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Thelema Society: The Message
"Thelema kann nur dann ein neues Äon verwirklichen, wenn der
Mensch staunt über die Schönheit und den Willen seiner Mitmenschen.
Das Liber AL und seine Botschaft ist so quasi die Brille, um die
Schönheit des Mitmenschen wahr zu nehmen - meint der Spectator"
(Beitrag aus dem Thelema-Forum)
Hier ist die Botschaft von Thelema
in den Worten der Thelema Society (TS).
"The Message" richtet sich nicht an Empfänger von Informationen,
sondern an die Empfänglichen.
Nur der Betroffene versteht, was gesagt wird.
Zum Verstehen: Im folgenden Text steht z.B., "Nur wer geht weiß, daß ein Weg ist". Man
könnte denken, daß es richtig heißen müßte: "Nur wer geht, weiß, daß es ein Weg ist."
Wenn man beide Formulierungen vergleicht, sieht man, daß die Bedeutung verschieden ist.
Es ist gemeint, was da steht. An einer anderen Stelle steht ein Rilke-Zitat: "Du mußt dein
Leben ändern." Warum nicht einfach dieser Satz, warum als Zitat? Weil nicht gemeint ist,
was der Satz an sich sagt, sondern was das Zitat, d.h. dieser Satz bei Rilke, in dem
genannten Gedicht besagt.
Hier werden keine Begriffe definiert, man muß die Worte sprechen lassen und der Fülle der
Sprache lauschen. Wie jeder Text, kann dieser nur verstanden werden, wenn man eine Frage
an ihn stellt, von der man betroffen ist.
"Empfänger von Informationen" werden diese Unterschiede der Bedeutung nicht bemerken
und deshalb falsch verstehen. Ansonsten: Wegen der gebotenen Kürze der Ausführungen
sind viele Punkte nur paradigmatisch, idealtypisch und verdichtet dargestellt. In den Foren
der Thelema Society besteht Gelegenheit zu Vertiefung, Information, Diskussion und
Gespräch.
Email: [email protected]
Web: www.thelema-society.de
Thelema Society
The Message
Prolog
Thelema ist eine Frage.
Eine Frage an wen?
Eine Frage an den, der sich selbst zur Frage geworden ist.
Thelema ist eine Antwort.
Antwort worauf?
Eine Antwort auf die Frage, die wir sind.
Was antwortet die Antwort?
Thelema ist Lebenskunst Kunst zu leben, Kunstwerk des Lebens:
Frage, Suche und Antworten, die Fragen sind.
Thelema ist ein Weg der Erfahrung der unverstellten Erfahrung des eigenen Lebens:
man weiß niemals alles, aber Bescheid.
Nur wer geht weiß, daß ein Weg ist.
Götter gehen!
Götter ...
in dieser dürftigen Zeit?
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Thelema Society
The Message
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Thelema und die Thelema Society
"Von hier und heute geht eine neue Epoche der Weltgeschichte aus
und ihr könnt sagen, ihr seid dabeigewesen."
Goethe, anläßlich der Kanonade von Valmy, in der sich die französische Revolutionsarmee als unbesiegbar
erwies.
Die Geschichte der Thelema-Society (TS) reicht zurück bis in das Jahr
1982. Damals wurde in Berlin der Orden A. .. A... Thelema gegründet. Aus
dem Orden entstand die "Life Unlimited Society of Thelema" (L.U.S.T), aus
dieser die "Ethos Gemeinschaft Thelema" (EGT) und endlich die
Thelema-Society. Das war ein Weg, der von einem straff hierarchisch
organisierten hermetischen Orden zu einer demokratisch-offenen
Gemeinschaft führte, die in der dynamischen thelemischen Bewegung
verankert ist.
Über 20 Jahre der Frage und der Suche, des Experimentierens und des
Lernens - jetzt: The Message. Keine Wahrheit, ein Weg, vielleicht ein Weg
für dich!
"The Message" ist die Grundlage der Thelema Society.
Es ist der Boden unseres Fragens und Gehens,
nicht aber eine Lehre, die nur belehrt.
Jeder hat seine Weltanschauung - wir nicht. Thelema ist keine
Weltanschauung, sondern ein Weg des In-der-Welt-seins. Ein Weg, auf
dem das Leben wieder unmittelbar zum Ausdruck kommt: Da-bei-sein und
Bei-sich-sein. Das Verfallen in die Zwangsjacke der Begriffe oder die
Gummizelle des Zeitgeistes ist Weglaufen vor dem Leben. Es geht um:
Nichtweglaufen. Leben ist nur, wenn es gelebt wird. Leben ist Wachsein für
sich selbst.
"Weltanschauung" ist kein unideologisch-neutraler Begriff, sondern ein Begriff, der so
vertraut ist, daß die Ideologie darin nicht einmal mehr bemerkt wird. Nichts beherrscht uns
hartnäckiger als das scheinbar Fraglose.
Jede Weltanschauung setzt (oder ist) ein Weltbild. Im Weltbild wird nicht ein Bild der Welt
angeschaut, sondern die Welt wird als Bild begriffen, mit dem Bild identifiziert. Es gibt keine
Welt hinter dem Bild. Die Weltkarte ist die Welt. Das Bild ist alles, die Welt verloren. Der
Mensch ist, als zur Welt gehörend, im Weltbild. So ist er genauso nur Bild - und genauso
verloren wie Welt. Das mündet in beliebige Verfügbarkeit von Welt und Leben, denn
Weltanschauungen sind kontingent (auch anders möglich). Weltanschauungen sind
bodenlose Provinzen im Schattenreich der Begriffe. Sie sind keiner denkenden Begründung
fähig, weil sie das denkende Fragen nicht zulassen.
Beispiel: Einige Weltanschauungen sind hochkomplexe Begriffssysteme, z.B. Christentum,
Marxismus, Kapitalismus, anderen genügen fünf Wörter: "Lebe im Hier und Jetzt". Jeder
Mensch lebt immer im Hier und Jetzt, "Hier" ist überall und "Jetzt" ist jederzeit. "Hier" und
"Jetzt" sind die allgemeinsten Allerweltsbegriffe, die denkbar sind. Wer diese
Weltanschauung vertritt, kann weitermachen wie vorher. Aber dieses Weitermachen ist nun
spirituell überhöht: Ich bin etwas Besonderes, ich lebe im Hier und Jetzt. Jede Handlung ist
gerechtfertigt: Ich plane nicht voraus, ich denke nicht an die Vergangenheit, ich bin spontan,
ich lebe im Hier und Jetzt.
Natürlich können Weltanschauungen miteinander verbunden werden, z.B. christlicher Gott
plus Leben im Hier und Jetzt. Instant-Individualität aus genormten Bauklötzchen.
Damit ist die Dürftigkeit der modernen Welt schon beschrieben. Weltbilder sind weder wahr
noch falsch, einfach wahrheitslos. Die Welt ist nicht Welt, sondern Bild des "Wie" des
Thelema Society
The Message
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Erscheinens (wie funktioniert das). Weltanschauungen sind Schein-Wissen. Ihr einziger
Inhalt ist: die Sinnlosigkeit der modernen Welt, der blinden Herrschaft des Machens (Zweck
und Mittel) zu verschleiern. Wir leben nicht mehr in der wirklichen Welt, sondern in einer
inszenierten Hyperrealität (Baudrillard).
Aber Thelema ist keine Gegen-Bewegung. Weder gegen Weltanschauung noch gegen die
moderne Welt. Jedes Gegen ist verklammert in das, wogegen es ist. Es hat keine eigene
Identität, sondern bestimmt sich aus dem Gegen. Thelema ist ein Anfang und ein Aufbruch.
Ein Anfang jenseits des Gegen und der unmittelbaren Vergleichbarkeit. Thelema ist
fragendes Denken - und fragendes Denken ist weltanschaulich nicht zu binden.
Thelema ist
ein Anfang und ein Aufbruch.
In-der-Welt-sein ist nicht zu verwechseln mit dem sogenannten natürlichen
Leben. Die Natur weiß nichts vom Menschen. Es gibt weder ein weltloses
Ich, noch ein Ich ohne die Anderen. In-der-Welt-sein beinhaltet Welt und
Mensch fragend, denkend und handelnd zu erschließen. Denkend? "Das
Denken beginnt erst dann, wenn wir erfahren haben, daß die seit
Jahrhunderten verherrlichte Vernunft die hartnäckigste Widersacherin des
Denkens ist." (Heidegger)
Die Geschichte der westlichen Welt ist der Zerfall des Denkens und der
Wahrheit in Kunst, Religion und Philosophie. Gewonnen hat diesen Kampf
eine Sekte der Philosophie, die Wissenschaft. Kunst gilt als Schein,
Philosophie als nutzlos und Religion ist unglaubwürdig. Im Wesen aber ist
Kunst die Kunst, Wahrheit zu eröffnen, Philosophie die Kunst des
existentiellen Fragens und Religion die Kunst dessen, was der Mensch aus
seinem Solitärsein macht. Thelema sucht die Einheit des Getrennten. Wir
nennen es Kunst.
Die Alltäglichkeit ist das "Einerlei, die Gewohnheit", das "wie gestern, so
heute und morgen", das "Zumeist" (Heidegger). Die Alltäglichkeit ist jedem
bekannt durch die Befindlichkeit der fahlen Unbestimmtheit und durch die
Dumpfheit, in der wir versinken und der wir durch Zerstreuung auszuweichen
suchen. Die Alltäglichkeit ist eine Weise des Lebens: die Art des Lebens, in
der es sich alle Tage hält und das Wie es in den Tag hineinlebt. Thelema ist
die Verstörung der Selbstverständlichkeit des Alltäglichen, weil Thelema
das Leben gegen seine eigene Verdeckungstendenz erobert.
Thelema basiert auf den unverstellten Erfahrungen des eigenen Lebens,
der Wiedererkennung dieser Erfahrungen in den Heiligen Büchern und der
Verschmelzung uralter spiritueller Lehren der Menschheit mit modernem
wissenschaftlichen Denken.
Die Thelema Society hat bevorzugte literarische Gesprächspartner, welche
unser Fragen und Suchen verständnisvoll und anregend begleiten: die
Heiligen Bücher:
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Das Liber AL vel Legis (AL), wie es von Aiwass an Aleister Crowley am
8., 9. und 10. April 1904 gegeben ward. Das Liber AL dichtet ein neues
Zeitalter der Menschheit. Es ist keine Offenbarung, sondern ein
Kunstwerk. "Ein solches Ereignis vergißt sich nicht." (Kant, von der französichen
Revolution)
Thelema Society
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Zarathustra, von Friedrich Nietzsche, das "Schwesterbuch" des Liber
AL. Das christliche Zeitalter, konsequent zu Ende gedacht, versinkt im
Nihilismus, ein neues Zeitalter wird angekündigt.
Das Thomas-Evangelium, eine apokryphe Schrift, welche an unsere
spirituelle Tradition rückerinnert.
Das Liber AL vel Legis ist die Grundlage der Thelema-Society, die beiden
anderen Bücher sind Ergänzungen (s.u. "Wer?"). Die Thelema-Society ist
thelemisch, aber nicht crowleyanisch. Die Schriften Aleister Crowleys sind
Interpretationen des Liber AL im gleichen Rang wie andere Interpretationen.
Es gibt keine dogmatische Auslegung der Heiligen Bücher. Jeder Mensch
führt selbst das Gespräch und versteht, wie er oder sie versteht.
Ein zentraler Vers des Liber AL lautet: "Das Wort des Gesetzes ist Θεληµα".
"Thelema" ist ein griechisches Wort und bedeutet: "das Wollen, Wille,
Wohlgefallen". Es ist kein Zufall, daß "Wille" als griechischer Begriff und in
griechischen Buchstaben geschrieben ist. "Thelema" hat eine etwas andere
Bedeutung als "Wille". Es ist nicht der subjektive Wille des einzelnen
Menschen gemeint, kein Macht- oder Selbsterhaltungswille, sondern ein
Wille, den Crowley als den "Wahren Willen" bezeichnete: ein Wille, in dem
der Mensch sich nicht selbstsüchtige Tyrannei anmaßt, sondern sich auf das
Ganze der Welt und der Menschen einstimmt. Dazu später genaueres.
Obwohl die Endung weiblich klingt, ist Thelema sächlich. "Thelema" tritt erstmals im ältesten
griechischen Neuen Testament gehäuft auf. Die alten griechischen Philosophen, z.B. Platon
und Aristoteles, kannten dieses Wort nicht. Interessant ist der Zusammenhang, in dem
Thelema auftritt: Es ist der Wille Gottes oder des Volkes, also immer ein Gesamt- oder
Gemeinschaftswille. Typisch z.B. im "Vaterunser" und der Bergpredigt als "Vater, dein Wille
(thelema) geschehe" und in Jesu Gebet und Bitte an den Vater am Ölberg: "Vater lass diesen
Kelch an mir vorübergehen, aber nicht mein Wille (thelema) geschehe, sondern der Deine!".
Sehr deutlich in Apk. 4,11: "durch dein thelema waren und wurden alle Dinge geschaffen". Es
ist nicht der Einzelwille und auch kein Wille des Machens durch Zweckrationalität, sondern
ein Schaffenswille im Sinnzusammenhang des Ganzen.
Thelema weist Fundamentalismus, also Essentialismus (die Anmaßung
des Schon-in-Besitz-Seins einer für absolut erklärten Wahrheit) und
Relativismus (die Behauptung, es gäbe keine Wahrheit und alles sei
beliebig) unbedingt zurück. Jede fundamentalistisch überhöhte
Überzeugung macht Gespräch, Respekt und Lernen unmöglich.
Fundamentalismus ist totalitär, weil die eigenen Überzeugungen
verabsolutiert werden. Andersdenkende können nur noch als Ungläubige,
Unwissende oder Untermenschen behandelt, bestenfalls toleriert, nicht aber
als Mitmenschen, als Sterne unter Sternen, respektiert werden.
Hinter dem Ganzen der Wahrheitbleibt der Mensch ewigstrebend zurück. Sein Verhältnis zur
Wahrheit ist Suchen und Fragen. Wahrheit enthält wesentlich Irre, ist
Unverborgenheit-und-Verborgenheit. "Das Leben ist diesig. Es nebelt sich ständig selber
wieder ein." (Heidegger) Fundamentalismus ist abstrakt. Er versäumt und verdeckt das
Wesentliche. Worauf es ankommt, ist die Verwurzelung des Lebens im faktischen
In-der-Welt-sein: Lebenserfahrung!
Fundamentalismus ist die Basis von Grausamkeit und jeder Fundamentalist ist potentiell
grausam: Er verweigert anderen Menschen und Wahrheiten grundsätzlich nicht nur den
Respekt, sondern sogar schon die Achtung. Ob Grausamkeit mit der Waffe in der Hand,
durch Rückzug in die Eremitenzelle oder durch predigende Bekehrungsversuche ausgeübt
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wird, ist nur ein Unterschied im Grad, nicht in der Sache. Grausamkeit ist die Todsünde
(unverzeihlich) wider den Geist der Menschheit und des Menschlichen, Fundamentalismus
die Ursünde (aus der alle Sünden entstehen).
Das Selbstverständliche schließlich ist unaufgeklärter Fundamentalismus. Es besteht aus
Gewißheiten, die so selbstverständlich sind, daß sie nicht als Dogma erkannt werden, weil
die Wahrheitsfrage nicht einmal gestellt werden kann.
Ein Thelemit ist ein Mensch,
der niemals Schmerz zufügt.
Das ist kein theoretischer Aussagesatz, sondern eine Lebenseinstellung.
Die heutigen Religionen sind fundamentalistische Weltanschauungen. Jede
Religion hat ein Dogma, welches als ewige Wahrheit geglaubt wird.
Deshalb: Thelema ist keine Religion. "Ich bin in einem geheimen,
vierfachen Wort die Blasphemie gegen alle Götter der Menschen" (AL).
Dieses "vierfache Wort" lautet: Tue was du willst! Daraus folgt: Gehorche
nie, auch keinem Gott! Warum? "Um der Schönheit und der Liebe willen"
(AL).
Religionen waren bis in das 18. Jahrhundert gewußte Selbstverständlichkeit. In der heutigen
Welt sind Religionen geglaubte Weltanschauungen - nicht besser oder schlechter als andere
Weltanschauungen, z.B. wissenschaftliche, kommunistische oder kapitalistische. Es gibt
keinen Weg zurück in die Vergangenheit. Deshalb ist Religion - Geschichte. Religionen sind
die Lichter längst erloschener Sterne: "Gott ist tot" (Nietzsche).
In dieser Situation der äußersten Verlassenheit ist Fragen nicht mehr nur die überwindbare
Vorstufe zur Antwort als Wissen, sondern das Fragen wird selbst zur höchsten Art des
Wissens.
Die einzige Weltreligion, mit der Thelema Gemeinsamkeiten hat, ist der Buddhismus, weil
dieser mehr Weg als Dogma ist. Aber dem buddhistischen "Alles ist Leid" setzt Thelema
"Alles Dasein ist reine Freude" (AL) entgegen. Dem buddhistischen Primat der vita
contemplativa, typisch für das alte Äon, stellt Thelema das Primat der vita activa gegenüber.
Es ist deshalb falsch, Thelema, wie geschehen, als "Buddhismus des Westens" zu
bezeichnen.
Thelemiten werden oft des Satanismus geziehen. Satanismus ist eine
religiöse Weltanschauung, Thelema nicht: Thelemiten glauben weder an
transzendente Götter (wie z.B. Christen) noch an dazu passende Teufel. Der
thelemische Weg des sich zu sich selbst Zurückreißens des Lebens, ist,
religiös gesprochen, eine Handaufhebung gegen Gott. Da das aber die
einzige, dem Leben als Leben verfügbare Möglichkeit zu leben ist, stünden
Menschen allein damit ehrlich vor Gott.
Satanismus ist eine spezifisch christliche Erscheinungsform des Religiösen. Im erweiterten
Sinne wird Satanismus zur Bezeichnung von Weltanschauungen verwendet, die dasBöse
präferieren. So werden z.B. die USA aus mohammedanischer Sicht oft als "Der große Satan"
bezeichnet. Aus christlicher Sicht werden viele antichristliche Weltanschauungen als
Satanismus verunglimpft. Neuerdings haben die Christen den Neosatanismus erfunden.
Damit werden Menschen bezeichnet, die nicht an einen allmächtigen Gott glauben, sondern
auf die Kraft des Menschen bauen - was auf Thelemiten zutrifft. Im Gegenzug könnten wir
natürlich Menschen, die an allmächtige Götter glauben, als Gottsklaven und ihre Götter als
Sklavengötter bezeichnen. Wir werden das nicht tun. Kampf der Weltanschauungen ... das
ist nicht unser Ding.
Auf die sonstigen Vorwürfe, die in den Medien und von sogenannten
Sektenberatern gegen Thelema erhoben werden, antworten wir: "Alles
Große steht im Sturm" (Platon).
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Thelema ist ein spiritueller Weg. Jede Religion ist im Kern ein spirituelles
Kunstwerk, ursprüngliche Dichtung des Seins. Das hat Thelema mit Religion
gemein. Zur absoluten Wahrheit mutiert, bleibt von dem Kunstwerk als
Restbestand Grausamkeit. Dieser Mutation verweigert sich Thelema. Zur
Weltanschauung verfallen, degeneriert das Kunstwerk zur Soap-Opera.
Dieser Degeneration verweigert sich Thelema.
Im Liber AL sprechen drei Personen. Nenne sie Gottheit, Götter, Schicksal,
Vorsehung oder Urprinzipien - wie du willst:
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Nuit, Weiblich, Natur, das Wahrgenommene, Kraft, Dunkelheit: "Ich bin
der unendliche Raum und die unendlichen Sterne darin." (AL)
Hadit, Männlich, Bewußtsein, das Wahrnehmende, Form, Licht: "Ich bin
die Flamme, die in jedem Menschenherzen brennt." (AL)
Ra-Hoor-Khuit, Kind, Leben, Handeln, Wirklichkeit, die verheißene
Wiederkunft Christi, des Demiurgen des alten Äons (Weltzeitalter) als
Horus, das gekrönte und erobernde Kind, Demiurg des Neuen Äons:
"Aufgehoben sind alle Rituale, alle Prüfungen, alle Worte und Zeichen.
Ra-Hoor-Khuit hat seinen Sitz genommen im Osten, zur Äquinox der
Götter; und Asar [Osiris] sei mit Isa [Jesus], auch sie sind eins. Doch sie
gehören nicht zu mir. Asar sei der Anbeter, Isa der Leidende; Hoor in
seinem geheimen Namen und Glanz ist der initiierende Herr." (AL,
Einfügungen in [] vom Verfasser)
Religion ist die Aufhebung des Mythos. Thelema ist die Aufhebung der Religion. Die
Gültigkeit der Religion ist beendet, die bewahrenswerten mystischen und humanistischen
Elemente werden bewahrt, Religion wird zu Kunst erhoben. Aleister Crowley schreibt in
seinem "New Comment" zum Liber AL zu o.g. Vers:
"This verse declares that the old formula of Magick - the
Osiris-Adonis-Jesus-Marsyas-Dionysus-Attis-etcetera formula of the Dying God - is no longer
efficacious. It rested on the ignorant belief that the Sun died every day, and every year, and
that its resurrection was a miracle.
The Formula of the New Aeon recognizes Horus, the Child crowned and conquering, as God.
We are all members of the Body of God, the Sun; and about our System is the Ocean of
Space. This formula is then to be based upon these facts. Our "Evil", "Error", "Darkness",
"Illusion", whatever one chooses to call it, is simply a phenomenon of accidental and
temporary separateness. If you are "walking in darkness", do not try to make the sun rise by
self-sacrifice, but wait in confidence for the dawn, and enjoy the pleasures of the night
meanwhile.
The general illusion is to the Equinox Ritual of the G.'. D.'. where the officer of the previous
six months, representing Horus, took the place of the retiring Hierophant, who had
represented Osiris.
Isa is the Legendary "Jesus", for which Canidian concoction the prescription is to be found in
my book bearing that title, "Liber DCCCLXXXVIII"."
Unter Thelemiten finden oft heftige Fehden statt, ob die Personen des AL
unpersönliche Urprinzipien oder personale Götter sind. Der Streit ist
fruchtlos. Geist und Materie sind zwei Pole unseres einheitlichen
In-der-Welt-seins. Eine angemessene Bezeichnung könnte
"Urerfahrungen" sein. Bevor wir aber dem Leser derartige Neologismen
zumuten, reden wir lieber von Göttern - und meinen damit Urerfahrungen!
In jeder Erfahrung ist Materielles und Geistiges enthalten. Wer die Welt aus dem Materiellen
erklären will, kann das Geistige nicht erklären und umgekehrt. Wer nicht theoretisiert,
sondern lebt, erfährt immer beides in der Einheit der Erfahrung. Für einen Urgrund muß das
Thelema Society
The Message
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gleiche gelten. Die ausschließende Alternative - entweder unpersönliches Urprinzip oder
personaler Gott - entsteht aus verdinglichender Abstraktion. Sie ist falsch, weil sie unserer
Erfahrung widerspricht. "Sowohl als auch" trifft die Sache besser, denn es entspricht unserer
Erfahrung, "weder-noch" ist eine bedenkenswerte Alternative.
Die thelemischen Götter sind weder übernatürlich noch transzendent, sondern natürlich und in
der Welt. Sie sind nicht allmächtig, denn unter allmächtigen Göttern kann es keine Freiheit
geben. Sie sind nicht allwissend, denn wenn die Zukunft vorherbestimmt wäre, gäbe es keine
Freiheit. Natürlich gibt es Notwendigkeiten im Bereich der Naturgesetze und darüberhinaus
Wahrscheinlichkeiten zukünftiger Ereignisse.
Philosophisch gesprochen läuft das auf einen Panexperientialismus (Alles ist Erfahrung),
radikalen Empirismus (Alle Erfahrungen sind wichtig, nicht nur die Sinneswahrnehmung, aber
es gibt nichts Übernatürliches) und naturalistischen Theismus (auch das Urprinzip unterliegt
dem Ursachennexus) hinaus. Diese Position ist mit parapsychologischen oder magischen
Phänomenen vollkommen vereinbar und kann diese sogar erklären.
Was ist ein Gott ohne den Menschen?
Die absolute Form der absoluten Langeweile.
Was ist ein Mensch ohne den Gott?
Der reine Wahnsinn in der Gestalt des Harmlosen. (Heidegger)
Götter sind gewöhnlich die Garanten ewiger Wahrheiten und Gesetze. Die
thelemischen Götter garantieren nicht Wahrheit, sondern das Gesetz, das
Gesetz als Paradox - aber nicht einmal das auf ewig. Es sind Götter des
Äons (ein Zeitalter von etwa 2000 Jahren): Jedes Äon hat seine eigene
Wahrheit, sein eigenes Verhältnis von Wahrheit und Irre. Neue Äonen sind
das Resultat aller vorhergegangenen Generationen des
Menschengeschlechts: das gemeinschaftliche Unvergängliche.
Deshalb: ein Äon ist die Enthüllung Gottes, wie er sich weiß.
Isis-Äon, etwa bis Christi Geburt: Das Leben ist Schicksal, Geschick, das über einen
kommt. Alles Geschehen ist von Göttern bestimmt. Viele Wahrheiten bestehen genauso
nebeneinander wie viele Götter. Die Welt wird im Mythos erklärt. Das Äon endet mit der
Entdeckung des Ich, des Selbstbewußtseins (Buddha, Sokrates, Jesus).
Osiris-Äon, bis 1904, Altes Äon: Entdeckung der Logik. Spaltungen wie Mensch-Natur,
Subjekt-Objekt, Geist-Materie, Wahrheit-Falschheit bestimmen das Denken. Wahrheit ist
absolut wie der eine Urgrund, sei es Gott oder Nirvana, und dieser ist transzendent (jenseits
der Welt). Der Mensch hat sich der gegebenen kosmischen Ordnung einzufügen. Das Äon
endet in der Erkenntnis der metaphysischen Wurzellosigkeit des Ich und aller Wahrheiten:
Sinnverlust, Massenindividualismus, Nihilismus (es gibt keine Werte), Relativismus,
Wissenschaftsgläubigkeit und Konsumismus.
Horus-Äon, ab 1904, Neues Äon: siehe diesen Text.
Die Kernaussage der 220 Verse des Liber Al vel Legis fassen wir in den
folgenden Zitaten zusammen:
"Jeder Mann und jede Frau ist ein Stern."
"Tue was du willst, sei das ganze Gesetz"
"Liebe ist das Gesetz, Liebe unter Willen."
"Der Tod, o Mensch, ist dir verboten."
"Doch übertriff! übertriff! Strebe immer nach mehr!"
Da diese Zitate nur aus dem Gesamtzusammenhang des AL verstanden
werden können, folgende Erläuterungen.
"Jeder Mann und jede Frau ist ein Stern." (AL)
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"Alle Worte sind heilig" (AL), denn das Werk der Sprache ist die
ursprünglichste Dichtung der Wirklichkeit. "Alle Propheten sind wahr" (AL),
denn Propheten stiften Sprache. Deshalb kann niemand die Wahrheit für
sich beanspruchen und jeder Mensch ist, in dem was und wie er ist zu
respektieren, nicht nur zu tolerieren. Respektieren setzt, im Gegensatz zu
Toleranz, Verstehen voraus. Es bedeutet, den Anderen existentiell ernst
nehmen: die Überzeugungen des jeweils anderen Menschen werden als
genauso wertvoll und wichtig angehört wie die eigenen Überzeugungen.
Jedes respektierende Reden mit einem anderen Menschen ist
ergebnisoffen. Das nennen wir Gespräch. Verstehen bildet sich im
Gespräch.
Sprache, Rede und Gespräch wird hier im allgemeinsten Sinne verwendet, meint nicht nur
Wortsprache. So gibt es Körpersprache, die Sprache der Augen und der Hände, selbst
Kunstwerke, die uns etwas zu verstehen geben. Das Neue Äon wird neue Sprachen und
Sprachformen entwickeln.
Unsere Sprache ist unsere Welt: Sprache ist das "Haus des Seins" (Heidegger), wir wohnen
in der Sprache. Worte sind heilig, weil die Sprache unsere Welt ist. Propheten sind
Menschen, welche die Welt in einer Weise neu dichten, daß sie damit eine neue oder
veränderte Welt stiften. Keine Welt ist im absoluten Sinne wahr, aber alle Welten sind
insoweit wahr, als sie im In-der-Welt-sein gelebt werden.
Verstehen eines anderen beinhaltet Modifikation der eigenen Überzeugungen.
"Im-Gespräch-Sein heißt ... Über-sich-hinaus-Sein, mit dem Anderen denken und auf sich
zurückkommen als auf einen anderen" (Gadamer). Man kann nur verstehen, wenn man dem
Anderen offen für seine Überzeugungen, also lernbereit, im Gespräch, begegnet. Das
erfordert Vernunft, d.h. die Fähigkeit, die dogmatische Versuchung, die in jedem
vermeintlichen Wissen angelegt ist, zu überwinden. Verstehen ist nicht unparteiisch, sondern
allparteiisch.
Das Gespräch, der ergebnisoffene Dialog, ist Voraussetzung jeder Selbstveränderung und
Selbstentwicklung: wie sollte man anders nicht nur mechanisch, sondern verstehend lernen
können? Das Gespräch ist nicht die ethische Forderung eines abstrakten
Gemeinschaftsideals, sondern aktive Einsicht in existentielles Selbstinteresse.
Das AL stellt die volle Gleichheit von Mann und Frau fest, "Jeder Mann und
jede Frau ist ein Stern", betrachtet Gleichheit aber nicht als Einerlei oder
Ununterschiedenheit. "Er ist immer eine Sonne und sie ein Mond", das ist
ein Unterschied, aber altbekannt. "Ihr", der Frau, "ist alle Macht gegeben" das ist neu - und will verstanden sein. Der Mann ist Kraft (Sonne), die Frau
ist Form (Mond). Alles Wirkliche besteht aus Kraft (Materie, Inhalt) und Form.
Kraft ohne Form ist blind (Chaos), Form ohne Kraft ist lahm (wirkungslos).
"Forma" ist das bestimmende, das Wesen überhaupt. Wer die Kraft formt,
der erschafft die Wirklichkeit. Deshalb: Der Frau ist alle Macht gegeben.
Die hier angesprochenen Funktionen sind im biologischen Vorgang deutlich: Der Mann
befruchtet die Frau, die Frau formt und gebiert das Kind, bringt es zur Wirklichkeit. Auf
diesem biologischen Sachverhalt gründete das alte Äon die Monogamie und die Bindung des
Geschlechtsverkehrs an die Zeugung. Das Liber AL sagt, die Frau sei "wild und
ehebrecherisch". Dadurch wird klar, daß die Frau hier nicht auf biologische Abhängigkeiten
beschränkt ist. Ihr ist "alle" Macht gegeben. Biologisch zeigt sich zwar der
wirklichkeit-schaffende Charakter des Weiblichen, aber das ist nur die biologische
Ausprägung des Wesens der Frau, nicht ihr Wesen als Ganzes. Ihr Wesen ist das Schaffen
von Wirklichkeit auf allen Ebenen und in allen Bereichen. Im biologischen Schaffen eines
Kindes wird sie von der Natur nur benutzt. Im Neuen Äon schafft sie selbst und eigenständig:
eine kreativ Wirklichkeit bewirkende Künstlerin!
Wie Mullah Nasrudin einst sagte: "Der Mond ist nützlicher als die Sonne, weil es Nachts
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dunkel ist."
Es mag auffallen, daß Nuit Kraft und Hadit Form, hingegen Frau Form und Mann Kraft ist.
Das ist ein Ausdruck der Verschiedenheit von Makro- und Mikrokosmos, Göttern und
Menschen. Götter sind reine Prinzipien, die im Menschen nur gemischt auftreten. Die Kraft
von Nuit spiegelt sich in der Frau als Formkraft, die Kraft zu formen, die Form von Hadit im
Mann als Kraftform, die Form der Kraft.
Das Liber AL vel Legis ist ein Buch des Gesetzes, kein Buch der Wahrheit.
Das Gesetz des Liber AL lautet:
"Tue was du willst, sei das ganze Gesetz. " (AL)
Das ist ein Paradox, denn es ist der Gehorsam verlangende Befehl zum
Ungehorsam, zur Freiheit. Dem liegt die tiefe Einsicht zugrunde, daß
Freiheit nur dem Paradox entspringen kann. Damit ist Fundamentalismus
ausgeschlossen - und Freiheit gesichert.
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Gründe sind Motivatoren, z.B. Argumente, Gefühle, Methoden, Ideen,
usw. Alles was zum Tätigwerden motiviert.
Verstehen ist die Fähigkeit, Gründe im Hinblick auf eine Frage
einsichtig abzuwägen.
Freiheit ist die Fähigkeit zur Selbstbindung im Handeln durch Gründe.
Wille ist die Fähigkeit, Selbstbindung im Handeln durchzuhalten.
Der Vers besagt also: Das Tun hat weder durch Gehorsam, noch durch
Triebe, Lüstchen oder Begierden bestimmt zu werden, sondern durch in
Lebenserfahrung begründete autonome Entscheidungen.
Die spirituelle Entwicklung in der TS wird - wenn gewollt - von Beratern
begleitet. Das sind Menschen, die spirituell weiter sind als diejenigen, die
beraten werden. Das Kennzeichen eines spirituellen Beraters ist, daß er nie
befiehlt oder das Leben eines Menschen kontrolliert, sondern versteht und
mögliche Wege zu verstehen gibt.
"Liebe ist das Gesetz, Liebe unter Willen." (AL)
Liebe ist die intimste Beziehung zwischen Menschen, geheimnisvoll und
Geheimnis. In letzter Konsequenz ist Liebe die Verschmelzung der
unendlichen Verschiedenheit zweier Menschen zu einer Einheit, die alle
Verschiedenheit wahrt und dennoch mehr ist, als der Einzelne als einzelner
je werden könnte. "Liebe ..., im Gegensatz zur Freundschaft, kann eine
öffentliche Zur-Schaustellung schlechterdings nicht überleben. ... Wegen
der ihr inhärenten Weltlosigkeit muten uns daher auch alle Versuche, die
Welt durch Liebe zu ändern oder zu retten, als hoffnungslos verlogen an."
(Hannah Arendt, Vita activa)
Natürlich kann man Liebe anders verstehen. Mit der hier gewählten Auslegung sollen
Verkrustung und Inflation des Liebesbegriffs fraglich und neue Denkräume eröffnet werden.
Handeln (Tun) und damit Wille betrifft den Menschen als öffentliches und politisches Wesen,
Liebe hingegen ist privat, deshalb weltlos. Welt und Wirklichkeit stabilisieren sich erst im
Miteinander, d.h. im öffentlichen Raum. Die der Liebe in der Öffentlichkeit entsprechende
Beziehung heißt Freundschaft. Es bleibt unerfindlich, warum Liebe heute vielerseits als
Allheilmittel für die Probleme der modernen Gesellschaft angepriesen wird, wenn noch nicht
einmal Verstehen oder Freundschaft gelebt werden können.
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Zwischen Wille und Liebe besteht eine Wechselbeziehung: Der diamantharte Wille macht
Liebe erst möglich, denn Liebe ist mehr als Biologie und Sex. Das Feuer der Liebe hingegen
läutert den Willen: er wird poetisch, zärtlich und von stählerner Elastizität - menschlich.
Erst in der Verschmelzung von Wille und Liebe entsteht der Mensch des Neuen Äons: Die
Kraft der Liebe und die Form des Willens. Liebe ohne Wille ist blind, Wille ohne Liebe ist
lahm. Deshalb: Liebe unter Willen.
"Der Tod, o Mensch, ist dir verboten." (AL)
Damit ist nicht der Tod des biologischen Körpers gemeint, sondern der
ewige Tod der Psyche. Der biologische Körper entsteht und vergeht, wie
alles Natürliche. Der Mensch aber ist nicht nur Natur, sondern kann über
seine Natur hinaus sich entwickeln. Überraschend ist, daß der Tod verboten
wird. Der Mensch bzw. seine Psyche kann sterben, muß aber nicht ansonsten ergäbe das Verbot keinen Sinn. Das ist nicht neu, der Antike war
es selbstverständlich. Gegen die Lehren der Religionen des alten Äons aber
ist es eine Revolution, ein Umsturz aller Lehren von garantierter
Reinkarnation wie im Buddhismus, garantiertem ewigen Leben wie im
Christentum und garantiertem ewigen Tod im modernen wissenschaftlichen
Denken. Die Revolte gegen den Tod ist die existentielle Würde des
Menschen, das Fehlen dieser Revolte - die Kapitulation: Gleichmut, wie ihn
Tote haben. Kein Gott wird dich retten, nur deine Tat zählt: "Du mußt dein
Leben ändern." (Rilke, Archaischer Torso Apolls)
Der existentielle Unterschied zwischen Mensch und Tier ist, daß der Mensch um seinen Tod
weiß, daß er über seinen Tod hinausdenken kann. Freiheit, so stellten wir oben fest, ist die
Fähigkeit zur Selbstbindung im Handeln durch Gründe. Wenn der Grund, Revolte gegen den
Tod, fehlt, hat der Mensch als Mensch kapituliert und seine existentielle Würde verloren.
Freiheit ist dann nur noch ein leeres Wort.
Die hier angesprochene Überwindung des Todes ist kein Versprechen aus dem Jenseits,
keine Belohnung eines Gottes für Wohlverhalten und nichts Übernatürliches, sondern eine
vollständig diesseitige und natürliche Erfahrung. Dazu weiter unten mehr.
"Doch übertriff! übertriff! Strebe immer nach mehr!" (AL)
Jeder Mensch ist, genauso wie jedes Tier, durch genetische Anlagen und
Lebenserfahrungen anders als andere Exemplare der Gattung. Das pure
Anderssein macht noch kein Individuum aus - sonst wäre jede Mücke und
jeder Stein ein Individuum. Was einen Menschen als Individuum
auszeichnet, ist, daß er sich auszeichnet - und dadurch nicht nur anders,
sondern einzigartig wird. Ein Individuum ist nicht ein anderes der Art,
sondern ein einziges seiner Art, ein Einzigartiges. Erst das Streben über die
Masse hinaus, das Streben, mehr zu sein, sich und andere zu übertreffen,
schafft einen individuellen Lebensweg und damit ein Individuum.
Thelemiten werden Individuen.
Die Thelema Society wird gegenwärtig keine öffentliche politische
Wirksamkeit entfalten. Wir konzentrieren unsere Kräfte auf die
Veränderung und Entwicklung des Individuums. Das Neue Äon kann nur in
einem interdependenten Prozeß der Veränderung von Gesellschaft und
Individuum erschaffen werden. Im Bereich der Entwicklung des Individuums
liegen die Schwächen des gegenwärtigen politischen Kampfes um
Veränderung - und die Stärken der Thelema Society!
Thelema Society
The Message
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Thelema ist für Menschen.
Der Mensch ist das Seiende, dem es um dieses Sein selbst geht.
Thelema geht es um die Frage, die wir sind.
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Was?
Thelema ist eine befreiende Vision der Welt als Prozeß: dynamisch,
schöpferisch, verwoben, wertvoll und ekstatisch.
•
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Befreiend: Thelema befreit uns von konventionellen und irrigen
Wahrheiten, zum Erschaffen einer ästhetisch gelungenen, sinnvollen
Welt.
Vision: Thelema ist eine ästhetische, phantasievolle und intellektuell
befriedigende Lebensform fließender Veränderung. Niemals fertig,
immer neu.
Prozeß: Die Welt besteht nicht aus Dingen, sondern ist ein Fluß von
Erfahrungsereignissen.
Dynamisch: Die Welt ist Werden, verändert sich von Moment zu
Moment, eröffnet in jedem Moment kreative Möglichkeiten, die vorher
nicht vorhanden waren.
Schöpferisch: Die Möglichkeit zu Freiheit und Neuheit ist in jeder
Erfahrung gegeben. Deshalb ist jede Gegenwart mehr als ihre
Vergangenheit.
Verwoben: Alles steht mit allem in einem umfassenden Gewebe von
Beziehungen. Deshalb ist alles voneinander abhängig. Jede Gegenwart
ist Erbe einer reichen Vergangenheit und trägt zu den Möglichkeiten der
Zukunft bei.
Wertvoll: Ereignisse haben nicht nur Wirkursachen (physikalische
Ursachen), sondern ebenso Zweckursachen (Ziel, Absicht) und sind
sowohl für sich als auch für andere wertvoll.
Ekstatisch: Leben ist nicht die Vertagung des Selbstmordes, sondern
Leidenschaft, perlendes Lachen, Schönheit, Kraft und Intensität.
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The Message
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Wohin?
Absicht des thelemischen Weges ist das neue Äon, eine Gemeinschaft
miteinander schaffender Künstler-Magier. Dieses Ziel beinhaltet drei
Teilziele:
•
Individuum: Ziel ist die Kundalini-Shakti, durch welche der
unsterbliche Astralkörper entwickelt wird. "Der Tod, o Mensch, ist dir
verboten."
Für Menschen, die dieses Ziel nicht erreichen, wird die Reinkarnation
angestrebt: Die Seele (Psyche) muß in Kraft und Struktur soweit
entwickelt werden, daß sie den biologischen Tod lange genug
überleben kann, um einen neuen Körper zur Wiedergeburt finden und in
diesen eintreten zu können.
Zur Kundalini: Es geht hier nicht um Glauben an ein Leben nach dem Tode, sondern
um ein natürliches Ereignis. Die Kundalini-Shakti ist eine ekstatische
psychosomatische Energie, die konzentriert und gelenkt werden kann. Geschieht das
auf die richtige Weise, entsteht ein feinstoffliches Gebilde, welches für die Psyche die
Funktion des biologischen Körpers ersetzt, der Astralkörper.
"Unsterblich" meint nicht "ewig". Der Astralkörper ist kein biologischer Körper. Er
unterliegt deshalb keiner natürlichen Alterung und ist so zu endlosem Leben fähig. Der
Mensch ist und bleibt ein endliches Wesen, aber seine Möglichkeiten sind ohne Ende:
unendlich.
Zur Reinkarnation: Reinkarnation ist nicht der Normalfall. Nur wenn die Psyche genug
Kraft (Leidenschaft, Intensität) und Struktur (Wissen, Erfahrung) hat, um sich eine
gewisse Zeit nach dem biologischen Tod erhalten zu können, kann sie reinkarnieren.
Eine gut strukturierte Psyche ohne Kraft zerfällt schnell und ihre Reinkarnationschancen
sind gering. Eine kräftige Psyche mit schwach ausgeprägter Struktur kann leicht
reinkarnieren, aber die Struktur löst sich auf, d.h. die Erfahrungen des vergangenen
Lebens werden vergessen und die Persönlichkeit geht somit verloren.
Es gibt ein erstaunlich einfaches Indiz für Kraft und Struktur der Psyche: Die
Fähigkeit, sich durch Versprechen zu binden und diese Versprechen einzuhalten.
Nietzsche hat als erster auf das "Macht- und Freiheitsbewußtsein" hingewiesen, das
dem zuwächst, "der sein Wort gibt als etwas, auf das Verlaß ist, weil er sich stark
genug weiß, es selbst gegen Unfälle, selbst gegen 'das Schicksal' aufrechtzuhalten". Er
definierte den Menschen als "ein Tier, das versprechen darf" und identifizierte dieses
Versprechenkönnen und -dürfen mit Souveränität und dem "außerordentlichen
Privilegium der Verantwortlichkeit". Das fängt bei den alltäglichen Vereinbarungen an wird aber erst bei existentiellen und entwicklungsrelevanten Vereinbarungen,
insbesondere beim magischen Eid, so richtig aussagekräftig.
•
Gemeinschaft: Ziel ist das Neue Äon, die nächste Entwicklungsstufe
der Menschheit zu einer neuen Weltgesellschaft - die andere Art der
Globalisierung. "Liebe ist das Gesetz, Liebe unter Willen."
Das "Neue Äon" ist keine festgeschriebene Utopie, sondern meint: den Mythos der
Zukunft dichten - und daraus gemeinsam eine Zukunft erschaffen. Der Glaube an
absolute Wahrheiten ist genauso wie der Glaube an Relativismus ein
Fundamentalismus und dieser ist das Kennzeichen des Alten Äons des Osiris.
Mit dem Neuen Äon, dem Äon des Horus, ist der Wendepunkt erreicht, auf dem die
Menschheit "aus dem farbigen Schein des sinnlichen Diesseits [Isis-Äon] und aus der
leeren Nacht des übersinnlichen Jenseits [Osiris-Äon] in den geistigen Tag der
Gegenwart einschreitet" (Hegel, Einfügungen in [] vom Verfasser).
Das neuäonische Denken ist deshalb dialektisch und dialogisch, ein Denken von und in
Gegensätzen. Am Beispiel: "Das eine ist das andere." Dem gewöhnlichen Denken
scheint dieser Satz ein Widerspruch. Dennoch: Das eine ist das andere und das andere
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The Message
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ist das eine. Ein eines ist nur, was es ist, eines, aus dem Unterschied zum anderen und insofern ist es das andere.
Die natürliche Form dialektischen Denkens ist das Gespräch, in dem die Gegensätze
aufeinandertreffen: ein Mit-einander-Reden, in dem der Andere in seinem Anderssein
respektiert und verstanden wird.
Das Neue Äon wird durch die Handlungen des in der Liebe geläuterten Willens (s.o.)
erschaffen.
•
Das Individuum in der Gemeinschaft: Der Wahre Wille, durch den der
eigene Sinn im Ganzen verstanden und entsprechend gehandelt wird.
"Tue was du willst, sei das ganze Gesetz."
Vorsicht, Metapher!
Was der Wahre Wille ist, läßt sich am Beispiel des sogenannten hermeneutischen
Zirkels aufzeigen. Wenn man einen sprachlichen Ausdruck, sei es ein Satz oder ein
Buch, verstehen will, muß man zuerst die einzelnen Wörter verstehen, bevor man das
Ganze (Satz, Buch) verstehen kann. Da aber jedes Wort mehrdeutig ist, muß man erst
das Ganze (Satz, Buch) verstehen, bevor man die einzelnen Wörter verstehen kann.
Logisch ist das ein Zirkel, der sogenannte circulus vitiosus, d.h. ein logischer
Beweisfehler. Nun beanspruchen wir im Verstehen aber nicht, daß das Ganze aus den
Teilen oder die Teile aus dem Ganzen abgeleitet werden, sondern verstehen genau in
dieser Zirkelhaftigkeit: Der Zirkel ist die angemessene Beschreibung der Struktur des
Verstehens. Damit ist das Ideal der logischen Schlüssigkeit als allgemeingültiges Ideal
widerlegt - wir verstehen ja tatsächlich, wie die Praxis zeigt.
Nun ist Sprache nicht nur ein beliebiger Teil der Menschenwelt, sondern Spracheist die
Welt der Menschen. Nur durch Sprache sind wir in der Welt. "Sein, das verstanden
werden kann, ist Sprache" (Gadamer). Deshalb weist der hermeneutische Zirkel die
Struktur des In-der-Welt-Seins selber auf - und hebt damit die Ich-Anderes Spaltung auf:
Ich kann die Welt erst verstehen, wenn ich mich verstehe und ich kann mich erst
verstehen, wenn ich die Welt verstehe. Wer sagt, dann kann ich weder die Welt noch
mich je verstehen, der verkennt, daß er Sprache versteht - und dieses Verstehen hat
die gleiche Struktur: Wort versus Satz/Buch und Ich versus Welt.
Der Wahre Wille bedeutet: Sich selbst im Ganzen der Welt verstehen, wie man ein
Wort aus dem Ganzen des Satzes oder einen Satz aus dem Ganzen eines Buches
heraus versteht - und umgekehrt. Der Wahre Wille ist wie Verstehen: praktisch
erreichbar, aber immer unvollendet.
Die Erlangung des Wahren Willens ist die Gesundwerdung des Menschen. Krankheit
ist nicht nur Fehlen von Gesundheit, sondern wird sehr real empfunden. Wenn wir den
Kranken fragen: "Wo fehlt es?" meinen wir eigentlich: "Wo ist etwas vorhanden, was
nicht vorhanden sein sollte?" z.B. Schmerz. Wenn jemand krank ist, dann fehlt ihm
nicht nur etwas, sondern es ist etwas da, etwas Falsches. Da ist etwas falsch nicht nur,
weil es unrichtig ist, sondern weil etwas verfälscht, verdreht oder umgekehrt vorhanden
ist. Falsch hat hier auch die Bedeutung von verschlagen, wir reden von bösartigen
Krankheiten. Die Krankheit ist nicht nur eine Störung, sondern eine den ganzen
Menschen betreffende und ihn beherrschende Verkehrung des Richtigen. Sie ist nicht
nur das Fehlen von Gesundheit, sondern sie setzt sich an die Stelle der Gesundheit sie ist das Nein, daß sich an die Stelle des Ja setzt. Krankheit ist die Tyrannei der
Eigensucht des Einzelnen über das Ganze. Der Wahre Wille ist die Gesundheit, das
"Ja!" im Ganzen des In-der-Welt-seins.
Diese drei Merkmale sind voneinander abhängig und nur gemeinsam zu
verwirklichen.
"Vor der Wahl zwischen Zynismus und Wahnsinn,
wählte ich den Wahnsinn."
(MDE - Therion der Thelema Society)
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The Message
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Wie?
Der Weg zu diesem Ziel ist der Tanz des ästhetischen Lebensstils, eine
Art zu leben, die in der Antike "das gute Leben" genannt wurde. In der
Gegenwart begegnen wir Elementen des ästhetischen Lebensstils unter
Titeln wie "vita activa", das tätige Leben (Hannah Arendt), Willens-,
Verantwortungs- oder Diskursethik (Jürgen Habermas) und Hermeneutik
(Hans-Georg Gadamer). Aber diese Entwürfe erfassen nur Teilbereiche des
Lebens, verkürzen auf zu einfache Dimensionen. Die Kreativität des
Menschen läßt sich nicht auf Regelsysteme reduzieren, mit denen man nach
richtig und falsch unterscheidet. Der ästhetische Lebensstil ist freier,
kreativer, sinnvoller und umfassender als alle Theorien des Menschen.
Seine Leuchttürme sind:
•
Freiheit: Voraussetzung jeder Menschwerdung und jeder Entwicklung im Gegensatz zu Dressur - ist innere Freiheit, d.h. die Freiheit von
psychischen Zwängen und Notwendigkeiten, z.B. Konditionierungen
(psychischen Programmen), emotionalen Zwängen, Trieben etc. Innere
Freiheit kann erreicht werden entweder durch Dekonditionierung oder
durch die Realisierung von Zweckursachen (Zielen), die den eigenen
inneren Zwängen nicht entsprechen.
Dekonditionierung, verstanden als Auflösung gegebener psychischer Strukturen, ist die
Zerstörung der Persönlichkeit eines Menschen - und deshalb der falsche Weg. Unsere
sozialen und geschichtlichen Vorurteile sind die unverzichtbare Voraussetzung aller
Erfahrung, unseres Denkens und Handelns. Nur auf dieser Basis kann aufgebaut
werden, aber sie muß überschritten, muß transzendiert werden, damit Freiheit entstehen
kann.
•
Schönheit: Schönheit ist Einheit als Vielheit oder Vielheit als Einheit.
Das kann nicht eine Vielheit sein, die irgendwie zusammengefügt wird,
kein Gebilde, das in eine Vielheit zerlegt werden kann. Einheit als
Vielheit bedeutet, daß jedes Teil nur durch die anderen Teile ist, was es
ist und nichts entfernt oder hinzugefügt werden kann, ansonsten die
Einheit zerstört wird.
Das meint nicht nur eine Harmonie der äußeren Form, sondern
gleichfalls Intensität der inneren Empfindung (Kraft). Damit Intensität
entstehen kann, muß Harmonie nicht nur Vielheit, sondern
leidenschaftlich empfundene Kontraste als Einheit sein. Schönheit ist
eine Harmonie, in der Kontraste derart Einheit sind, daß Intensität
empfunden wird.
Das einzige Ziel, welches keinesfalls aus Wirkursachen entstehen kann, ist Schönheit,
Einheit als Vielheit. Wirkursachen sind Vielheit und es kann keine Wirkursache geben,
die Vielheit in eine Form bringen könnte, in dem Vielheit als Einheit ist (sie wäre als
Wirkursache selbst ein Teil der Vielheit, die Einheit werden soll).
Das Zur-Einheit-Schmelzen einer Vielheit ist ein kreativer Prozeß. Einen
logisch-methodischen Weg, aus Vielheit Einheit zu machen, kann es nicht geben, weil
die Einheit aus der Vielheit nicht ableitbar ist, sondern nur durch einen kreativen Akt neu
erfunden werden kann.
Schönheit ist weder subjektiv-beliebig noch objektiv-eindeutig - sie spielt zwischen den
Extremen. Wie die Welt nur im Licht der Sonne dem Sehenden sichtbar wird, so sind
das Gute und das Wahre nur in der Gestalt des Schönen - als Unverborgenheit des
Hervorkommens in die Sichtbarkeit.
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Die einzige Alternative zum Streben nach Schönheit als Weg der Befreiung sind Ziele,
die ein anderer Mensch vorgibt, denn diese werden den Vorgaben der eigenen
Konditionierungen gewöhnlich nicht entsprechen. Das bedingt ein Guru-Chela Verhältnis
und ist die Befreiungsmethode, die im Alten Äon gängig war.
•
Kunst: Geschaffene Schönheit ist Kunst. Kunst ist ins Werk gesetzte
Schönheit und Stiftung (Geschenk, Gründung, Anfang) von Wahrheit.
Kunst beschränkt sich nicht auf die klassischen Künste: Malen, Dichten, Musizieren
etc. Kunst ist im weitesten Sinne jedes Ins-Werk-setzen von Schönheit, sei es als
Freundschaft, sei es als Wirtschaftsunternehmen oder in der Art der klassischen
Künste - vorzüglich geht es darum, das eigene Leben als Kunstwerk zu erschaffen:
Lebenskunst! Lebenskunst darf nicht nach dem Modell des Anfertigens oder Herstellens
von etwas, bei dem der Schaffende als Schaffender bleibt und ein Gemachtes nur als
anderes hinstellt, verstanden werden: Der Schaffende verwandelt sich selbst als
Schaffender im Schaffen in ein Geschaffenes und bleibt so im Geschaffenen bewahrt.
Thelema hat bekanntlich eine magische Tradition. Magie (Crowley: Magick) geht in
Kunst auf, ist ein Werkzeug im künstlerischen Schaffensprozeß.
"Wir arbeiten im Dunkeln - wir tun, was wir können - wir geben, was wir
haben. Unser Zweifel ist unsere Leidenschaft, und unsere Leidenschaft
ist unsere Aufgabe. Der Rest ist die Verrücktheit der Kunst."
(Henry James)
•
Wahrheit: Wahrheit ist ein Geschehen, das seine eigene Irre in sich
enthält: der Urstreit zwischen dem Verborgenen und dem
Unverborgenen, welcher (u.a.) im Kunstwerk bestritten wird. Kunstwerke
erweitern das Sein durch neue Wahrheit. Kunst ist ins Werk gesetze
Wahrheit.
Wahrheit ist weder als absolute oder übersinnliche Wahrheit zu verstehen noch als die
(defiziente) Wahrheit von Aussagen: "Der Schnee ist weiß" ist wahr, wenn der Schnee
weiß ist. Es geht um herme-neu-tische Wahrheit (Sinn!) und um die Wahrheit des
Kunstwerks. Wahrheit als Werden und Geschehen ist ein Verstehen aus den Quellen
der Vergangenheit, z.B. Tradition, Erfahrung, Entwürfen der Zukunft (Visionen) und
kreativem Schaffen der Gegenwart. Verstehen erwächst vorzüglich in dem Miteinander
ergebnisoffener Gespräche und gemeinsamen Handelns. Kunstwerke, wesentliche
Wahrheiten und denkendes Fragen sind (einige) Weisen des Einrichtens von Wahrheit.
Es werden neue Verstehensmöglichkeiten geschaffen, welche als andere Perpektiven,
somit erweiterte Handlungsmöglichkeiten, realisiert werden.
•
Abenteuer: Das Erschaffen kreativer Werke ist mehr Abenteuer als
jedes Erleben von Gegebenem, z.B. die Erforschung eines Dschungels.
Kunst ist ins Werk gesetzte Kreativität, Neuheit.
Wahrheit und Abenteuer (Stiftung!) sind komplementäre Aspekte eines Kunstwerks.
Das höchste Kunstwerk ist die Menschheit. Dieses Kunstwerk beginnt damit, das
eigene Leben als Kunstwerk zu erschaffen.
•
Verstehen: Die Einsicht in das Ganze, welche zum Gestalten
schöpferischer Muster, die verstandenes Leben sind, führt. Das
Verstehen von Kunst, die schaffende Lebenskunst, das Handeln im
menschlichen Beziehungsgeflecht und das Verstehen unter Menschen
im ergebnisoffenen Gespräch setzen sich gegenseitig voraus.
Verstehen ist kein Teil mit den Vorhergehenden, sondern das
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Umgreifende: Anfang, Mitte und Ende. Lebenskunst ist ins Werk
gesetztes Verstehen.
Wille und Liebe sind nur auf der Grundlage von Verstehen möglich und die motivierte
Folge von Verstehen.
Um vorweg Mißverstehen zu mindern, es geht hier nicht um ein Leistungsoder Karriereidol. "Jeder Man und jede Frau ist ein Stern". Ein Zitat von
Hannah Arendt mag das verdeutlichen:
"Das, was die Integrität der Person, die durch nichts anderes zustande kommen kann als
dadurch, daß sie Gegebenes, die Mitgift der Geburt, aktualisiert und artikuliert, hält und
erhält, ist, was wir gemeinhin Stolz nennen. Stolz aber ist nur möglich in dem Vertrauen, daß
Wer-jemand-ist an Größe und Bedeutung alles übersteigt, was dieser Jemand
möglicherweise leisten und vollbringen mag. ...
Auf das stolz zu sein, was man getan hat, dazu wird sich nur das Vulgäre herablassen;
und diejenigen, die sich zu dieser Herablassung bereitfinden, werden 'die Sklaven und
Gefangenen' ihrer eigenen Fähigkeiten, wobei sie vielleicht sogar entdecken könnten, sofern
mehr von ihnen übrigbleibt als die reine, stupide Eitelkeit, daß es nicht weniger bitter,
vielleicht aber noch beschämender ist, der Sklave seiner Selbst als der Diener eines anderen
zu sein." (Hannah Arendt, Vita activa, Hervorhebungen und Absätze vom Verfasser)
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Wer?
Der ästhetische Lebensstil ist ein Weg des aktiven Lebens, der Teilnahme,
im Gegensatz zum kontemplativen Leben, zum Beobachten. Das aktive
Leben hat drei Ausformungen:
•
Konsument: Die Arbeit des Körpers. Arbeiten und Konsumieren, um
die notwendigen Lebensbedürfnisse zu stillen und das Leben zu
erleichtern.
Die Lebensgestaltung ist an biologisch bedingter Lust-Unlust orientiert.
Das Leben ist ein Kreislauf von Arbeit und Konsum, orientiert an den biologischen
Bedürfnissen, welche sich als Lust und Unlust äußern. Es ist, sozusagen, ein sehr
natürliches Leben: vergehend in sich ewig wiederholender Alltäglichkeit. Zweck und Sinn
können nicht verstanden werden. Triebe und Gefühle bestimmen das Verhalten.
Die Beziehungen der Menschen miteinander beruhen typisch auf Gewohnheit, Zeugung
und Aufzucht von Kindern, Manipulation und Gewalt (Herr-Knecht) - denn anders kann
die Lust-Unlust Bestimmung des Verhaltens nicht zivilisiert werden.
Freiheit gibt es nicht. Es ist ein Leben der Notwendigkeit, welches höchstens in
rebellierende Abhängigkeit, dem Verlangen nach Freiheit von Pflichten und mehr
Konsum, verfallen kann.
Die typische Lebensart des Isis-Äons, prärational. Kein Lebensziel, meint, ein Recht auf
Vergnügen zu haben.
Hanah Arendt spricht vom Animal laborans, dem arbeitenden Tier. "Das Zusammen in
der Arbeit besteht vielmehr in der einfachen Multiplizität von Gattungsexemplaren, die
einander bis zur Austauschbarkeit gleichen, insofern sie nämlich lediglich in ihrer
Eigenschaft als lebende Organismen sind, was sie sind." Die hermetische Tradition
belehrt uns, daß es sich um eine Lebensart unterhalb des Lebens der Tiere handelt:
Menschen können nicht natürlich leben, wie die Tiere, denn zur Natur gehören
Instinkte.
Heiliges Buch: Thomas-Evangelium, weil es die Sprache des Konsumenten spricht.
•
Erzeuger (Handwerker, Techniker, Wissenschaftler): Das Werk der
Hände. Erzeugen und Gebrauchen von Gegenständen, z.B.
Werkzeugen, um aus der Natur eine nützliche Welt, d.h. eine Dingwelt,
zu machen.
Die Lebensgestaltung ist an Zwecken und Mitteln, also an Nutzen, orientiert. Der
Verstand, die Fähigkeit, Regeln zu folgen, leitet das Erzeugen.
Warentausch auf dem Warenmarkt, der Handel, ist die degenerierte Art des Handelns,
an der Erzeuger interessiert sind. Sie interessieren sich nicht für Menschen, sondern für
Erzeugnisse. Handel führt zu jener menschlich-personalen Kontaktlosigkeit, die als
Entfremdung und Entmenschlichung bezeichnet wird: Alles ist Ware, hat einen Tauschoder Marktwert.
Mittel werden passend zum Zweck gewählt (Zweckrationalität), sie sind nützlich, und
dadurch orientieren Zwecke Tätigkeiten. Ist der Zweck erfüllt oder verfehlt, kann er
keine Orientierung mehr leisten, ein neuer Zweck muß her - was nicht schwer ist, denn
jeder Zweck kann Mittel für einen nachfolgenden Zweck werden. Aber, die Frage stellt
sich, wo ist das Ende? Was ist der Zweck der Zwecke? Was ist der Nutzen des
Nutzens? Die Frage bleibt offen, weil Sinn nicht verstanden wird.
Die Beziehungen der Menschen miteinander beruhen primär auf Verdinglichung, d.h.
Menschen werden wie Dinge unter ihrem Nutzenaspekt, als Mittel zu Zwecken,
verstanden. Die typische Beziehungsform ist Meister-Gehilfe basierend auf Können:
Anleitung und Ausführung.
Die typische Lebensart des Osiris-Äons, rational, Zweckrationalität. Lebensziele sind
Reichtum, Ehre (öffentliches Ansehen) oder Wissen.
Heiliges Buch: Also sprach Zarathustra, weil der "Wille zur Macht" (Zweck) sich in sein
Abgründigstes, die "ewige Wiederkehr des Gleichen", vollendet und aufhebt.
Thelema Society
•
The Message
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Künstler: Das Gewebe menschlicher Größe. Gemeinsam handeln, um
eine sinnvolle Welt, eine Mitwelt, Kultur und Geschichte, zu schaffen.
Dieses Handeln ist nur zwischen Menschen möglich. Es basiert auf
Gemeinsinn, auf dem Miteinander im Gespräch und dem Geschehen
des Verstehens sowie auf Kreativität und Intensität. Selbsterkenntnis
und die Erschaffung einer eigenen Identität sind nur im Miteinander
möglich.
Das einzige, woran wir die Wirklichkeit erkennen und messen können,
ist, daß sie uns allen gemeinsam ist. Magie beginnt in der Einsamkeit
der Magierklause als subjektive Halluzination. Sie endet im öffentlichen
gemeinsamen Ritual, das aus subjektiven Halluzinationen neue
Wirklichkeit erschafft, die Wirklichkeit des Neuen Äons, eine neue
magische Welt.
Die Lebensgestaltung ist an Sinnvoll-Sinnlos orientiert.
Sinn kann nur in Tätigkeiten liegen, die Selbstzweck sind, weil Sinn eine Orientierung
ist, die nicht aufhört, wenn der Sinn erreicht oder verfehlt ist. In Bezug auf Menschen
kann es keine zweckorientierte Tätigkeit, wie in Bezug auf Gegenstände, geben, weil
Menschen, insbesondere Beziehungsgeflechte von Menschen, nicht vorhersagbar sind.
Was zu tun und anzustreben ist, kann nicht wie Zwecke und Mittel neutral ausgewählt
werden, sondern stellt sich in der Praxis des Lebens als Aufgabe oder Problem.
Hier begegnet uns der Gegensatz von Wissen, welches angewendet, und Weisheit,
welche nur verkörpert werden kann: Lebenskunst basiert nicht auf der Anwendung von
Regeln, also auf Wissen, sondern kann nur in Handeln, Gespräch und Verstehen als
verkörperter Sinn sich zeigen - und was sich da zeigt, ist das, was Weisheit genannt
wird. Wissen wird angewendet, Weisheit kann man nicht anwenden, weise kann man
nur sein.
Die typische Beziehungsform ist das Bündnis, die Verbündeten. Wer eine Sache
anfängt (initiiert) und anschiebt, ist der Initiator als Primus inter pares (Erster unter
Gleichen): Absprachen durch ergebnisoffenes, auf Verstehen basierendem
Miteinander-Reden - Gespräche.
Die typische Lebensart des Horus-Äons, transrational. Lebensziele sind Weisheit,
Wahrer Wille oder Sinn.
Heiliges Buch: Liber AL vel Legis, weil es Kunst ist und Sinnräume eröffnet.
Diese Einteilung ist für die Moderne von Hannah Arendt in "Vita activa"
vorgenommen worden, aber schon seit der Antike bekannt und entspricht
u.a. Entwicklungsstufen in Hegels "Phänomenologie des Geistes".
Hier
Ich: Konsument, Lust,
Triebe
Es: Erzeuger, Nutzen,
Wissen
Du: Künstler, Sinn,
Weisheit
Hannah
Arendt
Animal
laborans
Homo faber
Platon
Gnosis
Materie Hyliker
Seele
Homo politicus Geist
Psychiker
Pestalozzi
Hand
Kopf
Pneumatiker Herz
Jeder Mensch ist zu allen drei Arten des Lebens fähig, in jedem Menschen
sind Gefühl, Verstand und Vernunft angelegt, aber jeder Mensch lebt primär
eine dieser drei Arten. So müssen z.B. auch Künstler essen und zeugen
Kinder, aber mit einer anderen Einstellung und Art als Konsumenten. Das
richtige Verhältnis dieser drei Möglichkeiten des Menschen ist:
Thelema Society
•
•
•
The Message
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Die Hand dient dem Kopf, der Kopf dient dem Herzen!
Der Kopf läßt sich von der Hand etwas sagen, das Herz läßt sich vom
Kopf etwas sagen!
Das Herz ist der Initiator, Kopf und Hand sind seine Verbündeten.
Die Religionen des Isis-Äons waren Beruhigung für Konsumenten:
Naturgötter, Tempelprostitution, Fruchtbarkeitsriten, etc. Die Religionen des
alten Äons führen Konsumenten auf den Weg zum Erzeuger. Das
buddhistische "Alles ist Leid" zielt z.B. auf die typischen Unlustereignisse
von Konsumenten: Krankheit, Alter, Tod. Es werden Ziele und
Verhaltensrichtlinien gegeben, die von der biologischen
Lust-Unlust-Orientierung in Richtung Mittel-Zweck-Orientierung führen, z.B.
ora et labora (bete und arbeite), damit du in den Himmel kommst. Thelema
hingegen setzt primär beim Erzeuger an und führt in Richtung Künstler, kann
aber auch den Weg vom Konsumenten zum Erzeuger bewältigen. Der Weg
ist jedoch in beidem Fällen qualitativ anders als jeder Weg der altäonischen
Religionen, z.B. undogmatisch.
Der beschriebene Weg des ästhetischen Lebensstils ist nur Menschen
möglich, die Sinn verstehen, Künstlern (womit natürlich nicht alle Menschen
gemeint sind, die sich Künstler nennen). Konsumenten und Erzeuger
müssen diese Entwicklungsstufe des Menschlichen erst lernen bzw.
ausbauen. Für diese Menschen ist der ästhetische Lebensstil nicht schon
Weg, sondern erst Ziel - und der Weg muß für jeden Einzelnen gefunden
und gegangen werden.
Was auch immer dein Lebensstil sein mag, du bist herzlich eingeladen.
Wisse - was du nicht wissen willst.
Wage - zu werden, was du bist.
Wolle - den Weg, den du nicht kennst.
Schweige - höre und verstehe.
Was verstehst du?
Der Antworten gibt es mehr noch.
Und jede will verstanden sein.
Thelema Society
The Message
Seite 22
Mit wem? Netzwerk 93
Die Thelema-Society sucht die Zusammenarbeit mit anderen Menschen:
Einzelpersonen, Gruppen, Gemeinschaften oder Organisationen. Das Ziel
solcher Zusammenarbeit ist:
•
•
•
Eine breitere Basis zur Entwicklung neuäonischer spiritueller und
materieller Konzepte zu schaffen, solche Konzepte zu realisieren und
Realisierungserfahrungen auszutauschen.
Den Einfluß auf gesellschaftliche Entwicklungen, z.B. durch
Verbreiterung der Ressourcenbasis, zu intensivieren.
Den persönlichen Kontakt zwischen Menschen mit neuäonischer
Tendenz zu fördern.
Voraussetzung der Zusammenarbeit ist Einigkeit bezüglich folgender
Punkte:
•
•
Vordringliches Ziel aller gesellschaftlichen Tätigkeit ist äußere Freiheit,
d.h. die Möglichkeit, über die Verhältnisse in der Gesellschaft
mitbestimmen oder ungehindert und mit zumutbaren Kosten
auswandern zu können.
Jede Form des Essentialismus, d.h. der Anmaßung einer absoluten
Wahrheit, und des Relativismus, d.h. der Verblendung, alles sei relativ,
wird als Fundamentalismus unbedingt abgelehnt.
Die Zusammenarbeit erfolgt in der Form des Rhizoms und wird dadurch
realisiert, daß
•
•
jede Mitgliedsgruppe eine Form der verpflichtungsfreien
Mitgliedschaft, z.B. als Freundeskreis, einführt, sodaß die Mitglieder
jeder Gruppe jeder anderen Gruppe beitreten können.
ein Webportal, welches den Mitgliedern aller Gruppen zugänglich ist
und in dem jede Gruppe einen eigenen Webspace erhält, zum Zwecke
der Förderung der Kommunikation der Mitglieder aller Gruppen
miteinander, aufgebaut wurde.
Eine Zusammenarbeit der dargestellten Art findet z.Zt. mit der Fraternitas
Catena Aurea (F.C.A.) und der Gemeinschaft der Celtsun Wicca statt. Mit
weiteren Gruppen bestehen freundschaftliche Beziehungen, die sich zu
einer Teilnahme am Netzwerk 93 ausweiten können.
Im Rahmen des Netzwerkes 93 können viele mehr oder weniger enge
Formen der Zusammenarbeit realisiert werden. Die Thelema-Society ist für
alle Entwicklungen, die mit ihrer Message vereinbar sind, offen.
Thelema Society
The Message
Seite 23
Schluß
"The Message" entstand im Januar 2004 aus einer intensiven Diskussion
aller Mitglieder der Thelema Society.
Beschlossen und verkündet im 100. Jahr des Neuen Äons:
Alle Mitglieder der Thelema-Society anerkennen "The Message" als
gemeinsame Basis. Anerkennung heißt: "The Message" ist die Grundlage
unseres Fragens und Gehens, nicht aber eine Lehre, die uns nur belehrt.
Thelema-Society
Für die Mitglieder:
Therion und Koordinat