Familie und Nachbarschaft in der Mongolei

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Familie und Nachbarschaft in der Mongolei
Ute Hennige
Familie und Nachbarschaft in der
Mongolei
Wissenschaftliche Begleitung und
Evaluation des Familienbildungsprojekts
FuN
2
Dieses Projekt entstand mit Hilfe von Fördermitteln und Spenden der Deutschen CARE Stiftung, des
Senior Experten Service Bonn (SES), der Evangelischen Hochschule Ludwigsburg, des Instituts für
präventive Pädagogik/Münster und der Autorin
3
Ute Hennige
Familie und Nachbarschaft in der
Mongolei
Wissenschaftliche Begleitung und Evaluation
des Familienbildungsprojekts FuN
Mit einem Beitrag von Bernd Brixius, Sabina Körner & Birgit Piltman
Evangelische Hochschule Ludwigsburg
Protestant University of Applied Sciences
4
© 2010/2014 by Ute Hennige, Evangelische Hochschule Ludwigsburg
Protestant University of Applied Sciences
Paulusweg 6, 71638 Ludwigsburg, Germany
E-Mail: [email protected]
http://www.eh-ludwigsburg.de
Titelbild: Familienwappen (gemalt von Familie Gankhuyag)
© Copyright für Bilder: U. Hennige
5
Vor der ersten Sitzung von FuN
6
7
Vorwort zur Auflage 2014
Der folgende Bericht über eine Pilotstudie zur Familienbildung in der Mongolei wird
hier vier Jahre nach seiner Fertigstellung weitgehend unverändert präsentiert.
Geschrieben wurde er seinerzeit in erster Linie für die Förderer des Projekts, einige
Teile wurden aus diesem Grund auch ins Mongolische übersetzt bzw. dort publiziert.
In der Zwischenzeit sind in der Mongolei allerdings große ökonomische
Veränderungen von statten gegangen, und durch die von internationalen Konzernen
betriebene
Ausbeutung
der
enormen
Bodenressourcen
mit
zweistelligen
Wachstumsraten könnten sich für die Entwicklung des Landes ausgesprochen
positive, ja glänzende Perspektiven abzeichnen - man hat sogar den Vergleich mit
arabischen
Erdölförderstaaten
gewagt.
Doch
bislang
sind
noch
keine
einschneidenden Verbesserungen eingetreten, die auf ein baldiges Ende der
wirtschaftlichen und sozialen
Notlagen eines erheblichen Teils der Bevölkerung
hindeuten. Zwar beginnt sich ein Mittelstand von Besserverdienenden zu entwickeln,
und natürlich gibt es inzwischen eine Reihe von Millionären, doch In Ulaanbaatar lebt
noch immer rd. ein Viertel der Bevölkerung unter der Armutsgrenze (2013), im
Landesinneren sind es noch wesentlich mehr. Die Gründe sind vielfältig, so haben
die Länder, die die Rohstoffe der Mongolei ausbeuten, nur geringes Interesse an
Investitionen, die nicht unmittelbar ihren Interessen nutzen. Dazu kommt aber, dass
vor allem Korruption und die Bereicherung weniger der Entwicklung des Landes
großen Schaden zufügen. Auf dem weltweiten Korruptionsindex steht die Mongolei
bei insgesamt rd. 180 Ländern zwar inzwischen „nur noch“ auf Platz 83 (2013) und
hat sich damit in den vergangenen vier Jahren um 37 Plätze verbessert, das reicht
aber zusammen mit den vielen strukturellen Problemen bei weitem nicht aus, um
allen Bürgern und Bürgerinnen des Landes eine gleichberechtigte Teilhabe am
Wohlstand zu sichern.
Aus diesem Grund ist die Mongolei trotz ihres „Reichtums“ nach wie vor abhängig
von Zuwendungen der Geberländer – hierzu gehört auch die BRD.
Unser zweites derzeit laufendes und vom deutschen Bundesministerium für Gesundheit unterstütztes Projekt „Gesund-beschützt-geborgen - Frühe Hilfen für Familien“,
das wir seit 2013 durchführen, zeigt erneut eindrücklich, wie groß der Bedarf im
Bereich der primären Prävention noch ist (natürlich nicht nur da) und wie lernbegierig
8
die Professionellen und wie bedürftig die Familien sind. Umso wichtiger ist es, bei
solchen Projekten Nachhaltigkeit als zentrales Ziel im Blick zu behalten und den
Betroffenen Mittel und Wege aufzuzeigen, wie sie in Zukunft besser für sich selbst
sorgen können.
In dem hier beschriebenen Projekt über das präventive Familienbildungsprogramm
FuN war das zumindest in Ansätzen der Fall: FuN wurde im Jahr 2011 von Unicef
Mongolia übernommen und in weiteren Einrichtungen erfolgreich durchgeführt;
darüber hinaus wird es von der damaligen Projektpartnerin noch immer angeboten,
wenn auch nicht in dem Umfang und der Qualität, den oder die wir uns vorgestellt
hatten – doch durchaus kreativ, z.B. bei Eltern von Straßenkindern, die von der
Kinderhilfsorganisation World Vision in die Familien zurückbegleitet werden. Darüber
hinaus ist es gelungen, die Mehrzahl der Familien, die an dem Projekt teilgenommen
haben, zu motivieren, auch nach Programmabschluss Kontakt zu halten und sich
gegenseitig zu unterstützen.
Schließlich sei hinzugefügt, dass dieser Bericht in erster Linie für Praktikerinnen und
Praktiker geschrieben ist. Diejenigen, die an der Umsetzung einer Projektidee in
einer fremden Kultur und dem Einsatz des für uns schon längst
gehörenden
sozialwissenschaftlichen
Instrumentariums
wie
zum Alltag
Fragebögen
und
Leitfadeninterviews unter „Fremdheitsbedingungen“ interessiert sind, erhalten
vielleicht einige Anregungen und Hinweise:
Teil I – Erziehung und Familie in der Mongolei - ist vor allem für die Leser und
Leserinnen interessant, die sich für das Land
und die dort herrschenden
Vorstellungen und Praxen von Familie und Erziehung nach dem politischen Transformationsprozess 1990 und seine psychosozialen Folgen interessieren.
Teil II – Projektkonzeption und Projektdurchführung
- bezieht sich schwerpunkt-
mäßig auf das eingesetzte Familienprogramm FuN und beschreibt insbesondere
seine theoretischen Hintergründe aus der strukturell-systemischen Familientherapie
sowie die didaktischen, aus der Erwachsenenbildung abgeleiteten Vermittlungsprinzipien.
9
Es ist uns gelungen, diese Aspekte z.T. auch mittels Fotografien aus dem
Arbeitsprozess mit den Familien zu veranschaulichen bzw. zu validieren. Die
Fotografien befinden sich jedoch nicht in diesem Text, sondern in dem hier ebenfalls
herunterzuladenden Vortrag.
Teil III – der empirische Teil der Arbeit – umfasst zum einen die relativ aufwändigen
Vorbereitungen der Evaluation sowie ihre methodischen Begrenzungen, die sich
insbesondere auch daraus ergeben, dass sozialwissenschaftliche Methoden in der
Mongolei noch weitgehend unbekannt sind und die „Ethik des Forschens“ offenbar
einer westlichen Logik gehorcht,
deren Relevanz schon bei scheinbar trivialen
Fragen zur Diskussion steht. So haben Trainingsteilnehmern und –nehmerinnen es
z.B. angelehnt, ihre Evaluationsfragebögen anonym auszufüllen: „Das gibt es bei uns
nicht – ich stehe zu meiner Meinung, und ich möchte, dass Sie wissen, was ich
denke!“
Des Weiteren werden in diesem Teil „Störungen“ im Arbeitsablauf beschrieben, die
sich infolge der unterschiedlichen Kulturgrammatiken ergeben, aber es wird auch
deutlich, wie positiv die Professionellen auf unser Weiterbildungsangebot reagiert
haben.
Schließlich werden die Ergebnisse im Einzelnen vorgestellt – dieser Abschnitt ist im
Wesentlichen für diejenigen interessant, die sich über die konkrete soziale Lage und
die Sichtweisen der mongolischen Familien ein Bild machen und etwas über die
verschiedenen Auswertungsschritte und Befunde erfahren möchten, vielleicht auch
im Hinblick auf eigene Untersuchungen.
Und wer es eilig hat, wird die wichtigsten Ergebnisse des Projekts auch in der
abschließenden Gesamtzusammenfassung finden.
Reutlingen, 23.09.2014
Ute Hennige
10
Vorwort
Im Jahr 2007 habe ich mich mehrere Wochen lang als Senior Expertin in der
Mongolei aufgehalten, um eine Fachkollegin beim Aufbau einer psychologischen
Beratungseinrichtung zu unterstützen.
Ein besonders eindrückliche Erfahrung, die durch meinen Einblick in die Lebenslagen
der Bevölkerung entstand und durch Gespräche mit mongolischen Experten und
Expertinnen
gestützt
wurde,
war,
dass
das
Überleben
des
klassischen
Familienverbands in der Mongolei – in einem noch stark von nomadischen
Traditionen bestimmten Land, für das Familie das Zentrum des Lebens und
Überlebens darstellt – seit der 1990 erfolgten politischen und ökonomischen
Transformation stark bedroht war und ist. Das dokumentierte sich u.a. in dramatisch
gestiegenen Scheidungsraten und hoher innerfamiliärer Gewalt.
So
entstand
in
gemeinsamen
Überlegungen
mit
meiner
mongolischen
Projektpartnerin Soyolmaa Enkhbat – einer Germanistin und Psychologin –
schließlich die Idee, ein Projekt durchzuführen, das Familien im Umgang mit dem
Stress des Überlebens im Alltag unter schwierigen Bedingungen stärken und sie
widerstandsfähiger und belastbarer machen könnte. Dabei war nicht an die
Konservierung einer historisch überholten Lebensform gedacht, denn mit der
weltweiten Modernisierung und Erosion tradierter Netzwerke sind vielfältige neue
Lebensformen auf dem Vormarsch, die sich vermutlich auch in einem Land wie der
Mongolei nicht aufhalten lassen werden – selbst in China, das die klassische
Familienform wertschätzt, sind z.B. auf Grund der großen Binnenwanderungsbewegungen von Arbeitskräften neue Familienformen im Entstehen.
Schließlich stieß ich bei meinen Recherchen – beraten von Frau Prof. Dr. Sigrid
Tschöpe-Scheffler von der Hochschule Köln - auf ein Programm aus der Familienund Elternbildung, das vor allem für Familien geeignet ist, die in sozialen Randlagen
der Gesellschaft leben und wenig Zugang zu Bildungsangeboten haben. Die
spezifische Familienform war dabei von untergeordneter Bedeutung. Insbesondere
schien dieses Programm geeignet, durch die Aktivierung von Selbsthilfepotenzialen,
solidarische Nachbarschaftsbeziehungen und Netzwerkbildungen eine nachhaltige
Entwicklung einzuleiten und gleichzeitig die Kooperation der beteiligten Institutionen -
11
Kindergarten, Schule, familienunterstützende Dienste - zu fördern: es handelt sich
um das Programm „Familie und Nachbarschaft“ (FuN), das in mehreren
Bundesländern Deutschlands sowie in Österreich seit einigen Jahren mit Erfolg
eingesetzt wird.
Der entscheidende Schritt für Durchführung und Gelingen des Vorhabens war
jedoch, dass es gelang, den Leiter des Instituts für präventive Pädagogik in Münster,
Bernd Brixius, der die Entwicklung des Programms FuN und die Qualifizierung der
Teamer/innen bzw. Trainer/innen mit verantwortet, für das Vorhaben zu gewinnen. Er
sagte zu, der mongolischen Kooperationspartnerin nicht nur hier in der BRD einen
Einblick in das Programm zu ermöglichen, sondern auch, im darauf folgenden Jahr,
also 2009, unentgeltlich einen Qualifizierungskurs in der Mongolei durchzuführen und
die Teams anschließend bei der Programmdurchführung zu unterstützen – was auch
geschah.
Der jetzt hier vorliegende Bericht dokumentiert die wichtigsten Ergebnisse des im
Verlauf von drei Jahren entstandenen gemeinschaftlichen, kulturübergreifenden
Projekts, das aufregend, lern- und arbeitsintensiv, anstrengend und manchmal
durchaus nervenaufreibend war, von dem sich aber sagen lässt, dass der Ertrag den
Aufwand in vollem Umfang rechtfertigt.
Der Bericht ist dabei weniger für ein Fachpublikum, sondern vor allem für diejenigen
Praktiker und Praktikerinnen gedacht, die ähnliche soziale Projekte in der Mongolei
und vergleichbaren Ländern durchgeführt haben oder durchführen wollen oder die
mit darüber entscheiden, ob solche Projekte durchgeführt werden können.
Die Realisierung dieses Vorhabens war nur möglich mit der Unterstützung folgender
Personen und Institutionen:
•
Die zuständige Leiterin für die Agenturen Soziales, Gesundheit & Ausbildung in
der Stadtverwaltung von Ulaanbaatar, Frau Lkhamsuren, war bereit, alle
Mitarbeiterinnen in den beteiligten Kindertagesstätten für die Fortbildung
freizustellen, ein sehr großes Entgegenkommen. Ebenso unterstützte die Leiterin
der Politikkoordination des Staatlichen Amtes für Kinder & Jugendliche, Frau
Baigalmaa, engagiert das Projekt.
•
Die
Vorsitzende
des
Dachverbandes
für
die
nationale
mongolische
Familienbewegung und ehemalige Parlamentsabgeordnete, Frau Dr. Munkhuu,
12
und Herr Prof. Dr. Namjil, Direktor des Zentrums für Mongoleistudien und Leiter
der Abteilung für Familienforschung an der Universität Ulaanbaatar, übernahmen
die Schirmherrschaft für das Projekt.
•
Das Projekt konnte organisatorisch an das Institut für Angewandte Forschung
•
(IAF) der Evangelischen Hochschule Ludwigsburg angebunden werden, ebenso
unterstützte die Hochschule das Projekt finanziell.
•
Die Deutsche-CARE-Stiftung unterstützte das Projekt ebenfalls finanziell.
•
Der Senior Experten Service Bonn übernahm die Reisekosten.
Allen direkt und indirekt am Gelingen Beteiligten sei an dieser Stelle noch einmal
herzlich gedankt, nicht zuletzt den engagierten Teams in den Kindertagesstätten und
den Familien, die uns mit großer Freundlichkeit empfangen und Einblick in ihr
privates Leben gewährt haben.
Reutlingen, den 23.05.2010
Ute Hennige
13
Inhaltsverzeichnis
Einleitung 17
Teil I
Erziehung und Familie in der Mongolei
1 Krise der Familie
21
23
2 Erziehung nach der Wende
3 Krise der Erziehung
24
26
4 Zusammenfassung und Fazit
28
Teil II
Projektkonzeption und Projektdurchführung 31
1 Familien- und Elternbildung in der Mongolei
33
1.1 Notwendigkeit von Familien- und Elternbildung
1.2 FuN, ein präventives Familienbildungsprogramm
1.2.1 Hintergrund und Ziele
33
33
33
1.2.2 Ablauf und Inhalte 34
1.2.3 Exkurs: Theoretische Orientierung der pädagogischen Konzeption
und Lernformen 35
1.2.4 Qualifizierung der Teams
43
1.3 Zusammenfassung und Fazit 43
2 Umsetzung des Projekts
2.1 Zeit- und Arbeitsplan
2.2 Die Teams
45
45
46
2.3 Durchführung
47
2.4 Zusammenfassung und Fazit
47
Teil III
49
Die Evaluation des Projekts
1 Vorbereitung
51
1.1 Die zentralen Fragestellungen
1.2 Methodische Begrenzungen
1.3 Evaluationsinstrumente
51
52
53
1.4 Anmerkungen zur Datenerhebung
54
14
1.5 Design
55
1.6 Auswertung
56
1.7 Zusammenfassung und Fazit
2 Ergebnisse
56
58
2.1 Qualifizierung der Teams
58
2.1.1 Ergebnisse der Abschlussbefragung
2.1.2 Die „Ambivalenten“
2.1.3 „Störungen“
58
60
61
2.1.4 Zusammenfassung und Fazit
62
2.2 Das Programm im Urteil der Familien
2.2.1 Auswahl der Familien
64
64
2.2.1.1 Stadtteile und Wohnquartiere
2.2.1.2 Die Anwerbung der Familien
64
64
2.2.1.3 Der sozio-ökonomische Hintergrund in den Wohnquartieren
65
2.2.1.4 Familienstand und soziale Lage der ausgewählten Familien
67
2.2.1.5 Zusammenfassung und Fazit
2.2.2 Die Familienbefragung
72
2.2.2.1 Die regelmäßigen Teilnehmer
2.2.2.2 Einzelbefunde
70
72
74
2.2.2.3 Zusammenfassung und
79
2.3 Die Wirkung des Programms aus Sicht der Teams
2.3.1 Ergebnisse der Intensivphase
83
83
2.3.2 Selbstorganisation und Fortsetzung des Programms
2.3.3 Zusammenfassung und Fazit
90
Teil IV
Schlussfolgerungen und Ausblick
Gesamtzusammenfassung
Literatur
101
115
Materialband / Anhang (separat)
91
87
15
16
17
Einleitung
18
19
Die Mongolei steht seit ihrer Transformation in eine parlamentarische Demokratie
und der Einführung der freien Marktwirtschaft im Jahr 1990 trotz unverkennbarer
Fortschritte auch nach 20 Jahren noch vor großen Herausforderungen. Die extreme
Verarmung großer Teile der Bevölkerung bei gleichzeitiger Zunahme des Reichtums
in wenigen Händen, Massenarbeitslosigkeit, die internationale Wirtschafts- und
Finanzkrise, Naturkatastrophen infolge des Klimawandels1, Landflucht wegen der
enormen Disparitäten zwischen Stadt und Land und eine kaum noch beherrschbare
Zuwanderungswelle
in
die
stetig
wachsenden
Vorstädte
der
Hauptstadt,
Misswirtschaft, politischer Dissens in zentralen Fragen u.v.a. verhindern stabile
Fortschritte. Nicht verschwiegen werden soll auch, dass sich die Mongolei auf dem
weltweiten Korruptionsindex im oberen Bereich (auf dem 120. Platz von insgesamt
180 Ländern) befindet, Tendenz steigend – nicht zuletzt eine Folge der
außerordentlich reichhaltigen Bodenschätze, über die das Land verfügt und an deren
Ausbeutung weltweit viele Konzerne größtes Interesse haben2.
Doch hat die Mongolei auf der anderen Seite auch viele Ressourcen, die sie im
Vergleich zu anderen Entwicklungsländern einzigartig machen. Die mongolische
Bevölkerung besitzt durch die Einführung der Schulpflicht seit den zwanziger Jahren
des vergangenen Jahrhunderts ein hohes Bildungsniveau, Männer und Frauen sind
gleichberechtigt und Mädchen haben nicht nur den gleichen Zugang zu
Bildungseinrichtungen, sondern – das ist nur bedingt ein Vorteil − sind in den
weiterführenden Schulen und Hochschulen sogar stärker repräsentiert als Jungen
(die schon früh in den Nomadenfamilien als Arbeitskräfte gebraucht werden), es gab
und gibt noch immer eine große Lern-, Experimentier− und Risikobereitschaft, auch
bei der Zentralregierung und den lokalen Behörden, hohes zivilgesellschaftliches
Engagement 3 und Offenheit gegenüber Veränderungen4.
Gleichzeitig gibt es eine traditionelle Nomadenkultur, die von der Mehrheit der
Bevölkerung sehr geachtet wird und von der man sich wünscht, dass sie als Teil der
mongolischen Identität auch im 21. Jahrhundert Bestand haben möge, und es gibt
1
Z.B. mehrere trockene Sommer gefolgt von eisigen und/oder schneereichen Wintern mit enormen
Verlusten an Weidetieren, in diesem Winter 2009/2010 wird bei 43,6 Millionen Stück Vieh mit mehr als
sechs Millionen toten Tieren gerechnet (www.mongolei-online.de, 22.-28.3.2010)
2
Vgl. www.mongolei-online.de, 6.-13.1.2010; Deutschland: 14. Platz
3
Vgl. UN Country Team u.a. (Hrsg.), Creating a culture of participation. Voices of Mongolian
adolescents telling the UN Story. Ulaanbaatar 2004, 10
4
Gespräch mit Dr. Thomas Labahn, GTZ (www.mongolei-online.de, Sept. 2006)
20
noch immer ausgedehnte Familiennetzwerke, die die städtische und ländliche
Bevölkerung miteinander verbinden und die nur 2,7 Millionen über das Land
verstreuten Einwohner trotz der enormen Fläche (1.565,65 qkm) „zusammenhalten“5.
Zudem ist die Mongolei ein sehr „junges“ und damit zukunftsorientiertes Land: Der
Altersmedian für 2009 liegt bei 25,3 Jahren (Deutschland: 44,0 Jahre) und 28% der
Bevölkerung ist jünger als 14 Jahre (Deutschland: 14%)6.
Weiterhin hat das Land nach den extrem schwierigen 90er Jahren auch große
Fortschritte in der Bekämpfung sozialer Probleme gemacht: u.a. durch erfolgreiche
Kooperationen mit den UN und mit UNIFEM, der WHO und UNICEF, durch die
Verbesserung der Gesundheitsversorgung und des Bildungswesens und die
Gründung eines Nationalen Zentrums gegen Gewalt, und es sind Hunderte von
einheimischen und ausländischen Nicht-Regierungs−Organisationen aktiv, die in
vielen Lebensbereichen zu erheblichen Verbesserungen beitragen konnten7.
Vieles spricht zudem dafür, dass die Mongolei gegenwärtig an einem Wendepunkt
ihrer Geschichte angekommen ist, denn neue Projekte zur Erschließung der nahezu
unerschöpflichen Rohstoffe bieten die reale Chance eines Aufbruchs in die Moderne
– bergen aber auch die Gefahr, dass sich die Schere zwischen Arm und Reich noch
weiter vergrößert und sich der hart erkämpfte und gefeierte Aufbruch in Demokratie
und freie Marktwirtschaft als Fehlschlag erweist.
So gibt es vielfältige Gründe für Kooperation und Partnerschaft, zumal die
Beziehungen zu Deutschland traditionell freundschaftlich sind und nicht wenige
Führungskräfte aus Wirtschaft und Politik in der ehemaligen DDR studiert haben und
Deutsch8 sprechen. Auch die EU ist bestrebt, ihre Stellung „als vertrauenswürdiger
und geschätzter Gesprächspartner im Dialog mit der Mongolei zu festigen“ und
kommt in einem Strategiepapier zu dem Schluss:
Die Mongolei verfügt über das Potenzial, nicht nur für Zentralasien ein Musterland zu
werden, und der EU liegt viel daran, dies zu unterstützen…9
5
UNDP 2006, Unicef: At a glace: Mongolia, 2006. Dabei lebt inzwischen mehr als die Hälfte in der
Hauptstadt, davon rd. 60 % in den Jurtenvierteln (www.mongolei-online.de, 05.06.2009, 14.20.12.2009)
6
CIA -The World Factbook 2009, Mongolia
7
Im Jahr 2006 gab es z.B. im ganzen Land 2000 NROs, davon in Ulaanbaatar allein 60 für und von
Frauen (www.mongolei-online.de, 10.09.2006)
8
30.000 Mongolen sprechen Deutsch (Botschaft der Mongolei in der BRD (6.1.2008)
9
Mongolei-Europäische Gemeinschaft. Strategiepapier 2007-2013, 17,
http://ec.europa/eu/external_relations/ mongolia/spimipa/sp_mongolia_de_23-02-2007.pdf
21
Teil I
Erziehung und Familie in der Mongolei
22
23
1 Krise der Familie
Die Familieneinheit hat in der Nomadenkultur einen sehr hohen Stellenwert. Unter
den
gegenwärtigen
politischen
und
ökonomischen
Bedingungen
und
der
zunehmenden Orientierung an westlichen Wertvorstellungen droht sie jedoch
auseinander zu brechen, was generell und unabhängig von der politischen
Einstellung der Verantwortlichen mit großer Sorge betrachtet wird, weil damit ein
Grundpfeiler des Zusammenhalts der Nation wegzubrechen droht.
Als Beispiele hierfür werden genannt: 10/11
•
Instabilität von Ehen, Zunahme von Ehescheidungen
•
Abnahme der Haushaltsgröße auf Kleinfamilienniveau
•
Kinderarbeit, sexuelle Ausbeutung von Kindern, Straßenkinder, Kinderkriminalität,
Schul-Dropouts12
•
Einschränkung
der
Fürsorgekapazität
der
Familien,
auch
aufgrund
der
ökonomischen Lage
•
Zunahme der Zahl von alleinerziehenden Frauen bei gleichzeitiger Verarmung
(Feminisierung der Armut)
•
Zunahme von Alkoholmissbrauch, vor allem bei Männern, 20% von ihnen gelten
als exzessive Trinker, oft in Kombination mit Arbeitslosigkeit
•
Verantwortungsverweigerung von Vätern, z.B. in der Alimentenzahlung
•
Erosion von verwandtschaftlichen Bindungen und Solidargemeinschaften
•
u.a.
Hinzu kommt ein hohes Ausmaß an häuslicher Gewalt: Jede dritte Frau in der
Mongolei ist das Opfer von Gewalt in der Ehe, und die innerfamiliäre Gewalt wächst
vor allem unter dem Einfluss von Alkohol, dabei wird vermutlich die Mehrheit der
gewalttätigen Übergriffe überhaupt nicht angezeigt. Insgesamt ist die Gewalt
gegenüber Frauen in den vergangenen Jahren alleine in der Hauptstadt um 30-35%
angestiegen13. Deshalb hat sich auch der Anteil der Haushalte erhöht, der alleine von
10
Vgl. Unicef (Hrsg.), Situation analysis of children and women in Mongolia. Unicef-Mongolia,
Ulaanbaatar 2007, 84
11
Amnesty International, Jahresbericht 2004; Mongolia NGO Report for Asia-Pacific NGO Forum
Bejing + 10, Summery Statements, o.J. (2002); WHO, Centre for health development Kobe/Japan,
National report on violence and health in Mongolia. 2007, 10 ff.
12
36% aller Mädchen und 35% aller Jungen arbeiten (Kinderarbeit in der Mongolei in: aktiv-gegenkinderarbeit.de/welt/asien/mongolei, 2009)
13
Die mongolische Verfassung von 1992 garantiert Frauen und Männern die gleichen Rechte, und
inzwischen hat die Regierung auch ein Gesetz gegen häusliche Gewalt verabschiedet. Problematisch
ist allerdings, dass die Rechtsrealität oft anders aussieht; so können Frauen ihre Rechte vor Gericht
24
Frauen geführt wird. Frauengeführte Haushalte sind wiederum von Armut stärker
betroffen, knapp die Hälfte von ihnen lebt unterhalb der Armutsgrenze14/15.
2 Erziehung nach der Wende
Der bewusst organisierten Erziehung zur "sozialistischen Persönlichkeit" steht in
einem demokratischen Land der westlichen Hemisphäre das (bürgerliche) Ideal der
Eigenverantwortung, verbunden mit Gemeinschaftsfähigkeit, als Herzstück aller
Erziehungsbemühungen gegenüber16. Neben der Fähigkeit, sich angemessen in
sozialen Zusammenhängen zu bewegen, stehen die Entwicklung und Unterstützung
von Individualität, Eigeninitiative, Selbstentfaltung, Selbstständigkeit, die Betonung
des freien Willens, der Ausdruck von Gefühlen, liebevolle, verstehende Zuwendung
der Erzieher/innen, das Partizipationsideal vom „Befehls−“ zum „Verhandlungshaushalt“ u.a. im Vordergrund − in der ehemaligen sozialistischen Mongolei natürlich
kein Gegenstand und kein Ziel erzieherischer Maßnahmen, jetzt aber ein
notwendiges und zentrales Erziehungsziel. Soll dieses demokratische Ideal in der
demokratischen Mongolei auch nur annähernd umgesetzt werden, bedarf es also
intensiver Anstrengungen in der Gesellschaft, insbesondere im Erziehungswesen.
Zwar hat mit den gesellschaftlichen und politischen Umwälzungen der Jahre
1989/1990 der Stellenwert von Bildung und Erziehung in der Mongolei wegen der
nötigen Positionierung im internationalen Wettbewerb eher noch zugenommen; der
gute
Wille
konnte
allerdings
einen
drastischen
Einbruch
der
öffentlichen
Bildungsausgaben nicht verhindern (von 1991 bis 1996 Rückgang absolut um rd. 50
%)17. Entsprechend begann die ehemals fast 100% betragende Schulbesuchsquote
oft nicht durchsetzen, die Missachtung von Gesetzen wird nicht immer gerichtlich verfolgt, Gesetze
werden unzureichend umgesetzt usw.
14
Unifem, Strenghten the Implementation of Laws on V(iolence)A(gainst)W(omen) in Mongolia. 2008
(Research Summery)
15
Implementation of the CEDAW in Mongolia – A Shadow Report, 2008
16
KJHG 1990: (1) Jeder junge Mensch hat ein Recht auf Förderung seiner Entwicklung und auf
Erziehung zu einer eigenverantwortlichen und gemeinschaftsfähigen Persönlichkeit1
17
Für die folgenden Ausführungen vgl. Nelle, D., Mongolei: Reformen in Bildung, Wissenschaft,
Forschung und Kultur. In: Verfassung und Recht in Übersee 36 (2003), 103-111 (abgedruckt in
www.mongolei-online.de, Januar 2007)
25
in
ländlichen
Gebieten
abzubröckeln.
Immerhin
gelang
es
jedoch,
die
Haushaltsanteile für die Bildung zu konsolidieren und die Schulbesuchsquote bei gut
96% zu stabilisieren. Doch das Lehrpersonal ist schlecht ausgebildet und die
Bezahlung mehr als unangemessen, sodass sich die qualifizierteren Kräfte andere
Arbeitsplätze suchen, die Schulgebäude sind marode und die Klassen − vor allem in
den Städten – überbelegt, auf dem Land fehlen dagegen Schulen, die
Nomadenkinder haben keine ausreichenden Übernachtungsmöglichkeiten, Eltern
können für Uniformen und Lernmaterial nicht mehr aufkommen, die Kinder brechen
die Schule ab usw.. Verschiedene Reformgesetzpakete gestatten inzwischen u.a.
auch den Ausbau von Privatschulen, deren Jahresgebühren in der Regel aber das
zwei- bis zehnfache eines durchschnittlichen Monatsgehalts betragen. Die Sicherung
der Qualitätsstandards wirft zudem teilweise erhebliche Probleme auf.
In das allgemeinbildende Schulwesen wird auch die Vorschulerziehung einbezogen.
Auch hier sollen zusätzliche Ressourcen investiert werden. Zwar befindet sich fast
jeder fünfte Einwohner der Mongolei im Vorschulalter, bedeutsam ist dieser Bereich
jedoch fast ausschließlich für die Hauptstadt Ulaanbaatar, wo die Familienbande
nicht mehr so eng sind wie auf dem Lande und wo allein die für einen sinnvollen
Betrieb von Kindertageseinrichtungen notwendigen Gruppengrößen zusammen
kommen. Doch in der Hauptstadt hat sich die Versorgung mit Kindergartenplätzen in
den letzten Jahren verschlechtert: Im Jahr 2002 besuchten dort noch rd. 85.000
Kinder einen Kindergarten (davon 628 staatliche und fünf private)18 , heute gibt es in
Ulaanbaatar nur noch 155 staatliche und 73 private Kita−Einrichtungen, die von
56.000 Kindern besucht werden.
Festzuhalten ist zudem, dass gegenwärtig (2009/2010) die überwiegende Zahl der
Erziehungsberechtigten und Pädagogen einen mehr oder weniger großen Teil ihrer
Bildung und Erziehung noch in der mongolischen Volksrepublik erhalten haben, viele
von ihnen sind aber anschließend während der Adoleszenz bzw. der beruflichen
Qualifikation durch die Wirrnisse der Wendezeit gegangen und vermutlich mit vielen
Brüchen, existenziellen Verunsicherungen und Krisen oder gar persönlichen
Katastrophen erwachsen geworden. Letzteres gilt erst recht für die derzeit noch
jungen Eltern, die – in den 80er Jahren geboren − bereits sehr früh die Folgen des
Wandels zu verkraften hatten.
18
Vgl. Nelle, a.a.O.
26
3 Krise der Erziehung
Die Mongolei hat bereits im Jahr 1992 die UN-Kinderrechtskonvention ratifiziert, doch
trotz aller Bemühungen, die Forderungen der Konvention zu implementieren, werden
Kinderrechte noch häufig missachtet. Ein inzwischen recht gut dokumentierter
Sachverhalt ist das Ausmaß des Gebrauchs von Gewalt in der Erziehung. Das
Nationale Zentrum gegen Gewalt hat z.B. festgestellt, dass 58% der befragten Kinder
zu Hause − in der Regel ohne Zeugen − in irgendeiner Form Opfer von
Misshandlung / Missbrauch durch die Eltern werden19. In einer anderen sehr sorgfältig durchgeführten Studie20 mit rd. 600 Kindern gaben 71% der Befragten an, dass
sie regelmäßig von Lehrern, Müttern, Vätern, anderen Kindern, Geschwistern,
Großeltern u.a. geschlagen würden (mit Gürteln, Feuerhaken, Linealen u.ä.). Gründe
sind in erster Linie, dass sie zu Hause nicht helfen oder ungehorsam sind. Bei
geschiedenen Eltern und Stiefeltern kommt solche Gewalt besonders häufig vor. Nur
2% der befragten Kinder waren niemals geschlagen worden. Ältere Kinder und
Mädchen werden eher seelisch misshandelt. Auch in den Schulen, Kindergärten und
Internaten erfahren nahezu alle Kinder Gewalt. Eine weitere Studie stellt fest, dass
60% der Vergewaltigungsopfer Kinder sind, fast die Hälfte von ihnen Mädchen unter
15 Jahren. Mehr als die Hälfte der Vergewaltigungen findet zu Hause oder in Fluren
und Kellern von Wohnblocks statt21.
25% der Kinder werden auch, so eine andere Untersuchung, Opfer von
Unterdrückung und Gewalt durch ihre Peers22.
Die schwierige ökonomische Situation zwingt auch viele Kinder und Jugendliche,
zum Familienunterhalt beizutragen, oft unter illegalen Bedingungen. Verlassene
Kinder, die oft schon zu Hause Gewalt erlebt haben und sich dann auf der Strasse
durchschlagen, sind zudem oft Opfer von sexuellem Missbrauch und genießen
keinerlei sozialen Schutz.
In einer Befragung von Jugendlichen äußerte mehr als ein Drittel von ihnen, dass
ihre Eltern sie nicht verstehen würden23. Ein Fünftel gab an, dass ihre Eltern nicht für
sie sorgen würden. Sie selbst litten unter ihrer Schüchternheit, einem Mangel an
Selbstvertrauen, an Einsamkeit und Isolation. Zu Hause erwarte man von ihnen, dass
Vgl. Unicef (Hrsg.), ebd.
WHO, National report on violence and health in Mongolia, 10ff.
21
ebd.
22
ebd.
23
Diese Studie aus dem Jahr 2000 - der sog. MANAS Report (Mongolian Adolescents Needs
Assesment Survey) - bezieht sich auf eine Erhebung bei 2500 mongolischen Jugendlichen; zitiert in:
UN Country Team u.a. (Hrsg.), a.a.O., 74
19
20
27
sie einen großen Teil der Hausarbeit übernähmen und ansonsten in Gegenwart von
Erwachsenen den Mund hielten. Man vertraue ihnen nicht, wenn sie außerhalb des
Hauses mit ihren Freunden zusammen kommen wollten, und es gäbe wenig
persönliche Kommunikation zwischen Eltern und Kindern.
Unter Armutsbedingungen verschärft sich die Lage der Kinder noch einmal in
spezifischer Weise, wie eine Studie24 aufzeigt: Da ihre Kontakte mit den Eltern im
wesentlichen nur im Zusammenhang mit der Schule oder der geforderten Mitarbeit
im Haushalt stattfinden, beziehen sich die Inhalte der Kommunikation im
wesentlichen auch nur auf diese Themen. Das betrifft auch die Strafen: Eltern
bestrafen ein Kind entweder, weil es zu spät nach Hause gekommen ist und
versäumt hat, Brennholz oder Wasser usw. zu besorgen, oder weil es sich in der
Schule schlecht betragen oder schlechte Leistungen gebracht hat. Wenn Jungen
persönliche Probleme haben, ist für sie oftmals überhaupt kein Ansprechpartner in
der Familie da, weil die Väter, um ein paar Tugrik zu verdienen, früh aus dem Haus
gehen und erst spät zurückkommen, während die Mütter, die oft Heimarbeit machen,
wenn überhaupt, dann mit ihren Töchtern, nicht aber mit den Söhnen persönliche
Dinge besprechen25.
Es gibt auch immer noch Eltern, die davon überzeugt sind, dass es ihre Pflicht ist,
ihre Kinder körperlich zu strafen, vor allem die Söhne. Obwohl den zuständigen
Behörden keine offiziellen Anzeigen vorliegen, muss davon ausgegangen werden,
dass Kinder auch oft unter dem Einfluss von Alkohol misshandelt werden26.
Besonders
dramatisch
auseinanderbrechen,
wird
Elternteile
die
Lage
sterben,
der
Kinder,
wenn
nicht
mehr
Kinder
die
Familien
versorgt
oder
beaufsichtigt werden oder von zu Hause weglaufen27.
Selbst wenn die meisten zitierten Untersuchungen schon einige Jahre alt sind, gibt
es wenig Grund für die Annahme, dass sich die Situation inzwischen merklich
gebessert hat, zumal solche Entwicklungen in der Regel nicht von heute auf morgen
stattfinden. In jedem Fall muss davon ausgegangen werden, dass ein großer Teil der
jungen Generation – über die ältere ist nichts bekannt, aber es gibt ebenfalls wenig
Unicef u.a. (Hrsg.), Children in Poverty. The living conditions of the children in peri-urban areas of
Ulaanbaatar. Summery Report, Mongolia 2003
25
a.a.O., 21
26
Children in Poverty, a.a.O., 22
27
Unicef, Street and Unsupervised Children of Mongolia. July 2003, 9
24
28
Grund anzunehmen, dass es hier wesentlich besser war – mit alltäglicher Gewalt
aufgewachsen ist und noch immer aufwächst28.
Dabei gilt: Misshandlungen beinträchtigen die gesamte Entwicklung der Kinder − ihre
Fähigkeit zu lernen, Vertrauen zu entwickeln und Beziehungen einzugehen. Sie
haben
häufig
Ängste,
Depressionen,
Aggressionen
und
ein
vermindertes
Selbstwertgefühl zur Folge. Frühe Gewalterfahrungen führen im späteren Leben
häufig zu Passivität, Alkoholmissbrauch, Drogenkonsum, sexuellem Risikoverhalten
oder gar Selbstmord und natürlich zu weiterer Gewaltanwendung gegenüber den
eigenen Kindern. Nach Schätzungen verüben in Industrieländern zwischen 40% und
70% der gegen ihre Partner gewalttätigen Männer auch Gewalt an ihren Kindern, und
von allen körperlich misshandelten Frauen misshandelt ca. die Hälfte selbst ihre
Kinder29.
4 Zusammenfassung und Fazit
Die mongolische Gesellschaft ist eine Gesellschaft im Übergang, die von den
Individuen verlangt, sich von ehemals für sicher gehaltenen und oft mühselig
erworbenen Wissensbeständen, Handlungsmustern und Orientierungen zu verabschieden und sich neue anzueignen30. Nicht nur die materiellen, auch die psychosozialen Folgekosten dieses Transformationsprozesses sind für die Bevölkerung,
sehr hoch, und es besteht großer Unterstützungsbedarf.
So wurde auch von der neu gewählten Regierung 2007 beschlossen, Familienarbeit
zu einem besonderen Schwerpunkt der zukünftigen Kinder−, Jugend− und
Familienpolitik zu machen31. Der Weltbericht Gewalt und Gesundheit32 skizziert auch
einige wirksame Wege zur Bekämpfung von Kindesmissbrauch und vernachlässi–
gung, und mit an erster Stelle wird empfohlen:
Elternkurse – Aufklärung der Eltern über Kindesentwicklung und Unterricht über eine
stimmige Kindererziehung sowie die Hantierung familiärer Konflikte …33
28
Die Mongolei stellt in dieser Hinsicht keine Ausnahme dar: Nach einer Studie von Unicef erfahren
rd. 60% der Kinder in Gesamteuropa und Zentralasien nach eigenen Angaben gewalttätiges Verhalten
von Eltern und Betreuern, wobei Alkohol und Drogen eine immer wichtigere Rolle spielen. Dabei sind
die Daten für Europa insofern verzerrt, als in Westeuropa die Zahlen wesentlich geringer sind als in
den europäischen GUS-Staaten: www.unicef.org./cee-cis/index/html, 13.5.2005
29
www.unicef.org./cee-cis/index/html, 13.5.2005
30
Vgl. hierzu Welzer, H. (1993): Transitionen. Zur Sozialpsychologie biographischer Wandlungsprozesse. Tübingen: Ed. discord
31
Persönliche Mitteilung von Soyolmaa Enkhbat, 16.04.2008
32
UN, Rights of the child. Report on the independent expert for the Unites Nations study on violence
against children. August 2006
33
www.unicef.org./cee-cis/index/html, 13.5.2005
29
In diesen Kontext ist das hier vorgestellte Projekt einzuordnen, mit dem versucht
werden sollte, zumindest in einem kleinen und überschaubaren Sektor des sozialen
Lebens den Boden für eine nachhaltig wirkende Um- und Neuorientierung
vorzubereiten.
30
31
Teil II
Projektkonzeption und Projektdurchführung
32
33
1 Familien- und Elternbildung in der Mongolei
1.1 Notwendigkeit von Familien- und Elternbildung
In Zeiten des gesellschaftlichen Umbruchs bieten tradierte Leitbilder, Normen und
Werte auch keine Orientierung mehr für die Gestaltung von Familienerziehung − das
Zusammenleben in einer Familie muss individuell gelernt und eigenverantwortlich
gestaltet werden. Um Familien in ihrer Funktion als Erziehungsinstanz zu stärken,
damit sie ihre Erziehungsverantwortung besser wahrnehmen können, ist z.B. bei uns
in der BRD Familienbildung Teil des Leistungskatalogs der Jugendhilfe34.
In der Mongolei gibt es bisher keine vergleichbaren Angebote. Deshalb sollte mit
diesem Projekt ein spezielles präventives Familienbildungsprogramm erprobt werden
− Familie und Nachbarschaft (FuN) − , das vor allem in Nordrhein-Westfalen, aber
auch anderen Bundesländern und Österreich mit nachweislichem Erfolg eingesetzt
wird35.
1.2 FuN, ein präventives Familienbildungsprogramm
1.2.1 Hintergrund und Ziele
FuN ist ein niedrigschwelliges Programm, das sich in erster Linie an bildungsungewohnte und sozial benachteiligte Familien richtet und diese durch seine
Ausrichtung und Gestaltung ansprechen will. Um diese Zielgruppe zu erreichen, führt
der Weg über den direkten Kontakt und das persönliche Gespräch, weniger über die
Vermittlung von Erziehungswissen, gezielten Verhaltensanweisungen oder Selbsterfahrungsübungen, wie das bei anderen Familienbildungsprogrammen häufig der
Fall ist. Inhalt der Gespräche sind auch nicht die besonderen Probleme der Familie
oder der Kinder, sondern es geht um die Chance, im Programm gemeinsam etwas
34
Vgl. KJHG, 1990 /1996 /2005, § 16: Allgemeine Förderung der Erziehung in der Familie
(1) Müttern, Vätern, anderen Erziehungsberechtigten und jungen Menschen sollen Leistungen der
allgemeinen Förderung der Erziehung in der Familie angeboten werden. Sie sollen dazu beitragen,
dass Mütter, Väter und andere Erziehungsberechtigte ihre Erziehungsverantwortung besser
wahrnehmen können. Sie sollen auch Wege aufzeigen, wie Konfliktsituationen in der Familie
gewaltfrei gelöst werden können.
(2) Leistungen zur Förderung der Erziehung in der Familie sind insbesondere
1. Angebote der Familienbildung, die auf Bedürfnisse und Interessen sowie auf Erfahrungen von
Familien in unterschiedlichen Lebenslagen und Erziehungssituationen eingehen, die Familie zur
Mitarbeit in Erziehungseinrichtungen und in Formen der Selbst- und Nachbarschaftshilfe besser
befähigen …
35
Vgl. Brixius, B., Koerner, S. & Piltmann, B.: FuN – der Name ist Programm – Familien lernen mit
Spaß. In: Tschöpe-Scheffler, S. (Hrsg.)(2005): Konzepte der Elternbildung – eine kritische Übersicht.
Leverkusen Opladen: Verlag Barbara Budrich, 137-159
34
zu erleben und zu lernen, das für das Gelingen des Zusammenlebens in der Familie
wichtig und förderlich ist36.
Dabei geht es vorrangig um die Unterstützung der Erziehungsautorität der Eltern,
aber auch um die Vernetzung mit einer Institution bzw. einem Stadtteil. Knapp
zusammengefasst werden folgende Hauptziele angestrebt:
•
Zusammenhalt und Strukturbildung in Familien entwickeln
•
Elternkompetenzen und Elternverantwortung stärken
•
Kommunikation und Konfliktfähigkeit innerhalb der Familie fördern
•
Kontakt, Selbsthilfe und Netzwerke von Familien aufbauen
•
Integration und Mitwirkung von Familien in pädagogischen Einrichtungen
unterstützen.
Diese Hauptziele werden unten ausführlicher dargestellt und begründet (S. 36 ff.).
Es spielt im übrigen bei FuN keine Rolle, ob sich die Familie nach dem klassischen
Zweielternmodell, dem Patchworkmodell, dem Eineltern− oder Stiefelternmodell, dem
Mehrgenerationenmodell o.a. zusammensetzt − alle diese Formen gibt es in der
Mongolei, auch wenn noch immer (wie in vielen Teilen Asiens) die klassische Zweielternfamilie dominiert −
37
, vorrangig ist vielmehr, dass FuN einen gemeinsamen
Erfahrungsraum für die Erziehungspersonen und Kinder bietet (Großeltern, Tanten,
Onkel u.a. eingeschlossen), der bei allen Beteiligten Lern− und Veränderungsprozesse in Gang setzen kann.
1.2.2 Ablauf und Inhalte
FuN läuft in zwei Phasen ab, die erste Intensiv-Phase umfasst acht Sitzungen und
dauert zwei Monate, die anschließende zweite Phase ein halbes Jahr; insgesamt ist
also nach ca. acht Monaten ein Programmdurchlauf beendet, und anschließend
organisieren sich die Familien selbst.
•
36
Phase I besteht aus wöchentlich stattfindenden etwa dreistündigen Sitzungen, in
In der Mongolei gibt es vermehrt nicht-eheliche Lebensgemeinschaften und alleine lebende Frauen
und Mädchen mit und ohne Kinder, auch durch die Arbeitsmigration der Männer bedingt, und es
spricht wenig dafür, dass das klassische Familienmodell mit zunehmender Modernisierung der
Mongolei langfristig dominieren wird (vgl. www.mongolei-online.de, 4.-10.5.2009). Der Versuch,
Eheschließungen z.B. finanziell zu honorieren, wurde inzwischen aus Sparzwängen wieder eingestellt
37
Vgl. Siems, D. (4.4.2010): Beziehungstrends, aol-Nachrichten
35
denen von mehreren Familien, die gemeinsam z.B. in einer Kindertagesstätte oder
Grundschule am Projekt teilnehmen, bestimmte Programmelemente bearbeitet
werden. Das Programm vermittelt den Familien Erziehungs− und Beziehungskompetenzen durch das gemeinsame Erleben von Übungen und Spielen, indem in
einer Einheit immer in der gleichen Reihenfolge und im gleichen Zeitrhythmus
folgende Programmelemente ablaufen:
o Begrüßungsritual
o ein
Kooperationsspiel
für
die
ganze
Familie,
z.B.
Herstellung
eines
Familienwappens (Titelbild)
o ein Kommunikationsspiel, z.B. eine gemeinsame Bildbetrachtung
o gemeinsames Essen (von einer Familie vorbereitet) am „Familientisch“
o das Zweiergespräch (Austausch unter jeweils zwei Elternteilen)
o die
Elternzeit
/parallel
dazu
die
Kinderzeit
(Elterngesprächsrunde,
Kinderspielrunde)
o das Spiel zu Zweit (ein Elternteil spielt mit einem Kind, Spielmaterial besteht aus
„wertlosen“ oder einfachen Materialien wie Papierrollen, Federn, Wäscheklammern, Knöpfen, Schrauben, Wollfäden, Korken …)
o das Überraschungsspiel in der gesamten Gruppe
o das Abschlussritual
•
Phase II besteht aus einer halbjährigen begleiteten Selbstorganisationsphase, in
der die Familien immer mehr Selbstverantwortung für die gemeinsamen Treffen
übernehmen. In größeren Zeitabständen, z. B. alle zwei Wochen oder einmal
monatlich,
treffen
sie
sich
am
bekannten
Treffpunkt.
Ziel
dieser
Selbst-
organisationsphase ist, dass sich im Umfeld der durchführenden Einrichtung und in
enger Kooperation mit ihr ein FuN−Familienkreis bildet. Familien aus späteren FuNKursen können zu diesem Kreis stoßen und gemeinsam die Mitwirkung an den
Erziehungsprozessen ihrer Kinder gestalten. Dieser Selbstorganisationsprozess wird
für den Zeitraum eines halben Jahres von einer FuN−TeamerIn begleitet und
unterstützt.
1.2.3 Exkurs
Theoretische Orientierung der pädagogischen Konzeption und Lernformen
In seiner theoretischen Orientierung beruft sich FuN insbesondere auf die Theorie
und Philosophie der Humanistischen Psychologie und hier vor allem die
36
verschiedenen Richtungen und Schwerpunktsetzungen des Systemischen Ansatzes.
Die wichtigsten Bausteine bzw. Hauptziele sollen im Folgenden näher erläutert und
mit einigen Bildern, die vorwegnehmend bereits aus der Umsetzung des Programms
in Ulaanbaatar stammen, illustriert werden38.
•
Zusammenhalt und Strukturbildung von Familien
Die Inhalte und Übungen zum Kompetenzbereich Zusammenhalt und Strukturbildung
von Familien sind überwiegend aus der systemisch−strukturellen Familientherapie
abgeleitet.
Nach ihrem Begründer Minuchin39 wirkt die Organisation der Familie nach innen und
außen auf die innerpsychischen Prozesse ihrer Mitglieder. Für die gesunde
Entwicklung eines Kindes sind klare und verbindliche Strukturen notwendig, die
Schutz und Orientierung geben, aber nicht einengen. Das Funktionieren der Familie
hängt von dem angemessenen Spannungsfeld von Zugehörigkeit und Trennung ab.
Sowohl verwischte Grenzen innerhalb der Familie als auch starre Grenzen nach
außen beeinträchtigen eine wachstumsorientierte Atmosphäre in der Familie.
Die individuelle Entwicklung einzelner Familienmitglieder kann durch Veränderungen
in der Struktur der Familie positiv gefördert werden. Indikatoren für das Funktionieren
und damit den Grad an Zusammenhalt von Familien sind die Klarheit der Grenzen
und die Klarheit der Rollen in der Familie. Die Klarheit der Grenzen zwischen den
Generationen innerhalb der Familie und nach außen gegenüber anderen Familien,
Gruppen und Personen versetzt die Familie in die Lage, ihrer Funktion gerecht zu
werden, nämlich ihre Mitglieder zu schützen und zu unterstützen. Je klarer die Rollen
in Familien definiert sind, z. B. die Rollen als Eltern und Kinder, als Vater und Mutter,
als Paar, als Geschwister, als Mädchen und Jungen etc., umso deutlicher können
sich alle Familienmitglieder aufeinander beziehen und miteinander umgehen und
umso stärker ist der Familienzusammenhalt.
Im FuN−Ablauf haben daher die „Familientische“ als strukturbildendes Element für
den Familienzusammenhalt und die klare, aber durchlässige Grenzziehung nach
38
Gekürzter Auszug aus Brixius, B., Körner, S. & Piltman, B. (o.J.): FuN – der etwas andere Weg zur
Kooperation mit Eltern in Kindertageseinrichtungen. In: Kita-Handbuch, Endfassung. Olzog: München,
15-21
39
Minuchin, S., Rosman, B. L. & Barker, L. (1989): Psychosomatische Krankheiten in der Familie.
Stuttgart: Klett-Cotta
37
außen eine tragende Bedeutung. Hier hat die Familie für einen Teil des Nachmittags
ihren Platz und organisiert sich unter der Verantwortung der Eltern40.
Durch die gemeinsamen Spiel− und Gesprächssituationen mit anderen Familien
sollen aber auch starre Grenzen um das Familiensystem abgebaut werden. Die
Familien erleben sich auch in der Begegnung mit anderen Familien und können dies
als Bereicherung und Unterstützung für das eigene System erfahren. Die strukturelle
Familientherapie findet bei FuN auch ihren Niederschlag in der sich wiederholenden
Struktur des Programmablaufs und der Zuweisung von Aufgaben und Rollen an die
einzelnen Familienmitglieder.
•
Elternverantwortung und Elternkompetenz
Die Stärkung der Elternverantwortung und Elternkompetenz als dem Dreh− und
Angelpunkt des FuN−Programms bezieht sich neben dem Strukturkonzept von
Minuchin auch auf das von … Omer und … von Schlippe entwickelte Konzept der der
„elterlichen Präsenz“ aus der systemischen Familientherapie41. Der Begriff der
Präsenz geht dabei weit über die körperliche Anwesenheit der Eltern hinaus und
meint die Übernahme der Verantwortung von Eltern für sich und ihre Kinder.
Ausgehend von der therapeutischen Arbeit mit Jugendlichen beinhaltet das Konzept
die Kooperation und Verhandlung zwischen Eltern und Kindern als Partner, ohne die
ungleichen Macht− und Verantwortungsbereiche zu übersehen. Fehlende elterliche
Präsenz erleben Heranwachsende als einen Mangel, der mit schwierigen bis
auffälligen Verhaltensweisen beantwortet wird. Es ist Aufgabe der Eltern, die Balance
zwischen dem Ernstnehmen und Berücksichtigen von Bedürfnissen und dem
grenzenlosen Nachgeben und Erfüllen kindlicher oder jugendlicher Forderungen zu
finden. Elterliche Präsenz beschreibt die Handlungsfähigkeit der Eltern gegenüber
ihren heranwachsenden Kindern, die durch ihre persönlichen Überzeugungen und ihr
Selbstvertrauen geprägt ist. Bei FuN sind die Eltern daher im konkreten
Programmablauf während der Übungen, Spiele und auch beim Essen immer wieder
gefordert. Zu ihrer Rolle und Verantwortung gehört die Aufgabenverteilung und die
40
Jede Familie sitzt zusammen mit allen ihren Mitgliedern an „ihrem“ Tisch (wie gelegentlich in der
BRD auch gibt es in Ulaanbaatar nur Tische und Stühle in „Kindergrößen“)
41
Omer, H. & von Schlippe, A. (2003: Autorität ohne Gewalt. Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht
von Schlippe, A. & Schweitzer, J. (1997): Lehrbuch der systemischen Therapie und Beratung.
Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht
von Schlippe, A. (1984): Familientherapie im Überblick. Paderborn: Jungfermann
38
Regietätigkeit,
aber auch
das
angemessene
Eingehen
auf
die
kindlichen
Bedürfnisse, Fähigkeiten und Wünsche bei der Durchführung der einzelnen
Übungen. Das Aushandeln und Verbinden aller Interessen in der Familie im Sinne
von Kooperation wird angestrebt. Bei diesen nicht leichten Lernprozessen werden
die Eltern durch das Coaching des Teams unterstützt und anerkannt. Die Motivation
der Eltern, neue Handlungen zu erproben und mehr Zutrauen zu ihrer Elternrolle zu
entwickeln, wird durch diese positive Unterstützung gefördert.
•
Beziehungsgestaltung, Kommunikations- und Konfliktfähigkeit
Für den Kompetenzbereich der Beziehungsgestaltung, der Kommunikations- und
Konfliktfähigkeit bilden die Ideen der kommunikationstheoretisch orientierten
Familientherapie von … Satir42 eine wichtige Grundlage. Für sie ist das Konzept des
Selbstwertgefühls zentral, das jeder Mensch braucht, um mit anderen in
entwicklungsfördernde Beziehungen zu treten und den Gegebenheiten seiner
Umwelt positiv und kreativ gegenüber zu treten. Satir geht davon aus, dass die
Fähigkeiten von Menschen, mit anderen wertschätzend und konstruktiv umzugehen,
davon abhängt, wie ihr persönlicher „Selbstwerttopf“ – also ihr Selbstwertgefühl –
gefüllt ist. Je stärker hier Gefühle wie Wertlosigkeit, Schuld und Scham ausgeprägt
sind, umso schwerer fällt es diesen Menschen, andere anzuerkennen und zu achten.
Umgekehrt fällt es Menschen, die ein positives Selbstwertgefühl empfinden und die
um ihre eigenen Stärken wissen, leichter, auch anderen wertschätzend gegenüberzutreten. Die in FuN in diesem Bereich enthaltenen Lernfelder ermöglichen das
„Auffüllen“ des persönlichen Topfes, und diese Erfahrungen wirken sich sowohl auf
die Ausgestaltung der Elternrolle förderlich aus, als auch auf die Verankerung im
Sozialraum. Damit können Eltern gegenüber ihren Kindern wieder Identifikationsfiguren sein und von ihnen geachtet werden. Bei den Übungen und Lernformen zur
Stärkung der Kommunikations− und Konfliktkompetenzen schöpft das FuN-Programm aus dem von Koerner u.a … entwickelten Curriculum „Konstruktive
Konfliktbearbeitung in Familie, Schule und Gemeinwesen“43.
42
Satir, V. (1996): Selbstwert und Kommunikation. München: Pfeiffer
Satir, V. & Baldwin, M. (1988): Familientherapie in Aktion. Paderborn: Jungfermann
43
Koerner, S. in: Landesinstitut für Schule und Weiterbildung (Hrsg.) (1997): Werte, Wandel,
Widersprüche – Mit Familien Gesellschaft bilden. Bönen: Druckverlag Kettler GmbH
Koerner, S. & Wohlfart, U. (Hrsg.)(2000): Beziehungen gestalten: Arbeitshilfen für die Bildungs- und
Beratungspraxis, Neuwied, Kriftel
39
Die aus der Kommunikations− und Konfliktforschung entwickelten „5 Säulen der
Konfliktbearbeitung“ werden in den Übungen und Spielen eingeübt und prägen als
Grundhaltung das gesamte FuN−Programm: Achtung und Bestätigung sich selbst
und anderen gegenüber, differenzierte Selbst− und Fremdwahrnehmung von
Gedanken, Gefühlen und Handlungen, wertschätzende Kommunikation über
Bedürfnisse, Interessen und Standpunkte; wechselseitige Unterstützung und
Kommunikation; kreative Ideenfindung und die Suche nach Lösungen, mit denen alle
Beteiligten zufrieden sind. Wenn bei FuN Eltern und Kinder lernen, miteinander zu
kommunizieren, dann gilt als ein wichtiges Lernziel die Wahrnehmung und die
Anerkennung von Unterschieden. Die eigene Wahrnehmung und Beschreibung einer
Situation oder eines Gefühls entspricht nicht immer dem, was die anderen
Familiemitglieder wahrnehmen. Die eigene Wahrnehmung oder auch die eigenen
Wünsche können benannt werden und neben denen der anderen wertgeschätzt
werden. Dies trägt zu einer Bereicherung des Familienlebens bei, kann Energie
freisetzen, und so können die Potentiale der Familie ausgeschöpft werden.
•
Selbsthilfe und Netzwerke von Familien (Empowerment)
Mit der Unterstützung von Selbsthilfe und Netzwerkbildung von Familien stellt FuN
sich hinter den Empowerment−Impuls der Humanistischen Psychologie ….
Angesichts der wachsenden Komplexität der Lebensverhältnisse, mit denen die
Anforderungen an Familien immer mehr steigen, wird die Bereitschaft und Fähigkeit
zum
selbstgesteuerten
Lernen
und
zur
Mitgestaltung
des
persönlichen
Lebensumfeldes immer notwendiger. Durch die Anwendung und Vermittlung von
Selbstlernprozessen werden die Handlungskompetenzen der Beteiligten gefördert.
Ergebnisse aus der Stressforschung … bestätigen die positive Wirkung der
Einbindung in soziale Netze. Bei FuN üben daher die Eltern in dem Element der
Elterngruppe während jedes Treffens auf der Erwachsenenebene das Aushandeln
von Interessen, Lösungen und gemeinsamen Zielen ein. Das Abstimmen der
Gesprächsthemen und die Auseinandersetzung mit anderen Sichtweisen in einem
geschützten Raum und mit einer entsprechenden Moderation ist als ein Lernfeld zu
Koerner, S. in: Landesinstitut für Schule und Weiterbildung (Hrsg.) (2001): Zivile Konfliktkultur und
Konfliktmanagement. Ein Curriculum für Weiterbildung und Gemeinwesen. Bönen: Druckverlag Kettler
GmbH
40
betrachten, das die auf die achtwöchige FuN-Programmphase44 folgende FuNSelbstorganisationsphase vorbereitet.
Ziel dabei ist, dass die Beziehungen wachsen und sich die Eltern als Nachbarn oder
Bewohner des gleichen Stadtteils gegenseitig und solidarisch unterstützen.
•
Integration und Mitwirkung in pädagogischen Einrichtungen
Dieser Kompetenzbereich steht in engem Zusammen-hang mit den o.g. Kompetenzbereichen. Ausgangspunkt ist die im Zusammen-hang mit der Etablierung von
Mediationsverfahren in den USA seit den sechziger Jahren deutlich erkennbare
„Interdependenz von Bürger-beteiligung, ziviler Streitkultur und wertorientiertem
Handeln im Sinne einer nachhaltigen Gemeinwesenentwicklung“45. Wenn Menschen
miteinander wertschätzend kommunizieren, sich mit allen Sinnen begegnen, ihre
Potentiale in die gemeinsamen Ziele kooperativ einbringen und Verantwortung für die
sozialen
Beziehungen
übernehmen,
steigt
ihr
Selbstvertrauen
und
ihre
Kommunikationskompetenz und sie sind eher zu motiviert, ihre Interessen im
Gemeinwesen, im Kindergarten, in der Schule engagiert zu vertreten. FuN knüpft an
diese Erfahrungen an und bezieht zudem als ein Programmelement die
Zusammenarbeit mit anderen familienorientierten Diensten mit ein. Im Rahmen der
Elterngruppe können Kolleginnen aus der Kinder− und Jugendhilfe eingeladen
werden und über ihre Arbeit informieren. Die gemischten FuN−Teams erleichtern es
den Eltern, auf Profis aus anderen familienorientierten Diensten zuzugehen, und die
Anerkennung und Unterstützung der anderen Eltern ermutigt, eigene Interessen
wahrzunehmen und engagiert zu vertreten.
Lernformen
Das Konzept zur Elternarbeit bei FuN fußt auf einer am Subjekt orientierten,
begleitenden Bildungsarbeit. Die Familien und insbesondere die Eltern werden nicht
in erster Linie als Lernende gesehen, denen das „richtige“ Wissen und die „richtigen“
Fähigkeiten vermittelt werden müssen, sondern als Subjekte ihrer eigenen Lern−
prozesse, die sie durch ihre Bedürfnisse und Erfahrungen selbst steuern.
FuN richtet sich daher an die Eltern und Kinder gleichzeitig …, lässt sich ein auf
Familienrhythmen und -bedürfnisse und dialogische Lernprozesse. Zudem zielt es
44
45
Vgl. S. 35
Koerner in: Jahrbuch des Landesinstituts, 109f.
41
angesichts der Komplexität der Lebensverhältnisse auf die notwendiger werdende
Verknüpfung von Bildung, Beratung und Begleitung.
•
Erfahrungs− und Modellernen
FuN geht davon aus, dass das Leben in familialen Verantwortungsgemeinschaften
nicht mehr als existenziell gekonnt vorausgesetzt werden kann. Das FuN−Programm
setzt daher auf die Lernform des Erfahrungs- und Modellernens.
Eltern erleben im Rahmen des Programms verschiedene Situationen und Strukturen
für einen positiven Umgang mit ihren Kindern. Im „learning by doing“ können die
Auswirkungen der Rituale, Übungen und Spiele unmittelbar erlebt und durch
Wiederholung gefestigt werden. In den Zweiergesprächen und der Elternrunde wird
die eigene Lernerfahrung reflektiert und kann bewusst für die Gestaltung des
Familienlebens genutzt werden. „Seit ich mit meiner Tochter öfter spiele, geht es
auch bei den Schularbeiten leichter“ Die Spiele und Elemente des FuN−Programms
sind Ideen für die Gestaltung der Familienzeit und des Miteinanderumgehens. Sie
liefern damit ein Muster, wie Familienleben gut funktionieren und Spaß machen kann.
•
Lernen durch Coaching
Bei vielen Elementen des FuN−Programms unterstützen die TeamerInnen die Eltern
durch aktives Coaching. Beim Lernen durch Coaching erfahren Eltern positive
Rückmeldungen auf ihr konkretes Verhalten oder kurze Hinweise auf andere Ideen
oder neue Wege. Der Begriff des Coaching ist aus dem Sportbereich entliehen. Ein
guter Coach motiviert seine Spieler, indem er sie für gute Leistungen lobt, sie
anspornt und anfeuert, die Sorgen und Schwierigkeiten versteht, neue Ideen mit
einbringt und indem er an sie „glaubt“. Im FuN-Programm geht es um Ähnliches:
Elterliche Zuwendungen zum Kind – dem Kind etwas erzählen, dem Kind zuhören,
mit dem Kind spielen – werden anerkennend kommentiert. Die Anerkennung und
Wertschätzung richtet sich immer an die Eltern. Trotz des gemeinsamen Lernens von
Eltern und Kindern wendet sich das Coaching ausschließlich an die Eltern. Auf diese
Weise wird ihnen emotional der Rücken gestärkt. Ihre Rolle als Regisseur/ innen
ihrer Familien wird betont. Die entstehende positive Atmosphäre ist der Boden, auf
dem Eltern stark werden und.
in der sie sich auf neue Erfahrungen einlassen können. Gleichzeitig kann diese
Erfahrung auch ein Modell für den Umgang mit den eigenen Kindern darstellen.
42
•
Lernen durch Erprobung und Vergleich
Das Lernen durch Erprobung und Vergleich bildet eine weitere Lernebene für die
teilnehmenden Familien. Obwohl die meisten Spiele und Programmelemente am
Familientisch stattfinden, erleben die Familien – sozusagen aus den Augenwinkeln –
mit, wie die anderen Familien mit der Situation umgehen, welche Ideen hier und dort
entstehen, wie dieser oder jener Streit in anderen Familien gelöst wird usw.
Wenn wir bedenken, wie isoliert viele Familien leben und wie das Innenleben und
auch die Erziehung der Kinder gegen Einblicke von außen abgeschirmt werden,
dann kann die Lernwirkung dieser vorsichtigen Vergleiche nicht hoch genug
eingeschätzt werden. Die Familien stellen fest, dass auch in anderen Familien „nur
mit Wasser gekocht wird“, dass es auch dort Konflikte und Streitigkeiten gibt und
dass andere Mütter und Väter auch nicht perfekt sind. Diese Erfahrung macht sie
offener und empfänglicher für neue Anregungen. Die Hemmschwellen, Neues
einfach mal auszuprobieren, sinken.
Auch hier kann das „Vorher“ – „Nachher“ miteinander verglichen werden. Wie wirken
sich die neuen Erfahrungen auf das eigene Wohlbefinden oder das der Familie aus?
Die Vergleiche schaffen realistischere Einschätzungen, eine Basis für den
Erfahrungsaustausch und fördern den Mut für Probehandeln und Veränderungen.
•
Lernen im Dialog
Das Lernen im Dialog mit anderen Familien stellt die vierte Lernform des FuN – Programms dar. Den stärksten Ausdruck findet sie im „Gespräch zu Zweit“ und der direkt
nachfolgenden „Elternzeit“ (vgl. S. 35).
FuN geht davon aus, dass Eltern in aller Regel über eigene Ressourcen zur
Organisation und Gestaltung des Familienlebens verfügen. Der Erfahrungsaustausch
der Eltern im Rahmen des FuN−Programms erhöht diese Kompetenzen und
erweitert die Denk− und Verhaltensmöglichkeiten der Mütter und Väter. Die Eltern
werden im FuN-Programm als die ExpertInnen für ihr Familienleben angesehen und
angesprochen, die sich mit anderen Eltern-ExpertInnen treffen und austauschen.
Die Gespräche finden „auf gleicher Augenhöhe“ statt, sozusagen von „gleich zu
gleich“. Die FuN−TeamerInnen übernehmen nicht die Rolle der „besser wissenden
Fachleute“, sondern beschränken sich auf die Gesprächsmoderation mit dem Ziel,
die Eltern miteinander in den Kontakt und in den Dialog zu bringen.
43
1.2.4 Qualifizierung der Teams
Das FuN–Programm kann nur von Teamer/innen durchgeführt werden, die
erfolgreich an einer Grund-Qualifizierung teilgenommen und ein entsprechendes
Zertifikat erworben haben. Nach ausreichenden Erfahrungen mit dem Programm
kann dann noch eine Ausbildung zur FuN−Trainer/in erfolgen. FuN−Trainer/innen
können das Programm an andere Multiplikator/innen vor Ort weitervermitteln.
Adressaten/innen sind berufserfahrene hauptamtliche und nebenamtliche Mitarbei−
ter/innen mit pädagogischer Ausbildung aus Familienbildungseinrichtungen und
anderen familienbezogenen Diensten sowie pädagogische Fachkräfte aus den
Kooperationseinrichtungen (Schulen, Kindertagesstätten, Jugendämter, soziale
Dienste).
1.3 Zusammenfassung und Fazit
FuN ist ein präventives Programm, das die Erziehungs- und Mitwirkungskompetenzen von Familien unterstützt und ihre soziale Beziehungen festigt. Es
fördert die Beteiligung sozial benachteiligter Familien in Bildungseinrichtungen und
bietet einen gemeinsamen Erfahrungsraum für Eltern und Kinder. Auf der profes−
sionellen Ebene vernetzt FuN die Arbeit von Sozialisationsinstitutionen wie
Kindergarten oder Schule mit der Arbeit familienorientierter Dienste und stellt mit der
Verknüpfung von Bildung, Beratung und Begleitung einen innovativen methodischen
Ansatz zur Elternarbeit dar.
Das pädagogische Konzept von FuN orientiert sich an bestimmten Richtungen der
systemischen Familientherapie: Es geht vor allem um die Stärkung von
Zusammenhalt und Struktur, um Elternverantwortung und Elternkompetenz,
Beziehungsgestaltung, um Kommunikations− und Konfliktfähigkeit. Des Weiteren
geht es um ein Empowerment von Familien durch Selbsthilfe und Netzwerkbildung
mit dem Ziel, die Beziehungen unter den Teilnehmern zu stärken und sich als
Nachbarn
oder
Stadtteilbewohner
gegenseitig
solidarische
Unterstützung
angedeihen lassen zu können. Ferner werden Eltern ermutigt, ihre Interessen in
Schule oder Kindergarten einzubringen und auch „auf Augenhöhe“ auf Professionelle
aus anderen familienorientierten Diensten zuzugehen.
Die Lernformen, derer sich FuN bedient, beruhen auf der subjektorientierten
begleitenden Bildungsarbeit, indem Eltern als Subjekte ihrer eigenen Lernprozesse
gesehen werden, die sie durch ihre Bedürfnisse und Erfahrungen selbst steuern und
44
in einem dialogischen Prozess, von den FuN−Teamerinnen moderiert, gemeinsam
mit den anderen Familien ihre Denk− und Verhaltensmöglichkeiten erweitern.
45
2 Umsetzung des Projekts
2.1 Zeit- und Arbeitsplan
Das Projekt begann im Mai 2008 mit der einwöchigen Einführung der mongolischen
Kooperationspartnerin in das Programm am Institut für präventive Pädagogik in
Münster. Im Wesentlichen ging es dabei um ihre vorläufige Einschätzung von FuN
im Hinblick auf seine Tauglichkeit für mongolische Familien. Das Urteil der mongo−
lischen Partnerin fiel sehr positiv aus:
Die Ziele, nämlich die Eltern und Kinder zu stärken, die soziale Beziehungen zu
festigen, Erziehungspartnerschaften zu entwickeln und Kooperation zu fördern, sind
auch für unsere Gesellschaft, wo diese Fragen gerade sehr aktuell sind, sehr treffend
und passend. Nach dem Besuch des Qualifizierungskurses kann ich mir sehr gut
vorstellen, dass das Programm auch zu unserem Land sehr gut passen wird und
eine hilfreiche und wertvolle Investition darstellt ...
(E. Soyolmaa, Anhang 1)
Es folgten zwei weitere Treffen der Autorin mit der mongolischen Partnerin in
Deutschland und zwei mit dem Ausbilder, in denen Details zur Zeit−, Personal−, Finanz− und Arbeitsplanung entwickelt wurden (Anhang 2).
Abb. 1: Zeit- und Arbeitsplan (Evaluation: Phase III bis Phase V)
Phase I (Mai bis Dezember 2008)
Phase II (Januar bis Mai 2009)
Vorbereitung
in
Deutschland
einschl.
Fortbildung der Projektpartnerin; Zeit-,
Personal-,
Arbeitsplanung,
Antragserstellungen und Fördermittelerschließung
Vorbereitung in Ulaanbaatar
Vorbereitung in Deutschland
Phase III (Juni 2009)
Qualifizierung
der
FuN-Teams
Ulaanbaatar, Anwerbung der Familien
Phase IV (Juni bis September 2009)
Durchführung
von
Programmphase
I
einschließlich Supervision der Startphase
durch Ausbilder in Ulaanbaatar
Phase V (September 2009 bis Februar 2010)
Durchführung von Programmphase II in
Ulaanbaatar
Phase VI (März bis Mai 2010)
Erstellung der Abschlussberichte
Phase VII (Sommer 2010)
Präsentation der Ergebnisse in Ulaanbaatar
in
So konnte das Projekt schließlich nach weiteren und im Wesentlichen über Email
und Telefonate abgewickelten Vorarbeiten − Mittelerschließung, Übersetzung des
Textbandes, Materialherstellung (z.B. Anpassung von Bildmaterial an die mongolische Kultur) und Materialbeschaffung, Auswahl der Kindertagesstätten, Gewinnung
46
und Vorbereitung der mongolischen Vorgesetzten in der städtischen Verwaltung
(Freistellung der Teilnehmer/innen), Entwicklung der Evaluationsinstrumente u.a.m.
− Mitte des Jahres 2009 in Ulaanbaatar, der mongolischen Hauptstadt, starten.
Die Praxisphase des Projekts wurde im Frühjahr 2010 nach rd. acht Monaten Laufzeit wie vorgesehen beendet.
Es wurde von der Autorin wissenschaftlich begleitet und während und am Ende der
Durchführung evaluiert.
2.2 Die Teams
Insgesamt waren für die Programmdurchführung 27 Mitarbeiterinnen aus neun
Kindertagesstätten, den Jugendamtsabteilungen der jeweiligen Wohnquartiere und
einer Nichtregierungsorganisation (NRO) (die Familien-, Ehe- und Lebensberatungsstelle der Kooperationspartnerin) vorgesehen (tatsächlich nahmen später nur
24 teil), davon im Wesentlichen Sozialarbeiterinnen und Erzieherinnen (vgl. Tab. 1).
Beruf
Erzieherin
8
Sozialarbeiterin
12
Organisation
ehrenamtlich
tätige
Mutter
(WV)
3*
Psychologin, Soziologin
(NRO)
2
keine
Angabe
2
Kita
Stadt
5
Kita
World
Vision
(WV)
4
*) Ursprünglich waren für die Teams keine ehrenamtlichen Kräfte, sondern nur (sozial-)
pädagogische Fachkräfte u.ä. vorgesehen, wir hatten jedoch keinen direkten Einfluss
auf die Zusammensetzung der Teams
Tab. 1: Zusammensetzung der Teams (n=27) und der Kitas (n=9)
Träger war bei fünf Kitas die Stadt Ulaanbaatar, bei vier Kitas das Kinderhilfswerk
World Vision − diese Aufteilung war von uns gewollt, denn World Vision ist in der
Mongolei eine sehr aktive Organisation, die sich vorwiegend um die Belange von
Kindern und Familien kümmert und einen großen Bedarf nach unserer Fortbildung
angemeldet hatte.
Jede FuN−Familiengruppe sollte von einem Team aus drei Mitarbeiterinnen begleitet
werden, dabei sollte jedes Team in der Regel aus zwei Mitgliedern der jeweiligen Kita
und einer Stadtteil-Sozialarbeiterin möglichst des jeweiligen Wohnquartiers bestehen,
dieses dritte Mitglied sollte also, um dem Vernetzungscharakter des Programms
47
Rechnung zu tragen, von „außen“ kommen (in unserem Fall kamen zwei der
externen Teammitglieder auch aus der genannten NRO).
2.3 Durchführung
•
Erste Woche: Grundqualifizierung
In der ersten Woche fand an fünf Tagen die Grundqualifizierung der zukünftigen
Teams durch den Ausbilder Bernd Brixius46 vom Institut für präventive Pädagogik/
Münster statt.
•
Zweite Woche: Anwerbegespräche in den Kitas
In der zweiten Woche begannen die Teams mit der direkten Umsetzung des
Programms und führten − sofern nicht bereits vorher geschehen (knappes Zeit−
fenster!) − die Anwerbegespräche mit den Familien durch.
•
Dritte Woche: Programmstart mit Praxisbegleitung
In der dritten Woche fand die Praxisbegleitung/ Supervision der Startphase statt. So
war es möglich, die Teams während dieses wichtigen Zeitpunkts zu beobachten und
einen Eindruck zu gewinnen, wie sie das Programm umsetzten und wie erfolgreich
die Grundqualifizierung war. Zum anderen entstand dadurch auch ein direkter und
persönlicher Eindruck von den teilnehmenden Familien, der in die Einschätzung des
Projektverlaufs einbezogen werden konnte.
Die restlichen sieben Treffen in Phase I (Familienprogrammphase) und die sechs
weiteren begleiteten Treffen in Phase II des Programms (selbstorganisierte
halbjährige Familientreffphase) wurden dann, soweit möglich, per Emailkontakt
supervidiert.
2.4 Zusammenfassung und Fazit
Das Projekt lief in mehreren Phasen ab, die insgesamt den Zeitraum von zwei Jahren
umfassten. Nach einer Einführung der Projektpartnerin in Deutschland und den
nötigen Vorbereitungsarbeiten einschließlich Beschaffung der Fördermittel begann im
darauf folgenden Jahr die Arbeit in Ulaanbaatar mit der einwöchigen Qualifizierung
der Teams und der Programmstartphase mit den Familien. Durchgeführt wurde FuN
in neun Kindertagesstätten von zwei− bis dreiköpfigen Teams, die im Wesentlichen
aus Erzieherinnen und Sozialarbeiterinnen bestanden und in den Kindertages-
46
Vgl. Brixius, B.: www.praepaed.de
48
stätten bzw. den zuständigen Jugendamtsabteilungen der Quartiere tätig waren
(N=24).
Bei fünf Kindertagestätten
anderen
war der Träger die Stadt Ulaanbaatar, bei den vier
die Kinderhilfsorganisation World
Vision.
Nach der supervidierten
Startphase wurden die FuN−Familiengruppen von den Teams fortgeführt, beraten
über
Email-Kontakte
mit
dem
Ausbilder,
und
dann
in
die
Phase
der
Selbstorganisation übergeleitet; diese wurde schließlich zum vorgesehen Zeitpunkt
beendet.
49
Teil III
Die Evaluation des Projekts
50
51
1 Vorbereitung
1.1 Die zentralen Fragestellungen
Hauptziel des Projekts war es zu klären, ob das Programm FuN trotz der scheinbar
kaum überbrückbaren strukturellen und kulturellen Differenzen, wie sie zwischen
einem hochentwickelten europäischen Land und einem zentralasiatischen Transformations- und Entwicklungsland mit nomadischer Tradition bestehen, dort bei der
Zielgruppe auf die gleiche Akzeptanz stößt und positive Wirkungen zeitigt, wie das
z.B. in Deutschland der Fall ist. Für die Auswahl von FuN waren besonders vier
Qualitätsmerkmale entscheidend:
o FuN fördert Familien in sozialen Randlagen
o FuN unterstützt und stärkt den Familienzusammenhalt
o FuN unterstützt die Mitwirkung dieser Familien bei der Bildung, Betreuung und
Erziehung ihrer Kinder in pädagogischen Einrichtungen
o FuN fördert die Kooperation von pädagogischen und familienbezogenen
Einrichtungen
Bei der Evaluation ging es dabei speziell um folgende Fragen:
•
Die Qualifikation der Teams
Wie wird die einwöchige Qualifizierungsmaßnahme der Teams von den Teilnehmern/
innen unter
o fachlichen
o beruflichen
o persönlichen
Gesichtspunkten beurteilt?
•
Die Familien
o Welche Familien haben teilgenommen?
o Was war die Motivation der Familien, am Programm teilzunehmen?
o Wie wird das Programm von Eltern und Kindern bewertet? Gibt es
Unterschiede? Was hat besonders gefallen? Was wäre zu verbessern?
o Haben sich durch die Teilnahme neue Kontakte für die Familien ergeben?
Werden diese als bedeutsam eingeschätzt und sollen sie ggf. fortgeführt
werden?
o Wird das Programm als hilfreich für das Familienleben bewertet? Bietet es
52
Unterstützung? Vermittelt es neue Informationen? Wie sehen diese ggf. aus?
o Erlebt sich die Familie durch die Teilnahme am Programm als gestärkt?
o Wie wichtig ist den Familien die Teilnahme? War die Teilnahme anstrengend
für sie?
o Setzten die Familien zu Hause Programmteile um?
o Wie soll es weitergehen?
•
Die Teams
o Sind Verhaltensänderungen bei Eltern und Kindern zu beobachten? In
welcher Hinsicht?
o Hat sich die Zusammenarbeit zwischen den Teams und den Eltern verändert?
o Wie war die Zusammenarbeit im Team? Hat die neue Zusammensetzung
Synergien freigesetzt? Gab es Konflikte?
o Wie gelang der Übergang in die 2. Programmphase?
o Wie gestaltete sich die 2. Programmphase?
o Wie kann es weitergehen?
1.2 Methodische Begrenzungen
Eine sozialwissenschaftsgestützte Evaluation beruht auf bestimmten methodischen
Voraussetzungen, insbesondere der Verwendung eines Kontrollgruppendesigns zur
Beseitigung bzw. Kontrolle von Fehler− und Störquellen (z.B. ein Design mit einer
unbehandelten Kontrollgruppe und einem Vor−Nach−Test bei beiden Gruppen);
hinzu kommen die Wahl relevanter Bewertungskriterien und
ihre angemessene
Operationalisierung, geeignete Datenerhebungs− und Auswertungsverfahren u.a.m.
In unserem Fall war es allerdings aufgrund Komplexität des Projekts und der
gegebenen Rahmenbedingungen nur begrenzt oder gar nicht möglich, den genannten Anforderungen in allen Punkten zu genügen (äquivalente Vergleichsgruppen
ohne bzw. mit einem anderen Treatment zu bilden, war z.B. undenkbar), und es gab
zahlreiche materielle, zeitliche, sprachliche und personelle Einschränkungen – es
galt also, Kompromisse zwischen der Machbarkeit und den methodischen
Anforderungen zu bilden und trotz der Begrenztheit der Mittel zu begründeten,
nachvollziehbaren und verwertbaren Aussagen zu kommen47.
47
Direkte Kausalaussagen über positive Veränderungen durch das FuN-Programm sind also nicht
möglich, sie können z.B. auch aufgrund der Tatsche zustande gekommen sein, dass sich überhaupt
jemand bereit erklärt hat, ein Familienbildungsprogramm in ein mongolisches Gerviertel einzuführen –
53
So ist der entscheidende Zweck der Datenerhebung in unserem Fall auch nicht die
vergleichende Bewertung im Sinne eines Testens von Hypothesen (z.B.: Welches
Programm ist besser?), sondern ihr heuristischer Wert: lässt sich ein Programm wie
FuN überhaupt in einem kulturfremden Land implementieren? Lassen sich die
wichtigsten Zielvorgaben erreichen? Wo gibt es Passungsschwächen? Welche
Verbesserungen sind möglich oder nötig? usw. Allerdings gilt, dass sich durch
manche methodischen Zwänge und Schwächen (vgl. 1.2, 1.4) Nachteile ergeben
haben, die eine nachträgliche Kritik an der Aussagekraft der erreichten Ergebnisse
durchaus möglich machen.
1.3 Evaluationsinstrumente
Die vorwiegend quantitativ ausgerichtete und überwiegend summative Evaluation
erfolgte
mittels
mehrerer
Frage−
und
Dokumentationsbögen
sowie
einem
standardisierten Familieninterview48. Hierfür lagen die Fragebögen vor, die in
Deutschland zur internen Evaluation von FuN verwendet werden49; es stellte sich
dann aber vor Ort heraus, dass sie nur teilweise übernommen werden konnten (z.B.
weil sie in der Fragen− und Antwortgestaltung zu lang oder zu differenziert waren,
weil sie inhaltlich nicht passten u.a.). Auch der Leitfaden für die Familieninterviews
musste umgestaltet werden, weil er in Deutschland als Fragebogen eingesetzt wird,
den die Familien selbst ausfüllen – das
gewesen, zumal der
wäre in
der Mongolei nicht möglich
Bogen auch noch sehr kompliziert
gestaltet war und die
Familien überfordert oder beschämt hätte Wir zogen es deshalb vor, die Familien
durch Interviewerinnen befragen zu lassen.
Alle Fragebögen bzw. Leitfäden waren also Eigenkonstruktionen und bezüglich
Auswahl, Formulierung, Anzahl usw. der jeweils zu befragenden Gruppe angepasst.
Des Weiteren wurde in der Mitte der Intensivphase eine schriftliche Zwischenbilanz
gezogen, die mehrere Funktionen hatte: sie war interaktiv angelegt, indem der
Ausbilder die vorliegenden Berichte und Fragen der Teams schriftlich beantwortete
und diese seine Empfehlungen in ihre Praxis umsetzen konnten. Die Zwischenbilanz
und es dürfte wenig Zweifel geben, dass diese Tatsache bei der Bewertung eine Rolle gespielt hat,
denn immer wieder bedankten sich die Familien dafür, dass man sie mit diesem Programm
„beschenkt“ habe. Es spricht aber auch nichts dafür, dass dies der alleinige Grund für die positiven
Ergebnisse gewesen ist, denn dazu sind diese zu prägnant
48
Ursprünglich sollten auch qualitative Daten (z.B. in Form von Interviews und Gruppendiskus−
sionen) erhoben werden; wegen des großen Aufwands vor allem der Übersetzungen und dem Mangel
an qualifizierten Interviewerinnen musste aber darauf verzichtet werden.
49
In Deutschland wird das Programm von den Teams selbst evaluiert
54
diente also der Unterstützung der Teams. Gleichzeitig konnten deren Fragen aber
auch in die Evaluation einbezogen werden, weil sie den Stand und das Verständnis
ihrer Arbeit mit dem Programm widerspiegelten und die Empfehlungen des
Ausbilders dann zur Verbesserung ihres Tuns heranziehen konnten. In diesem Sinne
handelt es sich um eine formative Evaluation50. Diese Strategie sollte aber auch dazu
dienen, den Teams die Gewissheit zu geben, dass sie bei ihrer Arbeit trotz der
großen räumlichen Distanz begleitet würden und sich auf diesem Weg Rat holen
konnten.
Eingesetzt wurden insgesamt sieben Instrumente:
1. Evaluationsbogen für die einwöchige Qualifizierung (Teams) (neu)
2. Fragebogen I zu Beginn der Programmdurchführung (Teams) (novelliert)
3. Fragebogen II nach Ende der Programmphase I (Teams) (novelliert)
4. Fragebogen III nach Ende der Programmphase II (Teams) (Telefoninterview, neu)
5. Fragebogen Sozialstatistik Familien(Teams) (neu)
6. Fragebogen Zwischenbilanz nach 4 Sitzungen der Phase I (Teams) (neu)
7. Interviewleitfaden Familienbefragung (Familien) (novelliert)
Alle Instrumente wurden ins Mongolische übersetzt und dann teilweise für die Auswertung – wegen der offenen Fragen – ins Deutsche rückübersetzt51.
1.4 Anmerkungen zur Datenerhebung
In einem Land wie der Mongolei sind wissenschaftliche Evaluationen noch nicht üblich. Das heißt, dass auch der geforderte penible Umgang mit den Grundregeln
sozialwissenschaftlichen Forschens nicht selbstverständlich ist. Dies gilt z. B. für den
standardisierten Einsatz der Messinstrumente, der Vollständigkeit von Erhebungen,
der Einhaltung des Datenschutzes u.a.m.
So sind auch die in diesem Projekt erhobenen Daten teilweise mit Mängeln behaftet:
Nichtbeachtung der Zeitvorgaben und der Anonymität, missing data, sprachliche
Missverständnisse, teilweise laienhaft geführte Interviews, fehlerhaftes Ausfüllen von
Fragebögen …
Vgl. Wottawa, H. & Thirau, H.: Lehrbuch Evaluation (1998). 2., vollst. überarb. Auflage. Bern:
Huber, 35
Dieses Material wurde nicht detailliert ausgewertet, weil die von einer Studentin getätigte Übersetzung
den Ansprüchen an eine Inhaltsanalyse nicht genügte. Übersetzung der Anfragen und Antwort des
Ausbilders befinden sich im Materialband (Anhang 11a /11b)
51
Evaluationsinstrumente mit Grundauszählungen im Materialband
50
55
Deshalb mussten, da nicht alle Fehlerquellen aufgeklärt oder beseitigt werden
konnten, auch hier Kompromisse geschlossen, manchmal auch auf Informationen
verzichtet werden (z.B. wurde bei der Übersetzung eines Fragebogens eine sehr
wichtige Frage vergessen, ein Fragebogen mit falschen Antwortkategorien versehen
u.a.). Insgesamt lässt so die Qualität der Daten zwar zu wünschen übrig, auf der
anderen Seite sind aber auch sehr umfangreiche Erhebungen durchgeführt worden
(z.B. fünf Befragungen der Teams), sodass das sich ergebende Bild der Realität
doch relativ nahekommen dürfte, zumal der Rücklauf fast immer nahezu 100%
betrug und zwei Zielgruppen befragt werden konnten.
Ein weiteres Problem bestand in der Tatsache, dass zumindest die mongolische
Projektleiterin wegen ihrer direkten Beteiligung am Projekt nicht in die Evaluation
einbezogen werden sollte, was aber aus sachinhärenten Gründen nicht immer
möglich war. Auch hier wurde ein Kompromiss gefunden, der darin bestand, dass sie
die Fragebögen und –leitfäden nur übersetzte, verteilte bzw. einsammeln ließ (außer
im Fall der das Projekt abschließenden Telefoninterviews, die sie persönlich führte,
weil niemand anderes zur Verfügung stand, die aber nach einem standardisierten
Leitfaden erfolgten), dass die Familieninterviews von am Projekt nicht beteiligten
Studierenden u.a. durchgeführt wurden und die Auswertung der Daten in
Deutschland ohne Beteiligung der Projektmitglieder erfolgte. So ist einigermaßen
sicher gestellt, dass die Ergebnisse nicht durch subjektive Fehlerquellen verfälscht
wurden (es sei denn, die nicht auszuschließenden der deutschen Projektleiterin und
Autorin).
1.5 Design
Die schriftlichen Befragungen der Teams und die Familieninterviews erfolgten
möglichst zeitnah zu den im Ablaufplan vorgesehenen Zeitpunkten und wurden von
der mongolischen Projektpartnerin koordiniert (Abb. 2, Erhebungsplan).
Bei den erhobenen Daten handelt es sich in der Regel sowohl um persönliche
Einschätzungen, Urteile und Erfahrungen der Teilnehmer wie um quantitative/
objektivierte Angaben (z.B. Menge /Anzahl /Ereignis); andere Datenquellen (z.B.
Tests,
qualitative
Interviews,
Urteile
von
Außenstehenden)
konnten
nicht
herangezogen werden. Allerdings wurden sowohl die Einschätzungen der Teams wie
die Einschätzungen der Familien erhoben, sodass hier Vergleiche möglich sind. Alles
56
in allem kann diese Studie also nicht mehr als einen bescheidenen Beginn
markieren, dem weitere Untersuchungen folgen sollten.
Die schriftlichen Befragungen der Teams und die Familieninterviews erfolgten
möglichst zeitnah zu den im Ablaufplan vorgesehenen Zeitpunkten und wurden von
der mongolischen Projektpartnerin koordiniert (Abb. 2).
Abb. 2: Erhebungsplan
Phase III (Juni 2009)
Qualifizierung der FuN-Teams:
Fragebogen Evaluation der Fortbildung
Phase IV (Juni bis September 2009)
Durchführung von Programmphase I:
Teamfragebogen I
Fragebogen Zwischenbilanz
Teamfragebogen II
Familieninterviews
Fragebogen Sozialstatistik
Phase V (September 2009 bis Februar
2010)
Durchführung von Programmphase II:
Teamfragebogen III
1.6 Auswertung
Die Daten wurden, soweit möglich, mit dem Programm Graftstat52 bzw. Excel
ausgewertet; Signifikanztests erfolgten mittels SPSS.
Die Verfasserin war bei der Qualifizierung sowie bei allen Supervisionen der
Startphase als weitgehend unbeteiligte Beobachterin anwesend, ihre Beobachtungen
sowie Informationen Dritter, als solche gekennzeichnet, fließen gelegentlich ebenfalls in den Ergebnisbericht ein.
1.7 Zusammenfassung und Fazit
Für die Auswahl von FuN waren vier besondere Qualitätsmerkmale entscheidend:
o FuN fördert Familien in sozialen Randlagen
o FuN unterstützt und stärkt den Familienzusammenhalt
o FuN unterstützt die Mitwirkung dieser Familien bei der Bildung, Betreuung und
Erziehung ihrer Kinder in pädagogischen Einrichtungen
52
Ausgabe 2009/ Version 4.15
57
o FuN fördert die Kooperation von pädagogischen und familienbezogenen
Einrichtungen
Aufgabe der Evaluation sollte es sein zu überprüfen, ob sich diese Annahmen, die in
der BRD gut belegt sind, auch in einem Land mit starken kulturellen und strukturellen Differenzen bestätigen lassen.
Dabei geht es speziell um folgende Fragen:
o Wie wird die Qualifizierungsmaßnahme von den Teams bewertet?
o Wie bewerten die Familien das Programm?
o Wie bewerten die Teams die Programmauswirkungen?
o Wie kann es weitergehen?
Für
die
Befragung der Teams
wurden
fünf
Fragebögen
mit
vorwiegend
geschlossenen Fragen, für die Familieninterviews ein Leitfaden eingesetzt; außerdem wurde eine Zwischenbilanz mit einem offenen Leitfaden durchgeführt sowie
Sozialdaten erhoben. Da es sich um eine Pilotstudie handelte, bei der infolge der
komplexen Bedingungsfaktoren und des materiellen, zeitlichen, sprachlichen und
personellen Rahmens einige Methodenschwächen in Kauf genommen werden
mussten, ist die Aussagekraft der Ergebnisse zwar eingeschränkt, die Mehrfachbefragungen, die sehr guten Rücklaufquoten, die verschiedenen Zielgruppen u.ä.
erlauben aber dennoch relativ gut abgesicherte Rückschlüsse auf die Programmwirkungen.
58
2 Ergebnisse
2.1 Qualifizierung der Teams
An sich ist es für Lehrkräfte aus Kulturen mit geringer Machtdistanz wie der unseren
schwierig, in Kulturen mit hoher Machtdistanz wie z.B. einer asiatischen zu
unterrichten53, wo der Unterrichtsprozess in der Regel lehrerzentriert und
personalisiert ist, Respekt gegenüber Lehrern als Grundtugend gilt, ihnen nicht
öffentlich widersprochen wird und sie nicht kritisiert werden, wo Schüler nur
sprechen, wenn sie aufgefordert werden usw. − es ist davon auszugehen, dass die
Teilnehmerinnen des Grundkurses in ihren Bildungsbiographien als Schülerinnen
und Auszubildende vorwiegend solche Lernerfahrungen gemacht haben54. Die
einwöchige Grundqualifizierung der Teams in Ulaanbaatar erfolgte natürlich nicht
nach der klassischen Lern- und Lehrformen des Frontalunterrichts, sondern − wie in
Deutschland auch − mit den handlungsorientierten Methoden der modernen
Erwachsenenbildung wie Spielen, Entspannungs− oder Aktivierungsübungen,
Kleingruppenarbeit,
Kurzvorträgen,
Gruppendiskussionen
und
insbesondere
angeleiteten und spontanen Rollenspielen – Methoden, die wahrscheinlich für die
meisten Teilnehmer/innen neu waren.
In dieser Hinsicht ist die Evaluation des Grundkurses besonders aufschlussreich:
Konnten sich die Teilnehmerinnen auf diese neuen Lernformen einlassen und
Gewinn aus der Fortbildung ziehen?
2.1.1 Ergebnisse der Abschlussbefragung
Die Qualifizierung wurde mittels eines Fragebogens evaluiert, den alle 24
Teilnehmerinnen ausfüllten, die anschließend das Programm mit den Familien
durchführten.
Der Evaluationsfragebogen enthielt zwölf Items, und bezogen auf den Median ergibt
sich für nahezu alle Items ein Spitzenwert (Median 1 bzw. 4)55: für alle Aussagen
53
Die Kulturdimension Machtdistanz beschreibt das Ausmaß der Distanz der Machtlosen gegenüber
Machtinhabern, in asiatischen Kulturen ist sie im allgemeinen groß; vgl. hierzu www.anglistic.tubs.de/esutVergleiche.pdf: Vergleich verschiedener Kulturen anhand der Kulturdimensionen, ppt,
53
eingesehen am 18.04.2010
54
Vgl. www.emil.ikk.lmu./de/deutsch/arbeitstreffen.htm:Europäisches Modular-Programm für
Interkulturelles Lernen in der Lehreraus- und fortbildung EMIL. Sofia 2006, eingesehen am
05.04.2010
55
Die vierstufige Antwortskala war bei der einen Hälfte der Items aufsteigend (1-4) und bei der
anderen absteigend (4-1) formuliert (vgl. Abb. 1), um Antworttendenzen vorzubeugen, so dass bei der
einen Hälfte der Wert 1 die beste Bewertung darstellt, bei der anderen der Wert 4
59
liegen also die Antworten im Durchschnitt im höchstmöglichen positiven Bereich – mit
einer Ausnahme: die Rahmenbedingungen der Veranstaltung werden etwas
kritischer, aber immer noch positiv eingeschätzt (Median=2) (Einzelheiten vgl.
Anhang 3 /4).
Im Folgenden zur Veranschaulichung eine kurze Beschreibung der nach dem arith−
metischen Mittelwert (AM) erstplatzierten und letztplatzierten Items. An erster Stelle
mit sehr hoher Zustimmung stehen:
•
die offenbar als sehr befriedigend erlebte Möglichkeit zur aktiven Mitwirkung in
der Fortbildung − vielleicht auch deswegen so wichtig, weil es bei manchen Teilnehmern/ innen vorher eine gewisse Besorgnis gab, in einer solchen „internationalen“ Veranstaltung „mithalten“ zu können?
•
der Eindruck einer Stärkung der persönlichen Kompetenz sowie
•
die Bereitschaft, an diesen positiven Erfahrungen auch andere durch Weiter-
empfehlung teilhaben zu lassen
•
Als nahezu ebenso positiv wurde das Arbeitsklima während der Fortbildung
bewertet.
Priorität haben also positive persönliche Erfahrungen mit der Fortbildung in einer als
positiv erlebten Arbeitsatmosphäre, während der Erwerb neuen Fachwissens und
dessen Umsetzung in die Praxis an zweiter Stelle steht.
Unter methodischen Gesichtspunkten wurde die Veranstaltung ebenfalls positiv
beurteilt („abwechslungsreich“), sodass insgesamt die Sorge, dass die geringe
Machtdistanz des „schülerzentrierten Unterrichts“ die Teilnehmerinnen irritieren oder
überfordern würde, nicht bestätigt wurde – eine Beobachtung des Ausbilders war
lediglich, dass weniger Fragen gestellt und weniger Diskussionen geführt wurden als
in Deutschland.
An letzter Stelle in der Rangreihe der Items steht die Frage nach der Steigerung der
persönlichen Motivation. Diese Frage ist selbstkritisch betrachtet wahrscheinlich
doch eine Frage aus Arbeitgebersicht, die zudem für einige Teilnehmer auch deshalb
unpassend war, weil ihre Motivation ohnehin sehr groß war – sich in den
Sommerferien ohne besondere äußere Belohnung außer einem Teilnahmezertifikat
auf eine aufwändige Fortbildung einzulassen, dürfte nicht selbstverständlich sein. So
steht sie zu Recht mit am Schluss der Rangreihe – erstaunlich, dass ihr immerhin
fast 80% der Befragten doch noch zugestimmt haben.
60
Was die eingangs erwähnten „äußeren Rahmenbedingungen“ angeht, die
durchschnittlich nur als „eher gut“ bezeichnet wurden, so sind diese im Fragebogen
nicht spezifiziert; es scheint aber plausibel, dass von den Teilnehmer/innen darunter
in erster Linie der uns (kostenfrei zur Verfügung gestellte) Veranstaltungsraum und
dessen Ausstattung verstanden wurden − dieser hat sich tatsächlich als weniger
günstig erwiesen, denn er war nicht ausreichend schallisoliert, sodass es seitens der
im Gebäude tätigen Mitarbeiter wegen der gelegentlichen Lärmbelästigung (Stühle
rücken, laute Spiele usw.) zu Beschwerden kam. Am letzten Tag musste der
Veranstaltungsort auch gewechselt werden. Eine wesentliche Beeinträchtigung hat
die Veranstaltung dadurch aus unserer Sicht jedoch nicht erfahren, das haben trotz
einiger kritischer Stimmen auch die meisten Teilnehmer/innen so gesehen.
2.1.2 Die „Ambivalenten“
Interessant ist ein Detailbefund, der sich auf eine spezifische Untergruppe von
Teilnehmer/innen bezieht: Einige von ihnen (n=5) haben bei einigen Fragen
konsistent eher kritisch als zustimmend geantwortet, teilweise mit einer Differenz von
bis zu zwei Skalenpunkten zu den anderen Teilnehmer/innen (Tab. 2)56.
Sie fanden die Veranstaltung methodisch weniger abwechslungsreich, kritisierten die
schriftlichen Unterlagen als weniger gut gelungen57, konnten der Veranstaltung we−
der in Bezug auf die Entwicklung neuer beruflicher Perspektiven noch auf die
Herstellung von Kontakten und Netzwerken so viel abgewinnen wie die anderen, und
– konsequent – die Steigerung ihrer beruflichen Motivation war nicht so ausgeprägt
(die Differenzen der Skalenwerte waren sämtlich mit p ” 0.05 signifikant).
In der Veranstaltung haben diese Teilnehmer/innen allerdings ihre möglicherweise
oder wir haben sie übersehen58.
56
Es ist nicht allzu ungewöhnlich, dass einige Teilnehmer/innen mit einer Fortbildung unzufrieden
sind, unabhängig von Inhalt und Gestaltung meldet immer ein kleiner Prozentsatz Kritik an
57
Schwer nachvollziehbar, weil alle Teilnehmer kostenlos einen fast 100 Seiten umfassenden
Materialband erhielten
58
Eine weitere Erklärung bietet wiederum die Kulturgrammatik : Kritik oder Widerspruch klar und
öffentlich zu kommunizieren, gilt in Kulturen mit einem sog. dichten Kontext – zu denen die asiatischen
Kulturen zählen - als unhöflich, dennoch findet Ablehnung statt: Informationen werden durch
Körpersprache, Augenkontakt, Sprechstil, Symbole, sozialen Status oder den Gebrauch einer
bestimmten Sprache übermittelt, durch einen bestimmten Ton, durch ein verhaltenes ‘vielleicht’ oder
‘noch nicht’ oder durch ein Lächeln. Der Gesprächspartner aus einer Kultur mit schwachem Kontext
(wo das direkte Wort zählt) versteht daher auch nicht ‘nein’ - im dichten Kontext ist jedoch eine klare
Ablehnung geäußert worden (vgl. www.emil.ikk.lmu./de/deutsch/arbeitstreffen, a.a.O.)
In unserem Fall kommt hinzu, dass durch die Übersetzung die Kommunikation noch einmal verfremdet
wurde und das Verständnis subtiler Mitteilungen weiter erschwert war. So mag es sein, dass uns z.B.
kritische Kommentare nicht erreicht haben
61
Item
Inhalt
Ambiv.*
Zufr.*
2.
Methodisch war die Fortbildung für mich
abwechslungsreich (1) … eintönig (4)
3,2
1,2**
3.
Die schriftlichen Unterlagen waren enttäuschend (1) … wertvoll (4)
2,6
3,5**
5.
Den Nutzen der Fortbildung in Bezug auf neue berufliche
Perspektiven schätze ich ein als sehr hoch (1) … sehr gering (4)
3,0
1,2**
6.
Den Nutzen der Fortbildung zur Steigerung meiner beruflichen
Motivation für die eigene Arbeit schätze ich ein
als sehr hoch(1) … sehr gering (4)
3,2
1,4**
7.
Den Nutzen der Fortbildung für die Schaffung von Kontakten/
Netzwerken schätze ich ein als sehr gering (1) … sehr hoch (4)
2,4
3,5**
*) AM der Skalenwerte der Gruppe Ambivalente Teilnehmer/innen (n=5) vs. Zufriedene
Teilnehmer/innen (n=19) **) p .05 nach Fisher’s Exact Probability Test für unabhängige Stichproben
Tab. 2: Ambivalente vs. zufriedene Teilnehmer/innen
Doch was auch immer die Mitglieder dieser Gruppe inhaltlich miteinander verbindet
und was hinter ihrer Kritik steht (die Befragung war anonym) – vielleicht waren sie
nicht ganz „freiwillig“ dabei, waren mit anderen Erwartungen gekommen, standen
unter Zeitdruck, mussten wichtige private Vorhaben zurückstellen − , es hinderte sie
aber erstaunlicherweise nicht daran, ihre eigene Mitarbeit in der Veranstaltung zwar
nicht ganz so positiv wie die „Zufriedenen“, aber dennoch als für sie sehr
befriedigend wahrgenommen und ihre eigene Kompetenz als gestärkt erlebt zu
haben, ebenso würden sie die Fortbildung auch anderen weiterempfehlen. Ihr Urteil
war also durchaus ambivalent.
2.1.3 „Störungen“
Während der Qualifizierung gab es auch Ereignisse, die von uns als störend
empfunden wurden. Oft hatten sie mit dem Thema Zeit zu tun. Unsere Daten und
Beobachtungen erlauben zwar keine detaillierte Analyse dieser Vorkommnisse,
„kulturgrammatische“ Erklärungen59 bieten aber auch hier zumindest Anhaltspunkte
für ein besseres Verständnis.
Kulturgrammatik meint das Entziffern fremder Kulturen – das Erkennen und
Verstehen von kulturellen Zeichen, die zunächst als fremdartig erscheinen und zu
Missverständnissen führen können - mithilfe bestimmter Kategorien oder
‘Kulturdimensionen’, die auf dem Grundgedanken der Gemeinsamkeit menschlicher
Probleme und der kulturellen Vielfalt ihrer Lösungen beruhen.
Im Folgenden soll versucht werden, zwei der häufigsten Missverständnisse mit Hilfe
von kulturgrammatikalischen Kategorien in ihrer Bedeutung zu entschlüsseln.
Konkretes Alltagshandeln ist durch bestimmte zeitliche Konventionen bestimmt, z.B.
den Umgang mit Pünktlichkeit. Bei internationalen Kooperationsprojekten sind hier
59
Vgl. Europäisches Modular-Programm für Interkulturelles Lernen in der Lehreraus- und fortbildung
EMIL. Sofia 2006, a.a.O.
62
Konflikte nicht ungewöhnlich, zumal „die Deutschen“ als strenge Verfechter von
punktgenauer Pünktlichkeit gelten, andere Nationen, z.B. viele asiatische, aber sehr
viel großzügiger mit Zeit umgehen. Ab wann findet man, dass man auf jemand
wartet? Wie lange wartet man? Ab wann ist man ärgerlich oder erwartet eine
Entschuldigung? Kulturgrammatisch gesehen, sind diese Differenzen zwischen den
Nationen Ausdruck eines kulturell divergenten Zeitverständnisses: für Menschen mit
einem monochronen Zeitverständnis – wie wir es aus unserer Kultur kennen – ist
eine Wartezeit, die, natürlich in Abhängigkeit von der Situation, über eine bestimmte
Länge(oft nur Minuten) hinausgeht, ein Affront und nicht akzeptabel. Für Menschen
mit einem polychronen Zeitverständnis ist Zeit dagegen fließend und es gibt keine
Minutengenauigkeit, sondern lediglich einen Zeitrahmen zur Orientierung − man
kommt dann, wenn man so weit ist und kann durchaus etwas später erscheinen als
vereinbart, ohne den anderen damit zu verletzen.
Ein anderes Beispiel ist der Gebrauch des Mobiltelefons während der Fortbildung,
den die Teilnehmer/innen trotz mehrfacher Bitten des Ausbilders − die im Grunde
nicht verstanden wurden − gar nicht oder nur widerstrebend einstellten. Die
Kulturgrammatik kann dieses Ärgernis mit dem kulturdivergenten Ausfüllen von Zeit
erklären - hier geht es um den grundlegenden Unterschied zwischen ‘Zeiteinteilen’
und ‘Zeitzerteilen’: Man kann – wie es westliche Professionelle meist in ihrer
Arbeitskultur gewöhnt sind − die Zeit einteilen und jeweils nur eine Tätigkeit zur Zeit
verrichten, alles ‘eins nach dem anderen’, sich dabei nicht ablenken lassen, mehrere
Dinge / Geschehnisse nacheinander − möglichst in der Reihenfolge ihres Eintretens
– behandeln usw., während in anderen (Arbeits)-kulturen Zeit zerteilt wird: die
Menschen tun mehrere Dinge gleichzeitig; mehrere Geschehnisse laufen
nebeneinander her und man arbeitet an allem parallel, man telefoniert und trifft
Verabredungen und hört gleichzeitig zu und …
Auch ein verabredeter Termin muss nicht unbedingt stattfinden, denn man steht
neuen Situationen offen gegenüber, legt sich nicht fest, sondern improvisiert,
telefoniert, und Pläne können immer geändert werden60.
Diese Haltung hat Vor- und Nachteile: der Handygebrauch oder die Unpünktlichkeit
der Teilnehmer/innen ist für einen Veranstaltungsleiter sehr störend, die Tatsache,
dass sich die an die Fortbildung anschließende Supervisionsphase bei acht
Familiengruppen in neun Kindertagesstätten sowie weitere Verabredungen, z.B. mit
der zuständigen Abteilungsleiterin der Stadtverwaltung, in kurzer Zeit organisieren
ließen, war ausgesprochen vorteilhaft und wäre bei uns völlig unmöglich gewesen.
2.1.4 Zusammenfassung und Fazit
Die fünftägige Qualifizierung der Teams kann als sehr erfolgreich bezeichnet werden.
Alle Antworten der Teilnehmerinnen auf die Abschlussfragen lagen im Durchschnitt
im positiven bzw. sehr positiven Antwortbereich. Die Fortbildung war offensichtlich
eine wertvolle Erfahrung für sie, sie konnten aktiv an und in den Sitzungen
mitarbeiten, erlebten sich als gestärkt in ihren persönlichen Kompetenzen und
genossen die angenehme Arbeitsatmosphäre. Ebenso konnten sie ihr Fachwissen
erweitern, neue berufliche Perspektiven entwickeln u.a.m.
60
Es trifft aber auch zu, dass es das alles bei uns in bestimmten Arbeitsmilieus durchaus auch gibt
63
Nur eine kleine Minderheit von fünf Teilnehmer/innen war in ihrem Urteil ambivalent
und konnte z.B. in der Fortbildung keinen Nutzen für ihre berufliche Entwicklung
erkennen; dabei war sie aber durchaus zufrieden mit ihrer eigenen Mitarbeit, erlebte
sich ebenfalls als in ihren persönlichen Kompetenzen gestärkt und würde die
Fortbildung anderen weiterempfehlen. Über die Gründe ihrer Ambivalenz lässt sich
nur spekulieren.
Vor einem möglichen weiteren Qualifizierungsprojekt wäre es auf jeden Fall nützlich,
die
Ergebnisse
dieser
Befragung
zu
zusammensetzung noch genauer zu planen.
berücksichtigen
und
die
Gruppen-
64
2.2 Das Programm im Urteil der Familien
2.2.1 Auswahl der Familien
2.2.1.1 Stadtteile und Wohnquartiere (Khoroos)
Khoroos heißen die Unterbezirke oder Distrikte der insgesamt neun Stadtteile, in die
Ulaanbaatar verwaltungsmäßig aufgeteilt ist61. In jedem Distrikt liegen mehrere Kitas,
insgesamt gibt es gegenwärtig in Ulaanbaatar 155 staatliche und 73 private KitaEinrichtungen62. Allerdings können nur 40% der Vorschulkinder eine Kita besuchen,
zumal die Unterbringung pro Tag 0,50 € Essensbeitrag kostet – für viele Familien
sehr viel Geld, erst recht, wenn sie mehrere Kinder haben.
2.2.1.2 Die Anwerbung der Familien
Die Teams berichten, dass sie die Familien vor allem über Gespräche zu erreichen
versucht haben und dass letztlich fast alle Familien dadurch auch zur Teilnahme
motiviert worden sind. Insgesamt haben 43% der von den Teams angesprochenen
Familien schließlich an FuN teilgenommen, die Rekrutierungsphase war also
durchaus aufwändig, denn es wurden insgesamt rd. 150 Familien angesprochen
(Anhang 8, Teamfragebogen I).
Zu
berücksichtigen
ist
auch,
dass
die
eigentliche
Anwerbezeit
zwischen
Qualifizierung und Programmbeginn nur ein paar Tage betrug und die Teams bereits
vorher nach Familien Ausschau halten mussten (Ferienzeit!), wenn sie dem relativ
engen Zeitkorsett entsprechen wollten. Die Anwerbung ist also wegen des Zeitdrucks
vermutlich nicht so „mustergültig“ verlaufen, wie das unter anderen Umständen
möglich gewesen wäre, und die Vorbereitung der Teams auf diesen Punkt während
der Grundqualifizierung kam für die meisten zu spät.
61
Laut Statistik lebten im November 2009 von den insgesamt 2,7 Millionen Mongolen in der
Hauptstadt Ulaanbaatar 1,5 Millionen, also mehr als die Hälfte. Die Zahl der Familien erreichte 234
900 mit durchschnittlich 6,4 Mitgliedern. Die (nicht das reale Bild wiedergebende) registrierte
Arbeitslosigkeit betrug 6,7 Prozent, die Armutsrate 43,2 Prozent, extrem arm waren 27 % (Einkommen
geringer als 1 US-Dollar/Tag). Die Durchschnittslöhne/-gehälter lagen zwischen 300 000 bis 400 000
Tugrug (150.-€ und 200.- €). In den Gervierteln – informelle Siedlungen in den Vorstädten, die
größtenteils aus traditionellen Zelten und einfachen Häusern bestehen und in denen 70 % der
Einwohner leben - betrug der Verdienst eines Familienmitglieds durchschnittlich 93 400 Tugrug (rd.
47.-€), in den Neubauvierteln 165 000 Tugrug (rd. 83.-€). (Vgl.Deutsche Mongolei Agentur, Aktuelle
Nachrichten aus der Mongolei, www.mongolei-online.de, 14.-20.12.2009; www.Aktiv-gegenKinderarbeit.de; CIA-Factbook 2009)
65
Dies zeigt sich auch an den von den Teams angegebenen Gründen für die
Ansprache der Eltern (Abb. 3).
Das Interesse der Eltern und ihr Wunsch, am Programm teilzunehmen, standen bei
der Anwerbung an erster Stelle (49%), Überforderung/Erziehungsschwierigkeiten der
Eltern sind bei etwa einem Fünftel (21%) der Grund, Vernachlässigungstendenzen
bei 13% und soziale/finanzielle Probleme bei 10%, die übrigen Gründe sind vernachlässigenswert. Gewaltbereite Eltern, nach denen auch gefragt wurde, waren in
den Gruppen überhaupt nicht anwesend. Dies spiegelt wider, dass die Teams unter
dem Zeit− und Erfolgsdruck versuchen mussten, möglichst viele Eltern zu erreichen,
die das Programm auch aktiv und engagiert mitmachen würden. Außerdem werden
sie versucht haben, nicht allzu viele „Problemfamilien“ einzuladen, denn es dürfte für
ein Anfängerteam nicht einfach sein, mit mehreren Problemfamilien zugleich zu
arbeiten, zumal FuN sich grundsätzlich als präventives Programm versteht.
Abb. 3: Anwerbung der Eltern (Startpunkt oben (1%), Legende im Uhrzeigersinn)
Gründe für Ansprache
1%
1
21%
2
1%
49%
13%
%
10%
3
4
5
6
7
8
2%
3%
1 = Auffälligkeiten/Besonderheiten im Verhalten der Kinder
2 = Überforderung / Erziehungsschwierigkeiten der Eltern
3 = Isolierte Familiensituation
4 = Vernachlässigungstendenzen
5 = Besondere familiäre Belastungen, z.B. Trennung /Tod
6 = Soziale / finanzielle Probleme, z.B. Arbeitslosigkeit
7 = Gesundheitliche Auffälligkeiten, z.B. Allergien, Behinderungen
8 = Eigeninteresse / Wunsch der Familie
2.2.1.3 Der sozioökonomische Hintergrund in den Wohnquartieren
Zum sozioökonomischen Hintergrund des Einzugsbereichs der Kitas existiert eine
amtliche Statistik der Khoroos, in denen sie liegen (Tab. 3).
66
FuN wurde in Kitas durchgeführt, die vorab von der Stadtverwaltung bzw. der
Projektpartnerin ausgewählt worden waren; Kriterium für die Teilnahme waren u.a.
die soziale Lage und die sozialen Probleme der Einwohnerschaft, genauere
Informationen über die Auswahl sind uns jedoch nicht bekannt.
Kita-
durchschnittliches
Familieneinkommen
Wohnung
Nr.
EinZahl der
wohner Familien /
Familienmitglieder
Bildungsstand
Erwerbstätigkeit
1
6.704
50.- €
Jurte 30 %
GSA 15%
50 %
Haus 40 %
MSA 60%
1.541/ 4,3
17. Khoroo
Wohnblock30% HSA 25%
2
13.033
2.769 / 4,7
54.- €
3. Khoroo
Jurte 50 %
GSA 30%
Haus 50 %
MSA 30%
50 %
HSA 40%
3
3.855
1.220 / 3,2
50.- € bis 200.- €
?
4. Khooo
4
MSA 30 %
80 %
HSA 70 %
10.000
2.500 / 4
75.- €
16. Khoroo
Jurte 60 %
GSA 20 %
?
MSA 60 %
60 %
HSA 20 %
5
9.766
2.145 / 4,5
75.- € bis 100.- €
18. Khoroo
Jurte 70 %
GSA 15 %
Haus 30 %
MSA ?
40 %
HSA ?
6
11.000
2.500 / 4,4
75.- € bis 100.-€
17. Khoroo
Jurte 60 %
GSA 20 %
Haus 40 %
MSA 50 %
60 %
HSA 30 %
7
9.629
2.160 / 4,4
75.- € bis 100.- €
16. Khoroo
Jurte 60 %
GSA 20 %
Haus 40 %
MSA 40 %
60 %
HSA ?
8
8.200
1.800 / 4,5
80.- € bis 125.- €
15. Khoroo
Jurte 60 %
GSA 5 %
Haus 40 %
MSA 50 %
50 %
HSA 45 %
9
15.Khoroo
5.666
1.449 / 3,9
150.- €
Wohnblock
MSA 20%
80 %
HSA 80%
GSA=Grundschulabschluss (1-4), MSA=Mittelschulabschluss (5-9), HSA=Hochschulabschluss (10-11 Klassen
plus Studium); verpflichtend sind 8 Klassen
Tab 3: Sozialdaten der Einwohnerschaft der Khoroos, in denen FuN stattfand, geordnet nach Höhe
des Familieneinkommens
Die neun Kitas liegen vor allem in Khoroos, in denen überwiegend ökonomisch und
67
sozial benachteiligte Familien leben: in sieben von neun Khoroos dominieren
geringes Familieneinkommen, hohe Arbeitslosigkeit, ungünstige Wohnverhältnisse
und tendenziell ungünstige Bildungsabschlüsse, während nur in zwei Khoroos die
Daten zumindest in Bezug auf Erwerbstätigkeit, Einkommen und Bildungsabschluss
günstiger aussehen.
Im Einzelnen ist festzuhalten: in den ausgewählten Khoroos leben Familien mit meist
vier bis fünf Mitgliedern, und das durchschnittliche Monatseinkommen einer Familie
liegt überwiegend zwischen 50.- € und 125.- €. Nur in zwei Bezirken entspricht das
monatliche Familieneinkommen zumindest eines Teils der Wohnbevölkerung dem
monatlichen Durchschnittseinkommen (150.- € bis 200.- €).
Mit wenigen Ausnahmen leben die Einwohner in Jurten oder selbsterbauten Häusern
aus Holz oder Stein, d.h. meist ohne fließendes Wasser, Strom und Anschluss an die
Kanalisation, und ein Teil von ihnen verfügt nur über einen einfachen bzw.
abgebrochenen Schulabschluss, was natürlich Probleme auf dem Arbeitsmarkt mit
sich bringt: In sieben Khoroos sind zwischen 40% und 60% der Bevölkerung
arbeitslos, die höchste Beschäftigungsquote (80%) gibt es erwartungsgemäss in den
Khoroos, in denen ausschließlich Absolventen von Hochschulen oder solche mit
mittlerem Bildungsabschluss leben.
2.2.1.4
Familienstand und soziale Lage der ausgewählten Familien
Aus 7/9 Kitas (80%63) liegen auch die Sozialdaten von 51 Teilnehmer/innen vor, so
dass sich ein annähernd realistisches Bild der sozialen Lage der Familien, die an
FuN teilgenommen haben, zeichnen lässt.
Anteil %
Bei den Teilnehmern handelt es sich im We−
verheiratet
92,2 %
sentlichen um Zweielternfamilien (92%) und
alleinerziehend,
Mutter
n=51 Familien
7,8 %
einige alleinerziehende Mütter (8%) (Tab. 5),
Familienstand
100 %
Tab. 4: Familienstand der Teilnehmer
wobei die Väter im Durchschnitt 35 Jahre, die
Mütter 34 Jahre alt sind (Tab. 6) − also keine
ganz „jungen“ Eltern mehr und einige noch in
den sechziger Jahren des vergangenen Jahrhunderts in der sozialistischen Volks−
republik geboren.
63
Es fehlen die Angaben von zwei Kitas aus Khoroos, in denen die Lebenslagen der Wohn−
bevölkerung relativ ungünstig sind (Khoroo 16 und Khoroo 18), sodass sich in unserer TeilnehmerStichprobe vermutlich noch mehr Familien mit geringerem Einkommen, ungünstigen Wohn−
verhältnissen und höherer Arbeitslosigkeit befunden haben.
68
Alter
in
Jahren
25-29
Väter
10
16
0-2
10,9
30-34
17
7
3-4
14,3
35-39
8
16
40-44
8
7
45 u.m.
8
5
Gesamt
51
51
AM
s
Mütter
35,11 Jahre
7,23 Jahre
Alter in Jahren
Kinder (%)
5-7
8-10
über 11
N =119
33,92 Jahre
6,37 Jahre
34,5
13,4
26,9
100,0
Tab. 6: Alter der Kinder
Tab. 5: Alter der Eltern
Zahl der
Kinder
Anteil %
1-2
67,7
3-4
23,6
5-6
5,9
o.A.
3,9
n=51
Familien
Die meisten Familien haben zwischen 1 und 4
Kinder (92%), rd. 60% davon sind im Kleinkindund Vorschulalter (Tab. 7, Tab. 8).
Alle
Eltern
mindestens
haben
die
(soweit
mittlere
feststellbar)
(1-9
Schulreife
Klassen), fast ein Viertel hat auch eine Hoch-
100,0
schulbildung genossen (1-11 Klassen plus
Studium: 23%, vgl. Anhang 6).
Tab. 7: Zahl der Kinder
Die ausgeübten Berufe (soweit angegeben) spiegeln die Bandbreite und Vielfalt des
Erwerbs des Familieneinkommens in einer Stadt wie Ulaanbaatar wider (Kasten 1):
akademische Berufe und leitende Angestellte/Unternehmer neben handwerklichen
und un- und angelernten Arbeitskräften, vorwiegend im Dienstleistungssektor, Arbeiter, Sicherheits- und Fahrdienstpersonal, PKW-Service, unterschiedliche pädagogische Berufe, ein Mönch …
Kasten 1: Berufe der Eltern (n=51)
(Auto-)mechaniker
Bauarbeiter
Bedienung
Buchhalterin
Busfahrer
Elektriker
Erzieherin
Fabrikarbeiter
Fahrer
Feuerwehrmann
2
2
1
2
1
1
3
1
6
1
Firmendirektor/in
Geschäftsführer
Handwerker
Hausfrau
Hochschuldozentin
Journalistin
Juristin
Köchin
Konditorin
Krankenschwester
2
1
1
7
1
1
2
2
1
1
Lehrer/ in
Mönch
Monteur
Ökonom/in
Operateurin
Polizist
Privat (-unternehmer)
Saisonarbeiter
Securitiydienst
Wachmann
4
1
1
2
1
2
6
3
1
1
69
Die Arbeitslosigkeit insgesamt beträgt 36%, besonders bei den Müttern ist sie mit
arbeitslos
Anteil %
81% sehr hoch, da sich nur wenige von ihnen als
ja, Mutter
80,7
Hausfrau definieren, sondern als Arbeitssuchende
ja, Vater
6,5
ja, beide
12,9
sich in einem Land wie der Mongolei in der Regel
n=31
100,0
für viele Familien auch nur dann wirklich einiger−
(Tab 8). Das tägliche Überleben einer Familie lässt
maßen sicherstellen, wenn alle arbeitsfähigen
Tab. 8: Arbeitslosigkeit der Eltern
gen Mitglieder erwerbstätig sind. Hinter der häufiger
angeführten Bezeichnung „Privatunternehmer“ (Kasten 1) mögen sich weitere
Familien verbergen, die in der Realität ohne jedes geregelte Einkommen sind.
Abb. 4: Durchschnittseinkommen in Tugrik (100€ = 200.000Tg.)
(Legende: Startpunkt oben rechts 22%, gegen Uhrzeigersinn, n=51)
Das Durchschnittsverdienst über alle Familien (Abb. 4 ) beträgt rd. 140.- € (mit der
recht großen Standardabweichung von s = 75.- €) und bleibt damit unter der Grenze
des individuellen(!) Durchschnittseinkommens (150.- € bis 200.- €). Die Spannbreite
insgesamt reicht von ca. 45.- € bis ca. 400.- €, 80% der teilnehmenden Familien
haben ein Einkommen, das zwischen 45.- € und 200.- € liegt. Wenn man bedenkt,
dass als Existenzminimum für eine Person/Monat in Ulaanbaatar im Jahr
2009101.100 Tugrik (rd. 50.- €: Nationales Amt für Statistik) veranschlagt werden,
70
kann man sich vorstellen, wie viel Kraft viele Familien zum täglichen Überleben
aufbringen müssen.
Fast 80% der Familien leben in Jurten oder einfachen Häusern in den sog. GerVierteln der Vorstädte, einige wenige bei ihrer Herkunftsfamilie, besonders die
alleinerziehenden Mütter; etwa 12% verfügen über eine besser ausgestattete Eigentumswohnung in einem Neubauviertel (Abb. 5).
Abb. 5: Wohnsituation der Familien (Startpunkt Jurte 54,9%, Legende gegen Uhrzeigersinn, n=51)
2.2.1.5 Zusammenfassung und Fazit
Alles in allem wurde mit dieser Auswahl unserer Vorgabe, solche Familien zu FuN
einzuladen, deren Lebenslage weniger günstig ist, mehr oder weniger entsprochen.
Es wäre aber sicher nützlich, die Zusammenstellung der Gruppen noch mutiger zu
planen und die Chancen, die FuN bietet, besser zu nutzen. So haben z.B. alle
ausgewählten Familien Mitglieder mit einer mittleren oder höheren Schulbildung, und
das Spektrum der von den Eltern ausgeübten Berufe umfasst auch sehr
anspruchsvolle Leitungstätigkeiten. Es wäre durchaus möglich, auch Familien mit
schwächeren Schulabschlüssen einzubeziehen, auch alleinerziehende Elternteile
(Mütter) könnten vermehrt angesprochen werden (sofern sie sich für ihre Kinder den
71
Kitabesuch überhaupt leisten können!) oder Familien, die ein Kind mit Behinderung
zu versorgen haben, besonderen familiären Belastungen oder sozialen Problemen
ausgesetzt sind usw. In einer FuN−Gruppe hat z.B. eine Familie mit einem Kind mit
der Diagnose Autismus teilgenommen – der anfangs schwer lenkbare, ängstliche
Junge wurde zusehends ruhiger und baute eine Beziehung zu einem anderen Kind
auf; eine „taubstumme“ Familie mit zwei hörenden und sprechenden Kindern, die als
Sprachmittlerin die Großmutter mitgebracht hatten, machte, wie die mongolische
Projektkoordinatorin berichtet, ähnliche positive Erfahrungen.
Mit größerer Routine in der Durchführung des Programms dürfte es den Teams
sicher leichter fallen, die Familiengruppen so zusammenzustellen, dass sie sich noch
besser ergänzen und voneinander noch mehr profitieren können.
72
2.2.2 Die Familienbefragungen
Am Ende der Programmphase wurden in allen neun Familiengruppen leitfadengestützte Kurzinterviews mit allen anwesenden Familienmitgliedern durchgeführt –
der methodisch bessere Weg, nur einen „Familiensprecher“, z.B. die Mutter, zu
befragen, war unter den gegebenen Umständen nicht möglich, auch wegen der
anwesenden Kinder.
Die Interviewerinnen waren vier Studierende der Psychologie bzw. eine Familiensoziologin, die Interviews fanden in der Regel vor der letzten oder im Anschluss an
die letzte FuN−Sitzung in den jeweiligen Räumen der Kindertagesstätten statt und
dauerten 15−20 Minuten. Die Ergebnisse wurden von den Interviewerinnen in einem
Vordruck festgehalten.
Insgesamt konnten auf diese Weise 62 Familien befragt werden, zwei Familien
waren wegen einer Reise (Ferienzeit) abwesend. Bei einer Gesamtteilnehmerzahl
von 64 Familien entspricht das einer Beteiligung von 97%. Man kann somit davon
ausgehen, dass mit dieser Befragung die Gesamtgruppe der Familien erfasst werden
konnte und die Ergebnisse die Ansichten praktisch aller Teilnehmer wiedergeben.
2.2.2.1 Die regelmäßigen Teilnehmer/innen
Zu den acht FuN−Treffen in den neun Kindertagestätten kamen im Durchschnitt
jeweils sieben bis acht Familien, also zwischen 63 und 72 Familien.
An mindestens sechs von acht Terminen haben 64 Familien mit insgesamt 106
Erwachsenen und 125 Kindern teilgenommen (vgl. Anhang 9, Team II). Regelmäßig
an den Sitzungen teilgenommen haben (Abb.6) überwiegend beide Elternteile (55%)
sowie Mütter, letztere entweder als „Vertreterin“ des Elternpaares (22%) oder als
Alleinerziehende (16%), auch einige Väter waren alleine dabei, wenn ihre Ehefrauen
verhindert waren; bei drei Familien waren auch die Großmütter anwesend und
manchmal kam eine Cousine oder Schwester dazu.
Insgesamt fällt die hohe Beteiligung der Väter auf, die weit über dem liegt, was z.B.
in Deutschland üblich ist – 70% in Ulaanbaatar gegenüber 7% in Deutschland64.
Die insgesamt 125 Kinder, die am Programm teilgenommen haben, etwa zur Hälfte
Jungen und zur Hälfte Mädchen, waren wiederum zu 40% zwischen 5 und 7 Jahre
64
Vgl. Boeser, Ch. (2004): Familienbildung – eine Chance für Männer. In: Das Online-Familienhand−
buch. www.familienhandbuch.de, 2004. Die Väter sind sicher auch von dem Wunsch, ihre Rolle in der
Familie zu reflektieren und neu zu gestalten, zur Teilnahme bewegt worden, aber auch andere
Beweggründe, z.B. das besondere mediale Interesse an der Veranstaltung, mögen eine Rolle gespielt
haben
73
alt (eigentliche Zielgruppe), zwischen 0 und 4 Jahren waren rd. 30% und zwischen 8
und10 Jahren rd. 20%, die übrigen waren älter (Abb. 7).
Abb. 6: Teilnehmer/innen (n=51)
Abb. 7: Alter der teilnehmenden Kinder (n=62 Familien)
Kinder im eigentlichen Vorschulalter zwischen 5 bis 7 Jahren waren also zwar in der
Mehrzahl, jeweils ein Drittel der teilnehmenden Kinder war jedoch teilweise erheblich
74
älter bzw. jünger – nicht zuletzt der mongolischen Ferienzeit geschuldet, die so auch
den Schulkindern in den Familien eine Abwechslung bot. Wenn also alle Familien mit
je zwei Kindern da waren, waren während einer FuN-Sitzung bei sieben bis acht
Familien zwischen 28 bis 32 Personen anwesend und das Alter der Kinder konnte
zwischen 0 und 20 variieren.
2.2.2.2
•
Einzelbefunde
Motivation zur Teilnahme
Motivation
Anteil %
Zwei Drittel der Eltern waren von Anfang
sofort an der Teilnahme
interessiert
unsicher, ob das etwas ist
66,1
an davon überzeugt, dass FuN ein
9,7
interessantes Angebot für ihre Familie
erst durch Gespräch Lust
bekommen
n=62
24,2
sein könnte (Tab. 10), ein Viertel wurde
100,0
erst
durch
ein
Gespräch
(mit
den
Mitarbeiterinnen) davon überzeugt.
Tab. 9: Als Sie von FuN erfahren haben, waren
Sie / haben Sie …
•
Gefallen
Kinder
Gefallen
Eltern
Anteil %
Gefallen
Anteil %
ja, sehr gut
88,7
ja, sehr gut
69,3
ja
11,3
ja
30,6
nein
n=62
nein
0,0
n=62
100,0
Tab. 10: Hat das Programm Ihren
Kindern gefallen? (n=62 Familien)
0,0
100,0
Tab. 11: Hat das Programm Ihnen
gefallen? (n=62 Familien)
Doch ganz unabhängig davon, was die Familien letztlich zur Teilnahme bewogen
hat, FuN hat ausnahmslos allen Familien gefallen, den Kindern sogar noch deutlicher
(Tab. 11, Tab. 12). Keinem Teilnehmer hat FuN nicht gefallen.
Welche Programmteile bei Eltern und Kindern am besten angekommen sind, ist Abb.
8/9 zu entnehmen:
Die verschiedenen Spieleinheiten und die Elterngesprächsrunde fanden bei den
Eltern den größten Anklang (Abb. 9: 55%), es folgt die Einheit „Spiel zu Zweit“, und
am Ende steht mit 5% das gemeinsame Essen.
75
Abb. 8/ Abb. 9: Einschätzung der Programmpunkte durch Eltern und Kinder
(Startpunkt rechts 14,7% bzw. 5,1%, Legende gegen Uhrzeigersinn, n=62)
Die Kinder geben eine etwas andere Einschätzung (Abb. 8): sie bewerten besonders
alle Spielangebote (70%) und dann auch mit größerem Abstand das gemeinsame
Essen positiv (15%), das bei den Eltern an letzter Stelle steht, am Schluss der
76
Wahlen steht bei ihnen mit 1% die „Kinderzeit“, der sie offensichtlich nicht viel
abgewinnen konnten. Eine Minderheitenposition: ein kleines Mädchen hat besonders
gerne gesungen.
•
Neue Kontakte
Bei allen Familien hat FuN dazu geführt, dass sich neue Bekanntschaften
entwickelt haben, in dem einen oder anderen Fall wären sogar noch mehr erwünscht
gewesen (Tab. 12); ob sich diese Bekanntschaften auch in Zukunft als stabil
erweisen werden, ist bei 57 % schon sicher, während die anderen zumindest hoffen,
dass sich eine dauerhafte Beziehung entwickelt (Tab. 13).
Neue Familien
Anteil %
Zukünftiger Kontakt
Anteil %
ja, viele
85,7
ja, mit Sicherheit
57,1
ja, einige
6,3
wir hoffen, dass es
klappt
daran haben wir kein
Interesse
ohne Antwort
41,3
hätten gerne
kennen gelernt
ohne .Antwort
n=62
mehr
6,3
1,6
100,0
Tab. 12: Haben Sie neue Familien
kennengelernt?
n=62
0,0
1,6
100,0
Tab. 13: Werden Sie mit den anderen
Familien in Kontakt bleiben?
In jedem Fall sind bei allen über die Programmzeit hinausgehende Kontakte zu den
anderen Familien erwünscht.
•
Informationen und Unterstützung
Die Frage, ob sie durch die Teilnahme an FuN neue Informationen und Unterstützung bekommen hätten, wird von allen Familien bejaht (Kasten 2).
Wichtig für die Eltern war insbesondere der Austausch und die Vernetzung mit
anderen Eltern, der Erwerb relevanten Wissens über Familie und Erziehung,
nützliche Vorschläge für den Erziehungsalltag, vor allem im Hinblick auf eine stärkere
kindzentrierte Orientierung, sowie die intensive Erfahrung einer engen familiären
Verbundenheit.
77
Kasten 2: Informationen und Unterstützung für das Familienleben durch FuN (n=62)
Vernetzung: Wir haben viele andere Familien kennengelernt und auch gelernt, wie wir als Eltern
miteinander umgehen können, haben durch den Erfahrungs-, Informations- und Meinungsaustausch
mit anderen Familien neue wichtige Impulse erhalten und Erkenntnisse gewonnen
Wissensaneignung: Wir haben etwas über Familien- und Kindererziehung gelernt; wir haben
Informationen über Gewalt in Familie und Erziehung erhalten; wir haben Informationen über die
Bedeutung von Kommunikation und Kooperation bekommen
Erziehungspraxis: Wir haben gelernt, wie wir besser mit unseren Kindern umgehen können, wir
haben viele neue Ideen bekommen, z.B. dass wir auf die Bedürfnisse unserer Kinder achten sollten,
dass wir mehr mit ihnen sprechen, uns mehr Zeit für sie nehmen, uns mehr um sie kümmern, mehr mit
ihnen spielen, uns mehr mit ihnen beschäftigen sollen, und wir haben gelernt, besser und offener
miteinander zu kommunizieren
Innerfamiliäre Beziehungen: Unsere Beziehung zueinander ist enger geworden, die
Eltern-Kind-Beziehung wurde dichter, wie waren nahe beieinander und fühlten uns miteinander
verbunden, die Familienatmosphäre hat sich verbessert, wir wurden als Familie stärker
•
Anstrengung und Umsetzung
Zwar wurde FuN von allen Familien positiv bewertet, aber nicht alle waren der Mei−
nung, dass es sie keinerlei Anstrengung gekostet hätte, am Programm teilzunehmen:
Anstrengung
Anteil
ja
11,7
es ging
58,3
gar nicht
30,0
n=62
100,0
Tab. 14: War FuN anstrengend?
für 12% war die Teilnahme anstrengend, 58%
meinten, dass „es ging“, 30% empfanden die
Teilnahme nicht als anstrengend (Tab 15). Vor
allem die berufstätigen Mütter hatten, wie sie
berichten, Mühe in ihrem Zeitmanagement oder
schafften es nicht zu allen Sitzungen, insbesondere, wenn auch noch ein Kind oder ein ande-
res Familienmitglied krank waren; auch die Anmerkung einer Mutter, es sei für sie
nicht so einfach gewesen, sich auf Neues einzulassen, weist darauf hin, dass das
Angebot sehr ernst genommen wurde.
Aussagen wie Es war anstrengend, weil ich manchmal zur Arbeit gehen musste
(Fam. 45), … es gab einige Dinge, die ich nicht mitmachen konnte, deshalb war es
anstrengend für mich (Fam. 50) oder Es war nicht leicht, meine Lebensroutine zu
ändern … (Fam. 52) verdeutlichen, dass die Familien (vor allem Mütter) in ihre
Teilnahme einiges an Kraft „investiert“ und sich nicht nur „ein paar schöne Stunden“
gemacht haben.
Dafür spricht auch, dass die meisten Familien (84%) einzelne Programmelemente
78
auch zu Hause umgesetzt haben (Abb. 10), entweder regelmäßig oder wenn sich
die Möglichkeit dazu bot: Die Spiele spielen wir auch oft zu Hause, und das Essen,
das wir im Programm gemacht haben, kochen wir auch sehr gern zu Hause (Fam. 2).
Abb. 10: Haben Sie FuN oder Teile davon zu Hause ausprobiert? (n=62)
•
Schöne Zeit
So überrascht es auch nicht, dass tatsächlich alle befragten Familien ihre Teilnahme
als eine sehr schöne oder schöne Zeit in Erinnerung haben (Tab. 15) und 87% der
Überzeugung sind, dass FuN ein Programm ist, das hilfreich und nützlich für das
Familienleben ist (Tab. 16) und man es weiterempfehlen kann (Tab.17).
schöne Zeit
Anteil in %
ja, sehr
41,3
ja
57,1
ging so / nicht
0,0
o.A.
1,6
n=62
100,0
Tab. 15: Würden Sie sagen, dass FuN
eine schöne Zeit für Sie war?
hilfreich
ja, davon bin ich überzeugt
teils, teils
halte das für
unwahrscheinlich
n=62
Anteil %
86,9
13,1
0,0
100,0
Tab. 16: Ist FuN für Ihre Familie/für andere
Familien hilfreich/unterstützt das Zusammen−
leben?
79
Anteil %
In einem die Elternbefragung abschließenden
auf jeden Fall
48,4
freien Statement äußert dann auch über die Hälfte
ich glaube schon
48,4
der Familien (55%) mit großem Nachdruck und
nein
0,0
ungefragt den Wunsch nach einer Fortsetzung
keine Angabe
3,2
und Verbreitung des Programms (vgl. Kasten 3,
empfehlen
n=62
100,0
S. 85).
Tab. 17: Würden Sie FuN weiterempfehlen?
2.2.2.3
Zusammenfassung und Fazit
An der Programmdurchführung in Ulaanbaatar haben insgesamt 64 Familien mit 106
Erwachsenen und 125 Kindern regelmäßig teilgenommen. Überwiegend waren beide
Elternteile, seltener nur Mütter und noch seltener nur Väter dabei, bei einigen
Familien waren auch die Großmütter regelmäßig anwesend. Insgesamt fällt die hohe
Beteiligung der Väter auf, die mit ihren Ehefrauen zusammen oder auch alleine
gekommen sind, durchschnittlich rd. 70% und damit weit mehr als das, was z.B. in
Deutschland üblich ist. Hier deutet sich eine große Chance für neue Erfahrungen an:
wie in den meisten Kulturen sind der Mongolei Väter auf die Ernährerrolle festgelegt,
d.h. sie fühlen sich für die finanzielle Absicherung der Familie zuständig und spielen
in der Kindererziehung keine große Rolle. Väter ohne klare Erzieherrolle und ohne
Arbeit oder mit einer Arbeit, die das Familieneinkommen nicht sichert, sind so in
doppelter Weise rollenverunsichert. Es liegt nahe anzunehmen, dass hier zumindest
bei einem Teil der Männer auch ein Zusammenhang zu dem sehr stark
ausgeprägten Alkoholismus, der hohen Gewaltbereitschaft und der damit verbundenen gestiegenen Scheidungsrate von Paaren besteht. Durch FuN können Väter
vielfältige Anregungen für die Neugestaltung ihrer Rolle in der Familie erhalten.
Die Kindergruppe, zu gleicher Zahl Jungen und Mädchen, die eigentlich überwiegend
aus Vorschulkindern bestehen sollte, war relativ heterogen zusammengesetzt (vom
Baby bis hin zum/zur Jugendlichen), was die Auswahl des geeigneten Spielmaterials
für die Teams manchmal schwierig machte. Es überwogen aber die Fünf- bis
Siebenjährigen. Hier muss vielleicht noch einmal genauer nachgedacht werden, wie
das Problem behoben werden kann – ggf. mit einem besonderen Angebot zumindest
für die älteren Geschwister.
Zur Teilnahme motiviert hat die Familien die Vorstellung, dass das „etwas für sie sein
könnte“, nur ein kleinerer Teil musste erst überzeugt werden – hier könnten die
Teams in Zukunft noch mehr die Chance nutzen, frühzeitig mit den Familien ins
80
Gespräch zu kommen und noch mehr solche auszuwählen, die zu Beginn aus
unterschiedlichen Gründen mit ihrer Teilnahme zögern, aber aus Sicht der Teams
geeignet erscheinen.
Ausnahmslos allen Teilnehmern – Eltern und Kindern − hat das Programm gefallen,
alle haben ihre Teilnahme als eine schöne Zeit in Erinnerung. Besonders gefallen
haben den Eltern die verschiedenen Spiele und die Elterngesprächsrunde und den
Kindern die Spiele; das gemeinsame Essen kam bei den Kindern besser an als bei
den Eltern, das „Spiel zu zweit“ war generell weniger beliebt als die anderen Spiele,
und die Kinder könnten in der „Kinderzeitphase“ offenbar noch besser beschäftigt
werden – wobei ein Hauptgrund für die etwas gedämpfte Reaktion der Kinder auf
diesen Programmpunkt auch die Tatsache war, dass ihnen in den meisten Kitas kein
eigener Raum zur Verfügung gestellt werden konnte – eigentlich ein Muss (vgl.
Anhang 11a, Zwischenbilanz).
Dass die Gruppen mit dem Programmpunkt „Essen“ gelegentlich Probleme hatten,
vermitteln auch Zwischenbilanz und eigene Beobachtungen: manche Familien
(meistens waren die Mütter gefragt) konnten nicht so gut kochen, insbesondere nicht
für eine Großgruppe (und eine für diesen Zweck akzeptable Küche stand in der Kita
nicht immer zur Verfügung), manche schafften es nicht rechtzeitig (vor allem, wenn
der Programmtermin schon am Vormittag lag), sodass die ganze Gruppe auf das
Essen warten musste und Programmpunkte verlängern musste, manche kamen mit
dem Essensgeld nicht aus, kauften viele Süßigkeiten oder ließen das Essen von
einer Firma anliefern; auch das Essen am Familientisch war ungewohnt, zumal (ein
generelles Problem) nur Tische für Kinder zur Verfügung standen, gelegentlich
zogen Gruppen das gemeinsame Essen aller Familien an zusammengestellten
Tischen vor, was jedoch der Projektidee widerspricht u.a.m. Selbst manche Teams
konnten sich nur langsam mit diesem Programmpunkt anfreunden. Vielleicht spielt
bei der für uns erwartungswidrig ungünstigen Bewertung des Essens, das einen
erheblichen Anteil des Projektetats „verschlang“, noch ein anderes Motiv eine Rolle:
es mag manchen Familien im Sinne eines social desirabililty effects peinlich
gewesen sein, diese Mahlzeiten als etwas zu bezeichnen, das ihnen besonders gut
gefallen hatte, wo es den Organisatoren vielleicht um anspruchsvollere oder
höherwertige Tätigkeiten ging – und die Kinder konnten sich unbefangener als ihre
Eltern dazu äußern und das gemeinsame Essen in der Familie genießen … Auch die
Tatsache, dass in der Selbstorganisationsphase in den Gruppen für jedes Treffen ein
Essen zubereitet wurde, spricht dafür, dass das Essen ein wichtiger Programmpunkt
81
war (vgl. 2.3.2, Abb.11).
Der Ausbilder ging in seiner Zwischenbilanz ausführlich auf das Thema Essen ein
(vgl. Anhang 11b).
Auch an die zugrundeliegende Logik des „Spiels zu Zweit“ mussten sich viele
Teilnehmer einschließlich der Teams erst gewöhnen – während vor allem einige
Kinder mit dem Wertlosmaterial wie Wäscheklammern, Papierrollen, Bändern u.a.
durchaus kreativ umgehen konnten, taten sich viele Erwachsene einschließlich der
Teams oft schwerer, fanden das Spiel langweilig oder wünschten sich „besseres
Spielzeug“ (Anhang 5, Familieninterviews und Anhang 11a Zwischenbilanz).
Vielleicht muss man auch in einem Land wie der Mongolei, in dem für viele der
teilnehmenden Familien „richtiges“ Spielzeug einen hohen Wert hat, mit dem
Angebot von „Wertlosspielzeug“ zurückhaltender sein – der Ausbilder hat in seiner EMail-Rückmeldung zur Zwischenbilanz an die Teams auch bereits entsprechend
reagiert:
… Manchmal sagen Familien auch schnell, dass dieses Spiel langweilig ist, weil es
immer das gleiche Säckchen mit immer dem gleichen Material ist. Hier in
Deutschland beobachten wir, dass Eltern und Kinder häufig an Überangebot an
Spielen haben, die ständig gewechselt werden und immer ganz schnell wieder etwas
Neues da sein muss. Wir glauben aber, dass wirkliche Spielfreude auch mit ganz
wenigen und ganz einfachen Materialien dadurch entsteht, dass eine persönlich
nahe Spielsituation mit dem Spielpartner, in diesem Falle dem Vater oder der Mutter
entsteht. Sie können das beobachten, wenn Sie den Familien beim nächsten Mal
andere Spielmaterialien anbieten. Wenn dann schnell die gleiche Reaktion von der
Familie kommt, braucht diese Familie vielleicht mehr Unterstützung im Sinne von
Mutmachen und positivem Coaching.
In Deutschland spielen wir dieses Spiel tatsächlich mit fast immer den gleichen
Materialien. Bei Ihnen in der Mongolei war mein Eindruck, dass es überhaupt wichtig
ist, Spielsituationen zwischen einzelnen Eltern und einem ihrer Kinder herzustellen.
Sie können den Spielpaaren aber auch durchaus wechselnde Spielmaterialien, z. B.
Ihr „Knöchelchen-Spiel“ oder auch andere Materialien für Spiele zu Zweit anbieten65.
Über 90% der Familien haben durch das Programm neue Familien kennengelernt,
und alle wollen den Kontakt aufrecht erhalten – hier hat FuN sehr erfolgreich die
Vernetzung der Familien angeregt. Was Unterstützung und neue Informationen
durch die Teilnahme am Programm betrifft, so heben die Eltern den Austausch und
die Vernetzung mit anderen Eltern hervor, darüber hinaus schätzen sie den Erwerb
relevanten Wissens über Familie und Erziehung, die nützlichen Vorschläge für den
Erziehungsalltag sowie die intensive Erfahrung einer engen innerfamiliären Ver−
bundenheit: Wir wurden als Familie stärker (Fam. 7).
65
Vgl. Anhang 16, Zwischenbilanz, Antwort B. Brixius.
82
Kasten 3: Spontane Äußerungen der befragten Familien im Interview
o
Unsere Familie wünscht sich, dass das Programm mit vielen anderen Familien fortgesetzt wird
o
Wir wünschen uns eine Fortsetzung
o
Ich wünsche mir eine Fortsetzung des Programms
o
Wünschenswert wäre eine Verbreitung des Programms
o
Wir würden gerne auch nächstes Mal dabei sein
o
Es gibt noch viele Eltern, die am Programm teilnehmen wollen
o
Das Projekt sollte ab und zu stattfinden
o
Wir wünschen uns eine Verbreitung des Projekts
o
Wir wünschen uns eine Fortsetzung
o
Ich wünsche mir eine Fortsetzung, viele andere Familien haben auch Interesse
o
Eine Fortsetzung des Programms wäre wünschenswert
o
Ich wünsche mit eine Verbreitung des Programms.
o
Ich wünsche mir weitere Teilnehmer für das Projekt
o
Ich wünsche mir viele weitere Teilnehmer. Danke!
o
Wir möchten, dass das Programm FuN weiter stattfinden wird
o
Wir wünschen uns eine Fortsetzung
o
Es wäre schön, wenn das Programm fortgesetzt würde
o
Wünschenswert wäre eine Fortsetzung des Programms, verbunden mit einer Vertiefung
o
Es gibt noch viele Eltern, die am Programm teilnehmen wollten
o
Viele weitere Familien möchten dabei sein!
o
Das Programm sollte noch einmal stattfinden
o
Unsere Familie wünscht sich eine Fortsetzung des Programms für andere Eltern
o
Nur wenige Familien haben am Programm teilgenommen. Ich wünsche mir viele weitere
Teilnehmer
o
Ich würde mir eine Verbreitung des Programms wünschen
o
Auch andere Familien sollten die Chance bekommen, am Programm teilzunehmen
o
Es müssten mehr Familien daran teilnehmen
o
Es müssten auch mehr junge Familien daran teilnehmen
o
Es müssten mehr Familien daran teilnehmen
o
Bitte macht dieses Programm weiter!
o
Wir wünschen uns, dass FuN noch einmal durchgeführt wird
o
Falls das Programm noch einmal stattfinden sollte, würden wir gerne wieder dabei sein Wir
würden die anderen und die neuen Familien fördern
o
Unsere Familie wünscht sich eine Verbreitung des Programms für viele andere Eltern. Das war
ein nachhaltiges Programm
o
Es wäre schön, wenn mehr Familien an FuN teilnehmen könnten, besonders junge Familien
83
Für 70% der Teilnehmer war FuN keineswegs nur ein angenehmer Zeitvertrieb,
sondern mehr oder weniger anstrengend und fordernd, und die meisten haben
wenigstens gelegentlich Teile ihrer Erfahrungen auch zu Hause umgesetzt, z.B. die
Spiele.
Differenziert ist das Gesamturteil: Knapp die Hälfte der Befragten würde FuN ohne
Einschränkung weiterempfehlen, die übrigen glauben immerhin, dass sie das tun
würden; dass FuN nützlich und hilfreich für Familien ist, bestätigen ohne Ein−
schränkung 87%, und über die Hälfte wünscht sich in fast gleichlautenden
Statements spontan eine weitere Verbreitung des Angebots.
2.3 Die Wirkung des Programms aus der Sicht der Teams
Die
Teams
wurden
Selbstorganisationsphase
außer
noch
am
zwei
Beginn
weitere
während
der
Male
befragt:
Programmam
Ende
und
der
Intensivphase in den Kitas (Anhang 9, Teamfragebogen II) und nach Beendigung der
Selbstorganisationsphase (Anhang 10, Teamfragebogen III).
2.3.1 Ergebnisse der Intensivphase
•
Verhaltensänderungen bei den teilnehmenden Eltern
Im Verlauf der acht Sitzungen waren nach Angaben der Teams bei allen oder
nahezu 64 Familien bei den entsprechenden Spielen positive Veränderungen in
Bezug auf die Zusammenarbeit innerhalb der Familie (100%) und das gegenseitige
Verstehen (89%) zu beobachten (Anhang 9).
•
Die Eltern zeigten Verbundenheit in/mit der Gruppe
91%
•
Die Eltern zeigten mehr Selbstsicherheit und sprachen freier
86%
•
Die Eltern ließen sich mehr auf kindliches Spiel ein
84%
•
Die Eltern hörten ihren Kindern mehr zu
70%
•
Die Eltern zeigten mehr Verantwortung
67%
•
Die
Eltern
zeigten
mehr
positive
(Lob, Aufmerksamkeit, Zuwendung u.a.)
•
Die Eltern redeten mehr mit ihren Kindern
61%
•
Die Eltern setzten den Kindern klarere Grenzen
23%
Verstärkung
der
Tab. 18: Wahrgenommene Verhaltensänderungen bei den Eltern (n=9, 64 Familien)
Kinder
63%
84
Des Weiteren war bei den Teilnehmern eine Reihe von spezifischen Veränderungen
zu beobachten. Von positiven Auswirkungen berichten die Teams insbesondere in
Bezug auf folgende elterliche Verhaltenweisen und Haltungen (Tab. 19):
Bei nahezu allen Teilnehmern (91%) hat sich nach Wahrnehmung der Teams ein
deutliches Zugehörigkeitsgefühl zur FuN-Gruppe entwickelt, was erwarten lässt,
dass diese Verbundenheit auch über die eigentliche Zeit der Programmphase hinaus
bestehen bleibt und die „nachbarschaftlichen“ Netze in Zukunft noch enger geknüpft
werden – ein zentrales Ziel von FuN.
Die Eltern selbst haben offenbar auch an Selbstsicherheit gewonnen, was sich z.B.
in ihrem freieren Sprechen verdeutlicht. Sie übernehmen zu einem guten Teil (67%)
auch ihre Elternrolle verantwortlicher, ebenfalls ein Ziel von FuN.
Was ihr Verhalten gegenüber ihren Kindern angeht, so konnten sich die meisten oder
zumindest deutlich mehr als die Hälfte der Eltern
1. mehr auf das Spiel mit ihren Kindern einlassen (84%)
2. ihnen besser zuhören (70%)
3. ihnen mehr positive Verstärkung wie Lob, Aufmerksamkeit und Zuwendung
zukommen lassen (63%)
4. und mehr mit ihnen reden (61%).
Am wenigsten war offenbar das Setzen von klareren Grenzen nötig (bei 23%) – nach
unserer Wahrnehmung waren die meisten Kinder ohnehin relativ diszipliniert –
zumindest in unserer Gegenwart66.
Alles in allem also sehr positive und den Zielen von FuN entsprechende Ergebnisse:
Vernetzung unter den Familien, Stärkung der Elternrolle und gleichzeitig ein deut-lich
kindzentriertes, entwicklungsförderndes Erziehungsverhalten.
•
Verhaltensänderungen bei den teilnehmenden Kindern
Bei den rd.125 Kindern, die an FuN teilgenommen haben, waren nach Angaben der
Teams folgende Veränderungen zu beobachten (Tab. 18):
Fast alle Kinder (91%) hatten in erster Linie den Wunsch, gemeinsam mit ihren
Eltern zu spielen, wozu sich ihnen in FuN reichlich Gelegenheit bot – erstaunlich, wie
66
Eine deutsch-mongolische Pädagogikstudentin, von uns nach ihrem Urteil über Erziehungsziele in
der Mongolei befragt, sagt: Kinder und Jugendliche sind in der Mongolei nicht so erzogen worden,
dass sie ihre Meinung frei äußern können, sie sind sehr zurückhaltend. Generell ist das Erziehungs−
ziel in der Mongolei noch immer Erziehung zur Gehorsamkeit – wir alle sind so erzogen worden,
dass das, was Eltern, Lehrer und Professoren sagen, zu 100% wahr ist (E. Javzza, 16.05.20009)
85
attraktiv Eltern für die Kinder als Spielpartner sind! Die Kinder gingen aber auch
miteinander kooperativer um − immerhin konnten an einem FuN-Nachmittag 16 und
mehr Kinder unterschiedlichen Alters aufeinander treffen – , und ein Teil von ihnen
(44%) war auch weniger aggressiv (bei einem großen Teil der Kinder war ohnehin
kein wirklich aggressiver Umgang miteinander zu beobachten, s.o.). Sie zeigten ihren
Eltern gegenüber mehr Respekt (73%), was bei FuN nicht Unterwürfigkeit heißt,
sondern Anerkennung der Verantwortlichkeit und Zuständigkeit der Eltern für
wesentliche familiäre Angelegenheiten; viele wirkten freier und unbefangener (70%)
und konnten deutlicher äußern, was sie wollten und was ihnen wichtig war (61%).
Außerdem beteiligten sich fast 60% bereitwilliger an Aufgaben, und die Hälfte von
ihnen (50%) hielt sich mehr an Grenzen und Regeln − ausgesprochen „grenzenlose“
Kinder waren vermutlich ohnehin eher die Ausnahme.
•
Die Kinder zeigten Interesse am gemeinsamen Spiel mit ihren Eltern
91 %
•
Die Kinder gingen kooperativer miteinander um
81 %
•
Die Kinder zeigten gegenüber ihren Eltern mehr Respekt
73 %
•
Die Kinder wirkten freier und unbefangener
70 %
•
Die Kinder äußerten deutlicher ihre Bedürfnisse
61 %
•
Die Kinder beteiligten sich bereitwilliger an Aufgaben
•
Die Kinder hielten sich mehr an Regeln und Grenzen
•
Die Kinder gingen weniger aggressiv miteinander um
59 %
50 %
44 %
Tab. 19: Wahrgenommene Verhaltensänderungen bei den Kindern (n=9, 64 Familien)
Mit der gebotenen Zurückhaltung in Bezug auf die Validität solcher Beobachtungsdaten
lässt
sich
festhalten:
deutliche
Anzeichen
einer
Stärkung der
Elternpräsenz, die von den Kindern auch so wahrgenommen wird, Zunahme von
kooperativen Verhaltensweisen, Abnahme der Hemmungen bei den (vermutlich)
eher überkontrollierten Kindern, die unbefangener wurden und ihre Bedürfnisse
deutlicher äußern konnten, und stärkere Selbstkontrolle und Zurücknahme bei den
(vermutlich) unterkontrollierten, durchsetzungsorientierten oder „eigensinnigen“
Kindern.
86
Zusammenarbeit zwischen Kita und Familie
•
Die achtwöchige intensive Programmphase in den Kitas hatte auch positive
Auswirkungen auf die Beziehungen zwischen den Teams und den Eltern.
So hat sich die Zusammenarbeit zwischen den Kitas und den Familien aus der Sicht
der Teams positiv verändert (Tab.20): höhere Gesprächsbereitschaft, größeres
Interesse und Engagement bei den Familien, partnerschaftlicher Umgang miteinan−
der.
Anzahl
k.A.
•
Die Gesprächsbereitschaft mit den Erzieherinnen ist auf Seiten der
Eltern bei allen Familien gestiegen
9
0
•
Es entwickelte sich ein partnerschaftlicher/gleichberechtigter Umgang
zwischen Eltern und FuN-Team
9
0
•
Die Eltern interessieren sich mehr für die Belange des Kindergartens
7
2
•
Die Eltern engagieren sich spürbar mehr
N=9
7
2
Tab. 20: Wahrgenommene Veränderungen in den Beziehungen zwischen Teams und Eltern
Mit einer neuen Gruppe werden mit Sicherheit drei Teams beginnen, in fünf Fällen
ist der Start noch nicht ganz sicher, in einem Fall (eher) unwahrscheinlich.
Als Gründe für eine geplante Fortsetzung führen die Teams z.B. an:
Das Programm hat allen Teilnehmern gut gefallen, die Familien haben voneinander
gelernt, ihre Beziehungen wurden intensiver, der Stress in der Familie hat sich
verringert und die Familienatmosphäre hat sich verbessert (Team 12201).
In einem anderen Fall ist auch die Kostenfrage bereits geklärt: World Vision hat vor,
das Programm weiter durchzuführen und die anfallenden Kosten zu übernehmen
(Team 1708).
Wenn der Start noch nicht ganz sicher ist, kann das z.B. auch daran liegen, dass ein
Team zunächst seine Erfahrungen mit dem Programm reflektieren möchte:
Weil das zum ersten Mal war, möchten wir erst alles innerlich ordnen, strukturieren
und dann wieder neu beginnen (Team 6, DariEkh).
Es kann auch sein, dass gegenwärtig noch nicht der richtige Zeitpunkt für eine neue
Auflage gekommen ist:
Wir haben so vieles zu erledigen – sowohl im privaten wie im beruflichen Bereich
(Team 11905)
oder dass die Vorgesetzten noch gewonnen werden müssen:
Wir müssen uns noch mit der Kita besprechen (Team14903).
87
2.3.2 Selbstorganisation und Fortsetzung des Programms
Zu Programmende (Anfang/Mitte Februar 2010) wurden alle neun Teams ein letztes
Mal (telefonisch)nach dem Stand ihrer Arbeit befragt (Anhang 10, Teamfragebogen
III).
Gegenstand der Befragung war
-
der Stand der Entwicklung der selbstorganisierten FuN−Gruppen
-
die Kooperation der Mitglieder der Teams
-
die Fortsetzung von FuN
Außer einer Gruppe, die sich seit Abschluss der Programmphase nur einmal
getroffen hat, haben sich alle Familien zu einer selbstorganisierten Gruppe
zusammengefunden. In zwei Fällen sind diese Gruppen bereits beendet, wobei sich
die Familien weiterhin treffen, wenn auch nicht alle.
Die übrigen sechs Gruppen stehen kurz vor dem Abschluss der Selbstorganisationsphase, die meisten Familien waren regelmäßig dabei. Die Zusammenkünfte fanden in der Regel ein- oder zweimal im Monat oder alle ein oder zwei
Monate statt, einmal auch drei- bis viermal im Monat.
Fünf Gruppen haben sich in der Kita getroffen, drei außerhalb, entweder bei
einzelnen Familien oder in externen Räumen, die World Vision zur Verfügung
gestellt hat (z.B. in einer Kirchengemeinde), eine Gruppe hat sowohl diese
Möglichkeit wie die Räume ihrer Kita genutzt.
Bei vier Gruppen wurden die Treffen von den Teams vorbereitet, in den anderen
Fällen von den Familien selbst. Die Teams haben sich dann in der Regel an den
verschiedenen Gruppenaktivitäten beteiligt.
Der kleine finanzielle Betrag, der ihnen von der Projektleitung zur Gestaltung ihrer
Treffen zur Verfügung gestellt wurde (insgesamt rd. 50.- € pro Gruppe), wurde von
allen Gruppen für das Herstellen einer einfachen Mahlzeit verwendet, die die
Familien abwechselnd vorbereiteten.
Die Gestaltung der Treffen ähnelte der während der Programmphase (Abb. 11):
Spielen in der Gruppe oder in der Familie, Elterngespräche, Essen in der Familie
oder gemeinsames Singen, meistens unter Beteiligung der Teammitglieder. Dabei
sind die verschiedenen Aktivitäten vom Umfang her relativ gleich verteilt.
Was die Fortsetzung von FuN betrifft, so findet diese zur Zeit in drei Kitas bereits
statt; drei Teams sind sich noch unsicher, ob sie weitermachen möchten, zwei
würden es gerne noch einmal versuchen, ein Team wird wohl die Arbeit mit FuN
88
nicht fortsetzen – insgesamt ein Ergebnis, das sich bereits bei der vorherigen
Teambefragung angekündigt hat.
Die Zusammenarbeit in den Teams war recht unterschiedlich: in vier von fünf
Gruppen – sämtlich städtische Kitas – war die Kooperation mit den Sozialarbei−
terinnen der Khoroos sehr befriedigend und anregend, in der fünften Gruppe hat die
Sozialarbeiterin des Jugendamts den Arbeitsplatz gewechselt und konnte deshalb
nicht länger teilnehmen. In den vier Kitas, die von World Vision betreut werden,
haben außer in einem Fall die Sozialarbeiterinnen aus den Wohnquartieren gar nicht
bzw. nur in der 1. Phase mitgearbeitet, krankheitsbedingt, weil es für die Mehrarbeit
keine Bezahlung gab u.a., in einem Fall hat aus nicht bekannten Gründen auch die
Erzieherin nicht teilgenommen, sondern nur eine ehrenamtliche Mitarbeiterin von
World Vision.
Abb. 11: Aktivitäten der Familien während der Treffen in der Selbstorganisationsphase
(Legende: Startpunkt „16%“, gegen Uhrzeigersinn, N=9, 64 Familien)
Es ist aber festzuhalten, dass dies keine erkennbare Wirkung auf die Zufriedenheit
der teilnehmenden Familien hatte − (Anhang 5, Items Nr. 5, 15 des Familieninter−
89
views).
Die Übernahme der in FuN praktizierten Lernformen (vgl. S. 26 ff. ) in das Metho−
deninventar der Teams war kein Gegenstand der Befragung. Sie dürfte allerdings
viel Zeit benötigen, denn hier ist nicht nur Neulernen, sondern wirkliches Umlernen
erforderlich. Die sich in den Familieninterviews unabhängig von der Kitazugehörigkeit
uniform wiederholenden Äußerungen der Befragten wie
Wir haben gelernt, mit unseren Kindern zu spielen (Fam. 01)
Uns wurde klar, dass Kommunikation und Kooperation in der Familie wichtig sind
(Fam. 23)
Wir lernten mit den Kindern zu kommunizieren und zu kooperieren (Fam. 24)
Wir lernten den richtigen Umgang mit unseren Kindern (Fam. 39)
Beim Unterricht sollte jedes Familienmitglied aktiv sein (Fam. 54)
Es sollte auch eine Lehrveranstaltung für Väter geben (Fam. 55)
Wir lernten, wie wir richtig mit unseren Kindern umgehen (Fam. 62)
spiegeln schon in Diktion und Wortwahl – auch wenn man Übersetzungsungenauigkeiten zugesteht − wider, dass Lernen noch vorwiegend im Rahmen eines
traditionellen Lehrer−Schüler Verhältnisses organisiert worden ist, bei dem die/der
Lernende das richtige Wissen im Unterricht von einem Experten von außen vermittelt
bekommen hat. Die Übernahme des Prinzips des selbstgesteuerten Lernens dürfte
(hier wie anderswo) nicht nur für die Familien, sondern auch für die Teams ein
langwieriger Prozess sein, in dem diese auch ihre eigenen Bildungserfahrungen
reflektieren und ggf. in Frage stellen müssen und bei dem es vorteilhaft wäre, wenn
sie dabei Unterstützung bekommen könnten.
2.3.3 Zusammenfassung und Fazit
Die Teams konnten bei den Familiengruppen im Verlauf der acht Sitzungen bedeutsame Verhaltens- und Einstellungsänderungen feststellen. So waren bei nahezu
allen Familien bei den entsprechenden Spielen positive Veränderungen in Bezug auf
Kooperation und gegenseitiges Verstehen zu beobachten. Außerdem berichten die
Teams von einem deutlichen Zugehörigkeitsgefühl der Eltern zur FuN−Gruppe und
von einer Zunahme an Selbstsicherheit und einer größeren Bereitschaft zur
Verantwortungsübernahme.
Was ihr Verhalten gegenüber ihren Kindern angeht, so konnten sich aus Sicht der
Teams deutlich mehr als 80% der Eltern besser auf das Spiel mit ihnen einlassen,
eine erhebliche Anzahl konnten ihnen auch besser zuhören, ihnen mehr positive
Verstärkung zukommen lassen und mehr mit ihnen reden.
Nahezu alle Kinder hatten großes Interesse daran, mit ihren Eltern spielen und
90
zeigten ihnen gegenüber Respekt, gingen miteinander kooperativer um und
beteiligten sich an Aufgaben. Bei den eher überkontrollierten Kindern war eine
Abnahme von Gehemmtheit, bei den unterkontrollierten Kindern. eine stärkere
Selbstkontrolle zu beobachten.
Alles in allem also sehr positive und den Zielen von FuN entsprechende Ergebnisse:
Vernetzung unter den Familien, Stärkung der Elternkompetenz und Elternpräsenz
sowie ein deutlich kindzentriertes Erziehungsverhalten mit positiven Auswirkungen
auf die Kinder.
Auch die Zusammenarbeit zwischen den Kitas und den Familien hat sich durch FuN
aus der Sicht der Teams positiv verändert: sie vermerken eine höhere Gesprächsbereitschaft, größeres Interesse und Engagement bei den Familien und einen
partnerschaftlicheren Umgang miteinander.
Was die Zusammenarbeit im FuN−Team betrifft, so stellte sich im weiteren Verlauf
heraus, dass nur fünf der neun Teams bis zum Schluss zusammenbleiben konnten
oder wollten. Hier wäre noch eine genauere Analyse nötig, warum die Vernetzung
der Fachkräfte nicht so erfolgreich war wie erhofft.
Alle Familiengruppen außer einer haben nach rd. sechs Monaten unter Beteiligung
der Teams die Phase der Selbstorganisation entweder abgeschlossen oder stehen
kurz vor. Die Treffen selbst ähneln den Treffen während der Intensivphase − hier ist
noch mehr Kreativität und Initiative durch die Teams möglich, denn die Gruppen
können und sollen auch ihre eigenen Schwerpunkte setzen.
Die Organisation der Räumlichkeiten während der Selbstorganisation scheint nicht
immer einfach gewesen zu sein, nicht alle Kitas konnten oder wollten ihre Räume zur
Verfügung stellen, dabei ist zumindest in der Übergangsphase der gleichbleibende
Ort wichtig. Umso erstaunlicher, dass der Übergang doch so gut geklappt hat.
Was die Mitarbeit der ehrenamtlich tätigen Teammitglieder ohne pädagogische Ausbildung betrifft, so scheinen sie – darauf lassen zumindest die Rückmeldungen der
Familien schließen – gute Arbeit geleistet zu haben. Sie sollten jedoch – dieser
Vorschlag gründet sich auf die Eindrücke während der Sichtung und Auswertung der
Fragebögen − noch stärker bei den mit FuN verbundenen schriftlichen Tätigkeiten
(Fragebögen ausfüllen, Dokumentationen erstellen), im Gebrauch des Material−
bandes u.ä. unterstützt werden, bis sie hier mit den anderen Teammitgliedern
„gleichgezogen“ haben.
Ein Teil der Familien trifft sich auch nach Abschluss des Programms weiter, und drei
Teams setzen zurzeit die Programmarbeit mit anderen Familien fort.
91
92
93
Teil IV
Schlussfolgerungen und Ausblick
94
95
Im Folgenden sollen die wichtigsten Ergebnisse der Evaluation noch einmal kritisch
reflektiert und Schlussfolgerungen für die weitere Arbeit gezogen werden.
•
Das Ziel des einwöchigen Qualifizierungsprojekts, nämlich zu klären, ob das
Programm FuN trotz der Sprach- und Kulturunterschiede auf die Mongolei
übertragbar ist, wurde eindeutig erreicht. Insbesondere bei den „basics“ des
Programms − z.B. Ressourcenorientierung, handlungs- und erfahrungsorientiertes
Konzept, spielerische Methodik − wurden, so auch der Eindruck des Ausbilders67,
keine wesentlichen Unterschiede zwischen der Situation in Deutschland und in der
Mongolei sichtbar.
Insgesamt haben sich auch die Bedenken, dass die geringe Machtdistanz des
praktizierten Lernens und Lehrens die Teilnehmer/innen irritieren oder überfordern
würde, nicht bestätigt – eine Beobachtung des Ausbilders war lediglich, dass weniger
Fragen gestellt und weniger Diskussionen geführt wurden als in Deutschland – wobei
hier auch die Notwendigkeit der ständigen Übersetzung die Spontaneität der
Teilnehmer/innen gebremst haben mag.
Des Weiteren wurde die Qualität der Fortbildung von den neun Teams in einem
Abschlussfragebogen sehr positiv bewertet, insbesondere was Mitwirkungsmöglichkeiten und Steigerung persönlicher Kompetenzen angeht.
•
Was die Durchführung des Programms mit den ausgewählten Familien betrifft,
so wurde während des Projektverlaufs deutlich, dass mit FuN die anvisierte
Zielgruppe in der Mongolei erreicht werden kann. Auch in den Randbezirken von
Ulaanbataar und denjenigen Khoroos, in denen Familien teilweise an und unter der
Armutsgrenze leben, zeigte sich, dass FuN auf hohe Akzeptanz stieß. Der leichte,
spielerische und nicht problemorientierte Zugang bietet große Lernmöglichkeiten, die
von den Teilnehmern sehr geschätzt und für neue Entwicklungen in der Familie
genutzt wurden.
Aber auch in den Gruppen, in denen Familien zusammenkamen, die weniger unter
unmittelbarem materiellen Druck standen, bot sich willkommener Raum für vielfältige
Lernerfahrungen, z.B. in einer Gruppe, in der auch zwei Familien mit Mitgliedern mit
Behinderungen teilnahmen. Für weitere Programmdurchführungen könnten jedoch
durchaus noch mehr Familien in sozialen Randlagen und mit psychosozialen
Problemen angeworben werden.
67
Persönliche Mitteilung von B. Brixius, 19.06.2009 und www.praepaed.de
96
Auch der Übergang in die Familienkreisphase ist bei fast allen Familien sehr gut
gelungen, und es gibt Hinweise, dass sich zumindest ein Teil der Familien nach
Abschluss
des
Programms
weiterhin
trifft,
also
auch
der
Aufbau
eines
Familiennetzwerkes begonnen hat.
In Bezug auf die Hauptbausteine von FuN, nämlich
o Zusammenhalt und Strukturbildung in Familien entwickeln
o Elternkompetenzen und Elternverantwortung stärken
o Kommunikation und Konfliktfähigkeit innerhalb der Familie fördern
o Kontakt, Selbsthilfe und Netzwerke von Familien aufbauen und die
o Integration und Mitwirkung von Familien in pädagogischen Einrichtungen
unterstützen
war es natürlich nicht möglich, messbare Indikatoren zu entwickeln, aber es gibt
beeindruckende Belege aus den Befragungen (vgl. 2.3.1), dass zentrale Elemente
dieser Bausteine zumindest aus der Perspektive der Eltern und Teams umgesetzt
werden konnten, z.B.:
o Verbesserung des Familienzusammenhalts
o
Stärkung der Elternrolle und Elternpräsenz
o
verbesserte Kommunikation und Kooperation in der Familie
o
deutlich kindzentrierteres Erziehungsverhalten
o
Aufbau von Kontakten, Vernetzung und Selbsthilfe unter den Familien
o
Verbesserung der Zusammenarbeit zwischen Kitas und Familien …
Hier hat das Programm die anvisierten Ziele durchaus erreicht.
•
Die Integration der in FuN praktizierten subjektorientierten Lernformen in das
Methodeninventar der Teams sollte hingegen noch mehr unterstützt werden, denn
vorerst scheinen sich diese nur vereinzelt dieser wahrscheinlich für die meisten
neuen Ansätze zu bedienen.
•
Was die über FuN angestrebte Vernetzung der Kitas mit Institutionen der
Kinder- und Jugendhilfe angeht − hier in der Mehrzahl repräsentiert durch die
Mitarbeit von Sozialarbeiterinnen des Jugendamts −, so ist bisher nicht klar
ersichtlich, warum einige Team-Konstellationen offenbar vorteilhaft waren und
andere nicht.
97
Es ist zumindest auffallend, dass nach Aussagen der Teams in vier von fünf
städtischen Kindergärten die Kooperation mit den zuständigen Fachkräften aus dem
Jugendamt gelungen ist, während das bei den vier von World Vision getragenen
Kindergärten außer bei einem nicht der Fall war. Inzwischen haben jedoch bereits
zwei bis drei weitere FuN−Gruppen in von World−Vision getragenen Kitas
stattgefunden. Im Fall einer Fortsetzung des Projekts sind auf jeden Fall noch
Gespräche mit den Teams sowie mit Vertreter/innen der Stadtverwaltung und mit
World Vision angezeigt, und die Teamkonstellationen sind noch einmal genauer zu
überdenken, sofern dieses Teilziel von FuN – Vernetzung der verschiedenen
Familien unterstützenden Dienste im Stadtteil – beibehalten werden soll (s.u.).
•
Wie kann es weitergehen?
Nur drei der neun ausgebildeten Teams sind bisher in der Lage, neue FuNElterngruppen aufzubauen. Es sollte deshalb genauer analysiert werden, worin die
Zurückhaltung der Mehrheit der Teams begründet ist (z.B. keine Freistellung, Finanzierungsprobleme, keine geeigneten Räumlichkeiten, keine damit verbundenen
beruflichen Perspektiven?), und wie sie ggf. motiviert und unterstützt werden
könnten, weitere Gruppen aufzubauen und zu begleiten.
.
•
Fazit ist, dass Elternarbeit und die Beteiligung von Eltern in pädagogischen Ein-
richtungen in der Mongolei noch ganz am Anfang stehen. Hier ist mit FuN ein vielversprechender Start gelungen.
Weiter ist in Ulaanbaatar die Vernetzung zwischen unterschiedlichen familialen
Unterstützungssystemen im Stadtteil und die Einbettung in ein umgebendes
Beratungssystem so gut wie gar nicht entwickelt. Insofern kann FuN als
Kooperationsprojekt einen Beitrag zur Strukturentwicklung in Ulaanbataar leisten. Ein
Anfang ist gemacht, aber es bedarf weiterer Schritte. Insbesondere besteht die
Notwendigkeit, eigene Strukturen „von innen“ – also innerhalb des mongolischen
Erziehungs- und Bildungssystems − zu entwickeln, z.B. ein FuN−Institut zu gründen
mit Beteiligung der Universität, dem Ausbildungskolleg für Erzieher/innen, der Stadt
Ulaanbataar und lokalen Beratungsstellen mit dem Ziel, längerfristig eigenständige
Qualifizierungen von FuN−Trainer/innen anzubieten, die das Programm dann an
andere Multiplikator/innen weitervermitteln können. Ob dies allerdings gelingen wird
– eine erste Anfrage wurde von uns bereits im vergangenen Jahr gestartet −, bleibt
vorerst offen.
98
Das Qualifizierungsprojekt hat auf jeden Fall deutlich gemacht, dass die FuNMethodik
und
die
dahinterliegende
Kooperationsstruktur
Energie
für
Neu-
Entwicklungen freisetzt.
Alles wird letztlich davon abhängen, wie aktiv die lokalen Organisationen und
Behörden die notwendigen Strukturen weiterentwickeln.
•
Abschließend noch einige erfahrungsbasierte Vorschläge zur Durchführung bzw.
Vor- und Nachbereitung eines solchen oder vergleichbaren Vorhabens.
Vorher / während:
o Gute Vor−Ort−Kenntnisse und (fachliche) Vor−Ort-Kontakte
o Zweisprachige und fachkundige „Türöffner“ vor Ort
o Erkundung /Berücksichtigung der Vorerfahrungen der Kooperationspartner mit
ausländischen Partnern (Erwartungen!)
o Überprüfung gegenseitiger Erwartungen, ggf. unterschiedliche Erwartungen auch
akzeptieren, z.B. dass „kleine Geschenke“ hilfreich sein können …
o Detaillierte Vorausplanung und engmaschiges Projektmanagement in beiden
Ländern (punktgenauer Zeit−, Personal−, Arbeits−, Finanzplan …) mit Controlling
o Berücksichtigung des sozialen / gesellschaftlichen Kontexts, vor allem bei Transformationsländern, die auf dem Weg der Modernisierung sind, z.B. Demokratieverständnis, Lebenslagen der Bevölkerung, Gleichberechtigung und Rollen der
Geschlechter, Bedeutung von Elternschaft, gewaltfreie Erziehung, Bildungsstand,
Familienstrukturen und –modelle …
o Genaue Kenntnis der länderspezifischen Kulturgrammatik
o Sorgfältige Vorbereitung der Auswahl /Zusammensetzung der Teilnehmer/innen
Im Anschluss an die Durchführung / an die Anwesenheit vor Ort:
o Kontinuierliche Kontakte zu den Kollegen/innen vor Ort möglichst bis zum Ende
des Projekts und darüber hinaus über Internet, Befragungen, Rückmeldungen usw.,
sonst sehr rasches Versickern
o Zertifizierung der Teilnehmer/innen o.ä., realistische Möglichkeiten der
Weiterqualifizierung o.ä. für die Teilnehmer/innen in Aussicht stellen
o Falls nachhaltige Implementierung gewünscht: mittelfristig Bildung von eigenen
Strukturen im Land und Übernahme des Gesamtkonzepts durch lokale Institutionen
unabdingbar
99
•
Ganz zum Schluss:
Eine Nachfrage nach FuN in Ulaanbaatar ist vorhanden und nimmt zu, denn, so der
letzte Bericht der mongolischen Kooperationspartnerin Soyolmaa Enkhbat:
Nicht nur die Erzieherinnen, die letztes Jahr ausgebildet wurden, sondern auch
andere, die davon gehört haben, haben angefragt, ob die Möglichkeit besteht, sich
als FuN-Trainerin ausbilden zu lassen, ebenso die Ausbildungsämter von drei
Distrikten. Das hat damit zu tun, dass einzelne Teamerinnen ihre Jahresberichte bei
den zuständigen Ämtern vorgestellt haben und die Leute aufmerksam wurden und
FuN ganz toll fanden …
100
101
Gesamtzusammenfassung
102
103
1 Ausgangslage
Die mongolische Gesellschaft ist eine Gesellschaft im Übergang, die ihren Mit−
gliedern abverlangt, sich von ehemals für sicher gehaltenen und oft mühselig erwor−
benen Wissensbeständen, Handlungsmustern und Orientierungen zu verabschieden
und sich neue anzueignen.
Auch die traditionelle Familie gehört zu den Institutionen, die in Frage stehen. Diese
hatte in der Mongolei − vermittelt durch die nomadische Tradition und Lebensweise
− stets einen besonders hohen Stellenwert, droht jedoch jetzt
infolge
der
gesellschaftlichen, ökonomischen und politischen Veränderungen, die das Land seit
zwanzig Jahren durchlebt, und der zunehmenden Orientierung an westlichen
Wertvorstellungen auseinander zu brechen.
Es wird von manchen Verantwortlichen sogar befürchtet,
dass damit
eine
Gefährdung des grundlegenden Zusammenhalts der Nation verbunden sein könnte.
Beispiele für die Krise des familiären Zusammenhalts sind:
o Instabilität von Ehen, Zunahme von Ehescheidungen
o Abnahme der Haushaltsgröße auf Kleinfamilienniveau
o Einschränkung der Fürsorgekapazität der Familien, auch aufgrund der kritischen
ökonomischen Lage vieler Familien
o Zunahme der Zahl von alleinerziehenden Frauen bei gleichzeitiger Verarmung
o Zunahme von Alkoholmissbrauch, vor allem bei Männern, 20% von ihnen gelten
als exzessive Trinker, oft in Kombination mit Arbeitslosigkeit
o Verantwortungsverweigerung von Vätern, z.B. in der Alimentenzahlung
o Kinderarbeit, sexuelle Ausbeutung von Kindern, Straßenkinder, Kinderkriminalität,
Schul-Dropouts
o Erosion von verwandtschaftlichen Bindungen und Solidargemeinschaften
o u.a.
Hinzu kommt ein hohes Ausmaß an häuslicher Gewalt: Jede dritte Frau in der
Mongolei ist das Opfer von Gewalt in der Ehe, und die innerfamiliäre Gewalt wächst
vor allem unter dem Einfluss von Alkohol, dabei wird vermutlich die Mehrheit der
gewalttätigen Übergriffe überhaupt nicht angezeigt. Deshalb hat sich auch der Anteil
der Haushalte erhöht, der alleine von Frauen geführt wird. Frauengeführte
104
Haushalte sind wiederum von Armut stärker betroffen (s.o.), knapp die Hälfte von
ihnen befindet unterhalb der Armutsgrenze (Feminisierung der Armut).
Ebenso wird physische Gewalt, wie zahlreiche Studien zeigen, in großem Um−
fang als Erziehungsmittel eingesetzt, und es muss davon ausgegangen werden,
dass ein erheblicher Teil der jungen Generation (über 70%) mit alltäglicher Gewalt in
Familie, Schule und sozialem Nahraum aufgewachsen ist und noch immer
aufwächst.
So wurde von der seinerzeit neu gewählten Regierung im Jahre 2007 beschlos−
sen,, Familienarbeit zu einem besonderen Schwerpunkt der zukünftigen Kinder−,
Jugend− und Familienpolitik zu machen.
2 Familienbildung in der Mongolei
In diesen Kontext ist auch das hier vorgestellte Projekt einzuordnen, mit dem ver−
sucht werden sollte, in einem kleinen und überschaubaren Sektor des sozialen
Lebens modellhaft den Boden für eine nachhaltig wirkende Um- und Neuorientierung
vorzubereiten. Dabei konnte es nicht darum gehen, das traditionelle mongolische
Familienmodell zu bewahren und zu stützen − das wäre angesichts des mit hoher
Geschwindigkeit ablaufenden gesellschaftlichen Wandels auch gar nicht möglich − ,
sondern den mongolischen Familien selbst Möglichkeiten in die Hand zu geben, die
Veränderungen produktiv zu bewältigen, anstatt ihnen nur passiv ausgeliefert zu
sein.
Um Familien in ihrer Funktion als Erziehungsinstanz zu stärken, damit sie ihre
Erziehungsverantwortung besser wahrnehmen können, ist z.B. in der BRD
Familienbildung Teil des Leistungskatalogs der Jugendhilfe, denn in
Zeiten des
gesellschaftlichen Umbruchs − in der Mongolei wie in anderen Ländern − bieten
tradierte Leitbilder, Normen und Werte offensichtlich keine Orientierung mehr für die
Gestaltung von Familienerziehung − das Zusammenleben muss jetzt individuell
gelernt und eigenverantwortlich gestaltet werden.
Familien− und Elternarbeit steht in der Mongolei noch ganz am Anfang, ist aber
gerade in der gegenwärtigen Umbruchsituation notwendig und wichtig.
105
Weiter ist in Ulaanbaatar die Vernetzung zwischen unterschiedlichen familialen
Unterstützungssystemen im Stadtteil und die Einbettung in ein umgebendes
Beratungssystem so gut wie gar nicht entwickelt. Insofern sollte das Projekt als
Kooperationsprojekt zwischen verschiedenen städtischen Unterstützungssystemen
für Familien auch einen Beitrag zur Strukturentwicklung in Ulaanbataar leisten.
3 Das Programm Familie und Nachbarschaft (FuN)
Es wurde beschlossen, das in der BRD und anderen Ländern erfolgreich einge−
setzte
Familienbildungsprogramm „Familie und Nachbarschaft“ (FuN)
in einem
Pilot−Projekt auf seine Tauglichkeit für die Mongolei zu erproben.
FuN ist ein präventives Programm, das von pädagogischen Fachkräften gemein−
sam in einer Gruppe mit Eltern und Kindern in Bildungseinrichtungen, z.B.
Kindergärten oder Schulen, durchgeführt wird. FuN will insbesondere die Beteiligung
sozial benachteiligter Familien fördern und diesen einen gemeinsamen Erfahrungs−
raum bieten. Auf der professionellen Ebene vernetzt FuN die Arbeit von
Sozialisationsinstitutionen wie Kindergarten oder Schule mit der Arbeit familien−
orientierter Dienste, z.B. Jugendämtern (s.o.) und stellt mit der Verknüpfung von
Bildung, Beratung und Begleitung einen innovativen methodischen Ansatz zur
Elternarbeit dar.
Primäres Ziel von FuN ist es, die Erziehungs− und Mitwirkungskompetenzen von
Familien zu unterstützen und ihre soziale Beziehungen zu festigen. FuN dauert
insgesamt acht Monate (zweimonatige Intensivphase, begleitete sechsmonatige
Selbstorganisationsphase).
In einer Sitzung der Intensivphase laufen immer in der gleichen Reihenfolge und im
gleichen Zeitrhythmus folgende Programmelemente ab:
o Begrüßungsritual
o ein
Kooperationsspiel
für
die
ganze
Familie,
z.B.
Herstellung
eines
Familienwappens (vgl. Titelbild!)
o ein Kommunikationsspiel, z.B. eine gemeinsame Bildbetrachtung
o gemeinsames Essen (von jeweils einer Familie vorbereitet) am „Familientisch“
o das Zweiergespräch (Austausch unter jeweils zwei Elternteilen)
106
o die
Elternzeit
/parallel
dazu
die
Kinderzeit
(Elterngesprächsrunde,
Kinderspielrunde)
o das Spiel zu Zweit (ein Elternteil spielt mit einem Kind, Spielmaterial besteht aus
„wertlosen“ oder einfachen Materialien wie
Papierrollen, Federn, Wäsche-
klammern, Knöpfen, Schrauben, Wollfäden, Korken …)
o das Überraschungsspiel in der gesamten Gruppe
o das Abschlussritual
Während der Phase der Selbstorganisation, die ebenfalls von pädagogischen
Fachkräften begleitet wird, bei der die gemeinsamen Sitzungen aber seltener statt−
finden, bleibt es der Gruppe überlassen, wie sie ihre Treffen gestalten will.
Das pädagogische Konzept von FuN orientiert sich an bestimmten Richtungen
der systemischen Familientherapie: Es geht vor allem um
o die Stärkung von Zusammenhalt und Struktur
o um Elternverantwortung und Elternkompetenz
o um Beziehungsgestaltung
o um Kommunikations− und Konfliktfähigkeit.
Des Weiteren geht es um Empowerment von Familien durch Selbsthilfe und Netz−
werkbildung mit dem Ziel, die Beziehungen unter den Teilnehmern zu stärken und
sich als Nachbarn oder Stadtteilbewohner gegenseitig solidarische Unterstützung
zukommen lassen zu können.
Ferner
werden Eltern ermutigt, ihre Interessen in Schule oder Kindergarten
einzubringen
und
„auf
Augenhöhe“
auf
Professionelle
aus
anderen
familienorientierten Diensten zuzugehen.
Die Lern− und Arbeitsformen, derer sich FuN bedient, beruhen auf der subjekt−
orientierten begleitenden Bildungsarbeit, indem Eltern als Subjekte ihrer eigenen
Lernprozesse gesehen werden, die sie durch ihre Bedürfnisse und Erfahrungen
selbst steuern und in einem dialogischen Prozess, von den FuN−Teamerinnen
moderiert,
gemeinsam mit den anderen Familien ihre Denk- und Verhaltens−
möglichkeiten erweitern.
107
4 Projektdurchführung, Projektablauf
Das Projekt „Familienbildung in der Mongolei“ lief in mehreren Phasen ab, die ins−
samt den Zeitraum von zwei Jahren umfassten. Nach einer Einführung der
mongolischen Projektpartnerin in Deutschland und den nötigen Vorbereitungs−
arbeiten einschließlich Beschaffung der Fördermittel begann im darauf folgenden
Jahr (2009) die Arbeit in Ulaanbaatar.
Als erster Schritt erfolgte die einwöchige Vorort−Qualifizierung von rd. 25
pädagogischen Fachkräften für die Durchführung des FuN−Programms. Sie wurde
vorgenommen von
Dipl.-Päd. Dipl.-Psych. Bernd Brixius, Leiter des Instituts für
präventive Pädagogik in Münster/BRD.
Anschließend wurde FuN in neun Kindertagesstätten von zwei− bis dreiköpfigen
Teams durchgeführt, von denen in der Regel je zwei Mitarbeiterinnen aus der Kita
stammten, eine aus der zugehörigen Jugendamtsabteilung des Disktrikts. Fünf der
beteiligten Kindertagestätten wurden von der Stadt Ulaanbaatar getragen, bei den
vier anderen war der Träger die Kinderhilfsorganisation World Vision.
Die erste Programmphase, deren Startphase noch persönlich vom Ausbilder
supervidiert wurde, wurde nach zwei Monaten abgelöst von der halbjährigen Phase
der Selbstorganisation, die zu einer Vernetzung der Familien hinführen soll (s.o.).
5 Evaluation: Fragestellungen, Instrumente
Das gesamte Projekt wurde einer vorwiegend abschließenden Evaluation unterzo−
gen. Aufgabe der Evaluation sollte es sein zu überprüfen, ob sich die unter den
Punkten 13/14/15 beschriebenen Annahmen, die für die BRD gut belegt sind, auch
in einem Land wie der Mongolei bestätigen lassen.
Dabei ging es speziell um folgende Fragen:
o Wie wird die Qualifizierungsmaßnahme von den Teams bewertet?
o Welche Familien haben teilgenommen?
o Wie bewerten die Familien das Programm?
o Wie bewerten die Teams die Programmauswirkungen?
o Wie kann es weitergehen?
Für die insgesamt fünf nacheinander durchgeführten Befragungen der neun
108
Teams (n=24) wurden standarisierte Fragebögen (einschließlich der Erhebung der
Sozialdaten), für die Familieninterviews (n=62) ein
Frageleitfaden eingesetzt;
außerdem wurde in der Mitte des Projekts von den Teams eine Zwischenbilanz
gezogen, die vom Ausbilder schriftlich beantwortet wurde, und es wurden zahlreiche
Sozialdaten erhoben.
Da es sich um eine Pilotstudie handelte, bei der infolge der komplexen
Bedingungsfaktoren und des materiellen, zeitlichen, sprachlichen und personellen
Rahmens einige Methodenschwächen in Kauf genommen werden mussten, ist die
Qualität der Daten zwar eingeschränkt, die Mehrfachbefragungen, die sehr guten
Rücklaufsquoten (90−100%), die verschiedenen Zielgruppen u.ä. erlauben
aber
dennoch relativ gut abgesicherte Rückschlüsse auf die Programmwirkungen.
6 Ergebnisse 1: Die Qualifizierung
Die fünftägige Qualifizierung der Teams aus den neun Kitas kann als sehr erfolg−
reich bezeichnet werden. Alle Antworten der Teilnehmerinnen auf die Abschluss−
fragen des Evaluationsfragebogens lagen im Durchschnitt im positiven bzw. sehr
positiven Antwortbereich. Die Fortbildung war für die meisten Teilnehmer/innen eine
wertvolle Erfahrung, sie konnten aktiv an und in den Sitzungen mitarbeiten, erlebten
sich als gestärkt in ihren persönlichen Kompetenzen und genossen die angenehme
Arbeitsatmosphäre. Ebenso konnten sie ihr Fachwissen erweitern, neue berufliche
Perspektiven entwickeln u.a.m.
7 Ergebnisse 2: Die Familien
An der daran anschließenden FuN−Programmdurchführung in den Kitas haben
insgesamt 64 Familien mit 106 Erwachsenen und 125 Kindern regelmäßig
teilgenommen. Überwiegend waren beide Elternteile, seltener nur Mütter und noch
seltener nur Väter dabei, bei einigen Familien
waren auch die Großmütter
regelmäßig anwesend.
Das Programm wurde vorwiegend in Stadtteilen eingesetzt, in denen von der
Bevölkerungsstruktur
her
sozial
benachteiligte
Familien
leben:
unterdurch−
schnittliches Familieneinkommen, Wohnen in Gers oder einfachen Holzhäusern,
hohe Arbeitslosigkeit, vor allem bei Frauen. Das Bildungsniveau der Familien in den
109
FuN−Gruppen war jedoch relativ hoch, alle Teilnehmer/innen hatten mindestens
einen mittleren Bildungsabschluss (1.-9.Klasse), ein Teil von ihnen auch ein
akademisches Diplom.
Es wäre sicher nützlich, die Zusammenstellung der Familiengruppen noch genauer
und
mutiger
zu
planen,
z.B.
noch
mehr
sozial
benachteiligte
Familien,
alleinerziehende Mütter, Familien mit sozialen Problemen, mit gesundheitlich
beeinträchtigten Kindern u.ä. einzuladen.
Erste
Erfahrungen
sprechen
dafür,
dass
z.B.
Familien
mit
Kindern
mit
Behinderungen eine Bereicherung der Gruppe darstellen und selbst großen Nutzen
aus ihrer Teilnahme ziehen können.
Insgesamt fällt die hohe Beteiligung der Väter auf, die mit ihren Ehefrauen zusam−
men oder auch alleine gekommen sind, durchschnittlich rd. 70% und damit weit
mehr als das, was z.B. in Deutschland üblich ist (7%). Hier deutet sich für Väter eine
Chance für neue Erfahrungen und Anregungen in der Gestaltung ihrer Rolle in der
Familie an.
Ausnahmslos allen Teilnehmern − Eltern und Kindern − hat das Programm gut ge−
fallen, alle haben ihre Teilnahme als eine schöne Zeit in Erinnerung. Besonders
gefallen haben den Eltern die verschiedenen Spiele und die Elterngesprächsrunde
und den Kindern die Spiele in der Familie.
Über 90% der Familien haben durch das Programm auch neue Familien kennen−
lernt, und alle wollen den Kontakt aufrecht erhalten –FuN hat sehr erfolgreich die
Vernetzung der Familien angeregt.
Was Unterstützung und neue Informationen durch die Teilnahme am Programm
betrifft, so heben die Eltern den Austausch mit den anderen Eltern besonders hervor.
Darüber hinaus schätzen sie den Erwerb relevanten Wissens über Familie und
Erziehung, die nützlichen Vorschläge für den Erziehungsalltag sowie die intensive
Erfahrung einer engen innerfamiliären Verbundenheit, die sie durch ihre Teilnahme
machen konnten.
110
Für 70% der Teilnehmer war FuN keineswegs nur ein angenehmer Zeitvertrieb, an
dem alle Spaß hatten (dies war natürlich auch der Fall), sondern auch anstrengend
und fordernd, und die meisten haben wenigstens gelegentlich Teile ihrer Erfahrungen
auch zu Hause umgesetzt, z.B. die Spiele.
8 Ergebnisse 3: Die Teams
Die Teams konnten bei den Familiengruppen bereits im Verlauf der acht Sitzungen
bedeutsame Verhaltens− und Einstellungsänderungen feststellen. So waren bei
nahezu allen Familien
o positive Veränderungen in Bezug auf Zusammenarbeit und gegenseitiges
Verstehen zu beobachten
o berichten die Teams von einem deutlichen Zugehörigkeitsgefühl der Eltern zur
FuN−Gruppe
o von einer Zunahme an Selbstsicherheit und
o einer größeren Bereitschaft zur Verantwortungsübernahme.
Was das elterliche Verhalten gegenüber den Kindern angeht, so
o konnten sich aus Sicht der Teams deutlich mehr als 80% der Eltern besser auf
das Spiel mit ihnen einlassen
o eine erhebliche Anzahl ihnen auch besser zuhören
o ihnen mehr positive Verstärkung zukommen lassen sowie
o mehr mit ihnen reden
− alles in allem also eine Zunahme von entwicklungsförderlichen Haltungen.
Nahezu alle Kinder
o hatten großes Interesse daran, mit ihren Eltern spielen
o zeigten ihnen gegenüber Respekt
o gingen miteinander kooperativer um
o beteiligten sich an Aufgaben.
Bei den eher überkontrollierten Kindern war außerdem eine Abnahme von
Gehemmtheit, bei den unterkontrollierten Kindern. eine stärkere Selbstkontrolle zu
beobachten.
Auch die Zusammenarbeit zwischen den Kitas und den Familien hat sich durch
111
FuN aus der Sicht der Teams positiv verändert: sie vermerken eine
o höhere Gesprächsbereitschaft
o größeres Interesse und Engagement bei den Familien
o einen partnerschaftlicheren Umgang mit den Mitarbeiterinnen.
Schließlich haben die meisten Familien auch Interesse an weiteren Hilfs− und Unterstützungsangeboten angemeldet.
Was die Zusammenarbeit im FuN−Team betrifft, so stellt sich im Verlauf des Pro−
jekts heraus, dass nur fünf der neun Teams vollständig bis zum Schluss
zusammenbleiben konnten oder wollten, die dafür angegebenen
Gründe waren
unterschiedlich:
o Krankheit
o Versetzung
o keine Freistellung
o keine Bezahlung für Überstunden
o u.a.
In den Augen der Familien scheint das jedoch
keine Rolle für die Qualität der
Programmdurchführung gespielt zu haben, wie die Daten zeigen. Dennoch wäre hier
noch eine genauere Analyse nötig, warum die Vernetzung der Fachkräfte in den
verschiedenen Khoroos und Institutionen teilweise nicht so erfolgreich
war wie
erwünscht.
Nahezu alle Familiengruppen haben nach rd. sechs Monaten unter Beteiligung der
der Teams die Phase der Selbstorganisation entweder abgeschlossen oder stehen
kurz davor.
Ein Teil der Familien trifft sich auch nach Abschluss des Programms weiter, und
drei Teams setzen zurzeit die Programmarbeit mit anderen Familien fort.
9 Kulturelle Passungsprobleme
Das Programm wurde vor seinem Transfer in die Mongolei von der mongolischen
Kooperationspartnerin auf seine Passung geprüft und als gut
übertragbar
eingeschätzt. Grundsätzliche „kulturelle Unverträglichkeiten“ bei der Ein− und
Durchführung vor Ort waren dann auch nicht festzustellen. Sofern Unverträg−
lichkeiten auftraten, waren sie eher sozialen Differenzen geschuldet (z.B. die
112
Bedeutung von Spielzeug entsprechend den unterschiedlichen Niveaus von Armut
in der Mongolei und der BRD);
teilweise beruhten sie auf unterschiedlichen
kulturellen Grammatiken, vor allem bei der Qualifizierung der Teams (z.B. beim
Umgang mit Zeit oder mit Machtdifferenzen), oder sie waren Folge unterschiedlicher
Lerntraditionen, z.B. des „lehrerzentrierten“ Unterrichts, wobei in der BRD bei
Aussiedlerfamilien aus osteuropäischen Ländern oder Ländern der GUS ähnliche
Probleme bei der Umsetzung selbstbestimmten Lernens bekannt sind.68 Natürlich
wurden z.B. die Lieder, die bei bestimmten Programmpunkten gesungen werden,
dem mongolischen Liedschatz entnommen, die Bilder für die Bildbetrachtungen
wurden angepasst und zeigten mongolische Landschaften und Personen bei typisch
mongolischen Beschäftigungen usw., doch die Programmpunkte selbst ließen sich
relativ mühelos übertragen bzw. es gab nach den Beobachtungen des Ausbilders
ähnliche Probleme wie in Deutschland, z.B. beim spielerisch−kreativen Umgang mit
„Wertlosmaterial“, der nicht allen Teilnehmer/ innen leicht fiel.
10 Ausblick
Insgesamt hat sich nach unseren Erfahrungen das FuN−Programm wegen seiner
Ressourcenorientierung, seines handlungs- und erfahrungsorientierten Konzepts und
seiner spielerischen Methodik bei der Übertragung auf die Mongolei sehr gut
bewährt.
Vor allem was die Stärkung der Elternkompetenz und Elternpräsenz, das kindzen−
trierte Erziehungsverhalten, die persönliche Entwicklung der Familienmitglieder, die
Zusammenarbeit der Eltern mit den Kitas und die Netzwerkbildung unter den Fami−
lien betrifft, konnte das Programm mit großem Erfolg abgeschlossen werden.
Möglichkeiten der institutionellen Vernetzung des Projekts mit anderen familien−
unterstützenden Diensten im Stadtteil
sollten
allerdings noch genauer geplant
werden.
Für die Fortsetzung der Arbeit wäre es wünschenswert, wenn die zuständigen
lokalen Behörden und Institutionen mit dazu beitragen könnten, Strukturen zu
68
Persönliche Mitteilung von B. Piltman, www.präpäd.de
113
entwickeln, in die FuN eingebettet ist und für die Mongolei weiterentwickelt werden
kann.
114
115
Literatur
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