Augustinus von Hippo - Rudolf
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Augustinus von Hippo - Rudolf
Oberstufe Religion – Klausurersatzleistung: Augustinus von Hippo Klausurersatzleistung Augustinus von Hippo Erkenntnistheorie und Gnadenlehre im biographischen Zusammenhang Vorgelegt von Pia Manfrin; 12.06.2004; Halbjahr 12.2 Inhalt I. Die Person des Augustin................................................................. 2 I.1. Augustin in seiner Zeit...........................................................................................2 I.2. Biographie - Orientierung, Schlüsselereignisse, Kontakte....................................2 Jugend - Studium - Cicero - Manichäismus - Skeptizismus - Ambrosius Platonismus und Christentum - Bekehrung und Taufe - Wahl zum Bischof - Donatisten - Pelagius II. Die Lehren des Augustin....................................................................5 II.1. Erkenntnistheorie...................................................................................................6 gegen den Skeptizismus: das antike Erbe - “Si enim Fallor, sum” - Illumination II.2 Gnadenlehre........................................................................................................... 8 II.2.1. Gnadenlehre vor 396: Erste Konzeption................................................................8 „malum“ dasBöse/ Übel – „liberum arbitrium“ II.2.2 Gnadenlehre nach 396: Neuformulierung..............................................................9 Erbsünde – göttliche Willkür und Gnade II.2.3. Pelagius – ein besonderer Widersacher..................................................................11 Anmerkungen............................................................................................ 11 Literaturverzeichnis..................................................................................13 www.rudolf-web.de / Last Update 13.07.04 1 Oberstufe Religion – Klausurersatzleistung: Augustinus von Hippo I. Die Person Augustin I.1. Augustin in seiner Zeit Augustin (354-430) lebte in der christlichen Spätantike, in der die antiken Deutungsmuster durch religionsgeschichtliche Entwicklungen in Frage gestellt wurden. Als Schlüssel zur Person des Augustin und zu seinem Werk liegen uns bei sehr guter Quellenlage vor allem die “Confessiones” (397/398) vor. Verfasst in Form eines Gebets umfasst die autobiographisch anmutende Schrift 13 Bücher, die sein Leben bis zum Zeitpunkt seiner Bekehrung schildern und “eine Art Archäologie des menschlichen Lebensschicksals” (Höffe) darstellen. “Fecicsi nos ad Te et inquietum est cor nostrum, donec resquiescat in Te.- Du hast uns zu Dir hin geschaffen und unruhig ist unser Herz bis es ruht in Dir.” 1 Das ist ohne Zweifel ein wesentliches Merkmal des Lebensverlaufes von Augustin. Seine Entwicklung umfasst jedoch weit mehr als dieses Zitat zeigt und ist es wert, in ihrer Komplexität näher geschildert zu werden. Das betrifft vor allem sein Denken, beeinflusst und geprägt von der rasch verfallenden geschichtlichen Welt und dem bevorstehenden Untergang des römischen Weltreiches nach seiner Trennung in West und Ost: Augustin ist nicht als “synchrones System” (Flasch)2 festzuhalten ohne die Breite der verschiedenen Ansätze zu unterschlagen. Er muss in seinem historischen Kontext verstanden werden, denn als wichtigster Vertreter der Patristik vollzog sich in Augustins intellektueller Entwicklung der Übergang von der Antike zum Mittelalter. Ich werde versuchen, diesem Anspruch gerecht zu werden und dennoch nicht zu weit auszuschweifen. I.2. Biographie - Orientierung, Kontakte, Schlüsselereignisse Augustin wurde 354 n.Chr. in Thagaste, im heutigen Algerien, in eine konfessionell gemischte Ehe geboren. Sein Vater Patricius war Heide und starb während Augustins Jugend. Seine Mutter Monnica führte ein Leben als überzeugte und engagierte Christin und wurde für Augustin eine wichtige Begleit- und Bezugsperson. Während seiner Kindheit gab es unter Kaiser Iulian letzte Versuche, die römische Staatsreligion zu erhalten - die Hierarchie der Religionen war noch nicht eindeutig bestimmt. In den ersten Jahren genoss Augustin eine christliche Erziehung und erhielt eine gute Schulausbildung mit der er 370 nach Karthago zum Rhetorikstudium wechselte. Dort nutzte er auch sonst eine vorwiegend literarisch-klassische Ausbildung - welche nicht zuletzt seinen literarischen Geschmack prägte - als Chance zum sozialen Aufstieg. Im Gegensatz zur Bibel, die ihn sprachlich sehr enttäuschte, fand er in Ciceros “Hortensius” 373 den Aufruf zur Beschäftigung mit der Philosophie, verwarf sein bisheriges Leben und widmete sich fortan der Suche nach der Wahrheit: “Cicero hat in mir die Liebe zur Philosophie geweckt” 3 Er selbst sah die Distanzierung von der Rhetorik, verkommen zu Schmeichelrede und Dekor, und die Wende zur Wahrheit als Wende zu Gott: “...es kam das Buch eines gewissen Cicero in meine Hände (...) das den Titel Hortensius führte und die Aufforderung enthielt, sich der Philosophie hinzugeben. Das Buch verwandelte die Gesinnung meines Herzens und richtete, Herr, auf Dich meine Gebete und änderte das Verlangen und meine Wünsche. (...) mit unglaublicher Glut des Herzens begehrte ich nach unsterblicher Weisheit, und ich begann, mich zu erheben, um zu Dir zurückzufliehen.(...) denn es steht geschrieben: ‚Bei Dir ist Weisheit.’ Liebe zur Weisheit aber ist, was der griechische Name Philosophie bedeutet. Zu ihr hatte mich jenes Buch entflammt.” 4 Das bunte Leben in Karthago bot Platz für den spätrömischen Tempelkult, freie Lebensformen, geistige Auseinandersetzungen zwischen katholischen Christen und Donatisten sowie für die Sekte der Manichäer, eine Form der Gnosis. Letztere versprach seinem Wahrheitsanspruch zu genügen und Augustinus trat bereits 374 als “Hörer” www.rudolf-web.de / Last Update 13.07.04 2 Oberstufe Religion – Klausurersatzleistung: Augustinus von Hippo dieser Bewegung bei. Der Manichäismus, begründet durch den Perser Mani (215-275 n. Chr.) spricht von zwei ebenbürtigen Weltprinzipien oder Weltreichen. Der Herrscher vom Reich der Finsternis (böse) steht dem des Lichtreiches (gut) im Kampf gegenüber, die im Körper gefangene Seele der Menschen ist in diese Auseinandersetzung mit eingebunden. Durch strenge Askese - und so erhoffte Erlösung - gilt es die aus der Kampfeshandlung resultierende Vermischung von Gut und Böse auf der Welt zu beheben. Erlösung musste aus eigener Kraft erreicht werden. Unter den Mitgliedern herrschte eine hierarchische Ordnung: Meistgeachtet waren die Pneumatiker (“Vollkommene”), electi, die sich eine vollkommen enthaltsame Lebensführung zur Aufgabe machten. Es folgten die “Hörer”, auditores, denen gemä-ßigtere Vorschriften oblagen und zuletzt die Hyliker (υλη - griech.: Stoff), die noch der Materie verschrieben waren. Die Faszination, die die manichäische Religion auf Augustin ausübte, bestand zunächst in einer umfassenden, rationalen Welterklärung, in welcher die Erklärung des Ursprungs des Bösen Augustins Erfahrung einer zerrissenen und erlösungsbedürftigen Welt aufgriff: Die Welt kann nicht auf dem Willen eines guten und allmächtigen Gottes gründen, da sie sich sonst nicht in einer radikal erlösungsbedürftigen Lage befände, die dem Wahrheitssuchenden kein zu Hause bietet. Dennoch verstanden sich die Manichäer als “erleuchtete Christen”5 und machten die Denkenden und Philoso-phierenden zu ihrer Zielgruppe. Augustin, den die Autoritätshaltung der übrigen christlichen Kirche abschreckte, vertraute der Belehrung durch die Verknüpfung von freiem Denken mit dem Christentum mehr, als nur einem Gebot zum Glauben. Der Manichäismus verwarf die Unstimmigkeiten des Alten Testaments als Werk des Teufels und verteidigte so den Gott des Lichts. Auch hierin fühlte sich Augustinus bestätigt, da er dem AT skeptisch gegenüberstand. Zudem beeindruckte ihn die streng asketische Moral - vor allem sexueller Enthaltsamkeit - da er sich zeitlebens durch seine nicht vollkommen steuerbare Geschlechtlichkeit gedemütigt fühlte und sich von seiner Körperlichkeit entfremdete. Nach neun Jahren aktiver Mitgliedschaft begann er sich jedoch wieder vom Manichäismus zu trennen. Ursachen gab es unter anderem in Unstimmigkeiten in der Argumentation: Es gab keine Erklärung für den Ursprung des Götterkampfes. Zudem widersprach die Kampfesbewegung seiner Vorstellung des unveränderlichen, unverbesserlichen Gottes. Diese Überlegung basiert auf der Unterscheidung zwischen Unveränderlichkeit und Veränderlichkeit, wobei letzteres besser sei, denn nur Unvollkommenes bedarf der Verbesserung, also Veränderung. Gott als höchstes Gut und τελος muss also unveränderlich sein. In dieser Argumentation ist eine Parallele zu Platon erkennbar, der auch zwischen unsichtbarer - unveränderlicher und sichtbarer - veränderlicher Welt unterscheidet. Wie an vielen Stellen greift Augustin jedoch nur das Resultat oder einen Einzelaspekt (neu-)platonischer Denkprozesse auf. Ferner bemängelt Augustin die Vorstellung des Menschen als “Beutestück” (Flasch) oder Spielball im Kampf der göttlichen Mächte, wodurch ihm die Freiheit zum Guten wie zum Bösen genommen wird. Augustin sieht den Menschen nicht als Objekt sondern als denkendes und handelndes Subjekt. Um in seiner Auseinandersetzung alle Bereiche zu berücksichtigen, musste er sich auch näher mit der Heiligen Schrift auseinandersetzen und aufzeigen, dass alttestamentliche Zitate oder Parallelen im Neuen Testament keine Fälschungen waren. Dies trug die Bibel in einem ersten Schritt näher an ihn heran. Schließlich nahm er das in höchstem Maße unbefriedigende Gespräch mit dem manichäischen Priester Faustus als Anlass, sich vollständig vom Manichäismus zu lösen 6; dennoch werden uns noch in Augustins späteren Werken ähnliche Elemente wie die im manichäischen Glauben begegnen. Augustin war 24 Jahre alt und noch im Studium begriffen, als sich 378 die militärische Bedrohung Roms durch die Barbaren erstmals verschärfte und römische Städte durch die Germanenstämme verwüstet wurden. Diese einschneidende Entwicklung zusammen mit Unruhen an der Hochschule in Karthago sowie seiner Enttäuschung durch den Manichäismus bei seiner Wahrheitssuche veranlassten Augustinus zunächst zum Ortswechsel nach Rom www.rudolf-web.de / Last Update 13.07.04 3 Oberstufe Religion – Klausurersatzleistung: Augustinus von Hippo (383) und riefen in ihm dann für kurze Zeit skeptizistische Gedanken hervor; denn auch in Rom war die Lage angespannt und in seiner Bemühung um Neuorientierung begann er an der Möglichkeit, sowohl gesichertes sinnliches als auch geistiges Wissen zu erlangen zu zweifeln. Es war das Ziel des philosophischen Skeptizismus, die Ruhe des Gemüts durch Urteilsenthaltung bezüglich von Wahrheiten zu erlangen. 384 erhielt er als hervorragender ciceronischer Rhetoriklehrer die Stelle eines kaiserlichen Rhetors und Lehrers am Mailänder Hof; sie stellte den Höhepunkt seiner Karriere in diesem Berufsfeld dar. In Mailand begegnete er auch zum ersten mal dem Bischof Ambrosius und dessen “Mailänder Neuplatonismus”. Er begann sich intensiver mit dem menschlichen Geist zu beschäftigen und überwand bald den Skeptizismus indem er für sich den Beschluss fasste, dass die Wahrheit dieser Scharfsinnigkeit des Geistes nicht verborgen bleiben könne 7. 386 setzte er sich im Zusammenhang mit den Predigten des Ambrosius auch erstmals eingehend mit den “libri platonicorum” 8 auseinander und sah sich in seiner Annahme bestätigt, dass es Wahrheiten unabhängig vom menschlichen Geist geben müsse. Als Beweis sah er die mathematischen Grundsätze an. Es begann, was im Rückblick “Bekehrungsgeschichte” genannt wurde: Die neuplatonischen Schriften, die ihm zum Großteil nur in lateinischer Übersetzung vorlagen, festigten eigene Denkansätze und prägten ihn in besonderer Weise. So urteilt auch später Thomas von Aquin, der sich folgendermaßen äußerte: “Augustinus ist voll von platonischen Lehren; was er findet, übernimmt er, wenn er sieht, dass es mit dem Glauben übereinstimmt; stimmt es nicht dazu, dann verbessert er es.” 9 Das gilt auch für seine Erkenntnistheorie, auf die ich weiter unten ausführlicher zu sprechen komme. Generell gelangte Augustin zur Einsicht, dass eine Umkehr von Nöten sei, da die sinnlich wahrnehmbare Welt ein Hindernis auf dem Weg der Erkenntnis darstellte. Er setzte als Maxime, das irdische Leben im Hinblick auf eine jenseitige Existenz zu nutzen (uti - frui), wie es später im “Gottesstaat” zu lesen ist. Ambrosius predigte in beeindruckender Eloquenz ein neuplatonisch interpretiertes Christentum, eine dualistische Anthropologie, vertrat ähnlich den Manichäern ein gewisses Maß an Asketismus und verstand es, die Bibel platonisch und auf so eingehende Weise auszulegen, dass Augustin die Vorwürfe gegenüber dem Alten Testament willig war, abzubauen. Ambrosius war für ihn im Gegensatz zur übrigen Institution Kirche eine Autorität, die Raum für eigenständiges Denken ließ und es verstand, der ungläubigen Masse die Wahrheit zu vermitteln. So schreibt Augustin: “Wenn du nicht verstehen kannst, glaube um zu verstehen; der Glaube geht voran, der Verstand folgt.” 10 Das Beeindruckende lag auch im politischen Engagement des Ambrosius, der die neuplatonischen Weisheiten mit christlicher Moral aber auch mit dem römischen Machtdenken verband und sich so eine breite Hörerschaft sicherte. Was für uns recht einleuchtend klingt, bedeutete für Augustin eine Lebenskrise - neben gesundheitlichen Beschwerden focht er in seinem Inneren einen Kampf mit sich selbst aus, erkannte eine Gespaltenheit seines Willens: “Mein Geist bebte, erschüttert von heftiger Verachtung weil ich mich noch nicht entschieden hatte, den von Dir gewollten Bund einzugehen, mein Gott, den einzugehen mein ganzes Wesen verlangte und den es bis in den Himmel mit Lob bedeckte (...). Das Wollen war noch nicht das Können.” 11 So bewegt ereignete sich ihm das “Gartenerlebnis” von Mailand als er in verzweifeltem Gebet eine Stimme hörte: “tolle, lege.” - “nimm und lies.” Ähnlich einem Buchorakel fiel sein Blick auf eine Stelle in den Paulusbriefen, die zu Mäßigung und zur Umkehr zum Herrn Jesus Christus aufrief. Augustin schreibt zwölf Jahre später: “... sobald ich diesen Satz gelesen hatte, strömte das Licht der Gewissheit in mein Herz.” 12 Augustin hat nun die innere Kraft, das Längsterkannte in die Tat umzusetzen. Er gab zunächst seinen Beruf als Rhetoriklehrer auf und somit auch den Traum des berühmten Rhetors. Er orientierte sich am Eremitentum und www.rudolf-web.de / Last Update 13.07.04 4 Oberstufe Religion – Klausurersatzleistung: Augustinus von Hippo versuchte soweit wie möglich den irdischen Reizen zu entsagen und sich aus jeglichem Machtbetrieb zurückzuziehen. Kurzum: Er öffnete sich einer christlich-asketischen und philosophischen Lebens-gestaltung. Nach einiger Vorbereitungszeit ließ sich Augustin in der Osternacht 387 in Mailand taufen und zog mit seiner Mutter und einigen Freunden nach Cassiciacum um ein ruhigeres, zurückgezogenes Leben zu beginnen und sich von den Krankheitsbeschwerden zu erholen. Noch im selben Jahr verstirbt seine Mutter. Augustinus sah seine Bekehrung nicht als Wende “von der Philosophie zur Theologie” da er zwischen beiden nicht deutlich unterschied. Die Philosophie “realisiert die Wahrheit der Religion” (Flasch) und vermag es, bereits auf Erden zu beseligen, die Religion dagegen erst im Jenseits13. Der einfache Glaube als psychologischer Ausgangspunkt hilft jedoch der unverständigen Masse, der das philosophische Denken nicht zugänglich ist, und dazu braucht es die kirchliche Autorität. Man beachte an dieser Stelle den Sinneswandel gegenüber dem Autoritätsverständnis zur manichäischen Zeit. Augustin verstand das Christentum nun positiv als “autoritative Fassung der im Platonismus erreichten, aber auf eine Elite beschränkten Wahrheit”14. 392 urteilte er, die Platoniker bräuchten nur wenige Wörter und Sätze zu ändern und sie wären Christen 15. Augustin spricht hier gegen seine späteren Äußerungen und auch gegen das, was wir im Unterricht erarbeitet haben: Die Wende von der antiken Philosophie zum christlichen Glauben lässt sich nicht nur als Platonrezeption festmachen. In der Folgezeit verfasst er unter anderem Schriften gegen die Skeptiker (“Contra Academicos”) und den Manichäismus, nicht zuletzt um sich von ihnen abzugrenzen. Ich möchte seinen weiteren Lebensverlauf jetzt nur in einigen Sätzen skizzieren; denn mit seiner Taufe begann die schriftstellerisch fruchtbare Zeit Augustins und es bietet sich an, bald zu diesen Inhalten überzugehen. Zunächst begab sich Augustin wieder in seine Heimatgegend, wo er mit Freunden einen Alltag, ausgefüllt von Gebet, Lektüre der Heiligen Schrift und philosophischen Gesprächen führte. Nach kurzer Zeit wird er jedoch in den Bischofsdienst berufen, ein Amt, das neben kirchlichen Aufgaben auch die Rechtspflege sowie soziale Aufgaben beinhaltete. Vor allem Reisen zu Verhandlungen und Streitgesprächen mit religiösen Widersachern sollten nun seinen Tagesablauf bestimmen. Das Verbot heidnischer Kulte und die Einführung des Christentums als Staatsreligion im selben Jahr unter Theodosius erleichterten ihm einige Vorhaben. So bemühte er sich zunächst um einen Dialog mit den Donatisten, griff jedoch später entgegen seinen Vorsätzen zu kirchlichen und staatlichen Machtmitteln um sich dieser revolutionellen Opposition zu entledigen. Augustins zweiter bedeutender Gegner war der britische Mönch Pelagius, der sich auf den ersten Entwurf augustinischer Gnadenlehre stützte, im älteren Augustinus jedoch einen standhaften Widersacher fand. 419 wurde der Streit auf der Synode von Karthago beigelegt. Seit dem Zerfall des römischen Reiches in West und Ost im Jahre 395 wurde die Auflösung der antiken Welt auf dem Weg ins Mittelalter auch für Augustin immer spürbarer. Nach der Plünderung Roms unter Alarich (410) drangen die germanischen Stämme weiter in den Süden vor und eroberten bereits 430 auch nordafrikanische Provinzen. Neun Monate nach dem Beginn der Belagerung und ein halbes Jahr nach Augustins Tod fällt auch Hippo Regius. II. Die Lehren des Augustin Zu Augustins Lehren, Werken und Schriften gehören neben der Erkenntnistheorie und der Gnadenlehre auch die Zeitanalyse (Conf. X), seine Geschichtstheologie (De Civ. Dei) und die Bewusstseinsanalyse sowie zahlreiche Streitgespräche und Briefe, auf die ich aber aufgrund der Eingrenzung meines Themas nicht im einzelnen eingehen werde. www.rudolf-web.de / Last Update 13.07.04 5 Oberstufe Religion – Klausurersatzleistung: Augustinus von Hippo II.1. Erkenntnistheorie Am Anfang einer Erkenntnistheorie steht zunächst einmal die Frage ob der Mensch und gegebenenfalls wie der Mensch zu gesicherter Einsicht gelangen kann. Ich möchte deshalb zu Beginn mit Augustins Position nach seiner Bekehrung beginnen (ca. 386-388) da diese Phase der Erkenntnissuche stark von der Überwindung des Skeptizismus geprägt ist und viele Ansätze bündelt. Augustin ist davon überzeugt, dass Glückseligkeit, welche das τελος eines Menschen darstellt, erreichbar sein muss. Glücklich leben entspricht nach seinen Vorstellungen ‘gemäß dem Besten des Menschen leben’ und das ist für ihn zweifelsfrei der Geist, die Vernunft (mens/ ratio). Er begründet diese Annahme mit dem Beispiel des Ruders, das uns, zur Hälfte ins Wasser gehalten, geknickt erscheint. Unsere Vernunft steht höher als die Sinne und ist fähig, sinnlich Wahrgenommenes nach seinem Wahrheitsgehalt zu beurteilen. Das Beurteilende ist dem Beurteilten übergeordnet, das vernünftige Wahrnehmen steht der sinnlichen Wahrnehmung voran 1. Liefe die Geistestätigkeit - wie der Skeptizismus annimmt - als Suche nach Erkenntnis ins Leere, so wäre die höchste Gabe des Menschen sinnlos und das Streben vergeblich. Da Augustin jedoch an der antiken Vorstellung der Teleologie des menschlichen Geistes festhält, schließt er diese Möglichkeit aus 2. Wenn skeptizistische Argumente gelten sollten, dann jedoch nur für den Bereich sinnlicher Wahrnehmung. Augustins zweiter Ansatz liegt in der pythagoräischen und später platonischen Schule. Die mathematischen Grundsätze sind Beweis dafür, dass es eine nichtmaterielle, unwandelbare, dem Denken zugängliche aber auch ungedacht existierende Ordnung gibt, da ‘eins’ plus ‘eins’ unabhängig von empirischer Beobachtung immer ‘zwei’ ergibt. Ein drittes Argument gegen die Akademiker, auf das häufig in Zusammenhang mit Descartes’ “cogito ergo sum” hingewiesen wird, findet sich in der Schrift “de libero arbitrio” (ab 388): "Du weißt, dass du existierst. Dabei brauchst du keine Zweifel zu fürchten, denn wenn du nicht existiertest, könntest du nicht getäuscht werden. Dies wiederum könntest du nicht erfassen, wenn du nicht lebtest. Beides, das du existierst und das du lebst, siehst du ein. Also ist auch evident, dass du einsiehst. Wer einsieht muss existieren und leben.” Ähnlich - und etwas prägnanter - ist das “si enim fallor, sum” 4 3 - “Wenn ich mich täusche, bin ich” , das gleiche 5 Thema wird auch noch einmal in “de Trinitate” ausführlich behandelt. Solch ein Ansatz zeigt klar die Umkehr ins eigene Innere als ersten Schritt zur Wahrheitssicherung. Diese revolutionäre Wende zum denkenden Subjekt kann uns aus der platonischen Tradition vom delphischen Orakelspruch “γνωτι σεαυτον” an Sokrates bekannt vorkommen, welches, wenn auch aus dem Zusammenhang gerissen, eine Parallele darstellt. Auch Aristoteles bezeichnet die Vernunft als “Denken des Denkens”. Wichtig ist für Augustinus die Selbsterfahrung eines Denkenden und die Selbstgewissheit des Denkens als Ausgangspunkt. Nachdem wir uns seinem Standpunkt bezüglich der Erreichbarkeit der Wahrheit gewidmet haben, stellt sich die Frage ihrer Definition bei Augustin. Aus dem “Wortgerassel” (Flasch), das er uns zum Thema `Wahrheit´ vorzuweisen hat, möchte ich mich nur auf einige zentrale Äußerungen beschränken. Augustin definiert Wahrheit zunächst als reine, unveränderliche Norm, die alle vergänglichen Einzelwahrheiten ermöglicht, ähnlich der platonischen αρχη, aus der die - jedoch auch unveränderlichen - Ideen/ Urbilder erwachsen. Er übernimmt die Ideenlehre insofern, als jedes wandelbare Ding eine ewige Urgestalt nachahmt, die das eigentlich Seiende darstellt. Seine Vorstellung von wahrer, geistiger Welt, “mundus intelligibilis”6 als Bestimmung und geistiger Ursprung der sinnlich erfassbaren Welt (mundus sensibilis) ist jedoch nicht bildlich als höhere, zweite Welt www.rudolf-web.de / Last Update 13.07.04 6 Oberstufe Religion – Klausurersatzleistung: Augustinus von Hippo der Formen über unserer Sinnenwelt vorzustellen, sondern als die im Wesen und Geiste Gottes anzusiedelnde Fülle aller schöpferischen Ideen: “Die Ideen sind gewisse letzte und höchste Urformen, die dauerständigen, unwandelbaren Gedankengründe der Dinge, die ihrerseits nicht andersher geformt sind, also ewig, immerdar gleich- bleibend, weil im göttlichen Erkenntnisleben selbst beschlossen, an ihnen (...) formt sich alles, was etwa entstehen oder vergehen kann und alles was in der Tat entsteht und vergeht (...)” 7 Sie bestimmt nach Augustin zwar die sichtbare Welt im Sinne von Urbild - Erscheinung, steht aber nicht in Verbindung zum menschlichen Bewusstsein 8. Damit ist die Besonderheit der platonischen Ideenlehre, die Vermittlung zwischen den Ideen und der sichtbaren Welt sowie dem menschlichen Geist durch µηθεξις und µιµησις (Teilhabe uns Nachahmung), durchbrochen; folglich bewertet Augustin die Körperwelt zunächst als falsch da sie keinen Bezug zu den Wesensgründen vorzuweisen hat. Das Minimum an Wahrheit und Wesen, das allen Sinnesdingen durch die platonische Lehre gesichert war, wird ihnen nun wieder aberkannt. Da also in der Erfahrungswelt keine verlässliche Wahrheit zu finden ist, wendet Augustin seinen Blick wieder auf den Geist und die menschliche Seele als Ort der Erkenntnis, der - wieder im Rückgriff auf den Platonismus - wirklicher als die sinnlichen Einzeldinge ist. “Gott und die Seele verlange ich zu erkennen. - Sonst nichts? - Nichts sonst..” 9 Augustin versteht Gott anfangs als biblische Bezeichnung für seinen Wahrheitsbegriff sowie philosophisch als oberstes Prinzip; die Seele, die Anteil hat am intelligiblen Licht ist für ihn das Instrument der reinen Formen und ihrer Übertragung auf den mundus sensibilis auf dem Weg zur Selbst- und Gotteserkenntnis. Diese Bewegung muss jedoch auf einer καθαρσις und wie im Höhlengleichnis auf einer radikalen Umkehr gründen: Bei Augustin von der Äußerlichkeit zum tiefen Geistesinneren10. In “de vera religione” schreibt er: “noli foras ire, in te ipsum redi; in interiore homine habitat veritas” - “Gehe nicht nach draußen, kehre in dich selbst ein; im inneren des Menschen wohnt die Wahrheit.” 11 Einem aufmerksamen Leser wird der Widerspruch aufgefallen sein, dass Augustinus einerseits die Beziehung zwischen dem menschlichen Geist und dem mundus intelligibilis verneint, zum anderen aber die Teilhabe am göttlichen Licht als Ausgangspunkt seiner Erkenntnisbewegung festsetzt. Zwecks der Klärung möchte ich hier zu Augustins Illuminatio-Theorie übergehen. Denn wie, wenn nicht aus einer Verbindung zwischen den ewigen Formen kommen die Wahrheiten ins menschliche Bewusstsein? In Anlehnung an die neuplatonische Lichtmetaphysik vergleicht Augustin die Wirkung von Wahrheit auf den Erkennenden mit der Wirkung des Sonnenlichts auf den Sehenden 12. Diese bildliche Vorstellung genügt ihm nicht; die platonische Anamnesistheorie kann Augustinus jedoch auch nicht übernehmen, da durch die christliche Vorstellung einer “creatio ex nihilo” und einer damit verbundenen Neuschöpfung eines jeden Einzelnen eine vorgeburtliche oder präexistentielle Ideenschau undenkbar wird. Um in Ablehnung einer sensualistischen Erkenntnislehre dennoch an seinem Ansatz der Reflexion als Erkenntnisgrundlage festzuhalten, bringt er die Illuminationstheorie vor: Wie bereits angesprochen, sind wir durch die Sinneswahrnehmung mit der veränderlichen Erfahrungswelt verbunden, unterliegen jedoch Täuschungen und Trugbildern, welche den Wahrheitsgehalt der Eindrücke minimieren. Um eine dies überschreitende Erkenntnis von Wahrheiten zu erlangen, müssen wir durch intensive Selbstschau und Reflexion des menschlichen Geistes in uns hineinhorchen und uns so den intelligiblen Wissensgegenständen, den reinen Bestimmungen zuwenden. Diese sind durch göttliche Einstrahlung aus dem Geist Gottes in unserem Unterbewusstsein verankert, in uns angelegt. Sie rücken aber nur durch aktives Streben in unser Bewusstsein, die Seele erkennt so Gott als ihren Ursprung. Dazu www.rudolf-web.de / Last Update 13.07.04 7 Oberstufe Religion – Klausurersatzleistung: Augustinus von Hippo verweise ich noch einmal auf das “noli foras ire...”, das im Zusammenhang mit der gesamten Erkenntnislehre von Bedeutung ist. Nur wenigen gelingt es, zu diesen Wesensgründen in ihrem Inneren vorzudringen. In seinen frühen Schriften ist die breite Masse, zwar nicht durch Erbschuld oder Verdammung, aber durch Irrtümer von Gott getrennt. Als Voraussetzung zur richtigen Einkehr und als “remedium” führt Augustinus die Liebe, insbesondere die “amor Dei” an (im Gegensatz zur “amor sui”). Im Glauben, der Liebe zu Gott, kann der Mensch seine Wissensmöglichkeiten entfalten. Umgekehrt soll ihn die Einsicht in seinem Glauben festigen: “Crede ut intelligas; intellige ut credas” 13 Die abschließende, aussagekräftige Textstelle zeigt noch einmal, wie Glaube, Liebe und vernünftiges Erkennen ineinander greifen und so die ersehnte Glückseligkeit ermöglichen. “...diese Ideen schauen kann die Seele nur mit ihrem vernünftigen Teil, der ihr Bestes ist, dem Geiste nämlich und der Vernunft, gewissermaßen ihrem geistigen, inneren Auge. Und nicht jedwede vernünftige Seele schaut sie (...), sondern die Seele, deren Auge, womit jene Ideen zu schauen sind, gesund, unverletzt und unverdorben und jenen Dingen ähnlich ist, die es schauen will... Sie ist Gott am nächsten, wenn sie rein ist, und je mehr sie mit ihm durch Liebe verbunden, desto mehr wird sie von ihm mit jenem Erkenntnislichte gleichsam durchschüttet, nicht mit dem körperlichen Auge, sondern kraft ihres besten Teils, nämlich ihres Intellekts, jene Ideen schauen und darin ganz beseligt werden.” II.2. 14 Gnadenlehre Die Gnadenlehre bei Augustin umfasst Themen wie Sünde und menschliche Freiheit, die Frage nach dem „malum“ und die göttliche Gnadenwahl. Sie kann unmöglich als homogener Entwurf dargestellt werden, dennoch lässt sie sich in zwei größere zeitliche Abschnitte unterteilen, die in vielerlei Hinsicht durch gegen-sätzliche Grundpositionen gekennzeichnet sind. Die entscheidende Wende vollzog sich um 396 nach Chr. Danach entwickelte er eine neue Position, die ihn bis zu seinem Lebensende beschäftigen sollte. II.2.1 Die Gnadenlehre vor 396 – erste Konzeption Augustinus hatte sich schon während seiner Zeit als Manichäer eingehend mit der Frage nach dem Ursprung des Bösen beschäftigt. 393, enttäuscht von der Lehre des Mani, fährt er fort, eine Antwort auf die quälende Frage zu suchen. Gott ist für Augustin zwar der Inbegriff und damit Ursprung des Guten, außerdem offenbart sich in der gottgeschaffenen Welt eine zweckmäßige Ordnung der Dinge – bis ins Detail (Floh) – und dennoch kann man weder Unstimmigkeiten noch andere Zerrissenheit auf der Welt leugnen. Augustin rechtfertigt dieses durch eine Ordnung ! " # $ # % ! # ! & $ " ! ' ! ( ) % * + jedoch durch ihre Verkörperung abgeschwächt1. Diesen Verlust im Verhältnis zum ganzen Kosmos hält Augustin jedoch für vernachlässigbar. In gewissem Maße nachvollziehbar, sonst aber recht sarkastisch mag seine zweite Überlegung wirken: Augustin empfindet das „malum“ als Notwendigkeit, um sich im Kontrast dazu der Fülle des Guten bewusst zu werden2. Diese Ansicht verteidigt er dadurch, dass er dem Bösen kein Sein zuspricht und es als „privatio entis“ definiert, ganz im Gegensatz zum manichäischen Glauben, in dem die Macht des Bösen als Prinzip sogar den Rang eines Gottesreiches einnimmt. www.rudolf-web.de / Last Update 13.07.04 8 Oberstufe Religion – Klausurersatzleistung: Augustinus von Hippo Als weiteren Punkt spricht Augustin die Entscheidungsfreiheit des Menschen an (liberum arbitrium), wobei er die Tendenz zum Bösen als Irrtum eines Toren bezeich-net. Er beschreibt so das Böse nicht etwa als Teil der Schöpfung sondern als Werk des freien Willens. „Wo kein freier Wille ist, kann nichts Böses sein.“3 Wir werden sehen, dass dieser Ansatz in Augustins Spätschriften keine Entsprechung mehr finden sollte. Augustin hat Grund genug, mit diesen Lösungsversuchen nicht zufrieden zu sein. Um 390 hält er immer noch an der uneingeschränkten Willensfreiheit zum Guten wie zum Bösen fest, beschäftigt sich aber nun eingehender mit der Sünde als Entsprechung zum Irrtum. Dazu zählt er in Anlehnung an die Stoiker die Handlungen, die sich gegen die Natur, das Wesen des Handelnden richten; sie bedeuten zugleich Abwendung von Gott4. Der Wille in seiner reinen Form ist also gut, oder wie Thomas von Aquin später schreibt, Wille zum Guten. Andere wichtige Deutungen des Bösen findet Augustin im Hochmut, der Selbstüber, 5 - . / 0 1 2 3 / 4 - 5 . 6 7 8 1 5 9 : ; < = > ? @ oder im übermäßigen Begehren des Körperlichen (concupiscentia). Der Mensch sollte jedoch dieser Art des moralischen Übels nicht ausgeliefert sein, denn „nichts ist so sehr in der Macht des Willens wie der Wille selbst.“6 An dessen Verwirklichung vermögen nur äußere Umstände etwas zu ändern, in die der Mensch nicht eingreifen kann. Es ist Augustin jedoch bewusst, dass es menschlich ist, sich dem zu verschreiben, was den größtmöglichen Genuss ermöglicht. Die „amor sui“ verleitet demnach zum Bösen indem man die Erdendinge genießt. Die „amor Dei“ dagegen führt die Entscheidung zum Guten mit sich, das „esse cum Deo“7.Zu diesem Zeitpunkt stellt sich Augustin die göttliche Gnade als Unterstützung in Form von Erleuchtung des Geistes vor, durch die der Mensch zum vernünftigen Urteil sowie zur Mäßigung befähigt wird. Nach Augustin erwächst jedoch das Böse aus der Seele, diese wiederum ist durch Gott gegeben. Die Frage, inwieweit das Böse wieder auf den guten, allwissenden und allmächtigen Gott zurückfallen kann, bereitet Augustin Kopfzerbrechen8: Erneut betont er die Güte der Schöpfung indem er das Sein als solches gut nennt und so das Geschaffene in dem Maße gut heißt, wie es wirkliches Sein, Ordnung, Wesen hat.9 „Die Natur, sofern sie Natur ist, ist gut.“10 Um mit Aristoteles zu sprechen, es gibt nichts, was in seiner Substanz schlecht ist, sondern nur in seiner Akzidenz, seiner Eigenschaft. Damit wären wir wieder beim Bösen als „privatio entis“ angelangt. Augustin bringt demzufolge zwar seine Definitionen des Bösen vor, klärt aber nicht die Frage nach seinem Ursprung. II.2.2 Die Gnadenlehre nach 396 – Neuformulierung „Augustins Denken war von Beginn seiner schriftstellerischen Tätigkeit bis zu deren Ende bestimmt durch das Nebeneinander von biblischem Denken (...) und neuplato- nischer Tradition. Seine Entwicklung bestand in der beständigen Verschiebung dieser Komponenten.“ 11 Es bahnte sich eine folgenreiche „Verschiebung“ an, und zwar distanziert er sich in bestimmten Aspekten vom Neuplatonismus. Mit seiner Ernennung zum Presbyter im Jahre 391 begann für ihn eine Zeit intensiven Bibelstudiums bei dem ihm vor allem die Paulusbriefe einen noch besseren Zugang zum Alten Testament ermöglichten. Seine erste „richtige“ Schrift zur Gnadentheologie entstand fünf Jahre später in den „quaestiones ad Simplicianum“12. Darin lehnt er seine frühere Ansicht ab, denn die Missstände in der Erfahrungswelt standen für ihn in einem zu großen Gegensatz zum moralischen Bewusstsein, als dass allein der freie Wille des Menschen dafür verantwortlich sein könne: Der Zerfall des römischen Reiches zeichnete sich nicht nur in den Institutionen sondern auch im öffentlichen Leben immer weiter ab. www.rudolf-web.de / Last Update 13.07.04 9 Oberstufe Religion – Klausurersatzleistung: Augustinus von Hippo Ebenfalls 396 begann Augustin mit der Niederschrift der „Confessiones“, in denen er die neue Gnadenlehre am Beispiel seines eigenen Lebens und der Bekehrung verdeutlicht. Zusammenfassend könnte man sagen, dass der sündige Mensch, von Beginn an durch Selbstsucht und Gewohnheiten eingeschränkt, der Gnade zur Wiederherstellung seiner ursprünglichen Freiheit bedarf. Diese unfreiwillige Schuld, die selbst ein Neugeborenes auf den Schultern trägt, begründet Augustin mit der Erb-sünde. Er vertritt die Meinung, dass jeder Einzelne in Adams Fall mitgesündigt, und so Schuld auf sich geladen habe. „Wer kann sagen, er habe nicht gesündigt, da doch der erste Mensch gesündigt hat?“13 Trotzdem konnte sich Augustin nie ganz zu einer der folgenden Position bekennen: Gott hat eine Seele geschaffen. Bei der Zeugung eines neuen Menschen wird ein Teil dieser Seele weitergegeben (Traduzianismus, v.a. wieder ab 410). Andererseits erwog er die Möglichkeit der individuellen Neuerschaffung jeder Seele. Das ließe jedoch die Frage nach der Gerechtigkeit Gottes offen, wenn beispielsweise Kinder grundlos leiden. Dem liegt diese Überlegung zugrunde: „Wer handelt, bezahlt, was er schuldet: Wenn er gerecht ist, zahlt er was er schuldet, indem er gut gebraucht was er empfing. Wenn er ungerecht handelt, zahlt er, indem er verliert, was er schlecht gebrauchte. Daher steht er in der Ordnung, wenn er gut handelt, indem er Gerechtigkeit tut und wenn er schlecht handelt, indem er leidet.“14 Danach bleibt er bei seiner Erbsündentheorie. Er trennt sich von dem Gedanken, dass das Denken und die Anstrengung des Geistes Einfluss auf das Erreichen der Glückse-ligkeit, Eudaimonie haben. Dieser Umsturz sowie die Abkehr vom platonischen Grundsatz diesbezüglich hätten massive Auswirkungen auf frühere Entwürfe insbe-sondere seiner Erkenntnistheorie haben müssen. Umso verwunderlicher, dass dieses nur in minimalen Ausmaß stattgefunden hat. Da der Mensch durch die Erbsünde von vornherein in der Urteilsfähigkeit und Willenskraft geschwächt ist, und geprägt „durch das Unvermögen, nicht zu sündigen und das Unvermögen, richtig zu handeln“15, verlegt Augustin die Entscheidung über Erwählung oder Verdammung, Glück oder Elend allein in Gottes Hand. Zu Beginn seines Umschwunges galt es dem Menschen noch als möglich, durch Bekehrung, Taufe und Bemühung um Einsicht die Belastung durch die Erbsünde abzuwenden und der Gnade Gottes entgegenzuwirken. Augustin verschärfte seine Ansicht immer weiter dahingehend, dass er die Gnadenwahl des Menschen allein von Gottes außerzeitlichem Ratschluss abhängig machte. Die Gnade wird so zum Privileg weniger Auserwählter gegenüber der „massa damnata“. Durch die Gnade schenkt Gott diesen wenigen Auserwählten die Freiheit des Willens, die durch den Fall Adams verlorengegangen war16. Der Mensch ist nicht mehr als Mensch frei. Im Gegensatz zu Plotin, der in Gott die Bedingung zur Selbstbestimmung des Geistes sah, bewegt Gott nach Augustin unseren Willen zum Glauben oder Glaubenwollen, wobei niemand den Gedankengang Gottes auch nur erahnen kann. Augustin setzt Gott an die Stelle der eigenen strebenden Vernunft auf dem Weg zur beatitudo. Die unverdiente Gnade durch diesen Gott, den er sich zwingend unwandelbar vorstellt, wird für den späten Augustin so ausschlaggebend, dass er alle guten Taten und Erfolge des Menschen der göttlichen Gnade zuschreibt. Der richtige Weg ist nun nicht mehr die Zuwendung zur intelligiblen Welt, sondern allem voran Demut17, der Wille allein bleibt auf der Strecke18. „Der Wille zur Seligkeit ist vergeblich ohne die Berufung“19 Bis 412 war es noch die Aufgabe des Willens, der göttlichen Gnade zuzustimmen oder sie abzuweisen20, um 428 nannte er nur noch Gottes Gnade als Maßstab und entwickelte seine Gnadenlehre zu einer doppelten Prädestinationslehre: www.rudolf-web.de / Last Update 13.07.04 10 Oberstufe Religion – Klausurersatzleistung: Augustinus von Hippo „Betrachten wir die Berufung, durch welche Menschen zu Auserwählten werden: Nicht auserwählt, weil sie geglaubt haben, sondern auserwählt, damit sie glauben (...), denn seine Barmherzigkeit kommt ihnen zuvor als Gnade, nicht als Verdienst.“ „Nun bitte ich, wer kann das Wort des Herrn: ‚Nicht ihr habt mich erwählt, sondern ich habe euch erwählt’, wer kann das vernehmen und dann noch die Meinung wagen, dass die Erwählung Sache des Glaubens sei, da doch der Glaube Sache der Erwählung ist“21 Zwar wollte Augustin menschliche Bemühungen nicht vollständig außer Acht lassen, dennoch macht er es den Lesern nicht leicht22 indem er die göttliche Gnadenwahl als Voraussetzung menschlicher Selbstbestimmung festsetzte: „Im Versuch, diese Frage zu lösen, unternahm ich große Anstrengungen, um die Freiheit des menschlichen Willens aufrecht erhalten zu können, aber die Gnade Gottes behielt die Oberhand.“ II.2.3. Pelagius – ein besonderer Widersacher Der britische Mönch Pelagius entwickelte sich ab 412 zum ärgsten Konkurrenten gegenüber der Gnadenlehre Augustins. Über dessen Position haben wir nun gehört, und werden nachvollziehen können, weshalb er die pelagianischen Ansätze einer „Selbsterlösungslehre“ als gefährlich einstuft, für die Autorität der Kirche und für die christliche Lehre allgemein: Pelagius betonte die Bedeutung der freien Willensent-scheidung des Menschen, der durch die Schöpfung mit dieser Gabe beschenkt wurde. Die Gnade Gottes ist gegeben, um den guten Willen des Einzelnen zu unterstützen. Es wäre entmutigend für die Gemeinde, ihren Willen als bis zur Unfähigkeit geschwächt anerkennen zu müssen. Es muss wirkliche Entscheidung und ganz eigene Taten geben, vor allem aber die eigene Entscheidung zum Glauben. Er spornte den Eifer der Christen zu wahrhaft christlicher Lebensführung an um auf diesem Weg Heilsgewiss-heit zu erlangen. Dem stand für Pelagius keine Erbsünde im Weg, er erkannte nur per-sönliche Schuld durch Erliegen der Versuchungen an, der man jedoch durch seine Willenskraft widerstehen könne, die also vermeidbar war. Besonders interessant wird die Auseinandersetzung, da Parallelen zur früheren Freiheitsposition des Augustin auffallen. Umso verletzbarer war er im Konflikt mit Pelagius, da er sich von seinen eigenen Frühschriften zur Gnade distanzierte. Die Sakramente verloren bei den Pelagiusanhängern zum Teil ihre Bedeutung, da es nun mehr auf die Verdienste des Einzelnen ankam als auf die Heilsnotwendigkeit der Taufe zur Überwindung der Erbschuld. Augustin kämpfte allerdings nicht nur um seine Lehre sondern auch um seinen Ruf, was deutlich zur Verhärtung und Radikalisierung seiner Position beitrug. Papst Innozenz verurteilte Pelagius zunächst infolge zahlreicher Beschwerden, auch von anderen Geistlichen, und exkommunizierte sowohl ihn als auch seine Anhänger. Sein Nachfolger Zosimus stellte jedoch fest, dass Pelagius etwas ganz anderes gelehrt hatte, als man ihm nachsagte. Er rehabilitierte ihn wieder, beeindruckt von seiner Diplomatie und Verteidigung. Augustin scheute es in dieser Situation nicht mehr, staatliche Gewalt und korrupte Beamten für seine Interessen zu nutzen, etwas, was er früher an anderen scharf kritisiert hatte. Schlussendlich beugt sich Zosimus aber dem Druck, Pelagius wird 418 endgültig verurteilt und aus Rom verbannt. Augustins extreme Gnadenposition hatte Konsequenzen, die sich noch heute aufzeigen lassen. In Kürze: Zum einen rückte er das Theodizeeproblem in den Brennpunkt späterer Diskussionen. Bei ihm zeigt sich in aller Deutlichkeit der vergebliche Versuch einer harmonisieren-den Lösung. Des weiteren wurde durch Augustins asketische Moral infolge des Körper- und Geist-Konfliktes die Abwertung jeder sexuellen Regung intensiviert und die Forderung nach Körperbeherrschung gefestigt. www.rudolf-web.de / Last Update 13.07.04 11 Oberstufe Religion – Klausurersatzleistung: Augustinus von Hippo Immer wieder wurden Gnadenlehren nach augustinischem Muster vertreten, so auch von Luther und Calvin im 16. Jahrhundert sowie im Konzil von Trient. Thomas von Aquin stimmt mit Augustin überein, wenn er schreibt, dass Gott keine universale Erlösung der Menschheit will. Bis in die heutige Zeit bilden weniger extreme Teile seiner Gnadenlehre eine intellektuelle Basis für die christlichen Konfessionen. Die Unwiderstehlichkeit der Gnade sowie die radikale Vorstellung einer „massa damnata“ wurden so nicht übernommen, seine Lehren jedoch unter Abschwächung verteidigt. Anmerkungen I. Die Person des Augustin 1 (Conf. I.1.1) 2 (vgl. Flasch, “Augustin”, S.10) 3 (De beata vita 1.4) 4 (Conf. III,4, 7) 5 (Flasch, “Augustin” - S.30; vgl. de util. cred. 6,13) 6 (Conf.V, 6, 11) 7 (vgl. de util. cred. 8,20) 8 (conf. VII, 9, 13) 9 (summa theologiae I, 84, 5) 10 (Sermo CXVII, 1)“si non potes intellegere, crede ut intelligas; praecedit fides sequitur intellectus” 11 (Conf. VIII, 8,19/ 20) 12 “““ 13 (de ord. II, 9, 26) 14 (Flasch, “Augustin”, S. 53) 15 (de vera Rel.4, 7) “paucis mutatis verbis atque sententiis Christianii fierent” II. Die Lehren des Augustin II.1. Erkenntnislehre 1 (de lib. arb. II, 3, 8/9) 2 (vgl. c. Acad. I, 2, 5) 3 (de lib arb. II, 3, 7) 4 (de civ. Dei XI, 26) 5 (de trin. X, 10, 14-16) 6 (c. Acad. III, 17, 37) 7 (de div. qu. 83, qu.46,1,2) 8 (solil. II, 4, 5) 9 (solil. I, 2, 7) “Deum et animam scire cupido. - Nihilne plus? - Nihil omnino” 10 (de util. cred. 16, 34) 11 (de vera. Rel. 39, 72) 12 (solil. I, 6, 12) 13 (sermo 43, 7, 9) 14 (de civ. Dei XI, 3) www.rudolf-web.de / Last Update 13.07.04 12 Oberstufe Religion – Klausurersatzleistung: Augustinus von Hippo II.2. Gnadenlehre 1 vgl. Thomas v. Aquin “permixtio potentiae“ 2 (de ord.I, 7,18) 3 (de ver. Rel.14,27) 4 (de lib. arb. I 16,35) 5 (de mus. VI 13,39) 6 (de lib. arb. I 12,26) 7 (de ord. II 2,4-10) „Sein mit Gott“; entspricht dem glücklichen leben 8 (de lib. arb. I 2,4) 9 vgl. auch Stufenontologie Aristoteles’ und der Neuplatoniker, z.B. Plotin: Enneaden V 5,9 10 (de lib. arb. III 13,36) „omnis natura in quantum natura est, bona est.“ 11 Flasch „Augustin“ S. 173 unten 12 (retract. I 23,2) 13 (de lib. arb. III 20,56) 14 (de lib. arb. III 15,44) 15 (Op. impf. c. Iul. 6,12) 16 (Enchir. 30) 17 (ep. CXVIII 3,22) „est nihil autem prima humilitas, secunda humilitas, tertia humilitas“ 18 (ep. CLVII 2,10) 19 (ep. CCXVII 19) 20 (de Sp. et lit. 34,60) 21 (de praed. sanct. 17,34) 22 vgl Flasch „Augustin“ S.190 2. Absatz Literaturverzeichnis i. Primärliteratur Augustinus • • • ii. iii. Confessiones: Zweisprachige Ausgabe, übersetzt von Joseph Bernhart. Insel Verlag, Frankfurt am Main – 1. Auflage 1987 Enchiridion: Übertragen und erläutert von Paul Simon. Ferdinand Schöningh Verlag, Paderborn – 1947 De beata vita: Zweisprachige Ausgabe. Reclam Verlag, Stuttgart – 1982 Sekundärliteratur • • • • • • • • • Kurt Flasch: Augustin – Einführung in sein Denken. Reclam Verlag, Stuttgart – 2. Aufl. 1994 Ebd. – Das philosophische Denken im Mittelalter. Reclam Verlag, Stuttgart – 1987 dtv-Atlas Philosophie. dtv, München – 10. Aufl. 2002 Hans-Joachim Störig: Weltgeschichte der Philosophie, Bd.1. W. Kohlhammer Verlag, Stuttgart 1985 Otfried Höffe: Klassiker der Philosophie, Bd 1. Verlag C.H.Beck, München – 1981 Johannes Hirschberger: Geschichte der Philosophie. Herder Verlag, Freiburg – 9. Aufl. 1974 Wolfgang Röd: Der Weg der Philosophie, Bd. 1. C.H.Beck Verlag, München – 1996 B. Altaner/ A. Stuiber: Patrologie. Herder Verlag, Freiburg – 7.Aufl. 1966 Hubertus R. Drobner: Lehrbuch der Patrologie. Herder Verlag, Freiburg – 1994 Lexika • • • Meyers Enzyklopädisches Lexikon in 25 Bänden. Bibliographisches Institut, Mannheim – 9. Aufl. 1980 Real Enzyclopädie der classischen Altertumswissenschaft Bd. 2. Hrsg.: Georg Wissowa – Stuttgart, 1905 Lexikon für Theologie und Kirche Bd. 1.Herder Verlag, Freiburg – 3. Aufl. 1993 www.rudolf-web.de / Last Update 13.07.04 13