Heinrich Böll-Die verlorene Ehre der Katharina Blum

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Heinrich Böll-Die verlorene Ehre der Katharina Blum
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Die verlorene Ehre der Katharina Blum oder
Wie Gewalt entstehen und wohin sie führen kann
von Heinrich Böll
Bölls Roman "Die verlorene Ehre der Katharina Blum" lädt ein, aktuelle Medienereignisse
kritisch zu reflektieren. Bei der Lektüre beeindruckt, wie schnell man sich in die Lage der von
einer Medienkampagne verfolgten Protagonistin hineinversetzt und beginnt, das schlicht
"ZEITUNG" genannte Boulevard-Blatt zu verabscheuen. Dank der Sprachfinesse des Autors
wirkt die Erzählung über weite Strecken realistisch, wobei aber auch der Humor nicht fehlt.
So schreibt Böll im Vorwort:
"Sollten sich bei der Schilderung gewisser journalistischer Praktiken Ähnlichkeiten mit den
Praktiken der Bild-Zeitung ergeben haben, so sind diese Ähnlichkeiten weder beabsichtigt
noch zufällig, sondern unvermeidlich."
Inhalt
Böll wählt als Erzähler einen vermeintlich objektiven Berichterstatter.
Im Mittelpunkt der Erzählung steht Katharina Blum, eine junge hübsche Haushälterin, die bei
einem Rechtsanwalt namens Dr. Hubert Blorna und dessen Frau Trude angestellt ist.
Ausserdem arbeitet sie bei Empfängen und Festlichkeiten, wo sie die Buffets besorgt. So
kann sie sich mit der finanziellen Unterstützung von Blorna eine Eigentumswohnung und
einen Volkswagen leisten. Auf einer Karnevalparty verliebt sie sich in einen jungen Mann.
Ludwig Götten, der ein von der Polizei gesuchter Rechtsbrecher ist. Sie verhilft ihm zur
Flucht. Die Zeitung nützt dieses Ereignis für einen Sensationsbericht aus, in dessen
Mittelpunkt die als „Mörderbraut“ bezeichnete Katharina Blum steht. Sie ist der andauernden
Hetze nicht gewachsen und erschiesst in unerwarteter Gegenwehr den für diese Berichte
verantwortlichen Journalisten Tötges. Die Erzählung konstruiert Schritt für Schritt die
Vorgänge der drei relevanten Tage.
Wer war Katharina Blum?
'Katharina' kommt aus dem Griechischen und steht für 'die Reine'. 'Blum' verweist auf die
Blume. Somit handelt es sich um eine 'reine Blume'. Diese ist den Gefahren der Umwelt
ziemlich wehrlos ausgesetzt, was eine erste Interpretation ihrer späteren, blutigen Tat nahe
legt, eine Handlung aus Hilflosigkeit und Verzweiflung. Zunächst einmal ist Katharina eine
fleissige und strebsame Hausangestellte. Sie hat ihren Mann Brettloh nach nur einem halben
Jahr Ehe verlassen, denn er "sei eben nie zärtlich, sondern immer zudringlich gewesen".
Katharina wird allgemein als distanziert beschrieben und hin und wieder als 'Nonne'
bezeichnet.
Ein nahezu konträres Bild von Katharina Blum zeichnet der ZEITUNGS-Reporter Tötges:
"Räuberliebchen", "Mörderbraut", "radikale Person".
Tötges
Tötges ist die Personifizierung der Skrupellosigkeit einer Boulevard-Zeitung. Für eine
reisserische Story 'geht er über Leichen'.
Zeitgeschichtlicher Hintergrund/eine Retourkutsche?
Am 23.12.1971 löste die Bild Zeitung - ein zum Springer-Konzern gehörendes Blatt - mit
ihren Geschichten um die Baader-Meinhof-Gruppe, die eine linksradikale Terroristengruppe
ist, in Deutschland Unruhe aus, dadurch wird Bölls politische Haltung gegenüber Regierung
und Gesellschaft zunehmend kritischer.
Böll beschuldigte die Bild-Zeitung in einem Artikel im Spiegel wie folgt:
"Das ist nackter Faschismus, Verhetzung, Lüge, Dreck. (...) Die Überschrift Baader-Meinhof-
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Gruppe mordet weiter ist eine Aufforderung zur Lynchjustiz*. Millionen, für die ‚Bild’ die
einzige Informationsquelle ist, werden auf diese Weise mit verfälschten Informationen
versorgt. (...)
Eigentlich beabsichtigte er, die Situation zu entschärfen. Böll wurde jedoch missverstanden
und der Unterstützung des linksradikalen Terrorismus verdächtigt.
Im Februar 1974 geriet auch sein Sohn Raimund in den Verdacht der linksterroristischen
Komplizenschaft. Dabei traf es Böll besonders, dass die Bild-Zeitung schon bevor die Sache
klar war das Geschehen meldete. Man schloss daraus, dass die Polizei mit der Presse
zusammenarbeitete. Das war vermutlich der direkte Anstoss zum Verfassen der Erzählung
„Die verlorene Ehre der Katharina Blum“. Der Text ist wahrscheinlich innerhalb weniger
Wochen ab Mitte Februar 1974 entstanden.
Zehn Jahre nach der Veröffentlichung schrieb Böll in einem Nachwort:
"ZEITUNG ist derart voll gesogen mit Verlogenheit, dass in ihr sogar eine unverfälschte
Tatsache als Lüge erscheinen würde. Kurz gesagt: sie zieht sogar die Wahrheit in den
Dreck, wenn sie sie 'wahrheitsgemäss' wiedergibt."
Deutung/Interpretation des Werks/Die verlorene Ehre der „ZEITUNG“
Wie Böll bereits im Vorspann erwähnt, sind Ähnlichkeiten zwischen der ZEITUNG und der
Bild-Zeitung "unumgänglich". Tatsächlich sind ihre Ähnlichkeiten im Vorgehen, im Schreibstil
und in der Art der Berichterstattung frappant. Sehr schön dargestellt werden Tötges'
Methoden der Informationsverfälschung. Böll zeigt auf, wie Aussagen umgedreht werden.
Übertreibung, Verleumdung, Schwarzweiss-Malerei, Unterschlagung und falsche
Gewichtung von Informationen können zu einer fast vollständigen Umdrehung der Tatsachen
führen.
Verlust und Widerstand der Sprache
Sowinski (1994: 34f.) schreibt in seiner Interpretation: "Der Widerstand der Katharina Blum
gegen ihre Umgebung ist immer auch ein sprachlicher Widerstand; die verlorene Ehre ist
zugleich auch die verlorene Sprache. Dem Verlust an Ehre für das Individuum entspricht der
Verlust der Sprache für die Gesellschaft."
Die Moral der Geschichte
Böll will mit seiner Erzählung keine Identifikation im klassischen Sinne erwirken. Der Leser
soll zwar Sympathie für Katharina entwickeln, aber gleichzeitig erkennen, dass sie den
falschen Weg gewählt hat. Bereits im Untertitel weist Böll darauf hin, dass Katharina zur
Gewalt getrieben wurde. Dies ist gewiss nicht als Billigung ihrer Tat gemeint. Vielmehr will
Böll das Ausmass und die möglichen Folgen einer medialen Hetzjagd aufzeigen und zu einer
kritischen Einstellung gegenüber der Presse anhalten: "Das wäre meine Moral: Misstrauisch
sein, und wenn man zum Opfer wird, sich wehren dagegen, wie weiss ich nicht. Diese junge
Dame wählt diesen Weg, den ich nicht empfehlen kann, aber es gibt andere Möglichkeiten,
sich zu wehren und die Unfehlbarkeit der Zeitungen permanent in Frage zu stellen. Das wäre
meine Moral." (1992: aus einem Interview von Dieter Zilligen für NDR).
1917-1985 Heinrich Böll Schriftsteller
Heinrich Böll wurde am 21. Dezember 1917 in Köln geboren. Er war Sohn eines Schreiners
und Bildschnitzers, der ein eigenes Geschäft gründete und seiner Familie zunächst einen
soliden bürgerlichen Wohlstand sicherte. Die familiäre Geborgenheit prägte das Leben Bölls,
wobei die Eltern in der Erziehung eine besonders formende Rolle spielten. Aber auch das
*Lynchjustiz, rechtswidrige Bestrafung, insbesondere Hinrichtung eines vermeintlichen Straftäters durch eine aufgebrachte
Menschenmenge ohne ordentliches Gerichtsverfahren.
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katholische Milieu Kölns wirkte sich auf die Sozialisation Heinrichs prägend aus, so dass
Familie und Religion später neben dem Thema Ehe und Liebe eine besondere Rolle im
literarischen Werk spielen sollten. Heinrich Böll liebte als Kind den Gegensatz zwischen
Arbeiter- und Bürgerkindern. Dieser Kontakt zu Gleichaltrigen aus verschiedenen
gesellschaftlichen Schichten sollte ebenfalls sein späteres literarisches Schaffen
beeinflussen. Als Heinrich Böll 1928 das Kaiser-Wilhelm-Gymnasium besuchte, fiel ein
einschneidendes Ereignis für die Familie: Das Wohnhaus im Stadtteil Raderberg musste
infolge einer Bankpleite verkauft werden, worauf die Bölls gezwungen waren, in die Stadt, in
eine neue Wohnung am Ubierring zu ziehen. Die negativen Erlebnisse mit dem bürgerlichen
Leben prägten sein Einfühlungsvermögen, sein Feingefühl für gesellschaftliche Vorgänge.
Es war die Zeit des Hungers und der politischen Auseinandersetzungen in der die Eltern um
die Existenzgrundlage bangen mussten. Obwohl ihm die letzten Jahre auf dem Gymnasium
sehr schwer fielen, blieb er doch sehr bewusst Schüler, da ihm die Schule Schutz vor dem
Nationalsozialismus bot. Kindheit und Jugend bildeten Werte, mit denen sich auch der
erwachsene Böll verbunden fühlte, so dass das Schreiben zur Verteidigung der Kindheit
wurde. In diese Zeit fallen Bölls erste schriftstellerische Versuche. Nach dem Abitur begann
Heinrich Böll mit einer Buchhändlerlehre in Bonn, brach sie aber kurz darauf ab. Er wollte
Germanistik und Philologie studieren. Jedoch wurde er wenige Wochen später, im Juli 1939,
also vor Kriegsbeginn, als Infanterist zur Wehrmacht eingezogen. Als wichtiges Ereignis ist
die Hochzeit mit der aus Pilsen stammenden Annemarie Cech zu erwähnen, die Ende 1942
stattfand. Mit ihr und der Familie führte Böll einen intensiven Briefwechsel. Nach Kriegsende
entstanden die ersten schriftstellerischen Arbeiten. Bölls Identifizierung mit seinen positiven
Hauptpersonen ist von Anfang an zu erkennen. Sie scheinen Vertreter einer
Heimatsuchenden Menschlichkeit zu sein. Zunächst behandeln Bölls Kurzgeschichten
Soldaten- und Kriegsschicksale. Grundvoraussetzung für das Schreiben war die inhaltliche
Nähe des Themas zur Wahrnehmungswelt der Leser. Böll vertraute darauf, das zu erzählen,
was ihn an Alltäglichem umgab. Seit den fünfziger Jahren widmete sich Böll immer intensiver
politischen Themen, sowohl im Rundfunk als auch in Zeitschriften. Dazu hatte er sein
Ansehen bewusst eingesetzt. Letztendlich beabsichtigte er den deutschen einen Spiegel
vorzuhalten, um ihnen ihre Feigheit zu zeigen, sich mit der jüngsten Vergangenheit
auseinanderzusetzen und den kritischen Fragen der Gegenwart zu stellen. Im Frühjahr 1985
wurde Heinrich Böll wegen starken Durchblutungsstörungen operiert. Unerwartet verstarb er
einen Tag nach seiner Entlassung aus der Spezialklinik, am 16. Juli 1985, in seinem Haus in
Langenbroich in der Eifel.
Quellenangaben
Bücher
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Das Buch „Die verlorene Ehre der Katharina Blum“, Deutscher Taschenbuch Verlag
Königs Erläuterungen, C. Bange Verlag
Literaturwissen Heinrich Böll, Reclam
Microsoft Encarta Enzyklopädie 2002
Internet
) http://www.heinrich-boell.de/leben-werk/selbst.htm
) http://www.medienheft.ch/kritik/bibliothek/k18_BenoitFabienne.html
Film
) Die verlorene Ehre der Katharina Blum von Volker Schlöndorff
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