Leichte körperliche Bestrafung Teil 1

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Leichte körperliche Bestrafung Teil 1
Leichte körperliche Bestrafung
Kind-Prax 4/2004
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Leichte körperliche Bestrafung
Teil 1
Psychologischer Erkenntnisstand
fachliche und öffentliche Debatte
Josef A. Rohmann1
Der Autor greift in seinem Beitrag die jüngst wiederbelebte Diskussion über Folgen leichter körperlicher Bestrafung von Kindern in der angloamerikanischen Fachliteratur auf die bereits in den 90er Jahren intensiv geführt wurde. Nach einer zusammenfassenden Darstellung der empirischen
Erkenntnisse beleuchtet er aus psychologischer Sicht die Änderung des §
1631 II BGB sowie deren Untermauerung und stellt kritisch die Frage nach
Berücksichtigung psychologischer Erkenntnisse bei rechtspolitischen Reformen. Er erörtert Auswirkungen auf eine eventuelle neue Streitkultur vor
Gericht sowie Implikationen für die psychologische SachverständigenTätigkeit.
Als Diana Baumrind et al. (2002) in einer kritischen Erwiderung auf einen Überblick
zu den Folgen körperlicher Bestrafung von Kindern durch ihre Eltern (Gershoff,
2002a) festhielten, es gäbe keine gesicherte empirische Evidenz für negative Folgen
leichter Bestrafung und es wäre unzulässig, auf der Basis rein korrelativer Daten (sozial-)politische Empfehlungen abzugeben, soll dies empörte Diskussionen - vornehmlich unter amerikanischen Kinderärzten - ausgelöst haben. Wiederbelebt wurde dadurch eine recht kontroverse fachliche Debatte der 90er-Jahre, die zu einem erheblichen Teil in pädiatrischen Journalen ausgetragen wurde. Sie bewegt sich im Kontext
eines allgemeinen öffentlichen und (rechts-)politischen Streits darüber, jegliche körperliche Bestrafung von Kindern zu verbieten, der nicht nur in den Vereinigten Staaten mitunter vehement geführt und in Kanada z.B. auch verfassungsrechtlich zu klären sein wird (Bailey, 2003). Psychologisch ist das Thema körperlicher Bestrafung
von Kindern kaum noch jenseits solcher öffentlichen Erregung und politischer Instrumentalisierung zu erörtern. Auch das akademische Befassen hiermit hat sich Parke
(2002) zufolge von einem mehr deskriptiven zwischen 1940 und 1960 über verschiedene experimentelle Analysen etwa 1960 bis 1970 hin zu einer Erforschung von Prozessen und Wirkmechanismen, aber gleichzeitig damit einhergehender Politisierung
seit den 80er-Jahren verschoben. Auch die Veröffentlichung im „Psychological Bulletin“ spiegelt dies wider. Seitdem die Studie von Rind et al. (1998) über Erfahrungen
sexuellen Missbrauchs ungeheure Turbulenzen nach sich gezogen hatte2, publiziert
das Bulletin auch „rein“ empirische Arbeiten mit irgendeinem Reizwert stets in Verbund mit begleitenden Erörterungen. So ist denn auch der meta-analytische Überblick Gershoffs dreifach gerahmt und mit einer eigenen Stellungnahme abgerundet.
Erkenntnisse über Implikationen körperlicher Bestrafungen von Kindern, namentlich
1
Der Autor ist Dipl.-Psychologe und leitender Psychologe der Psychiatrie und Psychotherapie im Kindes- und Jugendalter am Universitätsklinikum, Tübingen.
2
Ausführlich dargestellt und erörtert ist dieser „Skandal“ in einem Themenheft (Jg 54, No. 3/March
2002) des „American Psychologist“. Hier findet sich auch der Hinweis, dass mit Abflauen dieser überaus erregten Debatte ein Beitrag eine neue auslöste, die ebenfalls familienrechtspsychologisch relevant ist: Silverstein, L.B. & Auerbach, C. F. (1999). Deconstructing the essential father. American Psychologist, 54, 397 – 407.
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negative und schädliche Folgen, haben selbstverständlich für die Rechtspolitik ebenso erhebliche Bedeutung wie eine Sachverständigen-Tätigkeit in Einzelfällen. Um so
erstaunlicher ist es, dass die psychologischen Arbeiten aus dem angloamerikanischen Raum hierzulande kaum beachtet wurden und es an eigenen Beiträgen eher
mangelt. Es erstaunt um so mehr, als der Gesetzgeber den § 1631 II BGB neu fasste
und darin jegliche körperliche Bestrafung von Kindern für unzulässig erklärt.
Der folgende Beitrag legt Wesentliches aus den englischsprachigen psychologischen
Arbeiten dar, berührt die fachliche Diskussion zur Gesetzesreform hierzulande und
erweitert sie um forensisch-psychologische Erkenntnisse über enge Grenzen einer
Familienpsychologie hinaus. Erörterungen zur psychologischen SachverständigenTätigkeit bei familien- bzw. kindschaftsrechtlichen Entscheidungen schließen sich an.
Stand der psychologischen Erkenntnis und Fachdiskussion
Allgemeine empirische Übersicht
Für ihre Studie fand Gershoff (2002a) insgesamt 189 Arbeiten aus den Jahren 1938
bis (Juni) 2001, die einen Zusammenhang von körperlicher Bestrafung durch die Eltern und Wirkung im Verhalten und Erleben der Kinder nachgingen. Allerdings
schloss die Autorin 101 Studien aufgrund verschiedener Mängel aus ihrer Metaanalyse aus. Knapp die Hälfte der Studien stammte aus den 90er-, ein Viertel aus den
80er-Jahren. Den einzelnen Arbeiten lagen i.d.R. Angaben der Eltern zur Häufigkeit
(69%), Schwere (9%) oder beidem (5%) zugrunde bzw. zu (nominal) jemals irgendeiner körperlichen Bestrafung ihrer Kinder. Diese sollte leichte Formen (und keine
Misshandlungen) umfassen - gemäß einer Definition von Murray Straus „als
Gebrauch von physischer Kraft oder Gewalt (force) in der Absicht, einem Kind
Schmerz - aber keine Verletzung - zuzufügen, um dessen Verhalten zu korrigieren
bzw. zu kontrollieren“. Geprüft wurde ein Zusammenhang mit sieben Verhaltensbereichen während des Kindes- und mit vier des Erwachsenenalters. Im Ergebnis zeigte sich körperliche Bestrafung mit einem vermehrten sofortigen Einlenken oder Gehorchen (immediate compliance), sonst aber mit einer Minderung moralischer Verinnerlichung, einer Vermehrung kindlich aggressiven, delinquenten oder antisozialen
Verhaltens, einer Minderung der Qualität der Eltern-Kind-Beziehung, einer Minderung
seelischer Gesundheit, einer Steigerung des Risikos körperlicher Misshandlungen
verknüpft - und im Erwachsenenalter mit vermehrter Aggression, kriminellem und
antisozialem Verhalten, geringerer seelischer Gesundheit und höherem Risiko, das
eigene Kind oder den Partner zu missbrauchen. Für promptes Gehorchen der Kinder
war die Effektstärke ausgesprochen hoch, allerdings waren die Ergebnisse im Einzelnen nicht konsistent, denn zwei von fünf Studien wiesen eine Abnahme des Gehorsams auf. Die Effektstärken für die verschlechterte Eltern-Kind-Beziehung wie ein
größeres Misshandlungsrisiko (und die stärkere Aggression im Erwachsenenalter)
waren mittel, annähernd auch noch die für die seelische Gesundheit im Kindesalter
(im Unterschied zu der im Erwachsenenalter) wie für delinquentes bzw. antisoziales
Verhalten in beiden Altersbereichen. Die anderen Werte waren eher niedrig. Der Zusammenhang mit Aggressionen war für Kinder im mittleren Schulalter am ausgeprägtesten und bei Jungen stärker als bei Mädchen. Mit Erörterung der Befunde entwickelte Gershoff (2002a, 2002b) ein Modell, welches unterschiedliche Kontext- und
vermittelnde Wirkgrößen berücksichtigt und das Prozessgeschehen elterlicher Bestrafung abzubilden erlaubt. Dabei hielt sie zwar fest, dass die korrelativen Befunde
keine einwandfreien Ursachenerklärungen liefern können, sie zollt den gefundenen
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überwiegend negativen Zusammenhängen aber deutlich Respekt.
Baumrind et al. (2002) unterstreichen die beschränkte Aussagefähigkeit korrelativer
Daten und lehnen praktische Schlussfolgerungen, allemal sozial- oder rechtspolitische, auf solcher Basis strikt als empirisch-wissenschaftlich nicht begründet ab. Des
Weiteren bestreiten sie in ihrer kritischen Auseinandersetzung die Aussagekraft einer
Reihe von Punkten der Studie Gershoffs. Ein wesentlicher Einwand ist, dass einfaches, leichtes körperliches Strafen (spanking) entgegen der Deklaration mit harscheren bzw. schwereren Formen vermengt ist. Sei dies als einfacher Klaps oder Schlag
mit der offenen Hand auf Po oder Extremitäten definiert, gingen in die Analyse bei
Gershoff z.B. auch Schläge mit Gegenständen ein. Fast zwei Drittel der Studien zum
Zusammenhang mit Aggressionen legten solcherart schwerere körperliche Bestrafung zugrunde, knapp ein Drittel Schläge mit einem Gürtel oder Stock. Folglich könne
empirisch nicht - wie Gershoff es tue - von einem erkennbaren Zusammenhang mit
einfacher Bestrafung von Kindern ausgegangen werden. Gleiches gelte aus methodologischen Gründen. Wenn lediglich 17% der in Gershoffs Analyse eingegangenen
Studien experimentell oder längsschnittlich angelegt seien, könne körperliche Bestrafung kaum als vorausgehende Bedingung, genauer als Risikofaktor, geschweige
denn ursächliches Risiko ausgemacht werden. Hierzu fehle als Voraussetzung schon
das zeitliche Sequenzschema (time-line). Ein weiterer Einwand gilt der MethodenVarianz oder Quellenüberlappung. Mehrheitlich werden in den Studien die Eltern
(meist Mütter) zu der von ihnen praktizierten Bestrafung gefragt und gleichermaßen
zu Verhalten und Entwicklung ihrer Kinder. So ist streng genommen nicht mehr zu
unterscheiden, ob die Angaben eher etwas über die Kinder oder über die Mütter besagen. Vergleichbare Schwierigkeiten stellen sich bei retrospektiver Befragung Erwachsener ein. Hier kann die gegebene Fragestellung als solche schon einen Zusammenhang nahe legen, für den es keine ausreichende empirische Begründung
gibt. Kurzum, die entscheidenden Kritikpunkte zielen einmal auf die Definition und
Operationalisierung zentraler Konstrukte wie leichtes Strafen (Schweregrad, Häufigkeit etc.), zum anderen auf methodische oder methodologische Aspekte (Design wie
Längsschnitt, Risikomodell, zu kontrollierende, zu berücksichtigende vermittelnde
Variablen etc.) ab und nicht zuletzt auf die Frage gebotener Zurückhaltung beim
Stand der empirischen Erkenntnisse.
Gershoff hält aufgrund ihrer Berechnungen den Einfluss unterschiedlicher Methodologie der Studien hinsichtlich der meta-analytischen Ergebnisse für unbedeutend.
Gleichwohl dürfte diese eine Rolle spielen. Wer von der Harmlosigkeit leichter körperlicher Bestrafung von Kindern überzeugt ist, wird eher nach promptem Einlenken,
sich einstellender Anpassung, Lernen und Befolgen von Regeln forschen; wer einen
kontinuierlichen Übergang zu Gewalttätigkeit annimmt, eher nach späterer Kriminalität oder Beziehungsgewalt. So etwas zeichnet sich ab, vergleicht man die Studie von
Gershoff mit einer Übersicht von Larzelere (2000) - einem der Koautoren Baumrinds.
Seine Übersicht umfasste 38 Primär-Arbeiten, von denen nur 18 auch in die Analyse
Gershoffs eingingen3. Folglich überlappen sich 20 bzw. 70 Einzelstudien nicht. Ursprünglich standen Larzelere 269 zur Wahl: Veröffentlichungen aus den Jahren 1995
bis (Februar) 2000 und von 21 angesprochenen führenden Forschern genannte neuere Arbeiten. Er hatte wenige Jahre zuvor bereits einmal einen Überblick erarbeitet,
in den insgesamt 166 Artikel von 1984 bis 1993 eingingen, aber nur 35 den Ansprüchen für die weitere Analyse genügten (Larzelere, 1996). Etwa gut ein Viertel dieser
3
Diese Zahlen nennen Benjet & Kazdin (2003), sie weichen von den Angaben Larzeleres (2000) etwas ab.
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Untersuchungen zeigte einen positiven, etwa gut ein Drittel einen abträglichen Zusammenhang mit körperlicher Bestrafung, Letzteres namentlich bei prospektiven
Längsschnittstudien. Die aktuellere Übersicht weist andere Ergebnisse auf: Sind bei
Gershoff die Zusammenhänge in überwältigender Weise negativer Art, verteilen sich
günstige, abträgliche und neutrale (oder gemischte) Ergebnisse bei Larzelere (2000)
jeweils etwa zu einem Drittel gleich. In günstiger Weise verknüpft stelle sich leichtes
Bestrafen mit Gehorsam und einem Beenden von Kämpfen dar, und zwar in allen
einzelnen (zehn) Studien, die dies untersucht haben; weiterhin, wenn es als Stütze
oder Beförderung für mildere Disziplinierungsformen dient, und zwar bei 2- bis 6jährigen. Ausdrücklich dieser bedingte Gebrauch körperlicher Bestrafung lasse die
abträgliche Praxis im Alltag wie auch bei entsprechender Operationalisierung in der
Forschung unterscheiden. Ein positiver Zusammenhang ergebe sich weiter mit kulturellen Unterschieden, etwa bei afroamerikanischen Familien. Negative Zusammenhänge fänden sich bei älteren Kindern, bei häufiger körperlicher Bestrafung (1 bis 3
mal in der Woche nach Larzelere), aber nicht bei dieser allein, sondern bei anderen
Bestrafungsformen ebenso. Stelle man diese in Rechnung, erklärten oder relativierten sich frühere Befunde, wonach körperliche Bestrafung antisoziales Verhalten fördere. Geradezu entscheidend erweise sich, dass hinsichtlich negativer Wirkungen in
Langzeitstudien die Ausgangsbedingungen - wie etwa eine bereits feststellbare antisoziale Entwicklung - kontrolliert würden. Nur so ließen sich Konfundierungen und
falsche Schlüsse vermeiden. Generell lasse sich empirisch eine schädliche Wirkung
leichten körperlichen Strafens keineswegs nachweisen. Missbräuchliche Praktiken
müssten strikt ausgesondert werden. Eine Reihe von Studien erlaubte sogar den
Schluss, dass leichte körperliche Strafen bei Kindern - unter den skizzierten Umständen - Gutes verursachen können. Je besser die Studien - etwa als kontrollierte
längsschnittliche - angelegt seien, desto eher zeigten sie solche förderlichen Eigenschaften.
Ein Vergleich dieser zwei zentralen Übersichten zum empirischen Stand der Erkenntnis zeigt offenkundig eine gegensätzlich akzentuierte Befundlage, was wissenschaftlich keineswegs unüblich ist und meist beflügelt. Er vermittelt allerdings des
Weiteren, wie der gesamte Themenkomplex auf die Frage eng geführt zu sein
scheint, ob denn einfaches Schlagen nun gut oder in der Regel schlecht und gefährlich ist. Die Dinge verhalten sich naturgemäß vielschichtiger, und die zuspitzende
Bewertung überdeckt ein wenig, dass die einzelnen Untersuchungen durchaus differenzierter angelegt sind. Gänzlich losgelöst von einer im Umfeld stattfindenden Debatte moralischer, wenn nicht ideologischer Überzeugungen einerseits und einer
spürbaren Kampagne, körperliche Bestrafung grundsätzlich verbannen zu wollen
andererseits, erfolgen sie aber eben nicht.
Einzelne Aspekte und Zusammenhänge
Sozialwissenschaftliche Erhebungen und Darlegungen zu Ausmaß und Verteilung
körperlichen Strafens (in den Vereinigten Staaten) zeigen zahlreiche Differenzierungen (Giles-Sims et al, 1995; Day et al, 1998; Straus & Stewart, 1999). Demnach
schlagen Mütter häufiger als Väter, jüngere Eltern besonders, gleichermaßen die aus
einfacheren bzw. ärmlicheren Verhältnissen, solche mit eher geringerem Bildungsstatus und Alleinerziehende; weiterhin wohl auch Eltern mit konservativen (oder fundamentalistisch anmutenden) religiösen Haltungen und afroamerikanische. Aber
auch dieses Bild wird weiter ausdifferenziert, indem einmal näher geschaut wird, ob
die gefundenen Größen eventuell andere verdecken (sog. proxy - Variablen). Dar-
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über hinaus werden diese mit Hilfe ausgewiesener Modelle (z.B. dem von Belsky für
elterliches Handeln) in Bezug zueinander beleuchtet.
Ein weniger häufiges Schlagen der Väter kann z.B. ihre geringere Beteiligung an der
praktischen Versorgung und Erziehung der Kinder widerspiegeln (oder eine geschlechtsspezifisch unterschiedliche Verteilung von Disziplinproblemen). Namentlich
ältere Töchter schlagen Väter dennoch wohl seltener (Day et al., 1998). Jungen werden generell häufiger in dieser Form körperlich bestraft, auch in der hauptsächlich
bedeutsamen Zeit der vorschulischen Jahre, allerdings wohl gleich bleibend, während es bei Mädchen in diesem Altersbereich zunimmt (Kanoy et al, 2003).
Giles-Sims et al. (1995) schlossen noch, dass sich häufigeres körperliches Strafen
der Kinder aus einem Elternhaus, welches materielle Armut, Alleinerziehendenstatus
und ethnische Zugehörigkeit zu Afroamerikanern auszeichnet, durch den gemeinsamen Nenner „Stress“ erklären lasse. Straus & Stewart (1999) stellen dagegen fest,
dass sich beispielsweise der Einfluss sozioökonomischer Klassenzugehörigkeit bei
der Gruppe junger Eltern nivelliert.4 Pinderhughes et al. (2000) halten an dem Zusammenhang von niedriger sozialer Klassenzugehörigkeit und harscherem Vorgehen
der Eltern bei der Kindererziehung fest und sehen das sowohl mit pädagogischen
Überlegungen wie mit dem Stressniveau verknüpft. Bei ihnen verliert sich aber die
Bedeutung der ethnischen Gruppenzugehörigkeit, und die Autoren argumentieren,
die Probanden aus afroamerikanischen Familien stammten wohl meist aus niedrigen
sozialen Schichten und wiesen eine entsprechend hohe Stressbelastung auf. Straus
et al. (1997) konnten die Wirkung körperlicher Bestrafung bei 6- bis 9-Jährigen auf
antisoziales Verhalten zwei Jahre später zeigen, und das u. a. unabhängig von der
sozialen Klassen- oder ethnischen Zugehörigkeit. Demgegenüber fanden Gunnoe et
al. (1997) in einer ähnlichen Studie generell keine Zunahme solcher Aggressionen
bei Kindern unter 6 Jahren, allerdings bei den 8- bis 11-Jährigen, und zwar den weißen, besonders wenn diese mit allein erziehenden Müttern aufwuchsen. Die Autorinnen stellen in ihrer Auseinandersetzung mit der Studie von Straus et al. zur Diskussion, ob in dieser Untersuchung bei den Probandinnen das körperliche Bestrafen ihrer
Kinder für eine Reihe anderer familiärer Schwierigkeiten (Verlust elterlicher Autorität,
dürftiges praktisches Management, Stress oder Mangel an sozialer Unterstützung)
steht und ob die fehlende Wechselwirkung mit der sozialen Klassenlage dem Umstand geschuldet ist, dass es sich - nach Anlage der Studie - um eine spezielle
Gruppe von Kindern recht junger und überwiegend allein erziehender Mütter handelt.
In der Studie von Pinderhughes et al. (2000) hing elterliches Strafen vom Stress in
Verbund mit bestimmten kognitiv-emotionalen Vorgängen ab: Feindseligkeitszuschreibungen, emotionales Aufgebrachtsein, Besorgnis über die Zukunft des Kindes
und Fehlen verfügbarer alternativer bzw. vorbeugender Strategien. Diese vier Größen erlaubten, etwa die Hälfte der Varianz der disziplinarischen Verhaltensweisen
der Eltern aufzuklären. Den Autoren zufolge kann darüber hinaus damit der Komplex
elterlichen Strafens an Modelle sozialer Informationsverarbeitung (social Information
processing) wie an Konzepte elterlichen Handelns als Affektorganisation geknüpft
werden. In einer mehr (familien-)systemisch ausgerichteten Untersuchung konnten
Kanoy et al. (2003) zeigen, dass sowohl eine vorbestehende persönliche Feindseligkeit eines Elternteils wie partnerschaftliche Konflikte körperliches Strafen der Kinder
erhöhen. Die persönliche Eigenschaft büßt allerdings ihre Wirkung ein, wenn die
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Angesichts bekannter sozialer bzw. statistischer Verteilung früher, meist adoleszenter Elternschaft
lässt sich fragen, inwiefern dies eventuell tautologisch ist.
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partnerschaftlich-ehelichen Konflikte ein hohes Maß erreichen. Die Bedingungszusammenhänge gelten für beide Geschlechter. Ausgeprägtes Schlagen der Kinder
war im Endeffekt gleichermaßen (äquifinal) von beiden Wirkfaktoren möglich. (Schlagen umfasste in dieser Studie allerdings auch schwere oder harsche Formen.)
Solche Differenzierungen gleiten über ins klinische Feld. Entsprechende Stichproben
zeigen bei Eltern nicht nur ein häufigeres, sondern auch ein schweres körperliches
Strafen ihrer Kinder (Mahoney et al., 2000). Für ältere Kinder (11- bis 18-Jährige)
fanden Mahoney et al. (2003), dass direkt aggressive, also tätlich ausgetragene
Auseinandersetzungen zwischen den Eltern die Wahrscheinlichkeit erhöhen, dass
sie - Mutter wie Vater -, selbst angegriffen, folglich ihre Kinder schlagen (wobei hier
wieder schwere Formen subsumiert sind). Dieser Weg wird als „Eltern-Opfer“Hypothese bezeichnet. Lediglich für Väter bestätigt werden konnte in der Studie die
sog. „Eltern-Aggressor“-Hypothese, wonach ein Elternteil unterschiedslos Kind wie
Partner anlangt.
Ob es ein klinisches oder deviantes Phänomen ist, wenn Eltern ihre Kinder in impulsiver Weise körperlich strafen, ist strittig. Straus & Mouradian (1998) fanden in ihrer
Untersuchung einmal, dass Kinder, die körperlich bestraft werden, mehr antisoziales
und impulsives Verhalten zeigen, und je häufiger solche Strafen, desto ausgeprägter.
Versucht wurde auch, eine mehr liebevolle Umgangsweise (nurturance) mit zu kontrollieren. Weiterhin zeigte sich, dass die Impulsivität der Kinder mit der ihrer Mütter
einhergeht, und diese sie wohl auf ihre Kinder übertragen. Die Autoren wenden
selbst ein, dass für eine stichhaltige Aussage eigentlich ein längsschnittliches Design
erforderlich wäre und dass das körperliche Strafen womöglich nicht ausschließlich
einfache Formen bezeichnet, sondern konfundiert sein kann. Was sie in ihrer Studie
nicht zeigen, ist einmal, ob die impulsiv strafenden Mütter eine Art Impulsivität (Impulskontrollstörung, überaktives bzw. affektives Ungestüm, Borderlineartiges, Psychopathisches etc.) auszeichnete, sich folglich das eventuell niederschlug; die Kinder
womöglich auch, und die aufgefundenen Zusammenhänge eben diese Gemeinsamkeit widerspiegeln. Daneben wird bei dieser wie ähnlichen Arbeiten eingewandt, ob
eventuell Eigenart und Verhalten der Kinder einen entscheidenden Beitrag zum elterlichen Verhalten beigetragen haben könnten - die sog. „Huhn-oder-Ei“-Frage. Für
eine stichhaltige Aussage ist dieses Wechselgeschehen zwischen Eltern und Kindern
in seiner Entwicklung festzuhalten. Schuldig bleiben die Autoren auch, verständlich
zu machen, wie sich impulsives elterliches Strafen zu liebevollem Umgang verhält.
Häufige Misshelligkeiten, Auseinandersetzungen und Streitereien zwischen Eltern
und Kindern veranlassen Erstere mehr zu strafen. Das Beziehungsklima hat einen
bedeutsamen Einfluss (Day et al., 1998). Das kann vom Verhalten des Kindes bedingt sein. Wiederkehrende Machtkämpfe mit ihren Kindern bewerten Eltern anders
als einzelne Regelverletzungen oder Fehltritte (Ritchie, 1999). Allerdings sind solche
elterlichen Wahrnehmungen und Bewertungen nicht nur vom Verhalten des Kindes
bzw. ihm selbst, sondern auch von der Eigenart der Elternperson abhängig (Miller,
1995). Bei manchen finden sich Verzerrungen, Fehlwahrnehmungen und negative
Attribuierungen gehäuft oder ausgeprägter. Deren Bedeutung für das Strafverhalten
stellten Pinderhughes et al. (2000) heraus. Je mehr die Einschätzung des kindlichen
Tuns von den Eigenheiten der Elternpersönlichkeit bestimmt ist, um so mehr gehören
diese wohl zu einer besonderen Risikogruppe (Chilamkuri & Milner, 1993), was auch
die Untersuchung zu Impulsivität von Straus & Mouradian nahe legt. Seit längerem
gilt, das missbrauchende Eltern sich durch ein Überreagieren auf negative Ereignis-
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se, ein explosives oder impulsives Reagieren auszeichnen - und das weit mehr an
das eigene Befinden bzw. an die eigene persönliche Verfassung (kontingent) geknüpft als an das Kind (Vasta, 1982). Unterschwellig transportiert wird bei der Erörterung dieser Befunde und Zusammenhänge, dass solcher Art elterliches Strafen gewissermaßen eine Affekthandlung ist. Demgegenüber gestellt wird die kluge oder
besonnene Anwendung körperlicher Bestrafung (Larzelere, 2000), welche eben (im
doppelten Sinn) moderat und kontrolliert erfolge und mit Erklärungen oder Instruktionen ihr Ziel beim Kind verfolge (Larzelere et al., 1998). Nun gilt für eine Reihe von
Eltern, dass sie nicht einfach nur aus einem Affekt heraus strafen, sondern nach diesem Tun beschämt oder sonst affektiv bewegt sind. Und für einen absichtsvollen
Gebrauch hat sieh gezeigt, dass Eltern, die körperlich strafen, einen instrumentellen
Nutzen annehmen, und die, die nicht in dieser Weise strafen, keine derartigen Erwartungen haben (Holden et al., 1999). Mithin stellt sich die Frage, ob es sich nicht genau so gut um Rationalisieren des gewohnheitsmäßigen Tuns handelt. Immerhin,
hebt Holden (2002) hervor, haben die Auswertungen Gershoffs nicht ausweisen können, dass körperliches Strafen durch die Eltern mit einer Verinnerlichung entsprechender Regeln und Verhaltensweisen bei den Kindern einhergehe.
Es erscheint zweifellos nicht nur trivial, dass häufigeres körperliches Strafen eher zu
Gefährdungen oder zum Schaden der Kinder führen kann, es besagt auch nicht viel.
Stattdessen hält es an, die Bedingungs- und Wirkgeflechte differenziert zu erfassen.
Hierzu halten auch einzelne Untersuchungsgruppen, nicht zuletzt klinische an. Deater-Deckard & Dodge (1997) haben deshalb ausdrücklich herausgearbeitet, dass je
nach Bedingung der Zusammenhang von körperlicher Bestrafung und externalisierenden Verhaltensweisen nicht linear ist bzw sein kann. Der damalige biologisch ausgerichtete Forschungshintergrund der Erstautorin mag bereits dazu beigetragen haben, dies als selbstverständlich hervorzuheben. Aufmerksam machen die Autoren
darauf; dass sich je nach (normaler oder klinischer) Stichprobenzugehörigkeit die
Rate erfahrener körperlicher Bestrafung bedeutsam unterscheiden kann, die gemessene folglich auf recht unterschiedlichen Boden fällt und in ihrer Auswirkung nicht
einfach gleichgesetzt werden kann. Für jegliche unterschiedliche Ausgangsbedingungen gilt dies, namentlich für besondere Vulnerabilität. Folglich kann es in die Irre
führen, körperliche Bestrafung einfach in kontinuierlicher Steigerung - womöglich intervallskaliert - aufzufassen und entsprechend ungeprüft untersuchen zu wollen.
Auch die Einbindung in normale Sitten und Gebräuche wie die persönliche Akzeptanz bestimmen unterschiedliche, eben auch nicht-lineare Zusammenhänge. So erscheint ein Klaps allen Beteiligten einmal als außerordentlich, wenn nicht ungeheuerlich, und dem Kind als persönlich bzw. bösartig. Im anderen Fall empfindet das Kind
ihn vielleicht spürbar unangenehm, wenn nicht leicht verletzend, aber angemessen
und zur elterlichen Fürsorge und Autorität zugehörig. Die Unterschiede in den kindlichen Altersgruppen erklären sich zum Teil so. Bis Anfang des Grundschulalters haben Kinder (sozial-kognitiv oder moralisch) eine einfache Sicht von Verfehlung und
Ahndung, einschließlich der Verifikation oder Legitimierung von Regeln durch persönliche Autorität. Außerdem haben sie eine bestimmte Selbstwahrnehmung ihres
eigenen Status, einschließlich unzureichenden Könnens und Angewiesenseins auf
die Großen. Mit den ersten Grundschuljahren ändert sich das Regelbewusstsein, es
wird differenzierter und konventioneller. Außerdem entwickelt sich die Vorstellung
und das Bewusstsein des eigenen Selbst spürbar weiter, und nicht zuletzt vermehren
sich die Kompetenzen: Wissen, Einsicht, Entscheidungs- und Handlungsmöglichkeiten. Damit wandelt sich auch das Erleben von körperlicher Bestrafung wie die Erwartung, welche Strafen ggf. angemessen wären. Mit Eintritt ins Jugendalter stellt sich
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dies noch erheblich akzentuierter dar, weshalb die Altersgruppen hinsichtlich möglicher Wirkzusammenhänge nicht gleichgesetzt oder vermischt werden dürfen. Eigenen Untersuchungen der Autorengruppe nach legen Kinder afroamerikanischer Familien, deren Eltern nicht leicht körperlich strafen, sogar mehr externalisierende Verhaltensweisen an den Tag, die mit körperlicher Bestrafungserfahrung weniger, aber
gleich viel wie die Altersgenossen euroamerikanischer Herkunft. Demnach könnte u.
U. ein Verzicht auf solch leichtes körperliches Strafen sogar abträglich sein. Auf der
anderen Seite ist nicht zu übersehen, dass Auswirkungen körperlichen Strafens notgedrungen und zum Schutz beispielsweise - nicht linear auch bei Abstumpfung
geschehen können.
Zwei wesentliche Konsequenzen ergeben sich aus diesen Erkenntnissen: Forschung
wie praktisches Wissen werden um einiges bereichert, wenn die empirischen Untersuchungen und Modellbildungen um einen personen-orientierten Ansatz erweitert
werden; außerdem - damit schon impliziert - wenn das Erleben der Kinder stärker
fokussiert wird. Deater-Deckard et al. (2003) haben Letzteres in einer Hinsicht für
ältere Kinder getan. Sie untersuchten (längsschnittlich), inwiefern sich bei Jugendlichen eine Einstellung zu körperlichem Strafen je nach eigenen Erfahrungen bildet,
und fanden einen deutlichen Zusammenhang von selbsterfahrener körperlicher Bestrafung und der eigenen akzeptierenden Haltung zu dieser. Einen gesonderten Einfluss von (wahrscheinlichen) Missbrauchserfahrungen konnte die Studie nicht nachweisen. Eine dritte Schlussfolgerung aus den gesamten Erkenntnissen - gewissermaßen die Bilanz - lautet: die Gefährlichkeit oder Schädlichkeit einfachen körperlichen Strafens von Kindern durch ihre Eltern ist psychologisch nicht zuverlässig
nachgewiesen, Unbedenklichkeit freilich pauschal ebenso wenig.
Ein passioniert und polarisiert geführter Streit
Die empirischen Studien und damit verknüpften Kontroversen sind durch eine vehement geführte öffentliche und politische Auseinandersetzung flankiert. Fachlich besonders exponiert ist z.B. auf der einen Seite Murray Straus, dessen Buch „Beating
the devil out of them“ (erste Auflage 1994, zweite 2001) eine Menge Befunde, Argumente und Überlegungen zusammentrug, um in massiver und nachdrücklicher Weise
eine gesellschaftliche Achtung der körperlichen Bestrafung von Kindern zu fordern.
Ein besonderes Anliegen ist, eine (vermeintliche) Verschwörung zu durchbrechen,
Misshandlung und Leid vieler Kinder totzuschweigen (conspiracy of silence). Deshalb
unterbreitet Straus Daten über eine beeindruckende - wenn nicht erschreckende Verbreitung körperlichen Strafens. Dieses ist für ihn - wie das gesamte Lager - in jedem Fall familiäre Gewalt oder naturgemäß damit verwoben, außerdem wächst mehr
oder weniger automatisch neue daraus. Wenn Eltern ihre Kinder körperlich strafen,
habe das, weil es eben selbstverständlich sei und von den eigentlich für Liebe und
auch Schutz Stehenden ausgeübt werde, auch erhebliche Bedeutung für das gesamte gesellschaftliche Niveau an Gewalt und Rohheit. Es finde ein gesellschaftlicher
bzw. kultureller Übersprung (cultural spillover) statt. Jegliches körperliches Strafen
der Kinder müsse verbannt werden - so Losung und Stoßrichtung dieser Linie. Straus
(2001) setzt sich zwar kritisch mit Einwänden auseinander, hierfür fehle eine genügende empirische Basis, und hält dagegen, dass für andere Risiken (z.B. TeenagerSchwangerschaft und physische Misshandlung) und für notwendig erachtete bzw.
akzeptierte vorsorgliche Maßnahmen genau so wenig gesicherte empirische Evidenz
vorliege. Darüber hinaus schlägt er vor, Analogien aus dem Bereich der Medizin zu
bemühen, etwa zur Gefahr von Rauchen und Krebs und der nachweisbaren Erkran-
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kung. Es wäre nicht korrekt und fair, Straus zu unterstellen, für ihn wäre der Komplex
körperlicher Bestrafung keine empirische Frage. Sie ist darüber hinaus aber mehr
noch eine moralische. Dies gilt für andere weit akzentuierter und für die gesamte
Richtung im Allgemeinen (Benjet & Kazdin, 2003).
Für eine entgegengesetzte Linie steht etwa Diana Baumrind. Sie hat sich durch eine
Reihe Stellungnahmen exponiert, in denen sie nachdrücklich darlegt, dass es für eine pauschale Achtung jeglicher körperlicher Bestrafung von Kindern durch ihre Eltern
fachlich-empirisch keine Blanko-Bestätigung gibt, besonders in einer gebotenen Differenzierung nicht für eine Diskreditierung leichter Strafen (wie eines Klapses o. dgl.)
(Baumrind, 1996 a; 1997). Gelegentlich lautete auch schon die Überschrift ihres Beitrags so (Baumrind, 1996 b). Ein Klaps als Instrument eines variantenreichen Ensembles erzieherischer Maßnahmen oder als gelegentliche Bekräftigung anderer,
milderer Interventionen sei von seinen Wirkungen auf das Kind weder mit gröberen
Formen körperlicher Bestrafung, geschweige denn Misshandlungen gleichzusetzen
noch den Eltern einfach aus der Hand zu nehmen. Diese müssten ihre Kinder gerade
im Kleinkind- und Vorschulalter von einer Vielzahl alltäglicher Fehlhandlungen abbringen. Festes Schlagen, solches mit Gegenständen oder Hilfsmitteln u. dgl. sei
selbstverständlich zu tabuisieren, gleichermaßen jegliche Misshandlungsformen.
Achten oder Befürworten körperlichen Strafens sei - so der Tenor dieses Lagers - an
Formen und Bedingungen zu knüpfen, und das auf der Grundlage empirischer Erkenntnisse. Die Frage sei wissenschaftlich und nicht moralisch zu behandeln. Und in
dieser Hinsicht sei leichte körperliche Bestrafung bedingt zu bejahen. So sehr hier
der wissenschaftliche Hintergrund betont wird, erscheint dabei doch das ein oder andere prätentiös, denn eine widerspruchsfreie Evidenz für die Unbedenklichkeit besteht auch nicht (Benjet & Kazdin, 2003).
Daneben existiert in den nordamerikanischen Ländern wohl noch eine eher archaisch argumentierende Richtung, die sich am besten mit dem Motto beschreiben lässt:
wer die Rute spart, verzieht sein Kind. Diese Positionen seien mehr in Meinungsäußerungen der Normalbevölkerung als in der Fachwelt5 zu finden. Im Wesentlichen
verkehren sich die Anschauungen, wenn etwa dargelegt wird, dass ein Verzicht auf
Schlagen oder ein Verbot vielfältige Gefahren in der Persönlichkeitsentwicklung der
Kinder heraufbeschwöre, namentlich aggressive bzw. dissoziale Entgleisungen, und
so die Zahl künftiger Straftäter fördere und insgesamt die gesellschaftlichen Verhältnisse untergrabe (Benjet & Kazdin, 2003).
Die markanten, teils extremen Auffassungen machen deutlich, dass die akzentuiert
und leidenschaftlich geführten Debatten auch auf dem Hintergrund einer ganz anders
gearteten Präsenz und Akzeptanz von Gewalt im Alltag der amerikanischen Gesellschaft und Familie verstanden werden müssen.
Die gesamten Erörterungen stehen im Schatten einer rechtlichen bzw. rechtspolitischen Debatte darüber, körperliches Strafen für unzulässig zu erklären, wie es
eine Reihe von Ländern bereits getan hat.
Teil 2 folgt in Kind-Prax 5/2004.
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Benjet & Kazdin (2003) zitieren allerdings einige Zuschriften eines kanadischen Ärzte-Magazins.
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