Ein Stein im Mosaik

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Ein Stein im Mosaik
LEITARTIKEL
Muslime in Luxemburg
Ein Stein im Mosaik
Staat unterzeichnet Abkommen mit Glaubensgemeinschaft
Der Staat will mit der muslimischen Glaubensgemeinschaft ein
Abkommen unterzeichnen. Gehälter
und Pensionen der muslimischen
Geistlichen sollen in Zukunft vom
Staat getragen werden. Die Muslime müssen sich im Vorfeld organisieren und sich zur Verfassung
sowie der öffentlichen Ordnung im
Großherzogtum bekennen. Für den
zuständigen Minister François Biltgen, ist das Abkommen ein
Zeichen für die Integration der
Muslime in der Gesellschaft.
Zwischen 8 000 und 10 000 Muslime sollen im Großherzogtum leben. Dabei handelt es sich allerdings bloß um eine Schätzung.
„Die Mehrzahl der Muslime in
Luxemburg dürften der sunnitischen Glaubensrichtung angehören“, meint François Biltgen. Vor
allem aus Bosnien und Montenegro fanden viele Muslime in den
Kriegsjahren den Weg nach Luxemburg. In Mamer, Wiltz, Differdingen und Esch wurden islamische Kulturzentren eingerichtet.
Seit 1998 wurden bereits Abkommen mit der katholischen Kirche, der protestantischen Kirche,
den orthodoxen Kirchen, der anglikanischen Kirche und der jüdischen Gemeinschaft unterzeichnet. Das Parlament beauftragte
seinerzeit die Regierung auch mit
anderen Weltreligionen, die in
Luxemburg vertreten und aktiv
sind, Abkommen anzustreben.
Ein Abkommen mit den Muslimen scheiterte lange Zeit an
einem fehlenden Ansprechpartner. Doch nun haben sich die vier
bestehenden Gemeinschaften verpflichtet, eine Schura zu bilden,
eine Versammlung der muslimischen Gemeinschaft in Luxemburg. Diese soll sich aus einem
Muslime sind in
Luxemburg
willkommen, so
François Biltgen.
(FOTO: REUTERS)
Mufti und Laien zusammensetzen.
Die Satzung der Schura muss vom
Ministerrat genehmigt werden.
Auch die Ernennung des Mufti
steht unter dem Vorbehalt der Zustimmung der Regierung. Wie der
Klerus der anderen Glaubensgemeinschaften, muss der Mufti
einen Eid auf die Verfassung ablegen. Neben dem Mufti wird der
Staat die Gehälter und Pensionen
von fünf Imamen und eines Sekretärs übernehmen.
„Dieses Abkommen stellt keine
Anerkennung des muslimischen
Glaubens in Luxemburg dar. Die
Verfassung garantiert die Glaubensfreiheit“, stellte François Biltgen klar. Der Staat stelle den Muslimen lediglich die nötigen finanziellen Mittel zur Verfügung, „um
ihrer Mission nachkommen zu
können“. Das Abkommen mit den
Muslimen entspreche dem Lu-
xemburger Verständnis der Trennung von Kirchen und Staat. „Eine
offene, übergreifende Neutralität“,
wo den Kirchen eine Rolle im
öffentlichen Raum zuerkannt werde, so Biltgen.
Die Frage von muslimischem
Religionsunterricht stelle sich in
diesem Zusammenhang nicht.
Auch habe die muslimische
Gemeinschaft bislang nicht den
Wunsch geäußert, an den Schulen
unterrichten zu können. Das Abkommen mit der muslimischen
Glaubensgemeinschaft bedarf der
Zustimmung der Abgeordnetenkammer. Biltgen will den entsprechenden Entwurf hinterlegen, sobald die Satzung der Schura in
Kraft ist. „Muslime sind in
Luxemburg willkommen. Dieses
Abkommen ist ein Stein im Mosaik
ihrer
Integration
in
Luxemburg“, so Biltgen.
(LZB)
Staatsrat auf Regierungskurs
Gutachten zum Gesetzprojekt über Palliativpflege und Sterbebegleitung
In einem fundierten Gutachten
hat der Staatsrat kürzlich Stellung
zu dem im Frühjahr 2006 vorgelegten Gesetzprojekt über Palliativpflege und Sterbebegleitung
bezogen. In dem Gutachten wird
auch die Gesetzinitiative kommentiert und unter die Lupe genommen, die die Abgeordneten
Lydie Err (LSAP) und Jean Huss
(Déi Gréng) vor Jahren schon eingereicht hatten. Die beiden Parlamentarier wollen die aktive Sterbehilfe in Luxemburg legalisieren.
Und genau das ist der Punkt:
Der Entwurf der Regierung legt
den Akzent auf die Begleitung
schwerst Kranker, deren Pflege
und auf die Problematik der
medizinischen Überversorgung
(„acharnement thérapeutique“).
So sollen u. a. die Rechte der
Kranken genau definiert werden.
Der Gesetzesentwurf soll für
Rechtssicherheit sorgen: Der
Therapieabbruch bei unheilbar
kranken Personen soll weder
straf- noch zivilrechtlich verfolgt
werden können. Der Patient soll
entscheiden können, ob er seine
Behandlung fortsetzen oder ab-
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POLITIK & GESELLSCHAFT
Luxemburger Wort
Mittwoch, den 25. Juli 2007
brechen will. Die entsprechende
schriftliche Bekundung soll entweder bei einem Arzt oder einer
Person des Vertrauens hinterlegt
werden. Vorgesehen ist auch ein
Sonderurlaub für Angehörige, die
die Patienten auf ihrem letzten
Weg begleiten.
Die Pflicht, Leben zu schützen
Die Hohe Körperschaft rät in ihrem Gutachten mehrfach zur Vorsicht beim Reglementieren in
einer Domäne, die ethisch und
deontologisch von höchster Brisanz ist. Der Ausbau einer palliativen, sprich lindernden Medizin
mit der Anwendung therapeutischer Maßnahmen wird vom
Staatsrat nicht in Frage gestellt.
Das Gremium unterstreicht immer
wieder die Würde des Menschen,
die auch im Sterben und im Tode
beachtet werden müsse.
Der Staatsrat stützt sich formell
auf die Empfehlungen der parlamentarischen Versammlung des
Europarats zum Schutz der Menschrenrechte und die Würde unheilbar Kranker und Sterbender.
In dieser Empfehlung aus dem
Jahr 1999 wird für ein absolutes
Verbot aktiver Euthanasie eingetreten. „Der Sterbewunsch einer
todkranken beziehungsweise sterbenden Person kann keine gesetzmäßige Rechtfertigung darstellen,
Handlungen auszuüben, mit denen die Herbeiführung des Todes
beabsichtigt ist“, so die klare Vorgabe der parlamentarischen Versammlung des Europarats.
Neben der besagten Europaratsempfehlung weist der Staatsrat in der Einleitung seines Gutachtens auch auf Artikel 40 des
Deontologiekodex für Mediziner
hin. Dieser Passus besagt, dass es
dem Arzt verboten ist, wissentlich
den Tod eines Patienten herbeizuführen oder ihm Hilfestellung bei
der Selbsttötung zu bieten.
Wie Gesundheitsminister Mars
Di Bartolomeo dem „Wort“ gegenüber erklärte, sei das Gutachten
des Staatsrats „eine solide Grundlage für die weitere parlamentarische Arbeit. „Es spricht nichts dagegen, dass das Gesetzprojekt
schnellstmöglich zur Abstimmung
gebracht werden kann“, so der
Minister.
(MaG)
Ja und Nein!
W
enn ArcelorMittal am
nächsten Freitag mit
dem früheren Solidarnosc-Leader und polnischen
Staatspräsidenten Lech Walesa
als Ehrengast in Krakau ein
neues Stahlwerk einweihen wird,
dann geht es dabei wohl um die
offizielle Inbetriebnahme einer
von vier strategischen Investitionen in einem neuen EU-Mitgliedstaat durch den weltweit agierenden Konzern mit Hauptsitz in
Luxemburg, doch soll uns diese
Zeremonie Anlass zu Betrachtungen über die besser unter dem
Begriff Globalisierung bekannte
weltweite Internationalisierung
von Wirtschaft, Industrie und
Handel sein.
Unter Globalisierung wird eigentlich eine Veränderung der Weltwirtschaft verstanden, die zu
mehr länderübergreifenden
Transaktionen führt, jedoch auch
im kulturellen und gesellschaftlichen Bereich stattfindet. Experten sehen in diesem Prozess sogar einen kompletten Umbruch
des jetzigen Systems u.a. durch
eine zunehmende Handlungsunfähigkeit der Nationalstaaten.
Über die in der Theorie angepriesenen Vorteile der Globalisierung
durch die Dynamik des Handels
mit Waren und Dienstleistungen
sowie den Kapitalfluss und Technologietransfer hinweg stellt
sich in der Praxis aber zunehmend die Frage, ob die Globalisierung eigentlich gerecht ist
oder letztlich nicht sogar zu weniger Gerechtigkeit auf der Welt
führt. Es gibt zweifelsfrei Länder,
die erheblich von der Globalisierung profitieren, wie beispielsweise Brasilien, China und Indien, wo die Wirtschaft stetig
wächst. Ein Paradebeispiel für
diese Feststellung ist im individuellen Bereich der Stahlmagnat
Lakshmi Mittal, der dank der
Globalisierung aus eher ärmlichen Verhältnissen zu einem der
reichsten Männer der Welt aufstieg. Letztlich dürfte durch die
Globalisierung aber die Kluft zwischen Arm und Reich wachsen
und der Mittelstand einer der
„Globalisierung
darf nicht zum
Zwangsausverkauf
führen.“
JOSEPH LORENT
hauptsächlichen Leidtragenden
dieser Entwicklung sein.
Erschrecken kann z.B. der Umstand, dass die Währungsreserven der Volksrepublik China
mittlerweile höher sind als das
Gesamtvolumen der EU-Finanzperspektiven für den Zeitraum
2007-2013. Das kommunistische
Regime in Peking könnte demnach strategisch wichtige europäische Industrien einfach aufkaufen. Daher sollte man nicht
unbedingt jubilieren, wenn
Europas führender Flugzeugbauer Airbus, wie soeben geschehen, einen Vertrag über die
Errichtung seines ersten außereuropäischen Endmontagewerkes in China besiegelt hat.
Es kommt jedenfalls nicht von
ungefähr, dass in letzter Zeit immer mehr Stimmen in der europäischen Politik laut werden, die
von der EU einen Ordnungsrahmen im Sinne eines verstärkten
Schutzes nationaler Schlüsselindustrien vor ausländischen
Staatsfonds fordern. Diese orientieren sich nämlich unter Umständen nicht nur an Renditezielen, sondern verfolgen machtund industriepolitische Absichten.
Direkt unmoralisch ist aber der
Umstand, dass in den meisten
der heranwachsenden neuen
Wirtschaftsmächte riesige Vermögen angehäuft werden, indem
anders als in den westlichen
Ländern die arbeitenden Menschen keinen Sozialschutz genießen und auch ökologische Kriterien kaum eine Rolle spielen.
Wenn die Globalisierung nicht
vorweg als negativ abgetan werden sollte, so sind doch viele ihrer Auswirkungen resolut abzulehnen, denn sie darf nicht zum
Zwangsausverkauf führen!
DER KOMMENTAR
Gescheiterte Subsidiarität
Der Staat muss sich stärker um
die Integration von Ausländern
bemühen. Und er darf seine
Verantwortung nicht länger auf
die Gemeinden abwälzen, die
mit dieser Mammutaufgabe
allzu oft überfordert sind. Zwar
gibt es auf kommunaler Ebene
einige gute Ansätze wie zum
Beispiel Willkommensfeste oder
Multikultitage. Weil aber verbindliche Vorgaben über das
Wie und Wieviel integrieren
fehlen, handeln viele Gemeinden nach eigenem Gutdünken.
Das Ergebnis ist, dass einige
Kommunen ihre ausländischen
Bevölkerungsgruppen vorbildlich eingliedern, während sich
andere überhaupt nicht um sie
kümmern. Kurzum: Das Subsidiaritätsprinzip hat versagt. Nun
könnte ja der Staat schnell in
die Bresche springen. Allerdings
fehlte es in der Vergangenheit
an der notwendigen Entschlossenheit. Dies musste auch die
zuständige Ministerin Marie-Josée Jacobs eingestehen. Ein
neues Integrationsgesetz will
sie dennoch nicht verfassen.
Lediglich zu Abänderungen und
Ergänzungen soll es kommen,
etwa was die Sprachkurse und
den Contrat d'accueil angeht,
den künftig jeder Zuwanderer
abschließen soll. Anregung will
man sich bei diesen Abkommen
im Ausland holen. Von zuviel Inspiration am französischen Modell wäre abzuraten: Dort befürchten nämlich die Hilfsvereinigungen, dass der Vertrag als
Vergeltungsmaßnahme von
denjenigen verstanden werden
könnte, die an den Integrationsanforderungen scheitern.
JOELLE MERGES