert unsere Gegenwart noch immer die traditionellen falschen Bilder der Roma? Es scheint, als gebe es Vorbehalte und Ängste, auf Grund derer, die Wirklichkeit der Roma bewusst nicht gezeigt wird soll. Dies führt zu weiteren Missverständnissen, da die Roma noch immer nicht als zu ethnischen und muttersprachlichen Gruppen zugehörig wahrgenommen werden, sondern grundsätzlich als Zustand und Lebensform, wie über die wandernde, die angesiedelte und die sich dazwischen befindende Kategorien repräsentiert werden.x 3 In das interdisziplinäre-Projekt Rewritable Pictures (Wiederbeschreibbare Bilder. Mehr Info unter: www.cultureanddevelopment.org/index-14.html) suche ich Antworten auf die Problematik der Roma-Darstellungen der Gegenwart und präsentiere Fotografien, die nicht zu den üblichen Klischees und egzotizierende Abbildungen der Roma gehören. Ich bin der Meinung, dass heute die unterschiedlichste Bilder gleichzeitig miteinander existieren müssen, und nur die Rezipient_Innen können entscheiden ob sie der Wirklichkeit entsprechen oder nicht, und dies zu entscheiden ist die grösste Verantwortung der Bürger und Bürgerinnen. Die folgende Abbildungen sind ausgeliehenen Fotos aus dem Ethnographischen Museum Budapest und gehören zu den Roma-Fotosamlung des Museums. 4 Die Bilder sind ausgeliehenen Fotos aus dem Ethnographischen Museum Budapest. Copyright der Originalfotos bei dem Ethnographischen Museum Budapest. i Baustein "Zwischen Romantisierung und Rassismus" Sinti und Roma 600 Jahre in Deutschland. – Hrsg: Landeszentrale für politische Bildung Baden-Württemberg, Stuttgart 1998 ii in: Ines Busch: Das Spektakel vom »Zigeuner« . Visuelle Repräsentation und Antiziganismus. – In: Marcus End, Kathrin Herold, Yvonne Robel: Antiziganistische Zustände: Zur Kritik eines allgegenwärtigen Ressentiments S. 167 iii in: Ines Busch: Das Spektakel vom »Zigeuner« . Visuelle Repräsentation und Antiziganismus. – In: Marcus End, Kathrin Herold, Yvonne Robel: Antiziganistische Zustände: Zur Kritik eines allgegenwärtigen Ressentiments S. 162 iv www.benedik.cc/owneyes/owneyes_-peskere_jakhenca _romani_childrens_ pictures_of_a_romani_village /with_own_eyes.html v vgl. Alf Thomas Epstein: Mit Kamel und Kamera: Historische Orient-Fotografie 1864-1970, Museum für Völkerkunde Hamburg; Auflage: 1 (Dezember 2007) vi vgl. Lynn Love: The Pictures Between The Saudi Aramco World 52, no. 1 (January/February 2001), http://www.saudiaramcoworld.com/issue/200101/the.pictures.between.htm (Abgerufen 15.04.2010) vii vgl. innere Deckplatte der fotografischen Publikation Die Romareisen von Joakim Eskildsen. – Göttingen : Steidl, 2007 viii vgl. Bilder, Zigeuner, Zigeunerbilder. Ausstellung: 30.5.2005 Milennaris B Ausstelungsraum, Budapest. – Ungarischer Text von Peter Szuhay, Kurator, Direktor der Roma Abteilung des Ethnografischen Museums in Budapest (übersetzt von André J. Raatzsch) S. 3 ix vgl. ebd. S. 3 x vgl. ebd. S. 3 5