Mimesis 1. Vorlesung
Transcription
Mimesis 1. Vorlesung
Mimesis und Konstruktion von Altamira bis Zeki Ulrich Pfisterer WS 2012/13 Louis Lumière (1895): „Entrée d’un train en gare de La Ciotat“ Adolph Menzel: Eisenbahn BerlinPotsdam (1847), Nationalgalerie, Berlin J.M. William Turner: Rain, Steam and Speed: The Great Western Railway (vor 1844), National Gallery, London Claude Monet: Le Gare Saint-Lazare (1877), Harvard Art Museum/Fogg Museum, Cambridge (MA) The Horse in Motion by Eadweard Muybridge. „Sallie Gardner“, owned by Leland Stanford; running at a 1:40 gait over the Palo Alto track, 19th June 1878 Hochzeit von Zephyr und Chloris, 4. Pomp. Stil (um 60 n. Chr.), Neapel, Archäol. Nationalmuseum Geometrischer Kantharos mit Wagenfahrt, aus Böotien (spätes 8. Jh. v.Chr.), Univ. Göttingen Apsismosaik (um 400), S. Pudenziana, Rom Christus Pantokrator, fertig 1148, Dom von Cefalù Cima da Conegliano, Sacra Conversazione (um 1496-99), Venedig, Accademia Masaccio, Trinitätsfresko (1425-28), Florenz, S. Maria Novella Pere Borrell del Caso: Der Kritik entfliehen (1874), Collection Banco de España, Madrid Édouard Manet: Der Pfeifer (1866), Paris, Musée d‘Orsay Pablo Picasso: Les Demoiselles d’Avignon (1907), New York, The Museum of Modern Art Lucio Fontana, Concetto spaziale ›attese‹ (1958/65), Essen, Museum Folkwang Barnett Newman, ‘Who is afraid of red yellow and blue?’ (1967) Jean Fouquet: Grandes Chroniques de France (um 1455-1460), Paris, BNF Gott als Weltenbaumeister, Bible Moralisée (um 1250), Wien, ÖNB Louis Lumière (1895): „Entrée d’un train en gare de La Ciotat“ R.W. Paul (1901): „The countryman’s first sight of the animated pictures“ Caravaggio, Medusa (1598/99), Florenz, Uffizien Domenichino: Diana und ihre Nymphen (1616-17), Rom, Galleria Borghese Lucio Fontana, Concetto spaziale ›attese‹ (1958/65), Essen, Museum Folkwang Barnett Newman, ‘Who is afraid of red yellow and blue?’ (1967) Marina Abramovic und Ulay, Imponderabilia (1977), Galleria d'Arte Civica di Bologna Louis Lumière (1895): „Entrée d’un train en gare de La Ciotat“ R.W. Paul (1901): „The countryman’s first sight of the animated pictures“ Edwin S. Porter / Edison Manufacturing (1902): „Uncle Josh at “the Moving Picture Show Jean-Léon Gérôme, Pygmalion (um 1892), New York, Metropolitan Museum of Art 16.10. Mimesis als Herausforderung Nachahmung des Sichtbaren und der Natur 23.10. Paragone der Medien und technische Innovationen 30.10. Perspektiven der Wirklichkeit 06.11. Augentäuschung und Erkenntnis 13.11. Augentäuschung und Politik 20.11. ‚Lebendigkeit‘ als Ideal I: Geister und Automaten Wirkung des Sichtbaren und der Bilder 27.11. Präsenz und Repräsentation: Körper(teile) 04.12. ‚Lebendigkeit‘ als Ideal II: Porträt 11.12. Bilderliebe / Bildersturm 18.12. Kunst-Räume Welt-Bewältigung, Welt-Aneignung, Welt-Konstruktion 08.01. Imagination 15.01. Nachahmung als Tugend 22.01. Nachahmung als künstlerischer Lernprozeß 29.01. Altamira und Zeki - Anfänge und Enden der Mimesis 05.02. Klausur Platon: Politeia [597 23A] Wollen wir nun, sprach ich, an eben diesen Beispielen den vorhin erwähnten Nachahmer untersuchen, was er eigentlich ist? - Ja, sagte er, wenn es dir recht ist. Es ergeben sich für uns dreierlei Betten. Ein begrifflich seiendes, das wohl nach meiner Ansicht ein Gott geschaffen hat, oder wer sonst? - Niemand anders, denke ich. Zweitens eines, das der Tischler gezimmert hat. - Ja, sagte er. Drittens eines, das der Maler gemalt hat, oder nicht? - Es ist so. Also Maler, Tischler und Gott sind drei Meister für drei Arten von Betten. […] Demnach wird auch der Tragödiendichter, wofern er ein Nachbildner ist, eigentlich nur ein Abbild im dritten Grade etwa von dem Könige geben und von der Wahrheit, und so alle übrigen Nachbildner auch. Es scheint so. Über den Nachbildner sind wir also einmal im reinen, [598 2A] aber über den Maler gib mir noch Antwort auf folgende Frage: Scheint er dir jene Wesensbilder von den Dingen nachbilden zu wollen, oder die Erzeugnisse der Werkmeister? Die der Werkmeister, sagte er. So wie sie sind, oder so wie sie scheinen? Denn das ist noch bestimmter anzugeben. Wie verstehst du das? fragte er. Auf folgende Weise: Ein Bett, wenn du es von der Seite oder von vorn oder wie immer ansiehst, hat es da nicht jedesmal eine von der vorigen verschiedene Gestalt, oder ist kein Unterschied vorhanden, sondern nur der Schein einer Verschiedenheit, und so hinsichtlich aller Dinge überhaupt? Ich meine letzteres, sagte er, es ist nur ein Schein von Unterschied vorhanden, es ist aber keiner. [B] Diesen Punkt nun halte fest im Auge! Auf welchen der beiden Zwecke geht die Malerei, für das Nachbilden des Wesenhaften, wie es ist, oder für das des Scheinenden, wie es sich im Scheine gibt. Ist sie also eine Nachbildung von Schein oder von Wahrheit? Vom Scheine, antwortete er. Weit also von der Wahrheit ist offenbar die Nachbildung entfernt, deswegen kann sie auch alles mögliche nachmachen, weil sie nur weniges von jedem Ding trifft, und dazu noch mit einem Schattenbilde davon. Aristoteles: Poetik „[…] Da nun die Nachahmenden Handelnde nachahmen (1448a) so folgt daraus mit Notwendigkeit, daß diese entweder tugend- oder lasterhaft sind, denn allein auf diese Gegensätze laufen doch wohl stets unsere sittlichen Eigenschaften hinaus, indem sich alle in bezug auf ihren Charakter durch Laster und Tugend unterscheiden. Dementsprechend ahmen die Dichter Handelnde nach, die entweder besser als wir Durchschnittsmenschen sind oder schlechter oder auch diesen ähnlich. Dasselbe finden wir bei den Malern, denn Polygnot pflegte bessere, Pauson schlechtere und Dionysios der Wirklichkeit entsprechende Menschen nachzubilden. Fernerhin ist es klar, daß auch eine jede der erwähnten nachahmenden Darstellungen eben diese Unterschiede aufweisen wird, insofern aber eine verschiedene sein wird, als sie verschiedene Objekte nachahmt. […] eben darin besteht auch ein Unterschied zwischen der Tragödie und Komödie, denn diese will schlechtere Charaktere nachahmend darstellen, jene dagegen bessere als sie heutzutage sind. Zu den (im obigen behandelten) Darstellungsunterschieden gesellt sich nun als dritter, die Art und Weise, in der man die einzelnen Gegenstände nachahmen könnte. Man kann nämlich mit denselben Darstellungsmitteln dieselben Gegenstände darstellen, dabei aber einerseits erzählen—und zwar entweder, wie Homer dies tut, in der Person eines anderen oder aber in eigner Person ohne sich zu ändern— andrerseits so, daß man alle nachahmend dargestellten Personen als handelnd und in Tätigkeit vorführt. Diese drei also sind die Unterschiede, in denen sich die nachahmende Darstellung, wie wir zu Anfang bemerkt haben, vollzieht, nämlich in den Mitteln, den Gegenständen und der Art und Weise. […] Im allgemeinen scheinen es etwa zwei und zwar in der menschlichen Natur begründete Ursachen gewesen zu sein, die die Dichtkunst hervorgebracht haben. Denn das Nachahmen ist dem Menschen von Kindheit an eingepflanzt, unterscheidet er sich doch dadurch von allen anderen lebenden Wesen, daß er das am eifrigsten der Nachahmung beflissene Wesen ist, und daß er seine ersten Kenntnisse vermittelst der Nachahmung sich erwirbt. Auch die Freude aller an nachahmenden Darstellungen ist für ihn charakteristisch. Ein Beweis dafür ist, was uns bei Kunstwerken tatsächlich begegnet. Denn von denselben Gegenständen, die wir mit Unlust betrachten, sehen wir besonders sorgfältig angefertigte Abbildungen mit Wohlgefallen an, wie z.B. die Formen von ganz widerwärtigen Tieren und selbst von Leichnamen. Der Grund dafür ist, daß das Lernen nicht nur für Philosophen ein Hochgenuß ist, sondern ebenso für alle anderen, wenn auch diese nur auf kurze Zeit an dieser Freude teilnehmen. Man betrachtet aber Bilder deshalb mit Vergnügen, weil bei ihrem Anblick ein Lernen, d.h. ein Schluß sich ergibt, was ein jegliches Bild vorstellt, nämlich daß dieser so und so sei. […] Cicero, De inventione Literatur: Luis Costa Lima / Martin Fontius: Mimesis/Nachahmung, in: , Ästehtische Grundbegriffe, hg. V. Karlheinz Barck u.a., Stuttgart/Weimar 2002, B. 4, S. 84-121. Valeska von Rosen: Nachahmung, in: Metzler Lexikon Kunstwissenschaft, hg. v. Ulrich Pfisterer, Stuttgart/Weimar 2003 [2. erw. Aufl. 2011], S. 240-244.