Entfesselter Geschlechterkampf

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Entfesselter Geschlechterkampf
KULTUR
Politiker
mit
Taktstock
Ludwigsburg (dpa) Erfolgreicher Künstler und umtriebiger
Politiker – das ist eine äußerst
seltene Kombination. Wolfgang
Gönnenwein
war
wohl
Deutschlands einziger Politiker, der regelmäßig den Taktstock geschwungen hat. Diese
Sonderrolle machte ihn zum
Sinnbild einer glanzvollen Ära
etwa
der
Ludwigsburger
Schlossfestspiele – aber auch für
jahrelange Diskussionen um
Verschwendungssucht in der
Kultur. Am Sonntag ist Gönnenwein im Alter von 82 Jahren gestorben.
Der Aufstieg des Musikers aus
Schwäbisch Hall begann im Alter von 35 Jahren als Professor
an der Stuttgarter Hochschule
für Musik und Darstellende
Kunst. Von 1973 bis 1982 war
er dort auch Rektor. Seit 1972
leitete Gönnenwein auch die
Ludwigsburger
Schlossfestspiele. Mit ihm als Organisator
und Dirigent gewann das Orchester internationale Anerkennung und die Stadt ihre
Prägung als Festspielort. Über
30 Jahre lang drückte er dem
Festival den Stempel auf.
Mitte 1985 wurde Gönnenwein zum Generalintendant der
Staatstheater in Stuttgart berufen. Wegweisende Inszenierungen wie Ljubimows „Fidelio“ oder das Choreografiedebüt von Marcia Haydée mit
„Dornröschen“ fallen in seine
Zeit. Dann holte ihn Lothar
Späth 1988 als ehrenamtlichen
Staatsrat ins Kabinett. Diese
Zwitterrolle zwischen Kunst
und Politik nannte Gönnenwein die vielleicht wichtigste
Station seines Lebens. Seine
Gegner rügten jedoch eine gewisse Selbstherrlichkeit des
„heimlichen Kunstministers“.
Mit dem Abgang seines Duzfreundes Späth 1991 zog sich
auch der parteilose Theaterchef aus der Politik zurück.
In den 1990er Jahren bekam
er wegen seines Umgangs mit
Geld an den Theatern Rechtsstreitigkeiten. 1996 wurde er
wegen Steuerhinterziehung und
Sozialversicherungsbetrugs bei
den Ludwigsburger Festspielen
zu einer Geldstrafe von 96 000
Mark verurteilt. Schlagzeilen
machte auch der „BugwellenProzess“: Wegen Haushaltsüberschreitung am Staatstheater in Millionenhöhe wurde
Gönnenwein in erster Instanz
zu einer Geldstrafe in Höhe von
50 000 Mark verurteilt. Auf
Empfehlung des Bundesgerichtshofs wurde das Verfahren
später aber eingestellt. Gönnenwein, dem nie persönliche
Bereicherung
vorgeworfen
wurde, wertete das als „De-facto-Freispruch“.
90 000 beim
Klassik Open Air
Nürnberg (dpa) Das Nürnberger Klassik Open Air wird
immer beliebter: Etwa 90 000
Menschen kamen am Sonntagabend zum deutschlandweit
größten Klassik-Festival unter
freiem Himmel. Wie ein Sprecher der Stadt sagte, waren das
s etwa 5000 mehr Besucher als
beim bislang bestbesuchten
Konzert. Für ein Open-Air war
es das ideale Wetter: trocken
und nicht zu warm. Schon zum
Familienkonzert am Vormittag
seien etwa 15 000 Zuhörer gekommen. Die Staatsphilharmonie Nürnberg spielte am
Abend mit Generalmusikdirektor Marcus Bosch Klassiker aus
dem 20. Jahrhundert von Ravel
über Bernstein bis Tan Dun. Am
späteren Abend stand ein Sirtaki mit dem Publikum auf dem
Programm. Dazu wurde die
griechische Gemeinde in Nordbayern eingeladen, wie der
Sprecher sagte. Wegen der Krise
in Griechenland wolle man, vor
dem Feuerwerk, einen „tanzenden Gruß“ in ihre Heimat
schicken. Am 8. August gibt es
ein zweites Konzert mit den
Nürnberger Symphonikern unter Leitung von Chefdirigent
Alexander Shelley.
DK Nr. 171, Dienstag, 28. Juli 2015
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Entfesselter Geschlechterkampf
Wolfgang Rihms „Die Eroberung von Mexico“ als erste Opernpremiere bei den Salzburger Festspielen
Von Hannes S. Macher
Salzburg (DK) Mutig ist es allemal, keine Publikumsoper
nach dem unverzichtbaren „Jedermann“ und der mehrtägigen
„Ouverture spirituelle“ zum eigentlichen Auftakt der ansonsten so glamourösen Festspiele
an der Salzach zu präsentieren.
Kein Mozart, kein Verdi, kein
Richard Strauss, sondern ein
ebenso äußerst anspruchsvolles wie schwierig zu realisierendes Werk der musikalischen
Avantgarde, das ganz gewaltig
an den Nerven zerrt: Wolfgang
Rihms 1992 in Hamburg uraufgeführte „Die Eroberung von
Mexico“. Ein Highlight für
Gourmets
zeitgenössischer
Opern in einer höchst beeindruckenden Aufführung in der
Salzburger Felsenreitschule.
In fahles Licht sind Bühne
und Zuschauerraum getaucht.
Suchscheinwerfer leuchten die
aus den Felsen des Mönchsberges geschnittenen Arkaden
gespenstisch aus, bis das Licht
auf einen Autofriedhof mit gut
zwei Dutzend demolierten
Straßenkreuzern fällt, auf dem
ein in gleißendes Weiß getauchtes Wohnzimmer im Stil
der 1950er Jahre thront (Bühnenbild: Johannes Leiacker): die
ach so heile Welt auf den Fundamenten der von Menschen
zerstörten Ordnung. Eine von
Wolfgang Rihm (Musik und
Libretto) geschaffene furiose
Antikriegsparabel, die mit dem
historischen Hintergrund der
Zerstörung des Aztekenreiches
durch den brutalen spanischen
Eroberer Hernán Cortez den
Kampf zwischen Mann und
Frau thematisiert.
Was ist faszinierender an diesem Opernwerk: die phänomenale musikalische Umsetzung dieser zum entfesselten
Geschlechterkampf mutierten
waltig in den Bann: Fein ziselierte Geigenklänge wechseln
mit dröhnenden Trompetenund Posaunenstößen, mit furiosem Trommelwirbel und mitunter
ohrenbetäubendem
Schlagzeugstakkato im Orchestergraben und auf den drei
Podien ab. Unterbrochen wird
dieser infernalische Klangrausch von Windmaschinen,
hechelnden Atemstößen und
Sprachfragmenten
zweier
Sprecher, die das Motto des
Stückes, „neutral, männlich,
weiblich“, umkreisen. Und
schließlich das Flüstern und die
markerschütternden
Schreie
des Frauenchors.
Eine vom ORF-Radio-Symphonieorchester unter Ingo
Metzmachers vitaler Leitung
ungemein betörendes Musikerlebnis, das das Aufeinanderprallen der spanischen und aztekischen Kultur und Religion
auf den zunehmend aggressiver
werdenden Kampf zwischen
Mann und Frau höchst beeindruckend überträgt. Furios vor
allem Angela Denoke als Montezuma, die geradezu atemberaubend die schrillsten Spitzentöne dieser Partie meisterte,
und Bo Skovhus, der mit baritonaler Gewalt den spanischen
Eroberer Cortez verkörperte.
Dazu Susanna Andersson und
Marie-Ange Todorovitch als
Montezumas Alter Ego und der
hochdramatisch agierende und
singende 30-köpfige Männerchor.
Stürmischer
Premierenapplaus für alle Beteiligten und
den anwesenden Komponisten.
Eine für Salzburger Festspielverhältnisse so ungewöhnliche
wie mitreißende Opernproduktion.
Eher Mann gegen Frau statt Spanier gegen Azteken: Szene mit Bo Skovhus als Eroberer Cortez und Angela Denoke als Montezuma.
Foto: Gindl/dpa
historischen Tragödie oder die
mit reichlich Symbolismen und
Assoziationen durchtränkte Inszenierung? Zu einem Gesamtkunstwerk ist diese Neuinszenierung dank der vielschichtigen Komposition und der überzeugenden Inszenierung von
Peter Konwitschny geraten, die
in wohl die Annalen des zeitgenössischen
Musikschaffens
eingehen wird.
Ergänzend zum Orchestergraben sind auf drei Podien
links und rechts und oberhalb
des Zuschauerraums Schlagzeug und Bläser platziert, zwei
Geiger spielen zwischen den
Crash-Autos, und ein Männerchor, im Publikum verteilt, erhebt seinen markant-bewegenden Gesang, wenn der brutale Kampf zwischen Mann und
Frau tobt und die in Videos ge-
zeigten Kriegsgräuel überhandnehmen. In eine surrealistische Albtraumwelt tauchte
Konwitschny dieses Beziehungschaos, bei dem Cortez in
ekstatischen Bewegungen Nosferatu gleicht und die Figur des
weiblichen Montezuma als Mischung aus Heimchen am Herd
und Femme fatale agiert.
Vor allem jedoch zieht Wolfgang Rihms Komposition ge-
Weitere Vorstellungen am 29. Juli
sowie am 1., 4. und 10. August. Karten unter www.salzburgfestival.at
Sehnsuchtsorte und Wunschplätze
Nürnberger und Regensburger Künstler bespielen in Berching Häuser und einen Turm – Auch Quellekollektiv stellt aus
Von Katrin Fehr
Berching (DK) Zwei Häuser im
Stadtgebiet und ein Turm der
malerischen Stadtmauer. Voll
mit Kunst. Von der Garage bis
zum oberen Stockwerk. Manches ist eigens dafür geschaffen,
auf jeden Fall aber nur temporär
zu sehen. Der Stadtentwicklungsverein von Berching, der
sich für diverse Nutzungsformen leer stehender Gebäude in
der mittelalterlichen Stadt im
Kreis Neumarkt starkmacht, hat
20 Künstlern aus Nürnberg und
Regensburg die Gebäude vermittelt. Und diese haben (fast)
alles unter dem Motto „Relocating Arcadia“ bestückt. Mit Malerei, Objekten, Installationen,
Fotografie und Videos. Da treffen Geschichten auf Historie,
stößt Vergangenes auf Zeitgenössisches. Es geht um idyllische Plätze und Wunschvorstellungen, um Kontraste und
um Sehnsuchtsorte. Die ganz
eigenen und um die Ecke gedacht die einer Gesellschaft.
Pirko Julia Schröder etwa
schichtet Geschichte. Fotografien aus dem leer geräumten
Haus ihrer Großmutter hat sie
einst auf Tapeten geklebt und
diese nun wieder auf die nostalgischen Muster an den Wänden
in der Hubstraße angebracht.
Schnappschüsse laden zur
Zeitreise ein. Holger Becker
verführt zur Innensicht und
zum Perspektivwechsel. Seine
große Collage, an die Wand geklebt, zeigt verschiedene Momente des Innehaltens. Eine
reale Bank lädt dazu ein. Caspar
Hüter füllt seinen Raum mit
Gebilden aus Plastiklamellen,
hoch komisch und geistreich ist
die Parallelwelt, die Adam Ciel
entwickelt. Ein Wissenschaftler,
der mit Galaktoren die Welt retten will, wenn die irdischen
Probleme, wie Ungerechtigkeiten oder der Umgang mit der
Kleiderfirma Primark, nicht gelöst werden können.
Kunst auf Zeit: Die federleichte Zettelwirtschaft weht im mittelalterlichen Ziegelturm in Berching. Der Aufruf zur Empörung des Quellekollektivs
aus Nürnberg hängt in der Hubstraße 20. Unterschreiben kann jeder. Am Wochenende sind die Ausstellungen nochmals geöffnet.
Fotos: Fehr
Auch kein gutes Ende nahm
das Quellekollektiv, eine Gruppe Kulturschaffender, die sich
für den Erhalt des ehemaligen
Quelle-Geländes in Nürnberg
engagiert haben und bis zur
Versteigerung dort gearbeitet
hatten. Der Mitinitiator der
Berchinger Aktion, Roman Jörg
Mayer, war dort auch vertreten.
Nun hängt an einer Wand ein
Aufruf „Empört Euch!“ Denn
das Kunstschaffen soll an diversen Orten weitergehen. Als
Denkfabrik, als mobiles Kollektiv.
Nicht verpassen sollte man
den Besuch des Ziegelturms.
Federleichte und Gespinsten
gleiche Installationen von Regensburger Künstlerinnen im
behäbigen und verwunschenen
Ziegelturm: kontrastreiches Arkadien.
Hubstraße 20 und 22 und Ziegelturm
in Berching. 31. Juli bis 2. August, 14
bis 20 Uhr.
„KINO MIT CHARME ZU VERKAUFEN“
Berching (DK) Neben den
Filmplakaten hängt im Aushang „Kino zu verkaufen“. Ein
Dauerthema seit vergangenem Jahr. Das Ber-Li in Berching sucht einen Nachfolger.
Inzwischen hat sich der Stadtentwicklungsverein
„Gemeinsam für Berching“ eingeschaltet, will das Traditionskino erhalten. Am Donnerstag gibt es im Rahmen der
Aktionswoche „Neues Leben
in alten Mauern“ um 19.30 Uhr
ein Informationstreffen in der
Hubstraße 8.
Herr Eisner, seit fast zehn Monaten wird versucht, für das
Ber-Li einen Nachfolger zu fin-
den. Warum ist das so schwierig?
Christian Eisner: Ein Kino zu
betreiben, ist nicht nur eine
Nebenbeschäftigung, der Arbeitsaufwand ist beträchtlich,
wenn man es alleine ohne Angestellten macht. Das schreckt
möglicherweise ab. Denn
wirtschaftlich steht das Kino
gut da. Und auch technisch,
mit Digitalqualität und 3 D. Ein
neuer Besitzer könnte es
übernehmen, aufsperren, und
los geht’s.
Sie sind Vorsitzender des
Stadtentwicklungsvereins und
laden zu einer Infoveranstaltung ein. Wen wollen Sie da-
mit ansprechen?
Eisner: Wir
wollen
all
diejenigen
erreichen,
denen das
Ber-Li
am
Herzen liegt.
Und all diejenigen, die
sich
vorstellen
könnten, sich möglicherweise
an einem Kinoverein aktiv zu
beteiligen. Dann würde sich
vieles auf mehrere Schultern
verteilen. Das ist aber Plan B.
Plan A ist es, einen Nachfolger
für das Ehepaar Franz und
Barbara Bäumel zu finden?
Eisner: Ja, das wäre sehr gut.
Das Kino hat auch viel zu bieten: 100 Plätze mit einer kleinen Gastronomie. Und es hat
einen ganz speziellen Charme,
ist für das Publikum seit Jahren eine schöne Alternative zu
den Kinos in den Großstädten. Und das Ehepaar Bäumel
würde sich auch bereit erklären, eine Weile unterstützend
dabei zu sein. Wer sich dafür
interessiert, kann sich unter
der Telefonnummer (0 84 62)
9 42 06 88 melden.
Gespräch und Foto: Katrin
Fehr.