Zukunft der Medien: Qualität und Wahrhaftigkeit
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Zukunft der Medien: Qualität und Wahrhaftigkeit
Gabriele Goderbauer-Marchner (Hrsg.) Zukunft der Medien: Qualität und Wahrhaftigkeit Zukunft der Medien: Qualität und Wahrhaftigkeit Gabriele Goderbauer-Marchner (Hrsg.) Reihe „medien aktuell“ Band 1 Universität der Bundeswehr München Fakultät für Betriebswirtschaft Institut für Journalistik ISBN 978-3-00-049460-4 Vorwort Große Herausforderungen für Medienmacher von Prof. Dr. Merith Niehuss, Präsidentin der Universität der Bundeswehr München I ch freue mich sehr, dass sich die Medienfachtagung des Instituts für Journalistik am Medienstandort München als Veranstaltungsreihe etabliert hat. Die Universität der Bundeswehr München ist gern Gastgeber für junge Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler und Medienschaffende, die sich mit „der Zukunft der Medien“ beschäftigen. Der Untertitel der Tagung „Innovation, Storytelling und Qualität“ fasst die großen Herausforderungen, vor denen die Medienmacher heute stehen, trefflich zusammen. Es geht im Journalismus weiterhin darum, „gute Geschichten“ zu erzählen. Doch das Wie, Wo und Wann des Geschichtenerzählens hat sich in den vergangenen Jahren dramatisch verändert. Mobile Nutzerinnen und Nutzer konsumieren digitale Medieninhalte wo und wann sie wollen. Wer in diesem Konkurrenzkampf um die Aufmerksamkeit der Medienkonsumentinnen und -konsumenten bestehen möchte, darf nicht davor zurückschrecken, Neues auszuprobieren – und muss doch gleichzeitig die klassisch etablierten journalistischen Qualitätsstandards hochhalten. Wo, wenn nicht an einer Universität, ist der richtige Ort, um über diesen schwierigen Spagat für die Medienbranche zu diskutieren, Innovationen vorzustellen und sich mit gescheiterten und erfolgreichen Modellen gleichermaßen zu beschäftigen? Einige der Ergebnisse, Erkenntnisse und Debatten der vergangenen Medienfachtagung finden Sie in diesem Band. Ich lege Ihnen die Lektüre sehr ans Herz. Die Universität der Bundeswehr München trägt mit zwei Studiengängen dazu bei, die Medienschaffenden der Zukunft auf die Herausforderungen ihrer Branche vorzubereiten. Der Bachelor- und der Master-Studiengang „Management und Medien“ sind eine große Bereicherung im Spektrum der Fächer unserer Universität. Neben wirtschaftswissenschaftlichen Fachkenntnissen werden den Studierenden in diesen Studiengängen kom3 Zukunft der Medien: Qualität und Wahrhaftigkeit munikationswissenschaftliche Theorien sowie journalistische Praxis vermittelt. Die rasanten Entwicklungen, die die Digitalisierung unserer (Um-) Welt gerade für den Bereich Medien mit sich bringt, spiegeln sich in der aktuellen Forschung und Lehre des Instituts für Journalistik wider. Auch die Ausstattung des Instituts ist auf dem neuesten Stand und ermöglicht es, unseren Studierenden eine akademische, crossmediale Ausbildung zukommen zu lassen, die diesen Namen wirklich verdient. Ebenso findet eine zukunftsgerichtete Berufungspolitik statt. 4 Vorwort Leuchtturm der Forschung von Prof. Dr. Carsten Rennhak, Dekan der Fakultät für Betriebswirtschaft D ie Rahmenbedingungen für Qualitätsjournalismus haben sich in Deutschland grundlegend gewandelt. Dies hat Medienhäuser vielerorts insbesondere im Printbereich dazu bewogen, eine Vielzahl kosten- und erlösseitiger Maßnahmen zu ergreifen. Dazu gehören u. a. die Zentralisierung und das Outsourcing von Anzeigengeschäft, Vertrieb, Herstellung; Copypreiserhöhungen und Anzeigenrabatte zur Steigerung der Werbenachfrage; die Diversifikation in Geschäftsbereiche jenseits der Presse wie Briefpost oder Corporate Publishing; der Ausbau der redaktionellen Tätigkeiten in Rundfunk, Online- und Mobile-Content sowie Erprobung neuer Geschäftsmodelle im Bereich Paid-Content; Produktinnovation im klassischen Printgeschäft, z. B. die Umstellung auf Tabloid-Format oder Zeitschriftenneugründung Vor diesem Hintergrund hat sich die am 21. Mai 2015 bereits zum dritten Mal vom Institut für Journalistik der Fakultät für Betriebswirtschaft veranstaltete Fachtagung zur Zukunft der Medien dem Thema „Qualität und Wahrhaftigkeit“ verschrieben, was selbstverständlich weit mehr ist als eine bloße weitere Strategieoption im Medienmarketing. „Qualität im Journalismus definieren zu wollen, gleicht dem Versuch, einen Pudding an die Wand zu nageln“, formulierte der Journalismusforscher Stephan Ruß-Mohl schon vor über zwei Jahrzehnten. Als Qualitätskriterien werden bisweilen Aktualität, Sachlichkeit, Transparenz, Vielfalt, Relevanz, Richtigkeit und Verständlichkeit genannt. Die Schaffung der infrastrukturellen Voraussetzungen zählt aber gewiss zu den Grundbedingungen von Qualitätsjournalismus. Hier möchte 5 Zukunft der Medien: Qualität und Wahrhaftigkeit die Fakultät für Betriebswirtschaft der Universität der Bundeswehr München in Forschung und Lehre einen Beitrag leisten. 2010 ist unser interdisziplinäres Studienangebot „Management und Medien“ gestartet. Unsere Studiengänge in Bachelor und Master greifen aktuelle Entwicklungen in der Medien- bzw. Kommunikationsbranche auf und verbinden beispielsweise eine crossmediale Ausbildung mit einer deutlichen Betonung der Managementperspektive. In der Bundeswehr sollen die Absolventinnen und Absolventen des neuen Studienangebots als akademisch breit und zugleich praxisnah ausgebildete Medien- und Kommunikationsfachleute mit fundierten Managementkenntnissen in journalistischen und mediennahen Funktionen bzw. im Bereich der Organisationskommunikation eingesetzt werden. Sie helfen so, eine Bedarfslücke im Bereich der Kommunikationsarbeit zu schließen. Ein für die Fakultät wichtiger Leuchtturm im Bereich der Forschung ist die nunmehr nachhaltig etablierte Fachtagung zur Zukunft der Medien. Sie fördert intensiv den Erfahrungsaustausch zwischen Wissenschaft und Praxis, in dem sie renommierte Vertreter von Hochschulen und Medienunternehmen in Dialog bringt. Für die hervorragende Zusammenstellung des Programms und die glänzende Organisation der Tagung gilt der besondere Dank der Fakultät dem Institut für Journalistik und insbesondere Frau Kollegin Gabriele Goderbauer-Marchner, der es wieder gelungen ist, eine thematisch interessante und inhaltlich breite Veranstaltung zu arrangieren und ausgewiesene und hochkarätige Expertinnen und Experten zu gewinnen. Im Namen der Fakultät möchte ich auch den vielen Helferinnen und Helfern für ihren großartigen Einsatz bei der Vorbereitung und der Durchführung der Tagung danken, die durch ihr Wirken die Durchführung der Tagung überhaupt erst möglich gemacht haben. 6 Vorwort Die Medienwelt bleibt spannend von Prof. Dr. Gabriele Goderbauer-Marchner, Herausgeberin W er sich im zweiten Jahrzehnt des 21. Jahrhunderts mit der Medienwelt beschäftigt, hat es mit einer nie dagewesenen Vielfalt zu tun. Zugleich ist zu konstatieren, dass die Medienmacher der klassischen Welt nicht selten inhaltliche Reduktion bieten. Während die Digitalisierung allerorten zunimmt in einer rasanten Geschwindigkeit, während die Digitalisierung neue Berufsbilder kreiert und – neben der Medienbranche – Einzug hält in wirklich alle Felder menschlichen beruflichen wie privaten Miteinanders, beobachtet man in der alten Welt der Medienschaffenden, vor allem bei den Printmedien, dass mit den Modeworten der Crossmedialität und der Medienkonvergenz häufig inhaltlicher Einheitsbrei angeboten wird. Redaktionen schrumpfen, der „Mantel“ wird für viel zu viele Titelblätter gleich gestrickt, Lokalredaktionen – eigentlich die Stärke für Print wie Online – funktionieren nur noch nach dem oft vorgeschobenen wirtschaftlichen Argument: tarifliche Bezahlung = selten, verantwortlicher Einsatz von Praktikanten, Hospitanten, Volontären = häufig. Trend und logisch ist dann die emanzipatorische Abnabelung der Leserinnen und Leser, der User, deren kritischer Geist wächst. Sie wandern ab in die Online-Content-Welt. Dort gibt es Medienhäuser der klassischen Provenienz, die exzellent aufgestellt sind. Das ist – leider noch – die Ausnahme. In den allermeisten Fällen neigt sich die Gunst der User den Plattformen zu, die – auch – Content bieten, die aber nicht aus dem klassischen journalistischen Medienschaffen kommen, sondern neue Player auf dem Markt sind. Die User holen sich ihre Informationen nach folgenden Überlegungen aus dem Netz: 1. Wo muss ich nichts zahlen? 2. Welche Inhalte entsprechen meinen individuellen Neigungen? 3. Wo ist die schnelle Information zu haben? 7 Zukunft der Medien: Qualität und Wahrhaftigkeit In diese Überlegungen spielt hinein die Diskussion, welcher Inhalt es wert ist, dass Geld fließt. Immer wichtiger wird die Frage nach der Qualität. Wofür mag und will der User bezahlen? Für Qualität, ist zu hören. Immer mehr. Denn Trash, textlicher, visueller Müll tummelt sich immer mehr im Netz. Aber: Bis der User bereit ist zu zahlen für Qualität bei journalistischen Produkten, ist eine mühselige Überzeugungsarbeit zu leisten. Auch das müssen sich Medienhäuser leisten können. Hat sich eine „Marke“ schon in der sicher subjektiven, aber viralen Wahrnehmung abgenutzt, ist es schwierig, dem User schmackhaft zu machen, dass er – nach Jahren der kostenlosen Nutzung – nun plötzlich über Bezahlschranken und andere Modelle Geld geben muss. Der Klick „Bis der User bereit ist, für jourzur nächsten Plattform ist rasch genalistische Qualität zu zahlen, ist tan. In diese Überlegungen hinein spielt die Einsicht, dass klassische mühselige Überzeugungsarbeit Medienmarken mehr tun müssen zu leisten.“ als zu jammern. Der User ist gnadenlos. Der User ist nicht ein mildtätiger. Er fordert. Content eben. Woher auch immer. Der User hat keinerlei Hemmungen, seine Aufmerksamkeitsgunst dem weltweiten Riesen Google zu schenken. Der User hat keinerlei schlechtes Gewissen, sich – nur noch – über die Share-Funktionen seiner Freunde auf Facebook mit Informationen einzudecken. Eine Monopolisierung entsteht. Rund um den Globus haben wenige das mediale Sagen. Algorithmen sind die neuen Chefs, nicht mehr kreative Köpfe. Dass die Informationen von Google, Buzzfeed oder Facebook selektiv sind, dass weite Teile der weltweiten Themen, die bislang Redaktionen journalistisch als Gatekeeper und dann Gatewatcher nach bestem Wissen und Gewissen (hoffentlich) offeriert haben, verloren gehen, ist für den User offensichtlich kein Problem. Ähnlich läuft die reduzierte Auswahl des Informationszuflusses auf anderen sozialen Medien wie Twitter. Wem ich folge, dessen Inhalte erfahre ich. Dass damit viel nicht mehr wahrgenommen wird, wird in der schnellen mobilen Mediennutzung wohl kaum als Nachteil wahrgenommen. Die Digitalisierungswucht tangiert das soziale Miteinander ebenso wie Demokratie und deren politische Akteure. Zugleich ist das Tempo des Internets und vor allem der sozialen Medien ein enormes Plus. Mit müdem Lächeln werden Nachrichten in den Tages8 Vorwort zeitungen gelesen, die schon mehr als 24 Stunden vorher durch Facebook, Twitter oder eine der vielen Nachrichten-Apps verbreitet wurden. Nicht alle klassischen Medienhäuser haben erkannt, dass ihre Stärke immer weniger in den Nachrichten liegt, sondern vielmehr in Hintergrundgeschichten, in dem Mehr als nur der Info-Verbreitung. Daher liegt auf den Bereichen der Qualität und dem Geschichtenerzählen die (alte und neue) Stärke der journalistisch arbeitenden Medien. Storytelling ist das neue Wort für die alte Tugend der guten Schreibe, der guten Recherche, des Hinauswachsens über reine Information. Innovation ist angesagt. Dann haben alle eine Chance auf Akzeptanz und damit des Überlebens mit einem multivariablen und multithematischen Content auf allen Kanälen. 9 Inhaltsverzeichnis Vorworte Große Herausforderungen für Medienmacher Prof. Dr. Merith Niehuss, Präsidentin der Universität der Bundeswehr München������������������������ 3 Leuchtturm der Forschung Prof. Dr. Carsten Rennhak, Dekan der Fakultät für Betriebswirtschaft�������������������������������������������������� 5 Die Medienwelt bleibt spannend Prof. Dr. Gabriele Goderbauer-Marchner, Herausgeberin�������������������������������������������������������������������������������������� 7 Teil I: Zukunft der Medien Lügenpresse Gabriele Goderbauer-Marchner��������������������������������������������������������������������������������������������������������������������������������������������������� 13 Fake the World? Über Möglichkeiten, Fotos und Bilder zu fälschen Franz Tomaschowski������������������������������������������������������������������������������������������������������������������������������������������������������������������������������ 22 „Böse Lügen und nette Märchen“ – Deutschrock als rechte Grauzone im Musikjournalismus Rainer Sontheimer�������������������������������������������������������������������������������������������������������������������������������������������������������������������������������������31 Erfolgsfaktoren des Lokaljournalismus Joachim Braun���������������������������������������������������������������������������������������������������������������������������������������������������������������������������������������������� 48 Auf allen Kanälen unterwegs – Wie Internetredaktionen den Umgang mit sozialen Medien lernen Christoph Neuberger, Susanne Langenohl und Christian Nuernbergk�������������������������������������������������� 57 Das Aufmerksamkeits-Regime: Warum die Medialisierung der Gesellschaft die Bedingungen für kritischen Journalismus verändert Bianca Kellner-Zotz��������������������������������������������������������������������������������������������������������������������������������������������������������������������������������� 68 Der Tag, an dem jeder Charlie wurde Florian Alte������������������������������������������������������������������������������������������������������������������������������������������������������������������������������������������������������ 78 Eine kritische Betrachtung medialer Berichterstattung über Strafverfahren Florian Alte������������������������������������������������������������������������������������������������������������������������������������������������������������������������������������������������������ 92 10 Inhaltsverzeichnis Abstrakte Gefahr oder konkretes Risiko? Zur ambivalenten Rolle der Medien in Zeiten des Terrorismus Tobias Maier�������������������������������������������������������������������������������������������������������������������������������������������������������������������������������������������������107 Gender, Gender, Sprachenschänder? Sandra Roth��������������������������������������������������������������������������������������������������������������������������������������������������������������������������������������������������119 Games-Markt in Deutschland und international Barbara Schardt���������������������������������������������������������������������������������������������������������������������������������������������������������������������������������������125 Teil II: Grundlagenforschung Wenn Forschung Grundlagen der Kommunikation und Publikation mit Katastrophen-Szenarien bündelt Gabriele Goderbauer-Marchner�������������������������������������������������������������������������������������������������������������������������������������������������143 Risikokommunikation: Schadensprävention und bürgernahe Kommunikation Karin Stempfhuber��������������������������������������������������������������������������������������������������������������������������������������������������������������������������������146 Bürgergesellschaft 3.0 – Social Media als Motor interaktiver Demokratie? Rainer Sontheimer����������������������������������������������������������������������������������������������������������������������������������������������������������������������������������156 Frust und Lust steigend: E-Learning-Erfolgsfaktoren 2015 Sandra Roth��������������������������������������������������������������������������������������������������������������������������������������������������������������������������������������������������168 E-Learning als Tool zur zielgruppenspezifischen Kommunikation – ein ganzheitlicher Ansatz Bianca Kellner-Zotz und Bernhard Glasauer����������������������������������������������������������������������������������������������������������������173 Formulierungsvorschläge für bürgernahen Journalismus am Beispiel juristischer Fachbegriffe Florian Alte����������������������������������������������������������������������������������������������������������������������������������������������������������������������������������������������������183 Autorenverzeichnis��������������������������������������������������������������������������������������������������������������������������������������������������������������������������������196 Impressionen der journalistischen Lehre������������������������������������������������������������������������������������������������������������������������ 202 Impressum���������������������������������������������������������������������������������������������������������������������������������������������������������������������������������������������������� 204 11 Teil I: Zukunft der Medien Lügenpresse von Gabriele Goderbauer-Marchner L ügenpresse ist ein Begriff, der seit einiger Zeit die Runde macht. Er findet in Deutschland seine Fans, seine Kritiker. Das Wort ist – vermeintlich plötzlich – gegenwärtig. Neu ist der Begriff nicht. Eine Erfindung von Pegida und Co. ebenso nicht. Hier soll der Terminus in seinem (medien-)historischen Kontext beleuchtet werden und in seiner aktuellen Dimension des 21. Jahrhunderts. Es ist zu hinterfragen, was dieser Begriff in einer Demokratie mit – vermuteter – freier Presse, mit Pressefreiheit und Unabhängigkeit der Presse zu suchen hat und was Medienhäuser tun können. Der historische Kontext Auch wenn das heute kolportiert wird: Das Wort Lügenpresse stammt nicht aus der geistigen Feder eines Joseph Goebbels oder Adolf Hitlers. Schon lange vorher haben Kritiker der Zeitungen – noch in der analogen, fernsehfreien Medienwelt – ihren Unmut zum Ausdruck gebracht, indem sie entsprechende Produkte mit Lügenpresse tituliert haben. Der Begriff und dessen Konnotation sind engstens verbunden mit dem Auftauchen des Begriffs der Pressefreiheit, im 19. Jahrhundert Preßfreiheit genannt. Diese Phase ist wiederum engstens verbunden mit dem Aspekt von Zensur und Zensurverbot. Während der Wiener Kongress 1815 die Restauration einläutete und die anschließenden Karlsbader Beschlüsse 1819 dem stockkonservativen Metternich die Plattform gaben, Liberalisierungstendenzen bei Presse und Organisationen wie Burschenschaften zu unterbinden, kam die Wende mit dem Hambacher Fest. 1832 standen so bezeichnete Vaterlandsund Preßvereine auf und standen ein für Modernisierung und Demokratie. Interessant ist, dass die Pressefreiheit in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts von deren Kritikern u. a. am preußischen Hofe mit der „Preßfrechheit“ tituliert wurden (Goderbauer-Marchner (2008): Die Gedanken sind frei: 119 – 125; Schneider (1966); Nipperdey (1983); Wikipedia-Eintrag zu Lü13 Zukunft der Medien: Qualität und Wahrhaftigkeit genpresse). Im 19. Jahrhundert taucht der Begriff Lügenpresse auf, verbunden mit der Kritik von konservativen Kreisen an der liberalen Presse. Diese hatte durch ihre Berichterstattung das Aufkommen von Revolutionen in der Mitte des 19. Jahrhunderts mit vorangeschoben (Pürer/Raabe (1996)). Der Begriff Lügenpresse verbreitet sich noch stärker im Vorfeld und während des Ersten Weltkrieges. Vor allem zwischen 1914 und 1918 war mit Lügenpresse weniger die inländische Presse, sondern vielmehr die Zeitungslandschaft der ausländischen Feindstaaten gemeint. Während der zweiten Hälfte der Weimarer Republik und mit dem Erstarken der NSDAP verwendeten Goebbels und seine Nazi-Propagandisten den Begriff der Lügenpresse, um vor allem gegen Juden, Kommunisten, Linke und ausländische Feindstaaten zu hetzen. Lügenpresse war ein Kampfterminus geworden, vor allem auch im Zweiten Weltkrieg eingesetzt. Mit dem Ende der Nazi-Herrschaft und mit Beginn der Demokratie in Deutschland taucht der Begriff seltener auf. Einerseits war allseits im Gedächtnis, wie massiv die Nationalsozialisten mit dem Wort gearbeitet hatten, andererseits diente er zum Teil ideologisch dem DDR-Regime, um die Presse im Westen zu diffamieren. Der Begriff im 21. Jahrhundert Aus der Presse sind nicht erst durch die Digitalisierung, aber verstärkt durch die neuen technologischen Möglichkeiten und Ausspielkanäle Medien geworden. Die Dominanz der Printmedien verschiebt sich. Fernsehen ist weiterhin Leitmedium. Nutzer wandern immer mehr ins Internet, wo sie entsprechende Plattformen der guten alten Zeitungen finden. Der Trend geht ins Netz, der Trend geht hin zu Mobile Media. Dennoch: Es taucht nicht ein modernistischer Begriff à la Lügenmedien auf. Nach wie vor wird von der Lügenpresse gesprochen. Gemeint sind aber alle Medien, von Print über Radio zu TV und Online: Nach vereinzelten Verwendungen des Wortes Lügenpresse, um einer Kritik zu bestimmten Artikeln und Themen Ausdruck zu verleihen, kommt der Begriff ganz massiv und überpointiert mit dem Auftauchen der so genannten Pegida-Bewegung und deren diverser Ableger in unterschiedlichen Städten Deutschlands wieder ab 2014 in die breite Öffentlichkeit. Bei Protestmärschen wird das Wort Lügenpresse im Chor gerufen. Die so genannte „Sprachkritische Aktion“, die sich als unabhängig und ungebunden sieht und in deren Jury Autoren oder Professoren u. a. aus den Bereichen der (germanistischen) Linguistik vertreten sind, wählt seit 14 Lügenpresse 1991 alljährlich das „Unwort des Jahres“. Zu diesem Unwort des Jahres 2014 „erhob“ die Organisation Anfang 2015 den Begriff Lügenpresse. In ihrer Pressemitteilung formuliert die Jury, dass die Verwendung des Wortes Lügenpresse perfide eingesetzt werde und Medienkritik nicht möglich sei bei dieser pauschalen Diffamierung (vgl. www.unwortdesjahres.net). Es ist zu mutmaßen, dass den Menschen, die diesen Begriff in der Öffentlichkeit auf ihren Protestmärschen laut hinausrufen, oft nicht klar ist, wie sie selbst manipuliert werden. Die Reaktionen sind – wie immer bei Juryentscheidungen – unterschiedlich. Die Berliner Zeitung spricht dem Wort ab, ein „Begriff“ zu sein – es hätte an Bedeutungsinhalt gefehlt (www.berliner-zeitung.de). Aber – ist es nicht genug an Bedeutungsinhalt, wenn ein Kampfbegriff gegen Medien, gegen Andersdenkende, rassistisch und demagogisch verwendet wird? Die ZEIT berichtet neutral über die Juryentscheidung, bringt im Wesentlichen die Pressemitteilung – und erhält bis zur Schließung der Kommentarmöglichkeit auf ihrer Website 252 Einträge (32 Kommentarseiten), die, wie häufig in anonymen oder mit Nicknames versehenen Kommentaren im Netz zu erleben, einfach strukturierte Stammtischargumentationen wiedergeben (vgl. www.zeit.de/kultur). Bei einer ersten Analyse der Situationen, in denen der Begriff verwendet wird, wird deutlich: Die Menschen lassen hier ihren Frust ab. Sie artikulieren ihre Bedenken gegenüber den Medien, die nicht unabhängig seien, Bedenken gegenüber Medien, die aus ihrer Sicht nicht überparteilich über Ereignisse berichten. Neue Worte wie „unkritische Papageienpresse“ sind im Vergleich zu manch anderen Äußerungen noch harmlos. Die Deutsche Welle DW stellt in ihrem Kommentar eine Verbindung her zwischen Angriffen auf die Demokratie und Pressefreiheit gerade auch nach dem Anschlag auf die französische Satirezeitschrift Charlie Hebdo sowie dem Ansporn für Journalistinnen und Journalisten, noch besser, noch freier, noch kritischer zu recherchieren und zu publizieren (www.dw.de/kommentar). Auf Spiegelonline zeigen zwei Videos vom Dezember 2014 bzw. Januar 2015, wie zum einen bei Pegida-Kundgebungen das Wort „Lügenpresse“ skandiert wird, zum anderen, dass befragte Teilnehmer nicht in der Lage sind oder sein wollen zu erklären, was sie konkret meinen mit „Islamisierung“ oder „Lügenpresse“ (vgl. www.spiegel.de/video). Heute recherchieren Menschen im Internet einerseits via Marken, andererseits via Suchmaschinen. In den allermeisten Fällen erhalten User über die Suchmaschinen-Recherchetools Informationen, die dem, der brei15 Zukunft der Medien: Qualität und Wahrhaftigkeit ten Masse völlig undurchsichtigen Filteralgorithmus der jeweiligen Search Engine unterliegen. Dass sich tatsächlich „die Menschheit“ auf fast nur eine Suchmaschine stürzt und stützt, ist höchst bedenklich für die damit massiv reduzierte Meinungsvielfalt. Allein in Deutschland nutzen (Januar 2015) 94,94 Prozent Google, die zweitmeist genutzte Suchmaschine ist mit lächerlichen 2,43 Prozent Bing, das zu Microsoft gehört, gefolgt von Yahoo (1,69 Prozent) (vgl. http://www.seo-united.de/suchmaschinen.html). Wer Anfang Februar 2015 den Begriff Lügenpresse in der wirtschaftlich erfolgreichsten Suchmaschine Google sucht, erhält mehr als 460.000 Ergebnisse. Bei Bing, das sich selbst nicht als Suchmaschine bezeichnet, sondern eine „Entscheidungsmaschine“ sein will, tauchen 168.000 Einträge auf. Wer bei news.google, der Webseite, die für Google automatisch Nachrichten zusammenstellt, nach dem Wort klickt, wird mit über 10.000 Einträgen konfrontiert. Bei bing.de/news sind es 431 Ergebnisse. Die aktuelle Wucht, mit der die Medien als Lügenpresse bezeichnet werden, ist nicht allein, aber vor allem mit dem Aufkommen von Pegida zu verstehen. Dahinter steht eine Organisation „Patriotischer Europäer gegen die Islamisierung des Abendlandes“, im Herbst 2014 in Dresden mit Protestmärschen an die Öffentlichkeit getreten, dann sehr rasch auch in anderen Städten Deutschlands auf den Straßen, zum Teil mit anderen Namen. In Bonn nennen sich die Protestgruppen Bogida, in Düsseldorf Dügida, in Kassel Kagida, in Berlin Bärgida, in Leipzig Legida, in Bayern Bagida, um nur einige zu nennen. Die Frage für Politik und Gesellschaft ist, ob sich diese Form der Bürgerbewegung nachhaltig trägt. Kirchenvertreter wie Politiker fordern Toleranz gegenüber anderen Kulturen und Religionen ein, aber: Fruchtet dies? Von einigen wird ein gewisses Maß an Verständnis artikuliert für die Proteste. Heizt dies die Pegida-Gruppen an? Haben diverse Gegendemonstrationen eine gesellschaftliche Relevanz? Die lauten Rufe „Lügenpresse“ der Pegida-Anhänger haben den Deutschen Journalistenverband sensibilisiert, wurden doch bei Kundgebungen auch Namen von Journalisten öffentlich an den Pranger gestellt. Der DJV sieht hier eine Bedrohung und hat Ende 2014 mögliche rechtliche Schritte angekündigt (vgl. http://www.mdr.de/sachsen/djv-pegida100.html). Bereits 2010 wurde zum Unwort des Jahres der „Wutbürger“; damals noch in einem anderen Kontext verstanden, vermengen sich 2015 die Wutbürger mit den Lügenpresse-Skandierern. Die Welt schrieb am 5. Januar 2015 von den „Pegida-Wutbürgern“ und deren Nazi-Vokabular (vgl. http:// www.welt.de/politik/deutschland/article136047773/Das-Nazi-Vokabular16 Lügenpresse der-Pegida-Wutbuerger.html) und kritisierte scharf den dort aufgetretenen Journalisten Udo Ulfkotte, dessen Buch „Gekaufte Journalisten“ in dem vielfach kritisierten Verlag Kopp zum Bestseller avancierte. „Gutmenschen“ ist ebenfalls ein Wort, das oft in einem Atemzug mit Lügenpresse genannt wird. Tatsache ist, dass Verschwörungstheorien angeheizt werden. Tatsache ist, dass Bürger mit einem „mulmigen“ Gefühl von Manipulation von einem, der eben auch bei den Medien gewesen ist, einem, der sich selbst auch „outet“ als der, der verwerflich agierte als aktiver Journalist, glauben, Munition zu erhalten für ihre Kritik. Tatsache ist, dass Ulfkotte bei aller ätzender Polemik vieles, was der normale Bürger eben wissen möchte – in welchen Kreisen sich Journalisten bewegen, welche Zirkel Journalisten zu beeinflussen versuchen –, klar und überdeutlich anspricht. Dahinter steckt eine weit verbreitete Medienkritik. Dass die Medien auch Kritik aushalten müssen und sollen, ist eine Binsenweisheit. Oft wird Kritik laut, weil die Betroffenen nicht einverstanden sind mit dem, was über sie, über ihren Konzern, über ihre politische Gruppe publiziert wird. Das müssen Medien aushalten. Das werden sie aushalten, wenn sie korrekt recherchiert und publiziert haben. Warum also erstreckt sich die aktuelle Medienkritik ... nicht allein auf die Boulevardmedien, die immer schon argwöhnisch beäugt wurden (vor Jahrzehnten gingen auch Menschen auf die Straßen, um gegen die BILD und die Springer-Presse zu protestieren), sondern erweitert sich auf die so genannten Qualitätsmedien, auf Spiegel wie Süddeutsche, auf Focus wie Frankfurter Allgemeine (dem früheren Arbeitgeber von Ulfkotte, der die FAZ nun ganz besonders heftig „abwatscht“)? Und warum sind die, die die Medien so massiv kritisieren, ... selten in der Lage, ihre Kritik mit klaren Argumenten zu untermauern, sondern formulieren nebulöse Aspekte der generellen Manipulation oder weigern sich gar, gegenüber Medien zu formulieren, warum sie protestieren? Immer wieder werden zwei Gründe für die Protestbewegungen 2014/2015 genannt: 1. die tief sitzende Angst vor Fremdem, vor Islamisierung im „eigenen“ Lande sowie 2. die einseitigen Medienberichte über Ukraine-Russland seit 2014. 17 Zukunft der Medien: Qualität und Wahrhaftigkeit Im Deutschlandradio wird u. a. der Medienwissenschaftler Bernd Pörksen zitiert, der zu Recht auch von der „ideologischen Radikalisierung“ dieser Medienverdrossenheit spricht (http://www.deutschlandradiokultur.de/luegenpresse-und-co-warum-die-medien-am-pranger-stehen.976. de.html?dram:article_id=313496) . Doch: Medienkritik gab es schon immer. Und oft zu Recht. Erinnert sei an das Geiseldrama von Gladbeck 1988, bei dem Journalisten von Privatsendern sensationslüstern einerseits die Polizei in ihrer Arbeit behinderten und andererseits jegliche Medienethik im Umgang mit Tätern vermissen ließen. Was also ist 2015 anders? Qualität gegen Polemik Lügenpresse wird aus der Terminologie der Medienkritiker so schnell nicht wieder verschwinden. Ein wesentlicher Grund hierfür ist das Internet. Das Internet schafft eine Themenpräsenz wie in den Anfängen des Fernsehens in den 1960ern und 1970ern „Straßenfeger“-Sendungen mit Entertainern wie Kulenkampff oder Peter Alexander sowie heute noch Fußball-Events. Das Internet schafft eine rasche Hysterie bei Themen, bei denen sehr viele aufspringen. Und das Internet schafft ein äußerst rasches Abklingen von Interesse. Der Soziologe Harald Welzer spricht (10.04.2015) von einer „Hysterisierungsschleife“ (http://www.berliner-zeitung.de/kultur/soziologe-harald-welzer-zum-neuen-informationszeitalter--luegenpresse--istnoch-das-geringere-problem,10809150,30397916.html). Ein Thema medial nachhaltig zu besetzen, ist heute schwierig. Wer spricht noch von Rinderwahnsinn? Und doch existiert er. Jeder ist im Netz „kommunikativ“ unterwegs. Die Informationsstränge sind schier ohne Grenzen. Die Informationstransporteure sind gerade nicht in der Mehrheit Journalisten, sondern „Followers“, „Freunde“, Plattformen, deren Inhalte über die Share-Funktion verbreitet werden. Allein die in manchen Kreisen goutierte Relevanz von Russia Today befördert pauschale Kritik an deutschen Medien. Auf Deutsch im Netz verbreitet, hat die Webseite einen enormen Zugriff – und stets Kritik parat gegen Deutschland und seine Verbündete, v. a. die USA. (http://www.rtdeutsch.com/). So mancher Nutzer im Internet weiß nicht, dass sich hinter „RT“ Russia Today verbirgt. Der Sender gehört dem russischen Staat und ist auf dem besten Weg, in vielen Ländern und damit in vielen Sprachen publizistisch aktiv zu sein. Das RT-Nachrichtenmagazin hat den Titel „Der fehlende Part“. Gemeint ist laut Russia Today damit, dass all das, was andere Medien verschweigen, gezeigt werden solle. 18 Lügenpresse Die Sozialen Medien tun ein weiteres, die Viralität von Informationen ungefiltert, unkritisch, unreflektiert zu stärken. Schnell ist geklickt, geteilt und weiterverbreitet, was einen durch flotte Titel oder Kamerabilder anspricht. Das virale Marketing hat längst die Stufe der Produkt- oder Kampagnen-Aufmerksamkeit überschritten und ist in die Domäne des Contents gedrungen. Nicht jeder Content ist ein journalistisches Produkt. Das aber scheint den Usern mehr und mehr unbedeutend zu sein. Bestärkt in seiner Medienkritik und der gefühlten Angst der Manipulation durch Medien, konsumiert der User viel im Netz. Er konsumiert schnell. Er konsumiert bevorzugt Bewegtbilder via YouTube, Videos oder Bilder via Flickr oder Instagram. Im Internet finden sich viele Blogs medienkritischer Autoren und Organisationen, deren Namen sind – wie mmnews.de oder wissensmanufaktur.net – unverdächtig; deren Sprache ist überpointiert, die Argumente werden oft an wirtschaftlichen Aspekten festgezurrt (à la die Banken sind schuld, die Wirtschaftsbosse etc.). Was kann die Medienbranche tun? Den Riesen wie Google das Feld überlassen? Kaum. Wie können User gehalten, neue gewonnen werden? Das, was guten Journalismus schon immer ausgemacht hat: Glaubwürdigkeit, gute Recherche, das aufrechte Bemühen um Objektivität, maximale Transparenz, Wahrhaftigkeit, Offenheit, Unabhängigkeit … (Schütz (2003)). Wenn Journalisten durch den ökonomischen Druck und damit sehenden Auges ihren Qualitätsanspruch einbüßen, werden sie die Verlierer sein. Noch besteht die Chance, in einer Kooperation von Theorie und Praxis die journalistische Qualität zu leben, nicht nur in der Wissenschaft, sondern im Medienalltag. Das hat nichts mit alten oder neuen Medien zu tun. Die Plattform, der Ausspielkanal, das technische Transportmittel ist völlig egal – es geht um die Inhalte. Diese wertig zu kommunizieren, ist die große Aufgabe. In den vergangenen Jahren hat die Wertschätzung gegenüber journalistischen Inhalten in den Medienhäusern selbst nachgelassen. Was ist – vielen – Medien vorzuwerfen? Zu schnelle Veröffentlichungen, angeheizt durch das super schnelle Internet. Zu wenig sauber recherchierte Themen. Leicht zu durchschauende eigene Interessen und damit Manipulation der User anstelle von Fairness, Distanz und Neutralität. Zu großes Durcheinander von Textgattungen, die durch gezielt gestreute Adjektive und Verben die nachrichtlich völlig unbedeutende Meinung des journalistischen Verfassers präsentieren. All dies hatte und hat als Ergebnis: Der User wandte 19 Zukunft der Medien: Qualität und Wahrhaftigkeit und wendet sich ab. Er mag solche Texte, solche Bilder, solche Videos nicht mehr hinnehmen. Medien sind Marken. Es kann ihnen gelingen, wieder Respekt zu erhalten, Image und Achtung zu erfahren, wenn die Qualität und Zuverlässigkeit, die Unverfälschtheit und die Plausibilität der Inhalte nicht nur wachsen, sondern tagtäglich und minütlich bei allen Verbreitungswegen als beständiger Faktor existieren. Ein guter Text, ein guter Videobeitrag darf kein Zufallsprodukt sein. Das gilt für die herkömmlichen Medien wie Print, Radio und TV ebenso wie für die Inhalte im Internet, gerade auch bei den Sozialen Medien (Goderbauer-Marchner/Büsching (2015)). Dort haben sich klassische Medien in der Vergangenheit als reine „Linkschleudern“ erwiesen. Das ist zu wenig. Das schmälert das Ansehen. Hier verliert die Marke. Viele User tummeln sich auf Facebook, Twitter etc. Das muss den Medienmarken zu denken geben. Und Ansporn sein, (auch) dort mit Qualität zu punkten. Das ist kein neuer Vorschlag. Das ist nicht revolutionär. Das kann aber evolutionär sein mit dem Ergebnis, die eigene Existenz nicht zu untergraben und dort, wo offensichtlich eklatante Fehler zu Aufgebrachtheit der User geführt hat, wieder Verbundenheit, wenn nicht gar Sympathie zu erfahren. Denn Fakt ist: Das Internet dominiert, doch die Suche nach Qualität nimmt zu. Das ist die Chance für guten Journalismus. Literatur http://www.berliner-zeitung.de/kultur/soziologe-harald-welzer-zum-neuen-informationszeitalter--luegenpresse--ist-noch-das-geringere-problem,10809150,30397916.html Bonmarius, Christian: Es lebe die „Lügenpresse“!, 13.01.2015, in: http://www.berlinerzeitung.de/kultur/kommentar-zum-unwort-des-jahres-2014-es-lebe-die--luegenpresse--,10809150,29556784.html http://www.deutschlandradiokultur.de/luegenpresse-und-co-warum-die-medien-am-prangerstehen.976.de.html?dram:article_id=313496 Goderbauer-Marchner, Gabriele (2008): Die Gedanken sind frei, in: Reisewitz, Perry (Hg.): Pressefreiheit unter Druck. Gefahren, Fälle, Hintergründe, VS Verlag, Wiesbaden, 119 – 144. Goderbauer-Marchner, Gabriele; Büsching, Thilo (erscheint 2015; in Druck): Social Media Content, utb, Stuttgart. Hofmann, Sarah Judith: „Lügenpresse“ ist zu Recht „Unwort des Jahres“, 13.01.2015, in: http://www. dw.de/kommentar-l%C3%BCgenpresse-ist-zu-recht-unwort-des-jahres/a-18187865 http://www.mdr.de/sachsen/djv-pegida100.html 20 Lügenpresse Nipperdey, Thomas (1983): Deutsche Geschichte 1800 – 1866. Bürgerwelt und starker Staat. München. Pürer, Heinz; Raabe, Johannes (1996): Medien in Deutschland, Bd. 1: Presse, 2. Aufl., Konstanz. o.A.: Unwort des Jahres 2014: „Lügenpresse“, Pressemitteilung vom 13.01.2015, in: http://www. unwortdesjahres.net/fileadmin/unwort/download/pressemitteilung_unwort2014.pdf Russia Today: http://www.rtdeutsch.com/ Schneider, Franz (1966): Pressefreiheit und politische Öffentlichkeit. Studien zur politischen Geschichte Deutschlands bis 1848, Neuwied am Rhein/ Berlin. Schütz, Martin R. (2003): Journalistische Tugenden. Leitplanken einer Standesethik, Westdeutscher Verlag, Wiesbaden. http://www.seo-united.de/suchmaschinen.html http://www.spiegel.de/video/luegenpresse-ist-unwort-des-jahres-video-1548350.html#ref=vee http://www.spiegel.de/video/pegida-demonstration-in-dresden-video-1546529.html#ref=vee Ulfkotte, Udo (2015): Gekaufte Journalisten. Wie Politiker, Geheimdienste und Hochfinanz Deutschlands Massenmedien lenken, Kopp Verlag, Rottenburg a.N. http://www.welt.de/politik/deutschland/article136047773/Das-Nazi-Vokabular-der-Pegida-Wutbuerger.html Wikipedia-Eintrag zu Lügenpresse) http://www.zeit.de/kultur/2015-01/luegenpresse-unwort-des-jahres2014?commentstart=249#comments (Zugriffe alle zwischen 01-04/2015) 21 Fake the World? Über Möglichkeiten, Fotos und Bilder zu fälschen von Franz Tomaschowski T rau keinem Bild, das du nicht selbst gefälscht hast!“ Diese Aussage drückt die Befürchtung aus, dass uns dokumentarische Fotos nach gezielter Veränderung eine Scheinwelt zeigen, die nichts mit der Realität gemein hat. In diesem Beitrag wird dargestellt, welche Möglichkeiten sich für Bildfälschungen anbieten und ob solche Manipulationen für den Betrachter erkennbar sind. Wie hoch ist die Gefahr, dass wir bewusst veränderte Bilder mit der Realität verwechseln? Macht man die Probe auf´s Exempel und recherchiert im Internet – dem Medium der Verschwörungstheoretiker und der kritischen Beobachter – so ergibt sich, dass eigentlich recht wenig Fälschungen bekannt sind im Vergleich zu den nahezu unzähligen dokumentarischen Fotos. Presse- und Bildagenturen verbürgen sich für originale Aufnahmen, in denen nichts verändert wurde. Dies ist ein deutlicher Widerspruch gegenüber der Befürchtung, dass wir durch veränderte Bildwelten manipuliert werden können. Dafür bieten sich zwei Erklärungen an: Entweder sind die Nachbearbeiter oder Bildfälscher so unglaublich gut und perfekt, dass die meisten Eingriffe nicht bemerkt werden, oder es lohnt sich nicht, Bilder zu fälschen. Vielleicht existieren geeignetere Möglichkeiten, die objektive Realität zu verändern, zu biegen, zu dehnen oder ins Gegenteil zu verkehren. Was genau ist ein Fake oder eine Fälschung? Die Definition in Wikipedia lautet: “Eine Fälschung ist die bewusste Herstellung eines Objektes oder einer Information zur Täuschung Dritter. (…) Eine besondere Form der Fälschung ist die Verfälschung, dafür wird ein legales Objekt durch unberechtigte Änderung für einen illegalen Zweck umgestaltet.“1 Im Bereich der Fotografie werden häufig Fälschung und Verfälschung gleichgesetzt. 22 Fake the World? Über Möglichkeiten, Fotos und Bilder zu fälschen Ergänzend sollte diese Definition um die beiden folgenden Punkte erweitert werden: Die Täuschungsabsicht ist der Gradmesser dafür, ob es sich um eine Fälschung oder ein Kunstwerk handelt. Werden einem Bild Elemente hinzugefügt, entfernt oder wird es verändert, ist es eindeutig gefälscht. Eine exakte Grenze zu ziehen ist problematisch, denn in der Fotografie ist es von Anbeginn üblich, dass Unsauberkeiten wie beispielsweise Pickel, Mitesser und andere Verunreinigungen sowie Staub und Kratzer entfernt werden. Das „Retuschieren“ von Fotos ist ein üblicher Arbeitsschritt, auch in den großen Pressebildagenturen, denn es dient dazu, das Aussehen des jeweiligen Bildes zu verbessern. Ge-photohopped2 Mitunter stellt der Betrachter fest, dass ein Foto nicht der Realität entspricht: die abgebildete Katze wirkt zu plump, das Portrait ist zu schlank, ein Kleidungsstück Abb. 1: Ein Boot an einem Ort ohne Wasser. Links das Bild, wie es aus der Kamera ist zu bunt. Das kommt, rechts die Überarbeitung, die zeigt, wie die Szene ausgesehen hat. (Fotos: Bild entspricht Tomaschowski) also nicht dem, wie sich der Betrachter die Realität vorstellt. Schnell wird dann abfällig das Foto als gephotoshopped² abgetan und die Empfehlung ausgesprochen, die Fotos so zu nehmen, wie sie aus der Kamera oder dem Smartphone kommen – so wie damals in der Vorcomputerzeit. Die damals aufgenommen Bilder wurden in ein Fotolabor gebracht und dort von Fachkräften entwickelt. Beim Vergleich zwischen den analogen und digitalen Entwicklungsprozessen sieht man, dass die Abläufe weitgehend identisch sind: Ein Motiv wird zunächst abgelichtet. Es entsteht das Rohmaterial in Form eines Filmbildes (Negativ oder Dia) oder einer RAW-Datei. Sämtliche Bild23 Zukunft der Medien: Qualität und Wahrhaftigkeit informationen, die während der Aufnahme verfügbar waren, sind darin enthalten. Daher ist das Rohmaterial noch nicht verwertbar. Es muss für das jeweils gewünschte Ausgabemedium (Abzug, Poster, Internetbild....) eigens aufbereitet werden. Helligkeit, Kontrast, Farbstich, Objektivverzerrungen, Schärfe und das Seitenverhältnis werden für das jeweilige Medium angepasst, für den jeweiligen Verwendungszweck optimiert. Das aufgenommene Bild wird also gezielt verändert mit dem Zweck einer optimalen Darstellung. Jeder Entwicklungsprozess beinhaltet, dass sich die technische Qualität des Bildes mehr oder weniger stark verschlechtert. Für einen solchen Entwicklungsprozess stehen zwei Wege zur Verfügung. Bei einer einfachen Digitalkamera/Smartphone/Tablet-PC/Webcam oder bei der Entwicklung eines Diafilmes wird das endgültige Bild automatisch erzeugt. Dieser Ablauf lässt sich nicht beeinflussen. Diese Entwicklungsprozesse werden in einem Großlabor oder mittels einer Software automatisiert durchgeführt. Die so entstandenen Ergebnisse sind oft nicht optimal, da in einem automatisch ablaufenden Prozess besondere Gegebenheiten (Lichtverhältnisse) nicht berücksichtigt werden können. Der Fotograf muss in der Lage sein, sich das Endergebnis schon während der Aufnahme vorstellen zu können. Kann man in der Dämmerung eine Mondsichel sehen? …fragt Christian Sinn aus Siegen. Diese Woche ist keine ganz übliche Leserfrage der Anlass für diese Kolumne. Christian Sinn kennt die Antwort schon – deshalb war er auch so empört, als er in der ZEIT Nr. 52/11 im Ressort Glauben und Zweifeln das idyllische Foto einer Kirche in der Nähe des bayerischen Ortes Raisting sah. Sinn schätzte aufgrund der Lichtverhältnisse die Zeit auf 16.30 Uhr. „In der Tat geht der Mond im Dezember im Nordosten auf“, schreibt er, „aber als Vollmond!“ Es stimmt, wir haben es versäumt, das Bild des Fotografen Edmund Nägele mit einem [M] zu kennzeichnen – das ist in der Fotobranche das Kürzel dafür, dass das Bild bearbeitet worden ist. Und in diesem Fall hat der Fotograf nicht auf astronomische Korrektheit Wert gelegt, sondern hauptsächlich auf die Stimmung. Abb. 2: An der Mondsichel erkannten Leser der ZEIT, dass dieses Bild eine Montage ist (Fotograf: Edmund Nägele). In der Ausgabe vom 31.12.2011 gab es eine Richtigstellung der Redaktion (Text rechts). 24 Fake the World? Über Möglichkeiten, Fotos und Bilder zu fälschen Sollten dennoch Korrekturen der so entstandenen Bilder notwendig werden, steht der zweite Weg, der für ein Negativ oder eine RAW– Datei beschritten wird, zur Verfügung. Bei einer Bildvergrößerung in einem Fachlabor oder der individuellen elektronischen Bildbearbeitung wird jedes Bild individuell Abb. 3: Originalfoto der Kapelle aus Raisting (Fotograf: Herbert Kehrer) bearbeitet. Ob dieser Prozess in der Dunkelkammer durchgeführt wird, wo man mittels Säure- und Laugenbädern einen Abzug erstellt und ständig gegen Staubkörner und Kratzer kämpft, oder ob dieser Prozess am Computer erfolgt, wo es sogar eine Warmhalteplatte für Kaffeetassen gibt, ist lediglich eine Stilfrage. Nach welchen Kriterien kann ein so entwickeltes Bild beurteilt werden? Neben den technischen Kriterien sind die gestalterischen Fähigkeiten von entscheidender Bedeutung für das Ergebnis. Ein individueller Entwicklungsprozess ist gleichzeitig ein künstlerisch-kreativer Prozess, weil die vorliegende Aufnahme interpretiert wird, ähnlich einer Theater- oder Musikaufführung. Jeder Fotograf oder Laborassistent verfügt über seinen ganz eigenen persönlichen Stil (Look). Möglichkeiten der Manipulation Wenn in ein bestehendes Bild ein Teil aus einem anderen Bild eingefügt wird, so muss die Bildstruktur zwischen einem originalen Bild und dem eingefügten Bild absolut identisch sein. Sonst wird die Fotomontage sofort erkannt. Dazu zählen unter anderem: Beleuchtung, Tageszeit, Perspektive. Wenn wir ein Bild betrachten, vergleichen wir Inhalt, Struktur und Aufbau mit sämtlichen Seheindrücken, die wir jemals wahrgenommen haben. Dies läuft unbewusst in einer recht kurzen Zeitspanne ab. Das Ergebnis ist sofort präsent: Wir haben ein eindeutiges Gefühl: das betrachtete Bild ist in Ordnung oder es stimmt etwas damit nicht. Da diese Art der Bildanalyse sehr schnell abläuft, können wir die Fehler zunächst nicht genau benennen. Für Details müssen wir uns mit dem jeweiligen Bild intensiv auseinandersetzen. 25 Zukunft der Medien: Qualität und Wahrhaftigkeit So hatte 2011 zur Jahreswende die Zeitschrift „Die Zeit“ ein Bild des Fotografen Herrn Nägele veröffentlicht. Es fehlte bei der Bildunterschrift versehentlich der Buchstabe „M“, um das Bild als Montage zu kennzeichnen. So entstand eine lebhafte Diskussion unter Lesern, was an diesem Bild nicht stimmt. Als ein Kenner der abgebildeten Kirche nachwies, dass die Position des Mondes zu dieser Jahreszeit nicht stimmt, griff die Redaktion ein und klärte den Sachverhalt auf. Schaut man das Bild im Nachhinein an, so erkennt man sofort verschiedene Elemente, die als Manipulation ins Auge springen, wie z. B. die Größe des Weihnachtsbaumes. Dies ist ein typischer Effekt, man erkennt, dass das Bild nicht stimmt, weiß jedoch zunächst nicht, um welches Element es sich handelt. Oder anders ausgedrückt: Man sieht den Wald vor lauter Bäumen nicht. Auf der Suche nach der perfekten Fälschung Ist es möglich, ein Bild so zu fälschen, dass dies vom Betrachter nicht erkannt wird? Die Möglichkeit der unerkannten Fälschung ist beängstigend, denn wir können womöglich nicht zwischen objektiver Realität und individueller Phantasie unterscheiden. Dokumentarbilder und -filme würden als völlig unglaubwürdig gelten und ihre Bedeutung verlieren. Die Zeitschrift „Docma“, von Doc Baumann herausgegeben, veranstaltete im Jahr 2010 einen Wettbewerb zu dieser Frage. Abb. 4: „Telefonzelle“ von Thorsten Thees, Siegerbild des Docma Award von 2010. (Quelle: https://tillut.wordpress.com) 26 Abb. 5: Eine Originaltelefonzelle von „Vodaphone“ aus Tschechien. (F: Tomaschowski) Fake the World? Über Möglichkeiten, Fotos und Bilder zu fälschen Es wurden Bilder gesucht, die die Realität verfälscht (gefaked²) wiedergeben, in denen aber die Manipulation nicht erkennbar ist. In der Jury befanden sich neben Künstlern und Bildbearbeitungsspezialisten auch Kriminalisten. Die Einreichung von Thorsten Thees3, die den Siegertitel erhielt, ist überraschend. Es zeigt eine unspektakuläre Szene in einer Bahnhofsumgebung. Zwei Telefonzellen sind die beiden Hauptelemente. Wir sehen eine ganz normale und typische Straßenszene. Schnell möchte man sich von diesem Bild abwenden, denn es ist nichts Sensationelles zu sehen. Und genau dies ist der Trick für eine Fälschung, die kaum entdeckt wird. Mitten im Bild, befindet sich eine Telefonzelle von der Firma „Vodaphone“! Eine solche Telefonzelle gibt es in unserem Land nicht. Eine offensichtliche Fotomontage. Unauffälligkeit ist eins der wichtigsten Kriterien für perfekte Fälschungen. Erst wenn das Element, das gefälscht werden soll, nicht auffällt, bleibt die Manipulation unerkannt. Diese Einschränkung macht das Fälschen von Bildern sehr unattraktiv. Das Verhältnis zwischen dem Aufwand und der dabei zu erzielenden Wirkung ist meist nicht lohnenswert. Die offensichtliche Fälschung Im November 2014 wurde eine vermeintliche Satel l itenau fnahme, die den Abschuss des Passagierf lugzeuges MH17 über der Ukraine zeigt, veröf- Abb. 6: Die Gegenüberstellung vom Original (links) und Fälschung (rechts). Links Kartenausschnitt, der in Google Earth bereits am 28.8.2012 veröffentlicht fentlicht. Noch der wurde, rechts die offensichtliche Fälschung, die dokumentierten soll, wie sich die bevor die Welt- Tragödie ereignet haben könnte. Es ist ein Satellitenbild vom 17.7.2014, 16:00 Uhr öf fentlich keit Ortszeit. Deutlich erkennbar ist, dass die Felder in beiden Bildern identisch sind. so richtig das Das Flugzeug wurde nachträglich hinzugefügt. (Quelle: www.bellingcat.com) Foto wahrnahm, wurde deutlich, dass dieses Bild eine offensichtliche Fälschung darstellt4. Das Foto verschwand aus der öffentlichen Wahrnehmung. Die Tatsache, dass die Ursache des Absturzes immer noch ungeklärt ist, und dass es eventuell noch Fotos von dieser Tragödie geben könnte, war wieder in 27 Zukunft der Medien: Qualität und Wahrhaftigkeit das Bewusstsein der Öffentlichkeit gerückt. Dies ist ein Beispiel, wie offensichtlich falsche Fotos eine Funktion innehaben können. Eine Liveaufnahme wird zum Fake In Tschechien beispielsweise gehören von Privatfirmen betriebene Telefonzellen zum alltäglichen Straßenbild. Diese Information, die der Realität entspricht, ist so unbedeutend wie Telefonzellen von Vodaphone. Insofern ist es völlig unerheblich, ob das Foto gefälscht ist oder nicht. Die eigenen Vorstellungen von der Realität gepaart mit Emotionen sind entscheidend für die Auseinandersetzung mit einem bestimmten Bild. Nur mit einer solchen persönlichen Verbindung ragt es aus der täglichen Bilderflut heraus. Das Bild „Hybrid Solar 2“ von Eugen Kamenew ist eine Fotografie. Es wurde zum Siegerbild des Wettbewerbs „Astronomy Photographer of the Year“5 im Jahr 2014 gekürt. Dieses Bild rief eine lebhafte Diskussion hervor, denn es entstand der Vorwurf, dass es eine Fotomontage sei. Hauptsächlich die drei folgenden Beweggründe führten zu diesem Vorwurf: persönlicher Frust: Die abgebildete Sonnenfinsternis fand in Kenia statt. Eine Gruppe von Fotografen, die extra dafür angereist waren, hatte das Pech, dass der Himmel vollständig bedeckt war. eigene Fotografieerfahrung: Mit einem Teleobjektiv hat schon fast jeder, der eine Kamera besitzt, fotografiert. Aufgrund dieser Erfahrung ist es unvorstellbar, dass die Größenverhältnisse stimmen. Die Sonne ist im Vergleich zum Fotomodell viel zu groß Timing: Eine Sonnenfinsternis ist nur in einer sehr kurzen Zeitspanne sichtbar. Wie ist es möglich, dass das Fotomodell eine so perfekte Position einnimmt? Ist das Foto echt oder ein Fake? Der Fotograf Eugen Kamenew6 war mit einer russischen Forschergruppe in Kenia unterwegs. Sie waren einige hundert Kilometer von der Reisegruppe entfernt und hatten das Glück, dass der Himmel klar sichtbar und wolkenlos war. Es wurde ein Objektiv mit einer Brennweite von 700 mm benutzt. Dadurch ergeben sich Größenverhältnisse wie auf dem Foto. Der Abstand zwischen Fels und Aufnahmestandort betrug ca. 1000 Meter. Aufgrund dieser großen Entfernung war eine absolut exakte Ausrichtung zwischen Kamera und Fotomodell notwendig. Dafür allein wurden fünf Stunden benötigt. Dies war notwendig, denn das Zeitfenster für die Aufnahme betrug 28 Fake the World? Über Möglichkeiten, Fotos und Bilder zu fälschen Abb. 7: „Hybrid Solar 2“ von Eugen Kamenew, Gewinnerbild des Fotowettbewerbs „Astronomy Photographer of the Year“. Abb. 8: Auf der Flickr-Präsenz von Eugen Kamenew von Oktober 2014. lediglich 15 Sekunden. Ein Wiederholen der Aufnahme ist nicht möglich. Die Vorbereitungen für dieses Shooting begannen ein Jahr vor der Sonnenfinsternis. So erklärt es sich, dass dieses Bild aufgrund seiner Einmaligkeit kritisch hinterfragt wird. Letzte Zweifel, ob das Foto eine reale Aufnahme oder ein künstlich entstandenes Bild ist, zerstreuen sich aufgrund der Veröffentlichung von mehreren ähnlichen Fotos aus dem gleichen Shooting auf Flickr7. Durch die Bilder der Serie ist jeder Zweifel einer Manipulation ausgeschlossen. Fazit Direkte Eingriffe in ein Foto mit gezielter Veränderung von Bildelementen sind in der dokumentarischen Fotografie sehr aufwendig. Die Gefahr, dass eine Manipulation entdeckt wird, ist recht hoch. Daher lohnt es sich in den seltensten Fällen, Bilder zu manipulieren. Zumal es auch andere, wesentlich wirkungsvollere Möglichkeiten gibt, ein dokumentarisches Bild so anzulegen, dass es genau die Aussage zeigt, die gewünscht ist. Quellen und Anmerkungen 1 http://de.wikipedia.org/wiki/Fälschung, 10.12.2014 2 Diese für einen Linguisten seltsamen Wörter stammen aus der in den neunziger Jahren des letzten Jahrhunderts neu entstandenen Sprache: Denglisch. Hier werden englische Wörter mit der deutschen Grammatik so verbunden, dass sie sich deutschsprachig anhören. 29 Zukunft der Medien: Qualität und Wahrhaftigkeit 3 http://thorstenthees.de 4 Deckte als Erster die Bildfälschung auf: https://www.bellingcat.com/news/2014/11/14/russianstate-television-shares-fake-images-of-mh17-being-attacked/?PageSpeed=noscript – 16.12.2014. Siehe unter anderem: http://www.reuters.com/article/2014/11/15/us-ukraine-crisis-mh17images-idUSKCN0IZ0EU20141115– 16.12.2014, http://www.heise.de/tp/artikel/43/43335/1. html#43335_3 – 16.12.2014, http://www.spiegel.de/panorama/mh17-gefaelschtes-satellitenbildgeht-um-die-welt-a-1003379.html – 16.12.2014 5 „Hybrid Solar 2“ von Eugen Kamenew gewann den Fotowettbewerb „Astronomy Photographer of the Year“ 2014. Veranstalter sind das „Royal Museums Greenwich“ und „BBC Sky at Night“. 6 Weitere Infos über den Fotografen Eugen Kamenew finden Sie unter: Interview zur Enstehungsgeschichte von „Hybrid Solar 2“: http://www.heise.de/foto/artikel/Interview-mit-AstroFotograf-Eugen-Kamenew-2405084.html. Videointerview zu seiner Arbeitsweise: http://l. facebook.com/l/yAQGTkj7OAQEEweB6IM_zD_bMNmvOE-6GaGegp_pDFmpoUw, www.netzwelt. de/videos/17942-netzwelt-live-astrofotografie-interview-eugen-kamenew.html 7 https://www.flickr.com/photos/65100187@N05 30 „Böse Lügen und nette Märchen“ – Deutschrock als rechte Grauzone im Musikjournalismus von Rainer Sontheimer D er aktuelle Diskurs um „Tag ihr Lügner, ihr wisst schon die Südtiroler Rockband wen ich meine, ich mein die Frei.Wild mit der zentralen Frage, ob, und wenn ja, wie Medien, die großen wie die klei„rechts“ deren Mitglieder und nen. Wir war‘n euch wohl nicht Fans sind, markiert bislang eiglatt genug, ihr könnt uns nicht nen neuen Höhepunkt einer geversteh‘n.“ sellschaftspolitischen und mu(Böhse Onkelz, sikjournalistischen Debatte, die 1990, 10 Jahre) bereits vor über 30 Jahren begonnen hat. Links 2,3,4! Denn mit dem Aufstieg der Böhsen Onkelz in den 1980er Jahren wurde erstmals eine „Sie wollen mein Herz am rechten breite Diskussion in den FeuilFleck, doch seh ich dann nach letons und in der Medienlandunten weg, dann schlägt es links!“ schaft ausgelöst, die nicht nur auf den musikalischen Stellen(Rammstein, 2001, wert dieser damals neuen Art Links 2, 3, 4) von Deutschrock abzielte, sondern auch eine politische Frage über den Umgang mit Rechtsradikalismus in der Musik beinhaltete. Diese Diskussion hält bis heute nicht nur an, sondern verschärft sich stetig im Kontext eines immer weiter gefassten Verständnisses dessen, was als „Rechts“ gilt. Dadurch wird nahezu jede deutsche Rockband schnell unter einen rechten Generalverdacht gestellt, insbesondere dann, wenn die Bands aus dem Skinhead-, Hooligan- oder Ultramilieu kommen, wo die Zuordnung zum rechten oder linken Spektrum aufgrund der oftmals ähn31 Zukunft der Medien: Qualität und Wahrhaftigkeit lichen optischen Erscheinung, der textlichen Gemeinsamkeiten oder des gleichen musikalischen Stils nicht auf den ersten Blick sichtbar wird. Ob Aushängeschilder wie die Böhsen Onkelz, Rammstein und Frei.Wild oder Bands wie die Krawallbrüder, Betontod, Störte.Priester, Hassliebe, Broilers, Wilde Flammen, Serum 114, Die BoNKERS, Toxpack oder Goitzsche Front, die Deutschrock-Szene ist bunt gemischt, pflegt untereinander große Solidarität oder Abneigung (je nach Herkunft und politischem Spektrum) und es ist für den Laien, Journalisten oder Hörer oftmals schwierig zu erkennen, ob es sich um eine rechte, linke oder politisch neutrale Band handelt. Waren in den 1980er Jahren Punkbands des linksradikalen Spektrums wie Slime oder Daily Terror politisch eindeutig identifizierbar, entstand mit den Böhsen Onkelz ein auf den ersten Blick bzw. ersten Ton quasi „rechter“ Gegenentwurf, der die Skinheadszene – die einst aus dem linkspolitischen Milieu entstand – ebenso spaltete wie den Musikjournalismus. Wie sollte man über diese Band berichten? Darf man überhaupt über eine „rechte“ Band schreiben? Ist man selber „rechts“, wenn man so eine Band nur nach musikalischen Gesichtspunkten analysiert? Wie soll man die Fans einer solchen Band einordnen? Alles Nazis? Unaufgeklärte Hooligans? Dumpfe Patrioten? Und zuletzt natürlich: Ist die Band wirklich „rechts“ und wenn ja, wie „rechts“? Etwas, gemäßigt, radikal oder extrem? Diese Fragen ziehen sich bis heute durch den (Musik-)Journalismus, wenngleich nicht mehr nur in Bezug auf die Böhsen Onkelz, sondern dank ihrer Popularität und diversen Skandalen (wie beispielsweise die zurückgezogene Echo-Nominierung) aktuell vor allem auf die Südtiroler Band Frei.Wild. Spannend an diesen Diskussionen ist allerdings weniger die Frage, ob die Bands wirklich „rechts“ waren oder sind, sondern die Komplexität, die sich hinter dem Schlagwort „rechts“ verbirgt. Denn selten wird in der medialen Berichterstattung das „Rechts-Sein“ definiert, noch werden die Hintergründe beleuchtet, warum die Bands Texte verfassen, die als „rechts“ interpretiert werden könnten. Ebenso wird selten erklärt, warum einzelne Textpassagen automatisch auf eine grundsätzlich „rechte“ Gesinnung der Band und Fans schließen lassen, wie es Kommentatoren häufig und ohne Differenzierung annehmen. Leider finden sich Debatten über diese Fragen eher in den Kommentarspalten der Online-Zeitungen oder in den sozialen Netzwerken wie Facebook, als in der Berichterstattung selbst. Der Beitrag will daher der Frage nachgehen, warum der journalistische Umgang mit „rechten“ oder genauer: scheinbar „rechten“ Bands so schwierig ist und wo die Probleme in der 32 Deutschrock als rechte Grauzone im Musikjournalismus Analyse der Musiktexte liegen. Aus einer mediensoziologischen Sicht gilt es ebenfalls zu erörtern, in welchem gesellschaftlichen Kontext sich der (Musik-)Journalismus heute befindet und welche Auswirkungen dies auf die Berichterstattung hat. Schlagzeile groß, Hirn zu klein? Finde die Wahrheit! Ob die Partei Alternative für Deutschland, die Pegida-Bewegung, der Gaucho-Tanz unserer Fußballweltmeister 2014 am Brandenburger Tor oder Deutschrockbands wie Frei. Wild, jeder, der heute mit Patri„Ach wisst ihr was mich wirklich otismus, Nationalstolz oder dem Begriff „Heimat“ in irgendeiner ankotzt und ich bis heute nicht Weise kokettiert, muss damit versteh? Die Welt im deutschrechnen, reflexartig öffentlich sprachigen Raum hat mit sich und auf allen medialen Kanäselbst ein Mordsproblem. Weltlen einer ausgiebigen Analyse offen und gerecht und für jeden verschiedener Akteure – von hier stünde die Freiheit ganz weit Antifa bis hin zur katholischen Kirche – auf seine „rechten“ Inoben, doch wenn man zweimal tentionen unterzogen zu werschaut und nach dem Maulkorb den. Unabhängig davon, ob der greift, dann werden wir alle hier Akteur überhaupt (rechts-)polibelogen. Manipuliert, regiert von tisch agiert (wie beispielsweise vielen Schreibernarren, mit blutdie Fußballweltmeister), kreisen roter Tinte lenken sie hier den die Diskussionen in den Medien Karren und auch ein grüner Käse aber nur selten um die thematisierten bzw. besungenen Inhalte, überschwemmt das Land, erdie Bedeutung der Begriffe oder stickt die Stimme aus der Mitte. um die gesellschaftspolitische Denn was nicht links ist, das ist Relevanz der Themen, sondern rechts, habt ihr es erkannt?“ nahezu nur um die Frage, ob der Akteur und seine Anhänger(Freiwild, 2013b, schar nun wirklich rechts sind. Zeig große Eier Aufgrund der deutschen Verund Ihnen den Arsch) gangenheit ist dieser „Kampf gegen Rechts“ natürlich nicht nur notwendig, sondern eine moralische und demokratische Pflicht, weswegen jede Diskussion über „rechte“ Phänomene immer zu begrüßen ist. Doch 33 Zukunft der Medien: Qualität und Wahrhaftigkeit gerade die Wichtigkeit und Ernsthaftigkeit dieser Diskussionen werden heute durch eine beinahe hysterische Hetzjagd nach „rechten“ Akteuren – ob in den Medien, im Internet oder auf der Straße – untergraben. Sind die Bemühungen gegen „Rechts“ grundsätzlich als positiv zu bezeichnen, erzeugen sie in ihrer hysterischen Weise leicht Trotzreaktionen, die die Fronten eher verhärten, als abbauen und so eine konstruktive Auseinandersetzung über das Thema verhindern; insbesondere dann, wenn sich der Betroffene in keiner Weise als „Rechter“ fühlt oder nicht weiß, warum er sich überhaupt gegen den „Rechts“-Vorwurf rechtfertigen muss. Die Frankfurter Zeitung widmete diesem Problem jüngst einen ausführlichen Artikel, der sich kritisch mit dieser „Rechts-Hysterie“ beschäftigt: „Oft heißt es, Deutschland sei das Volk der Frührentner, der Schadenfrohen, der Besserwisser. Alles Unsinn. Es ist ein Volk von Antifaschisten oder vielleicht besser: der Gegen-Rechts-Aktivisten. Denn Rechts heißt das Zauber-, Schmäh- und Schlusswort schlechthin. Mehr muss man gar nicht sagen und auch nicht wissen. Rechts? Alles klar. Sattelt die Pferde!“ (Günther 2013). Indem alles, was nicht explizit „links“ ist schnell als „rechts“ diffamiert wird, wird eine Auseinandersetzung mit kritischen Inhalten nicht nur verhindert, sondern es wird völlig unklar, was überhaupt eine reale „rechte“ Bedrohung darstellt. Und je hysterischer diese Debatte geführt wird, umso abenteuerlicher werden die Vorwürfe, wodurch die Grenzziehungen zwischen alltäglichem Rassismus, extremen Ausländerhass und falschen Verdächtigungen immer stärker verschwimmen. Als Paradebeispiel kann hier die Wetten, dass…?- Sendung vom Dezember 2013 in Augsburg genannt werden. Im Rahmen der Saalwette sollten mindestens 25 Paare als Jim Knopf und Lukas der Lokomotivführer auf die Bühne kommen. Da Jim Knopf bekanntermaßen „schwarz“ ist, rief Markus Lanz die Zuschauer auf, sich mit Schuhcreme oder Kohle anzumalen. Daraufhin folgte eine Welle der Empörung in den Social Media, da das ZDF offensichtlich zum sog. Blackfacing aufgerufen habe; eine Tradition aus dem 19. Jahrhundert, die in der Tat als rassistisch zu bewerten ist, da damit schwarze Menschen veralbert und stereotypisiert dargestellt werden sollten. Diese Intention kann im Falle der Saalwette in der Geburtsstadt der Puppenkiste allerdings kaum angenommen werden und wurde vom ZDF umgehend massiv dementiert, was die Empörung im Netz aber nicht minderte. (vgl. Álvarez 2013) Gerade Vorwürfe dieser übertriebenen Art sind es, die Diskussionen über „rechts“ heute so erschweren, da nicht mehr die Motivation eines 34 Deutschrock als rechte Grauzone im Musikjournalismus Akteurs, seine Hintergründe oder Intentionen betrachtet werden, sondern allein die Performance, losgelöst von Kontexten oder Hintergründen. Ohne Fan von Parteien wie der AfD, von Pegida oder Frei.Wild zu sein, stellen sich aus einer mediensoziologischen Sicht daher die Fragen, warum in den Medien oder auf den Social-Media-Plattformen meist nur dieses einfache Erkenntnisinteresse der rechten Gesinnung ohne Analyse der Umstände besteht und zum anderen, warum die Berichterstattung häufig in einer Oberflächlichkeit und Zusammenhangslosigkeit betrieben wird, die jedem journalistischen Ethos frontal entgegenläuft. Denn aus dem Komplex verzerrter Berichterstattung, häufig gepaart mit Polemik, falschen Vorurteilen und Pauschalisierungen entsteht auf Seiten der Beschuldigten konsequenterweise eine Ablehnung, die, wie zuletzt auf Seiten der Pegida, im Vorwurf der „Lügenpresse“ enden kann. „Merkt ihr nicht was geht, ihr dummen Feindbildjäger? Fehlerfreie Besserwisser, ewige Ankläger. Nazikeule raus und drauf geschlagen, sofort verurteilen, gar nicht fragen. Für die Quote gegen Absatzschwäche scheißt ihr auf die Wahrheit und auf Grundgesetze.“ (Frei.Wild, 2013a, Schlagzeile groß, Hirn zu klein) Vor allem die großen Magazine wie der Spiegel, der Focus oder die Zeit glänzen immer wieder im negativen Sinne bei der Berichterstattung über Frei.Wild oder die Böhsen Onkelz mit einer ideologisch verzerrten und schlichtweg falschen Darstellung der Bands bzw. Texte. Bei Musikern und den Fans ist der Interviewboykott daher meist das erste Mittel, mit dem man sich gegen die Medien positioniert. Im Falle der Böhsen Onkelz war es zudem die Verweigerung, Pressevertreter zu den Comeback-Konzerten 2014 am Hockenheimring einzuladen. Die Geschichte der Onkelz und ihr Umgang mit den Medien sind dabei exemplarisch für die Komplexität der o.g. Fragen und soll daher kurz erzählt werden. Keine Amnestie für MTV! Über den Vorwurf der „Lügenpresse“ der Pegida gegenüber den Medien können Fans der Böhsen Onkelz heute beinahe nur lachen aufgrund der kontinuierlichen medialen Hetze in den vergangenen drei Jahrzehnten. Ob vor einer neuen Tournee, bei einer Albumveröffentlichung oder einer Preisverleihung, kein Ereignis blieb von den Medien kritisch unkommentiert mit dem steten Hinweis, dass die Onkelz und ihre Fans doch „rechts“ seien. Grund für diesen Vorwurf waren die am Anfang der 1980er erschienen Lieder „Türken raus“, „Deutschland den Deutschen“, „Stolz und Deutschland“ 35 Zukunft der Medien: Qualität und Wahrhaftigkeit oder „Bomberpilot“ sowie ihre damalige Nähe zur rechten Skinheadszene. Bereits Mitte der 1980er begannen sich die Onkelz von der Szene und ihrer rechten Vergangenheit massiv zu distanzieren, in dem keine weiteren Lieder dieser Art mehr geschrieben und diese Lieder bei Konzerten nicht mehr gespielt wurden; eine Aufgabe, die bis heute und mit einer Vielzahl an Aktionen gegen „Rechts“ andauert und noch immer für die meisten Diskussionen unter Fans und in den Medien sorgt. Auch die Fernsehstationen – im Besonderen die Musiksender „Die Industrie und ihre Helfer MTV und Viva – nahmen sich verkaufen euch für dumm. gegen Ende der 1990er Jahre den Sie servieren und ihr rührt die mittlerweile extrem erfolgreiScheiße um.“ chen Onkelz an, allerdings weniger um aufzuklären, sondern (Böhse Onkelz, 2002, um die Band sowie deren Fans Keine Amnestie für MTV) zu diffamieren. Für die Musiksender war der Umgang mit den Onkelz seit jeher problematisch: Weder wollte man die Videos der Band aufgrund der scheinbar „rechten“ Gesinnung zeigen, noch konnte man den Zuschauern die Onkelz aber vorenthalten, da sie, trotz allen Verzichts auf Werbung in den Medien, mit jedem neuen Album die Charts stürmten. Der Streit mit MTV fand seinen Höhepunkt schließlich in dem Lied „Keine Amnestie für MTV“ und endete mit einer Guerilla-Aktion der Band in München, wo die Onkelz 150 kaputte Fernseher als Symbol der maroden und gestörten Fernsehwelt auf den Marienplatz kippten. Vorausgegangen war eine MTV-Dokumentation über die Band, die bis heute als Paradebeispiel für Manipulation und falscher Darstellung von Fakten angesehen werden kann. In einem Statement der Onkelz zu dem Song und der Guerilla-Aktion heißt es hierzu: „Im Juli strahlt der Fernsehsender MTV die lang erwartete MTV Masters Dokumentation über die Böhsen Onkelz aus und setzt damit neue Maßstäbe des Opportunismus. Der persischen Redakteurin Leyla Piedayesch entzieht man zwei Tage vor Fertigstellung die komplette Kontrolle über den Beitrag. Das eigens für die Ausstrahlung geführte Interview mit Frau Dr. Lill, der Ausländerbeauftragten des Landes Bremen, wird rausgeschnitten. Stattdessen interviewt man die Ärzte, den Regisseur eines Skinheadfilms und ein NPD Mitglied. Alle eindeutigen Statements der Onkelz zu ihrer Historie, die man vom Tourmaterial 2000 zusammengeschnitten hat, werden durch die Off-Moderation von MTV als unglaubwürdig hinge36 Deutschrock als rechte Grauzone im Musikjournalismus stellt. Die Redakteurin Leyla Piedayesh weigert sich, den Beitrag mit ihrem Namen abzuzeichnen, weil er in ihren Augen nicht die Wahrheit zeigt und nicht das wiedergibt, was sie in ihrer einjährigen Recherche herausgefunden hat. Die Programmleitung erhält nach der Ausstrahlung eine E-MailFlut von empörten Onkelz-Fans, die vom Sender mit einer Standard-Antwort-E-Mail abgeschmettert werden“ (Böhse Onkelz, o.J.). Um kein positives Bild der Onkelz zeigen zu müssen, wurden in dem Beitrag nahezu alle Beweise, die die „Rechts-These“ widerlegten, herausgeschnitten. Was blieb, war eine Reportage, in der die o.g. Fehler, wie Themen aus dem Zusammenhang reißen, das Verbreiten von Polemik und Stereotypien oder Vermutungen als Beleg anführen, allesamt gemacht wurden. Bis heute ist die Single „Keine Amnestie für MTV“ eine der erfolgreichsten in der Bandhistorie. Ein Redigieren der Meinung oder das Veröffentlichen einer Gegendarstellung, wenn eine Diffamierung zu weit ging, erfolgte meist nur auf intensiven Druck der Fans via Social Media, wie zuletzt 2014 bei einer Sendung im Sat.1-Frühstücksfernsehen. In einem Bericht über das Comeback der Böhsen Onkelz wurden alle Fans der Band pauschal als arbeitslose, aggressive Alkoholiker und Drogensüchtige abgestempelt, was einen massiven Shitstorm in den Social Media zur Folge hatte. Sat.1 musste daraufhin eine Gegendarstellung ausstrahlen, in der auch ein ausführliches Interview mit dem Experten Klaus Farin geführt wurde, in dem die Vorwürfe gegen Fans und Band weitestgehend ausgeräumt wurden. Leider sind solche Richtigstellungen eher eine Seltenheit, denn die Skandalisierung solcher Bands in den Medien generiert noch immer ein höheres Maß an Aufmerksamkeit und Klicks – und somit an Geld. Aus medienbeobachtender Sicht erfreulich ist, dass sich die Berichterstattung vor allem über die Böhsen Onkelz in den Tageszeitungen und Musikmagazinen immer stärker einer neutralen Perspektive annähert und eine größere Fokussierung auf die Fakten bzw. die Musik stattfindet, wenngleich das Verhältnis zwischen Band und Medien noch immer als angespannt zu bezeichnen ist. Ein Aspekt muss an dieser Stelle noch betont werden: Dieser Krieg gegen die Medien war und ist bis heute einer der wichtigsten Faktoren, warum die Onkelz so erfolgreich sind und die Fans ihnen trotz einer beinahe 8-jährigen Auszeit die Treue halten. Denn eines der wichtigsten konstituierende Elemente in der Beziehung von Fans und Band ist ein gemeinsames Feindbild, das im Falle der Böhsen Onkelz und Frei.Wild die Medien und im Speziellen die Journalisten sind. 37 Zukunft der Medien: Qualität und Wahrhaftigkeit Mag die These des „Rechts-Seins“ weitestgehend widerlegt sein, ist das Bild von den Onkelz und ihren Fans in der Öffentlichkeit noch immer ein zwielichtiges, da sich in den Köpfen vieler Journalisten das Vorurteil einer „Naziband“ gefestigt hat und dieses auch durch Fakten nicht zu erschüttern ist. Da sich die Onkelz mit Ausnahme ihrer Hockenheimkonzerte weitestgehend aus der öffentlichen Musiklandschaft verabschiedet haben und somit kaum mehr Anlass zur Diskussion geben, wird diese Lücke nun mit den Südtiroler Rockern von Frei.Wild gefüllt. Aufgrund ihrer Texte, ihrer Vergangenheit, ihrer ähnlichen Musik und ihrer Bewunderung für die Böhsen Onkelz eignet sich diese Band hervorragend als musikalischer Nachfolger und als neues Feindbild Nummer eins der Medien. Allein nach Vorn! Anders als bei den Onkelz fin„Die selbe Hetze schon seit etlidet sich in aktuellen Artikeln chen Jahren, wir müssen die Menüber die Südtiroler Band Frei. schen vor Frei.Wild bewahren und Wild häufig das Prinzip: pauschale Diffamierung der Band es hat nichts gebracht, uns nur und Fans vor inhaltlicher Ausbekannter gemacht. Verdammt, einandersetzung! Schlagzeilen was haben wir uns nur dabei gewie „Die neue Reichskapelle“ dacht, wir haben die Schweine bis (Zeit Online, 10.05.2012), „Völkiaufs Wacken gebracht, da muss scher Mainstream-Rock – Frei. doch noch was sein, die kriegen Wild und die extreme Rechte“ wir auch noch klein.“ (Zeit Online, 15.01.2013), „Rechtsrock ernst nehmen“ (Zeit Online, (Frei.Wild, 2010, 17.02.2014), „Rechte Rockband“ Allein nach vorn) (Spiegel Online, 07.03.2013) oder „Rechtsrock-Debatte: Nebelmaschine Frei.Wild“ (Spiegel Online, 09.03.2013) verweisen ab der Überschrift auf den Duktus des gesamten Textes. Lediglich die Bild-Zeitung stellt hier eine positive Ausnahme dar, indem sie dem Leser die kritischen Texte komplett präsentiert und nicht von vornherein ein Urteil über die Band fällt („Wie rechts ist diese Band wirklich“ vom 08.03.2013).1 Dank der wachsenden Berühmtheit der Rocker finden sich heute zudem zahlreiche TV-Dokumentationen, die dem Phänomen Frei.Wild intensiv auf den Grund gehen, mit Fans und Band sprechen sowie auf Polemik oder pauschale Verurteilungen verzichten. Ob positiv, neutral oder negativ 38 Deutschrock als rechte Grauzone im Musikjournalismus bewertet, alle Berichtformen eint allerdings die zentrale Frage: Sind Frei. Wild „rechts“? Als Beobachter dieses Diskurs schließt daran unweigerlich die Frage an: Warum stehen Frei.Wild überhaupt im Verdacht, „rechts“ zu sein? Insbesondere die Vergangenheit des Sängers Philipp Burger bei einer rechten Band („Kaiserjäger“) sowie verschiedene Texte, die sich mit Südtiroler Patriotismus („Wahre Werte“), Heimatliebe („Südtirol“), Gewaltphantasien („Rache muss sein“), Gesellschaftskritik („Gutmenschen und Moralapostel“) und Medienkritik („Schlagzeile groß, Hirn zu klein)“ beschäftigen, bilden die Grundlage aller Diskussionen. Obwohl die Band in mittlerweile unzähligen Interviews alle Vorwürfe bestritten sowie etliche Aktionen gegen Rassismus und für Toleranz realisiert hat, reißt die Kritik an den Südtirolern allerdings nicht ab. Ähnlich wie bei den Onkelz wird dem Sänger weder eine glaubwürdige Distanzierung zu seiner Vergangenheit zugestanden, noch werden die Texte so verstanden, wie es die Band selber im Kontext ihrer speziellen Südtiroler Geschichte und Herkunft immer wieder in Interviews ausführlich erklärt. Das zentrale Argument darin, dass sich der Patriotismus Südtirols explizit gegen jede Form des Faschismus wendet und die Südtiroler gerade unter den Nationalisten am meisten gelitten haben, wird kaum weiter betrachtet (vgl. dazu das Lied „Wahre Werte“ mit der Textzeile „Wir hassen Faschisten, Nationalsozialisten, unsere Heimat hat darunter gelitten“). Auch positive Aussagen von Vertrauten der Band werden zum Erhalt der eigenen Vorurteile nicht gehört oder schlicht übergangen, wie beispielsweise von dem Künstler Mousse T. (deutsch-türkischer Musikproduzent), dem farbigen Security-Chef von Frei.Wild, den Volksmusikern von den Kastelruther Spatzen oder dem Sänger Kool Savas. Beispielhaft für die nahezu krampfhafte Suche nach „rechten“ Ankerpunkten steht ein Interview, das der Focus-Autor Jan-Philipp Hein 2013 mit der Band führte und hier vollständig wiedergegeben wird:2 „Hein (H): Herr Burger, Ihre Texte werden als nationalistisch kritisiert, weil sie ständig um den Begriff „Heimat“ kreisen. Was bezwecken Sie damit? Burger (B): Das schöne Gefühl, ein Zuhause zu haben, Kultur, Geschichte, Familie, Freundschaft und Zusammenhalt – das wird in diesem einen Wort „Heimat“ ausgedrückt. Es ist ein positives Gefühl, das im Grundrecht verankert ist. H: Mit der Zeile „Heimat heißt Volk, Tradition und Sprache“ definieren Sie also, wer nicht dazugehört. B: Wir kommen Sie darauf? Diese Begriffe haben mit Ausgrenzen rein gar nichts zu tun. Wir wollen ein friedliches Zusammenleben. Sie werden wahrscheinlich gleich noch eine andere Textpassage zitieren: „In der Hölle sollen deine Feinde schmoren.“ Auch das wird von Nicht-Südtirolern oft falsch interpretiert: Gemeint sind diejenigen, die Südtirol die Autonomie streitig machen wollen. 39 Zukunft der Medien: Qualität und Wahrhaftigkeit H: Da ist die Zeit anscheinend an Ihnen vorbeigegangen. Wer will Südtirol denn die Autonomie absprechen? B: Viele Faschisten und Ewiggestrige, aber auch Politiker wie jüngst Mario Monti. H: Sie singen: „Sie richten über Menschen, ganze Völker sollen sich hassen, nur um Geschichte, die noch Kohle bringt, ja nicht ruhen zu lassen.“ Wer ist damit gemeint? B: Genau da haben wir das Problem. Unsere Texte werden aus dem Zusammenhang gerissen. H: Das Lied heißt „Gutmenschen und Moralapostel“. Noch mal, wer ist damit gemeint? B: Das sind ganz normale Worte, bei denen sich vor allem scheinheilige Menschen auf den Schlips getreten fühlen. H: Sie weichen aus. Wer „richtet über Menschen“? Welche „Geschichte bringt noch Kohle“? B: Wenn man den ganzen Text liest, würde die Frage nicht entstehen. H: Nein, das wird eben nicht deutlich. B: Ich meine Journalisten, die nicht für die Wahrheit, sondern für die Quote schreiben. H: Journalisten verdienen also Geld, indem sie welche Geschichte nicht ruhen lassen? B: Wenn man bei einer Band, die wie fast jeder andere Musiker auch über Heimat singt, gleich den Nationalsozialismus ins Boot holt, macht das Schlagzeilen. Themen um Hitler und das Dritte Reich erhöhen die Verkaufszahlen. H: Es klingt aber eher so, als wollten Sie den Opfern des Nationalsozialismus etwas vorwerfen, die angeblich das schlechte Gewissen der Deutschen ausnutzen. B: Das ist Ihre Ansicht, die Wahrheit ist eine andere. Wir Südtiroler empfinden das Wort Heimat mit einem anderen Klang, einem schönen Klang. H: Bei der Passage „Heute gibt es den Stempel, keinen Stern mehr“ kann doch nur der Judenstern gemeint sein. B: Der Text ist aber eine klare Absage an den Nationalsozialismus. H: Ihnen ist aber schon klar, dass das Schicksal der Juden damals ein völlig anderes war als jenes, das Sie als Meinungsrebellen fürchten? B: Keine Frage. Dennoch war der Anfang derselbe, wie immer in der Geschichte, an dessen Ende Völkermord stand. H: Dann ist diese Textzeile schlicht Schwachsinn. B: Nein, denn wenn man zensiert, Leute diskriminiert, mundtot macht, Menschen in die Ecke drängt, dann ist das Ausgrenzung, menschenverachtend und bleibt nun mal ein Stempel. Unser Ausschluss vom Echo zeigt, wie schnell so etwas zu einer Massendynamik führen kann. H: Aber es gibt keine Konzentrationslager und Gaskammern mehr wie damals, in denen Juden ermordet wurden. B: Zum Glück, aber ich bleibe dabei, auch damals waren blindes Handeln, Vorverurteilungen, Ausgrenzung und Zensur der Anfang allen Übels. H: Sie treten in großen Hallen auf, Ihre Musik wird auch nicht indiziert. B: Ja, komisch, gell? Nicht ein Satz. Und trotzdem findet eine Diskriminierung statt. Diejenigen, die am lautesten für Menschenrechte schreien, schießen am heftigsten dagegen, das ist auch Deutschland. H: Sind Ihre Texte nicht Kalkül? 40 Deutschrock als rechte Grauzone im Musikjournalismus B: Sie können bohren, so tief Sie wollen. Menschen zu zensieren, auszugrenzen, an den Pranger zu stellen ist die Basis für Menschenverachtung. Dass wir damit in Verbindung gebracht werden, ist Rufmord und verletzt unsere Würde. Aber ich sage auch: Vielleicht war es ein Fehler von mir, diesen Stern zu zitieren. H: Sie waren Skinhead, haben sich für die zuwandererfeindliche Partei Die Freiheitlichen engagiert. B: Wissen Sie, wie man sich fühlt, wenn man als zweifacher Familienvater mit 32 Jahren nach fast 15 Jahren immer noch als Nazi-Arschloch abgestempelt wird? Das ist ein Stempel, den ich wahrscheinlich ewig tragen werde. H: Es wäre für Sie doch geschäftsschädigend, wenn Sie keine Anknüpfungspunkte für rechtsradikale Fans lieferten. B: Nein, ganz im Gegenteil. Auf Frei.-Wild-Konzerten sind keine Nazis, das ist die größte Medienlüge überhaupt. Wir wollen keine Nazis – weder als CD-Käufer noch als Konzertgänger. H: Stimmt es, dass Glatzen bei Ihnen willkommen seien, wenn sie sich benähmen? Das haben Sie mal gesagt. B: Ich meinte damals, etwas unweise ausgedrückt, jene Leute, die den Weg aus der rechten Szene zurück in die Gesellschaft suchen. Das können Menschen genau durch Frei.Wild schaffen. H: Warum arbeiten Sie überhaupt mit beliebten Themen der rechten Szene? B: Wir sehen uns als Sprachrohr junger Menschen mit lebensnahen, lebensbejahenden Texten. Wenn unsere Fans alle so rechts wären, wären Parteien wie die NPD viel erfolgreicher. H: Ein NPD-Funktionär sagte, Sie seien zu 80 Prozent bei der NPD, und 30 Prozent würden Sie zugeben. B: Ja, und er ist wahrscheinlich auch Fußballfan der deutschen Nationalmannschaft. Sind dann alle Fußballfans NPD-Wähler? Wir sehen uns auf keinem gemeinsamen Nenner. Null Komma nix.“ Schlusskommentar im Artikel ohne weitere Kommentierung: „Mit Frei. Wild finden Leute aus der rechten Szene in die Gesellschaft zurück.“ Das Interview macht deutlich, wie schwer bis unmöglich es für den Sänger ist, aus der „rechten“ Ecke zu kommen. Die Antworten werden eigentlich nicht akzeptiert, Texte werden bewusst negativ oder falsch interpretiert, ohne eine andere Meinung zuzulassen, selbst das politische Wissen um das eigene Land wird dem Sänger abgesprochen. Ebenfalls auffällig ist, dass die Absicht, wirklich rechte Menschen über Frei.Wild wieder in die politische Mitte zu holen, als Anbiederung an die rechte Szene verstanden wird. Dies erscheint umso paradoxer, da genau dieses Prinzip in vielen anderen Bereichen der Gesellschaft längst Standard ist. Um Menschen aus einer extremen Szene zu holen bedarf es genau solcher Vermittler, die im besten Fall die Szene selber kennen und über ihre Arbeit solche Aussteiger integrieren können. Ob in der Drogenszene, bei Aussteigern aus einer Sekte oder bei Rockerclubs, stets sind ehemalige Aktive für Prävention und Re-Integration aktiv. Warum dies bei Frei.Wild oder auch den Onkelz stets verkannt wird, bleibt offen. Ebenfalls offen ist, warum eine positive Einstellung zum Heimatland automatisch eine Abwertung und Ablehnung an41 Zukunft der Medien: Qualität und Wahrhaftigkeit derer Nationen beinhaltet. Die von dem Sänger genannten positiven Eigenschaften und Teilaspekte des Heimatbegriffs werden von dem Interviewer erst gar nicht hinterfragt und akzeptiert, sondern lediglich als Faktoren der Ausgrenzung interpretiert. Auch die Kritik an den Medien, mit der Bezugnahme auf das Dritte Reich höhere Aufmerksamkeit zu generieren, wird schlicht umgedreht und als Verhöhnung der Opfer verstanden, obwohl dies in keinerlei Zusammenhang oder Logik steht. Dieses Prinzip lässt sich auf etliche Bands aus dem Genre des Deutschrocks heute anwenden. Bevor nachgefragt oder recherchiert wird, werden mitunter wüste Interpretationen geschrieben, Textzeilen aus dem Kontext gerissen oder nahezu ideologische Feldzüge gegen die Bands initiiert, die mitunter völlig absurde Formen annehmen können. Selbst Bands aus dem Bereich des Mittelalterrocks wurden in diesen Diskussionen schon dem rechten Spektrum zugeordnet, weil mit keltischer oder germanischer Mystik gespielt wurde. Dieser Vorwurf veranlasste beispielsweise die Band Schandmaul zu einem musikalischen Statement gegen rechts (Bunt und nicht braun), was insofern absurd ist, da Schandmaul bis dato alles Mögliche war, nur nicht politisch rechts. Den Frei.Wild-Kritikern zu Gute halten muss man, dass natürlich nicht allein der Inhalt, sondern im wahrsten Sinne auch der Ton die Musik macht. Wenn beispielsweise bei einer Sendung wie dem Frühlingsfest der Volksmusik Hansi Hinterseer und seine Freunde auf einer blumengesäumten Bergwiese vor der Kulisse der Dolomiten über die Schönheit Tirols singen mag das zwar kitschig sein, aber kaum bedrohlich oder gar rechtsextremistisch wirken. Wenn Frei.Wild denselben Text hingegen in einem Video verarbeiten wie beispielsweise in dem Lied „Wahre Werte“, in dem Schützenvereine mit ihren Waffen und Fackeln aufmarschieren oder Straßenschlachten zwischen Italienern und Südtirolern gezeigt werden, untermalt mit harter Rockmusik, schreiendem Refrain und entsprechender Gestik, mag man gewisse Bedenken im ersten Moment durchaus für gerechtfertigt halten. Doch leider wird in vielen Medien allein dieser erste Reflex als Ausgangspunkt der Berichterstattung verwendet mit dem Impetus, dass hinter dem Dargebotenen rechte Botschaften oder ähnliches verarbeitet sein müssen. Die Stimmung der Fans und Bands gegen die Medien ist daher auch der unterschiedlichen Beurteilung von Rockmusik gegenüber anderen Musikrichtungen geschuldet, insbesondere der Volks- und Schlagermusik, die in ihren Texten ähnliche Themen (beispielsweise die Schönheit des Landes Tirol) besingen, aber keineswegs unter dem Verdacht rechter 42 Deutschrock als rechte Grauzone im Musikjournalismus Politik stehen, wie Frei.Wild es deutlich artikuliert: „Jeder Volksmusikant tritt live im Fernsehen auf, singt über das gleiche Thema, doch da fällt‘s keinem auf. Das ist das Land der Vollidioten, die denken, Heimatliebe ist gleich Staatsverrat.“ (Frei.Wild 2009, Land der Vollidioten). Bei einem kurzen Blick auf die Texte wird dies nur allzu deutlich: Tirolerland, mein Heimatland – Hansi Hinterseer Die Berge und Täler – sie sind mir vertraut, das Grün unsrer Wälder – hab ich gern geschaut. Und steh ich hoch oben und seh all die Pracht so fühl ich der Herrgott hats nur für uns gemacht. Tirolerland, mein Heimatland – du bist so wunderschön, hier leb i gern und fühl mi wohl denn hier bin i geborn. Tirolerland, mein Heimatland i fühl mi da so frei. Schau ich herab von Bergeshöhn dann ist mein Herz voll Schwärmerei. Die Art hier zu leben – Musik und Gesang, a Ziachn und Gitarr wohl – das ist a eigner Klang. Familie und Arbeit – mein Leben ist hier, so vieles das froh macht – verdanke ich nur dir. Ich lieb die Schönheit meiner Berge Du fragst was mir am Herzen liegt, fragst wohin meine Seele fliegt. Und dann schau ich mich so um und weiß ganz genau warum mir hier alles so gefällt wie sonst nichts auf dieser Welt. Ich lieb die Schönheit meiner Berge im hellen Sonnenschein. Ich lieb die Freiheit und die Sehnsucht, will dort mein ganzes Leben sein. Ich lieb die Schönheit meiner Berge und nachts das Sternenmeer. Ich lieb die Heimat ohne Ende, nur dich lieb ich noch mehr. Wenn ich in deine Augen schau spiegelt sich dort das Himmelblau und ich seh in deinem Blick meine Heimat und mein Glück. Dieses Stückchen Welt bleibt heil denn du bist davon ein Teil. Südtirol – Freiwild Ja unser Heimatland, es ist so wunder-schön. Das kann man auch an unsren Bergen sehn. Sie ragen stolz zum Him-mel hinauf, schon unsere Ahnen waren mächtig stolz darauf. Die Wiesen so grün, der Wald ganz dicht, freu dich über dieses Land, das deine Heimat ist. Darum lasst Schlagzeug und die Gitarren erklingen und uns immer wieder dieses Liedchen singen. Südtirol, wir tragen deine Fahne, denn du bist das schönste Land der Welt. Südtirol, sind stolze Söhne von dir, unser Heimatland, wir geben dich nie mehr her. Südtirol, deinen Brüdern entrissen, schreit es hinaus, dass es alle wissen. Südtirol, du bist noch nicht verlor‘n, in der Hölle sollen deine Feinde schmorr‘n. Heiß umkämpft war dieses Land ja immer schon und ich sags, ich sags mit Freude, ich bin dein Sohn. Edle Schlösser, stolze Burgen und die urigen Städte wurden durch die knochenharte Arbeit unserer Väter erbaut. Kurz gesagt, ich dulde keine Kritik an diesem heiligen Land, das unsre Heimat ist. Darum holt tief Luft und schreit es hinaus. Heimatland wir geben dich niemals auf. Vom Brenner bis Salurn, vom Vinschgau bis nach Osttirol erstreckt sich dieses Land, gebaut durch Gottes Hand. Nichts schöneres als dieses, in alle Ewigkeit gibt‘s hier auf dieser Erde, seid ihr bereit? Südtirol du bist mein Heimatland, das Herzstück dieser Welt, das liegt doch auf der Hand, das Land der tausend Berge, Geburtsort vieler Helden. Wir werden alles geben, Südtirol du bist mein Leben! 43 Zukunft der Medien: Qualität und Wahrhaftigkeit Würde man sich an die gängigen Regeln qualitativ-journalistischen Arbeitens halten und anstatt eines Empörungsartikels eine Recherche beginnen, was in dem Video wirklich gezeigt (nämlich Schützenvereine, die gegen Faschismus demonstrieren) oder besungen wird (Südtirol als Heimat), würden auch die in den Texten verarbeiteten Themen des Patriotismus und aufgeworfenen gesellschaftspolitischen Fragen deutlich mehr in den Vordergrund rücken. Denn diese sind nicht nur zahlreich, sondern bilden auch die Grundlage für die Diskussionen nicht nur über rechte Musik, sondern auch über den (Stellen-)Wert dieser Werte in unserer Gesellschaft. Wahre Werte Worin liegt nun die Komplexität des Phänomens „rechts“? Wer sind die „dummen Feindbildjäger“? Und was verstehen Frei.Wild unter dem oben genannten „Mordsproblem mit sich selbst“ im „deutschsprachigen Raum“? Für Frei.Wild oder auch die Onkelz ist die Antwort klar und einfach: Das Feindbild sind die Medien, Journalisten und sogenannte linke „Gutmenschen“, die jegliche Form von Patriotismus und Nationalstolz automatisch als „rechts“ und somit fremdenfeindlich interpretieren. Diese Verknüpfung von Patriotismus als rechte und fremdenfeindliche Ideologie führt auch zu dem „Mordsproblem“ im „deutschsprachigen Raum“, da es der deutschen Gesellschaft auch 70 Jahre nach dem Naziregime noch nicht gelungen ist, einen Patriotismus zu definieren, der einen positiven Begriff von Heimat und Nationalstolz beinhaltet, ohne damit andere Nationen, Ethnien oder Menschen zu exkludieren. So intensiv der Kampf gegen „Rechts“ und aufkommende nationalsozialistische Ideologie geführt wird, so wenig findet sich in den Feuilletons, in den Universitäten oder in der Politik eine Debatte über dieses Dilemma. Mögen Frei.Wild und Co. mit ihren Anklagen gegen die Medien zu pauschal agieren und mit ihren Texten die Kritiker immer wieder aufs Neue provozieren, beschreiben sie mit dem „Mordsproblem“ allerdings einen gesellschaftspolitischen Missstand, der sich nicht nur auf „rechte“ Musik beschränkt, sondern sich auch im Umgang mit Pegida, in der aktuellen Islamdebatte, in der Bewältigung der Flüchtlingskatastrophe oder am immer wieder gescheiterten Verbot der Partei NPD zeigt. Ob „patriotisch“, „rechts“, „national“, „rechtspopulistisch“, „rechtsradikal“ oder „rechtsextrem“, keiner dieser Begriffe konnte bislang so definiert werden, um damit einen festen Referenzpunkt zu setzen, vom dem aus man die jeweiligen Akteure auf ihren gefährlichen rechten Gehalt analysieren kann. Offen 44 Deutschrock als rechte Grauzone im Musikjournalismus sind nach wie vor die Fragen: Ist Patriotismus gleichzusetzen mit „rechts“ oder mit Rassismus? Wie definiert sich eine Opposition zu „links“ bzw. darf es diese überhaupt geben? Warum werden Begriffe wie Heimat, Nationalstolz oder Patriotismus automatisch mit „rechts“ assoziiert und auch: warum ist jegliche „rechte“ Haltung automatisch zu verurteilen und negativ, wenn demgegenüber eine „linke“ Meinung gesellschaftlich akzeptiert ist? Aufgrund dieser Leerstelle in der gesellschaftspolitischen Debatte benutzt jeder Kommentator, ob Journalist, anonymer Internetuser oder Musiker, diese Begriffe nach eigenem Maßstab und Gutdünken. In Kombination mit der eigenen Ideologie ergibt sich daraus unweigerlich ein Span„Tag für Tag, für Tag, für Tag, nungsfeld, was schließlich zu dasselbe Spiel, das Spiel mit der oben beschriebenen AuseinanAngst mit dem einen Ziel überall dersetzungen oder aggressiven Texten von Seiten der Bands und hinter jedem Stein jagt man führt. mit spitzer Sichel ein VerbrecherAus einer soziologischen schwein. Und fragt dich wer, ob Sicht entspricht dieses Spandu hier glücklich bist, dann sag nungsfeld in doppelter Weise schnell nein, denn das darf man einem grundlegenden Merkmal nicht. Hier schämt man sich und der heutigen kosmopolitischen Moderne: Zum einen spiegelt das ein Leben lang, denn wo der diese Unklarheit der Begriffe das Selbsthass aufhört, fängt der Dilemma wieder, dass sich tradiWeltkrieg an. Das ist das Resultionelle Zuschreibungen, Katetat, wenn Medien Meinungen gorisierungen und Stereotypien diktieren, Ängste schüren, vorim Zuge der Modernisierung handene Grundrechte isolieren.“ aufgelöst haben und es noch keine Instanzen gibt, die diese neu (Freiwild, 2013b, definieren. Zum anderen sind Zeig große Eier Definitionen von Patriotismus, und Ihnen den Arsch) Heimat und Nationalstolz aufgrund der Auflösung von nationalen Grenzen im wahrsten Sinne des Wortes entgrenzt und werden heute individuell oder situativ interpretiert. Insbesondere der regionale Patriotismus und der situative nationale Patriotismus sind hier als neue Formen zu nennen, die einen universalen Staatspatriotismus abgelöst haben. Diese Differenzierung wird in den Medien allerdings nur selten thematisiert, 45 Zukunft der Medien: Qualität und Wahrhaftigkeit sofern nicht gerade eine Fußballweltmeisterschaft stattfindet, bei der der situative nationale Patriotismus auf den Fanmeilen intensiv realisiert und in diesem Kontext als positiv bewertet wird. Der regionale Patriotismus (und damit verbunden die Frage nach konservativen Werten), wie ihn beispielsweise Frei.Wild in Bezug auf ihre Südtiroler Herkunft thematisieren, wird ebenfalls nur selten als positive Form der Heimatverbundenheit verstanden, obwohl gerade diese regionale Verbundenheit immer stärker in der Gesellschaft zu beobachten ist und als quasi Gegenpol zu einer europäischen oder globalen Identitätskonstruktion fungiert. Sowohl diese Verschiebungen der Räume, auf die sich die neuen, individuellen Formen des Patriotismus beziehen, als auch die fehlende Neubestimmung der Definitionen „rechter“ Begriffe sowie des „Konservatismus“ sind daher aus einer soziologischen Perspektive mitverantwortlich für die Schwierigkeiten in der Berichterstattung. Aus einer journalistischen Perspektive zeigen sich beim Blick auf die „rechte“ Musik ebenfalls zwei zeitgenössische Probleme: Zum Ersten stellt sich die Frage, ob der Qualitätsjournalismus – insbesondere in den „großen“ Magazinen – immer stärker einem subjektiven und/oder ideologisch verzerrtem Empörungsjournalismus geopfert wird. Seit Jahren wird eine lebhafte Debatte unter den Medienmachern über den Verfall des Qualitätsjournalismus zu Lasten eines Betroffenheitsjournalismus in Gestalt von Kommentaren oder Meinungen, die als Artikel herausgegeben werden, geführt. Die Berichterstattung über „rechte“ Bands spiegelt exakt diese Gefälle zwischen schneller Meinungsmache und fundiertem Journalismus wieder. Die Fragen nach den Kriterien des Qualitätsjournalismus verbindet sich wiederum mit dem soziologischen Begriffsdilemma und führt zu dem zweiten Problem: Wie kann eine objektive Berichterstattung funktionieren, wenn die Begriffe zu dieser Beschreibung willkürlich und individuell definiert werden? Erschwert wird diese Frage durch zwei weitere Probleme. 1. Kann über Kunst oder Musik überhaupt objektiv berichtet werden, da die Wahrnehmung immer einer subjektiven Verzerrung unterliegt? 2. Können Beurteilungen, ob etwas „rechts“ ist, ohne ideologischen oder aufklärerischen Impetus, dem jeder Journalist auf unterschiedliche Weise unterliegt, neutral getroffen werden? Für den Journalismus bedeutet die Auseinandersetzung mit „rechter“ Musik daher auch eine Reflektion der eigenen Arbeit und ein intensives Hinterfragen, wie mit den neuen, differenzierten Formen eines Patriotismus umzugehen ist. Dieser Aspekt gilt allerdings nicht nur für die Medien, sondern für alle gesellschaftspoliti46 Deutschrock als rechte Grauzone im Musikjournalismus schen Akteure, die sich in diesen Diskurs über einen neuen Patriotismusbegriff einschalten. Auch die Bands sind dabei in der Verantwortung, ihre Definition von Patriotismus und Stolz transparent zu machen, um möglichen negativen Effekten vorzubeugen. Mach die Augen auf, lieb ruhig dein Zuhaus, lebe aber mit Bedacht und lass eines niemals außer Acht, schau genau und das raus übern Tellerrand, lebe wie ein Mensch mit Herz und mit Verstand. Bekämpf den Zorn, handle mit Menschlichkeit und steh auf für Wahrheit und Gerechtigkeit. (…) Denn ganz weit rechts und ganz weit links, da stinkt`s!!! (Freiwild, 2013b, Zeig große Eier und Ihnen den Arsch) Literatur Álvarez, Sonja (2013): Rassismusvorwürfe gegen Wetten, dass…?. In: Tagesspiegel vom 15.12.2013. http://www.tagesspiegel.de/medien/nach-jim-knopf-wette-rassismusvorwuerfe-gegen-wettendass-/9221460.html, Stand 22.02.2015. Böhse Onkelz (2002): Keine Amnestie für MTV. Rule23 Recordings (SPV). Böhse Onkelz (1990): 10 Jahre. CD: Es ist soweit. Metal Enterprises. Böhse Onkelz (o.J.): Böhse Onkelz vs. MTV. In: Böhse Onkelz Fanarchiv. http://bofan.de/archiv/medien/onkelzvsmtv.html, Stand 19.02.2015. Frei.Wild (2013a): Schlagzeile groß, Hirn zu klein. Feinde deiner Feinde Gold Edition. Rookies & Kings. Frei.Wild (2013b): Zeig große Eier und Ihnen den Arsch. CD: Still. Rookies & Kings. Frei.Wild (2010): Allein nach vorn. Rookies & Kings. Günther, Markus (2013): Ein Volk von Antifaschisten. In: Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 18.02.2015. http://www.faz.net/aktuell/politik/inland/kampf-gegen-rechts-ein-volk-von-antifaschisten-13429214.html, Stand 20.02.2015. Rammstein (2001): Links 2,3,4. CD: Mutter. Motor Music. Quellen 1 Vgl: Bild Online. Frei.Wild: Wie rechts ist diese Band wirklich?. Bild Online vom 08.03.2013, http://www.bild.de/unterhaltung/musik/frei-wild/wer-ist-die-skandal-band-29424298.bild. html, Stand 22.02.2015. 2 Quelle: Focus Online: Sind Glatzen bei Ihnen willkommen?. Focus Online vom 08.04.2013., http:// www.focus.de/kultur/medien/tid-30584/kultur-und-leben-medien-sind-glatzen-bei-ihnenwillkommen_aid_954806.html, Stand 23.02.2015. 47 Erfolgsfaktoren des Lokaljournalismus von Joachim Braun B evor ich einsteige, möchte ich bekennen, dass ich mich nicht an das Thema gehalten habe. Ich habe nämlich schlicht keine Ahnung, was die Erfolgsfaktoren des künftigen Lokaljournalismus sind. Ich bin ziemlich sicher, dass diese im Moment keiner kennt. Darum werde ich hier in erster Linie über meine Überzeugungen sprechen, über meine Forderungen an meine Journalisten in Bayreuth, über meine Forderungen an Verleger und über meine Hoffnungen in die Leser. Dass es zehn Forderungen sind, ist natürlich kein Zufall. Zehn Forderungen gelten bei uns einfach als cool. Bei neun denkt man der Autor hat was vergessen, bei elf fragt man sich: Konnte er sich nicht beschränken? Schauen Sie nur mal auf die Internetseite der Huffington Post. Dort ist auch immer alles Zehn. Darum also zehn Forderungen. Und noch eins vorweg, ich werde hier kein Plädoyer für crossmedialen Journalismus halten. Das Thema ist so was von durch. Chefredakteure von Regionalzeitungen, deren Fokus noch nicht auf sozialen Netzwerken, auf dem Ausbau digitaler Angebote, auf Liveblogging und anderen Formaten des netzbasierten Storytellings liegt. Chefredakteure, die den ChangeProzess nicht längst aktiv mit der Redaktion betreiben, unter Zurverfügungstellung moderner Redaktionssysteme und Organisationsformen wie multimedialen Newsweeks, verspielen gerade die Zukunftschancen ihrer Verlage. Das nur nebenbei, weil das meine Überzeugung ist. Die Krise des Lokaljournalismus, wenn ich das nach 30 Jahren Berufserfahrung mal so nennen darf, hat nichts mit dem Internet zu tun. Diese Krise manifestierte sich schon mit Auflagenverlusten, als viele Lokalredakteure das Internet noch für eine Handelskette in der DDR hielten. Dass die Krise heute existenzgefährdend ist, ist natürlich sehr wohl eine Folge der digitalen Revolution. Waren wir Lokalzeitungsmacher früher die Könige in unseren Verbreitungsgebieten, weil niemand an uns vorbei kam – wir hatten Macht und Meinungshoheit – so sind wie heute nur noch ein Spieler 48 Erfolgsfaktoren im Lokaljournalismus unter vielen. Und je schlechter eine Lokalzeitung arbeitet, umso größer werden die Marktnischen für neue digitale Angebote wie für lokale Blogs. Wobei schlecht meint, dass es sich die Lokaljournalisten kommod gemacht haben. Sie fühlen sich geschmeichelt, Teil des Establishments zu sein, gehen bei den örtlichen Würdenträgern ein und aus. Sie schreiben in Behördensprache, verlassen die Redaktion möglichst nicht, halten Recherche für überflüssigen Schnickschnack und wollen auch mit dem gemeinen Leser möglichst wenig zu tun haben. Oder wie mir im Volontariat mein Redakteurskollege Alois sagte: „Der Leser ist eine Sau, der frisst alles.“ Das gibt’s nicht mehr, werden Sie sagen. Doch: Das gibt es noch. Solche Kollegen habe ich sogar in meiner Bayreuther Redaktion. Und sie sind kaum zu knacken. Damit bin ich schon bei meiner ersten Forderung oder von mir aus: bei meinem ersten Erfolgsfaktor: 1. Journalisten gerade im Lokalen müssen viel selbstbewusster werden! Das klingt auf den ersten Blick wie ein Widerspruch zu dem zuvor Gesagten. Ist es aber nicht. Wenn Journalisten Teil des Systems werden, dann ist das ein Symptom der Schwäche und keine Frage von Selbstbewusstsein. Und es ist für mich eine der wichtigsten oder die wichtigsten Voraussetzung, um mit unseren Verlagen wieder eine Erfolgsspur zu finden. Gerade wir Lokaljournalisten müssen uns wieder viel stärker unserer eigentlichen Rolle bewusst werden. Uns muss klar sein, dass wir eben gerade nicht Teil des Systems sind. Dass wir den Oberbürgermeister von mir aus duzen können (muss aber nicht sein), aber auf keinen Fall dessen Freund sind. Als ich im März 2011 in Bayreuth anfing, hatte ich genau dies im Kopf und stieß auf eine Redaktion, die zwar engagiert war, aber keine Idee hatte von ihrer Rolle. Deren Redaktionsleitung gut Freund mit vielen war und auf diese Weise selbst kritischen Kollegen den Schneid abkaufte. Wer verkraftet schon so ohne Weiteres Zwei-Fronten-Kriege: Also Druck von den Kritisierten und vom Chef. So waren die besten Reporter in meiner Redaktion in der inneren Emigration und das Mittelmaß regierte. Das hat sich inzwischen gedreht. Denn die politischen Berichterstatter wissen, dass Sie das Recht auf eine eigene Meinung nicht nur haben, sondern auch ausüben sollen und dass Sie immer die Rückendeckung Ihrer Führung haben. Dass das nicht alle in Bayreuth mögen, können Sie sich sicher vorstellen. Und ich gebe zu, dass meine Eitelkeit einen Knacks bekam, als der Bayreuther Promi-Wirt zum runden Geburtstag alle möglichen A- und B-Pro49 Zukunft der Medien: Qualität und Wahrhaftigkeit mis der Stadt einlud – nur mich nicht. Ich wäre ja gar nicht hingegangen, ich wollte einfach selber absagen. Inzwischen finde ich die Nichteinladung allerdings klasse, zeigt sie doch, dass der von mir propagierte Perspektivwechsel – dazu später noch mehr – funktioniert. Denn in gleichem Maße, wie die Stadtoberen uns nicht mehr als Teil ihres Systems betrachten können, gewinnen wir bei unseren eigentlichen Lesern, den normalen Leuten, an Glaubwürdigkeit zurück. Das ist es, was ich mit Selbstbewusstsein meine. Man kann auch von einem Gefühl für die eigene Rolle reden, von den Privilegien, die wir Journalisten haben, die nicht nur Rechte beinhalten, sondern Pflichten – darunter die, unabhängig zu sein. 2. Mitreißend schreiben! Wenn ich Lokalzeitungen lese, dann bin ich immer wieder irritiert von der Teilnahmslosigkeit der Texte, von einem rein nachrichtlichen Stil, von der reinen Informationsübermittlung. Von einer Sprache, die nicht haften bleibt, weil ihr – zum Beispiel – die Bilder fehlen. Klar haben wir das System der strikten Trennung zwischen Bericht und Kommentar. Und klar finde ich das auch richtig. Aber nicht immer. Nicht bei allen Themen und Texten. Gönnen wir Lokaljournalisten uns doch mal nicht nur Streuselkuchen, sondern Buttercremetorte. Es macht doch Spaß, auch mal Gefühl miteinzubringen in einen Text, Begeisterung zu transportieren oder auch Ekel. Seien wir doch so mutig und stellen uns damit auch der Kritik der Leser. Sie wird unweigerlich kommen. Aber: Die Leute haben den „Gönnen wir uns doch mal nicht Text gelesen. Sie schätzen ihn nur Streuselkuchen, sondern oder sie schätzen ihn nicht. Aber Buttercremetorte.“ sie setzen sich mit dem Artikel auseinander. Und das ist doch viel besser, als die Gleichgültigkeit, die bis heute viele journalistische Produkte – lokal wie überregional – durchzieht und von den Lesern auch so wahrgenommen wird. Constantin Seibt, den ich hier zitiere, hat dazu gerade ein Buch geschrieben, dass ich Schreibern und ihren Chefs sehr empfehlen kann. Seibt, Journalist beim Tagesanzeiger in Zürich, fordert darin mehr Stil, mehr Persönlichkeit auch beim Schreiben. das Buch heißt „Deadline“, genauso wie der lesenswerte Blog, den Seibt seit ein paar Jahren betreibt.1 50 Erfolgsfaktoren im Lokaljournalismus 3. Wir Lokaljournalisten müssen in unserem Verbreitungsgebiet die Themen setzen – nicht die Politiker, nicht die Vereinsmenschen und schon gar nicht irgendwelche Interessenvertreter! Dazu gehört natürlich auch, dass wir uns so weit es sinnvoll ist, vom Terminjournalismus verabschieden. Lokaljournalisten sind einfach nicht mehr die Chronisten, die, auch im Hinblick auf die Nachwelt, festhalten müssen, was alles passiert. Nein, diese Zeiten sind vorbei. Endgültig. Das können andere viel besser. Vereine auf ihren Internetseiten, Verbände mit Presseabteilungen, das Rathaus mit seinem wöchentlichen Newsletter. Stattdessen ist es unser Job geworden, einzuordnen, unseren Lesern zu sagen, was ist wichtig für Euch. Was müsst Ihr unbedingt wissen. Worauf solltet Ihr Euch einstellen. Und: Warum? In Bayreuth habe ich erfahren, dass das Agenda-Setting in der Stadt noch ganz gut zu machen ist, in den ländlichen Gemeinden in der Peripherie aber ein Höllenjob sein kann. Gestern kündigte der Bürger„Lokaljournalisten sind nicht meister einer kleinen Gemeinde mehr die Chronisten, die festhalgenau aus diesem Grund das Abo ten müssen, was alles passiert. unserer Zeitung. Nicht einfach still und leise, nein, er schickte Das können andere viel besser.“ die Kündigung auch noch allen Bürgermeisterkollegen und den Bürgern seiner Gemeinde. In einem ellenlangen Schreiben kritisiert er eine Reihe von Texten, in denen die Redaktion genau das Geforderte gemacht hat, nämlich Themen gesetzt, und rügt uns, weil wir über die – stinklangweilige – Bürgerversammlung in seiner Gemeinde nur 65 Zeilen gebracht haben und über den Neujahrsempfang in seiner Gemeinde gar nur 24 Zeilen. Eine Porträtreihe über Menschen in Bayreuth hält er für Platzverschwendung, und dass wir an spannenden Themen dranbleiben, etwa dem Neubau einer Therme in Fichtelberg, ärgert ihn: „Man kann es nicht mehr bzw. lesen.“ Das ist die Meinung eines Bürgermeisters, wohlgemerkt. Eines Mannes, der es für einen grundlegenden Fehler hält, dass wir nicht mehr überwiegend auf die Themenvorgaben aus Rathäusern setzen. Denn, so wörtlich, „das Volk ist nicht dumm, sondern unwissend“. Es wird Zeit, daran etwas zu ändern. Wir müssen also unseren Lesern Orientierung geben. Orientierung zum Beispiel durch Meinungsbeiträge, durch Bewertung. 51 Zukunft der Medien: Qualität und Wahrhaftigkeit 4. Haltung zeigen! Viele Kommentare in Lokalzeitungen, wenn es sie denn überhaupt gibt – neulich las ich über ein Vierteljahr eine große Regionalzeitung und fand nicht einen einzigen lokalen Kommentar – viele Kommentare also sind sowohl als auch-Kommentare. Ausgewogen, nicht zu unfreundlich. Die sind das Papier nicht wert. Denn was habe ich als Leser davon? Was bringt mir ein solcher Kommentar? Dass es an Haltung fehlt – nicht: der Haltung – ist eine der meist gebrauchten Kritiken an Zeitungen. Ich finde zu Recht. Gerade wir Lokaljournalisten müssen dorthin gehen, wo es weh tut. Wir müssen Stachel im Fleisch sein. Schreiben Sie einmal, dass Ihr Oberbürgermeister oder Ihr Landrat wegen seiner fehlerhaften Politik eigentlich unverzüglich zurücktreten müsste. Ich sage Ihnen, das gibt ein sagenhaftes Echo. Vor allem, wenn er der bayerischen Mehrheitspartei angehört. Aber tatsächlich passiert Ihnen als Journalist nichts, wenn Sie diese Forderung nachvollziehbar begründen können. Stattdessen gewinnen Sie in den Augen der Leser Größe. Und Sie bekommen plötzlich von Menschen Informationen, die Sie früher nicht mal gefragt hätten. Haltung lohnt sich. Der Grat, in der Öffentlichkeit als Nörgler angesehen zu werden, ist allerdings schnell überschritten. Ich weiß das, ich war schon mehrmals auf der anderen Seite. Der Medienberater Christian Jakubetz hat diese Ambivalenz kürzlich mal in einem Blogbeitrag gut dargestellt. Ich zitiere: „Es gibt nichts im Journalismus, zu dem Menschen ein ambivalenteres Verhältnis haben. Nichts ist so widersprüchlich wie die Haltung zum Lokalen. Natürlich wünscht man sich eine kritische Grundhaltung und natürlich sollen Journalisten auch in der kleinsten Lokalredaktion noch den Finger in die Wunde legen. Theoretisch zumindest. Wer es in der Praxis tut, der wird dann gerne mal nicht als Aufklärer gefeiert, sondern als Nestbeschmutzer beschimpft.“2 Wer umgekehrt Heile-Welt-Journalismus betreibt, muss zwar keinerlei Ärger fürchten. Er darf aber auch nicht erwarten, dass man ihm mit besonders viel Respekt für seine Tätigkeit entgegenkommt. Oder ihn womöglich sogar noch Ernst nimmt. Es gibt vermutlich nur sehr wenige Lokaljournalisten, die man nicht schon mal mit milde-abschätzigen Begriffen belegt hat. 52 Erfolgsfaktoren im Lokaljournalismus Das aber ist das Grundproblem aller Veränderungsmaßnahmen, die ich hier anspreche: Sie machen es nie allen Recht. Ihre Leserschaft ist immer gespalten. Die einen finden das Neue gut, die anderen nicht, die wünschen sich, wie es mal ein Leserbriefschreiber formulierte, die „alte Behäbigkeit“ – ja, so hat er es wirklich formuliert – zurück. 5. Sich Zeit nehmen! Das klingt paradox. Ich halte es aber für extrem wichtig. Unter der steigenden Arbeitsverdichtung in vielen Lokalredaktionen, die dazu noch mit weniger Leuten auskommen müssen, versuchen die Kollegen, einfach abzuarbeiten, was reinkommt. Das Mögliche zu erledigen. Die Pflicht. Ich halte das für falsch. Wir müssen in den Redaktionen immer wieder diskutieren was wir tun und wie wir es tun. Und wir brauchen Konzepte gegen die Übermacht der Pflicht. Ich glaube, das meiste, was wir als Pflicht betrachten, ist längst keine mehr. Und die Leser merken ja, wie wir ertrinken. Da macht Zeitunglesen genauso wenig Spaß wie Zeitungmachen. Ich plädiere deshalb dafür, Freiräume zu schaffen und die Seele der Zeitung, wie es in meinem Zitat heißt, immer wieder aufs Neue zu formulieren oder wenigstens zu entdecken. Ein Beispiel noch: Ich war das erste Vierteljahrhundert meines Berufslebens als Lokalredakteur beim Münchner Merkur. 20 Jahre lang arbeitete ich in Konkurrenzsituation mit einer Lokalausgabe der Süddeutschen. Und schon damals betrachtete ich neidvoll, wie sich die Kollegen mangels Manpower und Platz in der Zeitung Zeit nahmen für Themen, die bei uns früher und öfter abgehandelt wurden. Die besseren Geschichten, journalistisch betrachtet, hatten so aber die anderen. Manchmal wenigstens. 6. Geschichten erzählen! So viel möchte ich dazu jetzt nicht sagen, weil dies eigentlich selbstverständlich und eine journalistische Tugend ist. Aber noch immer bestehen viele Blätter aus Nachrichten, sind Nachrichten getrieben. Ein, zwei Quellen und dann war’s das. Auch im Lokalen ist dies heute hinfällig. Die Leser wissen längst Bescheid, was am Vortag passiert ist – im günstigsten Fall vom eigenen Internetauftritt. Stattdessen muss die gedruckte Zeitung Mehrwerte bieten, ihre Langsamkeit als Qualität entwickeln und die gewonnene Zeit nutzen, um Hintergründe aufzuzeigen, Konsequenzen eines Vorgangs, Lebenshilfe und Nutzwertiges. Das ist tatsächlich ein Allgemeinplatz, aber schau53 Zukunft der Medien: Qualität und Wahrhaftigkeit en Sie sich mal aufmerksam Zeitungen an. Noch immer hat die blanke Nachricht dort einen Stellenwert, der dem bei den Lesern überhaupt nicht entspricht. 7. Verzichten lernen! Ich sprach vorhin schon mal von Pflicht und Kür. Das hier geht aber darüber hinaus. In meiner vorherigen Redaktion in Bad Tölz hatten wir uns einmal im Jahr zusammengesetzt, um zu diskutieren, auf welche Themen und Rubriken wir künftig verzichten wollen, um die gesteigerten Arbeitsanforderungen noch anständig bewerkstelligen zu können. In Bayreuth waren wir noch konsequenter: Seit Herbst 2011 haben wir keine Vereinsberichterstattung mehr in der Tageszeitung. Stattdessen bringen wir einmal in der Woche die Beilage „Mein Verein“. Sie erscheint im Halbformat, hat bis zu 64 Seiten, ist zur Hälfte gefüllt mit Texten, die die Vereine selber liefern und zur anderen Hälfte mit denen der treuen alten freien Mitarbeiter. Der Clou dabei: Diese Beilage ist nicht redigiert, die Texte erscheinen, wie die Vereine sie liefern. Der überraschende Effekt: Die Vereine mögen das, nicht zuletzt mögen sie auch, dass wir die Texte über sie nicht mehr journalistisch bearbeiten. Und ich hatte auf einen Schlag ungefähr ein Fünftel der Redaktion zusätzlich zur Verfügung, um Geschichten zu recherchieren- all jene, die vorher versucht haben, aus sehr schlechten Texten schlechte zu redigieren. Ich will nicht verschweigen, dass es bis heute Kritiker von „Mein Verein“ gibt. Es sind Bürgermeister und Vereinsvorsitzende, jene Menschen also, die früher immer flankierend auf Ehrungsfotos in die Zeitung kamen. Dies ist nur ein Beispiel. Viele Dinge in der Lokalzeitung sind verzichtbar, oder man kann sie anders darstellen. Man muss es nur probieren. 8. Journalisten, auch Lokaljournalisten, müssen viel stärker zur Marke werden! Eine der schwierigsten Forderungen: Sie müssen aus dem Hintergrund raus. Sie müssen sich den Lesern stellen. Das wollen viele Kollegen nicht. Für die ist es schon ein Kulturbruch, wenn ihr Porträtbild zum Kommentar gestellt wird. Aus eigener Erfahrung kann ich Ihnen sagen, die Leser goutieren es, wenn ihre Journalisten stärker auftreten. Unser Chefreporter in Bayreuth, Otto Lapp, ist ein Trüffelschwein, wie es sich jeder Chefredakteur wünschen 54 Erfolgsfaktoren im Lokaljournalismus sollte. In der Affäre Mollath spracht er als einziger mit dessen Ex-Frau. In Sachen Peggy hat er jetzt einen Verdächtigen geortet. Und und und. Lapps Texte sind auf unserer Webseite grundsätzlich Paid Content. Die Leser sehen seinen Namen und wissen, da gibt es eine interessante Geschichte, und darum kaufen sie die Texte. Das ist Markenbildung zum Wohle des Verlags. 9. Noch mal so eine Binse: Den Leser ernst nehmen! Sagt doch jeder. Aber tun wir das auch? Kommen wir wirklich mit den Lesern in Kontakt? Wissen wir, was unsere Kunden wollen? Ich glaube, zumindest wir in Bayreuth haben da viel Nachholbedarf, auch wenn wir inzwischen jeden Tag intensive Diskussionen mit unseren 9500 Facebookfreunden führen. Auch wenn wir aus den sozialen Medien neue Themen generieren und mit Infos versorgt werden. Auch wenn wir Podiumsdiskussionen machen, im Wahlkampf ein Wahlmobil in die Dörfer geschickt haben. Ich glaube, das reicht alles noch lange nicht aus. Wir müssen den Lesern viel stärkeren Einblick und auch Mitwirkungsmöglichkeiten geben in die Abläufe in der Redaktion und sie zum Teil des Produkts machen. Nur eine, wie ich finde, sehr gute Idee dazu. Sie wurde bei der Braunschweiger Zeitung entwickelt: Dort finden regelmäßig Interviews mit Ministern und anderen Würdenträgern statt, die von Lesern geführt werden. Der niedergelassene Anwalt und der ehemalige Gerichtspräsident interviewen den Justizminister. Der Aufwand dafür ist extrem hoch, aber er lohnt sich. Ich bin jedenfalls überzeugt, dass wir die meisten Innovationen in den nächsten Jahren bei der Beteiligung der Leser haben. Klar sagen möchte ich allerdings: Hier geht es nicht um Bürgerjournalismus. Im Gegenteil, wir Journalisten publizieren. Ein ausgezeichnetes Projekt ist dazu auch im Internet das „Reporter“-Projekt auf sueddeutsche.de.3 Und ganz zum Schluss: Der wichtigste Punkt. Es ist ein Appell an die Verleger, an die Geschäftsführer: 10. Lassen Sie uns leben, lassen Sie uns unsere Arbeit machen. Nehmen Sie uns nicht in diesem extrem komplizierten Change-Prozess unsere Kräfte, in denen Sie die Redaktionen immer weiter ausdünnen. Je mehr Relevanz wir durch sinkende redaktionelle Qualität verlieren, umso schneller machen wir uns als Zeitungen überflüssig. 55 Zukunft der Medien: Qualität und Wahrhaftigkeit Journalismus, oder speziell Lokaljournalismus, ist kein Geschäft, wie die Produktion von Konservendosen, Journalismus ist der Lebensnerv der Demokratie. Das müssen die Verlage in dieser Durststrecke respektieren und mit klugen Konzepten das Kernprodukt Journalismus weiterentwickeln. Constantin Seibt schrieb vor kurzem darüber: „Was aussieht wie ein natürlicher Tod, war Mord. Hauptsächlich dadurch, dass das Management einer Zeitung in Krisenzeiten zwar spart, aber nicht ein neues Produkt denkt. Eines, das zu den Ressourcen passt. Sondern trickst. Plötzlich haben alle möglichen Leute doppelte Funktionen, komplexe Titel, weitere Aufgaben. Der ganze Laden läuft heiß. Das Organigramm wirkt dann wie ein Mensch mit zu kleiner Bettdecke: Sobald ein Körperteil bedeckt ist, liegt ein anderer nackt.“4 Hoffen wir, dass auch in Zukunft im Lokaljournalismus die Bettdecke wieder groß genug ist. Quellen 1 http://blog.tagesanzeiger.ch/deadline 2 http://www.blog-cj.de/blog 3 http://www.sueddeutsche.de/thema/Die_Recherche 4 http://blog.tagesanzeiger.ch/deadline 56 Auf allen Kanälen unterwegs – Wie Internetredaktionen den Umgang mit sozialen Medien lernen von Christoph Neuberger, Susanne Langenohl und Christian Nuernbergk 1. Einführung T witter, Facebook, Google+, YouTube, Blogs – Redaktionen steht heute eine Vielzahl an sozialen Medien zur Verfügung. Außerdem sind soziale Medien multifunktional: Sie sind nicht nur Publikationskanäle, sondern dienen auch der Recherche, der Interaktion mit den Nutzern und zur Publikumsbeobachtung. In den Vordergrund rückt damit die Frage: Über welche Möglichkeiten verfügen die verschiedenen sozialen Medien? Wo liegen ihre besonderen Stärken und Schwächen? Wie lassen sie sich sinnvoll einsetzen? Dass z. B. Twitter für die rasche Verbreitung von Nachrichten besonders geeignet ist, während Blogs eher für die längerfristige Diskussion mit der Leserschaft in Frage kommen, liegt auf der Hand. Andere Potenzialunterschiede sind dagegen weniger offensichtlich. Ein Schwachpunkt vieler Studien besteht darin, dass sie jeweils nur auf ein einziges soziales Medium oder einen einzigen Verwendungszweck beschränkt sind. Es fehlt also die vergleichende Perspektive. Im Mittelpunkt des Forschungsprojekts „Social Media und Journalismus“ – durchgeführt im Auftrag der Landesanstalt für Medien Nordrhein-Westfalen (LfM NRW) – stand deshalb der Vergleich der wichtigsten sozialen Medien, die deutsche Internetredaktionen einsetzen.1 Außerdem sollten möglichst viele Einsatzmöglichkeiten berücksichtigt werden. Redaktionsleiter/innen wurden in einer Online-Befragung gebeten, über die Verwendung und Eignung verschiedener sozialer Medien (Twitter, Facebook, Google+, YouTube, Blogs) Auskunft zu geben. In diesem Aufsatz werden Kernergebnisse der Studie vorgestellt (Neuberger/Langenohl/Nuernbergk 2014). 57 Zukunft der Medien: Qualität und Wahrhaftigkeit In der Befragung wurde der Kernbereich des Internetjournalismus in Deutschland abgedeckt, der zuvor in einem mehrstufigen Auswahlverfahren bestimmt worden war. Berücksichtigt wurden journalistische Websites mit tagesaktueller, universeller und autonomer Berichterstattung mit mindes tens bundeslandweitem Bezug sowie alle Websites von Tageszeitungen, inklusive regionale und lokale Titel. Im Mai und Juni 2014 nahmen 105 von 151 angeschriebenen Redaktionen an der Studie teil (Rücklauf: 69,5 Prozent). Darunter waren – als größte Gruppe – 75 Tageszeitungen. Zur Vorbereitung wurden mehrere Leitfadeninterviews geführt. Vergleichsdaten aus dem Jahr 2010 stammen aus der Vorgängerstudie (Neuberger/vom Hofe/Nuernbergk 2011). In einer zweiten Studie wurden die Twitter-Aktivitäten von Politikjournalisten inhalts- und netzwerkanalytisch beobachtet. Untersucht wurden die Tweets der Mitglieder der Bundespressekonferenz (BPK), die über einen persönlichen Twitter-Account verfügen. Während die Aussagen der Redaktionsleiter in der Befragung den breiten Überblick geben, kann mit dieser Studie detailliert der Umgang einer ausgewählten Journalistengruppe mit Twitter aufgezeigt werden. Twitter erfreut sich in der Bundespressekon ferenz bereits einiger Popularität: Über ein Viertel der über 800 BPK-Mitglieder besaß zum Zeitpunkt der Analyse bereits einen eigenen TwitterAccount. Binnen eines Monats wurden rund 9000 Tweets aufgezeichnet. Das Feld des Politikjournalismus ist von besonderem Interesse, weil eine wachsende Zahl von Politikern auf Twitter aktiv ist. Journalisten können über Twitter einfach und rasch neue Informationen erhalten und direkt bei politischen Akteuren „nachfassen“. Neben den BPK-Journalisten wurden zum Vergleich die meistgefolgten deutschsprachigen Journalisten auf Twitter untersucht („Twitterati“). 2. Ergebnisse der Redaktionsbefragung: Internetredaktionen und soziale Medien 2.1. Einsatz von sozialen Medien im Allgemeinen Über wie viele Accounts verfügen die Redaktionen? Über Facebook- und Twitter-Accounts verfügten im Mai/Juni 2014 praktisch alle Internetredaktionen, die an der Befragung teilgenommen haben. Auf Blogs und YouTube verzichtete rund ein Viertel der Redaktionen. 30 Prozent der regiona len/lokalen Tageszeitungen bloggten nicht. 58 Auf allen Kanälen unterwegs – Wie Internetredaktionen den Umgang mit sozialen Medien lernen Hat die Redaktion eigene Social-Media-Redakteure? 55 Prozent der befragten Redaktionen verfügten noch nicht über Social-Media-Redakteure. Vor allem Tageszeitungen verzichteten auf sie. Wie sind die Zuständigkeiten für soziale Medien verteilt? Der Umgang mit sozialen Medien ist überwiegend keine Angelegenheit der Gesamtredak tion, sondern einer darauf spezialisierten Minderheit der Redaktion. Dies gilt besonders für die Organisation und Moderation der Publikumsbeteiligung, aber auch für die Beobachtung des Publikums und das Publizieren über soziale Medien. Besonders bei (regionalen/lokalen) Tageszeitungen sind soziale Medien noch keine Aufgabe der Redaktionsmehrheit. 2.2. Verwendung, Eignung und Regeln Publikumsbeteiligung: Facebook ist für fast alle Beteiligungsformen die am häufigsten verwendete Plattform. Twitter hat die zweitgrößte Bedeu tung und übertrifft Facebook nur bei der Echtzeit-Interaktion mit dem Publikum. Auch bei der Frage nach der Eignung übertrifft Facebook deutlich andere soziale Medien. Das Publikum wird nur selten an der journalistischen Produktion beteiligt, d. h. bei der Recherche oder durch eigene Beiträge. In fast allen Redaktionen gelten bestimmte basale Regeln für die Publikumsbeteiligung (respektvoller Umgang, rasches und ausnahmsloses Beantworten von Nutzeranfragen). Offen wurde nach Redaktionen gefragt, deren Publikumsbeteiligung vorbildlich ist. Am häufigsten wurden hier sueddeutsche.de, Zeit Online und Spiegel Online genannt. Recherche: Facebook wird am häufigsten verwendet, wenn es um die Resonanz auf die eigene Berichterstattung geht, um Themenideen oder um Augenzeugen, die befragt oder zitiert werden können. Twitter wird dagegen öfter zur kontinuierlichen Beobachtung prominenter Quellen ein gesetzt, zur Gegenprüf ung von Informationen oder um Experten ausfindig zu machen, die befragt oder zitiert werden können. Facebook und Twitter werden auch als die am besten geeigneten Recherche-Tools bewertet. Einzig bei der Recherche nach Hintergrundinformationen schneiden Blogs besser ab. Die sorgfältige Überprüfung der Echtheit des Bildmaterials und die Hinzuziehung weiterer Recherchewege halten fast alle Redaktionen für unerlässlich.2 Publizieren: Kurze Eilmeldungen werden über Twitter und etwas seltener über Facebook verbreitet. Auch die Live-Berichterstattung läuft vorrangig über Twitter und zweitrangig über Facebook ab. Hauptanwen dungs felder für Live-Berichte via Twitter sind überraschende Ne 59 Zukunft der Medien: Qualität und Wahrhaftigkeit gativereignisse und solche Ereignisse, bei denen fortlaufend viel passiert. Zur Publikation der persönlichen Sichtweise werden besonders Blogs eingesetzt. Für die Publikation eigener Videos wird naturgemäß besonders YouTube verwendet, daneben auch Facebook. Die Einschätzung der Eignung von sozialen Medien für das Publizieren fällt ganz ähnlich wie ihre Verwendung aus. Dass die sorgfältige Prüf ung der Beiträge höhere Priorität besitzt als die Aktualität, ist weitgehend selbstverständlich – außer bei den befragten Nur-Internetanbietern, wo nur in der Hälfte der Fälle diese Regel gilt. Beobachten des Publikums: Etwa vier Fünftel der befragten Redaktio nen sammeln Daten über die Nutzungshäufigkeit und sichten frei formulierte Kommentare ihrer Nutzer. Nur rund die Hälfte führt eigene Nut zerbefragungen durch. 2.3. Ziele, Strategien und Erfolge der Internetredaktionen Welche Ziele setzen sich die Redaktionen? Die Bindung vorhandener Nutzer des Internetangebots und das Gewinnen neuer Nutzer im Netz sind die vorrangigen Ziele der befragten Redaktionsleiter. Daneben ist auch das Heranführen junger Leute an die Marke ein weit verbreitetes Ziel. Demgegenüber sind die Bindung vorhandener Nutzer des Muttermediums und das Gewinnen neuer Nutzer für das traditionelle Medium nachrangig. Erfolge werden also für das Internet bestimmt – nicht für das Muttermedium. Das Erzielen von Erlösen auf dem Werbe- und Publikumsmarkt rangiert am Ende der Ziele-Liste. Die Redaktionen sind also wenig ökonomisch motiviert. In welchem Maße erreichen die Redaktionen diese Ziele? Das Gewinnen neuer Nutzer für das Internet und deren Bindung gelingt der deutlichen Mehrheit der Redaktionen, für die diese Ziele wichtig sind. Ziele des Muttermediums und ökonomische Ziele sind dagegen weniger leicht zu erreichen. Vor allem bei den Tageszeitungen werden die gesteckten Ziele oft verfehlt. Dies gilt auch hier besonders für das Gewinnen neuer Nutzer für das Muttermedium sowie die ökonomischen Zielsetzungen. Welche Strategien verfolgen die Redaktionen? 83 Prozent der befragten Redaktionen sagten, sie besitzen eine klare Social-Media-Strategie. 80 Prozent wollen den Anschluss nicht verlieren, 59 Prozent wollen sogar an der Spitze der Entwicklung stehen. Nur ein Viertel will nicht zu viel riskieren. Tageszeitungen sind etwas defensiver ausgerichtet als die anderen Anbieter. Rund die Hälfte aller Redaktionsleiter beklagte, nicht genügend Mitarbeiter zu haben, um die neuen Aufgaben durch soziale Medien zu bewältigen 60 Auf allen Kanälen unterwegs – Wie Internetredaktionen den Umgang mit sozialen Medien lernen Wie groß ist ihr Erfolg, gemessen am Anteil der Nutzer, der über soziale Medien die Website erreicht? Facebook und Google/Google News leiten mehr Traffic auf journalistische Websites als andere soziale Medien. 2.4. Ausbildung und Kompetenz In welchem Maße besteht Verbesserungsbedarf bei der Social-Media-Kompetenz? Nur 10 Prozent der Redaktionsleiter sehen keinen Verbesserungsbedarf bei der Kompetenz ihrer Mitarbeiter. Dennoch lassen sich Kompetenzfortschritte erkennen: 2010 hielten noch 60 Prozent die Kompetenz für „stark verbesserungswürdig“. Dieser Anteil fällt 2014 mit 28 Prozent deutlich geringer aus. Dies gilt auch speziell für die Tageszeitungen („stark verbesserungswürdig“: 2010: 68 Prozent, 2014: 36 Prozent). Wie erwerben die Mitarbeiter diese Kompetenz? Die Aneignung der Social-Media-Kompetenz geschieht nach wie vor am häufigsten durch „Learning by doing“ und den informellen Austausch mit erfahrenen Kollegen. Daneben sind aber formalisierte Wege des Kompetenzerwerbs wichtiger geworden: 2010 fand eine interne (28 Prozent, 2014: 63 Prozent) oder externe (17 Prozent, 2014: 42 Prozent) Weiterbildung noch deutlich seltener als 2014 statt. Auch das Volontariat ist deutlich wichtiger geworden (2010: 13 Prozent, 2014: 37 Prozent). Trotz dieser erheblichen Verbesserung der Ausbildungssituation: Dem Statement „Social Media sollten in der jour nalistischen Ausbildung eine größere Rolle spielen“ stimmten fast alle Be fragten zu. Wo bestehen Kompetenzdefizite? Offen wurde im Fragebogen nach Kompetenzdefiziten gefragt. Häufig haben die Redaktionsleiter allgemein gehaltene Antworten gegeben, die auf geringes Interesse, geringe Erfahrung und geringe Kompetenz ihrer Mitarbeiter im Umgang mit sozialen Medien schließen lassen. Außerdem wurden viele konkrete Punkte angesprochen: Der richtige Ton wird oft nicht getroffen; andere Mängel betreffen die Interaktion mit dem Publikum, die Recherche, die technische Kompetenz und das Gespür für Themen, die in sozialen Medien funktionieren. 2.5. Gesamteinschätzung der journalistischen Bedeutung von sozialen Medien Wie verändert sich die Qualität des professionellen Journalismus durch soziale Medien? Verbessert hat sich nach Auffassung der befragten Redaktionsleiter die Qualität vor allem im Hinblick auf Aktualität, die Vielfalt der Meinungen, die intensive Diskussion von Themen, den leichten Zugang 61 Zukunft der Medien: Qualität und Wahrhaftigkeit der Nutzer zu den Autoren und die Vielfalt der Themen. Hier spiegeln sich Beschleunigung und Partizipation als wesentliche Eigenschaften des Internets wider. Dass sich auch die Gesamtqualität des professionellen Jour nalismus im Internet verbessert hat, sahen rund zwei Drittel der befragten Redaktionsleiter. Verschlechterungen registrierten relativ viele Befragte hinsichtlich der Exklusivität der Informationen, der Glaubwürdigkeit sowie der Tiefe der Themenbehandlung. Wie wirken sich soziale Medien auf den Journalismus insgesamt aus? Dass soziale Medien zukünftig an Bedeutung für den professionellen Journalismus gewinnen werden, davon sind 91 Prozent der befragten Redakti onsleiter überzeugt. Dennoch geben die Redaktionsleiter nach wie vor zu 84 Prozent an, dass es professionellen Journalisten schwerfällt, Nutzer als Mitschreibende zu akzeptieren. Der redaktionelle Aufwand nimmt durch soziale Medien erheblich zu, sagten 71 Prozent der Befragten; 2010 waren, bezogen auf Twitter, nur 53 Prozent dieser Auffassung. Dies könnte einerseits daran liegen, dass die Ressourcen in den Redaktionen noch knapper geworden sind. Andererseits dürfte aber auch der eigene Anspruch an den Einsatz von sozialen Medien gestiegen und damit auch die Diskrepanz gegenüber den verfügbaren Mitteln größer geworden sein. Barrieren für den Einsatz sozialer Medien sind also sowohl das veraltete Rollenverständnis der Journalisten als auch der Zeit- und Personalmangel in den Redaktionen. Welche sozialen Medien werden künftig an Bedeutung im Journalismus gewinnen? Bei dieser offen gestellten Frage wurden am häufigsten Twitter und Facebook genannt. Danach folgten die Foto-Community Instagram, YouTube und der Kurznachrichten-Dienst WhatsApp. Unter den Meistgenannten sind also auch einige längst erfolgreiche Angebote. Ihnen wird offenbar zugetraut, dass sie durch neue Angebote kaum noch zu verdrängen sind, sondern vielmehr ihre Dominanz weiter ausbauen können. 2.6. Zur Lage der regionalen und lokalen Tageszeitungen Wie werden soziale Medien bei regionalen und lokalen Tageszeitungen eingesetzt? An der Befragung nahmen 69 Vertreter der regionalen und lokalen Tagespresse teil. Sie verfügen über etwas weniger Social-MediaAccounts als überregionale Anbieter. Die ökonomischen Ziele sind für die regionalen/lokalen Tageszeitungen wichtiger als für die überregionalen Anbieter. Sie schätzen das Erreichen der Ziele, die sich auf das Muttermedium und die ökonomische Seite beziehen, pessimistischer ein als die 62 Auf allen Kanälen unterwegs – Wie Internetredaktionen den Umgang mit sozialen Medien lernen überregionalen Anbieter. 58 Prozent der Befragten halten die Kompetenz ihrer Redaktionsmitglieder für „etwas verbesserungswürdig“, und 37 Prozent sehen einen „starken“ Verbesserungsbedarf. Die überregionalen Anbieter schätzen die Kompetenz ihrer Redaktionsmitglieder positiver ein. In welcher Konkurrenzsituation stehen regionale und lokale Tages zeitungen im Internet? Als Konkurrenten um Leser für ihre Zeitung werden mehrheitlich soziale Netzwerkplattformen, andere regionale/lokale Tageszeitungen, regionale/lokale Wochenzeitungen, Anzeigenblätter und Stadtmagazine sowie die jeweilige Landesrundfunkanstalt wahrgenommen. Als Konkurrenten gesehen werden also hauptsächlich professionell-journalistische Internetangebote. Gleichwohl erstaunt es, dass soziale Netzwerke an erster Stelle stehen und von 81 Prozent der Befragten als Konkurrenten betrachtet werden. 61 Prozent der Befragten sind der Ansicht, dass regionale/lokale Tageszeitungen Leser verlieren, weil viele Themen mit regionalem/lokalem Bezug auch an anderen Stellen im In ternet behandelt werden. Von 72 Prozent der Befragten werden Blogs und andere soziale Medien mit einem regionalen/lokalen Bezug als erhebliche Konkurrenz eingestuft. 3. Ergebnisse der Inhalts- und Netzwerkanalyse: Twitter-Aktivitäten von Politikjournalisten Die politischen Hauptstadtjournalisten fungieren auf Twitter im Wesentlichen als Vermittler von Informationen. In ihrem Fokus stehen Kurznachrichten mit öffentlich relevanten Inhalten, die vorwiegend auch einen politischen Bezug aufweisen. Das Twitter-Publikum kann so einen Eindruck darüber gewinnen, mit welchen Themen sich die Journalisten aktuell beschäftigen. In den Tweets der BPK-Journalisten dominiert die Weitergabe von Informationen. Annähernd zwei Drittel der Tweets von BPK-Journalisten sind in einem nachrichtlichen Stil verfasst. Eindeutige Meinungsäußerungen finden sich in weniger als einem Fünftel der Tweets. Die Tonalität der Tweets ist in der weit überwiegenden Zahl der Fälle sachlich. Private Informationen werden auf den Profilen nur selten geteilt. Die Möglichkeit, durch soziale Medien Transparenz über die eigene journalistische Arbeit herzustellen, d. h. einen „Blick hinter die Kulissen“ zu gewähren, wird nur im Ansatz genutzt. Auf Twitter liegt der Schwerpunkt auf der schnellen, einseitigen Weitergabe von Informationen. Weitergehende Einordnungen und Erklärungen des eigenen Handels sowie persönliche Einblicke in das Redaktionsleben finden sich kaum. 63 Zukunft der Medien: Qualität und Wahrhaftigkeit Die Ergebnisse der Inhaltsanalyse lassen nur eine geringe Publikums beteiligung erkennen. Eine Einbindung anderer Twitter-Nutzer wird noch am ehesten in Form einer einfachen Konversation über Nachrichten realisiert. Eine weitergehende Recherche, die auf den Einbezug des Publikums mittels Twitter setzt, spielt im Analysezeitraum keine Rolle. Die Monitoring-Daten zeigen, dass unter den Personen, die am häufigsten Twitter-Kontakte mit BPK-Journalisten haben, zuvorderst Journalisten zu finden sind. Wie offen sind also die Netzwerke von politischen Journalisten? Die Netzwerkanalyse bestätigt sowohl hinsichtlich der @ mentions als auch der Retweets, dass unter allen Interaktionspartnern von Journalisten in erster Linie andere Journalisten und – wenn auch mit einigem Abstand – Politiker zu finden sind. Der Austausch mit Politikern wird vor allem im Rahmen von @mentions abgebildet. In schwächerer Form zeigt er sich durch Retweets. Die in der Studie ermittelten Kernnetzwerke deuten darauf hin, dass sich die BPK-Journalisten auf Twitter tendenziell in einer Art Journalismus-„Blase“ bewegen: Der Austausch mit Kollegen steht hier, wenn es zu Interaktionen kommt, im Vordergrund. Der Vergleich mit den „Twitterati“ unterstreicht die starke Orientierung an anderen Journalisten. Die untersuchten Journalisten sind bereits versiert im Umgang mit Retweets, @mentions, Hashtags und Hyperlinks: Die Mehrheit der twitternden Journalisten greift bereits auf alle genannten Twitter-Operatoren, die als Marker in Konversationen dienen, in ihren selbstverfassten Tweets zurück. Die Hyperlink-Auswertung zeigt, dass Journalisten vor allem Verweise auf journalistische Angebote geben. Eigenwerbung scheint neben der Informationsverbreitung ebenfalls ein Motiv zu sein: Annähernd die Hälfte der spezifischen Verweise auf journalistische Angebote enthält Links zum eigenen Medienangebot oder auf die selbst publizierten Beiträge der twitternden Journalisten. 4. Schlussfolgerungen für die journalistische Praxis Für welche Zwecke sollten soziale Medien eingesetzt werden? Wo liegen ihre Stärken und Schwächen? In der Befragung kristallisierten sich recht klare Leistungsprofile heraus, die Redaktionen eine Orientierung geben können: Facebook hat das weiteste Anwendungsspektrum. Vor allem bei der Publikumsbeteiligung übertrifft das soziale Netzwerk die anderen Angebote in fast jeder Hinsicht. Bei der Recherche eignet sich Facebook nur für „weiche“ Ziele (Finden von Themenideen, Meinungsverteilung zu einer 64 Auf allen Kanälen unterwegs – Wie Internetredaktionen den Umgang mit sozialen Medien lernen Streitfrage) und für die Beobachtung der Resonanz auf die eigene Berichterstattung. Twitter ist, soweit es um das Publizieren geht, lediglich für die EchtzeitInteraktion mit dem Publikum geeignet, dagegen kaum für längerfristige Diskussionen. Die herausragenden Stärken von Twitter liegen im Bereich der Recherche, und zwar besonders im Hinblick auf Kontakte zu Experten und Prominenz (kontinuierliche Beobachtung prominenter Quellen, Suche nach Experten, Pflege von Expertennetzwerken). Die Analyse der TwitterAktivitäten von Politikjournalisten demonstriert eindrucksvoll, wie Journalisten in diesem öffentlichen Raum untereinander und mit Politikern „netzwerken“. Twitter wird auch im Hinblick auf für das Sammeln von Fakten über aktuelle Ereignisse bevorzugt. Beim Publizieren eignet sich Twitter für die Live-Berichterstattung und kurze Eilmeldungen. Blogs haben besondere Stärken bei der Publikumsinteraktion, wenn Themen längerfristig diskutiert werden, Nutzer eigene Beiträge schreiben und die Redaktion Einblick in ihre Arbeit geben will. Außerdem sind Blogs für Kolumnen geeignet, in denen ein Autor seine Sicht der Dinge schildert. Der Vorzug von YouTube liegt selbstredend in der günstigen Möglichkeit, Videos zu publizieren. Wie lassen sich Erfolg und Qualität im Umgang mit sozialen Medien definieren, messen und erreichen? Die Frage nach dem richtigen Umgang lässt sich in zwei Richtungen beantworten: Während sich „Erfolg“ im Journalismus an Indikatoren wie z. B. Besucher- und Umsatzzahlen bemisst, macht „guten“ Journalismus eher das Erfüllen professioneller Qualitäts maßstäbe aus. Was den Erfolg betrifft, so zeigt sich, dass auffallend viele Anbieter – besonders Tageszeitungen – daran scheitern, neue Nutzer für das traditionelle Muttermedium zu gewinnen oder Erlöse durch Werbung oder beim Publikum zu erzielen. Oft werden diese Ziele auch gar nicht anvisiert. Das Eingeständnis des Scheiterns bei den „harten“, ökonomisch relevanten Zielen steht in einem gewissen Widerspruch zur Behauptung der überwiegenden Zahl der Befragten, dass sie über eine klare Social Media-Strategie verfügen (83 Prozent) und an der Spitze der Entwicklung stehen wollen (59 Prozent). Die Redaktionen sind aber erfolgreich darin, via Social Media – auch junge – Nutzer zu gewinnen und zu binden. Längerfristig wird es darum gehen, sie nicht nur als Gratisleser zu halten, sondern ihnen auch den Mehrwert und die Exklusivität des Angebots unter Beweis zu stellen, um sie zu zahlenden Kunden machen zu können. 65 Zukunft der Medien: Qualität und Wahrhaftigkeit Was die Qualität von sozialen Medien angeht, so müssen dafür zunächst einmal internetspezifische Maßstäbe in den Redaktionen und in der journalistischen Profession gefunden werden. Dass sich in den verschiedenen Anwendungsbereichen bereits einige Regeln herausgebildet haben, die von nahezu allen Redaktionen geteilt werden, zeigen die Befragungsergebnisse. Mit sueddeutsche.de, Zeit Online und auch Spiegel Online lassen sich hier auch Vorbilder nennen, deren Art der Nutzerbeteilig ung große Anerkennung im Kollegenkreis genießt. Hier hat die Befragung eine Reihe von Orientierungspunkten für die Arbeit in den Redaktionen geliefert, die auch in der Aus- und Weiterbildung weitervermittelt werden können. In der Aus- und Weiterbildung lassen sich gegenüber der Vorgängerbefragung aus dem Jahr 2010 zwar Verbesserungen erkennen, dennoch sehen die Redaktionsleiter immer noch viele Kompetenzmängel, die sie detailliert im Fragebogen benannt haben, sodass sie gezielt behoben werden könnten. Neben der Verbesserung der Kompetenz der einzelnen Journalisten müssen auch in den Redaktionen geeignete Voraussetzungen geschaffen werden. Oft herrschen Zeit- und Personalmangel, und auch hinsichtlich des Redaktionsmanagements stellen sich Fragen, z. B. zum Grad der Spezialisierung im Umgang mit sozialen Medien. Die Digitalisierung führt dazu, dass der Journalismus fortlaufend mit neuen Produktions- und Publikationsmöglichkeiten experimentieren muss. Für ein systematisches und flexibles Lernen müssten im Journalismus die Bedingungen weiter verbessert werden. Mit welchen Social-Media-Angeboten und anderen Websites konkurrieren Regional- und Lokalzeitungen? Und wie sollten sie damit umgehen? Die Befragung konzentrierte sich auf die vielfältigen Komplementärund Integrationsbeziehungen zwischen sozialen Medien und Journalismus. Das ebenfalls vielfältige Konkurrenzumfeld des Journalismus wurde im Fall der regionalen/lokalen Tageszeitungen genauer in den Blick genommen. Als Konkurrenten um Leser werden hier vor allem soziale Netzwerkplattformen, andere regionale/lokale Tageszeitungen und sonstige Medien wahrgenommen. Auf den ersten Blick ist es schwer erklärbar, weshalb soziale Netzwerke wie Facebook als die schärfsten Konkurrenten betrachtet werden. Die offene Frage nach den wichtigsten Konkurrenten gab hier keinen weiteren Aufschluss, denn es wurde kaum auf einzelne Netzwerk-Profile verwiesen. Offenbar besteht eine eher unbestimmte Angst vor sozialen Netzwerken. 66 Auf allen Kanälen unterwegs – Wie Internetredaktionen den Umgang mit sozialen Medien lernen Redaktionen können gegenüber Konkurrenten unter drei möglichen Strategien wählen: Sie können sich von ihnen abgrenzen, deren Eigenschaften adaptieren oder mit ihnen kooperieren. Vor allem gegenüber nicht-journalistischen Anbietern ist die Abgrenzung ratsam, wobei der Qualitätsvorsprung deutlich gemacht werden sollte. Kreative journalistische Anwendungen sollten dagegen eher adaptiert oder durch eine Kooperation in das eigene Angebot eingebunden werden. Literatur Neuberger, Christoph/Langenohl, Susanne/Nuernbergk, Christian (2014): Social Media und Journalismus. Düsseldorf: LfM (= LfM-Dokumentation, 50). http://lfmpublikationen.lfm-nrw.de/index. php?view=product_detail&product_id=360, 03.03.2015. Neuberger, Christoph/vom Hofe, Hanna Jo/Nuernbergk, Christian (2011): Twitter und Journalismus. Der Einfluss des „Social Web“ auf die Nachrichten. 3., überarbeitete Auflage, Düsseldorf: Landesanstalt für Medien Nordrhein-Westfalen (LfM) (= LfM-Dokumentation, 38). http://lfmpublikationen.lfm-nrw.de/index.php?view=product_detail&product_id=182, 03.03.2015. Spangenberg, Jochen (2015): Soziale Medien und journalistische Berichterstattung. In: Friedrichsen, Mike/Roland A. Kohn (Hrsg.): Digitale Politikvermittlung. Wiesbaden: Springer VS. S. 105-126. Anmerkungen 1 Die Publikation ist auf der Website der LfM NRW als PDF abrufbar und kann dort auch kostenlos als Buch bestellt werden: http://lfmpublikationen.lfm-nrw.de 2 Um Daten zu verifizieren und soziale Medien zu durchsuchen, werden auch Dienste von Drittanbietern verwendet. Einen aktuellen Überblick gibt dazu Spangenberg (2015). 67 Das Aufmerksamkeits-Regime: Warum die Medialisierung der Gesellschaft die Bedingungen für kritischen Journalismus verändert von Bianca Kellner-Zotz 1. Mediale Präsenz als Ressource G anze Heerscharen von PR-Fachleuten fragen sich Tag für Tag: Wie schaffe ich es in die Tagesschau? Wie platziere ich meine Geschichte Gerhard Schröder, in der SZ? Wie muss ich mein Alt-Bundeskanzler Thema aufbereiten, um beim (Diekmann et al. 2012) Lokalredakteur Interesse zu wecken? Professionelle Öffentlichkeitsarbeit zielt in den meisten Fällen darauf ab, (positiv gefärbte) Berichterstattung zu generieren. Die Idee dahinter: Nur, wer in den Medien präsent ist, bekommt die Aufmerksamkeit, die er braucht, um seine Ziele zu erreichen. Wer in den Medien nicht vorkommt, gewinnt keinen Wahlkampf, verkauft keine Eintrittskarten, erhält keine Baugenehmigung für ein neues Werk und erst recht „Was wir über unsere Gesellkeine Subventionen. Blumler schaft, ja über die Welt, in der spricht von einer „kommunikawir leben, wissen, wissen wir tionsabhängigen Gesellschaft“, in der „Medienaufmerksamkeit durch die Massenmedien.“ eine zentrale Quelle politischen Einflusses und Macht“ bedeutet Niklas Luhmann, (1997: 23). Diese Spielregel haben Soziologe (Luhmann 1995: 5) die Akteure sämtlicher gesell- „Zum Regieren brauche ich BILD, Bams und Glotze.“ 68 Das Aufmerksamkeits-Regime schaftlicher Subsysteme verinnerlicht. Sie orientieren sich deshalb an den Programmen und Routinen des massenmedialen Systems. Die Massenmedien ihrerseits stehen in einem erbarmungslosen Wettbewerb um die Aufmerksamkeit von Publikum und Werbetreibenden, der sich mit der Ausdifferenzierung des massenmedialen Systems in den vergangenen 30 Jahren immer weiter verschärft hat. Mit der Einführung des Privatrundfunks, dem Siegeszug des Internets und der Etablierung sozialer Medien haben sich Medialisierungsschübe vollzogen, die Aufmerksamkeit zu einer knapper werdenden und gleichzeitig wertvolleren „Das Fernsehzeitalter hat einen Ressource gemacht haben. Wie bedeutenden Wandel herbeigedie Langzeitstudie Massenkomführt; die auffälligste Veränmunikation zeigte, hat das tägliche Medienzeitbudget zwischen derung im Leben von Millionen 1980 und 2000 von 346 auf 502 Menschen besteht darin, dass Minuten um gut 45 Prozent zusie nun ständig mit schauspielegenommen, 2010 lag es bei 583 rischen Darbietungen aller Art Minuten (van Eimeren/Ridder konfrontiert sind.“ 2001: 553; Ridder/Turecek 2011: 574). Gleichzeitig hat sich das Arthur Miller, Autor Angebot aber stark vervielfacht. (Miller 2001: 12) „Das bedeutet, dass die Konkurrenz der Medien um die Aufmerksamkeit der Menschen in den vergangenen Jahren immer intensiver geworden ist“ (van Eimeren/Ridder 2001: 553). In der Folge veränderte sich der Journalismus bzw. die ihm zugrunde liegende massenmediale Handlungslogik. Was von Zeitungen, Rundfunkanstalten und Online-Portalen als Information ausgewählt und wie diese dann aufbereitet wird, folgt heute identifizierbaren Berichterstattungsmustern, die einem dezidierten Zweck dienen: Aufmerksamkeit zu erzeugen. Denn nur so können Massenmedien Öffentlichkeit herstellen und über Auflagen, Einschaltquoten oder Klickzahlen genügend Geld verdienen, um am Markt zu bestehen. Je wertvoller Aufmerksamkeit aber für die Gesellschaft wird, umso wichtiger wird es, auf die Leistung der Massenmedien, „Themen der gesellschaftlichen […] Kommunikation mit öffentlicher Aufmerksamkeit und Akzeptanz zu versorgen“ (Marcinkowski/Steiner 2010: 63) zuzugreifen. In der Folge passen sich Funktionssysteme wie Politik, Wirtschaft und Kultur der Medienlogik an, um ihre Themen über die Medien an potenzielle Wäh69 Zukunft der Medien: Qualität und Wahrhaftigkeit ler, Kunden oder Besucher zu bringen. Derartige „fremdreferenzielle[n] Zugriff[e]“ (vgl. ebd: 63) sind Indizien für soziale Wandlungsprozesse, die sich unter dem Phänomen der „Medialisierung“ zusammenfassen lassen. Beispiel Politik: Hessens FDP-Vorsitzender Jörg-Uwe Hahn lädt Zeitungen und Fernsehstationen ein, die ihm zum Auftakt des Bundestagswahlkampfs beim Ankleben der Wahlplakate zusehen sollen (Schneider 2013: 6). Beispiel Wissenschaft: „Universitäten umwerben gezielt mediengewandte Wissenschaftler, denn nichts steigert den Bekanntheitsgrad mehr als häufige Präsenz in der Öffentlichkeit“ (Müller 2013: R2). Beispiel Kultur: Caterer Attila Dogudan inszeniert Events, „damit die Botschaft über die Medien gut an den Mann kommt. Die Menschen gehen zu Events, weil sie in der Zeitung stehen wollen. Eventveranstalter denken zuerst an die Medien, dann an die Gäste“ (Reichardt 2013: 18). Die Konsequenz: Journalisten sehen sich immer häufiger mit Pseudo-Events konfrontiert und laufen Gefahr, instrumentalisiert zu werden – gerade in Zeiten, in denen Redakteursstellen wegfallen, während die PR-Branche boomt. In den USA kommen nach Angaben des amerikanischen Arbeitsministeriums auf jeden Journalisten 4,6 PR-Leute. Für Deutschland liegen keine vergleichbaren Zahlen vor, es gibt jedoch Indizien, dass hierzulande mittlerweile genauso viele Menschen in der PR arbeiten wie im Journalismus (Dillmann 2014). Medialisierungsforschung untersucht gesellschaftliche Wandlungsprozesse, die sich darauf zurückführen lassen, dass andere gesellschaftliche Teilsysteme auf die Leistungen des massenmedialen Systems zugreifen. Sie geht davon aus, dass diese Anpassungen Einfluss haben auf Prozesse und Routinen in sämtlichen Funktionsbereichen. Um die Folgen einer zunehmenden Medialisierung für den Journalismus beleuchten zu können, soll im Folgenden auf die theoretischen Grundlagen der Medialisierung eingegangen werden. 2. Medialisierung als Theorie des sozialen Wandels Ökonomisierung, Globalisierung, Individualisierung, Digitalisierung – die moderne Gesellschaft durchläuft Transformationen, die zu gewaltigen Verschiebungen der Alltagsstrukturen führen. Wie, wo und wann wir leben und arbeiten ändert sich. Mit zunehmender Geschwindigkeit. Traditionelle Bindungen brechen auf, die „geographische, berufliche und soziale, aber auch seelische Mobilität“ steigt (Blumler 1997: 22). Die Massenmedien begleiten diesen sozialen Wandel, werden von ihm beeinflusst und geben ihrerseits Impulse. Bösch und Frei sprechen von einem „Prozeß [sic] der wechselseiti70 Das Aufmerksamkeits-Regime gen Stimulierung von Medien- und Gesellschaftsentwicklung“ und nennen diesen Prozess Medialisierung (2006: 9). Allein aufgrund ihrer „Selektionsleistungen“ verfügten die Medien über eine „hohe Deutungsmacht“ (ebd.: 12). Andere gesellschaftliche Teilsysteme, vor allem die Politik, hätten sich deshalb auf die Logik der Massenmedien eingestellt (ebd.: 20). Der Ausgangspunkt: Die Handlungslogik der Massenmedien Die Ausdifferenzierung des Mediensystems im Verlauf des 20. Jahrhunderts hat dazu geführt, dass nur das Medienunternehmen am Markt bestehen kann, das ausreichend Aufmerksamkeit auf sich zieht. In der Folge wird die Berichterstattung spektakulärer, bildhafter und schneller. Diese Berichterstattungsmuster haben Altheide und Snow als erste als Medienlogik und als spezifischen „way of life“ bezeichnet (1979: 237). Altheides Ansicht nach wollen Medien eine Geschichte erzählen. Jeder Beitrag verlangt nach einem Anfang, einem Mittelteil und einem Schluss (2004: 294). Ziel dieser leicht verständlichen und möglichst dramatischen Stücke ist es, das Publikum zu unterhalten und bei der Stange zu halten. Die Medien müssen ständig etwas Neues und Außergewöhnliches präsentieren, erzeugen Formate „that are visual, brief, action-oriented“ (Altheide 2013: 226). Altheide geht davon aus, dass es so etwas wie eine „basic underlying conceptual logic“ gibt – auch wenn diese je nach Mediengattung und Kanal leicht abweichen kann (ebd.: 224-225). Landerer dagegen hält dieses Konzept einer übergreifenden kohärenten Medienlogik für wenig hilfreich (2013: 242). Er plädiert dafür, zwischen einer „commercial logic“, die sich den ökonomischen Anforderungen des Mediengeschäfts unterwirft, und einer „public logic“ zu unterscheiden, die eher der journalistischen Ethik und öffentlichkeitstheoretischen Idealen folgt (ebd.: 243-244). Mit der zunehmenden Marktorientierung auch öffentlich-rechtlicher Medien scheinen die normativen Ansprüche aber unter Druck zu geraten. Esser betont „professional, commercial, and technological aspects“ der massenmedialen Handlungslogik (2013:175), geht aber von einer „specific media logic“ aus (ebd.: 156). Hinter dieser identifizierbaren Medienlogik verbirgt sich laut Hjarvard „the choice of mode of presentation, and the selection and portrayal of social experience in the media“ (2008: 107). Es geht also nicht nur um die Auswahl von Themen, nicht nur um den Nachrichtenwert. Medienlogik umfasst auch die Präsentation und – ein ganz entscheidender Punkt – Interpretationen. Medien liefern den Rezipienten damit Realitätskonstruktionen. Eine empirische Studie zur Handlungslogik deutscher Ta71 Zukunft der Medien: Qualität und Wahrhaftigkeit geszeitungen konnte das bestätigen: Meyen kam zu dem Schluss, dass Zeitungen zu „Vereinfachungen, Zuspitzungen und Übertreibungen“ neigen, einmalige und spektakuläre Ereignisse betonen, auf eine leicht verständliche, bildhafte und übersichtliche Aufbereitung setzen und Ereignisse nicht nur einordnen, sondern auch bewerten und dramatisieren (2015: 35). Abbildung 1 fasst die in der Studie identifizierten Selektions-, Präsentations- und Interpretationsmuster deutscher Tageszeitungen zusammen. Einmaliges Verständlich Geschichten erzählen Superlative Originell Einordnen/Orientierung geben Personalisierung Übersichtlich Bewerten Exklusivität Visuell Dramatisieren Interpretationslogik Präsentationslogik Selektionslogik Aufmerksamkeitsmaximierung Abbildung 1: Selektions-, Präsentations- und Interpretationsmuster deutscher Tageszeitungen (eigene Darstellung nach Meyen 2015) Der Prozess: Medialisierung als Forschungsperspektive „Mediatization then can be defined as the growing intrusion of media logic as an institutional rule into other fields where it now supplements (and in extreme cases replaces) existing rules for defining appropriate behavior“ (Esser 2013: 160). Medialisierung verändert die internen Prozesse anderer Funktionssysteme. In einer Gesellschaft, in der sich Aufmerksamkeit zu einer strategischen Ressource entwickelt hat (vgl. Hjarvard 2008: 107), wird die Handlungslogik der Massenmedien zum Leitfaden für systemfremde Akteure, die auf die Leistung der Massenmedien zugreifen wollen, um „Themen […] mit öffentlicher Aufmerksamkeit und Akzeptanz zu versorgen“ (Marcinkowski/Steiner 2010: 63). Meyen begreift Medialisierung als die Anpassung von sozialen Funktionssystemen an die Handlungslogik der Massenmedien und versteht sie als langfristige Medienwirkungen zweiter Ordnung (2014a: 377). Es geht also nicht um kurzfristige Medieneinflüsse, 72 Das Aufmerksamkeits-Regime die die Einstellung oder das Verhalten von einzelnen beeinflussen, sondern um Reaktionen, die Ressourcen, Programme und Strategien ganzer Teilsysteme verändern (ebd.). Der Wunsch nach Aufmerksamkeit wird zum Dreh- und Angelpunkt einer medialisierten Gesellschaft. Im Ergebnis internalisieren andere gesellschaftliche Teilsysteme die Handlungslogik der Massenmedien – bewusst oder unbewusst. Unbewusst vor allem deshalb, weil Menschen dazu neigen, den Einfluss von Massenmedien auf Dritte höher einzuschätzen als auf sich selbst (Huck/Brosius 2007: 356). Diese „Unterschiede zwischen Selbst- und Fremdwahrnehmung können zusätzlich Konsequenzen für das Verhalten der Betroffenen haben“ (ebd.: 356). Gerade weil z. B. der Pressesprecher davon ausgeht, dass ein negativer Bericht über die Arbeitsbedingungen in den Fabriken seiner Firma Kunden davon abhalten könnte, weiter die Produkte des Unternehmens zu kaufen, setzt er alles daran, einen entsprechenden Artikel zu verhindern. Dabei hätte so ein Beitrag möglicherweise kaum Auswirkungen auf den Umsatz. Das Phänomen des Third-PersonEffekts zeigt, dass Menschen eine Vermutung über die Wirksamkeit von Medien haben – und ihr Handeln danach ausrichten. Medialisierung hat sich in der Kommunikationswissenschaft mittlerweile als eigene Forschungsrichtung etabliert. In letzter Zeit haben mehrere empirische Untersuchungen interessante Befunde produziert. Danziger (2009) sowie Peleg und Pogoch (2012) haben sich mit der Medialisierung des Rechts beschäftigt. Beide Studien zeigen, dass sich die Logik des Rechtssystem an der massenmedialen Handlungslogik orientiert, z. B. indem Tatbestände und Urteile als Geschichten reformuliert und mit Journalistensprache unterfüttert werden. Darüber hinaus müssten sich professionelle PR-Stellen auf die Wünsche der Massenmedien einstellen und karriereorientierte Juristen profitierten davon, wenn sie sich medienaffin verhielten. Landerer hat die Medialisierung der Politik in der Schweiz analysiert und konstatiert, dass vor allem diejenigen Abgeordneten die Öffentlichkeit suchen, die am linken oder rechten Rand des Parteienspektrums stehen. Sie setzen auf Events und benutzen verkürzte Symbolsprache (2014: 315). Für das Segment der Energiepolitik stellt Fawzi fest, dass „die Medienberichterstattung und/oder die Medienlogik für politische Akteure an Bedeutung gewonnen haben“ (2014: 24). Eine Arbeit zur Medialisierung der Kultur haben Jürgen Wilke und Jasmin Schülke vorgelegt (2011). Gegenstand ihrer Untersuchung ist die Kunstausstellung „documenta“, die seit 1955 alle fünf Jahre in Kassel statt73 Zukunft der Medien: Qualität und Wahrhaftigkeit findet. Wilke und Schülke führten Interviews mit Mitarbeitern der Pressestelle und werteten Archiv-Material aus. Sie kamen zu dem Schluss, dass das System Kunst sukzessive an Autonomie verloren hat (ebd.: 244). Parallel zu einem Bedeutungszuwachs der Medien kam es zu einer „Professionalisierung der Öffentlichkeitsarbeit“ (ebd.: 245). Die Pressestelle baute sukzessiv Mitarbeiter auf, der Kontakt zu den einzelnen Journalisten wurde intensiviert und die Zahl der akkreditierten Journalisten nahm zu (ebd.: 249-250) – Indizien für eine Medialisierung der Ausstellung und für das System Kunst als Ganzes. Besonders empfänglich für Medialisierungseffekte scheint das System Sport zu sein. Meyen untersuchte den deutschen Spitzenfußball auf Veränderungen der Strategien (Mikro-Ebene: Verhalten auf dem Platz, Trainer, Transfers, Medientraining), Ressourcen (Meso-Ebene: PR-Aktivitäten, Stadien) und Programme (Makro-Ebene: Rhythmen bei der Austragung von Bundesligaund Europapokal-Spielen sowie Regeln) (2014a: 382). Es zeigte sich, „dass sich die Fußballakteure auf allen Handlungsebenen an die Handlungslogik des Systems Massenmedien angepasst haben und dass dabei vor allem die Verschiebung dieser Handlungslogik in Richtung Kommerz zentral war“ (ebd.: 391). 3. Medialisierungsforschung als “Seismograph” für kritischen Journalismus Dass die zunehmende Ökonomisierung eine Gefahr für neutralen, kritischen Journalismus darstellt, ist unbestritten. Die Vermittlerrolle, die die Medien in einer funktional ausdifferenzierten Gesellschaft innehaben, macht sie zu einem „politischen Akteur“ (Imhof 2006: 203). Wie die Massenmedien politische Inhalte auswählen, aufbereiten und interpretieren ist damit eine demokratietheoretisch bedeutsame Frage. Schließlich erheben die Medien selbst den Anspruch, eine „vierte Gewalt“ zu sein, die die Mächtigen kontrolliert (ebd.: 17). Wenn Verleger in Zeiten schwindender Abonnementzahlen immer abhängiger werden von der werbetreibenden Industrie und wenn freie Journalisten sich angesichts stagnierender Zeilenhonorare keine tiefgreifende Recherche mehr leisten können, dann ist es jedoch fraglich, inwieweit Medien diese „vierte Gewalt“ noch ausüben können. In diesem Zusammenhang wird der Handlungsspielraum der Redaktionen aber nicht nur durch die Gratismentalität des Internets oder das Wegbrechen der Anzeigenmärkte eingeschränkt. Vielmehr ist es auch die 74 Das Aufmerksamkeits-Regime Medialisierung der Gesellschaft, die zwar z. B. im Zuge der Kommerzialisierung auch öffentlich-rechtlicher Medien mit Ökonomisierungstendenzen einhergehen kann (vgl. Landerer 2013), den kritischen Journalismus aber gleichzeitig noch vor ganz andere Herausforderungen stellt. Dann nämlich „wenn Politik, Wirtschaft oder Sport […] Strategien, Ressourcen und Systemprogramme so ändern, dass sie der Handlungslogik des Mediensystems entgegenkommen, und auf diese Weise die Inhalte der Berichterstattung steuern“ (Meyen 2014b: 653). Wenn Sportfunktionäre, Parteivorsitzende und Vorstandssprecher den Medien originelle und spektakuläre Geschichten anbieten, wenn sie auf Personalisierung und Prominenz setzen und Fakten vernachlässigen oder von Regie-Profis gestaltete Events inszenieren, dann reagieren sie auf Selektions-, Präsentations- und Interpretationsmuster der Medien und greifen den Medien gleichzeitig voraus – indem sie perfekt aufbereitete Deutungsangebote liefern, die zudem kostengünstig zu haben sind. Umso geschickter Akteure gesellschaftlicher Teilsysteme dabei sind, die Aufmerksamkeit der Massenmedien auf sich zu ziehen, indem sie die massenmediale Handlungslogik bedienen, desto schwieriger wird es für die Journalisten sein, sich z. B. der Eventisierung von Pseudo-Ereignissen zu entziehen und auf Basis eigener Themensetzung umfangreich und objektiv zu berichten. Gerade in für die Medien wirtschaftlich schwierigen Zeiten könnten Medialisierungstendenzen dazu führen, dass Eigenrecherche und kritische Distanz verloren gehen. Medialisierungsforschung kann „solche Entwicklungen offen legen und damit einen Beitrag zur Resilienz des Mediensystems leisten“ (ebd.: 654). In anderen Worten: Indem diese Forschungsrichtung als „Seismograph“ wirkt und Medialisierungstendenzen transparent macht, kann sie helfen, den Journalismus für Einflussnahmen anderer gesellschaftlicher Teilsysteme zu sensibilisieren. Literatur Altheide, David L. (2013). Media Logic, Social Control, and Fear. In: Communication Theory, 23, S. 223-238. Altheide, David L. (2004). Media Logic and Political Communication. In: Political Communications, 21, S. 293-296. Altheide, David L./Snow, Robert P. (1979). The Media Logic. Beverly Hills, CA. Blumler, Jay G. (1997). Wandel des Mediensystems und sozialer Wandel: Auf dem Weg zu einem Forschungsprogramm. 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Hierbei wurden insgesamt zwölf Personen, darunter zahlreiche Mitarbeiter der Zeitschrift, von zwei islamistischen Attentätern getötet. Die Reaktionen folgten prompt. Staatschefs aus aller Welt sowie Kirchen- und Glaubensvertreter aller Konfessionen verurteilten den Anschlag. Auch in den sozialen Netzwerken war die Solidarität mit den Opfern und deren Familien groß. So änderten unzählig viele Facebook-Nutzer ihr Hintergrundbild in einen Schriftzug, der da lautete: „Je suis Charlie“, um ihre Abscheu gegenüber diesem Terrorakt Ausdruck zu verleihen, der als das schwerste Attentat in Frankreich innerhalb der vergangenen Jahre betrachtet werden kann. Ebenso spontan kam es in vielen Städten Frankreichs, aber auch in anderen europäischen Ländern zu Demonstrationen gegen die Tat der islamistischen Terroristen und zur Unterstützung der Opfer und deren Kampf für die Meinungs- und Pressefreiheit, bei denen tausende „Je suis Charlie“-Schilder in die Luft gehalten wurden. Über die genauen Hintergründe des Anschlags auf die Redaktion des Satire-Magazins „Charlie Hebdo“ konnte kurze Zeit nach dem Anschlag nur spekuliert werden. Dass jedoch die zahlreichen Veröffentlichungen von religionskritischen Karikaturen durch die Zeitschrift einen Ausschlag dafür gegeben haben, lag allerdings auf der Hand. Ein Rückblick: „Charlie Hebdo“ ist eine französische Satirezeitschrift. Sie wurde von 1970 bis 1981 publiziert und erschien wieder seit 1992 in Paris mit einer wöchentlichen Druckauflage von rund 140.000 Exemplaren. 78 Der Tag, an dem jeder Charlie wurde Der Name „Charlie“ stammt von der Comicfigur Charlie Brown und verweist auf die Ursprünge der Zeitschrift im Bereich der Comic-Magazine. „Hebdo“ ist die im Französischen verwendete Abkürzung für „hebdomadaire“, d. h. Wochenzeitschrift. Auch wenn sich die politische Ausrichtung der Zeitschrift vom linken Spektrum zur Mitte hin orientiere, blieb die von Anfang an vorhandene Religionsfeindlichkeit im Vordergrund der Veröffentlichungen von „Charlie Hebdo“1; wobei sich diese nicht nur gegenüber dem Islam äußerte, sondern gegenüber allen Glaubensrichtungen, auch dem Christentum. „Charlie Hebdo“ gehörte 2006 zu den wenigen Zeitschriften, die die Mohammed-Karikaturen aus der dänischen Jyllands-Posten nachdruckten, erweitert um eigene Karikaturen über Muslime. 2011 hatte die Redaktion ihre Sonderausgabe zum Wahlsieg der islamistischen Partei al-Nahda in Tunesien in „Scharia Hebdo“ unbenannt, und eine comicartige Darstellung des Propheten Mohammed als Titelseite publiziert. Daraufhin schleuderten Unbekannte einen Molotow-Cocktail in die Pariser Redaktion des Magazins.2 Am 19. September 2012 veröffentlichte „Charlie Hebdo“ neue Mohammed-Karikaturen. Die Karikaturen erschienen zu einem Zeitpunkt als im Internet Ausschnitte aus dem islamfeindlichen Film „Innocence of Muslims“ kursierten, die zu wütenden und blutigen Proteste in vielen islamischen Ländern mit mehreren Todesopfern geführt hatten. Am 2. Januar 2013 veröffentlichte „Charlie Hebdo“ eine Sonderausgabe, die das Leben des Propheten Mohammed in gewohnt satirischer Art und Weise in Comicform darstellte. Fast auf den Tag genau erfolgte zwei Jahre später der tödliche Angriff durch zwei islamistische Terroristen. II. Reaktionen auf den Anschlag Neben Vertretern aus Politik, Wirtschaft, Religion und der gesamten Bevölkerung solidarisierten sich auch unzählige Journalisten mit den Unterstützern der Opfer. Jedes journalistisches Medium in Deutschland berichtete über den Anschlag und viele Redakteure zeigten sich in ihrem Kommentaren ebenso schockiert über den Tod der französischen Kollegen wie alle anderen. Zusätzlich zum menschlichen Schmerz über den Verlust von Kollegen und zum Entsetzen über die Brutalität des Anschlags wurde dem Attentat auch noch eine weitere Zweckbestimmung zugeschrieben: Die Tötung der Redakteure des französischen Satire-Magazins wurde als Racheakt für die Veröffentlichung der umstrittenen Mohammed-Karika79 Zukunft der Medien: Qualität und Wahrhaftigkeit turen und damit als Angriff auf die in Art. 5 des (deutschen) Grundgesetzes verfassungsmäßig garantierte Meinungs- und Pressefreiheit angesehen. Dieses unzweifelhaft hohe Gut und dieser Grundpfeiler einer demokratischen Gesellschaft sollte in keiner Weise beeinträchtigt werden dürfen und schon gar nicht von Terroristen, so die Meinung zahlreiche Kommentatoren. Selbst die ARD verließ bewusst die Position der journalistischen Neutralität, was sie mit den Worten beschrieb: „Wir machen uns mit keiner Sache gemein. Beim Überfall auf die Redaktion von „Charlie Hebdo“ weichen wir davon ab!“ Dabei war der klassisch blaue Hintergrund des Tagesschau/ Tagesthemen Studios durch einen schwarzen Hintergrund mit weißer Schrift ersetzt worden, die da lautete: „Je suis Charlie“ bzw. „Nous sommes Charlie“, um, wie die ARD ausführte, „ein Zeichen für unser Mitgefühl mit den Opfern, ein Zeichen der Solidarität mit unseren französischen Kollegen, ein Zeichen für Meinungs- und Pressefreiheit“ zu setzen“. 3 1. Mediale Resonanz Ähnliche Reaktionen erfolgten auch in den Printmedien. So schrieb beispielsweise die Berliner Zeitung in einem Kommentar vom 07.01.2015 (Auszug): „Die Toten von Paris sind Helden. […] Wer immer jetzt versucht, sie für seine Zwecke zu vereinnahmen, begeht einen Frevel. […] Wir, jeder Einzelne, aber auch wir Medien, sollten also die Demokratie und die Freiheit, zu der elementar die Meinungsfreiheit gehört, verteidigen und unser Recht auf eben diese Meinungsfreiheit wahrnehmen“.4 Ähnlich wurde es am 07.01.2014 von der Allgemeinen Zeitung Mainz formuliert (Auszug): „Sie haben sich für die Meinungsfreiheit in Lebensgefahr gebracht und haben für diese Freiheit mit ihrem Leben bezahlt. Ihnen gilt unsere ganze Anteilnahme. Ihnen gegenüber sind wir verpflichtet, diese Freiheit zu verteidigen. […] So wie wir uns keine Sprach-, Zeichen- oder Denkverbote auferlegen lassen dürfen, so dürfen wir die Freiheit und die Offenheit unserer Gesellschaften nicht von Angst und Panikmache auffressen lassen.“5 Auch die Berliner Tageszeitung sah durch den Anschlag in Paris die Pressefreiheit angegriffen und formulierte dies in emotionalisierender Art und Weise wie folgt (Auszug): „Es war dies ein mörderischer Angriff auf die Pressefreiheit, ein Terroranschlag gegen eine der wichtigsten Errungenschaften der Zivilisation. […] In die Trauer um die Opfer mischt sich das Entsetzen über die Bedrohung der Pressefreiheit. […] Welch hohes Gut diese ist, wird an traurigen Tagen […] ganz besonders deutlich. Während 80 Der Tag, an dem jeder Charlie wurde an vielen Orten dieser Welt um das freie Wort nicht selten vergeblich gekämpft wird, ist es in Deutschland garantiert. Wir haben uns daran gewöhnt, dass mit Worten angestoßene Konflikte mit Worten beantwortet werden. Wir haben Gesetze und Regeln, die dafür sorgen, dass gewisse Grenzen bei der Berichterstattung nicht überschritten werden. Wer diese verletzt sieht, kann vor ein Gericht ziehen. Diese Regeln und Gesetze sind von den Mördern in Paris nicht weggebombt worden. Sie existieren weiter. […] Das streitbare Magazin ist schon einmal Ziel eines Anschlags geworden. Für die Redaktion war es gewiss nicht leicht, die gewohnt respektlose Linie weiterzufahren. Dass sie es getan hat, ist ein Zeichen von Mut und verdient allerhöchsten Respekt. Auch deshalb sagt die taz heute: Je suis (ich bin) Charlie!“6 Mehr noch: Der Kommentator der Südwestpresse sah am 07.01.2015 nicht nur die Meinungs- und Pressefreiheit attackiert, sondern nahm den Angriff zum Anlass, die gesamte westlich, aufgeklärte Weltordnung als gefährdet anzusehen. In dieser Veröffentlichung hieß es (Auszug): „Helden, die nicht nur für den Gedanken der Meinungs- und Pressefreiheit einstanden. Sondern für die Ideale eines aufgeklärten Europas. […] Dieses Recht hat das Magazin für sich in Anspruch genommen – frech, unverblümt, ohne Rücksicht auf eine religiöse Gruppierung oder eine Partei. […] Für uns ein selbstverständliches, in den Verfassungen Europas verankertes Recht. In den Augen der verblendeten, blutrünstigen Mörder eine Gotteslästerung“.7 In dasselbe Horn, wenn auch teilweise etwas differenzierender, stießen auch noch weitere Kommentatoren. So schrieb beispielsweise die Rheinische Post am 08.01.2014: „Der blutigste Terroranschlag in Paris seit mehr als 50 Jahren ist somit auch ein Anschlag auf das Werteverständnis der westlichen Welt. Auf die Pressefreiheit. […] Eine Provokation um der Provokation willen ist keine journalistische Kompetenz. Aber Zuspitzung und Sarkasmus gehören zur DNA von Karikaturisten. Wir alle haben die Verantwortung, für diese Freiheit weiter einzustehen. Jeden Tag. Und immer wieder. Die Männer und Frauen von „Charlie Hebdo“ haben diesen Mut gezeigt. Sie sind Vorbilder“.8 Aber neben der Meinungs- und Pressefreiheit fanden auch das Mitgefühl für die Angehörigen der Opfer und der Umgang mit den Tätern Einzug in die Kommentare: „Den Opfern und ihren Angehörigen gilt Mitgefühl, den Tätern keine Gnade. Dies sollten auch jene so sehen, die religiöse Satire als Hetze empfinden. Terror darf niemals eine Antwort sein, um Provokationen in Kunst 81 Zukunft der Medien: Qualität und Wahrhaftigkeit oder Presse zu begegnen. Dies ist ein Angriff auf die Freiheit, auch auf die jedes Deutschen und jedes Einzelnen“, so die Neue Osnabrücker Zeitung am 07.01.2015.9 Am 08.01.2015 widmete die Süddeutsche Zeitung dem Herausgeber des Satire-Magazins „Charlie Hebdo“, der bei dem Anschlag am 07.01.2014 ebenfalls ums Leben gekommen war, einen ganzen Artikel. Hierin hieß es auszugsweise: „Aufrecht, furchtlos, radikal – der Karikaturist kämpfte für die Meinungsfreiheit und nahm dafür große persönliche Opfer in Kauf“.10 2. Aussagen der Kommentare Bei den zitierten Texten handelt es sich lediglich um einen kleinen Ausschnitt aus den unzähligen veröffentlichten journalistischen Meinungen. Diese Liste könnte beliebig lang fortgesetzt werden, wobei sich die Inhalte mehr oder weniger gleichen und sich in drei Hauptpunkte zusammenfassen lassen können: Zum ersten kann man das Entsetzen der Verfasser über das Ausmaß und die Brutalität des terroristischen Anschlags festhalten. Dies ist menschlich absolut nachvollziehbar, denn die sinnlose Tötung von Menschen ist immer eine furchtbare Tragödie, die einerseits Abscheu gegenüber den Tätern und andererseits Mitgefühl mit den Opfern und deren Angehörigen auslöst. Diese in jedem zitierten Kommentar mehr oder weniger deutlich formulierten aber dennoch deutlich vorhandenen Emotionen können auch ohne Wenn und Aber auf die allgemeine Öffentlichkeit übertragen werden. Wer das Gefühl des Entsetzens und der Betroffenheit im Fall des Mordanschlags vom 07.01.2015 nicht empfindet, ist frei von jeglicher Art der Mitmenschlichkeit. Wer bei der Berichterstattung über die Geschehnisse in Paris nicht wenigstens den Gedanken im Kopf hat „Das ist ja furchtbar!“, stellt sich mit den kaltblütigen Attentätern auf eine Stufe und macht sich damit zum geistigen Unterstützer solcher barbarischen Taten. Es ist richtig und wichtig, dass diese Gefühle und Gedanken auch öffentlich artikuliert werden. Zum zweiten hielten die Kommentatoren die Anschläge von Paris auch für einen Angriff auf die Meinungs- und Pressefreiheit. Dieser Gedanke liegt auf der Hand, denn es spricht sehr viel dafür, dass die islamistisch-extremistischen Attentäter die – vorsichtig ausgedrückt – kritischen Inhalte des Satire-Magazins „Charlie Hebdo“ unterbinden und ein abschreckendes Beispiel aussenden wollten, indem hauptverantwortliche Redakteure der Zeitschrift in den Tod gerissen wurden. Für Journalisten ist jedoch die 82 Der Tag, an dem jeder Charlie wurde Meinungs- und Pressefreiheit das – rein beruflich betrachtet – höchste Gut das ein demokratischer Staat zu bieten hat, denn Art. 5 GG garantiert deren Freiheit, ihre Tätigkeit ungehindert, weisungsfrei und zensurfrei auszuüben. Aufgrund der historischen Ereignisse im Dritten Reich, als die Pressefreiheit vollständig abgeschafft wurde, reagieren Journalisten sehr empfindlich, wenn das Ausmaß von Art. 5 GG beschnitten oder beeinträchtigt werden soll, egal von welcher Seite und egal in welcher Form. Zu Recht. Vor diesem Hintergrund hat das Attentat vom 07.01.2015 zu einer bislang unbekannten Solidarisierung unter den Journalisten geführt, um sich gemeinsam auf breiter Front gegen die von den Tätern beabsichtigte Einschränkung der Meinungs- und Pressefreiheit zur Wehr zu setzen. So wurden dem Magazin bereits kurz nach dem Anschlag Arbeitsplätze und finanzielle Mittel von Redaktionen anderer Presseorgane zur Verfügung gestellt, damit deren Arbeit fortgesetzt werden kann. Und man wehrte sich dagegen, dass Einfluss auf die Inhalte der journalistischen Berichterstattung genommen werden sollte, insbesondere durch Terroristen, die ein völlig anderes Werteverständnis haben. So wurde quasi eine breite Phalanx dafür gebildet, dass die Medien weiterhin all das veröffentlichen können sollten, was sie für veröffentlichungswürdig erachten. Diese Solidarisierung gipfelte darin, dass man die Redakteure des Satire-Magazins „Charlie-Hebdo“, die bei dem Anschlag ums Leben gekommen waren, zu Helden erklärte, die Ihr Leben für die Meinungs- und Pressefreiheit geopfert haben. Zum Dritten sahen die Kommentatoren neben der Meinungs- und Pressefreiheit auch die aufgeklärte westliche Weltordnung in Gefahr. Nachdem zumindest einer der Attentäter bereits Kontakt zu islamistischen Terrorgruppen gehabt hatte und dafür in Frankreich zu einer dreieinhalbjährigen Haftstrafe verurteilt worden war, konnte davon ausgegangen werden, dass die Täter Anhänger eines islamischen Gottesstaates waren und die Werteordnung der Scharia propagierten und die westliche Werteordnung radikal ablehnten. Ohne im Einzelnen auf die Ausformung dieser „Staatsform“ eingehen zu wollen, dürfte als allgemein bekannt angesehen werden, dass in einem islamischen Gottesstaat Werte wie Freiheit, Toleranz, Gleichberechtigung, Gewaltenteilung, usw. eine wesentlich geringere Bedeutung haben als in europäischen Demokratien. Die gewaltsamen Anhänger der islamistischen Terrorgruppen bekämpfen nahezu sämtliche Werte, die wesentliche Merkmale der demokratischen Staatsform sind. Mit anderen Worten: Die zitierten Kommentare sagen aus, dass man nicht gewillt 83 Zukunft der Medien: Qualität und Wahrhaftigkeit war, diese Werte, die als Errungenschaften der Aufklärung gelten, aufzugeben. Mit diesem „Wir lassen uns von Eurem Terror nicht unsere Freiheit zerstören!“-Statement, formulieren die Verfasser das, was jeder Demokrat denken dürfte und sprechen damit Millionen von Menschen aus der Seele. Auch das, zu Recht. Festzuhalten bleibt, dass die zitierten Kommentare vor dem Hintergrund des Eindrucks des Attentats vom 07.01.2015 die Meinung eines überwiegenden Teils der Bevölkerung wiedergegeben haben dürften, nämlich dass man Gewalttaten ablehnt, dass auf den Inhalt von Medienberichterstattung keinen Einfluss genommen werden sollte und dass das Volk für seine Freiheit und für seine Rechte kämpfen wird. III. Die Zeit vor dem 07.01.2015 Man möchte meinen, dass die drei Aussagen, die den oben zitierten Kommentaren entnommen werden können, insbesondere das kompromisslose Eintreten gegen jede Form der Bekämpfung der Meinungs- und Pressefreiheit, für die Journallie selbstverständlich sein müsste. Denn wie bereits ausgeführt, garantiert Art. 5 GG die Freiheit der Presse, ihre Tätigkeit ungehindert, weisungsfrei und zensurfrei auszuüben. Ohne diese Rechte, wäre der objektive Journalismus eine reine pro forma-Tätigkeit, d. h. ein Muster ohne Wert. 1. Mediale Resonanz Leider kommt man zu einem anderen Schluss, wenn man so manchen Kommentar über das Satire-Magazin „Charlie Hebdo“ liest, der vor dem 07.01.2015 veröffentlicht wurde, nämlich als es um die Mohammed Karikaturen ging, die am 19.09.2012 und am 03.01.2013 öffentlich gemacht wurden. Diese Publikation erfolgte zu einem Zeitpunkt als im Internet Ausschnitte aus dem islamfeindlichen Film „Innocence of Muslims“ kursierten, die wütende und blutige Proteste in vielen islamischen Ländern, vor allem in Libyen, Tunesien, Sudan und dem Jemen, nach sich zogen und zu mehreren Todesopfern geführt hatten. Aufgrund dieser Gewalttätigkeiten in zahlreichen Ländern – Botschaften wurden angegriffen, Fahnen westlicher Länder wurden verbrannt – herrschte in der Öffentlichkeit eine äußerst zurückhaltende Stimmung, um die religiösen Gefühle der Muslime nicht noch weiter zu verletzen. „Bloß nicht provozieren“, so war die Losung der Politik, aber auch der Medien: So bezeichnete beispielsweise die Stuttgarter Zeitung am 19.09.2012 die Veröf84 Der Tag, an dem jeder Charlie wurde fentlichung der Karikaturen mit folgenden (auszugweisen) Worten als absolut überflüssig: „Die französische Zeitung „Charlie Hebdo“ veröffentlicht satirische Zeichnungen mit Abbildungen des Propheten Mohammed. Damit hat sie einen Fehler begangen. Diesmal liegt „Charlie Hebdo“ daneben. Im Jahr 2005, als die dänische Zeitung „Jyllands-Posten“ und dann auch das französische Satireblatt Mohammed-Karikaturen brachten, entstand eine breite Debatte über diese bewusst blasphemischen Zeichnungen. Die Freiheit der Meinungsäußerung war damals ein gutes und starkes Argument gegen den Respekt religiöser Gefühle. […] Der Hetzfilm „Die Unschuld der Moslems“ hat aber vieles geändert. Ein solches Machwerk ist nicht zu verteidigen. Und das macht es auch für „Charlie Hebdo“ problematisch. Denn seine neuen Karikaturen kommen im Zuge dieses Schmähvideos und der dadurch ausgelösten, weltweiten Proteste. Die Zeichnungen des Pariser Satireblattes folgen im Kielwasser, und sie fallen auf das bodenlose Niveau des Auslöserfilms hinab. […] Wenn man die These vom „Kampf der Kulturen“ ablehnt, muss man auch die Karikaturen ablehnen. Sie leisten jenen Vorschub, die sie zu bekämpfen vorgeben“.11 Der Kommentator des Magazins Spiegel empfand die Redakteure des Satire-Magazins sogar als nervend. Am 20.09.2012 schrieb er auszugsweise folgendes: „Ach ja, fast vergessen: Es geht ihnen um das Prinzip der verfassungsrechtlich garantierten Meinungsfreiheit. Es geht ihnen darum zu demonstrieren, dass man alles sagen und tun darf. Dass man sich nicht einschüchtern lassen darf von Anwaltsbriefen und Morddrohungen. Ja, stimmt schon. Ist zwar alles im Streit um die Mohammed-Karikaturen in der dänischen „Jyllands-Posten“ schon 2005 gesagt worden, aber offensichtlich noch nicht von jedem und noch nicht oft genug. Und deshalb müssen sie ja auch tun dürfen, was sie nicht lassen können. Sollen sie doch. Aber muss man das dann gut finden? Muss man ihre mäßig lustigen Scherze weiter verbreiten? Muss man ihnen auch noch auf die Schulter klopfen dafür, dass sie christlichen Politikern einen willkommenen Anlass dafür bieten, mal wieder einen besonderen Schutz der Religionen (insbesondere des Papstes) zu fordern? Dafür, dass sie radikalen Islamisten einen willkommenen Anlass bieten, mal wieder westliche Flaggen zu verbrennen und Menschen zu ermorden? Nein […] Man muss sie aber ertragen, die Scherzbolde. Man muss sie ertragen wie die zornigen Muslime und die schwadronierenden konservativen Religionsschützer, all diese Trittbrettfahrer der Meinungsfreiheit. Aber dann darf man auch sagen: Ihr nervt!“12 85 Zukunft der Medien: Qualität und Wahrhaftigkeit Am selben Tag war der Kommentator der Rheinische Post der Auffassung, dass die Veröffentlichungen von „Charlie Habdo“ nicht mehr von der Meinungsfreiheit gedeckt seien, indem er (auszugsweise) ausführte: „„Charlie Hebdo“ hat wieder zugeschlagen. […] Meinungsfreiheit kennt auch ihre Grenzen, vor allem, wenn sie beleidigt oder entwürdigt, zumal der Kontext diesmal ein anderer ist: Es brennt ohnehin schon in der arabischen Welt. Wer jetzt noch eins drauflegt, der gießt bewusst Öl ins Feuer und rückt die Fanatiker in den Mittelpunkt, statt sie zu ignorieren. Es gibt Situationen, wo es am klügsten ist, einfach den Mund zu halten“.13 Noch einen Schritt weiter ging die Stuttgarter Zeitung am 24.09.2012. An diesem Tag veröffentlichte sie ein Interview mit dem damaligen Bundesentwicklungshilfeministers, Dirk Niebel, FDP. Dieser erhob einen schweren Vorwurf gegen die Zeitschrift: „Es muss vollkommen klar sein, dass uns unsere Werte so viel wert sind, dass wir bereit sind, dafür auch Konflikte einzugehen. Das heißt aber nicht, dass man jemanden bewusst beleidigen, ihn provozieren muss. Mit den Karikaturen in der französischen Zeitschrift ‚Charlie Hebdo‘ etwa wird bewusst Öl ins Feuer gegossen, um Emotionen zu schüren und um Auflage zu machen“.14 Der Vorwurf, dass das Satire-Magazin „Charlie Hebdo“ die Pressefreiheit missbrauchen würde, um dessen Auflage zu steigern, verfestigte sich, als Anfang des Jahre 2013 das Comic zum Leben Mohammeds veröffentlich wurde. Allerdings nicht (nur) auf Seiten der Politik, sondern auch in der Kollegenschaft. Am 02.01.2013 kommentierte die Allgemeine Zeitung Mainz auszugsweise wie folgt: „Die Freiheit der Meinungsäußerung, der Presse, der Kunst – sie zählt zum Allerheiligsten jeder demokratischen Verfassung. […] Es darf nicht sein, dass eine Zeitschrift in eklatanter Weise provoziert – nicht, um Missstände aufzuzeigen oder um die Pressefreiheit zu verteidigen, sondern um Auflage zu machen. Da wird gezündelt, angestachelt. […] Das Magazin „Charlie Hebdo“ missbraucht die Pressefreiheit, wenn es vorrangig in kommerzieller Absicht Muslime in aller Welt in Aufruhr versetzt“.15 Ebenso die Neue Osnabrücker Zeitung am 02.01.2013 (Auszug): „Durchschaubares Kalkül. Sie können es einfach nicht lassen, die Macher des französischen Satiremagazins „Charlie Hebdo“. […] Die Taktik, auf einen Comic zurückzugreifen, ist noch perfider […] Im Grunde ist die Aktion des Magazins so durchschaubar wie peinlich. Wieder einmal wartet es auf die empörten Reaktionen aus der islamischen Welt, um sich auf das Recht der Meinungsfreiheit berufen zu können und es wie ein vermeintliches Un86 Der Tag, an dem jeder Charlie wurde terscheidungsmerkmal zweier Kulturkreise vor sich herzutragen. Diese Masche ist abgedroschen. […] Hinter der Aktion steht vielmehr ein ganz profanes Kalkül: „Charlie Hebdo“ weiß, mit welchen Themen sich der Verkauf ankurbeln lässt. So sind von der aktuellen Ausgabe bereits im Voraus 10 000 Exemplare mehr gedruckt worden. Wie entlarvend!“16 Mit Spott kommentierte die Süddeutsche Zeitung am 02.01.2013 die neuerlichen Veröffentlichungen durch „Charlie Hebdo“: „Es erzählt umständlich mit mäßig amüsanten Anekdoten auf 60 Seiten den ersten Lebensabschnitt des Propheten und sucht nach Charlie-Manier, mit schlaffen Pimmeln, wabernden Busen und dem gebührlichen Aufgebot an Schweinen die Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen. […] Die Reaktionen von islamischer Seite sind bisher so gut wie inexistent. Es ist, als wären die Frommen diesmal schlauer als die Frechen. Sollte das auch in den nächsten Tagen so bleiben, werden die in die Jahre gekommenen, ewig halbwüchsigen Spaßmacher von Charlie Hebdo mit ihren Ladenhütern von Sex und Blasphemie eine neue Zielgruppe suchen müssen, um die Verkaufszahlen ihres Blättchens zu steigern.“17 Am 03.01.2013 legte die Rheinische Presse (auszugsweise) wie folgt nach: „Abermals hat sich das französische Satireblatt ‚Charlie Hebdo‘ dazu hinreißen lassen, den Propheten Mohammed zu karikieren. […] Dabei sind die Erinnerungen noch frisch an die unsäglichen Publikationen von vor vier Monaten. […] So klingt das Pochen des Chefredakteurs auf das sicher berechtigte und demokratisch hochstehende Prinzip der Meinungsfreiheit auch etwas bemüht. Denn es spricht eigentlich alles dafür, dass es seinem Blatt vor allem um eines ging: kräftig Kasse zu machen“.18 2. Aussagen der Kommentare Den genannten Kommentaren gegenüber der Arbeit der Redaktion von „Charlie Hebdo“ bzw. über den Inhalt deren Publikationen kann wenig Positives entnommen werden. Es wirkt nahezu neutral, wenn man die Veröffentlichung von Schmähkritik an Glaubensrichtungen in Form von Zeichnungen als „überflüssig“ bezeichnet. Bereits eine andere Qualität besitzt es, wenn man den von „Charlie Hebdo“ publizierten Inhalt als nicht mehr von der Meinungs- und Pressefreiheit gedeckt ansieht, denn hier distanziert sich der Kommentator deutlich von der Arbeit der französischen Kollegen. Der Gipfel wird jedoch dadurch erreicht, wenn die Autoren der zitierten Kommentare dem Satire-Magazin vorwerfen, die Meinungs- und Pres87 Zukunft der Medien: Qualität und Wahrhaftigkeit sefreiheit zu missbrauchen, um dadurch finanzielle Vorteile zu erzielen. Damit wird nichts anderes ausgesagt, als dass „Charlie Hebdo“ keine journalistische Arbeit betreibt, sondern bewusst und gewollt gegen den Berufskodex verstößt. Eine klarere Verurteilung der Arbeit sowie des Inhalts des französischen Magazins und eine klarere Abgrenzung gegenüber den Redakteuren, sind kaum denkbar. Am besten wird dies im Rahmen des Kommentars der Süddeutschen Zeitung deutlich, wenn der Autor die Redaktion von „Charlie Hebdo“ als „ewig halbwüchsige Spaßmacher“ bezeichnet und damit ebenso wie die Franzosen das umstrittene Stilmittel der Schmähkritik verwendet. Ebenso hätte der Kommentator schreiben können: „Ihr seid keine Journalisten, Ihr seid nur geldgierig!“ Ein heftiger Vorwurf, den jemand, der sich selbst als Journalist bezeichnet, nicht auf sich sitzen lassen wollen dürfte. IV. Schlussfolgerung Selbstverständlich ist der Mord an unschuldigen Menschen zum Zweck der Durchsetzung der eigenen (schlimmstenfalls radikaler) Ansichten ausnahmslos zu verurteilen. Dies ist eine Frage der Menschlichkeit und des Mitgefühls. Dabei darf es auch keine Rolle spielen, ob man den betroffenen Menschen gekannt, gemocht oder geliebt hat, oder eben nicht. Der Grad an persönlicher Bindung zu einem Opfer darf lediglich über die Intensität der Trauer und des Mitgefühls entscheiden. Mord ist immer furchtbar. Wenn aber Ereignisse wie das in Paris nicht mindestens zu einer Reaktion des Bedauerns führen, sollte man sich ernsthaft fragen, wie es um die eigene Mitmenschlichkeit bestellt ist und welchen Stellenwert fremdes Leben in der eigenen Wertehierarchie einnimmt. Dennoch stehen diejenigen Kommentare über die Arbeit von „Charlie Hebdo“, die vor dem Anschlag veröffentlicht wurden, im deutlichen Widerspruch zu den Veröffentlichungen nach dem Attentat. Betrachtet man die Extrempositionen, so muss konstatiert werden, dass die Mitarbeiter des französischen Magazins im Jahr 2013 noch als „geldgierige Schmierer“ angesehen wurden. Zwei Jahre später wurden dieselben Personen jedoch zu heroischen Berufsträgern und vorbildlichen Journalisten erklärt; ein sehr eklatanter Meinungsumschwung. Zugegebenermaßen: Menschen sind nicht unfehlbar. Außergewöhnliche Ereignisse können dazu beitragen, dass man seine Meinung ändert. So kann sich auch vor dem Hintergrund des tödlichen Anschlags auf die Redaktion des Satire-Magazins „Charlie Hebdo“ vom 07.01.2105 in Paris 88 Der Tag, an dem jeder Charlie wurde die Sichtweise so manches Journalisten verändert haben. Natürlich hat bei der jeweiligen Beurteilung der Veröffentlichungen des Satire-Magazins die zum jeweiligen Zeitpunkt vorherrschende öffentliche Meinung eine erhebliche Rolle gespielt. Während 2012 bis 2013 auch in den Medien eine gewisse Tendenz zur Zurückhaltung vorherrschend war, um die weltweiten gewalttätigen Proteste in der islamischen Welt, die aufgrund eines antiislamischen Films entstanden waren, nicht weiter anzustacheln, vertrat die Öffentlichkeit Anfang des Jahre 2015 die Meinung, dass man sich durch Terror nicht vom eigenen Weg abbringen lassen dürfe, frei nach dem Motto „Jetzt erst recht!“ Auf diesen (Meinungs-) Zug ist auch die Presse aufgesprungen, indem sie die Grundwerte unserer Gesellschaft, insbesondere die Meinungs- und Pressefreiheit, betont und den Kampf dafür als absolut lohnenswert bezeichnet hat und weiterhin bezeichnet. Insofern ist jedem Kommentator bei seiner Meinungsbildung ein gewisses Maß an Opportunität zuzubilligen. Trotzdem vermögen die entsetzlichen Ereignisse vom 07.01.2015 alleine nicht zu begründen, weshalb sich eine persönliche Meinung von einem Extrem plötzlich ins Gegenteil verkehrt, sprich, weshalb aus einer bewussten Abgrenzung gegenüber den Redakteuren von „Charlie Hebdo“ und deren deutlicher Ausgrenzung aus dem Berufsstand der Journalisten, plötzlich eine Glorifizierung derselben Personen wird, der sich nahezu jeder anschließt. Dafür kann alleine die Trauer über den gewaltsamen Tod mehrerer Menschen nicht herangezogen werden. Wenn man dies tut, ist man ein „Fähnchen im Wind“ und man instrumentalisiert die traurigen Ereignisse von Paris, um sich selbst in einem besseren Licht darzustellen. Dies ist – gelinde gesagt – unredlich und kann auch nicht dem journalistischen Berufsethos entsprechen. Ein Kommentar, der sich dieser Thematik stellt, indem der Verfasser auf seine vorangegangene Veröffentlichung bezieht, wurde am 08.01.2015 im Spiegel veröffentlicht. Dort heißt es auszugsweise: „Wer am Tag des Anschlags meint, den toten Zeichnern von ‚Charlie Hebdo‘ hinterherrufen zu müssen, es sei ‚dumm‘ von ihnen gewesen, ‚Muslime zu provozieren‘, […] gibt den Terroristen nachträglich recht, weil er Rücksicht auf deren barbarische Weltsicht einfordert, wo eigentlich das Recht auf Meinungsäußerung zu verteidigen wäre – auch dann, wenn dieses wenig konstruktiv ausgeübt wird, auch dann, wenn es nervt.“19 Auch wenn es im Fall des Spiegelkommentars gar nicht dazu gekommen ist, dass der Verfasser seine Meinung über „Charlie Hebdo“ geändert hat, 89 Zukunft der Medien: Qualität und Wahrhaftigkeit so hat er doch an folgenden Grundsatz gehalten: Nur demjenigen der sich mit seinen eigenen Aussagen differenziert auseinandersetzt, kann eine Änderung seiner Auffassung abgenommen werden. Leider fehlt bei vielen anderen Kommentaren, die nach dem Attentat vom 07.01.2015 veröffentlicht wurden, diese kritische Auseinandersetzung mit der eigenen Meinung von früher. Man kann sich dem Eindruck nicht vollständig erwehren, dass emotionale oder gar opportune Aspekte Einfluss auf den Inhalt der jeweiligen Veröffentlichung gehabt haben. In der Konsequenz wirft dies jedoch die Frage auf, welche der beiden Meinungen denn eigentlich diejenige war, die der Kommentator tatsächlich vertreten hat bzw. vertritt und wie ernst diese gemeint waren; ein Problem der Glaubhaftigkeit. Aber noch schlimmer: Auch wenn die Frage nach der Glaubhaftigkeit eigentlich nur die Beurteilung der Qualität journalistischer Leistung des französischen Satire-Magazins betrifft und nicht die Abscheu gegenüber der mörderischen Tat selbst, wirft dieser unbegründete Meinungsumschwung leider dennoch einen Schatten auf die behauptete Intensität der Trauer über den sinnlosen Tod zahlreicher Menschen. Quellen 1 http://jungle-world.com/artikel/2013/11/47317.html; 19.01.2015 2 http://www.spiegel.de/politik/ausland/scharia-ausgabe-anschlag-auf-franzoesisches-satiremagazin-a-795353.html; 19.01.2015 3 http://www.tagesschau.de/inland/nous-sommes-charlie-103.html; 19.01.2015 4 http://www.presseportal.de/pm/100787/2921038/berliner-zeitung-kommentar-zum-anschlagauf-die-zeitschrift-charlie-hebdo; 19.01.2015 5 http://www.presseportal.de/pm/65597/2921099/allg-zeitung-mainz-aufklaerung-kommentarzum-pariser-terroranschlag; 19.01.2015 6 http://taz.de/Kommentar-Anschlag-auf-Charlie-Hebdo/!152416/; 19.01.2015 7 http://www.presseportal.de/pm/59110/2921098/suedwest-presse-kommentar-terroranschlag; 19.01.2015 8 http://www.rp-online.de/politik/ausland/charlie-hebdo-kommentar-zum-anschlag-im-zweifelfuer-die-freiheit-aid-1.4783442; 19.01.2015 9 http://www.noz.de/deutschland-welt/politik/artikel/535927/keine-gnade-fur-die-tater-keineabstriche-an-der-toleranz; 19.01.2015 10 http://www.sueddeutsche.de/medien/toter-charlie-hebdo-herausgeber-charbonnier-aufrechtfurchtlos-radikal-1.2294988, 19.01.2015 90 Der Tag, an dem jeder Charlie wurde 11 http://www.stuttgarter-zeitung.de/inhalt.kommentar-zur-meinungsfreiheit-ueberfluessigekarikaturen.67a0042c-0b71-4e36-974e-8b84d8c169b5.html; 19.01.2015 12 http://www.spiegel.de/kultur/gesellschaft/kommentar-zu-mohammed-witzen-in-charlie-hebdo-und-titanic-a-857007.html; 19.01.2015 13 http://www.rp-online.de/politik/oel-ins-feuer-aid-1.3000549; 19.01.2015 14 http://www.nexis.com/results/docview/docview.do?docLinkInd=true&risb=21_T21240129198&fo rmat=GNBFI&sort=BOOLEAN&startDocNo=51&resultsUrlKey=29_T21240141102&cisb=22_T2124014 1101&treeMax=true&treeWidth=0&csi=261699&docNo=85; 19.01.2015 15 http://www.focus.de/panorama/diverses/kommentar-allg-zeitung-mainz-missbrauchte-freiheit-kommentar-zu-islam-karikaturen_aid_890713.html; 19.01.2015 16 http://www.focus.de/politik/diverses/kommentar-neue-oz-kommentar-zu-frankreich-konflikte-karikaturen_aid_890784.html; 19.01.2015 17 http://www.sueddeutsche.de/medien/neue-mohammed-karikaturen-verkaufen-ist-alles-1.1563474; 19.01.2015 18 http://www.rp-online.de/politik/mohammed-am-kiosk-aid-1.3122208; 19.01.2015 19 http://www.spiegel.de/kultur/gesellschaft/anschlag-auf-charlie-hebdo-in-paris-kommentara-1011802.html, 19.01.2015 91 Eine kritische Betrachtung medialer Berichterstattung über Strafverfahren von Florian Alte I. Einführung V erfahren vor den Strafgerichten sind sehr oft Gegenstand der medialen Berichterstattung. Man muss auf dem Zeitstrahl nicht lange zurück blicken, um zahlreiche Beispiele zu finden, wie sich die Print- und Onlinejournallie, Radio und Fernsehen auf bestimmte Fälle gestürzt haben. Jedem ist sicherlich noch das Verfahren gegen den ehemaligen Präsidenten und Manager des FC Bayern München, Uli Hoeneß, wegen Steuerhinterziehung in Erinnerung, ebenso wie der NSU-Prozess vor dem Staatsschutzsenat des Oberlandesgerichts München, die Causa um den ehemaligen Bundespräsidenten Wulff und das Verfahren gegen Formel 1-Mogul Bernie Ecclestone. Aber auch andere Verfahren, wie z. B. der wieder aufgenommene Prozess gegen Gustl Mollath, der Fall Peggy, der Vorwurf der Vergewaltigung gegen den vormaligen ARD-Wettermoderator Jörg Kachelmann und das Verfahren gegen den ehemaligen SPD-Bundestagsabgeordneten Sebastian Edathy wegen des Verdachts des Besitzes kinderpornographischer Bilder können als weitere Beispiele genannt werden. Diese Liste lässt beliebig lange fortsetzen. Dabei ist den genannten und ungenannten Fällen eigentlich nur Eins gemeinsam: Diese Strafverfahren emotionalisieren und polarisieren entweder aufgrund des erhobenen Tatvorwurfs oder aufgrund der Person des Angeklagten. Beispielsweise führt der Tatbestand des sexuellen Missbrauchs von Kindern quasi reflexartig zu einer Solidarisierung der Öffentlichkeit mit dem vermeintlichen Opfer und gleichzeitig zu einer Abneigung gegenüber dem Beschuldigten, teilweise sogar zu dessen Vorverurteilung, ohne dass es dafür Mitteilungen über den konkreten Sachverhalt bedarf. Und Prominente sind aufgrund der Neugierde (in manchen Fällen möchte man sogar von Voyeurismus sprechen) des Medienkonsumenten der Gefahr ei92 Eine kritische Betrachtung medialer Berichterstattung über Strafverfahren ner medialen Berichterstattung viel mehr ausgesetzt als der Normalbürger, auch wenn es sich lediglich um einen Fall von Kleinkriminalität handelt. Auf der Suche nach der Motivation für die überproportionale Berichterstattung über solche Strafprozesse, muss man leider konstatieren, dass das Interesse mehr Leser bzw. Zuschauer zu erreichen und somit den Umsatz des jeweiligen Mediums zu steigern, den Vorrang gegenüber einer sachlich fundierten Berichterstattung genießt, geschweige denn eine rein objektive mit korrekten juristischen Begrifflichkeiten ausgestattete Schilderung erwartet werden darf. Prof. Dr. Thomas Fischer1 hat diese Tatsache auf dem Herbstkolloquium der Arbeitsgemeinschaft Strafrecht des Deutschen Anwaltvereins am 15.11.2014 in seiner ihm eigenen Art etwas überspitzt, indem er behauptet hat: „Man kann den Leuten die kompliziertesten Dinge erklären und sie verstehen es, z. B. auch wie ein iPhone funktioniert, aber sie verstehen nicht den Unterschied zwischen Berufung und Revision. Auch nicht die Journalisten.“ Neben diesen öffentlichkeitswirksamen Fällen existieren aber auch rechtliche Probleme, denen eine weitaus größere Bedeutung für die Allgemeinheit zukommt als dies bei den genannten Prozessen der Fall ist, die aber aufgrund ihres emotionsfreien Themas keinen Eingang in die Berichterstattung finden. Selbstverständlich sind Journalisten keine Juristen. Es kann und darf nicht erwartet werden, dass die mediale Berichterstattung völlig nüchtern, emotionslos und auf der alleinigen Basis der erwiesenen Tatsachen erfolgt, d. h. genauso wie die Strafgerichte ihre Urteile fällen müssen. Dies hieße nämlich in der Konsequenz, dass eine mediale Berichterstattung erst im Nachgang zu einem – womöglich rechtskräftigen – Urteilsspruch erfolgen könnte, denn erst dann können die gerichtlich festgestellten Tatsachen als zweifelsfrei festgestellt angesehen werden. Selbstverständlich ist eine Berichterstattung im Vorfeld eines Prozesses generell zu befürworten, ja sogar wünschenswert. Allerdings ist sich so mancher Journalist offensichtlich nicht bewusst, welche Gefahren mit einer rein emotionalen Berichterstattung verbunden sind. Nicht nur, dass möglicherweise dem Angeklagten Unrecht widerfahren kann, vielmehr werden die Grundlagen, auf denen das gerichtliche Urteil basiert, derart verkürzt oder sogar reduziert dargestellt, dass der Leser das zu einem späteren Zeitpunkt verhängte Strafmaß als ungerecht empfindet. Dies kann langfristig dazu beitragen, dass das Vertrauen der Bevölkerung in den Rechtsstaat Schaden nimmt. Dies kann auch nicht Sinn und Zweck der Presseberichterstattung über Strafprozesse sein. 93 Zukunft der Medien: Qualität und Wahrhaftigkeit Insofern prallen oft die Aufgaben und Interessen der Medien einerseits und die Pflichten der Justiz sowie die gesetzlich fixierten Rechte des Angeklagten andererseits aufeinander. Dabei kann die Art und Weise der Berichterstattung durchaus einen derart erheblichen Druck auf den Angeklagten, aber auch auf das Gericht aufbauen, der die Wahrung bestimmter Rechte des Angeklagten erschwert bzw. die objektive Grundlage, auf der eine gerichtliche Entscheidung zu erfolgen hat, ins Wanken bringt. II. Beispiele Dieser Artikel soll als Appell verstanden werden, mögliche Auswirkungen im Vorfeld der Berichterstattung zu bedenken. Zu diesem Zweck sollen im Folgenden einige Beispiele benannt werden, die die Problematik verdeutlichen. 1. Der Prozess gegen Uli Hoeneß Das prominenteste Beispiel der vergangenen Monate ist sicherlich der Prozess gegen Uli Hoeneß. Gegenstand dieses Strafverfahrens war der Verdacht der Steuerhinterziehung in beträchtlicher Millionenhöhe, der sich letztendlich aufgrund eines Geständnisses des Angeklagten erwiesen hat und zu einer Verurteilung zu einer dreieinhalbjährigen Haftstrafe des ehemaligen Fußballmanagers geführt hat. Hoeneß war Zeit seines Lebens eine Person, die nicht nur die Fußballwelt gespalten hat. Seine öffentlichen Aussagen waren direkt, unverblümt und provozierend und er stand und steht nach wie vor als Person für den FC Bayern München. Auch der Verein wird – wie Hoeneß selbst – entweder geliebt oder gehasst. Die Aussagen von Hoeneß haben nicht jedem gefallen, so dass Uli Hoeneß bereits lange vor dem Strafverfahren unzählige Gegner, aber auch Unterstützer, ja sogar Fans hatte. Dieses Phänomen hat sich bereits während des Ermittlungsverfahrens, also viele Monate vor Anklageerhebung und somit vor dem ersten Verhandlungstag vor dem Landgericht München, mit tatkräftiger Unterstützung der Medien verstärkt. Zugegebenermaßen hat Hoeneß selbst auch in erheblichem Maß dazu beigetragen, dass die öffentliche Debatte über die Nichtanzeige von Spekulationsgewinnen beim Finanzamt in der Schärfe geführt wurde, wie dies medial geschah. Denn in einem Interview mit der Bild Zeitung am 27.08.2005 hatte Uli Hoeneß noch gesagt: „Ich weiß, dass das doof ist. Aber ich zahle volle Steuern.“2 Dass diese Aussage im Rahmen des Ermittlungsverfahrens wegen Steuerhinterziehung zu einem Bumerang wurde, ist nicht weiter verwunderlich. Aber zu94 Eine kritische Betrachtung medialer Berichterstattung über Strafverfahren rück zur Berichterstattung über den Steuerprozess: Jeden Tag wurde aufs Neue spekuliert, angeblich neue Erkenntnisse präsentiert und die Leser bzw. Zuseher nach ihrer Meinung gefragt, nachdem man die Meinungsbildung ordentlich Einfluss genommen hatte. a) Vorverurteilung So lautete ein Kommentar im Tagesspiegel bereits kurz nach Bekanntwerden der Selbstanzeige von Uli Hoeneß am 20.04.2013: „Nun also auch Uli Hoeneß. Uli Hoeneß, der sich einreiht in die Riege der Blender, Trickser und Vorteilsnehmer, die dieses Land mit all ihren Guttenbergs, Seehofers oder Buschkowkys so überreich hat. […] Der Umstand, dass er sich anzeigt, belegt, dass er Dreck am Stecken hat“.3 Diese Sätze stellten bereits zum damaligen Zeitpunkt eine Vorverurteilung des FC-Bayern-Präsidenten dar, die für einen Juristen mehr als befremdlich ist. Denn die Unschuldsvermutung, ein elementares Menschenrecht, das insbesondere in Art. 6 Abs. 2 der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK) verankert ist4, wird unter dem Deckmantel der Presse- und Meinungsfreiheit bedenkenlos in eine Schuldvermutung umgedreht, ohne dass die möglichen stigmatisierenden Auswirkungen in der Öffentlichkeit bedacht werden. Zum anderen war auch der pauschalisierende Vergleich mit Politikern wie Karl-Theodor von und zu Guttenberg und Heinz Buschkowsy nicht angebracht, denn erstens – ohne ein Fehlverhalten von Politikern auch nur ansatzweise relativieren zu wollen –, war bereits zum damaligen Zeitpunkt absehbar, dass die möglichen strafrechtlichen Auswirkungen im Fall Hoeneß gravierend sein können, weshalb im Fall Hoeneß ein erhöhtes Maß an Zurückhaltung geboten gewesen wäre. Und zweitens war die Formulierung des Tagesspiegels offenbar bewusst darauf ausgerichtet, auf die guten Kontakte von Hoeneß zur Politik, insbesondere zur CSU, abzuzielen, und somit dazu geeignet, die Politikverdrossenheit der Leser zu fördern, frei nach dem Motto „Die sind doch alle gleich raffgierig, egal ob in der Politik oder anderswo“. b) Reduzierung möglicher Rechtsfolgen Ein weiteres Beispiel: Der Fernsehsender Sat.1 (Lokalredaktion Bayern) hat unmittelbar nach dem Geständnis von Uli Hoeneß am 11.03.2014 eine OnlineUmfrage durchgeführt, ob der Zuschauer eine Inhaftierung oder einen Freispruch des Fußballmanagers bevorzugen würde. Zur Erinnerung: Uli Hoeneß 95 Zukunft der Medien: Qualität und Wahrhaftigkeit hatte gestanden, wesentlich höhere Umsätze verschwiegen zu haben, die er im Rahmen von Börsengeschäften erzielt hatte, als bis zu diesem Zeitpunkt bekannt war. Konkret lautete die Frage von Sat.1: „Knast oder Freispruch?“ Alleine die Reduzierung auf die Möglichkeiten einer Gefängnisstrafe oder einen Freispruch lässt erkennen, dass die Art und Weise der medialen Berichterstattung vielmehr den Emotionen geschuldet war – denn beide aufgezeigten Möglichkeiten hätten zu einem Aufschrei der Anhänger der gegenteiligen Forderung geführt – als der korrekten Darstellung derjenigen Möglichkeiten, die das Gesetz vorsieht; Knast oder Freispruch, schwarz oder weiß, Tod oder Leben?. Die Tatsache, dass hier der Zuschauer nach seiner persönlichen Auffassung hinsichtlich der zur verhängenden Rechtsfolge gefragt wird ohne weitere entscheidende Details des Einzelfalls zu kennen – wie auch, wenn man nicht persönlich an der Verhandlung teilgenommen hat –, wie z. B. die Frage, ob der von Hoeneß vorgenommenen Selbstanzeige strafbefreiende Wirkung zukommen kann, oder wie sich die Tatsache des überschießenden Geständnisses5 auswirkt, muss als äußerst fragwürdig bezeichnet werden. Denn ein juristisch einwandfrei begründetes Urteil zu fällen erfordert wesentlich mehr als die kurze Lektüre eines Zeitungsberichts bzw. das Ansehen einer TV-Kurzreportage. Hierbei wurde es also dem Zuschauer (nur) ermöglicht, eine Entscheidung auf der Basis von Halbwahrheiten zu fällen, was einem rechtsstaatlich denkenden Menschen die Haare zu Berge stehen lässt. Eine derartige Berichterstattung wird der Bedeutung einer stets weiterreichenden gerichtlichen Entscheidung nicht einmal ansatzweise gerecht. Ganz zu schweigen von der Tatsache, dass das Gesetz auch Freiheitsstrafen vorsieht, deren Vollstreckung zur Bewährung ausgesetzt werden kann, worüber der Sat.1Zuschauer nicht abstimmen konnte. Das Ergebnis der Abstimmung lautete übrigens 79 Prozent Knast und 21 Prozent Freispruch.6 c) Gleichsetzung verschiedener Schutzobjekte Am 12.03.2014 konnte man Folgendes in der Huffington Post lesen: „Natürlich ist Hoeneß ein Sozialschmarotzer. […] Die achtstellige Summe, die er dabei hinterzog, wie seine Anwälte mittlerweile eingeräumt haben, hätte Tausenden anderen Menschen über Monate und Jahre die Existenz sichern können. Von 27,2 Millionen Euro kann man fast 150.000 Monatssätze Kindergeld bezahlen, oder etwa 70.000 Monatssätze Hartz IV“.7 Natürlich mögen die Berechnungen der Huffington Post rechnerisch richtig sein, dennoch hinkt der Vergleich deutlich. Denn es ist keines96 Eine kritische Betrachtung medialer Berichterstattung über Strafverfahren wegs richtig, dass die von Uli Hoeneß auf seine Spekulationsgewinne zu zahlenden Steuern vollumfänglich in den Sozialhaushalt geflossen und damit an bedürftige Menschen ausgezahlt worden wären. Viel dramatischer erscheint jedoch die Aussage, die in der gewählten Formulierung des Verfassers mitschwingt, dass Uli Hoeneß, eine Person, die durchaus zur Einkommenselite gezählt werden kann, 150.000 Eltern bzw. 70.000 HartzIV-Empfänger um ihr Geld gebracht hat. Diese Verknüpfung ist schlicht und ergreifend unredlich. Zwar hat der ehemalige Präsident des FC Bayern den Staat als Institution um Steuereinnahmen in beträchtlicher Höhe gebracht. Was Hoeneß jedoch nicht getan hat – aber genau das wird ihm hier zwischen den Zeilen vorgeworfen – ist, dass er die 150.000 bzw. 70.000 Bedürftigen jeweils einzeln um ihre staatlichen Sozialzuwendungen gebracht hat. Diese Gleichsetzung verbietet sich aber aus juristischer Sicht, denn Steuerhinterziehung findet per Definition „nur“ gegenüber dem Fiskus statt, nicht aber gegenüber (einer Vielzahl von) Einzelpersonen. Schutzobjekt steuerrechtlicher Straftaten ist das Vermögen des Staates, soweit es sich aus dem Steueraufkommen generiert.8 Nicht geschützt wird der Anspruch Einzelner auf Gewährung einer gewissen Sozialleistung durch staatliche Stellen.9 Die gewählte Formulierung diente also lediglich dazu, den Elterngeld- bzw. Hartz-IV-berechtigten Leser zu emotionalisieren und sich selbst so zu fühlen, als wäre er bzw. sie von Uli Hoeneß persönlich betrogen worden. Dieser Vorwurf ist infam. 2. Der Fall Bernie Ecclestone Es ist auch noch kein Jahr vergangen, seitdem sich der Formel 1-Mogul Bernie Ecclestone wegen erheblicher Korruptionsvorwürfe vor der deutschen Gerichtsbarkeit verantworten musste. Der zugrundeliegende Sachverhalt lässt sich verkürzt wie folgt zusammenfassen: Nach der Insolvenz des Medienimperiums von Leo Kirch war die Bayerische Landesbank (BayernLB) unverhofft Eigentümer von Anteilen an der Motorsportserie Formel 1 geworden. Ecclestone fürchtete daraufhin, seinen Einfluss auf die Rennserie zu verlieren, so dass der Verkauf der Anteile der BayernLB an eine Firma erfolgte, die Ecclestone genehm erschien. Dieser Verkauf wurde von einem hochrangigen Manager der BayernLB in die Wege geleitet. Zu einem späteren Zeitpunkt soll dieser Manager 44 Mio. US-$ von Ecclestone erhalten haben. Zur Person Bernie Ecclestone ist zu sagen, dass dieser – ebenso wie Uli Hoeneß – stets polarisiert hat. Durch geschickte und ausgeklügelte Ge97 Zukunft der Medien: Qualität und Wahrhaftigkeit schäfte hatte es der Brite in der Motorsportbranche zu einem Milliardenvermögen gebracht. Allerdings hatte das komplizierte, ja fast undurchschaubare System im Rahmen dessen Ecclestone seine Vermögensanteile gehalten hat, dazu geführt, dass Ecclestones Ruf zusätzlich durch den Vorwurf zwielichtiger Aktivitäten belastet war. Letztendlich hatten sich die Vorwürfe gegen Ecclestone jedoch nicht nachweisen lassen. Die Beweislage war zu dünn, als dass sie zu einer Verurteilung Ecclestones hätte führen können. Dass Verfahren wurde gegen Zahlung einer Geldauflage in Höhe von 100 Mio. US-$ eingestellt. Die rechtliche Grundlage hierfür bildete § 153a Abs. 2 i.V.m. § 153a Abs. 1 S. 1 Nr. 2 StPO.10 Dies hat zu massiver Kritik seitens der Journaille geführt: a) Falsche Rechtslage Die Augsburger Allgemeine kommentierte die Einstellung des Verfahrens gegen Geldauflage z. B. mit den Worten: „Der Ablasshandel mit Formel 1-Chef Ecclestone war die falsche Entscheidung. Wie kann die Justiz in einem derart aufsehenerregenden Verfahren den Anschein erwecken, käuflich zu sein? […] Wieder hat sich ein Superreicher freigekauft – dieser Eindruck bleibt. Auch wenn formal alles in Ordnung ist. Die Höhe der Summe richtet sich nach den Einkommensverhältnissen des Formel 1-Bosses. Die Einstellung eines Verfahrens ist Alltag an deutschen Gerichten. Der Paragraf wurde allerdings vor 40 Jahren eingeführt, um Bagatelldelikte mit „geringfügiger Schuld“ ohne viel Aufwand zu erledigen. Der Fall Ecclestone gehört nicht in diese Kategorie“.11 Auch wenn man bei der Einstellung des Verfahrens gegen Bernie Ecclestone Bauchschmerzen haben mag, ist doch die Argumentation des Kommentators der Augsburger Allgemeinen Zeitung rechtlich falsch. Richtig ist zwar, dass § 153a StPO ursprünglich die Voraussetzung hatte, dass die dem Angeklagten zur Last liegende Schuld „geringfügig“ sein müsse, wenn man eine Einstellung des Verfahrens gegen die Erfüllung einer gerichtlich bestimmten Auflage (meist die Zahlung eines bestimmten Geldbetrags) vornehmen wollte. Der Kommentator der Augsburger Allgemeinen verschweigt jedoch, dass seit Einführung des Gesetzes zur Entlastung der Rechtspflege vom 11.01.1993 nicht mehr eine „geringe Schuld“ des Täters Voraussetzung der Einstellung ist, sondern, dass (u. a.) „die Schwere der Schuld einer Einstellung nicht entgegenstehen darf“. Unjuristisch ausgedrückt: Im Gegensatz zur alten Fassung des § 153a StPO dürfen nach der derzeitigen Fassung auch Fälle gegen Auflagen eingestellt werden, bei de98 Eine kritische Betrachtung medialer Berichterstattung über Strafverfahren nen dem Täter eine „normale“ Schuld zur Last fällt. Dementsprechend hat sich der Gesetzgeber von seinem ursprünglichen Gedankengang verabschiedet, dass nur Fälle der Kleinkriminalität einstellungswürdig sind. Dieser erhebliche Unterschied wird jedoch von der Augsburger Allgemeinen komplett ignoriert. Aus Sicht des Kommentators hätte – wenn überhaupt – dahingehend argumentiert werden müssen, dass (schon alleine) die Höhe des angeblich gezahlten Schmiergelds eine besondere Schwere der Schuld Ecclestones begründet hätte. Da aber nach allgemeiner Auffassung12 zur Schwere der Schuld auch noch andere Faktoren13 gezählt hätten, hat man offenbar der Einfachheit halber auf Basis der alten Gesetzeslage argumentiert. b) Falscher Umkehrschluss Dass dies kein Einzelfall ist, beweisen folgende Ausführungen des Deutschlandfunks: „Wenn die Schuld nicht besonders schwer ist, wenn niemand ein gesteigertes Interesse daran hat, dass ein potenzieller Täter verurteilt wird, bei Alltagskriminalität, dann darf ein Verfahren auch mal ohne Urteil enden. […] Doch einen Millionenbestechungsprozess gegen den gewieften und stinkreichen Ecclestone nach §153a einzustellen, das ist ein obszöner Widerspruch: Wer bereit ist, 100 Millionen Dollar für seine Freiheit zu bezahlen, dessen Schuld soll gering sein?“14 Während zunächst die Voraussetzungen für eine Einstellung nach § 153a StPO richtig wiedergegeben werden (u. a. „Wenn die Schuld nicht besonders schwer ist […]“), argumentiert der Verfasser dennoch, dass bei einer zu erbringenden Geldauflage in Höhe von 100 Mio. US-$ keine geringe Schuld vorliegen kann. Dies ist gleich in zweierlei Hinsicht falsch: Zum ersten steht auch eine normale bzw. mittlere Schuld einer Einstellung nicht im Wege (siehe oben) und zum zweiten kann und darf die Höhe der gerichtlich festgesetzten Geldauflage nicht als Indiz für den Grad an Schuld herangezogen werden, die der vorgeworfenen Tat zu Grunde liegt. Denn hier spielen wesentlich mehr Faktoren eine Rolle. Bei der Bemessung der Geldauflage sind dem Gericht grundsätzlich keine Grenzen nach oben gesetzt. Allerdings bilden die Tatschuld und die wirtschaftlichen Verhältnisse des Beschuldigten eine Grenze.15 Der hier vorgenommene Umkehrschluss von der Höhe der Geldauflage auf den Grad der Schuld ist mit dem Wahrheitsgehalt folgender Aussage gleichzusetzen: Wer reich ist, arbeitet mehr als ein Armer. Das diese Aussage nicht zwangsläufig zutrifft, bedarf sicherlich keiner weiteren Erörterung. 99 Zukunft der Medien: Qualität und Wahrhaftigkeit 3. Der Fall Jörg Kachelmann Das aus diesseitiger Sicht beste Beispiel, dass sich Medien ihrer Verantwortung bei der Berichterstattung über Strafprozesse nicht immer bewusst sind, stammt aus den Jahren 2010 und 2011. Hier fand der Prozess gegen den ehemaligen ARD-Wettermoderator Jörg Kachelmann statt, der beschuldigt wurde, eine Ex-Freundin gewaltsam zum Geschlechtsverkehr gezwungen zu haben. a) Verwendung falscher Begriffe Dabei wurde von Seiten vieler Medien bereits der erhobene Tatvorwurf begrifflich falsch beschrieben. Lediglich Beispielhaft für eine Vielzahl von Journalisten sei auf eine Veröffentlichung der Süddeutschen Zeitung verwiesen, die am 22.05.2010 titelte: „ARD-Star Kachelmann in Not. Die Staatsanwaltschaft Mannheim klagt ihn an – wegen des Verdachts auf Vergewaltigung in einem besonders schweren Fall“.16 Letztendlich endete der Prozess gegen Kachelmann mit einem Freispruch. Auch wenn es sich hier „nur“ um eine falsche Begrifflichkeit handelt, deren Berichtigung als juristische Spitzfindigkeit abgetan werden mag, liegt in der von der SZ und vielen anderen Medien gewählten Bezeichnung „Vergewaltigung in einem besonders schweren Fall“ dennoch eine auf die emotionale Empfindsamkeit des Lesers ausgerichtete Übertreibung in Form eines Pleonasmus. Denn alleine der Begriff Vergewaltigung suggeriert dem Leser, welches Leid dem (angeblichen) Opfer angetan wurde, wenn aber der Fall „ein besonders schwerer“ gewesen sein soll, muss das zugefügte Leid unermesslichen Ausmaßes gewesen sein, so die unterschwellige Darstellung. Zurück zur Begrifflichkeit: Der im Fall Kachelmann einschlägige Tatbestand umfasste die sexuelle Nötigung. Dabei gibt es sog. Regelbeispiele, in denen stets ein besonders schwerer Fall der sexuellen Nötigung vorliegt, z. B. bei einer Vergewaltigung.17 Eine Vergewaltigung in besonders schwerem Fall existiert also begrifflich überhaupt nicht, allenfalls eine sexuelle Nötigung in besonders schwerem Fall. Die letztere Bezeichnung ist jedoch deutlich emotionsloser, also für die mediale Berichterstattung offenbar weniger geeignet. b) Festgelegte Meinung des Berichterstatters Was allerdings die Grenzen jedes juristischen Geschmacks deutlich gesprengt hat, war die Tatsache, dass der Verlauf des Prozesses in der Bild100 Eine kritische Betrachtung medialer Berichterstattung über Strafverfahren Zeitung von einer Gerichtsreporterin der besonderen Art begleitet und täglich kommentiert wurde: Alice Schwarzer, die sich u. a. folgendermaßen beschreibt: „Ich bin Feministin […]“18 Diese Rolle hat sie im Laufe ihrer Berichterstattung über den Prozess zu keinem Zeitpunkt aufgegeben, indem sie unverhohlen für eine Verurteilung des Angeklagten plädiert und sich unter der permanent latenten Unterstellung, man würde der Ex-Freundin von Kachelmann keinen Glauben schenken, weil sie eine Frau ist, auf die Seite des vermeintlichen Vergewaltigungsopfers gestellt hat. Dieser Meinung, die nach diesseitiger Ansicht dem Kachelmann-Prozesses eine völlig überhöhten Bedeutung beimaß – es handelte sich wie bei jedem Verfahren um einen Einzelfall –, verlieh Schwarzer am 17.09.2010 folgendermaßen Ausdruck: „Ob es dem Gericht gelingen wird, die Wahrheit herauszufinden, ist im Fall Kachelmann von besonders großer Bedeutung […] für Millionen Frauen. Notrufe und Beratungsstellen melden schon jetzt, dass vergewaltigte Frauen seit Bekanntwerden des Falles noch mehr zögern als zuvor, Anzeige zu erstatten. Denn der Fall Kachelmann ist längst zum Auslöser für die öffentliche Debatte über sexuelle Gewalt innerhalb von Beziehungen eskaliert. […] Viele Frauen haben den Eindruck, dass man ihnen eh nicht glaubt und sie sowieso keine Chance haben. […] nur bei jeder siebten Anzeige steht am Ende die Verurteilung des Täters. Gleichzeitig signalisieren die Statistiken, dass Vergewaltigung das Verbrechen mit den geringsten Falschanschuldigungen ist: Nur in drei von hundert Fällen lügt die Frau. Was bedeutet: Nur jeder hundertste Vergewaltiger muss auch dafür büßen. Vergewaltigung ist also ein quasi strafloses Verbrechen. […] Sollte das Gericht die Wahrheit nicht herausfinden und käme es auf einen Freispruch „Im Zweifel für den Angeklagten“ raus, dann wäre das eine Katastrophe. Und zwar nicht nur für die Ex-Freundin und Jörg Kachelmann, sondern für Millionen Frauen. Sie, die endlich angefangen haben zu reden, würden wieder verstummen“.19 Dieser Kommentar von Alice Schwarzer zeigt, dass sie den Prozess gegen Jörg Kachelmann mit der Frage nach der generellen Glaubwürdigkeit von vermeintlichen Vergewaltigungsopfern verknüpft. Die Nachweisbarkeit des konkreten Vergewaltigungsvorwurfs gegen Jörg Kachelmann soll dafür verantwortlich gemacht werden, ob Gewalttaten (innerhalb von Beziehungen) in Zukunft überhaupt noch angezeigt werden. Und da zugegebenermaßen die meisten Opfer von sexuellen Übergriffen weiblichen Geschlechts sind, wird quasi eine Art Geschlechterkampf ausgerufen, dessen Fragestellung auf den Punkt gebracht lautet: Wer ist glaubwürdiger, Frau101 Zukunft der Medien: Qualität und Wahrhaftigkeit en, oder anders ausgedrückt, das Opfer, oder Männer, d. h. die Täter? Bei dieser von Alice Schwarzer ausgerufenen Bedeutung des Prozesses muss sich die Frage stellen, wie ein Gericht eine objektive, auf den reinen Fakten des konkreten Einzelfalls basierende Entscheidung treffen soll, wenn das Augenmerk von „Millionen Frauen“ – und natürlich Bild-Lesern – auf das zu sprechende Urteil gerichtet ist und nur auf eine Verurteilung des Angeklagten gewartet wird. Wenn es der Kommentatorin wirklich um die Sache gegangen wäre, nämlich motivierend auf das Anzeigeverhalten von tatsächlichen Vergewaltigungsopfern einzuwirken, wäre die gegenteilige Argumentation die Richtige gewesen: Bei dem Fall Kachelmann handelt es sich lediglich um einen Einzelfall, wenn auch einen prominenten. Unabhängig vom Ausgang dieses konkreten Verfahrens müssen tatsächliche Vergewaltigungen zur Anzeige gebracht werden, weil es sich dabei um eine Tat mit schlimmen Folgen für das Opfer handelt und diese Gewalt und Erniedrigung von Opfern sexueller Gewalt niemals akzeptiert werden kann. Und an dieser gesellschaftlichen Ächtung darf sich nichts ändern, unabhängig wie das Verfahren gegen Kachelmann ausgeht. Aber nein: Alice Schwarzer hat sich für das Gegenteil entschieden. c) In dubio pro reo (Im Zweifel für den Angeklagten) Davon abgesehen wendet sich die Feministin in ihrem Kommentar gegen einen wesentlichen Grundsatz des Strafverfahrens, wie er in einer zivilisierten und aufgeklärten Gesellschaft vorherrscht: Im Zweifel für den Angeklagten20. Es ist ein wesentliches Merkmal des Rechtsstaats, dass für den Fall, dass eine Verurteilung des Angeklagten nicht ohne Zweifel erfolgen kann, ein Freispruch zu erfolgen hat. Genau dies war der Grund, weshalb Jörg Kachelmann nicht bestraft, sondern freigesprochen wurde. Alice Schwarzer, deren Antrieb für ihre umfassende Tätigkeit das Streben nach Gerechtigkeit sein soll21, scheint sich im Fall Kachelmann nicht an die Grundsätze des Rechtsstaats halten zu wollen. Es ist nämlich auch ein Gebot der Gerechtigkeit und der Rechtsstaatlichkeit, dass Grundsätze wie in dubio pro reo nicht auf diejenigen Fälle beschränkt sind, die einem genehm erscheinen. Auch bei Strafprozessen, die einen emotionalen Sachverhalt oder Tatvorwurf beinhalten, wie z. B. Kindesmissbrauch oder Vergewaltigung, und bei denen die Mehrheit der Bevölkerung wohl sagen würde, im Zweifel gegen den Angeklagten und zum Schutz der Opfer, findet der Grundsatz „in dubio pro reo“ Anwendung. Diejenigen Zeiten, in denen 102 Eine kritische Betrachtung medialer Berichterstattung über Strafverfahren elementare Rechtsgrundsätze nach Gutdünken des Richters ausgelegt und angewendet wurden, sind glücklicherweise Geschichte. III. Gegenbeispiel: Ein medial nicht beachteter Justizskandal Wie es jedoch Strafverfahren gibt, die aufgrund ihres emotionalen Sachverhalts oder wegen der involvierten Personen eine hohe mediale Aufmerksamkeit genießen, aus juristischer Sicht jedoch eher uninteressant – weil Einzelfälle – sind, gibt es aber auch Prozesse, die eigentlich die Voraussetzungen erfüllen, die man als Justizskandal bezeichnen müsste, jedoch in der Medienlandschaft keine Rolle spielen. Für eine Berichterstattung fehlt es einfach an einer Thematik, für die sich der durchschnittliche Leser oder Zuschauer interessiert. Eine Auseinandersetzung mit der zugrundeliegenden Problematik findet allenfalls in der Fachpresse statt. Ein Beispiel: Am 08.11.2012 hat der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) einstimmt entschieden, dass die gerichtliche Praxis, die Berufung gegen ein Strafurteil zu verwerfen, wenn der Angeklagte unentschuldigt nicht zur Verhandlung erscheint22, gegen die Konvention zum Schutze der Menschenrecht und Grundfreiheiten (EMRK) verstößt und damit menschenrechtswidrig ist.23 Trotz dieser eindeutigen Entscheidung des EGMR verweigern deutsche Gerichte24 deren Umsetzung und verweisen auf den bestehenden Gesetzestext und argumentieren, dass der europäische Spruchkörper das deutsche Recht verkennt. Abenteuerlich ist sind jedoch diejenigen Aussagen, die zwar keinen Niederschlag in den schriftlichen Urteilsbegründungen finden, aber oftmals mündlich von Richtern getätigt werden. Nicht selten hört man Sätze wie „Was die in Europa entscheiden, spielt in Deutschland keine Rolle.“ oder „Dann soll der Angeklagte doch vor den EGMR ziehen, wenn er es sich leisten kann.“. Dasjenige Rechtsverständnis, das durch solche Äußerungen deutscher Richter zum Ausdruck kommt, ist – vorsichtig ausgedrückt – Besorgnis erregend. Trotz alledem wird die Praxis der Verwerfung der Berufung beibehalten, solange der Gesetzgeber nicht reagiert. Zugegebenermaßen handelt es sich bei dieser Problematik um einen sehr rechtstheoretischen Streit. Im Gegensatz zu den oben genannten Fällen steht hier aber nicht nur ein Einzelfall oder eine Einzelperson im Fokus, sondern das gesamte europäische Rechtssystem, nämlich das Verhältnis zwischen der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte einerseits und den nationalen Gericht andererseits; eine 103 Zukunft der Medien: Qualität und Wahrhaftigkeit Problematik mit sehr weitreichender Bedeutung. Trotzdem findet man hierzu keinerlei Berichterstattung in der Presse, leider. IV. Fazit Berichterstattungen in den Medien über Strafprozesse erzeugen eine nicht unwesentliche Aufmerksamkeit der Öffentlichkeit für das konkrete Verfahren. Dies beginnt meist schon während des Ermittlungsverfahrens und endet frühestes mit der Rechtskraft des Urteils. Dabei sind die Informationen, die durch die verschiedenen Medien an die Öffentlichkeit gelangen, geeignet, deren Meinung über die Person des Angeklagten und über die Tat gezielt in eine Richtung zu lenken, beabsichtigt oder unbeabsichtigt. Selbstverständlich ist es die Aufgabe der Medien, Meinungsbildung zu betreiben und auch mit Hilfe von persönlichen Kommentaren die Meinung des Autors mitzuteilen. Allerdings darf dabei nicht übersehen werden, dass die Art und Weise, wie die Journaille an die Berichterstattung über Strafprozesse herangeht, nämlich auf emotionaler Ebene, eine völlig andere ist, als das entscheidende Gericht die zur treffende Entscheidung fällen muss. Emotionen und Teilwahrheiten dürfen in der Rechtsprechung keine Rolle spielen, denn dies würde Tür und Tor für eine Willkürjustiz öffnen. Jeder Berichterstatter muss sich darüber im Klaren sein, dass seine Ausführungen auf den Verlauf des Prozesses und auf die Person des Angeklagten Einfluss nehmen können. Genau aus diesem Grund ist es unerlässlich, jedes Wort genau zu wägen, bevor eine Veröffentlichung erfolgt. Es darf nämlich nicht so weit kommen, dass gesetzlich normierte Grundrechte des Angeklagten, wie z. B. die Unschuldsvermutung oder der Grundsatz „Im Zweifel für den Angeklagten“, durch gezielt gelenkte Berichterstattung ins Gegenteil verkehrt werden. Quellen und Anmerkungen 1 Prof. Dr. Thomas Fischer wurde im Jahr 2000 zum Richter am Bundesgerichtshof (BGH) ernannt und gehört seitdem dem 2. Strafsenat an, dessen stellvertretender Vorsitzender er zwischen dem 01.04.2008 und dem 24.06.2013 war. Am 25.06.2013 wurde er von der damaligen Bundesjustizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger zum Vorsitzenden des 2. Strafsenats des Bundesgerichtshofs ernannt. Fischer ist in Fachkreisen durch zahlreiche Veröffentlichungen bekannt, insbesondere durch den seit 1999 von ihm herausgegebenen und verfassten und im C.H. Beck Verlag (München) erschienen Kommentar zum Strafgesetzbuch, der zur juristischen Standartliteratur gehört. 104 Eine kritische Betrachtung medialer Berichterstattung über Strafverfahren 2 http://www.bild.de/sport/fussball/bayern-muenchen/das-sagte-er-zum-thema-steuern-30093822.bild.html, 10.03.2015 3 http://www.tagesspiegel.de/sport/bayern-praesident-hoeness-und-die-steuerhinterziehungauch-du-uli/8097746.html, 10.03.2015 4 Art.6 Abs.2 EMRK lautet wie folgt: „Jede Person, die einer Straftat angeklagt ist, gilt bis zum gesetzlichen Beweis ihrer Schuld als unschuldig.“ 5 Von einem überschießenden Geständnis spricht man, wenn ein Angeklagter einen Sachverhalt einräumt, der über den ermittelten und angeklagten Sachverhalt hinausgeht. Ein solches Geständnis wird im Rahmen der Strafzumessung positiv gewertet, auch wenn die Strafe dadurch höher ausfallen kann, weil die Strafverfolgungsbehörden keine Kenntnis von diesem zusätzlichen Sachverhalt hatten. 6 http://www.sat1bayern.de/news/20140311/umfrage-uli-hoeness-knast-oder-freispruch/, 10.03.2015 7 http://www.huffingtonpost.de/2014/03/12/hoeness-sozialschmarotzer_n_4948068.html, 10.03.2015 8 Schmitz/Wulf, Münchener Kommentar zur Abgabenordnung, § 370 Rn.6, C.H. Beck Verlag, München, 2010 9 Das Vermögen von Einzelnen wird etwa durch die Tatbestände Diebstahl, Betrug, o.ä. geschützt. 10 § 153a StPO lautet auszugsweise: „(1) Mit Zustimmung des für die Eröffnung des Hauptverfahrens zuständigen Gerichts und des Beschuldigten kann die Staatsanwaltschaft bei einem Vergehen vorläufig von der Erhebung der öffentlichen Klage absehen und zugleich dem Beschuldigten Auflagen und Weisungen erteilen, wenn diese geeignet sind, das öffentliche Interesse an der Strafverfolgung zu beseitigen, und die Schwere der Schuld nicht entgegensteht. Als Auflagen oder Weisungen kommen insbesondere in Betracht, […] 2. einen Geldbetrag zugunsten einer gemeinnützigen Einrichtung oder der Staatskasse zu zahlen. [...] Erfüllt der Beschuldigte die Auflagen und Weisungen, so kann die Tat nicht mehr als Vergehen verfolgt werden. (2) Ist die Klage bereits erhoben, so kann das Gericht mit Zustimmung der Staatsanwaltschaft und des Angeschuldigten das Verfahren bis zum Ende der Hauptverhandlung, in der die tatsächlichen Feststellungen letztmals geprüft werden können, vorläufig einstellen und zugleich dem Angeschuldigten die in Absatz 1 Satz 1 und 2 bezeichneten Auflagen und Weisungen erteilen. 11 http://www.augsburger-allgemeine.de/bayern/Prozess-gegen-Ecclestone-Gekaufte-Gerechtigkeit-id30922622.html 12 http://www.burhoff.de/insert/?/veroeff/aufsatz/pstr_2002_19.htm, 10.03.2015 13 Bei der Prüfung des Grades der Schuld sind insbesondere folgende Fragen zu klären: Welche Motive und Gesinnung hatte der Beschuldigte? Sind sie verständlich, da er aus Not gehandelt hat, zur Tat provoziert oder verführt wurde? / Welcher kriminelle Tatbeitrag wurde vom Beschuldigten erbracht? / Handelt es sich um ein einmaliges Versagen des (noch nicht vorbestraften) Beschuldigten? Liegt die Tat lange zurück? / Welche Folgen sind durch die Tat eingetreten? / Hat der Beschuldigte den Schaden wieder gutgemacht oder sich zumindest ernsthaft darum bemüht? / Welche Folgen sind für den Beschuldigten selbst eingetreten und zwar eigener materieller Schaden, ggf. disziplinarrechtliche oder berufliche Nachteile mit wirtschaftlichen Folgen (ggf. Verlust des Arbeitsplatzes)? 105 Zukunft der Medien: Qualität und Wahrhaftigkeit 14 http://www.deutschlandfunk.de/ecclestone-prozess-der-rechtsstaat-wird-zur-ramschware.858. de.html?dram:article_id=294146, 10.03.2015 15 Beukelmann, Beck’scher Onlinekommentar zur StPO, § 153a, Rn. 26, Stand: 08.09.2014, C.H. Beck Verlag München 16 http://www.sueddeutsche.de/panorama/vorwurf-vergewaltigung-joerg-kachelmann-anklagegegen-den-star-1.947702, 10.03.2015 17 § 177 Abs.2 S.2 StGB: „Ein besonders schwerer Fall liegt in der Regel vor, … wenn der Täter mit dem Opfer den Beischlaf vollzieht oder ähnliche sexuelle Handlungen an dem Opfer vornimmt oder an sich von ihm vornehmen lässt, die dieses besonders erniedrigen, insbesondere, wenn sie mit einem Eindringen in den Körper verbunden sind (Vergewaltigung)…“ 18 http://www.aliceschwarzer.de/artikel/meine-positionen-264931, 10.03.2015 19 http://www.bild.de/news/2010/warum-millionen-frauen-betroffen-sind-13991202.bild.html, 10.03.2015 20 auch genannt: in dubio pro reo 21 http://www.aliceschwarzer.de/artikel/meine-positionen-264931, 10.03.2015 22 § 329 Abs.1 S.1 StPO lautet: Ist bei Beginn einer Hauptverhandlung weder der Angeklagte noch in den Fällen, in denen dies zulässig ist, ein Vertreter des Angeklagten erschienen und das Ausbleiben nicht genügend entschuldigt, so hat das Gericht eine Berufung des Angeklagten ohne Verhandlung zur Sache zu verwerfen. 23 http://www.burhoff.de/insert/?/asp_weitere_beschluesse/inhalte/1987.htm, 10.03.2015 24 z. B.: OLG München vom 17.01.2013, Az.: 4 St RR (A) 18/12, abgedruckt in NStZ 2013, 358ff. 106 Abstrakte Gefahr oder konkretes Risiko? Zur ambivalenten Rolle der Medien in Zeiten des Terrorismus von Tobias Maier 1. Eine dunkle Bedrohung S pätestens seit den tödlichen Anschlägen vom 7.1.2015 auf das französische Satiremagazin Charlie Hebdo ist evident, dass den Medien auf verschiedentliche Weise eine exponierte Rolle in Samuel Huntingtons clash of civilizations zukommt.1 Um einen Schritt zurück zu gehen, so erinnert man sich gemeinhin, wie es bei jedem einschneidenden, epochalen Ereignis der Fall ist, wo man von 9/11 erfahren hat. Auch die live gesendeten Fernsehbilder vom Einsturz der Zwillingstürme blieben nachhaltig im Gedächtnis. Insbesondere seit dem 11. September 2001 gehören Bilder des Terrors beinah zum medialen Alltag. Das Internet und dessen propagandistische sowie wirklichkeitsverzerrende und Uno actu-generierende Möglichkeiten seien nur am Rande erwähnt. New York, London, Madrid, Utøya, Boston, Paris – stets waren und sind die Medien ihrem Wesen gemäß Übermittler der schrecklichen Bilder. Übermittler, keine Verursacher. Es herrscht eine dunkle Bedrohung, seit sich der (islamistische) Terror global ausbreitet. Dunkel ist diese in einem doppelten Sinn zum einen, weil sie abseits einer nihilistischen Amoralität als schlecht oder böse gewertet werden kann bzw. muss, und zum anderen aufgrund ihrer Opazität, ihrer Ungreifbarkeit und Diffusität. Der Terror, der sich gegen Alles und Jeden in westlichen Gesellschaften richtet, ist immer und überall Präsent und deshalb nirgends zu verorten. Dadurch gibt es keine Rückzugsorte, die Sicherheit und Schutz bieten könnten. Das ist zumindest der Eindruck, der entstehen könnte. Eine immer und überall währende Drohkulisse als zivilgesellschaftlicher Sieg des Terrors? Man wäre geneigt, dem zuzustimmen, wenn nicht eben jenes zivilgesellschaftliche Leben Widerstandskräfte auf107 Zukunft der Medien: Qualität und Wahrhaftigkeit zubieten in der Lage wäre, die sich letztlich als gewöhnliches Exerzitium des Alltags entpuppen. Selbst dann, wenn das Alltagsleben fortgesetzt wird und sich die Medien alltäglicheren Themen oder anderen Krisen zuwenden, besteht die terroristische Bedrohung fort. Aus den Medien, aus dem Sinn – dies mag zwar zutreffen, negiert aber nicht die abstrakte Bedrohung jenseits ihrer medialen Vermittlung. Es wird nun im Folgenden nicht darüber zu befinden sein, wie der Terrorismus in und durch die Medien aufbereitet wird, denn über eine angemessene Berichterstattung ließe sich trefflich streiten. Es soll lediglich das Spannungsfeld ausgemessen werden, in dem sich die Medien in Zeiten des (islamistischen) Terrorismus bewegen. Dem liegt die These zugrunde, dass den Medien eine exponierte Bedeutung in modernen Massendemokratien zukommt und dass diese Bedeutung von den Terroristen erkannt und für ihre Zwecke instrumentalisiert wird. Wohl wäre es vermessen, einen Ausweg aus diesem Dilemma aufzeigen zu wollen, aber die Neuverortung der Medien erlaubt gegebenenfalls doch, einen angemessenen Umgang mit dem Dilemma zu erschließen. Zunächst (2.) wird die Stellung der Medien innerhalb der Demokratie skizziert. Anschließend (3.) ist auf die Instrumentalisierung der Medien, die kein neues Phänomen darstellt, abzustellen, um daraufhin (4.) zwischen Gefahr und Risiko zu unterscheiden und darin die Medien zu verorten. Zum Schluss (5.) wird, wie bereits erwähnt, der Umgang mit dem Dilemma, in dem sich die Medien befinden, thematisiert. Es gilt noch anzumerken, dass eine essayistische Annäherung, wie sie hier unternommen wird, der Komplexität und Tiefe der Thematik nicht gerecht werden, sondern nur eine ihrer Facetten konturieren kann. 2. Die mediale Konstruktion der Demokratie? Folgt man dem Lobbyverband Reporter ohne Grenzen, dann besteht kein Zweifel an der Bedeutung, welche Presse und Medien für die Demokratie besitzen: „Pressefreiheit ist die Basis einer demokratischen Gesellschaft“.2 Und weiterhin: „Pressefreiheit ist Menschenrecht!“.3 Eine Begründung dieser apodiktischen Aussagen wird nicht geliefert, was umso mehr überrascht, als dass es doch kein geringer Anspruch ist, der hier gestellt wird. Zumal dann, wenn er in den zeitgenössischen Kontext des vermeintlich globalen Siegeszuges der Demokratie eingeordnet wird, was bedeutet, dass die Demokratie als einzige legitime Regierungsform angesehen wird und daher ihre Verbreitung sowie ihre Verteidigung unweigerlich heroischen 108 Zur ambivalenten Rolle der Medien in Zeiten des Terrorismus Charakter trägt, welche Kosten dies auch mit sich bringen mag. Es ist schwierig, wenn nicht gar unmöglich, den Ursprung dieser Einstellung zu bestimmen, aber die Vermutung scheint plausibel zu sein, dass sozialwissenschaftlich-philosophische Hintergrundtheorien zumindest eine Teilströmung ausmachen. Um eine solche handelt es sich bei den Arbeiten von Jürgen Habermas, dem bedeutendsten deutschen Sozialphilosophen der Gegenwart. Natürlich können diese hier nicht en détail diskutiert werden, aber eine Komponente verdient nichtsdestotrotz besondere Beachtung, und zwar der Rekurs auf Kants öffentlichen Vernunftgebrauch, der von Habermas demokratietheoretisch aufgearbeitet wurde. Demnach ist eine funktionierende Öffentlichkeit, die den Austausch rationaler Argumente ermöglicht und damit die Tür öffnet für einen rational akzeptablen Konsens aller Beteiligten, d. h. aller von den vermeintlich vernünftigen Gesetzen Betroffenen, wirklich die Basis einer Demokratie. Nicht nur wird hier die Politik auf die Ergebnisse einer verallgemeinerten Vernunft zurückgebogen und so fundamentalisiert und mithin ihrem Eigensinn beraubt, auch die Frage nach der realen Funktionsfähigkeit dieses vernunftzentrierten Modells wird ausgeblendet.4 Ob im Fall Wulff die deutschen Medien dem Ansinnen einer rationalen Argumentation gefolgt sind ist zumindest fragwürdig. Gleiches gilt für die Vorverurteilungen in den Fällen Kachelmann und Hoeneß, wo die Ergebnisse der zwar langsamen, aber gerade deshalb vielleicht vernünftigeren Mühlen der Justiz nicht erst abgewartet wurden. Mehr noch, die Ergebnisse selbst wurden oftmals von Kommentatoren ohne entsprechenden Sachverstand bewertet und in Frage gestellt.5 Diese Beispiele veranschaulichen auch, dass, nur weil es mehrere Medien und Pressevertreter gibt, dies nicht eine Meinungsvielfalt garantiert. Der Pluralismus der Kanäle bürgt nicht für divergierende Inhalte des Argumentationsflusses. Davon abgesehen findet sich in der Habermasschen Diskurstheorie und ihrer demokratietheoretischen Reformulierung ein Bezugspunkt für die Standortbestimmung der Presse in modernen Flächenstaaten – in abstracto.6 Unterschwellig wird dabei ein Demokratiemodell kolportiert, das sich auf die Differenz der Diskursteilnehmer und deren Uneinigkeit in Fragen der praktischen Lebensführung rückbezieht. Die ermöglichende Bedingung des Konsenses ist der Dissens. Nun ist aber der Austausch von Argumenten oder, um mit Habermas zu reden, der Diskurs nicht die einzige Form politisch-gesellschaftlichen Miteinanders. Als alternative Basis einer demokratischen Gesellschaft lässt sich nämlich ein umfassenderes Phänomen ausweisen, die Zivilgesell109 Zukunft der Medien: Qualität und Wahrhaftigkeit schaft, also jener eigentlich politikfreie Raum, in dem sich der bürgerliche Alltag vollzieht und der jene Bindungskräfte bereitstellt, die die Gesellschaft im Innersten zusammenhalten.7 Dabei bedarf es keiner medialen Vermittlung dieser latenten Ligaturen. Urahn zivilgesellschaftlicher Demokratiemodelle ist Alexis de Tocqueville und sein Werk De la democratie en Amerique.8 Quintessenz dieses epochalen Werkes ist die Erkenntnis, dass die US-amerikanische Demokratie auf dem Nährboden zivilgesellschaftlichen Engagements erwächst und dass sich der demokratische Geist in den kleinsten kommunalen Einheiten verkörpert. Nicht die großen Gesten der Politiker sind es, sondern die unscheinbaren lokalen Gewohnheiten des Bürgers – pejorativ formuliert: seine Vereinsmeierei –, durch die das Gemeinwesen mit Leben erfüllt wird. In einschlägigen empirischen Studien konnte gezeigt werden, wie eng zivilgesellschaftliche Verflechtungen mit Vertrauen in die staatlichen Institutionen zusammenhängt.9 In gewisser Weise bildet eine lebendige Zivilgesellschaft den Humus jenes Urvertrauens, welches für den Zusammenhalt einer pluralistischen Gesellschaft verantwortlich zeichnet. Freilich ist damit noch nichts über die Funktionsfähigkeit des Staates oder die Berufsethik der Volksvertreter gesagt. Eine medienpluralistische Demokratie, der es an zivilgesellschaftlicher Substanz mangelt, wäre demnach ein potemkinsches Dorf. Was deliberative und auf eine funktionierende Öffentlichkeit rekurrierende Demokratiemodelle nicht oder kaum in Betracht ziehen ist die Möglichkeit, dass ein im Zivilgesellschaftlichen angesiedelter Diskurs sich über das Wahlsystem institutionalisiert und als heterogene Parteienlandschaft in Erscheinung tritt. Ein monistischer Ansatz, der den Strukturwandel der Öffentlichkeit (Habermas 1995a) konstatiert, unterschlägt die Öffentlichkeiten, die sich zivilgesellschaftlich und andernorts bilden können sowie deren aufklärerisches Potential. Sicherlich dürfen dabei die Medien nicht gänzlich ignoriert werden, insbesondere im Hinblick auf die investigative Offenlegung staatspolitischer Praktiken, mit anderen Worten: Die Schaffung von Transparenz. Die Medien werden also nicht zur randständigen Belanglosigkeit verurteilt, sobald man ihren selbstgesteckten Wirkungsradius enger zieht. Halten wir fest: Die Medien sind nicht die Demokratie. Aber sie beeinflussen unzweifelhaft die alltäglichen Wahrnehmungen und die Wahrnehmung des Alltags, die sich wiederum im Diskurs, in den Gewohnheiten oder dem Wahlverhalten widerspiegeln. Das Ausmaß dieser medialen Wahrnehmungsprägung zeigt sich auch daran, dass viele Mediennutzer nicht zwi110 Zur ambivalenten Rolle der Medien in Zeiten des Terrorismus schen dem medial vermittelten Bild von Politikern und ihrer Lebensrealität abseits der Medien unterscheiden. Das bedeutet, die Politiker sind, wie sie in den Medien erscheinen oder dargestellt werden und das wiederum schlägt zurück auf das Wahlverhalten und die Wahrnehmung der politischen Klasse (von Beyme 1993) als solcher. Wenn nun, substanzialistisch betrachtet, nicht die Demokratie medial konstruiert wird, sondern die Volksvertreter, und wenn nun die Repräsentation einer repräsentativen Demokratie auch und zuvorderst über mediale Kanäle, die nicht die einzigen sind, verläuft, dann erklären sich hieraus die Möglichkeiten medialer Einflussnahme auf den Politikbetrieb, sei dies positiver Art, wie bei der Schaffung von Transparenz, oder negativer, wie im Falle Wulff, wo nicht nur eine Person, sondern das höchste Amt der Bundesrepublik Deutschland ohne Ehrerbietung, also würdelos behandelt wurde. Indem die Medien im demokratischen Vollzug eine zentrale Vermittlerposition bekleiden und die Demokratie durchaus medial konstruiert wird, und zwar innerhalb des Medienzirkus, was gegebenenfalls das Clowneske manches Politikers erklären würde, sind sie nicht nur dazu aufgerufen, abseits überzogener Selbststilisierung über ihren Eigensinn zu reflektieren, sondern auch anfällig für Instrumentalisierungen verschiedener Art. 3. Die Instrumentalisierung Aufgrund dessen, dass die Medien den Bürgern ein Bild von der Wirklichkeit vermitteln, sind sie alleine schon nicht die Wirklichkeit selbst. Aber sie sind doch auch die Wirklichkeit in dem Sinne, als dass die Vermittlung zur Wirklichkeit gehört. Mit anderen Worten, die Vermittlung der gesellschaftlichen Wirklichkeit ist integraler Bestandteil derselben, weshalb die Medien eine durchaus ambivalente Position im sozialen Gefüge einnehmen und gewissermaßen ein mise en abyme entsteht. Die Medien helfen uns, weiter und gegebenenfalls schärfer zu sehen. Diesbezüglich ist McLuhans (2010) Definition der Medien als Verlängerung des menschlichen Körpers durchaus zuzustimmen und sie könnte dahingehend in einen nationalen (sowie transnationalen) Kontext gestellt werden, dass die Medien die Verlängerung des gesellschaftlichen Körpers sind. Erweiterung des Sichtfeldes und Erhöhung der Sehschärfe sind aber nur die eine Seite der Medaille, deren negative Kehrseite die mediale Verzerrung der vermittelten Inhalte abbildet. Mit Abbildung ist bewusst auf die Wirkmächtigkeit medial erzeugter Bilder abgestellt. Ein Bild sagt mehr als tausend Worte, sicherlich, aber es sagt auch weniger, wird doch die Geschichte hinter dem Bild nicht mit ab111 Zukunft der Medien: Qualität und Wahrhaftigkeit gebildet. Das wohl bekannteste Beispiel hierfür ist die Löschung Trotzkis, seines Namens sowohl wie seines Bildes, aus allen offiziellen Dokumenten, nachdem dieser als parteiuntreuer Staatsfeind klassifiziert wurde. Gerade das Bewusstsein für die Wirkmächtigkeit der Bilder öffnet das Einfallstor für interessengeleitete Instrumentalisierungen. Um eine begriffliche Trennschärfe herzustellen bietet es sich an, zunächst die Instrumentalisierung von der Kolonisierung abzugrenzen. Im Anschluss an Habermas (1995b, II: 229ff.) kann unter Kolonisierung das Eindringen systemischer Imperative in die Lebenswelt aber auch der Übergriff eines Systems und seiner immanenten Logik auf ein anderes verstanden werden. Was genau ist damit gemeint? Um diese abstrakten soziologischen Analysen auf ein verständliches Maß herunterzubrechen mag ein Beispiel hilfreich sein. Wird ein soziales System wie Familie, das sich nach der Logik von Liebe und Zuneigung organisiert (oder organisiert hat), beispielsweise vom ökonomischen System kolonisiert, dann werden sich in der Folge die familiären Akteure unter veränderten Handlungsmustern begegnen. Ein Kind wird zum Kostenfaktor und der Ehepartner zum möglichen Verlustgeschäft im Scheidungsfall. Die Übernahme wirtschaftlicher Funktionsprinzipien im Bereich der Politik, also das Ansinnen, ein Gemeinwesen rein nach ökonomischen Maximen zu organisieren, wäre ein weiteres Beispiel. Oder die Ausrichtung des medialen Subsystems an der ökonomischen Messgröße Gewinn und in deren Gefolge an Auflagenzahlen und Einschaltquoten. Was die Kolonisierung des Weiteren kennzeichnet ist ihre Ganzheitlichkeit, was bedeutet, dass kein oder kaum ein Residuum der originären Logik verbleibt. Das ganze Subsystem wird erfasst und unterjocht. Während Habermas den Begriff der Kolonisierung eng an eine kritische Gesellschaftsdiagnose koppelt, sei hier lediglich darauf verwiesen, dass die Kolonisierung einen quasi-organischen Prozess beschreibt, der sich latent im Gesellschaftlichen vollzieht. Die Kolonisierung bezieht sich demnach auf die systemische Konkurrenz, wobei dem Bürger nur eine Statistenrolle zugeschrieben wird. Anders verhält es sich nun, wenn wir uns der Instrumentalisierung zuwenden. Dann nämlich rückt der Akteur stärker ins Zentrum der Betrachtung. Im wahrsten Sinne des Wortes werden die Medien zum Instrument der Durchsetzung von Interessen, d. h. sie werden Mittel zum Zweck. Nun wurde gesagt, dass die Medien Vermittler sind, mithin die Verlängerung des menschlichen Körpers und damit wesensmäßig Hilfsmittel. Wo liegt der Unterschied, so es denn einen gibt? Wenn die Medien als Verlängerung des menschlichen Körpers Hilfsmittel sind, dann sind sie dies mit Blick 112 Zur ambivalenten Rolle der Medien in Zeiten des Terrorismus auf die Welt, womit sowohl die menschlich-soziale als auch die natürliche gemeint ist. Sie sind daher Hilfsmittel der Wahrnehmung von allem, was wahrnehmbar ist. Worum es sich bei dem Wahrgenommenen handelt und der Grad seiner Authentizität ist in diesem Kontext sekundär. Der erweiterte Wahrnehmungsradius bildet den Hintergrund, vor dem sich die Neutralität der Medien abzeichnet. Neutral verstanden im Sinne der Stiftung einer irgend gearteten Weltbeziehung. Werden die Medien hingegen instrumentalisiert, dann wird dieser originäre Zweck der erweiterten Wahrnehmung substituiert durch beliebige Zwecke eines Akteurs. Die Neutralität weicht der Subjektivität. Ein bestimmtes Weltbild soll erzeugt, nicht abgebildet werden, ein Weltbild, das aus der strategischen Planung eines Akteurs entspringt. Für den politischen Betrieb bedeutet dies, dass die Medien von Seiten der Politik zum Instrument der Selbstdarstellung degradiert werden.10 Als Selbstdarstellung kann auch die Instrumentalisierung durch den Terrorismus. Es also nicht nur darum zu tun, dass in den Medien personalisierte Feindbilder erzeugt werden (vgl. Kleinsteuber 2003), sondern dass gerade diese Erzeugung von terroristischer Seite gewollt ist, um ein Gefahrenszenario zu installieren. Gleichwohl dient die Personalisierung des Terrors dazu, dem Terror im wahrsten Sinne des Wortes ein Gesicht zu verleihen, wodurch die Zuschreibung von Verantwortung möglich wird. Ob diese gerechtfertigt ist und ob sie der Tragweite des Phänomens gerecht wird sei dahingestellt. Um auf die Instrumentalisierung der Medien durch terroristische Organisationen zurückzukommen, so darf das Internet als Propagandaplattform nicht unerwähnt bleiben. Der islamische Staat (IS) bedient sich des Internets sowohl zur Rekrutierung von Gotteskriegern als auch zur Verbreitung von Angst, indem Enthauptungsvideos eingestellt werden, die wiederum von westlichen Medien aufgegriffen werden. Schon Osama bin Laden hatte über dieses Medium die (Welt)Öffentlichkeit gesucht und mit Drohungen überzogen. Hinzu kommt allerdings, dass Terroranschläge die Eigenlogik der Medien bedienen und also eine Atmosphäre der Angst erzeugen, die in der schrecklichen Wirklichkeit erfolgter Anschläge selbst fundiert ist. Dieser Aspekt lässt sich eher der Kolonisierung zurechnen, insofern das System Terror das System Medien mit seiner Logik der Angst belegt. Es sind daher zwei ineinandergreifende Kategorien zu konstatieren, was das Verhältnis von Medien und Terror betrifft. Was das diffuse, medial vermittelte Szenario der Angst aufzuhellen vermag ist eine Unterscheidung von (abstrakter) Gefahr und (konkretem) Risiko. 113 Zukunft der Medien: Qualität und Wahrhaftigkeit 4. Gefahr vs. Risiko Wann besteht eine Gefahr? So einfach zu beantworten die Frage prima facie anmutet, so schwer gestaltet es sich bei näherer Betrachtung. Zunächst lässt sich allgemein sagen, dass eine Gefahr immer dann besteht, wenn bei Eintritt eines Ereignisses negative Folgen zu erwarten sind. Um von negativen Folgen sprechen zu können, muss ein normaler oder idealer Zustand der Unversehrtheit vorausgesetzt werden. Dies wäre im Falle körperlicher Gesundheit die Abwesenheit von Krankheit. Freilich schließt die Anwesenheit einer Gefahr – hier eine Krankheit – eine weitere nicht aus. Die Gefahr besteht fort und ruft sich selbst durch ihre Anwesenheit ins Gedächtnis des Betroffenen, d. h. sie bringt sich zu Bewusstsein. Allerdings war oder ist die Anwesenheit kein Definitionskriterium der Gefahr. Selbiges stellt sich ein, wenn man der etymologischen Spur des mittelhochdeutschen gevāre folgt. Dann bedeutet Gefahr so viel wie Hinterlist oder Betrug. Eine hinterlistige Gefahr? Sowohl Hinterlist als auch Betrug finden im Verborgenen statt. Übertragen auf die Gefahr heißt dies, dass eine Gefahr per definitionem unfassbar ist, ohne Konkretion. Das Ereignis eines konkreten Falles aus der Gefahr heraus ist nicht die Gefahr selbst. Des Weiteren wird gemeinhin gesagt, jemand schwebe in einer Gefahr. Der Körper schwebt stets in der Gefahr zu erkranken oder einen Unfall zu erleiden. Mithin ist die Gefahr ein integraler Bestandteil des Lebens. Um mit Erich Kästner zu reden: Das Leben ist immer lebensgefährlich. Darüber hinaus verweist das Schweben auf einen Zustand ohne Halt, ohne Anhaltspunkt, an dem sich die Gefahr fixieren ließe. Die Gefahr selbst ist beispiellos. Das Haltlose und das Verborgene spielen ineinander und konfrontieren den Einzelnen mit der diffusen Möglichkeit, dass das Normale durchbrochen und erschüttert wird. Allerdings suggeriert die Rede vom Normalen, dass die Gefahr ihm nicht zugehört, wobei es sich, wie beschrieben, um einen Trugschluss handelt. Die Gefahr ist in ihrer Abwesenheit präsent. Insofern schwebt man nicht nur in Gefahr, auch die Gefahr schwebt wie ein Damoklesschwert über dem Einzelnen, obschon sie von diesem unabhängig ist. Terrorismus wäre demnach Ausfluss der Gefahr, eine konkrete Ausprägung und damit wiederum nicht die Gefahr selbst, sondern er reiht sich ein in die Riege der Lebensgefahren. Wenden wir uns dem Risiko zu, dann geht es, lakonisch ausgedrückt, darum, die dicke oder Haltbarkeit des Haares einzuschätzen oder zu berechnen, an dem das Damoklesschwert hängt. Während also die Gefahr 114 Zur ambivalenten Rolle der Medien in Zeiten des Terrorismus in der Latenz verharrt, basiert das Risiko auf angebbaren Faktoren, die es erlauben, die Wahrscheinlichkeit des Ereignisses, welches negative Folgen zeitigt, zu berechnen. Es sind Anhaltspunkte vonnöten, um von einem Risiko sprechen zu können. Diese beziehen sich auf den Einzelnen sowie dessen Umwelt und auf das Verhalten des Einzelnen darin. Mit Blick auf unser Beispiel heißt das: Wer sitzt unter dem Damoklesschwert? Wie lange sitzt er schon dort? Wie dick ist das Rosshaar? Wie viel wiegt das Schwert? Auf der Basis empirischer Daten fußt das Spiel mit dem Risiko.11 Wird eine Terrorwarnung ausgegeben, dann richtet sich diese nach entsprechenden empirischen Anhaltspunkten, die auf einen möglichen Anschlag schließen lassen. Freilich wird im Sozialen mit dem in ihm verorteten menschlichen Faktor die Berechnung in vielen, wenn nicht in allen Fällen schwierig bis unmöglich. Die Wahrscheinlichkeit eines Terroranschlages lässt sich nicht berechnen wie die Gewinn- und Verlustwahrscheinlichkeiten beim Glücksspiel. Gleichwohl können anhand empirischer Anhaltspunkte entsprechend fundierte Aussagen getroffen werden, die eben nicht über der empirischen Welt schweben und zumindest einen begründeten Hinweis liefern. Auf Basis dieser Logik wurde der diesjährige Braunschweiger Karnevalszug abgesagt. Es gab Hinweise auf einen Anschlag, aber es war nicht klar, wie dieser aussehen würde, ob es sich also um einen Bombenangriff oder eine Messerattacke handeln würde. Während die Terrorgefahr der modernen Welt eingeschrieben ist, beginnend mit dem revolutionären Terror Robespierres, bezieht sich ein Anschlagsrisiko stets auf ein Hier und Jetzt. Wie lassen sich nun die Medien hierin verorten? Zunächst: Die Medien kommen immer zu spät. Sie berichten gezwungenermaßen über geschehene Ereignisse. Sie berichten also zumeist nicht über die Gefahr an sich, sondern wenden sich einem im Hier und Jetzt erfolgten Ereignis wie 9/11, London, Madrid, Boston oder Paris zu. Nur durch diesen modus operandi können die Bilder gewonnen werden, welche die Aufmerksamkeit des Publikums fesselt. Aber auch nur so kann teils ein Bild im Sinne einer plastischen Vorstellung der Gräuel hervorgerufen werden, wo das geschriebene oder gesprochene Wort an seine Grenzen stößt. Andererseits birgt dieser modus operandi die Gefahr, ein den Terroristen in die Hände spielendes Weltbild zu schaffen und dergestalt der Instrumentalisierung anheimzufallen. Wenn es um die Frage geht, wie die Medien zwischen den Polen Gefahr und Risiko einzuordnen sind, dann auf Seiten des Risikos. Dies aber nicht, weil sie die Gefahr systematisch ausblenden, sondern weil sie an die empirische, ereignisdurchwirkte Wirklichkeit gebunden sind, insofern sie 115 Zukunft der Medien: Qualität und Wahrhaftigkeit nicht allzu spekulativ sein wollen. Mit anderen Worten, die Medien greifen ein Risiko auf, ob eingetreten oder nicht, und befreien also die Gefahr aus der Latenz. Sie werden damit, mit der Erzeugung erweiterter Wahrnehmung, ihrem Eigensinn gerecht. Wenn mit den Medien im terroristischen Kontext eine grundlegende Ambivalenz verbunden ist, dann gilt es nicht zu fragen, wie diese getilgt oder umgangen werden kann, sondern eher, wie mit dieser umzugehen ist. 5. Conclusio, oder: Plädoyer für das Wahrscheinliche und mehr Wenn abschließend auf den Umgang mit der ambivalenten Position der Medien eingegangen wird, dann gebietet das Thema eine gewisse Contenance, eine Zurückhaltung, ein Bewusstsein für die Beschränktheit der eigenen Perspektive und damit eine Einschränkung des erhobenen Anspruchs. Wie eingangs erwähnt handelte es sich im Vorigen um eine essayistische Annäherung, um eine Gedankenskizze, die nun zum Abschluss kommt und doch Anfang sein möchte. Um den Bogen zu spannen rufen wir uns die demokratische Basis, die bürgerliche – nicht als bourgeoise, sondern gemeinwesentliche – Lebenswelt in Erinnerung, den sozialen Alltag, in dem sich die Gewohnheiten der Menschen iterativ kristallisieren und der ihnen Halt gibt. Das Gewohnte ist uns vertraut, heimisch. Perfide ist eine Gleichsetzung von Alltag und Langeweile, mag sie auch manches Mal zutreffen, denn weil der Alltag nahezu alles umfasst, zumindest einen Großteil des Lebens, wird auf diese Weise die außergewöhnliche Sensation zum Zentrum der Aufmerksamkeit oder der Wahrnehmung stilisiert. Wird das Außergewöhnliche, Außeralltägliche, Ungewohnte stärker wahrgenommen und wird ihm ein ungebührender Stellenwert zugeschrieben, dann tritt eine Verschiebung von Wahrnehmung und Realität ein. Das Unwahrscheinliche wird aufgrund seiner Wahrnehmungspräsenz zum Wahrscheinlichen, mit dem zu rechnen ist. Ohne Anhaltspunkte besteht vermeintlich ein Risiko inmitten des Alltags. Gefahr und Risiko verschmelzen aufgrund der medialen Wahrnehmung im Sensationellen miteinander. Wie eine selbsterfüllende Prophezeiung durchdringt die Angst den Alltag. Wäre es daher zu weit hergeholt, für das Wahrscheinliche, dasjenige, das uns als Wahr erscheint und es vielleicht auch ist, und damit für die Wahrnehmung jenseits der (Sensations-)Medien zu plädieren? Und ist dies nicht die eigentlich angemessenste Reaktion der Zivilgesellschaft auf den Terror, einfach weiter zu machen, den (demokratischen) Alltag fortzuführen und sich weiter in der eigenen Gesellschaft heimisch zu fühlen? Sollte es sich 116 Zur ambivalenten Rolle der Medien in Zeiten des Terrorismus dabei um die angemessenste Reaktion handeln, wäre es dann nicht angebracht diese wirkliche Reaktion medial abzubilden? Wie aber lässt sich eine Reaktion abbilden, die darin besteht, keine Reaktion zu sein? Darauf eine Antwort zu finden scheint einen Weg für einen gemäßen Umgang mit der skizzierten Ambivalenz zu ebnen und vielleicht wäre der Weg schon das Ziel. Ob eine solche Antwort gesucht oder gewollt wird, steht auf einem anderen (Titel)Blatt. Literatur Bellah, Robert N. et al. (1987): Gewohnheiten des Herzens. Individualismus und Gemeinsinn in der amerikanischen Gesellschaft. Köln: Bund. Brettschneider, Falk (2002): Spitzenkandidaten und Wahlerfolg. Personalisierung – Kompetenz – Erfolg. Ein internationaler Vergleich. Wiesbaden: Westdeutscher Verlag. Beck, Ulrich (2003): Risikogesellschaft. Auf dem Weg in eine andere Moderne. Frankfurt am Main: Suhrkamp. Beyme, Klaus von (1993): Die politische Klasse im Parteienstaat. Frankfurt am Main: Suhrkamp. Etzioni, Amitai (1995): Die Entdeckung des Gemeinwesens. Ansprüche, Verantwortlichkeiten und das Programm des Kommunitarismus. Stuttgart: Schäffer-Poeschel. Geuss, Raymond (2011): Kritik der politischen Philosophie – Eine Streitschrift. Hamburg: Hamburger Ed. Habermas, Jürgen (1992): Faktizität und Geltung. Beiträge zur Diskurstheorie des Rechts und des demokratischen Rechtsstaats. Frankfurt am Main: Suhrkamp. Habermas, Jürgen (1995a): Strukturwandel der Öffentlichkeit. Untersuchungen zu einer Kategorie der bürgerlichen Gesellschaft. Frankfurt am Main: Suhrkamp Habermas, Jürgen (1995b): Theorie des kommunikativen Handelns. 2 Bd. Frankfurt am Main: Suhrkamp. Huntington, Samuel (1996): The Clash of Civilizaitons and the Remaking of World Order. New York: Simon & Schuster. Kleinsteuber, Hans J. (2003): Terrorismus und Feindbilder. Zur visuellen Konstruktion von Feinden am Beispiel Osama bin Laden und Saddam Hussein. In: Beuthner, Michael (Hrsg.): Bilder des Terrors – Terror der Bilder? Krisenberichterstattung am und nach dem 11. September. Köln: von Halem, 206-237. McLuhan, Marshall (2010): Understanding Media: The Extensions of Man. London u. a.: Routledge. Meyer, Thomas (2001): Mediokratie. Die Kolonisierung der Politik durch das Mediensystem. Frankfurt am Main: Suhrkamp. Putnam, Robert D. et al. (1994): Making Democracy Work. Civic Traditions in Modern Italy. Princeton: Princeton University Press. 117 Zukunft der Medien: Qualität und Wahrhaftigkeit Putnam, Robert D. (2000): Bowling Alone. The Collapse and Revival of American Community. New York: Simon & Schuster. Tocqueville, Alexis de (1987): Über die Demokratie in Amerika. 2 Bd. Zürich: Manesse. Quellen 1 Siehe hierzu die klassische Studie von Huntington (1996). 2 Vgl. https://www.reporter-ohne-grenzen.de/themen/pressefreiheit-warum/ (Stand: 23.02.2015) 3 Vgl. https://www.reporter-ohne-grenzen.de/themen/pressefreiheit-warum/ (Stand: 23.02.2015) 4 An dieser Stelle setzt auch die Kritik des politischen Realismus an, wie er beispielsweise von Raymond Geuss (2011) vertreten wird. 5 Siehe hierzu den Beitrag „Eine kritische Betrachtung medialer Berichterstattung über Strafverfahren“ von Florian Alte in diesem Band. 6 Vgl. Habermas (1992). 7 Bemerkenswert ist, dass auch bei Habermas die Zivilgesellschaft oder, wie Habermas es im phänomenologischen Sprachgebrauch nennt, die Lebenswelt, die Basis aller Systeme bildet, stellt sie doch jene intuitiven sprachlichen Verständigungsmuster bereit, auf die der Diskurs angewiesen bleibt. 8 Vgl. Tocqueville (1987). Es gilt anzumerken, dass Tocqueville trotz der Detailtiefe seines Werkes grundlegende Eigenheiten der US-amerikanischen Gesellschaft, wie etwa die Sklaverei, undokumentiert und unkommentiert lässt, was gegebenenfalls seiner adligen Herkunft geschuldet ist. 9 Vgl. hierzu Putnam (1994, 2000), ferner Bellah et al. (1987) und Etzioni (1995). 10 Es gilt anzumerken, dass es sich bei der Personalisierung um ein Phänomen handelt, welches die Beziehung zwischen Medien und Politik nur partiell beschreibt. Brettschneider (2002: 206ff.) beispielsweise betrachtet das personalisierte Wählerverhalten als Phantom und die strikte Dichotomisierung von Themen und Kandidaten als verfehlt. In gewisser Weise ließe sich die Instrumentalisierung der Medien auch als Nebenfolge einer Mediokratie (Meyer 2001), also der fortgeschrittenen Kolonisierung der Politik durch die Medien, beschreiben. 11 Dies ist auch tragend in der klassischen Studie von Beck (2003). 118 Gender, Gender, Sprachenschänder? von Sandra Roth D ieser Textbeitrag sollte ursprünglich den reißerischen Titel „UniSex – Realität, nacktes Grauen oder Chance: Gender-Journalismus 2015?“ haben und sich mit der linguistischen Frage beschäftigen, ob es unterschiedliche Sprachgebrauchsnormen in journalistischen Texten gibt, die entweder eine spezifisch männliche oder spezifisch weibliche Zielgruppe haben oder die keine spezifisch männliche oder weibliche Zielgruppe haben, quasi als unisex zu sehen sind. Kurz: Ob journalistische Texte für Frauen tendenziell anders geschrieben werden als für Männer. Denn dass die Geschlechter unterschiedliches Kommunikationsverhalten an den Tag legen, bisweilen zwei gänzlich unterschiedliche Sprachen sprechen (vgl. u. a. Modler 2009), wurde uns bisher nicht nur durch eine Schwemme an Kommunikationsratgebern zur Überwindung von kommunikativen Missverständnissen zwischen Mann und Frau1, sondern auch wissenschaftlich fundiert u. a. in den soziolinguistischen Longitudinalstudien von Deborah Tannen (vgl. Tannen 1998) gezeigt. In dieser Thematik im Oktober 2013 zum ersten Mal unter dem Titel „X, Y oder Unisex: Gender-Journalismus im 21. Jahrhundert?“ gedacht, fand sich zunächst keine Zeit, sich weiter mit dem wissenschaftlich bisher recht unerforschten Thema weiter zu beschäftigen. Just in der zum ersten Mal von der ARD durchgeführten Toleranz-Woche kam die Thematik als Vorschlag für eine Publikation wieder auf den Tisch – die Geburtsstunde des vorliegenden Aufsatzes. Dass viele auch in der Wissenschafts-Community mit dem Thema Gender wenig anzufangen wissen, ist Fakt und vielfach Anlass für Diskussionen, oft hinter vorgehaltener Hand. Um es leicht verständlich mit einem Bild zu erklären: Frage: Erinnern Sie sich an das Atom-Reaktion-Experiment bei Sendung mit der Maus von 1988?2 Das mit dem Zimmer, wo nur traditionelle Mausefallen stehen, auf jeder ein Tischtennisball und jemand wirft einen einzigen Tischtennisball zusätzlich in dieses Zimmer? Erinnern Sie sich, was passierte? Der zusätz119 Zukunft der Medien: Qualität und Wahrhaftigkeit liche Ball trifft auf den Boden voller Mausefallen und setzt eine nicht mehr aufzuhaltende Kettenreaktion in Bewegung, bis alle Mausefallen zugeschnappt haben, bis jeder Ball mindestens einmal durch den Raum geflogen ist, meist sogar mehrfach durch den Schwung der anderen Bälle, bis die ganze Energie verbraucht ist. Genau so ist es mit dem Wort Gender. Werfen Sie das Gender-Bällchen in die deutsche Gesellschaft: Egal ob Frau oder Mann, erst wenn jedes Meinungsbällchen verschossen ist und die Diskussionsbeteiligten sich gekrängt zurückziehen, jegliche Energie und Spannung raus ist, dann ist vollkommene Ruhe. Mit diesem Beitrag versuche ich nun die Scherben der Gender-Explosion wieder zusammenzufügen und zu erklären, was Sprache mit Gender zu tun hat. Ich beginne mit dem „Warum?“: Ich bin Linguistin – Sprache ist mein Hobby, das ich nach einem ausgeprägten Fremdsprachen- und Germanistik-Studium zum Beruf gemacht habe. Sprache und Gender Als Linguistin versuche ich seit Jahren zu erklären, dass Sprachen sich in einem beständigen Entwicklungsprozess befinden, der nie abgeschlossen ist. Ich vergleiche sie daher in ihrer Systematik gern mit Sauerteig, der sich ausgehend von seinem Ansatz durch Beigabe individueller Zutaten in seinem Ergebnis, aus dem dann wieder ein Ansatz gewonnen werden kann, unterscheidet. (vgl. Roth 2014). D. h. übertragen auf die deutsche Sprache, dass auch sie durch Beigabe sprachexterner Einflüsse interne Entwicklungen durchmachte, durchmacht und diese immer durchmachen wird. Ob durch sprachplanerisches Handeln, Sprechercharakteristiken oder Migration usw. Wie würden wir sonst heute klingen? Indoeuropäisch? Eine solche sprachexterne Entwicklung, die derzeit das deutsche Sprachsystem beeinflusst, ist die globale moderne Frauen(rechts)bewegung3, die sich ab Mitte des 19. Jahrhunderts entwickelte und sich ursprünglich für die gesellschaftliche und staatliche Gleichberechtigung4 der Frau einsetzte. Mädchen dürfen heute deswegen u. a. Schulen besuchen und studieren, ohne Erlaubnis eines Mannes arbeiten, wählen gehen und Bundeskanzlerin werden. Das führte, wie am letzten Beispiel zu sehen ist, zu sprachlichen Herausforderungen: Frau Bundeskanzler oder Frau Bundeskanzlerin? Im Deutschen gibt es drei Genera5: Maskulinum, Femininum und Neutrum. Bis heute gibt es kein allumfassendes Regelsystem, nachdem man das Genus eines deutschen Substantivs mit voller Sicherheit voraussagen kann. Genuszuweisung erfolgt sprachlich über semantische, morphologi120 Gender, Gender, Sprachenschänder? sche und phonetische Regeln (mehr dazu hier: Duden 2005: 153 ff.), das ist auch in einigen anderen Sprachen so. Im Deutschen gibt es zur Personenbezeichnung6 systembedingt „Unisex-Substantive“7, die sich auf beiderlei natürliches Geschlecht beziehen (Person, Fachkraft, Mensch, Mitglied, Individuum etc.), Sexus-Substantive8, die die Geschlechter semantisch trennen (Mann, Frau, Dame, Herr etc.) und Ableitungen maskuliner Substantive mit dem Suffix -in (Freund – Freundin, Kollege – Kollegin), deren Gebrauch im Plural verallgemeinernd gleichermaßen für Frauen und Männer, also geschlechtsneutral, stehen kann: Die Schüler fahren Bus. Politiker meinen, Ärzte verdienten zu viel Geld. Da sich dieser generische Gebrauch nicht vom Sexus-Gebrauch unterscheidet und dies zu inhaltlichen und kommunikativen Missverständnissen führen kann (Fahren nur die Schüler mit dem Bus, weil die Schülerinnen schon mit dem Zug voraus gefahren sind?), wird ihr Gebrauch oft vermieden und durch Paarformeln (Kolleginnen und Kollegen) und Zusammensetzungen mit -leute (Landsmann – Landsleute) oder -frau (Fachmann – Fachfrau) ersetzt (vgl. Duden 2005: 156-157). In jüngster Zeit tritt zudem die Binnen-I-Schreibung à la KollegINNen vermehrt auf. In der Gender-Diskussion wurden Berufsbezeichnungen typischer Männer- und Frauenberufe, die i.d.R. Sexus-Berufsbezeichnungen sind, zu einem Konfliktherd. Unsere Lebens- und Berufswelt hat sich in den vergangenen 50 bis 100 Jahren massiv verändert. Man fand gendersensible Berufsbezeichnungen wie Krankenpfleger und Krankenpflegerin für die ehemalige Krankenschwester, die meisten typisch männlichen Berufe waren durch ein -in-Suffix schnell angepasst. Bei der Hebamme9 befinden wir uns mangels männlichen Berufsinteresses derzeit noch weit von der GenderDiskussion entfernt. Dem Weihnachtsmann stellte man eine Weihnachtsfrau zur Seite und mit sensiblen Aufklärungsaktionen wie der zeitlich befristeten Anrede aller Mitarbeitenden einer Uni oder eines Betriebs mit femininen Titeln, versuchten Gender-Studienprojekte Verständnis dafür zu generieren, dass das bloße Mitgemeint-Sein in einer Sexus-Bezeichnung nicht zwangsläufig zufriedenstellend ist für den Teil, der durch den jeweiligen Sexus eigentlich ausgeschlossen ist. (vgl. Sommerbauer 2009). Warum nicht häufiger eine solch gendersensible Woche machen und sich so verständnisvoll aneinander herantasten? Soweit der vermeintliche Kuschelkurs in der Gender-Diskussion. Die soziale Anpassung an neue soziale Herausforderungen könnte mit Sinn und Verstand, Respekt, Wahrnehmung und Verständnis friedlich verlaufen. Tut sie aber nicht. Mit Bezug zur Toleranz-Woche der ARD erscheinen 121 Zukunft der Medien: Qualität und Wahrhaftigkeit um den Tag des Diskussionsbeginns im Kollegenkreis mehrere Artikel10 der Gender-Diskussion in verschiedenen Tageszeitungen und Magazinen (u. a. ein sprachlicher Leitfaden des BR für gendersensible Sprache) und werden auf Facebook weiterverbreitet u. a. in den geschlossenen Gruppen der deutschen Begabtenförderungswerke. Die Klasse der daraufhin ausgelösten Shitstorms11 – denken Sie jetzt nicht an die harmlosen kleinen Tischtennisbällchen bei „der Maus“ – sprengt die Explosions-Scala vom Knallteufelchen zur Supernova ins Unendliche und lässt die Streithähne und -hennen tief gekränkt zurück. Die Artikel habe ich damals schon gar nicht mehr gelesen, hunderte Kommentare in einer Stunde fand ich viel interessanter. Fördert die relative Anonymität des WWW das gegenseitige Zerfleischen? Wenn das Gegenüber nicht unmittelbar vor einem steht, kann die Hemmschwelle durchaus sinken. Momentan kann und möchte ich mir nicht vorstellen, wie sich Mann und Frau auf offener Straße an die Gurgel gehen, erstechen und erschlagen mit dem Ziel der größtmöglichen Verletzung, um die Frage nach Prof., Profin. oder Profx. zu diskutieren. Homo sapiens, quo vadis? Fazit Es ist, wie es ist: Sprachlich wie sozialwissenschaftlich kann man die Genderdiskussion um Bezeichnungen und Titel zwar erklären, wie die Diskussion aber geführt wird, hängt von den beteiligten Einzelpersonen ab. Hat sich seit Selberts Kampf um Gleichstellung etwas in den Köpfen verändert? Bestimmt: Wir sehen heute Männer in Elternzeit – früher undenkbar – in einst typischen Frauenberufen (Kindergarten, Pflegebereich) und Frauen in einst typischen Männerberufen als Ingenieurinnen und Technikerinnen. Das ist gut so! Für diese sozialen Veränderungen und Entwicklungen kann es durchaus sinnvoll, sogar unabdinglich sein, neue Berufsbezeichnungen einzuführen. Schließlich hat sich der uns bekannte Berufsbezeichnungswortschatz ebenfalls über Hunderte von Jahren anhand sozialer und technischer Veränderungen entwickelt. Durch Gender zum Sprachenschänder? Manchmal ja, manchmal nein. Wie sich unsere Sprache künftig entwickeln wird, werden wir sehen. 122 Gender, Gender, Sprachenschänder? Literatur Duden Band 4 – Die Grammatik (2005). Mannheim: Dudenverlag. Friedrichs, Hauke (2009): Die Mutter der Gleichberechtigung. In: Zeit-Online. 15.05.2009. http:// www.zeit.de/online/2009/20/grundgesetz-selbert, 15.03.15. Kailitz, Susanne (2010): Allein unter Frauen. In: Zeit-Online. 13.07.2010. http://www.zeit. de/2010/28/S-Hebammen, 15.03.15. Modler, Peter (2009): Das Arroganz-Prinzip. So haben Frauen mehr Erfolg im Beruf. Frankfurt/ Main: Fischer. Roth, Sandra (2014): Verfall oder Evolution? Das Sauerteigprinzip und die deutsche Mediensprache. In: Goderbauer-Marchner, Gabriele (Hrsg.): Die Zukunft der Medien. Qualitätsjournalismus im 21. Jahrhundert. Neubiberg: Schriftenreihe der Universität der Bundeswehr München Band 05. S. 51-54. Sommerbauer, Jutta (2009): Genderproblem: Gerechte Sprache nach Leitfaden?. In: DiePresse.com. 22.02.2009. http://diepresse.com/home/bildung/universitaet/454786/Genderproblem_GerechteSprache-nach-Leitfaden. 26.11.14. Tannen, Deborah (1998): Du kannst mich einfach nicht verstehen. Warum Männer und Frauen aneinander vorbeireden. München: Goldmann. https://www.youtube.com/watch?v=BnlwllqOVVU. 15.03.15. http://de.wikipedia.org/wiki/Frauenbewegung, 15.03.15. http://www.bpb.de/gesellschaft/gender/frauenbewegung/, 15.03.15. https://www.ndr.de/themenwoche/Interview-zum-Thema-Transgender,transgender102.html, 15.03.15. http://www.zeit.de/kultur/2014-11/lann-hornscheidt-feminismus-gender-maenner-polemik/seite-2, 15.03.15. http://www.cicero.de/salon/geschlechterkorrekte-sprache-bayerischer-rundfunk-aechtet-maennliche-endung/58535, 15.03.15. http://www.faz.net/aktuell/feuilleton/debatten/profx-als-geschlechtergerechte-sprache-fuerprofessoren-13268220.htm, 15.03.15. http://www.ardmediathek.de/tv/Die-Frage/Warum-haten-wir-so-viel-im-Netz/PULS/Video?docum entId=24796320&bcastId=14950936, 15.03.15. http://www.handelsblatt.com/technologie/it-tk/it-internet/shitstorm-das-netz-ist-keine-toilettenwand/6505288.html, 15.03.15. http://ebusiness-info.de/blog/shitstorms-im-internet-ist-das-der-neue-umgangston, 15.03.15. Quellen und Anmerkungen 1 Das ebenfalls boomende Seminarangebot zur gleichen Thematik lässt darauf schließen, dass hier tatsächlich ein Problem besteht. 123 Zukunft der Medien: Qualität und Wahrhaftigkeit 2 Zu sehen u. a. hier: https://www.youtube.com/watch?v=BnlwllqOVVU. 3 Kurzüberblick: http://de.wikipedia.org/wiki/Frauenbewegung. Ausführlicher u. a. hier: http:// www.bpb.de/gesellschaft/gender/frauenbewegung/. 4 Die Debatte um Gleichberechtigung von Mann und Frau in Deutschland wurde maßgeblich von der Juristin Elisabeth Selbert beeinflusst, die die Gleichstellung zu einem Grundrecht der Bundesrepublik Deutschland machte (vgl. Friedrichs (2009). 5 Genus = grammatisches Geschlecht, Sexus = natürliches Geschlecht; „Geschlechtslose Menschen“ gibt es laut Duden (2005: 155) nicht und die Duden-Redaktion verweist auf die natürlichen Geschlechter männlich und weiblich. Ein drittes natürliches Geschlecht ist spätestens seit der Transgender-Diskussion in Diskussion (vgl. https://www.ndr.de/themenwoche/Interviewzum-Thema-Transgender,transgender102.html). 6 Die Gender-Streitigkeiten beziehen sich im mehrheitlich auf den Bereich der Personen-Substantive, weswegen die anderen Substantivklassen hier nicht weiter erwähnt werden. 7 Unisex-Substantiv ist eine hier gebrauchte Ad-Hoc-Bildung und kein Fachbegriff. 8 Analog kein Fachbegriff. 9 Für den Beruf Hebamme gibt es (noch) keine gendersensible maskuline Berufsbezeichnung, was wohl daran liegen mag, dass es in Deutschland mit Jens Unger, der sich selbst „Entbindungspfleger“ nennt, nur eine einzige deutsche Hebamme bisher gibt (vgl. Kailitz 2010). 10 U. a.: http://www.zeit.de/kultur/2014-11/lann-hornscheidt-feminismus-gender-maenner-polemik/seite-2, http://www.cicero.de/salon/geschlechterkorrekte-sprache-bayerischer-rundfunkaechtet-maennliche-endung/58535, http://www.faz.net/aktuell/feuilleton/debatten/profx-alsgeschlechtergerechte-sprache-fuer-professoren-13268220.html. 11 Zur Psychologie des online-Shitstorms gibt es jüngst immer mehr Untersuchungen. http:// www.ardmediathek.de/tv/Die-Frage/Warum-haten-wir-so-viel-im-Netz/PULS/Video?docume ntId=24796320&bcastId=14950936, http://www.handelsblatt.com/technologie/it-tk/it-internet/ shitstorm-das-netz-ist-keine-toilettenwand/6505288.html, http://ebusiness-info.de/blog/shitstorms-im-internet-ist-das-der-neue-umgangston. 124 Games-Markt in Deutschland und international von Barbara Schardt D er Games-Markt, also der Markt für Computerspiele, bietet zahlreiche Facetten, deren Betrachtung lohnend wäre. Hier sollen vor allem die wirtschaftliche Bedeutung und die sich ändernden Entwicklungen im Geschäftsfeld Games genauer behandelt werden, sowohl in Deutschland als auch international. Obgleich sich mit den Marktentwicklungen der vorgesehene Rahmen des Beitrags ohne weiteres füllen ließe, soll ein kleines Schlusskapitel noch kurz die Aufmerksamkeit auf das Thema „Serious Games“ lenken, weil ihm eine rasant wachsende Bedeutung zukommen wird und es sich bereits zu einem eigenen Markt entwickelt hat. Der weltweite Siegeszug der Computerspiele weist rasante Wachstumssprünge auf. Das Marktvolumen hat dasjenige der weltweiten Filmbranche schon längst überholt – auch in Deutschland beträgt es seit Jahren schon ungefähr das Doppelte. So sagte das Marktforschungsunternehmen Gartner INC.1 für 2014 ein Gesamtvolumen des weltweiten Gamesmarktes von über 101 Mrd. US-$ voraus, für 2015 einen Anstieg auf gut 111 Mrd. US-$. Dominiert wird der weltweite Games-Markt von US-amerikanischen und japanischen Anbietern, sowohl bei Hardware als auch bei Software. Darunter die Konsolen-Hersteller Sony (PlayStation), Microsoft (Xbox) und Nintendo (Nintendo Entertainment System NES, Wii, Game Boy, Nintendo DS). Da auch in Zeiten des sich immer stärker ausbreitenden Spielens auf mobilen Endgeräten Spiele für Konsolen und die Konsolen selbst immer noch eine starke Marktposition haben, muss bei der Betrachtung von Marktanteilen und – Vergleichen darauf geachtet werden, ob sich die Angaben zu Umsätzen und Marktanteilen auf die reine Software, oder auf Hard- und Software beziehen. Die weltweite Dominanz eines runden Dutzends internationaler Anbieter von (teilweise)Hard- und Software spielt natürlich auch auf dem deut125 Zukunft der Medien: Qualität und Wahrhaftigkeit schen Games-Markt eine wichtige Rolle, die bei der Betrachtung des deutschen Marktes berücksichtigt werden muss. Doch auch in Deutschland hat sich eine eigene Szene der Spieleentwickler etabliert – trotz zeitweise erheblicher Widerstände aus Politik und Gesellschaft. Erinnert sei hier an die Debatte um die Auswirkung von EgoShootern auf vor allem männliche Jugendliche, die im ersten Jahrzehnt des Jahrtausends geradezu tobte. (Die Autorin hat beim Aufbau des Cluster audiovisuelle Medien in Bayern, in das nach ihrer Auffassung auch die Gamesentwickler und die Gamesindustrie unbedingt einbezogen werden sollten, gegen zahlreiche Einwände und Widerstände aus der Politik kämpfen müssen. Zunächst fanden sich nur wenige Unterstützer in der Politik, die die Gamesindustrie als einen neuen und sehr ernst zu nehmenden Player auf dem Feld der Medien zu akzeptieren bereit waren.) Auch diesen Widerständen zum Trotz haben sich in Deutschland zahlreiche erfolgreiche Games-Entwickler etablieren können – und es werden erfreulicherweise immer mehr. Mittlerweile sind die Gamesentwickler auch in der bayerischen Medienpolitik angekommen und werden von ihr besonders gefördert. Zum besseren Verständnis der Strukturen des Games-Marktes sollen zunächst die Akteure betrachtet werden: Die im Bild unten Abgebildeten sind sehr spezielle Akteure auf dem Markt, sogenannte „Cosplayer“. Sie dienen hier als kurzer Hinweis darauf, dass auch der Games-Markt seine NebenMärkte entwickelt hat. Im Film- und TV-Geschäft ist Merchandising, die Nachbildung von Filmfiguren, ein längst etablierter und höchst einträglicher Markt. Diesen Markt gibt es natürlich auch für Games-Figuren. Cosplayer jedoch machen sich selbst zu den Lieblingsfiguren ihres Spiels. Auch für sie hat sich eine eigene Industrie entwickelt, die ihnen anbietet, was sie brauchen. Und weltweit werden Contests mit den besten Lookalikes und Imitatoren der Spielfiguren in riesigen Arenen mit Tausenden von Zuschauern veranstaltet. Aus Japan, wo es schon eine Tradition der Imitation der NinjaComic-Figuren gab, hat sich dieser Trend in die weltweite Games-Community ausgebreitet. © Barbara Schardt 126 Games-Markt in Deutschland und international Das abgebildete Foto stammt von der seit 2009 in Köln stattfindenden gamescom, „des weltweit größten Messe- und Eventhighlights für interaktive Spiele“ (Eigenbezeichnung2), die den Cosplayern seit zwei Jahren sogar eine eigene Area in den Messehallen bietet. Sie sind ein sichtbares Zeichen für die immersiven Qualitäten, die gut gemachte Computerspiele bieten, und ein Hinweis darauf, dass vor allem sogenannte MMOG – Massive Multiplayer Organized Games den Spielern eine hohe Identifikationsmöglichkeit und ein weitreichendes Gruppenerlebnis vermitteln können. Attraktiv und zweifelsohne auch interessant wäre die Befassung mit diesem speziellen Segment des Gamesmarktes. Interessierten sei ein Besuch der gamescom3 empfohlen – denn zugleich lässt sich dort auch ein Überblick über die Angebote der primären Akteure, der Spieleanbieter, auf dem Gamesmarkt gewinnen. Die extrem aufwendigen Präsentationen von Spielen in den Messehallen sind auf jeden Fall sehenswert. Akteure auf dem Gamesmarkt: Entwickler/Developer Verleger/Vertreiber = Publisher/Distributors Spieler/Gamer Zweisprachigkeit ist hier nicht Attitude, sondern gängige Praxis in der Welt der Games. Daher werden die Begriffe abwechselnd gebraucht. So eindeutig, wie diese Aufteilung es suggeriert, ist die Klassifizierung nicht – leider. Zahlreiche Developer sind zugleich Publisher, viele Publisher lassen zugleich Spiele entwickeln. Um die Marktzahlen dieses weltweit riesigen Geschäftes zu verstehen, sollte man sich seiner Komplexität bewusst sein. Dennoch soll hier anhand dieser Unterscheidungen der Erklärungsversuch gewagt werden. Entwickler/Developer Beginnen wir mit einem Blick auf die Entwickler in Deutschland – mit einem Fokus auf Bayern und ohne jeden Anspruch auf Vollständigkeit. Zu den schon lange existierenden und stetig wachsenden Unternehmen gehören beispielsweise (in alphabetischer Reihung): Chimera Entertainment, München; CipSoft Infinite Entertainment, Regensburg; HandyGames, Giebelstadt; ProSiebenSat.1 Games, München; Ravensburger Digital, München; Reality Twist, München; remote control production, München; spinor, München; Travian Games, München; upjers, Bamberg, und viele an- 127 Zukunft der Medien: Qualität und Wahrhaftigkeit dere mehr. Dazu bekannte Labels wie Daedalic, Hamburg; Bigpoint, Berlin; Crytek, Frankfurt; Wooga, Berlin; InnoGames, Hamburg. Die Tendenz im Blick auf Wachstum und Neugründungen ist eindeutig positiv, zumal sich Deutschland zu einem der weltweit wichtigsten Produktionsstandorte für Online- und Browser-Games entwickelt hat.4 Die Besonderheit dabei: Online- und Browser-Games-Entwickler sind zugleich die Publisher ihrer Spiele. Andere verfolgen diverse Strategien der Vernetzung und der Verbreiterung ihrer Geschäftsmodelle, wie z. B. ProSiebenSat.1 Games. Sie sind sowohl Spieleplattform als auch Auftraggeber für Spieleentwicklungen sowie Start-Up-Förderer für junge Developer. Remote control prod. hat sich beispielsweise zu einem Mittler entwickelt, der junge Entwickler (z. B. das ehemalige Studenten-Start-Up Mimimi Productions) begleitet, berät, mit Publishern und Investoren vernetzt, und so ein Firmennetzwerk aufbaut. HandyGames konzentriert sich, wie der Name schon verrät, seit Jahren sehr erfolgreich ausschließlich auf Games für Mobiltelefone und hat dafür seine ganz eigenen, sehr erfolgreichen BusinessStrategien entwickelt. Das international bekannteste und erfolgreichste deutsche Unternehmen dürfte jedoch Crytek sein. Crysis, Far Cry und andere Titel aus dem Hause Crytek waren auch international sehr erfolgreich, aber auch umstritten, da es sich um sogenannte Ego-Shooter (First-Person-Shooter) handelte. Furore machte aber vor allem die Spiele-Engine, Cry-Engine, die zeitweise ein internationaler Verkaufsschlager war. In einer modifizierten Version wurde sie auch für Serious-Games-Anwendungen in Architekturund Planungsbüros aller Art weltweit eingesetzt. Nach Medienberichten Mitte 2014, dass Crytek vor der Pleite stünde, hat sich das Unternehmen inzwischen aber anscheinend wieder stabilisiert. In den vergangenen zehn Jahren ist die Community der Spieleentwickler in Deutschland enorm gewachsen und hat eine große Vielfalt von Spielangeboten in den unterschiedlichsten Genres und für alle Plattformen auf den Markt gebracht. Parallel zum steigenden Interesse am Beruf des game developers wurden in ganz Deutschland, auch in Bayern, zahlreiche Studiengänge, an privaten wie staatlichen Bildungseinrichtungen, neu eingerichtet, sowohl stärker IT-orientierte, als auch den künstlerischen Aspekt betonende. Die Games-Industrie hat sich in Deutschland eindeutig als eigenes Marktsegment und Wachstumsmarkt etabliert, in dem viele neue Arbeitsplätze entstanden. Der BIU Bundesverband Interaktive Unterhal128 Games-Markt in Deutschland und international tungssoftware schätzt, dass 10.350 Personen direkt oder indirekt in der Gamesindustrie beschäftigt sind. Und er bietet Interessierten mit Hilfe des interaktiven „Industriekompass Games“ eine umfassende und interessante Übersicht über die Unternehmen dieses Industriezweiges in ganz Deutschland.5 Empfehlenswerte Lektüre. Selbstverständlich ist nur ein Teil dieser 10.350 Beschäftigten als Games-Developer tätig. Denn, außer den großen Publishern, die uns gleich beschäftigen werden, hat sich rund um die Entwickler-Studios eine vielfältige Dienstleistungsindustrie entwickelt. Dazu zählen Anwälte (z. B. für Urheber-und Vertragsrecht), technische Dienstleister wie Entwickler von Middleware oder Anbieter von Payment-Systemen, Spezialisten für Marketing und User Acquisition, international spezialisierte Steuerberater und Wirtschaftsprüfer, Cross- und Multi-Media Agenturen, Game-Event Agenturen und viele andere mehr. Wie auch viele Entwickler-Studios ist eine große Zahl diese Dienstleister im Bundesverband GAME Bundesverband der deutschen Games-Branche e.V. organisiert. Die 2004 gegründete Interessenvertretung der Entwickler ist Mitglied im Deutschen Kulturrat und nimmt bundesweit die Interessen der Mitglieder für Vernetzung mit politischen und gesellschaftlichen Institutionen, bei der Etablierung von Förderprogrammen sowie der Gestaltung rechtlicher Rahmenbedingungen bei Jugend-, Verbraucher- und Datenschutz wahr. In den Entstehungsjahren der Games-Industrie in Deutschland war GAME die ausschließliche Interessenvertretung der Developer – und der große – und finanziell ungleich besser gestellte – Antagonist war BIU Bundesverband Interaktive Unterhaltungssoftware, in dem sich die internationalen Publisher organisiert hatten. Diese Zweiteilung des Marktes hat sich im Laufe der Jahre stark verändert. Seit etwa zwei Jahren diskutieren die Verbände über eine Fusion – bisher ohne Ergebnis. Der nun folgende Blick auf das Marktsegment Publisher wird Gründe für diese Diskussion veranschaulichen. Verleger/Vertreiber = Publisher/Distributors Wie einleitend erwähnt, spielt ein rundes Dutzend weltweit agierender Publisher die Hauptrolle im weltweiten Games-Markt. Nintendo, Microsoft und Sony kommt als Konsolen-Hersteller eine Sonderrolle zu, Activison Blizzard, Bandai Namko Games, EA Electronic Arts, KOCH MEDIA, KONAMI, 129 Zukunft der Medien: Qualität und Wahrhaftigkeit T2 Take Two Interactive, Ubisoft und WB Warner Bros Entertainment sind reine Publisher. Sie alle unterhalten Niederlassungen in Deutschland, deren vorrangige Aufgabe es jedoch ist, die Produkte ihrer Unternehmen auf den deutschen Markt zu bringen. Fünf dieser Unternehmen haben ihren Firmensitz in Bayern. (Activision Blizzard, KOCH MEDIA, Microsoft, Nintendo und T“ Take Two Interactive). Spiele aus diesen Häusern sind für den Weltmarkt konzipiert und in ihrer Entwicklung entsprechend aufwendig und teuer. Budgets von 200 Mio. US-$ sind Durchschnitt, bei Entwicklungs- und Herstellungszeiten von zwei bis drei Jahren mit bis zu 300 Mitarbeitern. Damit stehen die Finanzierungsanforderungen für „große“ Spiele denen großer Hollywood-Filme in nichts nach und unterliegen den gleichen Refinanzierungs-Risiken. Erstaunlicherweise reagiert die Games-Industrie darauf wie die Film-Industrie: Sequels sind in – denn das System bewährt sich auch auf diesem Markt! Vor allem Konsolen- und Browser Games erleben so seit Jahren immer neue Generationen von Fortsetzungen, wie z. B. das berühmte GTA Grand Theft Auto (T2/RockStar Games), das in Version V gespielt wird, oder Assassins Creed (Ubisoft Montreal), das mit drei Versionen , einigen Spin Offs, Director‘s Cut Edition u. a. m. die Fangemeinde seit Jahren an die Geschichte bindet. World of Warcraft (Activision Blizzard), seit 2004 ein Dauerbrenner, kann wohl als überaus erfolgreicher Klassiker des MMORPG (Massive Multiplayer Online Role-Playing Game) gelten, der eine ganze Welt von Welten um seinen Markenkern entwickelt und eine seit Jahren treue Fangemeinde angezogen hat. Spiele wie diese verlangen ihren Spielern etwas ab: Zeit, Geld und Hingabe. Dafür bieten die Publisher den Fangemeinden rund um die Welt auf ihre Sprachen und ihre Kommunikationsgewohnheiten angepasste Netzwerke, in denen Spieler sich verabreden und austauschen, Gemeinschaften bilden und dem Spiele-Anbieter Fragen, Anregungen und Kritik übermitteln können. Die Gefährdungen, die solche immersiven Spiele-Systeme für anfällige Personen bedeuten können, sind nicht Gegenstand dieses Aufsatzes. Sie sollen dennoch nicht unerwähnt bleiben, ebenso wenig wie die von Pädagogen, Psychologen, Institutionen des Jugendschutzes und Politik geleisteten Bemühungen, im Dialog mit den Publishern und Developern Modifikationen und Wege zu finden, das Suchtpotential dieser Spiele zu mindern. Ein Publisher verdient noch einen besonderen Blick: KOCH MEDIA. Dieses Unternehmen ist der einzige international konkurrenzfähige Publisher aus Deutschland. Gegründet als Lizenzhandels-Unternehmen für 130 Games-Markt in Deutschland und international Filmrechte, hat KOCH MEDIA rechtzeitig die neuen Entwicklungen erkannt und sich sehr erfolgreich auf dem Games-Markt etabliert. Sitz des Unternehmens ist Planegg bei München. Die oben genannten Publisher waren die Gründungsmitglieder des BIU Bundesverband Interaktive Unterhaltungssoftware und blieben, gewollt, lange Jahre unter sich. Das ist einerseits verständlich, wenn man bedenkt, dass die Vertretungen der internationalen Publisher in Deutschland vor allem den Auftrag hatten, die mit großem Aufwand entwickelten Spiele ihrer Häuser an die deutschen Gamer zu verkaufen. Spiele deutscher Entwickler waren für dieses Geschäftsmodell wenig attraktiv. Der 2004 neu gegründete Verband GAME der jungen deutschen Spieleentwickler war daher aus ihrer Sicht „nicht satisfaktionsfähig“, sprich: viel zu klein. Es wäre lohnend, den Auseinandersetzungen der beiden Verbände nachzuspüren und auf diesem Wege die Veränderungen im Games-Markt Deutschland nachzuvollziehen. An dieser Stelle kann das nicht geleistet, lediglich der Neugierde Interessierter empfohlen werden. Einen entscheidenden Positionierungsvorteil verschaffte sich die Vereinigung der Publisher, der Verband BIU, durch die Etablierung einer Games-Messe in Deutschland, die für das Publikum offen und nicht nur für Branchenakteure konzipiert war. Von 2002 bis 2008 richtete der Verband gemeinsam mit der Messe Leipzig die Games Convention aus, die sich eines enormen Zuspruchs der Gamer aus ganz Deutschland erfreute (und auch schon den ersten Cosplayern, s.o., eindrucksvolle Auftritte erlaubte). Da Leipzig der wachsenden internationalen Nachfrage für eine solche Präsentationsmöglichkeit mit seiner Infrastruktur nicht die erforderlichen Kapazitäten bieten konnte, wanderte die Messe nach Köln ab, wurde in gamescom umbenannt und zieht seither jährlich über 300.000 Besucher an – zeitweilige Sperrungen wegen Überfüllung der Messehallen eingeschlossen. Wie die wachsenden Besuchermassen aller Altersgruppen das anhaltende Interesse an Computerspielen spiegeln, haben sich im BusinessBereich der Messe Annäherungen ergeben. Entwickler von online- und Browser-Games verstehen sich zwar nach wie vor als kreative Spieleentwickler, müssen sich aber auf dem Markt als Publisher bewähren. Wechsel der Mitgliedschaft von GAME zu BIU veränderten daher das Verhältnis der Verbände untereinander. Seit etwa zwei Jahren wird das Projekt Fusion der Verbände immer wieder diskutiert. Bislang bleibt es bei der Trennung. Die weitere Entwicklung könnte interessant werden. 131 Zukunft der Medien: Qualität und Wahrhaftigkeit Eines jedoch eint die beiden Verbände: der Deutsche Computerspielpreis. Wie im Film- und Fernsehmarkt sind Preise ein wichtiges Benchmark für Qualitäten im jeweiligen Medienbereich. So gibt es seit 2009 den Deutschen Computerspielpreis, verliehen jährlich wechselnd in Berlin oder München. Getragen wurde der Preis ursprünglich vom Bundesbeauftragten für Kultur und Medien gemeinsam mit BIU und GAME. Heute sind die beiden Verbände immer noch dabei – den staatlichen Part hat jedoch das Bundesministerium für Verkehr und digitale Infrastruktur übernommen. Dotiert ist der Preis mit insgesamt 385.000 Euro – und alle Jahre wieder gibt es leidenschaftliche Diskussionen um die Nominierungen und Juryentscheidungen. In diesem Streit verläuft die „Frontlinie“ jedoch traditionell zwischen Politik und Gameswirtschaft. Da sind sich die Verbände dann doch einig. Nach dieser verknappten Beschreibung der Unternehmensstrukturen am Beispiel der Marktsegmente Developer und Publisher richten wir die Aufmerksamkeit auf diejenigen, die über das Wohl und Wehe des Marktes entscheiden: Die Spieler! Spieler/Gamer Vor 10 bis 15 Jahren war die Welt der Gamer noch rasch beschrieben: Gamer waren jung und zur überwiegenden Mehrheit männlich. Und so waren auch die Spiele. Mit dieser Schlichtheit ist es seit Jahren vorbei – bei den Spielen wie bei den Spielern. Es hat gedauert, aber man kann heute sagen: Gleichberechtigung nach Geschlecht und Alter ist hergestellt. Wie sich dieser Gleichberechtigungs-Prozess in Art und Charakteristik der Spiele darstellt, oder durch diese betrieben wurde, wäre eine Untersuchung wert. An dieser Stelle kann die Erörterung nicht geleistet werden. Wissbegierigen sei sie aber empfohlen. Denn auch der deutsche Journalismus hat auf diese Entwicklungen reagiert. Waren Games zunächst vor allem ein Thema für IT- oder Games-Spezialzeitschriften, Webseiten und Onlinepublikationen, so fanden Games-Rezensionen vor einigen Jahren plötzlich sogar Eingang in die Feuilletons der Premium-Zeitungen wie SZ, FAZ oder DIE ZEIT u. a. m. Die künstlerisch herausragenden Gestaltungen der Spielwelten, die komplexe Soziologie der Spielekonzeptionen und die oft auch gegenwartsrelevanten Problemstellungen besonders gelungener Premium-Spiele fanden die Aufmerksamkeit von Rezensenten – ähnlich den Rezensionen großer Kinofilme.6 132 Games-Markt in Deutschland und international Ohne Zweifel sind für den Siegeszug von Computerspielen bei beiden Geschlechtern und allen Altersgruppen aber vor allem technische Entwicklungen maßgebend. Der rasante Absatz mobiler Devices brachte die kurzen, kleinen Casual Games mit sich, anfangs auch Kill-Time-Games genannt. Sie waren relativ anspruchslos aber unterhaltsam spielbar – geeignet, die Wartezeit auf den Bus mit Vergnügen totzuschlagen. Im Unterschied zu Konsolenspielen boten diese Casual Games Spielfreude ohne Registrierung, Erlernen komplizierter Spielregeln und Mechanismen. Man wählte sein Spiel, legte los – und dieses Konzept fand Anklang bei allen Altersgruppen. Laut BIU/GfK sieht die Statistik wie folgt aus: 34,2 Mio. Menschen in Deutschland spielen 29,3 Mio. Deutsche nutzen digitale Spiele regelmäßig (15,8 Mio., 13,5 Mio.) Jungen Menschen mag es heute erstaunlich erscheinen, dass dieser Befund Aufmerksamkeit verdient. Spielen auf diversen Plattformen ist für sie so selbstverständlich, dass ihnen das Bemerkenswerte an diesen Zahlen nicht sofort auffallen mag. Wenn jedoch 34,2 Mio. Deutsche regelmäßig Computerspiele spielen (das ist fast die Hälfte der Bevölkerung), und das Verhältnis der Geschlechter fast ausgeglichen ist, hat sich in den vergangenen zehn Jahren gewaltig viel verändert. Noch verblüffender mag diese Statistik sein: 5095+ 90+ 80+ 85+ 100+ 20 % der regelmäßigen Nutzer digitaler Spiele sind über 50 Jahre alt. bis 9 Jahre 10% 10-19 Jahre 19% 20-29 Jahre 18% 30-39 Jahre 16% 40-49 Jahre 17% 50+ 20% Anteil der Nutzer digitaler Spiele in den unterschiedlichen Altersgruppen (© BIU/GfK 2014) 133 Zukunft der Medien: Qualität und Wahrhaftigkeit Die Altersgruppe 50+, die sogenannten Silver Gamer (was sich auf die Haarfarbe bezieht), machen die größte Gruppe digitaler Spieler aus. Warum? Sie haben Zeit, sie suchen Zerstreuung, sie haben den Umgang mit Computern in ihrem Arbeitsleben erlernt und sie haben die Möglichkeit, über Gruppenspiele Gemeinsamkeit und Kommunikation mit anderen Menschen ihres Alters und gemeinsamer Interessen zu pflegen, selbst wenn ihre physische Beweglichkeit eingeschränkt sein sollte. Der Anteil der Spieler in den verschiedenen Altersgruppen stellt sich noch anders dar. Da spielen in den Gruppen bis 9 Jahre 45 Prozent (2,9 Mio.), 10 – 19 Jahre 69 Prozent (4,5 Mio.), 20 – 29 Jahre 46 Prozent (3,9 Mio.), 30 – 39 40 Prozent (3,2 Mio.), 40 – 49 30 Prozent (3,5 Mio.) und 50+ Jahre 14 Prozent (4,0 Mio.).7 Das bedeutet: Spiele haben sich in der älteren Altersgruppe in einem Masse durchgesetzt, das vor wenigen Jahren noch niemand für möglich gehalten hätte. Denn auch wenn der Prozentsatz an Spielern in der Altersgruppe 50+ geringer ist als in den jüngeren, so ist doch die Gesamtzahl der Spieler in diesem Segment die zweithöchste von allen. Wenig erstaunlich ist, dass in der Altersgruppe 20 bis 49 Jahre die Spielenutzung sinkt. In diesen Lebensphasen dominieren Familie, berufliches Fortkommen und der damit einhergehende Zeitmangel. Wieviel geben die Gamer aus – und wofür? Unübersehbar: Spiele auf Datenträgern und Downloads beherrschen noch immer eindeutig den Markt und bringen mit Abstand das meiste Geld ein. Sie sind zwar (lt. BIU-Statstik) seit 2011 von 1,59 Mrd. Euro auf 1,47 Mrd. Euro gesunken, machen aber immer noch den größten Umsatzanteil aus. 81+11+8G 1,82 Milliarden Euro wurden 2013 in Deutschland für Computer- und Videospielsoftware ausgegeben. Datenträger und Downloads Virtuelle Zusatzinhalte Gebühren für Online-/Browserspiele 209 139 1470 Angaben in Millionen Euro (© BIU/GfK 2014) 134 Games-Markt in Deutschland und international Die Gebühren für Online-Browser-Spiele sanken seit 2011 von 194 auf 139 Mio. Euro. Free to play Games sind in dieser Statistik nicht erfasst, denn sie müssen nicht gekauft werden. Eine Tendenz, die auch in free to play Games zunimmt, wird hier jedoch sichtbar: Die wachsende Bedeutung „Virtueller Zusatzinhalte“ für den Markt. Hier ist also eindeutig die Masse der Spieler ausschlaggebend. 2011 betrug der Umsatz mit virtuellen Zusatzinhalten laut BIU 73 Mio. Euro, 2014 waren es (s.o.) 209 Mio. Euro, 2011 sogar 233 Mio. Euro. Dieses eindrucksvolle Wachstum verdankt sich einer Strategie des Spieledesigns, die auch in zunächst als kostenfrei spielbaren Games zunimmt. Sie bietet im Laufe der Spielentwicklung allerlei „Lebenserleichterungen“, „Dienstleistungen“ oder Gegenstände (Ausstattung für Haus und Garten, Klamotten, ein Auto, ein Schwert, besseres Saatgut etc.) an, die dem Spieler bei der Bewältigung der Spielaufgaben nützlich sein könnten. Die Kosten dieser virtuellen Zusatznutzen sind pro Stück meist minimal und liegen zwischen Cent-Beträgen bis zu maximal einigen Euro. Und obwohl im Schnitt 70 Prozent der Spieler diese Angebote überhaupt nicht nutzen, kommt über diese geringen Einzel-Beträge ein gewaltiger Umsatz zustande. An den Markt-Zahlen ist nachvollziehbar, wie die Games-Industrie auf die veränderten Verhaltensweisen der Consumer/Gamer reagiert hat Die deutsche Gamesbranche setzte 2013 1,8 Milliarden Euro um. 47+22+102127t Gebühren für Online-/Browserspiele Virtuelle Zusatzinhalte Spiele für Handys Smartphone und Tablet Mobile Konsolen 39 209 139 Stationäre Konsolen 862 176 392 PC Angaben in Millionen Euro (© BIU/GfK 2014) 135 Zukunft der Medien: Qualität und Wahrhaftigkeit – bzw. davon beeinflusst wurde. In erstaunlicher Flexibilität und Schnelligkeit hat sie neue Geschäftsmodelle entwickelt und den Casual Gamern niedrigschwellige Angebote gemacht – die ihr jetzt fabelhaftes Wachstum der Umsätze beschert. Die obige Grafik zum Gesamtumsatz zeigt: Nach wie vor ist der größte Umsatzbringer das Segment der „großen“ Konsolen oder Download-Spiele. Hier werden nicht Schäfchen gehütet, oder Pflanzengärten von Gartenzwergen betreut. Hier geht es um große Szenarien, historisch anmutende oder Science-Fiction-Orte, Epochen, Gesellschaften, in denen Gamer ihre Rolle finden, Lebenswelten erkunden oder gestalten und zig Stunden spielen sollen – und dies mit Begeisterung tun. Der Aufwand, mit dem diese Spiele entwickelt und realisiert werden, schlägt sich in Preis und Marktanteil – noch immer – nieder. Weltmarkt Wie eingangs bereits erwähnt und zitiert, sagte das Forschungsinstitut Gartner ein weltweites Wachstum des Games-Marktes von gut 10 Prozent voraus, von 101 Mrd. US-$ auf 111 Mrd. US-$ in 2015. Absolut treibend für 37+18+914= 44+18+13+18= 49+15+17+20= 55+12+22+22= Video Game Market Revenue, Worldwide, 2012-2015 2012: 78,9 2013: 93,3 2014: 101,6 Handheld Video Games Video Game Console PC Games Mobile Games Angaben in Mrd. US-$ (Quelle: Gartner, Oktober 2013) 136 2015: 111,1 Games-Markt in Deutschland und international diesen Anstieg ist das Segment der Mobile Games, das von 17.1 Mrd. US-$ in 2014 auf 22 Mrd. US-$ in 2015 wachsen wird. Doch auch für die Bereiche Konsolen und PC Download-Spiele wird immer noch ein stetiges Wachstum vorhergesagt. Europa ist bei diesem Wachstum nicht der große Treiber, aber ein wichtiger Player. Mit weitem Abstand führt innerhalb Europas Frankreich das Feld der Spieler-Nationen an, mit einem bemerkenswerten Wachstumssprung von 2012 auf 2013. Zu beachten ist bei diesen Charts, dass die Umsätze in US-$ und nicht in Euro angegeben sind und die Hardware-Umsätze einbezogen sind. Asien-Pazifik ist im internationalen Vergleich der absolute Wachstumstreiber, sowohl beim Konsum, als auch bei Spieleentwicklung (Süd-Korea + Japan) sowie bei der technologischen Entwicklung. 38+34+27+14+12+8= 54+34+28+14+14+8= 26+40+34+19+13+8= 37+69+37+19+15+8= Entwicklung des europäischen Games-Marktes, 2010-2013 2010 Deutschland Frankreich 2011 2012 Großbritannien Niederlande Angaben in Mrd. US-$ (Quelle: Video Game Sales Wiki, http://vgsales.wikia.com/wiki/Video_game_industry) 137 2013 Russland Italien Zukunft der Medien: Qualität und Wahrhaftigkeit Entwicklung des Games-Marktes weltweit, 2010-2013 Market Revenues 2010 2011 2012 2013 Region North America 20,5 20,7 20,7 22,8 United States 18,6 16,6 17,1 17,4 Canada 1,7 2,2 2,8 2,3 Market Revenues 2010 2011 2012 2013 Region Latin America 4,7 5,4 5,4 3,9 Brazil 0,4 2,0 2,0 1,4 Mexico 1,3 0,6 1,2 1,6 Market Revenues 2010 2011 2012 2013 Region Asia-Pacific 38,8 42,4 44,1 49,6 Japan 21,1 23,0 22,3 22,3 China 6,9 7,3 9,7 14 South Korea 7,8 9,1 9,2 9,6 Australia 1,7 1,5 1,2 2 Taiwan 0,7 0,7 0,8 0,8 Indonesia 0,4 0,4 0,5 0,5 India 0,2 0,3 0,3 0,4 Market Revenues 2010 2011 2012 2013 Region Middle East 1,2 2,0 2,6 2,6 Arab World Turkey Israel 0,08 1,3 1,3 0,05 0,6 0,6 0,08 0,09 0,09 Alle Angaben in Mrd. US-$ (Quelle: Video Game Sales Wiki, http://vgsales.wikia.com/wiki/Video_game_industry) Serious Games Games Technologien können große Fantasiewelten herstellen, aber ebenso gut reale Welten detailgenau abbilden. Eine vor allem in Deutschland sehr beliebte Variante dieser Anwendungen sind Simulationen. Dieser überra138 Games-Markt in Deutschland und international schend große, in der Öffentlichkeit kaum wahrgenommene Markt bietet alles, was das Herz begehren könnte. So kann man z. B. jede Sorte Eisenbahn in Echtzeit über ihre Original-Strecken steuern (z. B. den Glacier-Express von St. Moritz nach Zermatt), jeden Flugzeugtyp um die ganze Welt fliegen und überall landen, aber auch die Bus- und Straßenbahnlinien im öffentlichen Nahverkehr zahlreicher deutscher Städte sind im Angebot. Für echte Liebhaber finden sich aber auch Traktoren, Bagger und Vieles mehr. Bei diesen Simulationen ist alles genau so, wie es in der Realität auch ist. Jeder Bahnhof, jeder Flughafen ist detailgenau vorhanden, sowohl in der Tag- als auch in der Nacht-Version. Und Fahrt oder Flug dauern so lange, wie sie in Echtzeit auch dauern. Schon lange nutzen Militär und Fluglinien weltweit Simulationen, um ihr Personal zu schulen – und diese Möglichkeiten hat inzwischen auch eine große Zahl anderer Branchen für sich entdeckt. Unternehmen, die Wissen vermitteln oder Mitarbeiter schulen, Krankenhäuser, die jugendliche Krebspatienten behandeln oder Reha-Patienten beschäftigen und bewegen müssen, Firmen, die ihre Marktkommunikation verbessern, ihren sozialen Auftrag vielen Menschen vermitteln wollen … und ... und … und nutzen das gewaltige Potential, das die Games-Technologien ihnen bieten. Und der Nutzen dieser Anwendungen ist oft verblüffend. Die wunderbaren Möglichkeiten, noch nicht reale Welten sichtbar zu machen, nutzen z. B. auch Architekturbüros, Städteplaner, Landschaftsarchitekten, Museen, Regionalplaner. Mit Hilfe der Games-Technologien können Planungsvorhaben und ihre Auswirkungen auf die Umgebung, etwa durch Veränderung der Lichtverhältnisse, Verschattung, Störung vorhandener Wegeführung etc., simuliert und optimiert werden; die Wirkung von Ausstellungsobjekten oder Vitrinen im Raum eines neuen Museums kann so genau geplant und getestet werden. Autobauer können ihre neuen Modelle in virtuellen Windkanälen testen, Maschinenbauer das Ineinandergreifen einzelner Bauteile haargenau virtuell planen und überprüfen. SERIOUS GAMES oder GAMIFICATION oder APPLIED INTERACTIVE TECHNOLOGIES ... oder … Die Bezeichnungen wechseln, gemeint ist aber immer: die unendlichen Darstellungsmöglichkeiten, die Interaktivität in Echtzeit und die in vielen Varianten vorhandene Technologie machen das Vordringen von Serious Games in alle Lebensbereiche unaufhaltsam. Und so entsteht ein 139 Zukunft der Medien: Qualität und Wahrhaftigkeit weltweit riesiger neuer Markt – zu dem es aber leider keine brauchbaren Zahlen gibt. Als sehr kleiner, aber schon ganz eindrucksvoller Anhaltspunkt mag dienen, dass jedes moderne Auto heute bereits eine Menge solcher Anwendungen enthält – von denen, die zu seinem Bau verwendet wurden, ganz zu schweigen. Ob es um das Sichtbar-Machen von Plänen oder den riesigen Bereich des E-Learnings geht – immer mehr Unternehmen entdecken die Chancen und nutzen sie. Deutschland ist kein Vorreiter dieser Entwicklungen, macht sich aber auf den Weg. „Hier wird gearbeitet, nicht gespielt!“, lautete die Ansage vieler Arbeitgeber gestern. Heute lautet die Frage: „Arbeitest du noch, oder spielst du schon?“ Quellen und Anmerkungen 1 http://www.gartner.com/newsroom/id/2614915 2 http://www.gamescom.de/de/gamescom/home/index.php 3 http://www.gamescom.de/de/gamescom/fuer_alle/termine_oeffnungszeiten/ gamescom_termine.php 4 http://www.biu-online.de/de/themen/standort-deutschland/entwickler.html 5 http://www.industriekompass-games.de 6 Sehr subjektiver Hinweis der Autorin: Interessenten an gut lesbaren Erörterungen inhaltlicher und künstlerischer Qualitäten von Spielen, der generierten Spielfreude, der technisch mehr oder weniger gelungenen Umsetzungen, kurzum: all dessen, was Freude oder Frust an Spielen erzeugen kann, ist zu finden bei: WASD Das Bookazine für Gameskultur, http://www.wasd-magazin.de/index.php 7 http://www.biu-online.de/de/fakten/marktzahlen-2013/archiv.html 140 Teil II: Grundlagenforschung Wenn Forschung Grundlagen der Kommunikation und Publikation mit Katastrophen-Szenarien bündelt von Gabriele Goderbauer-Marchner S eit einigen Jahren befasst sich unser Team am Institut für Journalistik mit hochspannenden, teils ungewöhnlichen Fragen der Grundlagenforschung in Zusammenarbeit mit dem Bundesamt für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe, BBK. Welche Aspekte sind hier von Relevanz? Wichtig ist die Information, dass das BBK – 2004 mit seiner Arbeit gestartet – die Zivile Sicherheit im Fokus hat, als Behörde eine Fülle von Aufgaben wahrzunehmen hat, koordiniert, bewertet, berät, unterstützt und bündelt, Fragen, die für Bund, Länder und Kommunen sowie den einzelnen Bürger bedeutend sind. Wichtig ist aber auch die Überlegung, ob für die Menschen Katastrophen und der Umgang mit ihnen eine nachhaltige, vorkehrende Relevanz hat in ihrem Alltag. Nehmen die Bürger mögliche Schutzvorkehrungen wahr? Haben die Bürger Kenntnis über mögliche Gefahren, über mögliche Vorkehrungen für sich selbst, ihre Gebäudlichkeiten etc., wenn man allein nur an Flut, Überschwemmung, Hochwasser, Sturzflut denkt? Schließlich – nehmen die Bürger wahr, was ihnen an Formen der Information ermöglicht werden könnte und wird, oder ist die bürgernahe Kommunikation zu optimieren? Wie erreicht eine moderne Behörde im 21. Jahrhundert die Bürger und Bürgerinnen? Eine Analyse möglicher Kommunikationskanäle der analogen wie der digitalen Welt zeigt die Multivariabilität der Nutzer. Während die eine Zielgruppe nach wie vor auf Print setzt, sprichwörtlich Flyer und Broschüren liest und dann auch aufbewahrt, agiert die andere Zielgruppe über Onlinemedien, liest nur im Internet, nutzt viele Apps, schaut auf Homepages und verfolgt in den sozialen Netzwerken möglicherweise ein 143 Zukunft der Medien: Qualität und Wahrhaftigkeit Thema, das einen – irgendwann – tangieren könnte. Die Visualität spielt eine größere Rolle als bislang. Zeitmanagement verlangt textuale Knappheit. Wie spricht eine moderne Behörde im 21. Jahrhundert mit ihren Bürgern und Bürgerinnen? Sprache ist komplex. Die gesprochene Sprache wirkt anders als die verschriftlichte, und bei Bewegtbildern kommt obendrein die Körpersprache der Akteure hinzu. Wenn sich Bürger mit Problemen befassen, die jeden tangieren können, wenn der Ausfall oder Schäden an kritischen Infrastrukturen zu Beeinträchtigungen führen, wenn die öffentliche Sicherheit gestört wird, wenn Vorsorge für den Katastrophenfall und richtiges Agieren in Katastrophen und korrektes Verhalten bei spezifischen Gefahren zu kommunizieren sind, betrifft dies nicht allein eine „Fach-Community“. Jedermann ist angesprochen. Jedermann muss verstehen, was kommuniziert wird. Jedermann muss das Gesagte und das Geschriebene instinktiv und rasch begreifen. Wann will der Bürger von heute Kontakt sowie Hilfe von einer modernen Behörde? Wann erkennt der Bürger eine sich abzeichnende Vorkatastrophe? Wann sieht er Handlungsbedarf für sich? Wann braucht er die Behörde? Wie steht der Mensch der Natur gegenüber? War man früher vielleicht sogar mit größerem Respekt gegenüber Umweltprozessen und -phänomenen ausgestattet? Greift in einer modernen Welt unseres Kontinents trotz der Engagements von Seiten des Staates oder gerade deshalb die individuelle Zurückhaltung im eigenen Gebaren? Haben Menschen das „Gefühl“ verloren für die Natur und deren potentiellen Gefahren in Zeiten, in denen dem Menschen vermeintlich fast alles möglich ist? Mit unterschiedlichen Tools einer bürgernahen, ja bürgerfreundlichen sowie nutzerfreundlichen Kommunikation präzisiert diese Grundlagenforschung einerseits Notwendigkeiten in der differenten Zielgruppenanalyse, steuert andererseits durch multimediale und crossmedial agierende Plattformen und klassische Produkte der guten, alten Druckbranche bei, Kommunikation nahbar, akzeptierbar und wahrnehmbar zu „managen“, nutzt zugleich diverse Case Studys, u. a. aus dem Feld der Sturzflut, aber auch im Bereich von Bildungsmaßnahmen wie E-Learning- und BlendedLearning-Prozessen sowie qualitative wie quantitative Feldforschung durch Erhebungen in von Naturkatastrophen unterschiedlich tangierten und damit different betroffenen Zivilisten. Wie funktioniert Kommunikation mit Fachleuten, wie mit Halblaien, wie mit Laien? Welche Form publizistischer Verständlichkeit ist einer wich144 Wenn Forschung Grundlagen der Kommunikation und Publikation mit Katastrophen-Szenarien bündelt tigen Behörde angemessen im Kontext des Bedürfnisses und der Notwendigkeit fachlicher Korrektheit? Oder anders formuliert: Wie simpel heruntergebrochen werden darf ein Thema, damit die – betroffene – Zielgruppe einer Region die medialen Offerten der Behörde überhaupt konsumiert? Und wie erreiche ich die Menschen in ihrer Vielfalt des Mediennutzungsverhaltens, zugleich in der jeweiligen gemeinsamen Heimat mit vielleicht einem wichtigen Katastrophenthema berührten Aspekt? Was ist eine für alle Seiten zu akzeptierende Bürgersprache, die die Menschen nicht überfordert, die Themenfelder aber auch nicht banalisiert? Wie visualisiert man, wie gestaltet man anschaulich, was knochentrockene Fachsprache gar nicht bedarf an Einsatzmitteln ihrer internen Kommunikation? Wie können Bürger für Risiken sensibel gemacht werden, ohne Panik zu verbreiten? Und welche Begriffe kennt der Laie, mit welchen Checklisten ist ihm geholfen? Wie erreicht die Behörde „jedermann“? Was ist eine „normale“ Kommunikation, wo beginnt Krisenkommunikation – und was unterscheidet sie voneinander? Bürger- und nutzerfreundliche Kommunikation erfordert Vorbereitung. Sie erfordert das Gegenteil von Panik und Ad-hoc-Erklärungen. Sie benötigt Kommunikationsplanung, Aufklärung durch Kommunikation und Kommunikationstraining – ein Gebiet, das noch kaum angepackt wird. Wie offensiv geht man mit potentiellen Krisen um? Von Seiten des Staates, aber auch von Seiten der Bürger? Ausblickend ist anzumerken, dass in einem nächsten Schritt die Kommunikationsarbeit einer so bedeutenden Behörde wie dem BBK zu analysieren wäre im Hinblick auf ihre Rolle und ihr Agieren gegenüber Medien selbst. Wie kann eine Behörde im Katastrophen- und Vorkatastrophenfall ihre Medienarbeit mit relevanten Medien, die häufig vor Ort lokal und regional und nicht überregional strukturiert sind, regeln, optimieren, so dass aus beiden Partner werden durch vertrauensvolle kontinuierliche und verlässliche Kommunikation? 145 Risikokommunikation: Schadensprävention und bürgernahe Kommunikation Bürgerinformationen zu Zivilschutz, Katastrophenschutz sowie Risikovorsorge von Karin Stempfhuber W ie erreicht eine moderne Behörde im 21. Jahrhundert die Bürgerinnen und Bürger in Deutschland? Via Apps, Facebook, mit Push- oder Pull-Informationen, die die digitale Medienwelt ermöglicht? Oder doch weiterhin klassisch im analogen Stil mit Printprodukten wie Broschüren und Flyern? Was passiert im Notfall? Frühjahr 2015 in Deutschland: Kein Strom in Teilen von Südbayern. Damit auch keine Elektrizität für Telefon, Computer und Laptop, aufgrund der leeren Akkus kein Informationsfluss übers Handy, somit kein Internet, keine digitalen Informationen. Orkan Niklas hatte Stromleitungen und damit die digitalen Kommunikationsmöglichkeiten in einigen Teilen Südbayerns gekappt. (vgl. http://www.sueddeutsche.de und http://www.traunsteinertagblatt.de) Auch für die Generation, die mit digitalen Medien aufgewachsen ist, stellte sich die Frage, welche Medien und Kanäle können genutzt werden, um sich während eines Katastrophenfalls zu informieren, welche sollen idealerweise genutzt werden? Prävention durch Information Unwetterereignisse, bei denen es auch in Deutschland zu Beeinträchtigungen für die Bürgerinnen und Bürger kommt, häufen sich. Dies bestätigen unter anderem die großen Versicherungskonzerne: „Schadenrelevante durch Gewitter bedingte Unwetter, in der Fachsprache konvektive Ereignisse, nehmen in verschiedenen Regionen wie […] in Mitteleuropa nachweislich zu. Hagelschläge können extreme Schäden verursachen. Daher ha146 Risikokommunikation: Schadensprävention und bürgernahe Kommunikation ben Maßnahmen zur Verringerung der Schadenanfälligkeit beispielsweise von Gebäuden größte Bedeutung.“ (vgl. http://www.munichre.com). Die weltweit teuerste Naturkatastrophe im Jahr 2013 war das Juni-Hochwasser in Süd- und Ostdeutschland. Die Wassermassen zerstörten laut Angaben der Versicherer Häuser, Autos, Straßen und Schienennetze im Wert von 11,7 Milliarden Euro. (vgl. http://www.welt.de) Orkan Niklas verursachte ersten Hochrechnungen im April 2015 zufolge Schäden in Höhe von rund 750 Millionen Euro. (vgl. http://www.manager-magazin.de) Risikokommunikation und Schadensprävention sind relevante Elemente, um die Schadensausmaße zu reduzieren: Hierzu müssen zum einen die Zielgruppen, deren Kommunikationsverhalten und Bedürfnisse berücksichtigt werden, zum anderen betroffene Bürgerinnen und Bürger die Empfehlungen der zuständigen Behörden erhalten, diese kennen, für relevant erachten und umsetzen sowie im Katastrophenfall danach handeln, damit die von Behörden zum Schutz der Bevölkerung getroffenen Maßnahmen schnell und sicher durchgeführt werden können. Zur Schadensprävention gehört unter anderem der bauliche Bevölkerungsschutz. Auch in diesem Bereich ist eine Kommunikation von großer Bedeutung, die Bürgerinnen und Bürger dazu motiviert, freiwillig tätig zu werden und Maßnahmen zur Prävention vorzunehmen. Da aber kommunale Rahmenbedingungen, potenzielle Gefahren und Zielgruppen sowie Akteure strukturell und soziokulturell sehr unterschiedlich sein können, müssen zielgruppenspezifische Kommunikationsangebote entwickelt und angeboten werden. Das 2004 – nach den Ereignissen des 11. September 2001 in den USA und der schlimmen Hochwasserkatastrophe 2002 in Deutschland – gegründete Bundesamt für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe (BBK) koordiniert unter anderem die Kommunikation des Bundes mit Ländern und Kommunen, der Privatwirtschaft und der Bevölkerung über Vorsorgeplanung und aktuelle Bedrohungen. Zielsetzung der BBK-Informationen ist, die Bürgerinnen und Bürger transparent zu informieren und zu verantwortungsbewusster Risikovorsorge zu befähigen. (vgl. http://www.bund.bbk.de) Im Rahmen von qualitativen Fallstudien wird an der Universität der Bundeswehr München im Rahmen der Grundlagenforschung in Zusammenarbeit mit dem BBK unter anderem untersucht, wie Risikokommunikation zum Beispiel im Bereich Hochwasserschutz zwischen staatlichen und gesellschaftlichen Akteuren in unterschiedlichen Gemeinden verläuft. Regionale und örtliche Gegebenheiten werden dabei ebenfalls berücksichtigt, so dass die Risikokommunikation dauerhaft erfolgreich gestaltet wer147 Zukunft der Medien: Qualität und Wahrhaftigkeit den kann. Die Erkenntnisse aus den Fallanalysen werden unter anderem über eine Bevölkerungsumfrage validiert. Ohne Strom erschwerte Kommunikation Kommunikationsnetze sind vom Strom abhängig. Aber gerade in Katastrophenfällen ist dies ein sensibles Thema, da Strom dann oft nicht verfügbar ist. Hochwasser führt beispielsweise häufig dazu, dass die Stromlieferung unterbrochen wird. Zum Schutz der im Hochwassergebiet verbliebenen Personen setzen regionale Stromanbieter die Stromlieferung in die überschwemmten Gebiete aus. Andernfalls bestünde beim Betreten von überschwemmten Gebäuden zum Beispiel die Gefahr eines Stromschlags. Bei einem Stromausfall steht jedoch das Telefon-Festnetz mit einigen Stunden Verzögerung nicht mehr zur Verfügung. Bei einer VoIP-Übertragung (Voice over IP) geht der Stromausfall sofort mit dem Ausfall der VoIP-Übertragung einher. Stromabhängige Ladestationen mancher Mobiltelefone fallen ebenfalls sofort aus, denn Mobilfunknetze sind zum Teil nicht notstromversorgt. Darüber hinaus zeigt die Erfahrung, dass die Mobilfunknetze bei außergewöhnlichen Ereignissen schnell überlastet sind. Ist der Notfall erst eingetreten, ist es für Vorsorgemaßnahmen meist zu spät. Wenn der Strom für Tage ausfällt, sollte bereits ein Notvorrat im Haus sein; ebenso – um auf dem Laufenden zu bleiben – ein Rundfunkgerät, das mit Batterien oder manuell mit Dynamo betrieben werden kann. Das Bundesamt für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe (BKK) rät genau dazu – auf der eigenen Homepage sowie in Form von Flyern und Broschüren. (vgl. http://www.bund.bbk.de) Erste Ergebnisse im Rahmen der an der Universität der Bundeswehr München durchgeführten Studien zeigen: Bürgerinnen und Bürger, die sich mit der Thematik auseinandersetzen, reagieren: Sie setzen die Empfehlungen um und legen sich beispielsweise dynamobetriebene Geräte zu. Aber wie werden die Bürgerinnen und Bürger am besten erreicht? Welche Aspekte und Maßnahmen müssen in die Risikokommunikation einbezogen werden, um nachhaltige Schadensprävention zu erreichen? Ziele der Risikokommunikation Bei der Risikokommunikation ist stets abzuwägen, ob die aktive Kommunikation über Risiken eventuell zur Verunsicherung der Bürgerinnen und Bürger führen kann oder ob sie für nachhaltige Vorsorge sorgt und damit deren Verunsicherung reduziert. Wichtige Aspekte der Risikokommunika148 Risikokommunikation: Schadensprävention und bürgernahe Kommunikation tion sind daher auch immer, die Zielgruppen gut zu analysieren und gesellschaftliche Dimensionen im Auge zu behalten. Risikokommunikation ist Teil des Risikomanagements, das auch an Faktoren wie Ängsten und Widerständen ausrichtet. Risikokommunikation muss geplant sein, muss bürgernah und verständlich sein, muss aufklären und für den Krisenfall auch trainiert sein. (Nolting/Thießen 2009): Krisenmanagement in der Mediengesellschaft) Dies bedeutet, einer guten Risikokommunikation geht stets eine fundierte und differenzierte Analyse der Zielgruppen, der vorhandenen und der gewünschten Kommunikationswege und -kanäle, der Informationskultur, etc. voraus. Diese Analyse beinhaltet unter anderem folgende Fragestellungen: Wer ist die konkrete Zielgruppe? Welche Untergruppen gibt es? Wer gehört der jeweiligen Gruppe an? Wie kommunizieren diese Gruppen und die Gruppenmitglieder? Welche Medienkanäle nutzen sie? Woher beziehen sie Informationen? Wie geben sie diese weiter? Werden aktuelle Themen zur Risikokommunikation und Schadensprävention auf diesen von den Zielgruppen genutzten Medienkanälen thematisiert und diskutiert? Wie dicht ist die Informationsbreite und -tiefe entlang der gesamten Kette der Akteure, von Behörden, Verbänden, Kommunen? Welche Erwartungen haben die Mitglieder der Zielgruppe(n) an die Behörden und weiteren Akteure, an die Verbraucherinformationen? Die Analysen sind Basis eines fundierten crossmedialen Kommunikationskonzepts, das die unterschiedlichen Medienkanäle und Plattformen sowie verschiedene Tools einer bürgernahen und nutzerfreundlichen Kommunikation berücksichtigt. Je nach Zielgruppen zeigen sich unterschiedliche Bedürfnisse sowie Erwartungen an die Informationsvermittlung. Nach wie vor finden gerade im Bereich des baulichen Bevölkerungsschutzes und für Handlungsanleitungen in Notfallsituationen klassische Printinformationen große Nachfrage; zeigen doch die aktuellen Ereignisse, dass internetgestützte Informationsvermittlung, beispielsweise in Zeiten eines Stromausfalls, nicht immer möglich ist. In vorbildlicher Weise stellt z. B. das BBK ausführliche Informationen in Form von Broschüren und Foldern zur Verfügung; als Download auf der Homepage ebenso wie als Printprodukte zum Bestellen oder auf entsprechenden Messen, auf de149 Zukunft der Medien: Qualität und Wahrhaftigkeit nen die Bürgerinnen und Bürger – durch Vorträge, Fachberatung und im Dialog – informiert werden. Denn auch die direkte Kommunikation darf zu keinem Zeitpunkt vernachlässigt werden, ist bundesweit aber nicht 1:1 durchführbar. Die Analyse zur Nutzung der Kommunikationskanäle ergibt zudem folgendes Bild: Gerade junge Nutzer wollen die Multi-Channel-Kommunikation; auch im Bereich der Schadensprävention. Jedoch stehen Informationen über Ereignisse auf multimedialen und crossmedial agierenden Plattformen aktuell mehr im Mittelpunkt als Informationen mit konkreten Ratschlägen zur Schadensprävention; was auch den von der jeweiligen Zielgruppe gewünschten Informationen Rechnung trägt. Case Studies zeigen, dass sich mit entsprechenden Maßnahmen wie E-Learning- und BlendedLearning Erfolge in der Erreichung der Zielgruppen erzielen lassen. Nutzerfreundliche Kommunikation Von großer Relevanz ist in allen Bereichen die zielgruppenspezifische, nutzerfreundliche Kommunikation, also nicht nur die der Kommunikationswege, sondern auch der Sprache. Die Form der publizistischen Verständlichkeit wird von Fachleuten anders bewertet als von Bürgerinnen und Bürgern. Manche Fachtermini sind in der Alltagssprache nicht gebräuchlich und führen somit bei Bürgerinnen und Bürgern möglicherweise zu Irritationen, Missverständnissen und Verunsicherung. Fachliche Korrektheit muss mit verständlicher Sprache gepaart sein, damit die betroffenen Zielgruppen erreicht und die Informationen von ihnen verstanden und umgesetzt werden. In der Risiko- und Präventionskommunikation bedeutet dies unter anderem: In kurzen Sätzen formulieren Klare Aussage/n treffen Fachausdrücke in die Sprache der Zielgruppe übertragen Barrierefreiheit Im Hinblick auf die notwendige Barrierefreiheit solcher Informationen sind diese Kriterien ebenfalls einzuhalten. Zielsetzung für im Katastrophenfall wichtige Informationen sollte stets sein, dass auch Bürgerinnen und Bürger mit einem eingeschränkten Leseverständnis oder mit einer Seh- oder Hörbehinderung die Informationen erhalten können. Die Bereitstellung der Informationen auf einer Webseite in einer barrierefreien Form beinhaltet laut den Vorgaben der BITV (Barrierefreie Informationstechnik 150 Risikokommunikation: Schadensprävention und bürgernahe Kommunikation Verordnung) und der Web Content Accessibility Guidelines 2.0 (WCAG 2.0) unter anderem: Texte in einfacher Sprache Texterkennung; auch innerhalb einer als PDF-Datei zur Verfügung gestellten Printpublikation, sog. OCR-Erkennung Unterstützung der Lesefunktion durch Screenreader (Vorlesesoftware) Klare Struktur, damit Screenreader Überschriften, Absätze, Listen etc. erkennen kann; Auszeichnung von Überschriften sowie Absatzund Listen-Elementen Strukturierung von Tabellen mit Auszeichnung von Zellen Linearität im Textfluss Definition der richtigen Lesereihenfolge Keine Abkürzungen und Akronyme Visualisierungen der Informationen Einheitliche Gestaltung Keine Mehrsprachigkeit/Sprachwechsel innerhalb des Dokuments Inhaltsverzeichnis und korrekte Verlinkung des Inhaltsverzeichnisses mit den entsprechenden Textstellen Lesezeichen und Tags Farbkontraste Schriftgröße Serifenlose Schrift Keine Überlagerung von Texten und Grafiken Alternativtexte, z. B. zur Erläuterung der Bilder und Grafiken Maschinenlesbarkeit von Formeln Bei als PDF-Dateien zur Verfügung gestellten Printpublikation zudem u. a.: Vollständige Bedienbarkeit des PDF-Dokuments mit der Maus sowie ebenfalls vollständige Bedienbarkeit mit der Tastatur Darstellung in zwei Fenstern: links das Lesezeichenfenster für die Navigation im Dokument, rechts das Fenster mit der Seitendarstellung Freischaltung Barrierefreier PDF-Dateien für Markierungen mit einem Marker und Anmerkungen Sollen also alle Bürgerinnen und Bürgern mit den Informationen erreicht werden, sind diese Kriterien ebenfalls in das Gesamtkommunikationskonzept einzubeziehen. Hinzu kommt die Berücksichtigung von Bürgerinnen 151 Zukunft der Medien: Qualität und Wahrhaftigkeit und Bürgern, die der deutschen Sprache nicht mächtig sind. So finden sich in zahlreichen Arztpraxen und Krankenhäusern bereits Informationsbroschüren in verschiedenen Sprachen. Für Bürgerinformationen in den Bereichen Zivilschutz, Katastrophenschutz sowie baulicher Risikovorsorge kann dies ebenso von großer Relevanz sein. Zusätzlich zur bürgernahen Sprache sind die Aspekte der Visualisierung von herausragender Bedeutung. Das beinhaltet eine klare nutzerfreundliche Struktur der Webseite ebenso wie eine strukturierte Aufbereitung der Informationen in Printpublikationen. Komplexe Sachverhalte grafisch und inhaltlich verständlich darzustellen, ist die Kunst; nicht nur für Bürgerinnen und Bürger, sondern auch gegenüber Journalisten und Medienschaffenden. Sie ebenfalls in die Kommunikation im Hinblick auf die Schadensprävention mit einzubeziehen, ist ein weiterer wichtiger Aspekt, den es in der Kommunikation zu beachten gilt. Werden die Angebote der Behörden, Verbände und Kommunen zur Risikovorsorge und Schadensprävention überhaupt wahrgenommen und konsumiert? Besteht hier eine Nachfrage von Seiten der Bürgerinnen und Bürger? Während und nach sogenannten Schadensereignissen, also nach starken Unwettern, Stürmen, Hagel, Überschwemmungen, bei denen die Bürgerinnen und die Bürger die negativen Folgen zu spüren bekamen, ist dies der Fall. Die Versicherer nutzen diese Zeiten beispielsweise für verstärkte Werbemaßnahmen. In diesem Zusammenhang stellt sich die Frage, wie können die Bürgerinnen und Bürger allgemein stärker für die Relevanz der Schadensprävention sensibilisiert werden? Ein Beispiel der Sensibilisierung der Bürgerinnen und Bürger im Bereich der Prävention sind die Kampagnen der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung. Es gibt in Deutschland kaum eine Stadt, in der keine Plakatwände mit entsprechender Werbung „Gib Aids keine Chance“ zu sehen sind. Sind solch flächendeckende, oder regional spezifische Aufklärungskampagnen auch im Bereich der Schadensprävention und des baulichen Bevölkerungsschutzes denkbar? Zum Beispiel in Regionen mit erhöhter Überflutungsgefahr. Könnten auf diesem Wege Schäden, die den Bürgerinnen und Bürgern entstehen, minimiert werden? À la: Gib den Unwetterereignissen keine Chance, dein Haus zu zerstören. Aber auch eine kontinuierliche Medienarbeit auf allen Kanälen ist ein wichtiger Baustein, den es von Seiten der Behörden, Verbände und Kommunen in der Risikokommunikation zu beachten gilt. Risikokommunika152 Risikokommunikation: Schadensprävention und bürgernahe Kommunikation tion bedarf der kontinuierlichen Medienarbeit auf allen Kanälen; auch bei der Prävention. Die Sensibilisierung der Bürgerinnen und Bürger kann unter anderem durch kontinuierliche Thematisierung dieser für die Bevölkerung wichtigen Bereichen in den Medien erfolgen. Medienarbeit bedeutet nicht nur klassische Pressearbeit. Laut einer Umfrage einer großen Kommunikationsagentur aus dem Jahr 2014, die 2.800 Kommunikationsprofis aus 42 Ländern einschloss, werde die Bedeutung der klassischen Pressearbeit in Zukunft abnehmen. (vgl. http://www.communicationmonitor.eu) „In den kommenden drei Jahren wird traditionelle Medienarbeit nach Einschätzung von PR-Managern weiter an Bedeutung verlieren. Während heute noch 76 Prozent der PR-Manager Pressearbeit für wichtig halten, sinkt dieser Wert mit Blick auf 2017 um 35 Prozentpunkte; für TV und Radio beträgt der Bedeutungsrückgang lediglich 13 Prozentpunkte. Dagegen werden bis 2017 Social-Media-Plattformen wie Facebook und Twitter (plus 26 Prozentpunkte) und vor allem Instrumente für die mobile Kommunikation – zum Beispiel Apps – (plus 40 Prozentpunkte) nach Einschätzung der PR-Profis immer wichtiger, um Stakeholder und Zielgruppen anzusprechen. Social-Media-Erwartungen der Zielgruppen. […] Ein weiteres Ergebnis des European Communication Monitor zeigt, […] welche Erwartungen Stakeholder an die Inhalte der Social-Media-Kommunikation von Unternehmen haben. Die Kommunikations-Profis meinen, dass Informationen über Events und Krisen am wichtigsten (70 Prozent) sind.“ (vgl. http://www.bbdo.de) Eine Konsequenz für Behörden, Verbände und Kommunen ist daher auch, die mobile Kommunikation stärker in den Fokus zu nehmen und beispielsweise Webseiten sowie Informationen für mobile Endgeräte zu optimieren. Darin liegt eine Chance: Die Kommunikation kann zielgruppenspezifisch und nutzerfreundlich aufbereitet werden. Dazu zählen z. B. ein „mobiler Pressebereich“, in dem sich Medienschaffende in Notfallsituationen schnell informieren können, oder Bereiche, in denen Bürgerinnen und Bürger im Katastrophenfall schnell einfach formulierte Handlungsempfehlungen finden. Nicht zu vernachlässigen sind in der Kommunikationsfülle gut strukturierte Checklisten, die den Bürgerinnen und Bürgern helfen, schnell einen Überblick zu erhalten, was getan werden muss. Checklisten unterstützen aber genau bei der Prävention. Nur gut informierte und aufgeklärte Bürgerinnen und Bürger können Vorsorge treffen und im Krisenfall die richtigen Maßnahmen umsetzen. 153 Zukunft der Medien: Qualität und Wahrhaftigkeit Dieser Aufgabe der Informationsvermittlung haben sich Kommunen genauso zu stellen wie Bundesbehörden oder bundesweit agierende Verbände, die die Themen Zivilschutz, Katastrophenschutz sowie Risikovorsorge zu ihren Aufgaben zählen. Literatur Back, Andrea; Gronau, Norbert; Tochtermann, Klaus (2012): Web 2.0 und Social Media in der Unternehmenspraxis: Grundlagen, Anwendungen und Methoden mit zahlreichen Fallstudien, Oldenbourg, München. http://www.bbdo.de/de/news/pressemitteilungen/News-Internationale-Studie-Pressearbeitimmer-mehr-im-Abseits---Deutsche-Unternehmen-vergeben-Chancen-bei-mobiler-Kommunikation Beck, Ulrich (2008): Risikogesellschaft. Auf dem Weg in eine andere Moderne, suhrkamp, Frankfurt. http://www.bund.bbk.de http://www.communicationmonitor.eu Geissler, Timm Ruben (2014): Schadenprävention durch individuelle Hochwasservorsorge: Methoden, Potentiale und die Voraussetzungen zur erfolgreichen Umsetzung, BoD, Norderstedt. Goderbauer-Marchner, Gabriele; Büsching, Thilo (erscheint 2015; in Druck): Social Media Content, utb, Stuttgart. Gronau, Norbert; Heine, Moreen; Baban, Constance P. (2014): Social Media im Krisen- und Katastrophenmanagement, Gito, Berlin. Hofmann, Thorsten; Höbel, Peter: Krisenkommunikation, uvk, München. Kerres, Michael (2012). Mediendidaktik. Konzeption und Entwicklung mediengestützter Lernangebote, Oldenbourg, München. von Klimaszewski-Blettner, Barbara; Helten, Elmar (2010): Management von Katastrophenrisiken: Herausforderungen, Ansatzpunkte und Strategien im Rahmen einer Public-Private-Partnership, vvw, Karlsruhe. Lies, Jan (2015): Praxis des PR-Managements: Strategien - Instrumente - Anwendung, Springer Gabler, Hamm. http://www.manager-magazin.de/finanzen/versicherungen/sturm-niklas-kostet-versicherer750-millionen-euro-a-1029499.html Möhrle, Hartwin; Hoffmann, Peter (2012): Risiko- und Krisenkommunikation, Helios Media. Berlin. http://www.munichre.com/de/media-relations/publications/press-releases/2015/2015-01-07-pressrelease/index.html Nolting, Tobias; Thießen, Ansgar; Harring, Marius; Palentien, Christian (2008): Krisenmanagement in der Mediengesellschaft: Potenziale und Perspektiven der Krisenkommunikation, VS, Wiesbaden. 154 Risikokommunikation: Schadensprävention und bürgernahe Kommunikation Schneider, Wolf (2001): Deutsch für Profis - Wege zum guten Stil, Goldmann, München. http://www.sueddeutsche.de/panorama/sturm-niklas-ueber-deutschland-orkan-niklas-richtetschwere-schaeden-in-ganz-deutschland-an-1.2417717 http://www.traunsteiner-tagblatt.de/region+lokal/regionales-traunstein_artikel,-Stromausfallhatte-verschiedene-Gruende-_arid,198798.html http://www.welt.de/print/die_welt/finanzen/article123648514/Weltweit-teuerste-Naturkatastrophe-trifft-Deutschland.html https://twitter.com/bbk_bund (Zugriffe alle zwischen 01-04/2015) 155 Bürgergesellschaft 3.0 – Social Media als Motor interaktiver Demokratie? von Rainer Sontheimer S pätestens mit dem Aufstieg der Piratenpartei im „Einst lebten wir auf dem Land, Jahre 2008 begann in der dann in Städten und von jetzt deutschen Politik- und Parteian im Netz.“ enlandschaft eine − bis dato schon längst überfällige − inten(Mark Zuckerberg, sive Debatte, wie Social Media Auszug aus dem Film und interaktive Internettools „The Social Network”)1 auch in der Politik oder in der behördlichen Verwaltung effekBlog on… tiv genutzt werden können. Ob Bürgerentscheide, Petitionen, innerparteiliche Programmdis„Das Internet ist kussionen oder sogar Wahlen, nur ein Hype.“ alle Arten politischen Handelns wurden und werden seit Jahren (Bill Gates, 1993)2 auf ihren digitalen und crossmedialen Mehrwert geprüft. Sei es auf Druck der Bürger für mehr Transparenz und Partizipation in der politischen Gestaltung, aus parteitaktischen Gründen der Wählergewinnung, als Hilfestellung für den Bürger im Servicebereich der Verwaltungen oder zur Sichtbarmachung politischer Prozesse, es gibt viele gute Gründe, warum sich die politischen Akteure, ob in den Kommunen, auf Bundes- oder Verwaltungsebene, den Möglichkeiten der digitalen Welt annehmen – und noch stärker annehmen müssen. Wie die Politisierung des Digitalen bzw. die Digitalisierung des Politischen aussieht und welche Effekte dies für die − gerne von Politikern postulierte − direkte Demokratie mit sich bringen kann soll im Folgenden erörtert werden. 156 Bürgergesellschaft 3.0 – Social Media als Motor interaktiver Demokratie? Likes und Dislikes – Die digitale Agenda Wie aus der Forschung bekannt,4 liegen in der interaktiven Kommunikation über das Internet, Smartphones und Tablets für die direkte Demokratie und die Bürgergesellschaft enorme Potentiale. Denn kaum ein Bereich des alltäglichen Lebens funktioniert heute noch ohne digitale Vernetzung, Social Media oder interaktive Kommunikation, erst recht nicht eine demokratische Gesellschaft, in der das Volk und die Bürger aktiver Teil des politischen Gestaltungsprozesses sein sollen und sich dement„Das Internet? Gibt`s diesen sprechend engagieren wollen. Blödsinn immer noch?“ Das Volk will kommunizieren, das Volk will die Möglichkeiten (Homer Simpson)3 der digitalen Kommunikation auch für die politische Mitbestimmung nutzen. Das Internet mit seiner Bandbreite an technischen Möglichkeiten bietet für diese Mitgestaltung der direkten Demokratie den idealen Raum, wenngleich – und diese Phrase muss bei aller digitaler Euphorie immer wieder betont werden – auch dieser seine Grenzen hat und sich die Ergebnisse der Kommunikation in und über die Social Media immer erst in der realen Welt beweisen müssen. Denn was nützt die schönste Diskussion auf Facebook oder das Retweeten von spannenden Artikeln, wenn dies nur zum schnellen Konsum von Meldungen am Bildschirm, aber nicht zum Nachdenken und politischen Handeln in der Praxis führt; im Übrigen ein Einwand, der immer wieder gegen Social Media gebracht wird, bei dem aber gerne zwei Faktoren vergessen werden: Zum einen, dass auch eine oberflächliche Diskussion zum Nachdenken anregen oder Interesse an politischen Themen wecken kann, gerade bei Bürgern, die ansonsten wenig Berührung mit Politik haben; zum anderen, dass das Internet auch den virtuellen Stammtisch bedient und nicht jeder User in die Tiefe eines Themas eindringen oder mehrseitige Artikel lesen, sondern schlicht nur seinem Frust über die Politik zum Ausdruck bringen will. Wer den Ton in den Online-Foren, auch aufgrund der Anonymität, oft ruppig, aggressiv oder beleidigend finden mag – ebenfalls ein Einwand, der häufig gegen Social Media zu finden ist – sollte sich entweder Videos aus der guten alten Zeit anschauen, einen echten Stammtisch in den Dörfern besuchen oder einer parteiinternen Diskussion lauschen, das Ergebnis würde kaum anders ausfallen. Oder um es pragmatisch zu formulieren: Ob 157 Zukunft der Medien: Qualität und Wahrhaftigkeit man Social Media nutzt, ablehnt, kritisiert oder hochjubelt, die Zukunft der Demokratie, der Politik und der Gesellschaft wird auch, wenn nicht sogar maßgeblich, durch Social Media geprägt sein. Die Bemühungen der Politik in der digitalen Welt sind daher nicht explizit positiv zu bewerten, sondern schlicht und ergreifend konsequent und dem Zeitgeist entsprechend notwendig. Ob der einzelne Politiker, der politische Verwaltungsapparat oder staatliche Behörden, alle Institutionen sind gefordert, sich den sozialen Netzwerken anzunehmen und den Austausch mit dem Bürger auf ihre spezifische Weise zu nutzen. Denn es erfordern nicht nur die Vielzahl an neuen, digitalen Informationswegen, sondern auch die Heterogenität der Bevölkerung unterschiedliche Strategien der politischen Kommunikation und der individuellen Ansprache. Das Regierungsprogramm Digitale Verwaltung 2020 steht hierfür als Symbol und Aufgabe für alle politischen und behördlichen Akteure, die Kommunikation mit dem Bürger in das Zeitalter des Web 3.0 zu überführen. Ob Facebook, Twitter oder WhatsApp, auf allen Kanälen lässt sich mit entsprechender Themensetzung, Ehrlichkeit und Dialogfreudigkeit das Interesse an Politik steigern, gerade bei Bürgern, die nicht regelmäßig die Tagesschau, den Spiegel oder die Zeit zur politischen Bildung nutzen. Das Potential der Social Media, über Freunde und Bekannte Informationen zu bekommen, die man normalerweise selber nicht suchen würde, ist hier noch längst nicht ausgeschöpft. So gerne man Facebook und Co. vorwirft, dass man nur in geringem Umfang selbst steuern kann, was in der eigenen Timeline angezeigt wird, so positiv ist dieses Zufallsprinzip häufig auch. Denn man sieht Meldungen, die man selber eben nicht suchen würde. Dieses Prinzip, wie es beispielsweise auch bei Amazon gängig ist, indem man bei einem Artikel angezeigt bekommt, was andere Kunden gekauft haben, funktioniert in den Social Media nicht anders. Daher kann es bereits ausreichen, wenn aus einem Freundeskreis nur eine Person einen politischen Inhalt liked oder retweetet, einem Politiker oder einer Partei folgt oder einen Link teilt, da damit potentiell auch Nicht-Interessierte auf das Thema aufmerksam werden. Der CEO von Amazon Jeff Bezos bringt dies auf den Punkt: „Wenn du Kunden im wahren Leben verärgerst, mag jeder von ihnen das 6 Freunden mitteilen. Wenn du Kunden im Internet unglücklich machst, können sie es 6.000 Freunden mitteilen.“5 Dieses Prinzip lässt sich auf die politische Vermarktung nahezu komplett übertragen. Denn je mehr sich die Politik in die Öffentlichkeit einbringt, umso mehr können die Bürger nicht nur darauf reagieren, sondern 158 Bürgergesellschaft 3.0 – Social Media als Motor interaktiver Demokratie? dies auch weiter verbreiten – ob positiv oder negativ. War der Einfluss von Social Media in den letzten Wahlkämpfen noch überschaubar, kann für die nächsten Jahre eine spürbare Steigerung dieses Einflusses vorhergesagt werden. Gerade crossmediale Effekte können hier eine große Rolle spielen, indem sich die Print-, TV-, Radio- und Internetmedien gegenseitig stimulieren und so Einfluss auf politische Entscheidungen nehmen können. Bereits heute findet sich kaum eine Talkshow, in der nicht im Laufe der Sendung die besten oder kritischsten Zitate aus Twitter, Facebook und Co. vorgetragen werden und Politiker zu Statements zwingen. Auch Initiativen wie der #aufschrei oder Pegida wären ohne die digitale Begleitung der Medien und der Aktivität der Nutzer im Web nicht in dieser Form emporgekommen. Daher wäre es nahezu naiv, die Macht der Medien gerade für die Zukunft zu unterschätzen, denn klar ist auch: Direkte Demokratie braucht die Medien sowie das Internet als Mittel und Bühne der Kommunikation. Trust me, follow me – Der digitale Politiker Trotz aller Bemühungen ist das Internet – nicht nur für Politiker, sondern für alle Bürger – in einigen Bereichen noch immer „Neuland“, wie es Bundeskanzlerin Angela Merkel 2013 formulierte.7 Abhörskandale, Datenüberwachung, Netz-Kriminalität, Datenmissbrauch, die Akte Snowden, Wikileaks, all dies sind Themen, die zwar hinlänglich bekannt, in ihren Potentialen des Ge- und Missbrauchs aber noch längst nicht „Hör auf, Fans, Follower und erschöpfend analysiert sind. DaBlog-Abonnenten wie Kronkorken her ist der Begriff des Neulands durchaus passend, wenngleich zu zählen. Denk lieber darüber nicht in dem Sinne einer gänznach, was du durch und mit der lich unbekannten, aber noch Community zu erreichen hoffst, keineswegs in ihren Möglichkeidie sich für das interessiert, was ten und Problemen erforschten du tust.“ Welt. Auch für Politiker ist der Umgang mit dem Internet noch (Social Media Today)6 längst nicht Routine, sondern eine alltägliche neue Herausforderung, die noch nicht von jedem erfolgreich gemeistert wird, wie es beispielsweise der Piratenpolitiker Jörg Tauss, wenngleich etwas überspitzt, formuliert: „Kein (SPD-)MdB käme z. B. auf die Idee, zum Gespräch auf einen Bauernhof zu fahren, ohne sich vorher etwas über die Milchquote 159 Zukunft der Medien: Qualität und Wahrhaftigkeit oder dergleichen anzulesen oder wenigstens aufschreiben zu lassen. Unter Internet können sich aber eben viele immer noch weniger vorstellen als unter einer Kuh.“ (Tauss, 2009, Hervorh. i. O.).8 Seit 2009 mag sich diese Einstellung bereits wesentlich verändert und verbessert haben, etliche Probleme im Umgang mit dem Internet auf Seiten der Politiker sind damit aber noch längst nicht gelöst. Gerade das dichotome Denken von analoger vs. digitaler Welt stellt mitunter noch immer eine (große) Hürde für manchen Politiker dar, die längst überwunden sein sollte. Denn die Frage, ob man Wahlkampf beispielsweise auch online machen sollte, ist nicht nur ein Relikt aus der Zeit des Web 1.0, sondern geradezu absurd angesichts der Potentiale, die sich gerade im Bereich der Kommunikation mit dem Wähler bieten und angesichts des Stellenwertes, den das Internet besonders bei der jüngeren und jungen Generation hat. Denn Kommunikations- und Informationsmedium Nummer eins bei den Generationen unter 35 ist heute das Internet und Social Media,9 zudem werden Meldungen aus dem Web von den klassischen Medien, ob Print, TV oder Hörfunk gerne rezipiert. Die Skepsis von Politikern wie Hans-Christian Ströbele („Ins Internet bin ich, glaube ich, einmal oder zweimal bisher gegangen.“, „Ich weiß nur, dass es Leute gibt, die da so ein Programm entwickelt haben, womit man mit einzelnen Fundwörtern dann was finden kann, aber ich mach das nie.“)10 oder selbsternannten Intellektuellen wie Henryk M. Broder („Das WWW ist auch maßgeblich für die Infantilisierung und Idiotisierung der Öffentlichkeit verantwortlich.“)11 gegenüber diesem Internet spiegelt sich nicht nur in solchen Zitaten, sondern auch in dem mitunter leicht hilflosen Umgang der Politiker mit Social Media. Denn weder wird es dem Bürger in der Partizipation, noch der Komplexität politischer Themen gerecht, sich lediglich ein Twitter-Profil anzulegen oder einen Facebook-Account zu haben. Obwohl ca. 95 Prozent der Bundestagsabgeordneten auf sozialen Netzwerken aktiv sind bzw. einen Account haben,12 werden Social Media von vielen nicht so genutzt, um Interaktivität und direkte Demokratie zu fördern. Denn das Nutzen von Social Media heißt auch: Kommunikation mit den Followern aktiv gestalten, Informationen von der Crowd annehmen und nicht nur Nachrichten über die Netzwerke verbreiten im Sinne einer Verlautbarungspräsenz. Nur wenige Politiker wie Dorothee Bär, Peter Altmaier, Konstantin von Notz oder Peter Tauber nutzen Social Media täglich und mit dieser Zielsetzung der Interaktivität sowie der Transparenz ihrer Arbeit. 160 Bürgergesellschaft 3.0 – Social Media als Motor interaktiver Demokratie? Genau dieses Engagement wird aber gerne von den politischen Akteuren ignoriert, in dem man glaubt, dass das Twittern oder Facebooken von Meldungen schon ausreicht, um im Web 3.0 angekommen zu sein, wie Konstantin von Notz bekräftigt: „Wer Twitter und andere soziale Medien nicht dafür nutzt, in einen tatsächlichen Dialog zu treten, sondern sich stattdessen darauf beschränkt, Pressemitteilungen über einen weiteren Kanal zu verbreiten, hat meines Erachtens das Prinzip und die Möglichkeiten einer neuen Kommunikation über das Netz nicht verstanden. Er wird zudem schnell merken, dass er damit bei seinen Followern wenig Erfolg hat. Ich bin der Meinung, dass man demjenigen, der nur twittert, um einseitig zu kommunizieren oder um mehr Follower zu bekommen, diese Intention durchaus anmerkt. Überhaupt unterschätzen viele das Gespür für Authentizität, die im Netz durchaus geschätzt wird.“13 Zum selben Ergebnis kommt das upload-Magazin, das im Rahmen der Wahlkämpfe 2013 intensiv die Social Media-Aktivitäten der Politiker beobachtete: „Medial bestimmen wenige Parteipolitiker vor allem via Twitter die Online-Agenda. Die Kommunikation einzelner kann aber nicht verbergen, dass die meisten nur ihren politischen Alltag abbilden, indem Sie mitteilen wo sie sind und was sie machen. Auf politische Debatten lassen sich nur wenige Bundestagsabgeordnete ein. Bislang wird Social Media von vielen noch immer als reine Pushkommunikation missverstanden.“ Der Umgang oder besser: die Vermittlung der eigenen Authentizität stellt ein wesentliches Kriterium dar, ob ein Politiker in den Social Media erfolgreich agiert und akzeptiert wird. Lediglich die Bundeskanzlerin, der Bundespräsident und die Bundesminister haben hier eine gewisse Narrenfreiheit, da jeder Nutzer oder Bürger weiß, dass diese Politiker aus verschiedenen Gründen nicht selbst twittern und facebooken, was ihren Online-Präsenzen aber keinen Schaden bringt, weil eben keine Authentizität verlangt wird. Bei „normalen“ Abgeordneten oder Kommunalpolitikern ist der Grad des Scheiterns auf dem digitalen Parkett wesentlich schmaler und die Crowd unnachgiebiger, wenn es zu einem Social Media-Fauxpas kommt oder wenn sich herausstellt, dass der angeblich so volksnahe Politiker twittern lässt. Denn die Werbung mit Volksnähe, die sich jeder Politiker gerne ans Revers heftet, leidet sofort und massiv darunter, wenn die Kommunikation über Social Media nur scheinbar oder über einen Büropraktikanten stattfindet. Daher kann man allen Politikern nur raten: Wenn Sie sich in den Social Media bewegen, dann ehrlich und richtig! Ansonsten gilt: Lassen Sie es! Denn die Fettnäpfchen im Web sind zahlreich, der richtige 161 Zukunft der Medien: Qualität und Wahrhaftigkeit Umgang schwierig. Der von Politikern beliebteste Fauxpas ist in diesem Kontext die Aktivität in sozialen Netzwerken zu reinen Wahlkampfzwecken, wie es beispielsweise Peer Steinbrück 2013 betrieb. Der Politikberater Martin Fuchs hat dieses Verhalten in einer Studie zum Umgang der Politik mit Social Media ausführlich analysiert mit dem Ergebnis: „Ich stelle ungern Politiker an den Online-Pranger. Aber wenn man im Wahlkampf Facebook, Twitter und Co. sehr intensiv nutzt und mit dem Wahltag die Aktivitäten komplett auf Null runterfährt, werden Erwartungen der Bürger stark enttäuscht.“14 Daher ist es für die Politikschaffenden unumgänglich, sich ausführlich mit den Möglichkeiten digitaler Partizipation zu beschäftigen und vor allem, diese auch richtig anzuwenden. Denn die digitale Kommunikation bietet für die Politiker etliche Vorteile wie die Transparentmachung der politischen Arbeit, die Vermittlung von Authentizität der eigenen Person und damit einhergehend eine Steigerung von Vertrauen in den Politiker selbst, wenn sich dieser im aktiven Austausch mit seinen Wählern befindet. Umgekehrt kann eine falsche digitale Kommunikation aber auch den Verlust von Glaubwürdigkeit bedeuten, was nicht nur für den Politiker selbst, sondern für die gesamte Partei Nachteile zur Folge haben kann. Dementsprechend sollten bestimmte Regeln von den Politikern im Netz befolgt werden, die die Initiative sozialbewegung.org formuliert hat: „Partizipation darf nicht nur draufstehen, sie muss auch drinnen sein und gelebt werden. Mobilisiere deine Stamm- und Zielgruppe, halte sie am Laufenden und halte dich am Laufenden [sic], was sich bei deinen “friends” und “fans” so tut. Führe Dialoge. Das geht nicht ständig und mit allen, aber wenn es sich ausgeht, dann meine es ernst. Authentizität rulez. Ob sie inszeniert ist oder passiert, jedenfalls besteht sie aus Ecken und Kanten. Mit Kontrollwahn, Overrulen von einmal gemachten Ankündigungen und Spielregeln, restriktivem Einschreiten bei Problemen macht man sich nicht nur wenige Freunde sondern gibt meist sehr offensichtlich ein peinliches Bild ab. Das Abspeisen der Social Media Kanäle mit schnell kopierten Presseaussendungen ist klassische Negativwerbung und verbreitet keine Informationen, sondern die Message, dass du die Kultur dieses Kommunikationsraums nicht kennst oder achtest.“15 162 Bürgergesellschaft 3.0 – Social Media als Motor interaktiver Demokratie? Gerade in Zeiten der Politikverdrossenheit und sinkender Wahlbeteiligungen ist es dringend notwendig, auf allen Kanälen das Vertrauen der Bürger neu oder wieder zu gewinnen, junge Bürger für die Politik zu begeistern und das Schlagwort der direkten Demokratie ernst zu nehmen: „Social Media sind ein dialogorientiertes Medium. Und Dialog schafft Vertrauen“, so Florian Wintterlin in einer Studie zum Thema Medien und politisches Vertrauen. Darin führt er weiter aus, dass „besonders „Das Internet ist eine Spielerei für in der Gruppe derjenigen, Computerfreaks, wir sehen darin die ansonsten nicht von pokeine Zukunft.“ litischer Kommunikation erreicht werden, das Wir(Ron Sommer, Telekom, kungspotenzial von Social Anfang 90er Jahre)17 Media in Bezug auf die Bildung politischen Vertrauens am höchsten“ ist.16 Somit ist die Aktivität im Web von Seiten der Politiker unumgänglich, um auch bei denjenigen das Interesse für Politik zu steigern, die sich der direkten Demokratie sonst entsagen würden oder bereits entsagt haben – bei Wahlbeteiligungen in Höhe von 50 Prozent, Tendenz sinkend, eine Aufgabe, der sich jeder Politiker annehmen muss. Share it! – Die digitale Bürgergesellschaft Neben den Politikern und Parteien sind auch Bundesämter, Ministerien, Verwaltungen und nicht-staatliche Behörden bzw. Institutionen in der Pflicht, ihre Informationen und Serviceangebote online zu kommunizieren. Denn direkte Demokratie bedeutet nicht nur Kommunikation mit Politikern und Parteien oder das Downloaden von Formularen, sondern auch die Gestaltung und Partizipation der Bürgergesellschaft und des Sozialwesens. Ob Ehrenamt, technische Hilfswerke, das Bundesamt für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe, Institutionen wie das Rote Kreuz, Vereine oder Ämter, alle sind ebenfalls Teil der direkten Demokratie und agieren dementsprechend in den Social Media. So wird in der Katastrophenhilfe, im ehrenamtlichen Engagement und im Zivilschutz der Bevölkerung die Kommunikation über Social Media mitunter bereits sehr erfolgreich realisiert. Denn die Bevölkerung muss und will heute auch als soziale Bürgergesellschaft verstanden werden, wie beispielsweise die tausenden freiwilligen Helfer bei den Hochwasserkatastrophen der vergangenen Jahre gezeigt haben. 163 Zukunft der Medien: Qualität und Wahrhaftigkeit Über Social Media und insbesondere Facebook-Seiten wie „Passau räumt auf“ konnten die Helfer zu den Gefahrenpunkten gelotst werden, in wenigen Stunden wurden über Privatpersonen oder Firmen Notunterkünfte organisiert oder dringende Spenden gesammelt. Einrichtungen wie das Technische Hilfswerk oder die Feuerwehren forderten über soziale Netzwerke Unterstützung an, beispielsweise für das Befüllen von Sandsäcken. Die Verwaltungen der Kommunen twitterten oder meldeten auf ihren Facebook-Seiten, wo Formulare für finanzielle Hilfen erhältlich sind oder wo Evakuierungsmaßnahmen getroffen werden mussten. Auch Initiativen wie das Team Bayern, eine Internet-Plattform, auf der sich Freiwillige für Hilfsaktionen registrieren lassen können, sind Beispiele, wie die Bevölkerung in die aktive Arbeit für die Bürgergesellschaft eingebunden werden kann. Ebenfalls zu erwähnen sind die zahlreichen Twitter-Accounts, Facebook-Auftritte oder WhatsApp-Gruppen, über die Bürger Fragen stellen können oder von Seiten der Institutionen über Publikationen, Ereignisse oder Vorhersagen informiert werden. Die oben angesprochenen negativen Effekte, von denen auch Verwaltungen und andere Behörden lernen können, dürfen bei aller Euphorie über das Engagement nicht übersehen werden. Durch die Vielzahl an Hilfeseiten, die beispielsweise auf Facebook von Privatpersonen erstellt wurden, gab es bei den Hochwassern immer wieder das Problem, dass falsche Informationen verbreitet wurden, weil von behördlicher Seite kaum eine Kontrolle erfolgte. So wurden Helfer zu falschen Einsatzorten geschickt, wodurch sie woanders fehlten, es wurden die falschen Sachspenden zu den Einsatzkräften geliefert oder es gab Falschmeldungen über Pegelstände, Wetterlagen oder Evakuierungszonen. Es ist daher dringend notwendig, dass die Behörden diese Kommunikationswege ebenfalls überwachen und gegebenenfalls entgegen steuern können. Für zukünftige Katastrophen oder gesellschaftliche Ereignisse kann aus diesen Beispielen für digitale Kooperationen viel gelernt werden. Denn die hierarchiefreie und an eine Vielzahl von Menschen gerichtete Kommunikation in Verbindung mit ihren Multiplikator-Effekten (virale Effekte im Internet, crossmediale Effekte zwischen Medien, Bürgern und Behörden) ist für die Zukunft der Bürgergesellschaft einer der zentralen Gestaltungsfaktoren. Besonders für Behörden gilt das Motto: Schnelle Information durch effektive Kommunikation spart Zeit, Geld und Ärger, für alle Beteiligten und vor allem in einem Notfall. 164 Bürgergesellschaft 3.0 – Social Media als Motor interaktiver Demokratie? Die jüngsten politischen Aktionen gegen Pegida, die Solidarität für Charlie Hebdo, die unzähligen kleinen Bürgerinitiativen in den Kommunen, die Fülle an Online-Petitionen oder die intensiven Diskussionen in den Foren der Zeitungen und Magazine wie dem Spiegel oder der Zeit bestätigen dieses Interesse an der Mitwirkung für mehr direkte Demokratie. Dieses Engagement der Bevölkerung kann durch kreative und innovative Lösungen weiter geweckt, ausgelotet und auf die politische wie bürgergesellschaftliche Partizipation übertragen werden. Insbesondere bei spontan auftretenden Ereignissen wie Naturkatastrophen oder – bedingt durch die aktuellen Entwicklungen – in Terrorsituationen, die nur eine sehr geringe oder keine Vorwarnzeit haben und sich meist lokal begrenzen, sind die Schnelligkeit und die Technik der digitalen Kommunikation ein enormer Vorteil gegenüber der Kommunikation über Radio, Fernsehen oder Telefon. Die Möglichkeit der Warnsignale und des Nachrichtenempfangs bei Smartphones durch Apps, Twitter und Facebook bieten hier noch ein großes Potential an gezielter Informationsverbreitung in wenigen Sekunden. Hierzu bedarf es allerdings zwei entscheidender Vorbedingungen: 1. Die Behörden müssen diese Möglichkeiten noch konsequenter als bisher nutzen. 2. Die Bürger müssen sich entsprechende Apps und Nachrichtensignale auf ihren Geräten einrichten. Beides kann durch eine intensive Aufklärung von Seiten der Behörden und Verwaltungen beispielsweise durch die Installation spezialisierter Social Media-Experten forciert werden, deren Potential und Know-how nicht nur im Katastrophenfall, sondern auch für andere Arten der Informationsverbreitung der Kommunen ausgeschöpft werden kann. Auch könnten diese Beauftragten im Katastrophenfall regulierend auf die privaten Initiativen bei Facebook etc. reagieren und dort die oben genannten Probleme der Aktualität oder Falschmeldungen reduzieren. Die Plattform sozialebewegung. org hat in einer Analyse des Wahlkampfs von Barack Obama zum Potential und den Problemen von Social Media festgestellt: „Politische Organisationen, Interessensvertretungen, Parteien können das Netz erfolgreich für Kampagnen nützen, wenn sie bereit sind, Unabhängigkeit zuzulassen. Kontrollwut und Top-Down-Führungsstil vertragen sich nicht mit der Logik des Netzes. Politische Kommunikation im Netz erreicht meist jene Bürger_innen, die den vertretenen Anliegen aufgeschlossen gegenüber stehen. Sie kann aber diese aktivieren, selbst aktiv zu werden.“18 165 Zukunft der Medien: Qualität und Wahrhaftigkeit Log out – Digitale Demokratie der Zukunft Nur im Zusammenwirken von Vertrauen und Kontrolle kann das Potential von Social Media für den Schutz der Bürgergesellschaft und der Demokratie gewährleistet sein. Es liegt daher sowohl in der Verantwortung der Politik und der Behörden, als auch in der Verantwortung der Bürger, sich entsprechend zu informieren und vorzusorgen, um für Notfälle, aber auch für die langfristige Gestaltung der Gesellschaft gerüstet zu sein. Die Politik muss diesen Weg der Digitalisierung der Demokratie und des Politischen allerdings konsequent nutzen und den Bürgern ein Vorbild sein. Umgekehrt sollten die Bürger, insbesondere die sogenannte Internetgemeinde, mit Schmähungen von Politikern bei einem Social-Media-Fauxpas etwas zurückhaltender sein, denn Fehler gehören nicht nur zum realen, sondern auch zum digitalen Leben, weswegen die Regeln des respektvollen Miteinanders für jeden und in jeder dieser Welten gelten sollten. Quellen 1 media control, http://www.media-control.de/social-media-analyzer.html, Stand 22.02.2015. 2 Spiegel Online, http://www.spiegel.de/unispiegel/studium/die-schlimmsten-fehlprognosenvon-wissenschaftlern-und-managern-a-868979-3.html, Stand 23.02.2015. 3 Chip, http://www.chip.de/bildergalerie/Verrueckte-Internet-Zitate-von-Pionieren-Promis-undPolitikern-Galerie_34474887.html?show=9, Stand 19.02.2015. 4 Vgl. u. a. Gronau, Norbert/Heine, Moreen/ Baban, Constance P. (2014): Social Media im Krisenund Katastrophenmanagement, Berlin. 5 Freizeitcafe, http://www.freizeitcafe.info/unsere-neueste-zitate-tat-zehn-neue-social-mediazitate-fur-euch/, Stand 20.02.2015. 6 Freizeitcafe, http://www.freizeitcafe.info/unsere-neueste-zitate-tat-zehn-neue-social-mediazitate-fur-euch/, Stand 20.02.2015. 7 Spiegel Online vom 19.06.2013, http://www.spiegel.de/netzwelt/netzpolitik/kanzlerin-merkelnennt-bei-obama-besuch-das-internet-neuland-a-906673.html, Stand 15.04.2015. 8 Abgeordnetenwatch vom 23.06.2009, http://www.abgeordnetenwatch.de/joerg_tauss-650-5656-f196633.html#q196633, auf die Anfrage eines Bürgers am 23.06.2009, Stand17.02.2015. 9 PC Magazin, http://www.pc-magazin.de/news/facebook-studie-blm-jugendliche-informationsquelle-1542747.html, Stand 15.04.2015. 10 Netzwertig, http://netzwertig.com/2007/09/27/die-50-besten-zitate-uebers-internet/. Stand 18.02.2015. 166 Bürgergesellschaft 3.0 – Social Media als Motor interaktiver Demokratie? 11 Tagesspiegel vom 09.01.2007, http://www.tagesspiegel.de/meinung/kommentare/das-internetmacht-doof/796288.html, Stand 18.02.2015. 12 Politik-Digital, http://politik-digital.de/social-media-im-neuen-bundestag, Stand 18.02.2015. 13 NGO Leitfaden. Internet für NGOs. Digitale Demokratie: Wenn Politiker twittern. Das Netz als neue Brücke zur Zivilgesellschaft?, http://www.ngoleitfaden.org/online-menschen-mobilisieren/digitale-demokratie-wenn-politiker-twittern/, Stand 22.02.2015. 14 ZDF, http://www.heute.de/studie-der-uni-muenster-politik-muss-social-media-noch-lernen-34642054.html, Stand 20.02.2015. 15 Sozialebewegungen, http://fallbeispiele.sozialebewegungen.org/obama/, Stand 23.02.2015. 16 ZDF, http://www.heute.de/studie-der-uni-muenster-politik-muss-social-media-noch-lernen-34642054.html, Stand 20.02.2015. 17 Frankfurter Rundschau vom 05.08.2011, Onlinesein. 20 Jahre Internet, http://www.fr-online.de/ kultur/20-jahre-internet-onlinesein,1472786,8767030.html, Stand 23.02.2015. 18 Sozialebewegungen, http://fallbeispiele.sozialebewegungen.org/obama/, Stand 23.02.2015. 167 Frust und Lust steigend: E-Learning-Erfolgsfaktoren 2015 von Sandra Roth O b für Schule, Hochschule und Universität oder (Weiter-)Bildungseinrichtungen: Das Angebot an E-Learning-Möglichkeiten explodiert derzeit massiv und wird sich in den nächsten Jahren noch intensivieren (vgl. NMC Horizon Reports). Während das Angebot an E-Learning-Bildungsmöglichkeiten gerade explodiert, steigen gleichzeitig der Frust und die Unzufriedenheit vieler Personen, die E-Learning-Angebote in Anspruch nehmen oder in Anspruch nehmen müssen. Im Folgenden werden daher aktuelle Probleme und Erfolgsfaktoren von E-Learning-Angeboten behandelt. Eigene Erfahrungen aus der E-Learning-gestützten Lehre sowie aus den Ergebnissen eines durch das BBK geförderten Projekts zur problem- und bedarfsgerechten Konzeption eines E-Learning-Weiterbildungsangebots zur Schulung heterogener Lernender werden dabei eingebracht. Abb. 1: Der NMC Horizon Report 2015 für Universität und Hochschulen zeigt, dass Blended Learning, eine Form des E-Learnings, zunehmen wird, das Handlungswissen für Bildungstechnologien und den digitalen Sektor verbessert werden muss und das Internet als Lerntechnologie für die Bildung noch wichtiger wird.1 168 Frust und Lust steigend: E-Learning-Erfolgsfaktoren 2015 Abb. 2: Trends, Technologien und Herausforderungen für europäische Schulen in den nächsten 5 Jahren: Das Handlungswissen für Technologien und im Bereich Digital muss für Schüler und Lehrer angehoben werden. E-Learning, v. a. Online-Learning wird massiv zunehmen und das Lernen wird personalisierter.2 E-Learning Der Begriff E-Learning zeichnet sich durch eine Reihe verschiedener Definitionen aus3 (siehe hierzu auch zusammenfassend in dieser Publikation den Beitrag von Kellner-Zotz/Glasauer). Im hier vorliegenden Fall wird davon ausgegangen, dass es sich bei E-Learning um Lernen und Lehren mit neuen, elektronischen Medien handelt. Es wird zudem von einem an den Pragmatismus4 angelehnten Verständnis ausgegangen – von der Frage, unter welchen Bedingungen Menschen wie mit neuen elektronischen Medien erfolgreich lernen können – um die Problemfaktoren und Erfolgsfaktoren von E-Learning herausarbeiten zu können. Frust An vielen Universitäten und Hochschulen werden digitale Lernplattformen wie Moodle oder Ilias derzeit v. a. häufig dafür genutzt, um Lernenden Kursmaterialien aus Präsenzveranstaltungen – wie Power Point Präsentationen, Übungsblätter, Skripte, Links etc. – online zur Verfügung zu stellen. Häufig reduziert sich E-Learning auf diese Vorgehensweise. Von einer richtigen digitalen Begleitung der Lernprozesse kann man hier nur eingeschränkt sprechen. Häufig kehren Dozenten zudem genervt zu Print-Skripten und -Handouts zurück, wenn diese für ihren Unterricht relevant sind, da Studierende die digital zur Verfügung gestellten Skripten nicht ausdrucken, die geforderten Übungen nicht mitbringen oder erledigen und der Lernplattform – deren Befüllung und Bedienung für die 169 Zukunft der Medien: Qualität und Wahrhaftigkeit Dozenten ein gewisses Maß an zusätzlichem Aufwand bedeutet – keine Aufmerksamkeit schenken – sei es aus persönlichem Desinteresse, technischen oder didaktischen Mängeln. Grassierend auch die Angst, als Dozent entbehrlich zu werden, wenn erst ein erfolgreiches digitales Lernangebot erstellt wurde. Fazit: Es zeigt sich steigender Frust auf Lehrenden- wie Lernendenseite. Lust „Eine Situation bestimmt den Wert eines Mediums, und nicht das Medium selbst“ (Kerres/de Witt 2002: 19). Dies ist bei der Planung und Organisation von E-Learning-Angeboten von essentieller Bedeutung, denn Kontexte bestimmen die Eignung eines E-Lernmediums. Was für eine Lernendengruppe funktioniert, muss nicht zwangsläufig bei einer anderen zum Lernerfolg führen. Lernendenorientierung gilt als Erfolgsfaktor von E-Learning-Angeboten (vgl. Brüggen 2007: 90-92) und als zentrale Herausforderung für die Bildungsbranche (siehe Abb. 2). Es gilt daher Lernziele genau zu definieren, Inhalte gezielt auszuwählen und eine passende Vermittlungsmethode anzuwenden. Problem- und bedarfsgerechte E-Learning-Angebote sind das Ziel. Umso schwerer ist dies bei stark heterogenen Lernendengruppen erreichbar. One-size-fits-all-Konzepte sind derzeit vorherrschend. Das ist nicht zwangsläufig problematisch: Methodisch sind an diesem Punkt sprachliche und inhaltliche Verständlichkeit wichtig, individuelle Lernhilfen (Stichwort personalisiertes Lernen) und Flexibilität der Lernmöglichkeiten (zeitlich und räumlich). Mentorielle Betreuung ist nicht nur aber v. a. für Online-Learning-Angebote (z. B. MOOCs5) zentral6: Blended-Learning-Modelle und diskursbezogene7 Betreuung haben sich als Erfolgsfaktoren hier bestätigt (vgl. de Witt/Czerwionka/Mengel 2007). Die Lehrenden sind weiterhin unentbehrlich: Lernende schätzen den direkten Kontakt (Hirschi 2014). Erfolgsfaktoren Erfolgreiche E-Learning-Angebote werden nicht einfach aus dem Ärmel geschüttelt. Intensive Planung, Aufbereitung, Umsetzung und Anpassungen bis zum fertigen Produkt können je nach Umfang viele Monate an Produktionszeit und einige Tausend Euro Produktionskosten verlangen (vgl. Hirsch 2014). Das Fundament bilden neben der Technik und Methodik gut ausgebildete Lehrende. Das wird gern übersehen. Ergebnis: Beidseitiger Frust. 170 Frust und Lust steigend: E-Learning-Erfolgsfaktoren 2015 Neben angemessener Konzeption und qualifizierter Lehrperson haben sich diese Faktoren in erfolgreichen E-Learning-Angeboten wiederholt herauskristallisiert8: 1. Mentoriat (vgl. de Witt/Czerwionka/Mengel 2007: 1) 2. dynamisches diskursives Lernen 3. Präsenztermine (Stichwort Blended Learning) 4. durchdachte Taktung und Sequenzierung (Organisation Materialfülle und Abfolge) 5. aufbereitetes Lernmaterial 6. Monitoring (Stichwort Feedback durch interaktive Quizzes und Tests) 7. Praxis-Tests Durchdachtes E-Learning hat, v. a., wenn es sich um webbasiertes Lernen handelt, einiges mit der klassischen Unterrichtssituation gemeinsam und definiert Lernen nicht ab ovo neu: Der Austausch mit anderen Lernenden, dem Lehrenden oder das Abprüfen der Lernfortschritte ist bei erfolgreichen Angeboten vorhanden. Lediglich die Kommunikations- und Prüfungsmodalitäten sind andere. Die künftige Entwicklung der Bildungslandschaft bleibt spannend. Literatur Ballis, Anja/Fetscher, Doris (2009): Positionsbestimmungen – E-Learning in den Geisteswissenschaften. In: Ballis, Anja/Fetscher, Doris (Hrsg.): E-Learning in der Hochschule. Diskurse, Didaktik, Dimensionen. München. Brüggen, Niels (2007): Lernendenorientierung in der didaktischen Gestaltung von online-vermittelten Bildungsangeboten. In: Schorb, Bernd/Brüggen, Niels, Dommaschk, Anke (Hrsg.): Mit eLearning zu Medienkompetenz. Modelle für Curriculumgestaltung, Didaktik und Kooperation. München. S. 89-106. DeWitt, Claudia/Czerwionka, Thomas/ Mengel, Sandro (2007): Mentorielle Betreuung im Web – Konzepte und Perspektiven für das Fernstudium. In: Medienpädagogik. Online-Zeitschrift für Theorie und Praxis der Medienbildung. Verfügbar unter: http://www.medienpaed.com/Documents/medienpaed/2007/dewitt0707.pdf. 15.09.14. Hirschi, Eva (2014): Der Professor vor der Kamera. In: NZZ Campus, 24.11.2014. Verfügbar unter: http://campus.nzz.ch/studium-generale/der-professor-vor-der-kamera, 15.03.15. Johnson, L./ Adams Becker/ S., Estrada, V./ Freeman, A. (2015): NMC Horizon Report: 2015 Higher Education Edition. Austin, Texas/USA. Johnson, L./ Adams Becker, S./ Estrada, V./ Freeman, A./ Kampylis, P./ Vuorikari, R./ Punie, Y. (2014): Horizon Report Europe: 2014 Schools Edition. Luxembourg. 171 Zukunft der Medien: Qualität und Wahrhaftigkeit Kerres, Michael (2005): Didaktisches Design und E-Learning. Zur didaktischen Transformation von Wissen in mediengestützte Lernangebote. In: Miller, Damian (Hrsg.): E-Learning. Eine multiperspektivische Standortbestimmung. Stuttgart. Kerres, Michael (2013): Mediendidaktik. Konzeption und Entwicklung mediengestützter Lernangebote. München. Kerres, Michael/de Witt, Claudia (2002): Quo vadis Mediendidaktik? Zur theoretischen Fundierung von Mediendidaktik. In: Medienpädagogik. Online-Zeitschrift für Theorie und Praxis der Medienbildung. Thomaschewski, Jörg (2005): Die mentorielle Betreuung im Online-Studium. LIMPACT. S. 45-48. Verfügbar unter: www.Bibb.de/dokumente/pdf/limpact_vfh.pdf. 15.09.14. https://www.mooc-list.com/, 15.03.15. Quellen und Anmerkungen 1 Johnson/Adams Becker/Estrada/Freeman (2015): 2. 2 Johnson/Adams Becker/Estrada/Freeman/Kampylis/Vuorikari/Punie (2014): o.S. 3 Man vergleiche nur einmal die verschiedenen Definitionen von E-Learning verschiedener Universitäten. Googeln Sie hierzu einfach die Frage „Was ist E-Learning?“. 4 Vgl. Kerres/de Witt 2002: 16 ff. 5 Massive Open Online Courses. Dies entspricht einer Online-Massenvorlesung. Eine Liste von Mooc-Anbietern findet sich hier: https://www.mooc-list.com/. 6 Die These, dass keine Betreuung bei didaktisch besonders guten Lernmodulen notwendig ist, hat sich in diversen Studien nicht bewahrheitet (vgl. u. a. Thomaschewski 2005: 45). 7 Der Informationsfluss zwischen Betreuern und Lernern in E-Learning-Kursen beeinflusst den Lernerfolg signifikant, denn eine „schnelle und beratende Beantwortung der studentischen Fragen fördert die kontinuierliche, motivierende Auseinandersetzung mit den Lerninhalten und damit den Lernerfolg“ (Thomaschewski 2005: 46). Diskursivität wird in der aktuellen Forschung als entscheidendes kritisches Element für erfolgreiches Lernen in virtuellen Kursräumen gesehen. Vgl. hierzu u. a. die längere Studie von Brüggen (2007: 93), Ballis/Fetscher (2009: 8-9), die Diskursivität in Anlehnung an Schulmeister als wichtigstes Element für das Erreichen höherer Lernzielniveaus sehen und Kerres (2005: 172). 8 Vgl. Kerres 2013. 172 E-Learning als Tool zur zielgruppenspezifischen Kommunikation – ein ganzheitlicher Ansatz von Bianca Kellner-Zotz und Bernhard Glasauer A nyone, anytime, anywhere“ – mit diesem Dreiklang wird E-Learning spätestens seit Anfang der 2000er Jahre als Allheilmittel im Bereich der Fort- und Weiterbildung angepriesen und hat eine Flut verschiedenster Formen und Angebote hervorgebracht. Die Erwartungen an die Verheißungen des computergestützten Lernens waren sehr hoch, erschien E-Learning doch als kostengünstige, effektive und flexible Alternative zu Präsenzveranstaltungen (vgl. Mandl/Winkler 2004: 19). Mittlerweile ist die große Euphorie vielerorts einer Ernüchterung gewichen. Mandl und Winkler verweisen auf fehlende didaktische Konzepte und wenig professionelle „Implementationsstrategien, um die Akzeptanz der Mitarbeiter für E-Learning-Angebote zu bekommen“ (ebd.). Wie muss ein durchdachtes ELearning-Programm also aussehen, um die Vorteile dieser Lernmethode ausschöpfen zu können? Was ist was: Begriffsklärung E-Learning hat keine „genuin medienpädagogische Wurzel“ (Reinmann 2007: 179). Es handelt sich schlichtweg um das „Lernen (und Lehren) mit (neuen) Medien“ sowie den „(mediengestützten) Umgang mit Wissen“ (ebd.). Unter dem Begriff E-Learning werden oftmals verschiedene Ansätze zusammengefasst, die streng genommen jedoch unterschiedliche Herangehensweisen verfolgen. Unter dem klassischen E-Learning „versteht man das Lernen mit Hilfe elektronischer Medien“ (Mandl/Winkler 2004: 19). Das kann ein Computer-Based-Training (CBT) sein, das Programme zum Selbstlernen nutzt, oder auch ein Web-Based-Training (WBT), das über Netzumgebungen im Internet, Intranet oder Extranet läuft (ebd.: 19 f.). Blended Learning geht einen Schritt weiter und reagiert auf den Wunsch der Lernenden, das E-Learning-Angebot durch Präsenzphasen zu flankieren. „Blended Learning verweist darauf, dass man Präsenz- und E-Lear173 Zukunft der Medien: Qualität und Wahrhaftigkeit Präsenzveranstaltung E-Learning Präsenzveranstaltung E-Learning Kennenlernen der Teilnehmer selbstgesteuertes Lernen Erfahrungsaustausch selbstgesteuertes Lernen Gruppenarbeit Vortrag Austausch mit Kursteilnehmern Gruppenarbeit Vortrag Austausch mit Kursteilnehmern Präsenzveranstaltung Erfahrungsaustausch Abschlusspräsentation Lessons Learnt Begleitung durch Moderator/Trainer/Tutor Abb. 1: Phasen eines Blended Learning-Konzeptes (eigene Darstellung nach Mandl/Winkler 2004: 22) ning-Elemente kombinieren sowie verschiedene damit mögliche Methoden miteinander verbinden sollte“ (Reinmann 2007: 182). Reinmann versteht Blended Learning deshalb als „eine, vielleicht sogar die wichtigste, Form des E-Learning“ (ebd.). Die Kombination von Präsenzveranstaltungen und E-Learning-Modulen allein ist allerdings noch kein Garant für den Erfolg des Kurses – und auch kein didaktisches Konzept. Vielmehr gilt es, die einzelnen Elemente inhaltlich und strukturell mit einander zu verzahnen (vgl. Kerres 2012: 8). Das Dilemma: Verschenktes Potenzial Fakt ist: E-Learning kann sehr effektiv sein. Es spart Reise-, Unterbringungs- und Materialkosten, zudem fallen wesentlich weniger Trainerstunden an, wodurch sich die Seminargebühren erheblich reduzieren. Hohe Fixkosten für Gebäude und Lehrpersonal fallen weg. Zudem bestechen E-Learning-Angebote durch ihre Interaktivität, Aktualität, Flexibilität, die ständige Verfügbarkeit und einen universellen Zugang (Ross 2004: 61). Dazu kommt: E-Learning macht Spaß. Eine empirische Studie von Treumann et al. zu E-Learning in der beruflichen Bildung kam zu dem Ergebnis, dass die befragten Kursteilnehmer sich bewusst für ein entsprechendes Angebot entschieden hatten. Auch, weil sie neugierig waren, wie ein ELearning-Kurs abläuft und weil sie Freude am Umgang mit neuen Medien 174 E-Learning als Tool zur zielgruppenspezifischen Kommunikation hatten (Treumann et al. 2012: 280). Darüber hinaus erhofften sie sich anwendungsorientierte Computer-Kenntnisse, die ihnen ihre tägliche Arbeit erleichtern könnten (ebd.). Die Vorteile des E-Learnings sind demnach offensichtlich. Dennoch haben E-Learning-Kurse sehr hohe Abbrecherquoten. Einen repräsentativen Prozentsatz zu ermitteln, ist dabei fast unmöglich, schon auf Grund des unüberschaubaren Angebots und der geringen Auskunftsfreude der Anbieter hinsichtlich des tatsächlichen Erfolgs. Selbst neuere Studien beziehen sich auf Untersuchungen aus dem Anfang der 2000er Jahre (vgl. Chuh 2007). Dabei schwanken die Angaben zwischen 50 und 80 Prozent (ILTEC; Astleitner 2000). Konservativ geschätzt, kann man davon ausgehen, dass die aktuelle Abbruchquote immer noch bei etwa 50 Prozent liegen dürfte – mehr als doppelt so hoch wie bei traditionellen Präsenzseminaren. Woran liegt es also? Eine Studie der James Madison University nennt fehlende Motivation (36 Prozent), mangelnde Lehrqualität (36 Prozent), Zeitkonflikte mit Arbeit und Familie (33 Prozent), fehlende Betreuung (9 Prozent) und technische Faktoren (5 Prozent) (Wang et. al. 2003: iv/v). Dieses Bild bestätigt sich auch im persönlichen Gespräch mit vielen Teilnehmern von E-Learning-Kursen, insbesondere in der öffentlichen Verwaltung. Viele Kurse sind eigentlich keine „echten“ E-Learning-Kurse, bestehen im Wesentlichen aus Click-Courses oder sogar nur aus PDFs, die sich die Teilnehmer aus dem Internet herunterladen sollen. Oft gibt es nicht einmal einen Online-Multiple-Choice-Test dazu. Ansprechpartner, Mentoring-Angebote, Schulungen fallen aus Kostengründen von vornherein weg. Es wird also an der falschen Stelle gespart. Dazu kommt, dass der Aktualitätsbezug der Kurse in vielen Fällen fehlt. Sie wirken aufgezwungen, sind für die eigentliche Arbeit kaum relevant, oder waren im besten Fall vor Monaten oder Jahren einmal aktuell. Konsequenzen hat das Nicht-Bestehen des Kurses – sofern es überhaupt einen Test gibt – darüber hinaus ebenfalls nicht. Kurzum – viele E-Learning-Angebote sind überhaupt keine echten E-Learning-Angebote, oder sind an der Realität und am Bedarf vorbeigeplant. Oftmals handelt es sich bei den Anbietern entsprechender Kurse um externe Dienstleister. Eine Einbeziehung der Zielgruppe in den Entwicklungsprozess der Angebote findet nicht statt. Zieht man diese Faktoren in Betracht, relativiert sich auch schnell der vermeintliche Kostenvorteil. Im Gegenteil, bei Abbruchquoten von über 50 Prozent ist der Kosten-NutzenEffekt schlechter als bei traditionellen Präsenzseminaren. „Es wird immer deutlicher, dass die Frage nach der Qualität beim E-Learning in Zukunft 175 Zukunft der Medien: Qualität und Wahrhaftigkeit über den Erfolg und die Akzeptanz solcher Maßnahmen entscheidet“ (Treumann et al. 2012: 15). Reinmann geht noch einen Schritt weiter. Sie fordert, „den Umgang mit Wissen nicht dem Zufall zu überlassen, sondern gestaltend und – wo es Sinn macht – auch steuernd in Wissensprozesse einzugreifen“ (Reinmann 2001: 7). Denn: Nicht jeder Mensch ist in der Lage, „in nicht vorstrukturierten Kontexten in völliger Eigenregie und damit selbstgesteuert zu lernen“ (Reinmann 2010: 6; Hervorhebung im Original). Der Königsweg: ein durchdachtes Konzept Was ist also die Lösung? Die Abkehr vom E-Learning und die Rückkehr zu traditionellen Präsenzseminaren wohl eher nicht. Hier gilt es, neue Wege zu gehen und einen Ansatz zu wählen, der ein enges Ineinandergreifen von Kursentwicklung, Zielgruppe und Inhalt und Kursgestaltung ins Zentrum stellt. Somit lassen sich die beiden Hauptursachen für das Scheitern und Abbrechen, nämlich fehlende Motivation und mangelnde Lehrqualität, beheben. Treumann et al. haben in ihrer Untersuchung vier entscheidende Faktoren für das Gelingen von E-Learning-Angeboten ausgemacht: Kursaufbau, Soziale Eingebundenheit, Tutorieller Support und Gestaltung der Lernumgebung (Treumann et al. 2012: 282). Beim Kursaufbau empfehle es sich z. B. Präsenzphasen oder auch Gruppenarbeiten mit zu integrieren. Eine entscheidende Rolle spiele zudem die soziale Eingebundenheit. Es komme darauf an, dass den Kursteilnehmern die Gelegenheit gegeben werde, sich untereinander auszutauschen oder sich gegenseitig zu unterstützen, z. B. via E-Mail oder im Rahmen eines Chats. Darüber hinaus sei der tutorielle Support ein wesentliches „Qualitätsfeld“, das „in Bezug auf Frustrationsund Erfolgserlebnisse beim E-Learning eine wichtige Rolle“ spiele (ebd.: 282 f.). Die Lernenden müssten einen Ansprechpartner haben, der ihnen bei technischen Fragen oder auch Motivationsproblemen zur Seite stehe. Die Lernumgebung schließlich solle didaktisch durchdacht sein, Multimedialität ebenso wie ausreichende Feedbackmöglichkeiten gewährleisten und graphische sowie spielerische Elemente nutzen (ebd.: 283). Um eine hohe Qualität von E-Learning-Angeboten sicherstellen zu können, muss der Konzeption eine genaue Analyse vorausgehen. Zielgruppe, Inhalte und Ressourcen sollten ebenso definiert werden wie der tatsächliche Einsatzkontext (vgl. Niegemann 2008: 97). Darüber hinaus gilt es, vor der Auswahl des E-Learning-Tools den Anwendungsfall zu konkretisieren: „Der Entscheidung, eine digitale Lernumgebung zu entwickeln, sollte vor allem im Bereich der betrieblichen Weiterbildung eine sorgfältige Analyse 176 E-Learning als Tool zur zielgruppenspezifischen Kommunikation Problemanalyse Bedarfsanalyse Konzepion Realisierung Evaluation Abb. 2: Schritte der Einführung eines E-Learning-Angebots (eigene Darstellung nach Niegemann 2008: 97 f.). des damit zu lösenden Problems (Problemanalyse) sowie des tatsächlichen Bedarfs (Bedarfsanalyse) vorausgegangen sein, um möglicherweise erhebliche Fehlinvestitionen zu vermeiden“ (ebd.: 98). Der Anwendungsfall: Zielgruppenspezifische Kommunikation Das Institut für Journalistik der Universität der Bundeswehr beschäftigt sich seit einiger Zeit mit der Entwicklung eines problem- und bedarfsgerechten E-Learning-Konzeptes für eine Analysesoftware mit breiter Anwenderbasis. Das hat gute Gründe: Journalisten sind es gewohnt, komplexe Sachverhalte verständlich aufzubereiten. Sie wissen, wie man Inhalte zielgruppengerecht formulieren und visualisieren kann. Sie können recherchieren und sind geübt darin, sich schnell in unbekannte Themenbereiche einzuarbeiten. Es kann deshalb auch für eine auf den ersten Blick eher technische Fragestellung von Mehrwert sein, Kommunikationsspezialisten schon in der Anfangsphase eines Projektes mit ins Boot zu holen. Im Fall des E-Learning-Kurses für die Analysesoftware steht ein strukturiertes Vorgehen im Vordergrund. Zunächst ergeben sich folgende Grundfragestellungen: Zielgruppe: Breitgefächert, aber mit fachlichen Vorkenntnissen. Inhalt: Anwendung der Software. Einsatzkontext: Die Anwender sind angehalten, in ihrem Bereich eine aussagekräftige Analyse durchzuführen. Problemanalyse: Bisher liegen nur lückenhafte Daten vor; Ziel muss es sein, dass die Anwender vor Ort in der Lage sind, die Analyse selbstständig durchzuführen. Es ist nicht möglich, sämtliche Verantwortlichen in Präsenzkursen zu schulen. Bedarfsanalyse: Gefragt ist ein E-Learning-Tool, das die Anwendung der Software Schritt für Schritt erklärt. Ein E-Learning-Modul für eine so heterogene Zielgruppe zu entwickeln, ist mit vielen Risiken verbunden. Zum einen besteht die Gefahr, dass die potenziellen Nutzer die Schulungsmaßnahme als aufoktroyiert empfin177 Zukunft der Medien: Qualität und Wahrhaftigkeit den. Sie hatten bisher möglicherweise kaum Berührungspunkte mit dem Thema und sehen keinen Sinn darin, an dem Kurs teilzunehmen. Zum anderen handelt es sich um einen komplexen Anwendungsfall, der Schritt für Schritt erklärt werden muss. Gerade wenig technikaffine Zielgruppen könnten davor zurückschrecken, sich auf einen ausschließlich computervermittelten Kurs einzulassen. Von Anfang an war es deshalb das Ziel, einen ganzheitlichen Ansatz zu verfolgen, der die Komplexität der Materie ebenso mit berücksichtigt wie die Heterogenität der Kursteilnehmer. Das Ziel: Ein ganzheitlicher Ansatz Bereits bei der Entwicklung der Software wurde deshalb darauf geachtet, die Menüführung nicht zu überfrachten und die Benutzeroberfläche klar zu strukturieren. Sämtliche Texte sind zudem leicht verständlich formuliert. Hier ist die Expertise der am Journalistik-Lehrstuhl beschäftigten Wissenschaftler von großer Bedeutung. Die Software selbst bzw. die Methode der Analyse sind in diesem speziellen Fall also nicht nur die im Kurs zu vermittelnden Themen – vielmehr wurden Software und E-LearningModul gezielt auf einander abgestimmt. Natürlich lässt sich dieser Ansatz nicht in allen Bereichen realisieren. Doch gerade bei der Einführung neuer Software-Programme oder bei der Neustrukturierung von internen Prozessen bietet es sich an, den E-Learning-Kurs und das zugehörige Tutorial parallel zur Software zu gestalten und nicht erst im Nachhinein aufzusetzen. Der entscheidende Erfolgsfaktor ist die Einbeziehung der Endnutzer. Im vorliegenden Fall wurden parallel zur Entwicklung der Software das Handbuch und die Inhalte des E-Learning-Kurses mit den Endanwendern abgestimmt. Im Rahmen von Fokusgruppen konnten Problemfälle und Anwendungsbeispiele erläutert werden. Im Zuge dieser Abstimmungsprozesse zeigte sich, dass der Bedarf der Endnutzer anders gelagert war, als von den Entwicklern angenommen. So wünschten sich die Teilnehmer vor allem Hilfestellung bei der Erhebung und Eingabe der relevanten Daten. Die Methode der Analyse selbst erschien ihnen dagegen weniger problematisch. Das Feedback der Nutzer floss direkt in die Konzeption des ELearning-Kurses ein. Das Programm umfasst nun neben den klassischen Modulen, Handreichungen und Tests ein abschließendes Präsenzseminar. Hier kann die Analyse im konkreten Fall durchgespielt werden. Gerade diese Kombination aus verschiedenen Elementen, die zum Teil optional sind, – schließlich muss man bereits vorhandenes Wissen nicht sinnlos wiederholen – stärken gezielt die Kompetenzen der einzelnen An178 E-Learning als Tool zur zielgruppenspezifischen Kommunikation wender. Zentrales Anliegen eines erfolgreichen E-Learning-Kurses muss es daher sein, die Lernkompetenz, ins Zentrum des E-Learning-Konzeptes zu rücken. Den Teilnehmern sind also nicht nur die entsprechenden Mittel und Informationen an die Hand zu geben, sondern ihnen ist auch die Kompetenz zu vermitteln, diese anzuwenden. Die Basis: Pädagogisch-Didaktisches Konzept der Erwachsenenbildung Der handlungsorientierte Ansatz in der Tradition von Aebli ist keineswegs neu und in der Berufspädagogik – zumindest theoretisch – eigentlich seit langem Standard (vgl. Aebli 2003). Tatsächlich jedoch entsprechen die wenigsten E-Learning-Kurse diesem Konzept, auch wenn sich viele mit diesem Prädikat schmücken. Handlungskompetenz äußert sich in der Bereitschaft und Befähigung des Einzelnen, sich sachgerecht, durchdacht sowie individuell und sozial verantwortlich zu verhalten. Ein E-Learning-Kurs muss also mehr als reine Informationsvermittlung betreiben – die einzelnen vermittelten Kompetenzen ergänzen sich idealerweise. Der Mehrwert ist offensichtlich: Sozialkompetenz ist eben nicht nur gut für das Betriebsklima, sondern im Ernstfall entscheidend. Grundlage eines jeden Kurses bildet freilich nach wie vor die Fachkompetenz. Im konkreten Fall wurde ein Leitfaden entwickelt, der die Grundlage des Kurses bildet. Hier finden sich alle wichtigen Informationen sowie weiterführende Links und Anmerkungen, ergänzt um konkrete Beispiele. Der zweite wichtige Baustein ist die Methodenkompetenz. Hier geht es weniger darum, „die Methode an sich“ einzuüben. Vielmehr ist es wichtig, ein tieferes Verständnis für die Materie und die Mechanik dahinter zu vermitteln, um ein planvolles Vorgehen zu ermöglichen. Der Förderung von Sozial-, Human- und Kommunikativer Kompetenz als dritter Komponente sind natürlich im Rahmen eines E-Learning-Kurses enge Grenzen gesetzt. Überzogenen Erwartungen sind hier fehl am Platz. Vielmehr bietet gerade hier eine Präsenzveranstaltung den nötigen Raum, um Selbstständigkeit, Kritikfähigkeit, Selbstvertrauen, Zuverlässigkeit, Verantwortungs- und Pflichtbewusstsein sowie die Zusammenarbeit mit Kollegen im Planspiel zu fördern. Die Umsetzung: Verbindung von Didaktik und Methode Nur ein tieferes Verständnis für die Methodik kann letztendlich zu vernünftigen Resultaten in der Analyse führen kann. Dies gilt grundsätzlich für alle komplexen Sachverhalte. Zur Förderung des Verständnisses eig179 Zukunft der Medien: Qualität und Wahrhaftigkeit nen sich daher vor allem Transferfragen, die der Kursteilnehmer nutzen kann, um die Anwendung des Gelernten zu überprüfen. Hier zeigt sich auch der Mangel vieler E-Learning-Kurse, da gängige Plattformen wie Ilias oder Moodle sich vor allem für einfache Multiple-Choice Abfragen eignen, also auf der Reproduktionsebene bleiben. Ein wirklich tiefes Verständnis kann hier nur eine Präsenzveranstaltung bieten, die es den Teilnehmern ermöglicht, konkrete Anwendungsprobleme im Team zu diskutieren und mit einem geschulten Trainer zu lösen. Im konkreten Fall wurde ein zehnteiliger computergestützter Kurs mit Onlinelerngruppen und begleitenden Mentor entwickelt, den eine Auftakt- und eine Abschlussveranstaltung abrundeten. Software, Anwenderhandbuch und E-Learning-Kurs waren sowohl inhaltlich als auch strukturell und im Hinblick auf die graphische Gestaltung aufeinander abgestimmt. Anwender-Handbuch Software-Entwicklung Konzeption des E-Learning-Moduls computergestützt (Ilias) Präsenzveranstaltungen Abb. 3: Modell zielgruppenspezifischer Kommunikation im Rahmen eines E-Learning-Moduls (eigene Darstellung) Fazit E-Learning-Maßnahmen ohne persönliche Begleitung bleiben Stückwerk. Konsequentes Blended-Learning nutzt die Vorteile computergestützten Lernens (Flexibilität, Interaktivität, Mobilität) und bietet gleichzeitig fachliche Unterstützung in Form eines kursbegleitenden Mentorings, um die Motivation der Teilnehmer zu fördern und Frustration entgegen zu wirken. Ein weiterer entscheidender Punkt ist die Einbindung der Endnutzer. Im Idealfall können potenzielle Kursteilnehmer bereits im Rahmen der Bedarfsanalyse ihre Erwartungen und Wünsche äußern. Auf diese Weise werden Vorurteile und Ängste frühzeitig abgebaut. Die Einbeziehung 180 E-Learning als Tool zur zielgruppenspezifischen Kommunikation von Kommunikationsspezialisten – im vorliegenden Fall von Journalisten – garantiert darüber hinaus, dass die Zielgruppe nicht überfordert, sondern anhand von verständlichen Formulierungen Schritt für Schritt mit komplexen Sachverhalten vertraut gemacht wird. Auf diese Weise sind ELearning-Kurs und Software nicht als Speziallösung für eine kleine Fachklientel konzipiert, sondern entfalten eine Breitenwirkung. Voraussetzung für den Erfolg sämtlicher mediengestützter Lernangebote ist jedoch ein tragfähiges didaktisches Konzept – denn ob neue oder alte Medien, stets sollte gelten: form follows function. Literatur Aebli, Hans (2003): Zwölf Grundformen des Lehrens. Eine allgemeine Didaktik auf psychologischer Grundlage. Medien und Inhalte didaktischer Kommunikation. Der Lernzyklus. Stuttgart: KlettCotta. Astleitner, Hermann (2000): A review of motivational and emotional strategies to reduce drop out in web-based distance education. In: Leutner, D./Brünken, R. (Hrsg.): Neue Medien in Unterricht, Aus- und Weiterbildung. Aktuelle Ergebnisse empirisch pädagogischer Forschung. Münster: Waxmann. Chuh, Patrick (2007): Analyse und Bewertung eines E-Learning Systems unter dem Aspekt der Interaktivität basierend auf verschiedenen Motivationstheorien. Diplomarbeit. München. Online verfügbar unter: https://www.ddi.edu.tum.de/fileadmin/tueds10/www/material/Abschlussarbeiten/2007/Chuh_DA.pdf, 4.2.2015. International Learning Technology Center (ILTEC): Der Einsatz von eLearning in Unternehmen. Ein Leitfaden. München. 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Wenn man nun die von Fischer gewählte Formulierung zu analysieren versucht, kommt man am jeweiligen Ende der Interpretationsskala zu folgenden zwei Extrempositionen: Entweder ist der Journalist zu dumm, um juristische Inhalte zu verstehen, oder die Juristen sind nicht fähig, ihr Fachgebiet der Allgemeinheit verständlich zu machen. Egal zu welcher These man persönlich neigt, so verhält es sich in der Jurisprudenz nicht anders als bei jeder anderen Wissenschaft. Es ist ja gerade das Wesen einer Wissenschaft, komplex, kompliziert und für die Allgemeinheit großteils unverständlich zu sein. Wäre sie für jedermann verständlich und nachvollziehbar, müsste man von Allgemeinwissen sprechen und gerade nicht von einer Wissenschaft. Im Rahmen der Juristerei ist dies jedoch insofern problematisch, weil sich bereits im normalen Alltagsleben unzählige rechtliche Konstellationen ergeben, deren man sich gar nicht bewusst ist. Zwei einfache Beispiele: Beim Einkaufen von Lebensmitteln wird ein Kaufvertrag abgeschlossen. Im Anschluss daran werden das Geld und dann die Waren übereignet. Bereits hier wird es kompliziert, denn die Unterscheidung zwischen Vertrag und Übereignung – Abstraktionsprinzip2 genannt – ist eigentlich 183 Zukunft der Medien: Qualität und Wahrhaftigkeit nur Juristen bekannt. Dieser einheitliche Lebenssachverhalt, der sich in der Realität innerhalb von wenigen Sekunden abspielt, enthält also drei Rechtsgeschäfte. Auch die digitale Welt birgt rechtliche Hürden, derer man sich kaum bewusst ist. Bei der Registrierung in einem sozialen Netzwerk stellt schon die Wahl des Benutzernamens ein rechtliches Problem dar. Mögliche Fragestellungen lauten: Muss ich meinen bürgerlichen Namen angeben oder darf ich ein Pseudonym verwenden? Welches Profilbild wähle ich, ohne gegen Urheberrechte zu verstoßen? Benötige ich ein Impressum und wenn ja, mit welchem Inhalt, usw. Vor diesem Hintergrund wäre es natürlich wünschenswert, wenn juristische Kenntnisse weiter verbreitet wären, als dies in der Realität der Fall ist. Daraus kann man selbstverständlich nicht folgern bzw. fordern, dass jedermann und jede Frau ein Grundstudium in Jura zu absolvieren hätten. Vielmehr liegt die Verantwortung für die Unverständlichkeit juristischer Problemstellungen bei den Juristen selbst. Bereits die juristische Sprache ist für sehr viele Menschen unverständlich. Dabei werden nicht nur unverständliche Fachbegriffe verwendet, sondern auch lange, ineinander verschachtelte Sätze führen dazu, dass rechtliche Ausführungen für den Allgemeinbürger ein Buch mit sieben Siegeln bleiben. Aber auch die Übersetzung von Ausdrücken des allgemeinen Sprachgebrauchs in den juristischen Kontext stellt eine große Herausforderung dar. Landläufig werden oft einfache Begriffe benutzt, obwohl dahinter zahlreiche juristische Spitzfindigkeiten stehen, die nicht im Verhältnis 1:1 beschrieben werden können. Mit dieser Publikation soll anhand einfacher Beispiele ein Versuch unternommen werden, aufzuzeigen, wie typische juristische Formulierungen für jedermann verständlich gemacht, sprich übersetzt werden können, um ein breiteres Verständnis für bestimmte Thematiken herbeizuführen. II. Lateinische Fachausdrücke Zunächst soll das Wort „Übersetzung“ wörtlich genommen werden. Wie in sehr vielen Wissenschaften spielt die lateinische Sprache auch in der Juristerei eine erhebliche Rolle. Es existieren Ausdrücke, die auch Eingang in allgemeine Redewendungen gefunden haben, obwohl deren wörtliche Übersetzung, geschweige denn deren Bedeutung, nicht jedem bekannt sein mögen. Nichtsdestotrotz sind Lateinkenntnisse, oder gar das Latinum, ent184 Formulierungsvorschläge für bürgernahen Journalismus am Beispiel juristischer Fachbegriffe gegen einer weitverbreiteten Ansicht nicht Voraussetzung für die Aufnahme eines Jurastudiums.3 Im Folgenden sollen daher einige lateinische Ausdrücke erläutert werden: Begriff wörtliche Übersetzung Bedeutung Aliud andersartig Es wird nicht der vertraglich geschuldete Gegenstand geliefert, sondern ein anderer (ohne dass dieser mangelhaft ist), z. B. statt Äpfel Birnen. Conditio sine qua non Ohne ein konkretes Ereignis würde ein bestimmBedingung ohne die nicht… tes Ergebnis nicht vorliegen (Kausalität), z. B. ohne Eltern gibt es keine Kinder. Essentialia negotii Wesentliche Bestandteile Im Zweifel für den AngeIn dubio pro reo klagten. Iudex non calculat Der Richter rechnet nicht. Wesentliche Bestandteile eines Rechtsgeschäfts, die dessen notwendigen Inhalt bestimmen, z. B. Bezeichnung der Parteien, betroffener Gegenstand, Anzahl, Preis, etc. Dieser Grundsatz des Strafrechts besagt, dass ein Angeklagter nicht verurteilt werden darf, sondern freizusprechen ist, wenn Zweifel an seiner Schuld bestehen. Hier gibt es drei mögliche Bedeutungen. Entweder: Bei der gerichtlichen Beurteilung sind nicht die Anzahl der Argumente entscheidend, sondern deren Überzeugungskraft. Oder: Falsche Berechnungen in einem Urteil sind nicht von Nachteil, sondern können jederzeit berichtigt werden. Im Volksmund: Juristen können nicht rechnen. Lex specialis Non liquet Nullum crime sine lege Besonderes Gesetz Das speziellere Gesetz geht dem allgemeinen vor, z. B. ist bei einem mangelhaften Kaufgegenstand das Mängelgewährleistungsrecht einschlägig. Dieses verdrängt die Regelungen über die Anfechtung. Es ist nicht klar. Kann bei einem Zivilprozess eine Behauptung nicht nachgewiesen werden, besteht eine sog. non-liquet-Situation. Die gerichtliche Entscheidung geht dann zu Lasten derjenigen Partei, die den Beweis zu erbringen gehabt hätte. Kein Verbrechen ohne Gesetz. Die Verurteilung eines Angeklagten darf nur dann erfolgen, wenn das Gesetz den konkreten Sachverhalt als unrechtmäßig einstuft. Beispielsweise lehnte der Bundesgerichtshof die Bestrafung von Kassenärzten ab, die durch Pharmafirmen bestochen worden waren4, weil dies bis dato nicht strafbar war. 185 Zukunft der Medien: Qualität und Wahrhaftigkeit Pacta sunt servanda Ultima ratio Wenn jemand einen Vertrag abschließt, hat er sich daran zu halten und kann sich nur in Ausnahmefällen davon lösen. Entgegen einer weit Verträge sind zu bewahren. verbreiteten Ansicht können nicht alle Verträge innerhalb einer Frist von zwei Wochen widerrufen werden. Letzte Methode Von mehreren zur Verfügung stehenden Möglichkeiten bildet die ultima ratio diejenige, die am meisten Konsequenzen nach sich zieht. Sie ist deshalb erst als allerletztes in Betracht zu ziehen, wenn alle anderen Möglichkeiten keinen Erfolg mehr versprechen. III. Unterschiedliche Bedeutungen Neben im allgemeinen Sprachgebrauch verwendeten Begriffen, deren Bedeutung oftmals unklar bleibt, aber trotzdem im richtigen Kontext verwendet werden, gibt es auch Beispiele, bei denen Begriffe in der juristischen Fachsprache eine gänzlich andere Bedeutung genießen als im allgemeinen Sprachgebrauch. Dies soll anhand eines simplen und mit Hilfe eines komplexeren Beispiels verdeutlicht werden. 1. Grundsätzlich – Generell Die Worte „grundsätzlich“ und „generell“ werden im allgemeinen Sprachgebrauch sehr oft als Synonym verwendet, sofern beide Begriffe überhaupt parallel gebraucht werden. Das Wort „generell“ findet gefühlsmäßig deutlich seltener Eingang in umgangssprachliche Formulierungen, da es entweder als ein Begriff angesehen werden mag, der einer elitären Hochsprache entstammt, oder als zu apodiktisch empfunden wird. Beiden Worten wird jedoch im Allgemeinen die Bedeutung des Wortes „immer“ oder „stets“ beigemessen, d. h. dass in jedem Einzelfall eine bestimmte Konsequenz folgt, ohne Ausnahme. Die Aussage „Ich bin grundsätzlich gegen Sterbehilfe“ ist nicht-juristisch betrachtet als konsequente und unverrückbare Ablehnung von Euthanasie zu begreifen. Anders ausgedrückt, kann dies in der Umgangssprache heißen: „Ich fordere ein Verbot von Sterbehilfe!“ Im juristischen Sinn haben die beiden Worte „grundsätzlich“ und „generell“ jedoch eine völlig unterschiedliche Bedeutung. Rechtlich betrachtet bedeutet „grundsätzlich“, dass lediglich eine gewisse Tendenz zu einer bestimmten Folgerung vorherrscht, d. h. im Sinn von „vom Grundsatz her“ oder „in den meisten Fällen“. Der wesentliche Unterschied besteht also 186 Formulierungsvorschläge für bürgernahen Journalismus am Beispiel juristischer Fachbegriffe darin, dass das juristische „grundsätzlich“ sehr wohl Ausnahmen zulässt. Wenn ein Rechtswissenschaftler den Satz „Ich bin grundsätzlich gegen Sterbehilfe“ äußert, meint er damit, dass er zwar kein Befürworter von Sterbehilfe ist, diese in Ausnahmefällen aber als gerechtfertigt ansieht. Dies ist eine völlig andere Aussage, als diejenige, die der umgangssprachlichen Bedeutung des Wortes „grundsätzlich“ zu Grunde liegt. Wenn ein Jurist ein Verbot von Sterbehilfe fordern würde, würde er es folgendermaßen ausdrücken: „Ich bin generell gegen Sterbehilfe!“ Ein scheinbar kleiner, jedoch wesentlicher Unterschied, dem man sich bewusst sein muss, um Missverständnisse zwischen Juristen und Nicht-Juristen zu vermeiden. 2. Mundraub Ein juristischer Begriff, den fast jeder schon einmal gehört haben dürfte und der auch heute noch im allgemeinen Sprachgebrauch verwendet wird, ist der des „Mundraubs“. Die diesbezügliche Vorschrift innerhalb des Strafgesetzbuches (StGB) (§ 370 Abs. 5 StGB a.F.5) wurde jedoch bereits zum 01.01.1975 abgeschafft, so dass es die Straftat des Mundraubs entgegen einer weiterverbreiteten Ansicht nicht mehr gibt. Nichtsdestotrotz werden Taten, bei denen Gegenstände, die zum Verzehr geeignet sind, d. h. also Essen und Trinken, entwendet werden, nach wie vor als Mundraub qualifiziert. Kennzeichnend für den Mundraub war früher, dass der Gesetzgeber eine Limitierung der Höchststrafe im Gegensatz zu anderen Vermögensdelikten vorgenommen hatte, weil man den Tatbestand als Kleinstkriminalität angesehen hatte und die entwendeten Gegenstände vielfach verfügbare Alltagsgegenstände waren. Neben dem Mundraub existierte in der damaligen Fassung des Strafgesetzbuches auch noch die sog. Notentwendung in § 248a StGB a.F.6 Kennzeichen dieses Delikts war, dass die Entwendung des betreffenden Gegenstands7 aus einer Notlage heraus erfolgt und zur Befriedigung dieser Notlage begangen worden sein musste. Gerade dieses Notlage-Kriterium wird im heutigen Sprachgebrauch fälschlicherweise dem Mundraub zugeschrieben, obwohl dabei ursprünglich die Entwendung aus einer Art Laune heraus und zum alsbaldigen Verzehr erfolgt sein musste. Mit anderen Worten: Diejenigen Taten, die der Volksmund heute noch als Mundraub bezeichnet, wären auf Basis der alten Rechtslage eher Notdiebstähle oder Notunterschlagungen gewesen. Die heutige strafrechtliche Einordnung der beschriebenen Sachverhalte ist eine vollkommen andere. Die in Betracht kommenden Straftatbestän187 Zukunft der Medien: Qualität und Wahrhaftigkeit de sind Diebstahl8 oder Unterschlagung9, evtl. geringwertige Sachen 10. Der Gesetzgeber hat bewusst von den besonderen Delikten der alten Gesetzeslage Abstand genommen. Hintergrund ist, dass das fremde Eigentum heutzutage stets als gleichwertig und deshalb gleich schützenswert angesehen wird, unabhängig vom jeweiligen Diebesgut und vom Tatmotiv. Aufgrund der reduzierten Strafdrohung in § 370 Abs. 5 StGB a.F. hatte der Gesetzgeber das Eigentum an Nahrungs- und Genussmittel als weniger schützenswert gekennzeichnet, wohin der Diebstahl von Luxusgütern härter sanktioniert wurde. Diese Unterscheidung ist aus heutiger Sicht nicht nachvollziehbar. Diebstahl ist eben Diebstahl, egal was man stiehlt oder warum man stiehlt. Die Details des jeweiligen Einzelfalls, d. h., welcher Gegenstand entwendet wurde oder welches Motiv der Tat zugrunde liegt, findet ausschließlich im Rahmen der Strafzumessung11 Berücksichtigung. Zusammenfassend ist daher zu sagen, dass der Begriff „Mundraub“ seit jeher eine andere rechtliche Bedeutung hatte als sie ihm im allgemeinen Sprachgebrauch zugeschrieben wurde und bis heute zugeschrieben wird. Insbesondere nach der heutigen Gesetzeslage ist die Bezeichnung absolut irreführend, ja sogar falsch ist. Eine inhaltliche Beziehung zum Straftatbestand des Raubes, wie es der Begriff des Mundraubs suggeriert, bestand aber zu keinem Zeitpunkt, denn für einen Raub fehlt es an der Gewaltanwendung oder an der Drohung mit einem erheblichen Übel.12 IV. Juristisch – Deutsch Der hier unternommene Versuch, juristische Formulierungen in die Alltagssprache zu übersetzen, erfasst natürlich auch Fälle, in denen ein NichtJurist bestimmte Formulierungen überhaupt nicht verstehen kann. Anstelle von komplizierten Formulierungen könnte man viele Dinge auch in sehr verständlicher Art und Weise zum Ausdruck bringen, sodass sie jeder Mann und jede Frau verstehen könnten. Meist verzichten die Juristen hierauf, möglicherweise um auf die Komplexität des Sachverhalts aufmerksam zu machen. Auch die Übersetzung von unverständlichen Formulierungen soll anhand eines einfachen und mit Hilfe eines schwierigen Beispiels erläutert werden: 1. Arbeitszeugnis Wer als Angestellter ein Arbeitsverhältnis beendet – egal aus welchem Grund – hat Anspruch13 auf Ausstellung eines Arbeitszeugnisses. Hierin 188 Formulierungsvorschläge für bürgernahen Journalismus am Beispiel juristischer Fachbegriffe kann sich eine Vielzahl von Formulierungen finden, die den Eindruck einer positiven Beurteilung erwecken, unter Juristen aber eine ganz andere – vielfach sogar eine gegenteilige Bedeutung haben. Als einfaches Beispiel seien zunächst die Formulierungen genannt, die das Arbeitsverhältnis im Ganzen benoten sollen. In der Praxis hat sich hier eine fünfstufige Notenskala in Form der Schulnoten 1 bis 5 (sehr gut, gut, befriedigend, ausreichend, mangelhaft) etabliert.14 Formulierung Schulnote „zur vollsten Zufriedenheit“ oder „stets zur vollsten Zufriedenheit“ Sehr gut (1) „stets zu unserer vollen Zufriedenheit“ Gut (2) „stets zu unserer Zufriedenheit“ Befriedigend (3) „zu unserer Zufriedenheit“ Ausreichend (4) „insgesamt zufriedenstellend“ Mangelhaft (5) Bereits an diesen Formulierungen ist zu erkennen, dass bei der Wortwahl eine nicht unerhebliche Tendenz zur Schönfärberei besteht, zumindest wenn es um die Beurteilung unterdurchschnittlicher Leistungen geht. Selbst die schlechteste Notenstufe, „mangelhaft“, beinhaltet das Wort „zufriedenstellend“, was nach schulischen Maßstäben die Note „3“ suggeriert. Überspitzt wird die Schönfärberei jedoch dann, wenn es um die Bewertung des Verhaltens eines Arbeitnehmers gegenüber Vorgesetzten und seinen Kollegen sowie Mitarbeitern geht. Hierbei wird teilweise das Gegenteil dessen geschrieben, was die eigentliche Bedeutung der Aussage sein soll. Es folgt eine kleine Auswahl an Beispielen15: Formulierung Bedeutung „Er verfügt über Fachwissen und hat ein gesundes Selbstvertrauen.“ Der Arbeitnehmer klopft große Sprüche, um mangelndes Fachwissen zu überspielen. „Er war sehr tüchtig und wusste, sich gut zu verkaufen.“ Der Arbeitnehmer ist ein unangenehmer Zeitgenosse und Wichtigtuer, dem es an Kooperationsbereitschaft fehlt. „Sie war sehr tüchtig und in der Lage, ihre eigene Meinung zu vertreten.“ Die Arbeitnehmerin ist eine Querulantin, die von sich selbst eine hohe Meinung hat und keine sachliche Kritik zu akzeptieren vermag. „Wir haben sie als umgängliche Kollegin kennengelernt.“ Sie war bei den Mitarbeitern unbeliebt. „Wir haben ihn als einen freundlichen und zuverlässigen Mitarbeiter kennengelernt.“ Er war unfreundlich und unzuverlässig. 189 Zukunft der Medien: Qualität und Wahrhaftigkeit „Ihr Verhalten war ohne Tadel.“ Ihr Verhalten gab weder Grund für Kritik, noch für Lob. „Durch seine Geselligkeit trug er zur Verbesserung des Betriebsklimas bei.“ Der Arbeitnehmer war faul und hinderte seine Kollegen, ihre Arbeit zu verrichten. (evtl. Hinweis auf Alkoholproblem) „Mit seinen Vorgesetzten ist er gut zurechtgekommen.“ Er war ein Mitläufer und Ja-Sager. „Sie zeigte stets Engagement für Arbeitnehmerinteressen außerhalb der Firma“ Sie missachtet die Interessen des Arbeitgebers und nimmt an Streiks teil. „Für die Belange der Belegschaft bewies er immer Einfühlungsvermögen“ Er suchte sexuelle Kontakte im Kollegenkreis.16 2. Verwerfung der Berufung Am 08.11.2012 hat der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) einstimmig entschieden, dass die gerichtliche Praxis, die Berufung gegen ein Strafurteil zu verwerfen, wenn der Angeklagte unentschuldigt nicht zur Verhandlung erscheint, gegen die Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten (EMRK) verstößt und damit menschenrechtswidrig ist.17 Trotz dieser eindeutigen Entscheidung des EGMR verweigern deutsche Gerichte18 deren Umsetzung und verweisen auf den bestehenden Gesetzestext des § 329 Abs. 1 S. 1 Strafprozessordnung (StPO)19 und argumentieren, dass gerade wegen des konkreten Wortlauts für diese Form der Auslegung der Menschenrechte kein Platz sei. Gegen diese Argumentation werden u. a. folgende zwei Sätze angeführt: „Die vom OLG München zur Stützung seiner Argumentation ins Spiel gebrachte Gesetzesbindung verkehrt sich bei genauerer Betrachtung ins Gegenteil dessen, was die Intention des Gerichts war, ist es doch (wie vom OLG selbst explizit festgehalten) ebenso wie an § 329 Abs. 1 S. 1 StPO auch an die EMRK (in der Gestalt des Textes sowie der Auslegung des Inhalts ihrer Normen durch den EGMR) im Rahmen der Art. 20 Abs. 320 und 97 Abs. 121 GG und Art. 46 Abs. 1 EMRK22 gebunden, und hätte somit – da diese beiden Gesetze nach Meinung des OLG anscheinend miteinander in Konkurrenz stehen – zu versuchen gehabt, jene „nach den anerkannten Methoden der Gesetzesauslegung“ miteinander in Einklang zu bringen, was jedoch nicht einmal ansatzweise geschehen ist. […] Insofern – wie das OLG München in seinem Beschluss vorgeht – allein auf den Wortlaut des § 329 Abs. 1 S. 1 StPO abzustellen, und zusätzlich diesem mit dem Scheinargument, der „Wille des nationalen Gesetzgebers in der Gestalt von bestehendem Geset190 Formulierungsvorschläge für bürgernahen Journalismus am Beispiel juristischer Fachbegriffe zesrecht stünde einer konventionskonformen Auslegung entgegen“ den Vorzug zu geben, verkennt den Bedeutungsinhalt der Gesetzesbindung, die keinesfalls zwingend bei zwei sich (scheinbar) widersprechenden Normen eine zugunsten der nationalen Norm aufzulösende „einseitige“ ist; so verfährt aber das OLG München, wenn es den Grundsatz der Gesetzesbindung undifferenziert und unbegründet zu Gunsten der nationalen Norm des § 329 Abs. 1 S. 1 StPO auslegt.“23 Die Art und Weise wie diese zwei Sätze formuliert sind, ist – gelinde gesagt – an Unverständlichkeit kaum zu überbieten. Allein die Anzahl der verwendeten Relativsätze, die teilweise durch Bindestriche oder Zusätze in Klammern wiedergegeben werden, machen es nahezu unmöglich, den Inhalt zu verstehen, ohne den Text nicht ein weiteres Mal zu lesen. Hinzukommen komplizierte Umschreibungen, die man auch in einem einzigen Wort zum Ausdruck hätte bringen können (z. B. bedeutet die sich über vier Zeilen hinziehende Formulierung „ist es […] gebunden“ nur, dass die beiden Gesetz gleichrangig sind) und völlig überflüssige Zusätze (z. B. „zur Stützung seiner Argumentation ins Spiel gebrachte“). Dabei ist der Inhalt der zitierten Sätze eigentlich völlig banal und könnte wie folgt formuliert werden: „Wenn man bei zwei gleichrangigen Gesetzen einem davon den Vorzug geben will, reicht es nicht aus, nur auf deren Wortlaut abzustellen.“ V. Fazit Wie die genannten Beispiele zeigen, stellt es sich manchmal als schwierig dar, juristische Ausdrücke oder sogar Texte derart umzuformulieren, dass sie für die Allgemeinheit verständlich werden. Dabei gibt es auch keine Gesetzmäßigkeit, dass die nicht-juristische Erklärung zwangsläufig einfacher und kürzer sein muss als der juristische Begriff. Manchmal ist das Gegenteil der Fall. Festzuhalten ist jedoch, dass die juristische Sprache stets den Eindruck vermittelt, äußerst kompliziert zu sein, obwohl die Bedeutung eigentlich eine sehr einfache ist. Auf Grund der Allgegenwärtigkeit rechtlicher Sachverhalte wäre es jedoch wünschenswert, wenn sich die Juristen etwas mehr Mühe geben würden, die Verständlichkeit ihrer Formulierungen zu steigern. Dies könnte nämlich dazu beitragen, dass das Vertrauen der Allgemeinheit in Recht und Gesetz gesteigert wird. Dass dies erforderlich ist, zeigt sich oftmals am Beispiel von Strafverfahren. Die von den Gerichten gefällten Entscheidungen werden häufig als ungerecht bzw. nicht sachgemäß empfunden, wenn man das allgemeine Gerechtigkeitsempfin191 Zukunft der Medien: Qualität und Wahrhaftigkeit den als Maßstab ansetzt. Allerdings ist und bleibt die Juristerei eine Wissenschaft. Es ist schlicht und ergreifend unmöglich, jedes juristische Problem zu lösen, indem man den „gesunden Menschenverstand“ anwendet. Apropos Menschenverstand: Im Volksmund hört man immer wieder folgendes Zitat „Er war Jurist und auch sonst von mäßigem Verstand“, das fälschlicherweise Kurt Tucholsky zugeschrieben wird, um seiner Abneigung gegenüber Juristen Ausdruck zu verleihen. Zu diesem Irrglauben hat das Landesarbeitsgericht Stuttgart wie folgt Stellung genommen: „Einen Grund beleidigt zu sein, hätte vor allem Dr. jur. Kurt Tucholsky, dem ein Zitat von Ludwig Thoma in den Mund bzw. den literarischen Nachlass geschoben wurde.“ Aber auch Ludwig Thoma könnte sich ebenso mit Recht gekränkt fühlen, denn seine ironische Sprachschöpfung wurde durch die unvollständige Zitierung ihres selbstkritischen Witzes beraubt. Schließlich heißt es bei Ludwig Thoma, der selbst Rechtsanwalt war: „Der königliche Landgerichtsrat Alois Eschenberger war [nur] ein guter Jurist und auch sonst von mäßigem Verstand.“ Eschenberger hatte nämlich „im Staatsexamen einen Brucheinser bekommen.“24 Im Gegensatz zur vorherrechenden Auffassung soll durch das Zitat nicht die Juristenschaft mit einer pauschalen Schmähkritik überzogen werden. Vielmehr wird hier eine Einzelperson in ihren durchschnittlichen juristischen Fähigkeiten („guter Jurist“, gerade nicht: „sehr guter Jurist“) beschrieben. Aber diese eigentliche Bedeutung des Zitats dürfte auch kaum einem Juristen bekannt sein. Quellen 1 Prof. Dr. Thomas Fischer wurde im Jahr 2000 zum Richter am Bundesgerichtshof (BGH) ernannt und gehört seitdem dem 2. Strafsenat an, dessen stellvertretender Vorsitzender er zwischen dem 01.04.2008 und dem 24.06.2013 war. Am 25.06.2013 wurde er von der damaligen Bundesjustizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger zum Vorsitzenden des 2. Strafsenats des Bundesgerichtshofs ernannt. Fischer ist in Fachkreisen durch zahlreiche Veröffentlichungen bekannt, insbesondere durch den seit 1999 von ihm herausgegebenen und verfassten und im C.H. Beck Verlag (München) erschienen Kommentar zum Strafgesetzbuch, der zur juristischen Standartliteratur gehört. 2 Das Abstraktionsprinzip ist ein Grundprinzip des deutschen Zivilrechts, wonach das schuldrechtliche Verpflichtungsgeschäft (Vertrag) unabhängig vom späteren sachenrechtlichen Verfügungsgeschäft (Übereignung der Ware und Gegenware, meist Geld) ist. Die Ungültigkeit des einen Geschäfts hat nicht notwendigerweise die Ungültigkeit des anderen zur Folge. Das Abstraktionsprinzip ist gesetzlich nicht geregelt, liegt jedoch dem Bürgerlichen Gesetzbuch (BGB) zugrunde. Es wurde schon im römischen Recht angewandt und dient der Sicherheit im Rechtsverkehr. 192 Formulierungsvorschläge für bürgernahen Journalismus am Beispiel juristischer Fachbegriffe 3 z. B.: http://www.uni-heidelberg.de/studium/interesse/faecher/rechtswiss.html; 19.01.2015 4 http://juris.bundesgerichtshof.de/cgi-bin/rechtsprechung/document.py?Gericht=bgh&Art=en& Datum=Aktuell&nr=60678&linked=pm; 19.01.2015 5 § 370 Abs.5 StGB a.F. lautete: „Mit Geldstrafe bis zu 150 Mark oder mit Haft wird bestraft [...] wer Nahrungs- oder Genußmittel oder andere Gegenstände des hauswirtschaftlichen Verbrauchs in geringer Menge oder von unbedeutendem Werte zum alsbaldigen Verbrauch entwendet oder unterschlägt. Wer die Tat gegen einen Verwandten absteigender Linie oder gegen seinen Ehegatten begeht, bleibt straflos.“ 6 § 248a StGB a.F. gliederte sich auf in zwei verschiedene Tatbestände: den Notdiebstahl und die Notunterschlagung 7 Gegenstand der Notentwendung konnten (im Gegensatz zum Mundraub) neben Nahrungs- und Genussmitteln oder andere Gegenstände des alltäglichen Verbrauchs auch weitere sein, z. B. Geld 8 § 242 Abs.1 StGB lautet: „Wer eine fremde bewegliche Sache einem anderen in der Absicht wegnimmt, die Sache sich oder einem Dritten rechtswidrig zuzueignen, wird mit Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren oder mit Geldstrafe bestraft.“ 9 § 246 Abs.1 und 2 lauten: „(1) Wer eine fremde bewegliche Sache sich oder einem Dritten rechtswidrig zueignet, wird mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder mit Geldstrafe bestraft, wenn die Tat nicht in anderen Vorschriften mit schwererer Strafe bedroht ist. (2) Ist in den Fällen des Absatzes 1 die Sache dem Täter anvertraut, so ist die Strafe Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren oder Geldstrafe.“ 10 § 248a StGB n.F. lautet: „Der Diebstahl und die Unterschlagung geringwertiger Sachen werden in den Fällen der §§ 242 und 246 nur auf Antrag verfolgt, es sei denn, daß die Strafverfolgungsbehörde wegen des besonderen öffentlichen Interesses an der Strafverfolgung ein Einschreiten von Amts wegen für geboten hält.“ 11 § 46 Abs.1 und 2 StGB lauten: „(1) Die Schuld des Täters ist Grundlage für die Zumessung der Strafe. Die Wirkungen, die von der Strafe für das künftige Leben des Täters in der Gesellschaft zu erwarten sind, sind zu berücksichtigen. (2) Bei der Zumessung wägt das Gericht die Umstände, die für und gegen den Täter sprechen, gegeneinander ab. Dabei kommen namentlich in Betracht: die Beweggründe und die Ziele des Täters, die Gesinnung, die aus der Tat spricht, und der bei der Tat aufgewendete Wille, das Maß der Pflichtwidrigkeit, die Art der Ausführung und die verschuldeten Auswirkungen der Tat, das Vorleben des Täters, seine persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse sowie sein Verhalten nach der Tat, besonders sein Bemühen, den Schaden wiedergutzumachen, sowie das Bemühen des Täters, einen Ausgleich mit dem Verletzten zu erreichen.“ 12 § 249 Abs.1 StGB lautet: „Wer mit Gewalt gegen eine Person oder unter Anwendung von Drohungen mit gegenwärtiger Gefahr für Leib oder Leben eine fremde bewegliche Sache einem anderen in der Absicht wegnimmt, die Sache sich oder einem Dritten rechtswidrig zuzueignen, wird mit Freiheitsstrafe nicht unter einem Jahr bestraft.“ 13 § 630 S.1 BGB lautet: „Bei der Beendigung eines dauernden Dienstverhältnisses kann der Verpflichtete von dem anderen Teil ein schriftliches Zeugnis über das Dienstverhältnis und dessen Dauer fordern.“ 14 Henssler in Münchener Kommentar zum BGB, § 630, Rn. 96ff, C.H. Beck Verlag, München, 2012 193 Zukunft der Medien: Qualität und Wahrhaftigkeit 15 Henssler in Münchener Kommentar zum BGB, § 630, Rn. 101, C.H. Beck Verlag, München, 2012 16 http://www.arbeitszeugnis.de/presse/geheimcodeliste.pdf; 19.01.2015 17 http://www.burhoff.de/insert/?/asp_weitere_beschluesse/inhalte/1987.htm; 19.01.2015 18 z. B.: OLG München vom 17.01.2013, Az.: 4 St RR (A) 18/12, abgedruckt in NStZ 2013, 358ff. 19 § 329 Abs.1 S.1 StPO lautet: „Ist bei Beginn einer Hauptverhandlung weder der Angeklagte noch in den Fällen, in denen dies zulässig ist, ein Vertreter des Angeklagten erschienen und das Ausbleiben nicht genügend entschuldigt, so hat das Gericht eine Berufung des Angeklagten ohne Verhandlung zur Sache zu verwerfen.“ 20 Art. 20 Abs.3 GG lautet: „Die Gesetzgebung ist an die verfassungsmäßige Ordnung, die vollziehende Gewalt und die Rechtsprechung sind an Gesetz und Recht gebunden.“ 21 Art. 97 Abs.1 GG lautet: „Die Richter sind unabhängig und nur dem Gesetze unterworfen.“ 22 Art. 46 Abs.1 EMRK lautet: „Die Hohen Vertragsparteien verpflichten sich, in allen Rechtssachen, in denen sie Partei sind, das endgültige Urteil des Gerichtshofs zu befolgen.“ 23 http://www.hrr-strafrecht.de/hrr/archiv/13-10/index.php?sz=8; 19.01.2015 24 http://www.schweizer.eu/fzr/urteils_datenbank.html?id=13672; 19.01.2015 194 Autorenverzeichnis Alte, Florian, wurde 1976 in München geboren. Nach dem Abitur am Franz-Marc-Gymnasium Markt Schwaben studierte er Rechtswissenschaften an der Ludwig-MaximiliansUniversität in München. Das Studium schloss er im Jahr 2000 ab und absolvierte anschließend sein Referendariat am Landgericht Landshut und bei der Regierung von Niederbayern. Nach Ablegung des zweiten Staatsexamens im Jahr 2002 wurde Alte 2003 als Rechtsanwalt zugelassen. Im Jahr 2009 nahm er am Fachstudium Public-Relations an der Bayerischen Akademie für Werbung und Marketing in München teil und ist seit November 2009 Public-Relations-Fachwirt (BAW) und PR-Berater. Während seiner Elternzeit im Jahr 2013 erwarb Florian Alte durch eine Fortbildung an der Deutschen Anwalt Akademie Berlin die Berufsbezeichnung „Fachanwalt für Strafrecht“. Seit 2014 ist er Mitarbeiter am Institut für Journalistik an der Universität der Bundeswehr München. Florian Alte ist seit 2015 zweiter Bürgermeister seiner Heimatgemeinde Anzing. Braun, Joachim, Jahrgang 1965, ist seit 2011 Chefredakteur des Nordbayerischen Kuriers und des Rings Nordbayerischer Tageszeitungen in Bayreuth. Sein journalistisches Handwerk erlernte er in Oberbayern, absolvierte ein Volontariat beim Tölzer Kurier und arbeitete anschließend für den Münchner Merkur und seine Heimatzeitungen, u. a. als langjähriger Redaktionsleiter des Tölzer Kuriers. Für die erfolgreiche Umstrukturierung des Nordbayerischen Kuriers in Bayreuth zeichnete ihn das Medium Magazin zum „Chefredakteur (regional) des Jahres 2012“ aus. 1995 und 2008 erhielt er jeweils einen Sonderpreis beim Deutschen Lokaljournalistenpreis der Konrad-Adenauer-Stiftung. Joachim Braun war vier Jahre lang Mitglied des Projektteams Lokaljournalisten der Bundeszentrale für politische Bildung, seit 2009 ist er Dozent für Investigative Recherche im Lokaljournalismus an der Schweizer Journalistenschule in Luzern/Schweiz. Glasauer, Bernhard, Dr., arbeitet seit 2012 als wissenschaftlicher Mitarbeiter am Lehrstuhl für Print- und Onlinejournalismus der Universität der Bundeswehr München und betreut Forschungsprojekte in den Bereichen nutzerfreundliche und bürgernahe Kommunikation sowie Krisen- und Risikokommunikation. Nach dem Abitur 1998 studierte er Anglistik und Geschichte für das Lehramt an Gymnasien an der Ludwig-Maximilians-Universität München. Ab 2005 promovierte er am Lehrstuhl für Bayerische Landesgeschichte. Nach seiner Dissertation schloss er 2011 die Lehramtsausbildung mit dem Zweiten Staatsexamen und 2012 mit dem Erweiterungsfach Sozialkunde ab. Zu seinen Forschungsschwerpunkten gehören neben bürgernaher Kommunikation vor allem Krisen- und Risikokommunikation sowie mediengeschichtliche, historische, bildungspolitische und didaktische Fragestellungen. 196 Autorenverzeichnis Goderbauer-Marchner, Gabriele, Prof. Dr., ist Professorin für Print- und Onlinejournalismus an der Universität der Bundeswehr München, Fakultät Betriebswirtschaft; Studiendekanin. Berufliche Stationen: Volontariat bei der Landshuter Zeitung, später dort Gesamtredaktionsleiterin und Chefin vom Dienst. Studium der Politik- und Geschichtswissenschaft sowie Amerikanistik an der Ludwig-Maximilians-Universität München, Akademische Rätin am Geschwister-Scholl-Institut; Professur für Redaktionspraxis an der Hochschule Mittweida, anschließend Professorin für Journalismus, Mediengeschichte und Medienpolitik, Filmwirtschaft und Filmgeschichte an der Fachhochschule Würzburg-Schweinfurt. Von 2000 bis Ende 2009 leitete Gabriele Goderbauer-Marchner daneben für den Freistaat Bayern den MedienCampus Bayern, Dachverband für Medienaus- und -weiterbildung. Mehrere Jahre gehörte sie als Mitglied der Fachgruppe Schlüsselqualifikationen der Virtuellen Hochschule Bayerns an. Seit vielen Jahren engagiert sie sich in der Ausbildung junger Journalisten, u. a. bei der Hanns-SeidelStiftung. Sie ist Gutachterin für Begabtenwerke und für die Akkreditierungsagentur FIBAA. Gabriele Goderbauer-Marchner ist in zahlreichen Gremien ehrenamtlich engagiert, so seit vielen Jahren in der Jury des Bayerischen Fernsehpreises; viele Jahre wirkte sie als Mitglied des Vergabeausschusses beim FilmFernsehFonds Bayern in der Filmförderung mit. Sie ist Präsidiumsmitglied der Bayerischen Akademie für Fernsehen (BAF) und engagiert sich als Mitgesellschafterin im Institut für Medienkompetenz. In der Forschung liegen ihre Hauptaugenmerke auf den Themen Qualitätsjournalismus, Innovationsjournalismus, E-Publishing, Filmwirtschaft und Medienkompetenz. Kellner-Zotz, Bianca, M.A., absolvierte nach dem Abitur eine Ausbildung zur Industriekauffrau und berufsbegleitend ein Abendstudium der Betriebswirtschaft an der Verwaltungs- und Wirtschaftsakademie München (1995 bis 1999). Im Anschluss war sie mehrere Jahre als Referentin Öffentlichkeitsarbeit in einem Luft- und Raumfahrtkonzern tätig. Von 2003 bis 2008 Studium der Kommunikationswissenschaft an der Ludwig-Maximilians-Universität München (Bachelor). Praktika bei der Süddeutschen Zeitung und dem Bayerischen Rundfunk. Seit 2008 freie Journalistin, seit 2010 freie Dozentin. Master-Studium Kommunikationswissenschaft an der Ludwig-Maximilians-Universität München von 2012 bis 2014. Titel der Masterarbeit: „Erziehungsziel: Auffallen. Warum sich Eltern nach Aufmerksamkeit sehnen und das Familienleben zu einem abwechslungsreichen Projekt machen. Eine qualitative Untersuchung zur Medialisierung des Systems Familie“. Studentische Hilfskraft an der Professur für Print- und Onlinejournalismus am Institut für Journalistik der Universität der Bundeswehr München 2014. Seit Januar 2015 wissenschaftliche Mitarbeiterin am Institut für Kommunikationswissenschaft der Ludwig-Maximilians-Universität München. 197 Zukunft der Medien: Qualität und Wahrhaftigkeit Langenohl, Susanne, Dr., Jahrgang 1980, war von 2009 bis 2011 Lehrbeauftragte am Institut für Medien- und Kommunikationswissenschaft der Alpen-Adria-Universität Klagenfurt. 2011 bis 2012 war sie wissenschaftliche Mitarbeiterin am Lehrstuhl für Kommunikationswissenschaft der Universität Augsburg, 2013 bis 2014 wissenschaftliche Mitarbeiterin am Lehrstuhl für empirische Kommunikationswissenschaft und am Lehrstuhl für Medienwandel der Ludwig-MaximiliansUniversität München. Seit 2014 ist sie als Manager Audience and Media Research bei Sky Deutschland tätig. Die Münchnerin schloss 2005 ihr Studium in Publizistik und Kommunikationswissenschaft an der Alpen-Adria-Universität Klagenfurt ab, 2009 ihre Promotion am Institut für Kommunikationswissenschaft und Medienforschung der Ludwig-Maximilians-Universität München. Maier, Tobias, Dr., hat Soziologie, Politikwissenschaft und Pädagogik im Magisterstudiengang an der Universität Regensburg abgeschlossen und wurde ebendort in Politikwissenschaft promoviert. Seit 2014 ist er als wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Professur für Print- und Onlinejournalismus (Institut für Journalistik) an der Universität der Bundeswehr München in verschiedenen Drittmittelprojekten tätig. Forschungsschwerpunkte sind neben bürgernaher Kommunikation das Verhältnis von Demokratie und Medien sowie Fragestellungen im Bereich journalistischer Ethik. Neuberger, Christoph, Prof. Dr., ist Professor für Kommunikationswissenschaft (Schwerpunkt Medienwandel) an der Ludwig-Maximilians-Universität München. Zuvor lehrte er an der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster (2002-2011) und an der Universität Leipzig (2001-2002). Studium, Promotion, Habilitation und Tätigkeit als wissenschaftlicher Mitarbeiter (1995-2001) an der Katholischen Universität Eichstätt-Ingolstadt. Mitglied im Beirat für den Grimme-Preis und den Grimme Online Award. Arbeitsgebiete: Journalismus, Medienqualität, Öffentlichkeit und Journalismus im Internet. Nuernbergk, Christian, Dr., Jahrgang 1979, ist Akademischer Rat auf Zeit an der Ludwig-Maximilians-Universität München. Er studierte Kommunikationswissenschaft, Politikwissenschaft sowie Wirtschaftspolitik an der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster. Während seines Promotionsstudiums in Münster arbeitete er von 2006-2011 auch als Wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Kommunikationswissenschaft. Er bearbeitete an der WWU Münster mehrere Forschungsprojekte, u. a. das von der DFG geförderte Projekt „Journalismus im Internet“ sowie die Studie „Twitter und Journalismus“ im Auftrag der Landesanstalt für Medien Nordrhein-Westfalen. In seiner Dissertation beschäftigte sich der gebürtiger Hamburger mit dem Thema „Anschlusskommunikation in der Netzwerköffentlichkeit“ (erschienen 2013). 2011 wechselte er an die LMU München und ist dort am Lehrstuhl von Prof. Dr. Christoph Neuberger beschäftigt. 2013/2014 absolvierte er Gastaufenthalte an der Queensland University of Technology im Rahmen eines länderübergreifenden Projekts über die Kommunikation deutscher und australischer Politiker auf Twitter (gefördert von DAAD und ATN). Seine Forschungsinteressen sind: Journalismus im Internet (v. a. Partizipation/Technisierung), Politische Kommunikation im Internet, Netzwerkanalyse/Methoden. 198 Autorenverzeichnis Roth, Sandra M., M.A., Jahrgang 1981, ist seit 2009 freie Trainerin und Dozentin für deutsche Sprachwissenschaft, interkulturelle Kommunikation, Rhetorik und Deutsch als Fremdsprache an verschiedenen Universitäten im In- und Ausland. Von 2009 bis 2012 war sie Mitarbeiterin an der Universität Regensburg, Lehrstuhl für Deutsche Sprachwissenschaft, seit 2012 ist sie an der Universität der Bundeswehr München, Professur für Print- und Onlinejournalismus, tätig. Die Vilsbiburgerin schloss 2009 ihr Studium in Englischer, Französischer und Deutscher Philologie und Deutsch als Fremdsprache für das Lehramt an Gymnasien sowie im Magisterstudiengang an der Universität Regensburg ab. Von 2004 bis 2005 studierte sie als Graduierte an der University of North Dakota in Grand Forks/USA und lehrte dort am Lehrstuhl für Fremdsprachen Deutsch. Promotionsbegleitend absolvierte sie Zusatzstudien in internationaler rhetorischer Kompetenz und in mündlicher Kommunikation und Sprecherziehung an der Universität Regensburg. Zu ihren Forschungsschwerpunkten gehören Mehrsprachigkeit, Variations- und Varietätenlinguistik, die deutsche Sprache im Ausland, Mediensprache und Sprache in den Medien, Kommunikationspsychologie, Textlinguistik sowie sprach-, bildungspolitische und didaktische Fragestellungen zur Sprach(wissens)- und Kommunikationsvermittlung. Zu ihren Forschungsschwerpunkten hat sie Vorträge bei Tagungen im In- und Ausland gehalten. Sie war Promotionsstipendiatin der Hanns-Seidel-Stiftung. Schardt, Barbara, Studium der Soziologie, Politikwissenschaft und Geschichte. Redakteurin bei CAPITAL, wechselte dann zu G+J Film und Fernsehen. Redaktionsleiterin bei AVE, TV-Tochter der Verlagsgruppe von Holtzbrinck. Entwicklung diverser Fernsehformate , Realisierung zahlreicher Dokuthemen. Von 1993 bis 2000 pers. Referentin und Büroleiterin von Dr. Leo Kirch. Danach PRODUCERS‘ AG, und freie Drehbuchberatung, Projekt-Management. 2006 Übernahme des Management des Cluster audiovisuelle Medien des Freistaats Bayern. Seit 2012 freiberuflich als Geschäftsführerin der Deutschen Akademie für Fernsehen, Tagungsplanerin, Referentin und Beraterin tätig. Seit 2015 Vorstandsmitglied von TOP:Talente e.V., Akademie für Film- und Fernsehdramaturgie. Sontheimer, Rainer, Dr., Jahrgang 1977, nach dem Abitur Examen als Krankenpfleger, Berufsfachschule für Krankenpflege München. Diplom in Soziologie, Sozialpsychologie und Philosophie, Ludwig-Maximilians-Universität München. Titel der Diplomarbeit: „Die mediale Inszenierung von Körpern und Emotionen als kosmopolitisches Ereignis in den Videos von Rammstein.“ Dissertation zum Dr. phil. in Soziologie/ Philosophie an der Ludwig-Maximilians-Universität München, Betreuung: Prof. Dr. Ulrich Beck. Thema der Dissertation: „Doing Philosophy? Eine soziologische Analyse philosophischer Beratungspraxis“, erschienen 2013 im LIT-Verlag. Alt-Stipendiat der Hanns-Seidel-Stiftung, zuvor Promotionsstipendiat und Stipendiatengruppensprecher, Gründer des Doktorandennetzwerks docnet-hss. Lehrbeauftragter am Institut für Soziologie, Ludwig-Maximilians-Universität München. Wissenschaftliche Tätigkeiten an der Universität der Bundeswehr München, an der Ludwig-Maximilians-Universität München sowie bei verschiedenen Unternehmen. Diverse Vorträge (u. a. Venice International University, Universität für Musik und darstellende Kunst Wien, Universität Halle, Wildbad Kreuth) und Publikationen zu soziologischen/philosophischen Beratungen, Soziologie und Rockmusik. Forschungsthemen: Lebenskunst(-philosophie/-soziologie), praktische Soziologie, Musiksoziologie, Kosmopolitismus, Netzpolitik, Mediensoziologie. Aktuelle Tätigkeit: wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Universität der Bundeswehr München, Institut für Journalistik. 199 Zukunft der Medien: Qualität und Wahrhaftigkeit Stempfhuber, Karin, M.A., arbeitet seit 2014 als wissenschaftliche Mitarbeiterin an der Professur für Print- und Onlinejournalismus der Universität der Bundeswehr München. Sie betreut Forschungsprojekte in den Bereichen nutzerfreundliche und bürgernahe Kommunikation sowie Krisen- und Risikokommunikation. In diesen Kommunikationsfeldern verfügt sie über jahrelange Expertise. Als PR-Beraterin und Pressesprecherin betreute sie unter anderem Unternehmen und Institutionen in hochsensiblen IT-, Security- und Medizin-Bereichen. Als ausgebildete Tageszeitungsredakteurin weiß sie zudem um die Bedeutung und die Umsetzung bürgernaher Kommunikation und Sprache. Bevor sich Karin Stempfhuber den Themen Krisen- und Risikokommunikation auf Unternehmensseite widmete, hatte sie nach dem Studium der Politischen Wissenschaft, der Kommunikationswissenschaft und der Wirtschaftspsychologie an der Ludwig-Maximilians-Universität München sowie einem Zeitungsvolontariat mehrere Jahre als Redakteurin gearbeitet. Zu ihren Schwerpunkten gehören auch Unternehmenskommunikation, Kommunikationskonzepte, interne Kommunikation und Verbandskommunikation sowie Sportjournalismus. Karin Stempfhuber ist Leiterin des Fachbereichs Presse beim Verband Deutscher Sporttaucher und verantwortet als Chefredakteurin das auflagenstärkste Tauchmagazin Deutschlands. Darüber hinaus ist sie als freie Journalistin tätig. Tomaschowski, Franz, Prof., Jahrgang 1957, verbindet seine künstlerische Arbeit mit der wissenschaftlichen Auseinandersetzung über das Sehen. Im Blickpunkt stehen die Wechselwirkung von äußeren und inneren Bildern sowie die dadurch entstehenden Interpretationen und Empfindungen. Nach seinen Studien an der Hochschule für Bildende Künste in Braunschweig und der Fachhochschule Hannover, Fachbereich Design, sowie der Hochschule für Kunst und Musik erfolgte 1985 sein Abschluss als Diplom-Designer. Tätigkeiten u. a. als Fotograf am Bremer Theater, im Medienbereich die Entwicklung von AV-Produktionen sowie in diversen Agenturen. Lehrtätigkeiten an verschiedenen Hochschulen. 2004 erfolgte die Berufung zum Professor für Bildkommunikation an der „Mediadesign Hochschule” in München. In der Folgezeit erschienen diverse Veröffentlichungen zum Thema. 200 Impressionen der journalistischen Lehre an der Universität der Bundeswehr München Medienfachexkursion mit der Mastergruppe Journalistik nach Berlin – hier vor dem AxelSpringer-Haus Notizen des Masterworkshops zur Erstellung eines Drehbuchs für Spiegel TV History Buchvorstellung an der Universität der Bundeswehr München: Ex-Tatort-Kommissar Gregor Weber, Autor von „Krieg ist nur vorne Scheiße, hinten geht´s!“ (Droemer), mit Uni-Presseleiter Michael Brauns und Prof. Dr. Gabriele Goderbauer-Marchner Bei Oberst Hilmar Kuhn in der (Zentral-)Redaktion der Bundeswehr in Berlin 202 Impressionen der journalistischen Lehre Übergabe der Master-Zeugnisse: rechts Dekan Prof. Dr. Carsten Rennhak Zu Medien gehört – mehr denn je – das Bild! Exkursion zum Münchner Merkur – Hintergrundgespräch mit Chefredakteurin Bettina Bäumlisberger Spannende Eindrücke für den Masterkurs bei Sky – mit Sky Deutschland Senior Vice President Roman Steuer (Mitte) und Ex-BLM-Präsident Wolf-Dieter Ring (links) 203 Impressum Dieses Buch wird herausgegeben als Begleitung der Medienfachtagung 2015 des Instituts für Journalistik, Fakultät für Betriebswirtschaft, an der Universität der Bundeswehr München im Mai 2015. Es ist der erste Band der Reihe „medien aktuell“. Herausgeber: Prof. Dr. Gabriele Goderbauer-Marchner, M.A. Lektorat: Sandra M. Roth, M.A./Karin Stempfhuber, M.A. Layout, Satz und Umschlaggestaltung: totolo Kommunikation, München Titelbild: Sergey Nivens – Fotolia.com Druck: Druckerei WIRmachenDRUCK GmbH, Backnang ISBN: 978-3-00-049460-4 Kontakt: Universität der Bundeswehr München Fakultät für Betriebswirtschaft Institut für Journalistik Werner-Heisenberg-Weg 39 85577 Neubiberg Internet: www.unibw.de/bw Schutzgebühr: 10,00 Euro © 2015 Universität der Bundeswehr München Fakultät für Betriebswirtschaft Institut für Journalistik Das Institut für Journalistik beschäftigt sich im Bachelor- wie im Master-Studiengang „Management und Medien” mit Themen zur Qualität im Journalismus und dem Medienwandel. Auch externe Autoren mit großer Fachexpertise kommen in diesem Band zu Wort. Bei der aktuellen Grundlagenforschung stehen Veränderungsprozesse, Social Media, moderne, bürgernahe, bürgerfreundliche und zielgruppenspezifische Kommunikationsaspekte und -lösungsvorschläge im Zentrum, teils dargelegt an Fallbeispielen des Bevölkerungsschutzes und der Katastrophenhilfe. ISBN 978-3-00-049460-4 9 783000 494604 Schutzgebühr: 10,00 Euro medien aktuell – Band 1