Der Wolf Ökologie und Verhalten

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Der Wolf Ökologie und Verhalten
Maik Kreuzfeldt
Sonntag, 2. Januar 2005
Wiebke Pandikow
Der Wolf
Ökologie und Verhalten
Inhaltsverzeichnis
0 Vorwort...................................................................................................................................3
1 Systematik...............................................................................................................................5
1.1 Systematik: Einordnung und Evolution...................................................................................5
1.2 Bestand und Verbreitung.........................................................................................................7
2 Morphologie...........................................................................................................................9
2.1 Anatomie..................................................................................................................................9
2.2 Erscheinungsbild....................................................................................................................11
2.3 Fähigkeiten.............................................................................................................................13
3 Ökologie................................................................................................................................15
3.1 Lebensraum............................................................................................................................15
3.2 Räuber – Beute – Beziehung.................................................................................................16
3.2.1 Energiehaushalt......................................................................................................................16
3.2.2 Aktivität.................................................................................................................................17
3.2.3 Selektion................................................................................................................................18
3.2.4 Auswirkungen auf die Beutepopulation................................................................................21
3.2.5 Verhältnis zu anderen Räubern..............................................................................................24
3.3 Wolfsmanagement in Mitteleuropa.......................................................................................27
4 Verhalten..............................................................................................................................31
4.1 Die Entwicklung des Verhaltens............................................................................................31
4.1.1 Die Entwicklung des Verhaltens............................................................................................31
4.1.2 Sozialisation und Flucht........................................................................................................34
4.1.3 Erlernen von Signalbedeutungen...........................................................................................35
4.2 Das Verhalten im Rudel.........................................................................................................37
4.2.1 Innerartliche Kommunikation................................................................................................37
4.2.2 Struktur und Funktion des Rudels.........................................................................................43
4.2.3 Rangordnung..........................................................................................................................45
4.2.4 Aggressivität..........................................................................................................................50
4.3 Jagdverhalten.........................................................................................................................51
5 Nachwort...............................................................................................................................53
6 Glossar..................................................................................................................................54
7 Literatur­ und Quellverzeichnis.........................................................................................56
Vorwort
0 Vorwort
Interessiert an dem „Wie“ und „Warum“ des tierischen Verhaltens, der
Ethologie, waren wir schon früh. Speziell aber faszinierten uns Wölfe
allgemein, und mit dem Älterwerden, mit dem Lesen von Büchern und dem
Schauen etlicher Fernsehsendungen und Dokumentationen, wuchs auch der
Wunsch, sich einmal wirklich selbst mit der Materie zu beschäftigen. So
entschieden wir uns letztendlich, dies in nützlicher Weise zu tun, und eine
fünfte Abiturkomponente daraus zu machen. Leider war das letztendlich nicht
möglich und so wird daraus hiermit (eine kürzere Version,) eine
Klausurersatzleistung.
Da bei uns leider keine freilebenden Wölfe anzutreffen sind, gab uns eine Art
Workshop der Biologin Sabina Nowak in Südpolen eine gute Möglichkeit, ein
paar grundlegende Erfahrung über ihre Arbeit und natürlich Informationen über
die Wölfe in Polen zu sammeln. Allerdings ist der Kontakt zu Biologen nicht
immer leicht herzustellen, und noch schwerer erwies sich dies bei den
Behörden.
Der Wildpark in Groß Schönebeck bot uns die Möglichkeit, in nicht allzu
großer Entfernung wenigstens Gehegewölfe zu beobachten. Leider lassen sich
Ergebnisse dieser Beobachtungen nicht immer auch auf freilebende Tiere
beziehen. Dieser Fakt wird natürlich bei allen Beobachtungen ein Problem
bleiben, kann man doch an Menschen gewöhnte und teilweise von ihm
aufgezogene Wölfe nicht unbedingt mit ihren wilden Artgenossen vergleichen.
Natürlich sind wir weder erfahrene Beobachter, noch haben wir die Grundlage
des Biologiestudiums, trotzdem wollen wir versuchen, ein knappes Gesamtbild
des Wolfes zu geben.
Außerdem haben wir nicht nur Interesse am Wolf, sondern empfinden
Zuneigung. Wir wollen ihn weder als ein Monster darstellen, noch als ein an
der Leine geführtes Kuscheltier. Mit einem möglichst realen Bild des Wolfes
hoffen wir, auch bei anderen Menschen das Verständnis für einen der
ursprünglichen Jäger unserer Wälder und für seinen Schutz zu erwecken.
3
1 Systematik
1.1 Systematik: Einordnung und Evolution
Bereits 1758 zählt LINNAEUS den Wolf zur Ordnung der Raubtiere
(Carnivora), Unterordnung Landraubtiere (Fissipedia). Wie auch die
Überfamilie der Katzenartigen (Feloidae), so gehen alle Hundeartigen
(Canoidae) auf den vor rund 60 Millionen Jahren lebenden Miacis zurück. Die
Hunde (Canidae) selbst sind eine der ältesten Familien der Hundeartigen. Ihr
Stammvater war der rund 15 Millionen Jahre alte, heute ausgestorbene
Tomarctus. Zusammen mit dem vor rund 10000 bis 40000 Jahren
domestizierten Haushund (Subspezies Familaris) bildet der Wolf die Art
Lupus, die der Gattung der echten Hunde (Canis) zuzuordnen ist.
Abb. 1.1
Stammesgeschicht ­ liche Entwicklung
der Canidae
Die genauen verwandtschaftlichen Beziehungen innerhalb dieser Gattung
konnten teilweise erst vor wenigen Jahren, nämlich von 1997 bis 1999 durch
genauere Untersuchungen der mitochondrialen DNS geklärt werden.
5
Systematik
Abb. 1.2
Die echten Hunde
(Die Einordnung des
Rotwolfes (Canis ru­
fus) ist noch immer
unklar. Mt­DNS Un­
tersuchungen zu Folge
könnte es sich, wie
auch beim Canis ly­
caon um einen Kojote
– Wolf – Hybriden
handeln)
MECH beschreibt 1970 bereits 24 Unterarten des Wolfs für Nordamerika und 8
für Eurasien. BIBIKOW konnte diese Zahl 1985 auf 16 reduzieren, wobei er 9
für Eurasien und 7 für Nordamerika anführt. In neueren Studien unterscheiden
NOWAK und FEDEROFF (2002) nur noch 5 Subspezies für Nordamerika und
6 für Eurasien. Die Existenz von zwei weiteren Unterarten (C. l. arabs und C. l.
lupaster) wird vermutet, konnte jedoch bisher nicht überprüft werden.
Japanischer (C. l. hattai) und kleiner Japanischer Wolf (C. l. hodophillax)
gelten als ausgestorben.
Abb. 1.3
Unterarten des Wolfs
6
Systematik
1.2 Bestand und Verbreitung
Abb 1.4
Prognosen:
150 zunehmend
250 stabil
500 abnehmend
Rechtsstatus:
50­ streng ge­
schützt
150­ geschützt mit
Sonderreglung für
Problemtiere
600­ ohne Schutz/
jagdbar
Bis um 1700 war der Wolf noch in allen Teilen der Nordhalbkugel anzutreffen.
Er besaß damit nach Löwe (Panthera leo) und Mensch (Homo sapiens) das
größte geographische Verbreitungsgebiet unter den Säugetieren. In den letzten
drei Jahrhunderten wurde er in Mitteleuropa und den USA nahezu ausgerottet.
Größere Populationen konnten sich dort nur in Kanada, Alaska sowie
Minnesota halten. Vereinzelt leben noch isolierte Gruppen in den USA und
Mexiko. In Mitteleuropa haben sich die Tiere in die Bergregionen
zurückgezogen und sind nur in Spanien, dem ehemaligen Jugoslawien, Polen,
der Slowakei, Rumänien und Bulgarien relativ zahlreich anzufinden. Einzig in
Asien ist der Wolf noch weit verbreitet. Genaue Bestandszahlen der Länder
sind allerdings, außer für Russland, oft unglaubwürdig oder fragmentarisch.
7
2 Morphologie
2.1 Anatomie
Abb. 2.1
Skelett und innere
Organe des Wolfes
(OKARMA)
Wie bei anderen Wirbeltieren auch, dient das Skelett des Wolfs dem
Zusammenhalt und Schutz der inneren Organe. Die Wirbelsäule besteht aus 7
Halswirbeln, 13 Brustwirbeln, 7 Lendenwirbeln, 3 zum Kreuzbein
zusammengewachsenen Kreuzwirbeln und 20­23 Schwanzwirbeln. Alle
Knochen sind zu ihr symmetrisch angeordnet. An den Brustwirbeln setzt je ein
Paar Rippen an, wobei die ersten 9 mit dem Brustbein verwachsen sind, 3
Paare durch einen knorpligen Rippenbogen verbunden sind und das letzte Paar
frei in der Muskelwand endet. Die Gliedmaßen sind vorn durch das
Schulterblatt und hinten durch das Becken mit der Wirbelsäule verbunden.
Der Schädel ist länglich, wobei der Gesichtsschädel länger ist, als der Teil,
welcher das Gehirn umschließt. Am hinteren Teil setzt an der
Hinterhauptsöffnung das Rückenmark an. Gegenüber den meisten Hunden ist
das Gehirnvolumen eines Wolfes mit 140 bis 170 Kubikzentimetern rund 30
Kubikzentimeter größer. Charakteristisch ist der äußere Sagittalkamm, der sich
9
Morphologie
von dem Zwischenscheitelbein verlängert und in dem äußeren Stirnkamm
gabelt. Der Jochbogen ist, besonders bei älteren Individuen, weit zu den Seiten
ausgewölbt. Die starken Unterkieferknochen wachsen im Verlauf der
Individualentwicklung entweder sehr spät oder gar nicht zusammen. Ein
weiteres für Beutegreifer typisches Merkmal ist der Penisknochen. Beim Wolf
erreicht er eine Länge von 118 bis 160 mm.
Das Scherengebiss des erwachsenen Wolfes hat 42 Zähne, darunter 12
Schneidezähne (Incisivi), 4 Eckzähne (Canini), 16 Vorbackenzähne
(Prämolare) und 10 Backenzähne (Molare). Das Milchgebiss hingegen nur 28
Zähne, darunter 3 Schneidezähne, 4 Eckzähne und 3 Vorbackenzähne. Die zum
Packen und Töten der Beute dienenden Eckzähne sind ja nach Art etwa
zwischen 2,5 und 5,7 cm lang und leicht nach hinten gebogen. Zum,
zerkleinern von Beutestücken dienen, mit einem Kieferdruck von 150kg/cm²,
der obere vierte Prämolar und der untere erste Molar. Die Nahrung wird nicht
gekaut, sondern Fleischstücke werden abgerissen und im Ganzen verschlungen.
Abb. 2.2
Wolfsschädel
Ansicht von der Seite
Zahnsymbole
I – Incisivi
C – Canini
P – Prämolare
M – Molare
Mundhöhle, Speiseröhre, Einkammer­Magen, Dünn und Dickdarmbilden das
Verdauungssystem. Wobei letztere, wie bei den meisten Fleischfressern,
gegenüber anderen Gattungen deutlich verkürzt sind. Nährstoffreiche
Fleischnahrung erfordert wiederum auch keine so komplizierte Verdauung.
Seine lockeren Wangen, die breite Mundöffnung sowie die Vorderbackenspalte
10
Morphologie
verwehren es dem Wolf Unterdruck in der Mundhöhle aufzubauen und erklären
somit die Tatsache, dass er Flüssigkeit „schlabbernd“ (OKARMA) aufnimmt.
Die Zunge ist rau und fleischig. Sie dient dem Ablecken kleinster
Nahrungsreste von Knochen. Eine dehnbare Speiseröhre erleichtert das
Schlucken großer Bissen und Knochen. Der Einkammer­Magen ist im
Verhältnis zur Körpergröße mit bis zu 9 Liter Fassungsvermögen sehr groß.
Seine Innenfläche ist gänzlich mit einer Schleimhaut beschichtet, die wiederum
mit Drüsen ausgestattet ist. Der Dünndarm ist kurz, besitzt jedoch lange, dünne
Darmzotten, welche die Absorbtionsfläche stark vergrößern. Der Dickdarm ist
kaum breiter als der Dünndarm und glattwandig. Die Gesamte Darmlänge
beträgt rund das fünffache der Körperlänge (maximal 7 m).
Die rotbraune Leber setzt sich aus einer Reihe von Lappen mit tiefen
Einschnitten zusammen. Die Nieren liegen beidseitig der Wirbelsäule in Höhe
der letzten Rippe und haben Bohnenform. Die Harnblase, als besonderes
Merkmal, ragt immer aus der Beckenhöhle in die Bauchhöhle. Der rechte
Lungenflügel ist kleiner als der Linke, das Organ asymmetrisch. Das Herz hat
Kugelform. Beide sind durch das Zwerchfell von der Bauchhöhle getrennt.
Diese wird von dem für Fleischfresser üblichen „Netz“, einem abgeflachten,
durchsichtigen Beutel, von den Seiten und dem Bauch her geschützt. Nur der
Zwölf­Finger­Darm, Milz und Blase sind nicht bedeckt. Das streifenförmig
angelagerte Fettgewebe des Bauchfells erleichtert die Darmperistaltik und
besitzt thermoisolierende Eigenschaften. Es ist maschenähnlich von
Blutgefäßen durchzogen und hat Vorratscharakter.
2.2 Erscheinungsbild
Der mit einer Schulterhöhe von rund 60 bis 90 cm der größte Vertreter der
Caniden erreicht in Mitteleuropa und Nordamerika von der Nasenspitze bis
zum Schwanzansatz etwa 1 bis 1,5 Meter Länge. Abhängig von Region und
Beute variieren Gewicht und Färbung zwischen durchschnittlich 20 (C. l.
arabs) und 60 kg (C. l. albus), sowie von weiß, fahlgelb, rötlich, braun­gelb bis
11
Morphologie
schwarz. Das Fell der Wölfe setzt sich aus drei Arten von Haaren zusammen:
dem Deckhaar, dem Grannenhaar und der Unterwolle (Daunenhaar). Der
gemeine Grauwolf wechselt nur einmal im Jahr sein Fell, und das im späten
Frühjahr. Das darauffolgende kurze Sommerfell wächst dann im Spätherbst
wieder zum Winterpelz aus, der eine Stärke von 6,6 cm erreichen kann. Einige
Autoren behaupten auch, dass Wölfe von August bis September einen zweiten
Haarwechsel vollziehen. Es besteht die Möglichkeit, dass der Prozess des
Fellwechsels in verschiedenen geographischen Breiten unterschiedlich abläuft
(OKARMA).
Die langen Beine, der gestreckte Körper und der buschige, rund ein Drittel der
Körperlänge messende Schwanz machen den Wolf zum idealen Läufer. Mit
seinem langen, federnden Schritt kann er ohne Anzeichen von Ermüdung
stundenlang eine Geschwindigkeit von rund 10 km/h halten. In
Extremsituationen, wie Flucht oder Jagd, erreicht er sogar für wenige Minuten
bis zu 60 km/h, wobei er durch seinen Schwanz selbst dann noch sehr wendig
bleibt.
Abb 2.3
Bewegungsarten des
Wolfes
A: Trab
B: nicht eiliger Galopp
C: voller Galopp
(OKARMA)
12
Morphologie
Im Trab (in einigen Quellen auch als Troll bezeichnet) setzen Wölfe ihre
vierzehige Hinterpfote in die Spur der fünfzehigen Vorderpfote und diese im
tiefen Schnee oder auf schwergängigem Gelände oft in die Spur des
Vordermannes. Sie sparen dadurch Energie und vermeiden unnötige Fehltritte.
In der Regel ist die Spur eines Wolfs gradlinig, was zum Beispiel Experten in
Italien ausnutzen um sie von der ansonsten in allen anderen Merkmalen
gleichen Spur großer Herdenschutzhunde zu unterscheiden.
Die zurückgebildete fünfte Kralle der Vorderpfote nutzen diese Zehengänger,
um sich an große Beutetiere zu krallen, bzw. diese niederzureißen. Beim
Laufen wird sie nicht aufgesetzt oder abgenutzt und ist daher sehr scharf.
Abb 2.4
Rechter Hinterlauf
eines Wolfes
(MONTY SLOAN)
Zwischen den Zehen findet man die Sohlenpolster von steifen Haaren
umgeben, welche unter anderem zur Wärmedämmung dienen und dem Tier
auch auf glattem Untergrund besseren Halt geben. Die Größe der Pfoten beträgt
beim Wolf zwischen 8 bis 10,8 cm mal 10 bis 14 cm vorn, sowie 6 bis 10,5 cm
mal 8 bis 8 bis 13 cm hinten.
2.3 Fähigkeiten
13
Morphologie
Allein mit seinen Augen könnte ein Wolf einen direkt vor ihm liegenden
Gegenstand nur schwer erkennen. Durch die Vielzahl an Stäbchen in seiner
Netzhaut und das sogenannte Tapetum licidum, ähnlich unserer
Pigmentschicht, nur stärker in seiner Funktion, kann er aber selbst bei hoher
Dunkelheit und großer Entfernung kleinste Bewegungen wahrnehmen. Die
nach vorn gerichteten Augen ermöglichen ihm ein etwa 180 Grad großes
Blickfeld.
Am besten ausgeprägt und von weit größerer Bedeutung für das innerartliche
Verhalten sind jedoch Gehör­ und Geruchssinn. Die am After und etwa 7,5 cm vor der Schwanzwurzel liegende Duftdrüse,
auch als Violdrüse bezeichnet, sondert einen für jeden Wolf individuellen Duft
ab, ähnlich einem Fingeranruck beim Menschen. Um also kleinste
Unterschiede zum Beispiel bei Duftmarkierungen auseinanderhalten zu
können, ist das Riechorgan entsprechend leistungsfähig. Mit einer Oberfläche
von 130 cm² ist das Riechepithel des Wolfs um ein vielfaches großer als das
des Menschen mit nur 5 cm². Ähnlich verhält es sich mit den Riechzentren im
Vorderhirn, dem Bulbus olfactoris des Wolfes. Die Tiere können Beutetier oder
Artgenossen schon auf 2 km erkennen, bei günstigen Windverhältnissen
wahrscheinlich sogar aus noch wesentlich größerer Entfernung.
Durch die unabhängig voneinander bewegbaren Ohrmuscheln kann der Wolf
den Ursprungsort eines Geräusches, zum Beispiel ein 6 km entferntes Heulen,
sehr genau bestimmen. Die Fähigkeit, Schall auch in Frequenzen von über
21000 Hz (Obergrenze des menschlichen Gehörs) wahrzunehmen, ermöglicht
es ihm außerdem, Nagetierlaute im Ultraschallbereich unter der Erde zu hören.
Die langen Haare an den Schnauzen sind Tastorgane.
Untersuchungen zur Intelligenz des Wolfes gestalten sich etwas schwieriger.
Wölfe besitzen die Fähigkeit, sich an verändernde Bedingungen anzupassen.
Auch besitzen sie eine räumliche Vorstellung ihrer Umgebung, die sie zum
Beispiel bei der Jagd brauchen, um selbst kleinste Deckungen perfekt
ausnutzen zu können. Sie lernen leicht und können sich lange Zeit an gelerntes
zurückerinnern. Gegenüber Hunden lösen Wölfe Probleme, die
kombinatorisches Denken erfordern, besser und zielstrebiger (OKARMA).
14
3 Ökologie
Der Wolf war einst, neben dem Bären, der größte Jäger unserer breiten.
Zusammen mit dem Luchs übten diese beiden Beutegreifer einen großen
Einfluss auf die Mortalität aller großen Huftiere in Europa aus. Ohne diese
Jäger fällt dem Menschen diese Aufgabe zu. Dieser übernimmt sie jedoch nur
in den seltensten Fällen im erforderlichen Maße. Wen überrascht es da, dass
unser Wild immer mehr Schäden verursacht und seine Bestände unkontrolliert
anwachsen.
In diesem Kapitel wollen wir näher auf die Rolle des Wolfes in der Natur
eingehen.
3.1 Lebensraum
Von der polaren Kältewüste Grönlands bis zu den Sandwüsten der Arabischen
Halbinsel kommt der Wolf in nahezu jedem Ökosystem vor.
Bei der Wahl eines Gebietes sind das Vorhandensein von Wasser und Beute
ausschlaggebend. Ein Platzt zum Anlegen einer Wurfhöhle ist nur von
zweitrangiger Bedeutung. Während sich historisch der europäische Wolf durch
den Menschen in die Wälder zurückgezogen hat, treten sie auf anderen
Kontinenten auch in Wüsten, Halbwüsten, Steppen, Waldsteppen, Prärie,
Taiga, Waldtundra, Tundra und hochgelegen Gebieten bis 5500 m auf.
Für die Wurfhöhlen wählen sie gut geschützte, schwer zugängliche Plätze, die
stets in der Nähe einer Wasserquelle liegen. Diese kann ein Bach, Fluss, See,
Moor oder eine tiefe nicht austrocknende Pfütze sein. Wird der Bau nicht durch
Menschen gestört, nutzen Wölfe ihn oft über mehrere Jahre.
In Europa ist in den letzten Jahren eine Entwicklung zu verzeichnen, die als
Gewöhnung an den Menschen gedeutet werden kann. Polnische Wölfe wurden
verstärkt auch in der Nähe großer Städte, wie Gdańsk und Toruń sowie in
Wäldern mit relativ hoher menschlicher Präsens gesichtet Unter dem
Besiedlungsdruck des Menschen haben sich Italienischen Wölfe (Canis lupus
italicus) sogar schon soweit in ihren Gewohnheiten und Umweltpräferenzen
15
Ökologie
angepasst, dass sie zur Nahrungssuche regelmäßig auf Müllhalden ausweichen.
Die natürliche Scheu ist jedoch weiterhin groß und von Menschen tagsüber
stark frequentierte Orte werden selbst nachts nur mit äußerster Vorsicht
betreten.
3.2 Räuber – Beute – Beziehung
3.2.1 Energiehaushalt
OKARMA führt eine Untersuchung zum Grundumsatz an, die Aufschluss über
die Bioenergie­Umwandlung beim Wolf geben soll. Ihr zufolge bleibt ein Wolf
mit rund 7,28 bis 8,78 Liter Sauerstoff je Stunde etwa 15% unter dem mittleren
zu erwartenden Grundumsatz eines Beutegreifers. In Extremsituationen, wie
einem schnellen Sprint, kann der Umsatz aber auch auf mehr als das 33fache
dieses Wertes steigen. Damit ist die Spanne zwischen Grundumsatz und
maximaler Stoffwechselleistung mindestens dreimal so groß wie der
Durchschnitt anderer Säugetiere. Der Wolf ist somit sowohl an
kurzandauernde, intensive Anstrengungen, wie das Verfolgen von Beute, als
auch an lange Perioden der Nahrungsknappheit sehr gut angepasst.
In Gefangenschaft liegt der Tagesbedarf eines ausgewachsenen Tieres bei rund
0,03 kg Nahrung je kg Körpermase. In freier Wildbahn wird das drei bis
vierfache dieses Wertes angenommen, was unter anderem auf den erhöhten
Energiebedarf, die durch einen Teil des Kalorienüberschuss vermehrte Anlage
von Fettreserven und eine unvollständige Verdauung großer Nahrungsmengen
(bis zu 9 kg) zurückgeführt wird. Bei Jungtieren ist er noch einmal rund
doppelt so hoch. Praktisch konnten wir die die schlechte Nahrungsverwertung
an Kotproben sehen. In der Regel wurde schon kurze Zeit nach der
Nahrungsaufnahme ein relativ dünner Kot abgegeben, der noch viel Fell,
Knochen und andere feste Bestandteile enthält. Erst mit der Zeit wurden die
Proben fester, was auf eine bessere Verdauung hindeutet.
16
Ökologie
Abb. 3.1
Wolfskot
links: kurz nach
der Nahrungsauf­
nahme
rechts: einige Zeit
später
Energieverluste durch die Aufrechterhaltung der Körpertemperatur sind
minimal. Das Fell der Wölfe besitzt ideale Isoliereigenschaften und die
thermoneutrale Zone des Wolfs scheint besonders umfassend. Selbst bei
Temperaturunterschieden von 50°C zwischen Sommer und Winter sowie
Temperaturen von ­30°C verlieren die Tiere außer über die Atemluft nur sehr
wenig Energie an ihre Umgebung.
3.2.2 Aktivität
Abb 3.2
Dösender Wolf
(M. BARZ)
Im Sommer ruhen
Wölfe tagsüber oft
an
Plätzen
Entsprechend der isolierenden Eigenschaften ihres Fells und der bei
Anstrengungen daraus resultierenden Hitzeanstauung im Sommer dösen die
Tiere zu dieser Jahreszeit tagsüber meist im Schatten. Sie werden dann erst
gegen Abend aktiv und jagen in der Nacht. Jahresrhythmisch befinden sie sich
17
schattigen
Ökologie
in der sesshaften Phase die kurz vor der Geburt der Jungen beginnt und bis in
den Spätherbst anhält. Jagdausflüge reichen in diesen Monaten nie weiter als 4
bis 13 km. Die Jungen werden währenddessen, nachdem sie mit 6 Wochen die
Höhle endgültig verlassen haben an sogenannten Rendezvousplätzen von
anderen, meist jüngeren Rudelmitgliedern behütet. Die Lage dieser Plätze
wechselt mit der Zeit und die Dauer des Aufenthaltes an einem sinkt. Die
Entfernung zwischen ihnen steigt von anfangs 1,5 auf rund 3 km. Wölfe ruhen
in der Regel nach erfolgloser Jagd für ein paar Minuten, nach Zurücklegen
eines längeren Streckenabschnittes für einige Stunden. Am längsten aber nach
dem Fressen.
Im Spätherbst, nachdem die Jungtiere schon an der Jagd teilnehmen, beginnt
das Rudel zu wandern und kann dann an einem Tag 50 bis 70 km zurücklegen,
wobei anfangs noch öfter Pausen eingelegt werden. PULLIAINEN berichtet
1965 sogar von einem Wolf, der in 24 Stunden eine Strecke von ungefähr 200
km zurückgelegt hat. GROSZCYŃSKI hat 1986 einen mittlere Tageslänge von
25,7 km bestimmt. Auf ihren Wanderungen verwenden Wölfe oft ausgetretene
Wege anderen Tiere, zugefrorene Seen, Flüsse oder Bahngleise. Es scheint,
dass Wölfe entlang sicherer Haupttrassen wandern und deren Kenntnis von
Generation zu Generation weitergeben.
3.2.3 Selektion
Wenn es um seine Nahrung geht ist der Wolf nicht wählerisch. Er ist
Opportunist und frisst je nach geographischer Lage von den großen Paarhufern,
wie Elch und Rentier, bis zu Vögeln, Insekten, Aas und Obst so ziemlich alles.
Auf kleinere Beute wird meist nur in den warmen Monaten zurückgegriffen,
wobei ihr Anteil an der Diät, mit Ausnahme des Bibers, in der Regel eine
gewisse Grenze nicht überschreitet, wenn genügend große Beutetiere
vorhanden sind. In einigen nördlichen Gebieten haben sich Wölfe auf
Schneehasen (Lepus timidus) spezialisiert und wie bereits erwähnt sucht der
Lupus italicus sein Futter vorwiegend auf Müllhalden, um nur zwei
18
Ökologie
Sonderformen wölfischer Ernährung zu nennen. Hauptsächlich werden in
Mitteleuropa Hirsch gerissen, gefolgt von Rehen und anderen großen
Paarhufern, wie Elch und Ren, bei denen jedoch eher Jungtiere Opfer des
Wolfes werden. Ein weiteres wichtiges Beutetier ist das Wildschwein. Risse
adulte Tiere sind aufgrund ihrer Wehrhaftigkeit eher selten. Fälle, dass Wisente
Beute des Wolfes wurden sind selten. Untersuchungen aus dem Białowieza­
Urwald, die weltweite bestätiung fanden belegen, dass Wölfe bei der Wahl
ihrer Beute große Huftiere bevorzugen und unter diesen besonders den
Rothirsch. Der Anteil anderer Tiere an der Diät des Wolfes hängt stark mit
deren jeweiliger Verbreitung, Größe und Wehrhaftigkeit zusammen.
Abb 3.3
Aufteilung des Ge
­ biets der ehema ­ ligen UDSSR in
Regionen entspre ­ chend der Gat­
tungen, die in der
Nahrung der Wöl ­ fe vorherrschen
(nach BIBIKOW)
Die Nahrungsaufnahme erfolgt, soweit die Tiere nicht gestört werden, stets
gleich. Nach dem töten der Beute wird diese Schnell gefressen, wobei ein Wolf
9 kg oder mehr mit einem mal verschlingen kann. Zunächst wird der hintere
Teil der Beute und die Bauchhöhle verzehrt. So an die Innereien gelangt,
werden diese bis auf den Mageninhalt restlos gefressen werden. Bei großen
Tieren bleiben oft nur stärkere Knochen, wie Schädel, Wirbelsäule und die der
Gliedmaßen, sowie Pansen und Decke zurück. Nach dem vollständigen Stillen
des Hungers ist in freier Wildbahn und auch in Gefangenschaft zu beobachten,
dass Wölfe direkt am Fressplatzt oder in seiner näheren Umgebung meist erst
für längere Zeit schlafen, bevor sie weiterziehen.
19
Ökologie
Die Mechanismen der Selektion durch Wölfe sind noch nicht vollständig
erforscht und allgemeine Aussagen schwer zu treffen. Oft treffen Ergebnisse,
die in einem Gebiet gemacht wurden auf eine andere Population der selben Art
oder die selbe Population zu einer anderen Zeit schon nicht mehr zu. Im
folgenden werden wir uns auf einige Beobachtungen anderer Autoren beziehen.
Der Selektion liegen verschiedene Faktoren zu Grunde. Zum einen die
Kondition und Wehrhaftigkeit der Beute, zum anderen ihr Alter und
Geschlecht. Aber auch Erfahrung und Kondition des Jägers sowie seine
Situation, also ob einzelner Wolf oder Rudel, spielen eine Rolle.
Zum Einfluss des Geschlechts stellten OKARMA und BOBEK für polnische
Hirsche fest, dass der Anteil der Weibchen rund doppelt so hoch war, wie der
der Männchen und dass er gegen Ende des Winters zunimmt. Da Hirsche in der
Regel zwei Gruppen bilden und die Weibchen mit Kälbern die leichtere Beute
sind, wird als mögliche Ursache angeführt. Untersuchungen an Rehen lieferten
ähnliche Ergebnisse. Die meisten Männchen werden im Oktober und
November kurze Zeit nach der Brunst gerissen, wo sie am schwächsten sind.
Als gesichert gilt, dass Junge und ältere Tiere besonders häufig gerissen
werden, was auf der testhetzenden Jagdweise der Räuber beruht. Die
Beseitigung Schwacher, Alter, Junger und Kranker Individuen bezeichnet man
als „Sanitäreffekt der Beutejagd“. In 90 Proben von Wölfen getöteter Hirsche
fanden sich im frühen Winter 32% Kälber und im späten Winter sogar 51%.
Diese bildeten jedoch nur 15% der Gesamtpopulation. Analysen der Kotproben
aus dem Białowieza­Urwald ergaben für die Winter 1984/1985 bis 1990/1991,
dass Kälber 60% der Diät ausmachen. Der Anteil an den Funden von
Beuteresten betrug im selben Zeitraum 39%. Ähnliche Angaben liegen aus dem
russischen Teil des Nationalparks vor. Auch bei Wildschweinen liegt der
Anteil der Frischlinge deutlich über dem ausgewachsener Individuen. Unter
221 von MURIE untersuchten Dallschafen waren 86% unter 2 oder über 8
Jahre alt. Von MECH untersuchte Risse unter den Elchen auf Isle Royal
ergaben sogar 94%. Gegenüber der Gesamtpopulation machten die Jungen
weniger als 25% aus. Wahrscheinlich ist der Anteil der Kälber sogar noch
höher als bisher angenommen, da diese oft vollständig aufgefressen werden.
20
Ökologie
Zur Kondition liegen kaum Studien vor. MURIE stellte fest, dass von Wölfen
getötete Dallschafen zu 26% an einer Pilzinfektion des Unterkiefers litten,
wodurch die Nahrungsaufnahme sowie Dauer und Intensität des Widerkäuens
beeinträchtigt waren. Der Anteil bei den 2­8 jährigen lag interessanterweise bei
68%. Bei 15% der von MECH untersuchten Elche waren die Fettreserven des
Knochenmarks fast vollständig verbraucht. Vier Funde, an denen noch weitere
Untersuchungen möglich waren, enthielten zahlreiche Zysten des
Blasenwurms, die nicht selten mehr als 2,5 cm im Durchmesser maßen. 21%
der Elche litten an der selben Erkrankung wie Muries Dallschafe. Okarma
untersuchte die physische Kondition von Hirschen in den Ostbeskiden
ebenfalls anhand des Fettgehalts im Knochenmark. Obwohl dieses Verfahren
sehr beliebt ist und oft nicht mehr von der Beute als die großen Knochen
zurückbleibt, sind die zusammenhänge beim Abbau der Fettreserven noch nicht
weit genug erforscht um mit Sicherheit auf die Verfassung der Tiere schließen
zu können. Bisher steht fest, dass gegen Ende der Wintersaison der Fettanteil
im Knochenmark sinkt. Da dies jedoch nicht nur für die gerissenen sondern alle
Tieren der Population gilt, ist auch hier keine eindeutige Aussage zur
Verfassung zu finden.
Allgemein kann gesagt werden, dass Wölfe die für sie leicht erreichbaren Tiere
reißen. Sie können vor der Hatz ihre Chancen abschätzen und brechen die Jagd
schnell ab, wenn der gewünschte Erfolg ausbleibt. Ihre testhetzende Jagdweise
ermöglicht es ihnen besonders die schwachen Tiere zu selektieren. In ihrem
Verhalten und der Beutepräferenz können sich Wölfe innerhalb kürzester
Zeiträume sehr schnell an wechselnde Umweltbedingungen anpassen.
3.2.4 Auswirkungen auf die Beutepopulation
Das wohl umstrittenste und komplizierteste Thema der Ökologie ist die
natürliche Regulation von Populationen. Zwischen Beutegreifer und Beute
besteht ein kompliziertes System von In den USA fanden über die letzten 100
Jahre zahlreiche Untersuchungen statt. Hervorzuheben sind die Studien
21
Ökologie
MECHS, vor allem an den Elchen von Isle Royal. Vor der Ankunft des Wolfs
1949 lebten auf der Insel außer dem Elch keine weiteren großen
Pflanzenfresser. Seine Population war aufgrund von periodischer
Überweidung, Nahrungsnot und darauf folgende Regeneration großen
Schwankungen unterworfen. Mit Ankunft der Wölfe stabilisierte sich diese
zunächst auf etwa 600 zu 23 Tieren, was einem Wolf auf 10000 kg Elche
entspricht. Von den Jährlich rund 225 Kälbern rissen die Wölfe
vorraussichtlich 140. Von den adulten Tieren 83. Demnach schienen sie den
Bestand zu limitieren. Aus dem Aloquin Nationalpark lagen Berichte vor, dass
die dortige Hirschpopulation (rund 100 bis 150 Hirsche je Wolf, also etwa
7000 bis 10000 kg) ebenfalls von Wölfen limitiert wurde. Da der Jasper
Nationalpark meldete, seine Wölfe üben bei 40000 bis 50000 kg je Individuum
nur einen geringen Einfluss aus, formulierte MECH die These, dass Wölfe bei
einem Verhältnis von einem Wolf zu 10000 kg Beutemasse, unter natürlichen
Bedingungen, einen limitierenden Einfluss auf die Beutepopulation ausüben.
Verändert sich dieses Verhältnis zu Gunsten der Beute, so sinkt
dementsprechend der Einfluss des Wolfes.
Okarma hat dieses Verhältnis wie folgt dargestellt:
Abb. 3.4
Einfluss des Wolfes
auf eine Beutepopu ­ lation
I. Es sind nur wenige Individuen der Beuteart vorhanden. Als folge des
Beutemangels, gibt es nur wenige Wölfe, die nur einen geringen Einfluss
auf die Beutepopulation ausüben.
II. Bei einer höheren Bestandsdichte der Beutetiere können Wölfe zu einem
entscheidenden Regulations­ und Stabilisierungsfaktor für die
22
Ökologie
Populationsstärke ihrer Beute werden.
III.Wenn die Zahl der Beutetiere gegenüber der der Wölfe sehr hoch ist,
verliert dieser aus zwei Gründen an Bedeutung:
­ soziale Faktoren, wie Territorialität und begrenzte Vermehrung, hemmen
das Wachstum der Wolfspopulation
­ Tiere die nicht zum reproduzierenden Kern der Beutepopulation zählen
werden leichter erreichbar
Genauer Betrachten möchten wir in diesem Zusammenhang die Ergebnisse, die
auf der Isle Royal gemacht wurden. Nach der Besiedlung der Insel durch Wölfe
steigt der Elchbestand langsam auf rund 1000 Tiere an. Die 25 Wölfe scheinen
jedoch ein weiteres Wachstum der Beutepopulation bis in die späten sechziger
Jahre zu verhindern. Vermutlich soziale Spannung, ausgelöst durch ein zweites,
neu etabliertes Rudel sorgen dafür, dass im Winter ganze Gruppen von jungen
Wölfen über das Eis abwandern und die Zahl der Wölfe abnimmt. Zu beginn
der siebziger Jahre folgen weitere kalte Winter mit hohen Schneelagen. Den
aufgrund der Überweidung und daraus resultierender Naherungsknappheit
ohnehin schon geschwächten Elchen gelingt es immer seltener sich im tiefen
Schnee vor Wolfsangriffen zu schützen und das Verhältnis zwischen den
beiden Populationen drehte sich dramatisch. Im Sommer kam den Wölfen die
hohe Biberpopulation zugute und so konnten sie sich in kurzer Zeit stark
vermehren. 1980 waren es schon 50 Tiere auf 650 Elche. Die sich
regenerierende Natur und milde Winter in den folgenden Jahren lassen die
Elche wieder erstarken. Gleichzeitig nimmt die Zahl der Wölfe aufgrund
ausbleibender Beute, sozialer Spannungen und immer häufiger auftretender
Auseinandersetzungen zwischen den Rudeln ab. 1982 leben nur noch 19 Wölfe
auf der Insel. 1983 hatte sich das scheinbar stabile Verhältnis von 23 Wölfen zu
900 Elchen eingepegelt. Diesmal vermehrten sich die Elche ungebremst auf
rund 2000 Tiere im Winter 1988, während die Zahl der Wölfe auf 11 Tiere
sank und es 1989, trotz ausreichend leicht erreichbarer Beute und einer
Vielzahl an Kadavern keinen Nachwuchs mehr gab. Als Ursache hierfür
wurden zunächst Krankheiten, wie die Staupe angenommen. Nachdem
23
Ökologie
PETERSON 1989 von der Nationalparkverwaltung die Erlaubnis erhielt Tieren
Blut abzunehmen, musste er bei der Analyse bestimmter DNS­Moleküle im
Blut feststellen, dass sie bei allen vier gefangenen Tiere übereinstimmen. Alle
Tiere der Insel scheinen auf ein reproduzierendes Weibchen zurückzugehen,
dass 1949 eingewandert war. Dadurch sind vorraussichtlich 50 Prozent der
genetischen Variabilität verloren gegangen.
Abb 3.5
Verhältnis von Wölfen
und Elchen auf der
Isle Royal
(ZIMEN)
3.2.5 Verhältnis zu anderen Räubern
Füchse, Marder, Vielfraße, Marderhunde, Waschbären und selbst schwache
oder kleine Bären stehen mit auf dem Speiseplan des Wolfes. Sie werden
jedoch nicht direkt bejagt. Fälle, dass ein Luchs gerissen wurde sind selten,
meist können die Tiere auf Bäume fliehen. Die Wechselbeziehungen zwischen
beiden Arten sind kaum bisher erforscht. Der Wolf steht an der Spitze der
Nahrungskette und braucht keine natürlichen Feinde zu fürchten. Anderen
großen Räubern, wie zum Beispiel Bären geht er in der Regel aus dem Weg.
Bei der Verteidigung der Wurfhöhle oder der Beute kann es vorkommen, dass
ein Wolf stirbt (OKARMA). Füchse und Marder folgen teilweise Wolfsspuren
und ernähren suich von Beuteresten. Einige Quellen berichten zwar von einer
gewissen Toleranz gegenüber Füchsen, es ist aber nicht auszuschließen, dass
Wölfe Füchse töten. Die höchste Wahrscheinlichkeit besteht hierzu, wenn der
Fuchs an der Beute überrascht wird (MECH). Unsere heimischen Raubtiere
haben sich an die Jagd von Marderhunden angepasst und suchen häufig seine
Baue auf. Gegenüber den Großkatzen, wie Tiger, Leopard usowei
Schneeleopard, verhält sich der Wolf zurückhaltend. Genauere Untersuchungen
24
Ökologie
liegen kaum vor. Die Beziehung zwischen Wolf und Dachs sind komplexer. In
einem Gebiet können beide Arten über lange Zeit friedlich auf engstem Raum
koexistieren. Allerdings nutzen Wölfe gern Dachsbaue als Wurfhöhlen und
töten dann die ganze Population. In einigen Regionen haben sich Wölfe auf die
Jagd von Hunden spezialisiert, in anderen töten sie Streuner, ohne diese zu
fressen. Mangelt es in einem Gebiet an Männchen neigen Fähen dazu sich mit
Hunden zu paaren. Andersherum, fehlt es an Weibchen paaren sich Wölfe in
der Regel nicht oder in den USA mit Kojoten, die sie aufgrund ihrer Größe
leicht dominieren können. Die Hybridisierung stellt ein Hauptproblem des
Wolfmanagements dar. Wolfs­Hund­Hybriden sind entschieden weniger Scheu
gegenüber Menschen. Sie neigen dazu im Sommer Gruppen von mehr als
einem dutzend Tieren zu bilden und wenden Jagdtechniken des Wolfs an,
wobei sie Beute auch über relativ Große Entfernungen von bis zu 4 km hetzen.
Wölfsrudel beanspruchen ein Revier oder Territorium, dass je nach Terrain und
Verteilung der Beute von einem Dutzend bis zu 13000 km² umfassen kann
(MECH). Einzelne Reviere können einander überschneiden. Bei Rudeln, die
migrierenden Beutepopulationen folgen, sind sie oft nicht genau bestimmbar.
Konfrontationen zwischen zwei Rudeln oder zwischen Rudeln und ziehenden
Wölfen kommt es sehr oft zu Kämpfen die nicht selten auch Opfer fordern.
Schon der Verlust eines Tieres kann erheblichen Einfluss auf den Jagderfolg
der Population haben. Daher markieren, in der Regel die ranghohen Tiere, das
Territorium, zum Beispiel durch Kotentleerung oder Duftmarken, die anders
als beim üblichen Urinieren mit gehobenen Bein abgegeben werden. Zum Rand
des Reviers hin nimmt die Dichte der Markierungen zu. Fremde Individuen
können anhand dieser Marken und ihrer Frische abschätzen ob das Rudel im
jeweiligen Gebiet ist. Dadurch werden die Territorialgrenzen flexibler und
Pufferzonen entstehen, die von ziehenden Wölfen genutzt werden können.
25
Ökologie
Eine weitere Methode der Terrtorialkennzeichnung ist das Heulen. Benachbarte
Rudel antworten. Die Häufigkeit des Heulens unterliegt Jahreszeitlichen
Schwankungen und ist gegen Ende des Winters (Paarungszeit) und Mitte
August (Antworten der Jungen und des Rudels von Rast­ und Sammelplätzen ).
Weiter antworten Wölfe häufig an frischen Rissen (OKARMA).
Das Risiko einer zufälligen Konfrontation ist somit relativ gering.
26
Ökologie
3.3 Wolfsmanagement in Mitteleuropa
In den letzten Jahren führten JĘDRZEJEWSKI, JĘDRZEJEWSKA, NOWAK
und NIEDZIAŁKOWSKA Untersuchungen zur Situation der Wölfe in
Nordpolen durch, auf deren Ergebnisse wir uns hier aufgrund der Parallelen
zum Osten Deutschlands und der geographischen Nähe beziehen wollen.
Ergebnisse der südpolnischen Untersuchungen gehen nur in Bezug auf die
Räuber­Beute­Beziehung ein. Im Norden des Landes wurden 134 Sektoren zu
einem Radius von 14 km gewählt und verglichen. In 72 Sektoren wurde die
Präsenz von Wölfen nachgewiesen. Es ergab sich eine durchschnittliche
Rudelgröße von rund 4 Tieren (bei maximal neun Tieren je Rudel). In
besiedelten Sektoren meiden Wölfe hauptsächlich stark frequentierte größere
Staßen sowie Eisenbahnstrecken. Weniger frequentierte und regionale Straßen
scheinen kaum Einfluss auf ihr Zugverhalten auszuüben. Ein typisches und das
zweitwichtigste Merkmal der Wolfsterritorien ist eine hoher Waldanteil (50,5%
bei Werten zwischen minimal 11% und maximal etwa 80%) mit
zusammenhängenden
Waldstücken
(Durchschnittlich
17,7
unzusammenhängende Wälder je Sektor gegenüber 20,2 in nicht von Wölfen
besiedelten Gebieten). Weiter bevorzugen Wölfe eine geringe Siedlungsdichte
und Gebiete mit ausreichend Seen (3,4 km² je Sektor). Beim Ost­West­
Vergleich ergab sich, dass Rudel in Nordwestpolen in der Regel nur halb so
groß waren, selbst wenn der Anteil der Wälder dort größer war (34%
gegenüber 29% im Osten). In beiden Teilen des Landes meiden Wölfe die
Hauptverkehrswege und bevorzugen bewaldete Gebiete. Es wird jedoch auch
von Fällen berichtet, in denen den Tieren nur ein sehr kleines Rückzugsgebiet
bleibt und sie auf offenen Flächen jagen. Der einzige signifikante Unterschied
zwischen den Landesteilen, besteht in der Dichte des Eisenbahnetzes, die, wie
sich herausstellte, im Westen doppelt so hoch ist. Man untersuchte darauf hin
das Verhalten der Wölfe gegenüber Zügen und Strecken. Nur für den Westen
konnte nachgewiesen werden, dass sie von den dort lebenden Wölfen gemieden
werden. Als letzter und wahrscheinlich wesentlichster Faktor für ein Revier
27
Ökologie
wird seine Nähe zur ostpolnischen Grenze, beziehungsweise der dort lebenden
Population angeführt (bis zu 640 km). Diese Entfernung liefert Aufschluss über
die Wahrscheinlichkeit einer Wolspräsenz.
Durch Nordpolen verlaufen die wichtigsten Migrationskorridore. Sie und die
noch zahlreichen Bestände im Osten des Landes sind von grösster Bedeutung
für die Verbreitung des Wolfs in Mitteleuropa. Behindert wird diese zum
Beispiel durch die Anlage neuer Autobahnen, dem Ausbau des
Eisenbahnnetzes, der Rodung von Wäldern und den Siedlungsdruck durch den
Menschen. Wölfe tendieren dazu von Menschen geschaffenen Komplexe zu
meiden. Um eine Migration in Ost­West­Richtung zu sichern müssen
bestehende Waldkorridore unter Schutz gestellt werden und besonders in
Zentralpolen neue Korridore geschaffen werden. Dies würde in Verbindung mit
der Aufklärung von Landwirten über mögliche Schutzmaßnahmen unter
anderem auch die Zahl der Risse senken.
Eine Gefährdung von Vieh entsteht nämlich genau dann, wenn den Wölfen
ungenügend bewaldetes Gebiet, nur stark fragmentierte Wälder oder zuwenig
leicht erreichbare Beute in Form von großen Huftieren zur Verfügung steht.
Ein weiterer Faktor ist, wie gesagt, fehlender oder mangelhafter Schutz sowie
eine hohe Zahl weidenden Viehs. In einer Studie von 1999 führt OKARMA an,
dass Wölfe dazu übergehen Haustiere zu reißen, wenn es ihnen an ihrer
eigentlichen Beute fehlt. Als eine Ursachen hierfür nennt er die mangelnde
Anpassung bei den jährlichen Abschüssen an die Bedürfnisse der großen
Beutegreifer.
Vorkommen an Beutegreifern
Jährlicher Zuwachs in Prozent des Frühjahrsbestandes
Rotwild
Rehwild
Fehlen von Beutegreifern
max. 30%
max. 30%
Wolfsvorkommen
20%
25%
Vorkommen von Wolf und Luchs
15%
15%
28
Ökologie
Besonders im Süden des Landes werden gegenwärtig Schutzverfahren gegen
Wolfsübergriffe getestet. Die wichtigsten sind, Lappen­ und Elektrozäune,
denen Wölfe in der Regel ausweichen, Herdenschutzhunde, Hüten der Schafe
und Abschreckungsmaßnahmen wie Gummigeschosse. In der Schweiz werden
zusätzlich Esel auf eine Tauglichkeit als Herdenschutztiere untersucht. Von der
Anwendung nur einer Maßnahme ist jedoch abzuraten. Wölfe sind sehr
anpassungsfähig und können zum Beispiel ihre Jagdtechniken weitestgehend
an Herdenschutzhunde anpassen, gewöhnen sich an Zäune und suchen
Schwachstellen oder vergessen eine einmalige schlechte Erfahrung mit
Gummigeschossen wieder. Besondere Leistungen auf dem Gebiet der
Aufklärung hat der Naturschutzverband „WOLF“ (AfN Wolf) erbracht. Er setzt
sich unter anderem auch für den Schutz großer Beutegreifer ein und hat die
Beobachtung der Wolfspopulation in den südpolnischen Karpaten
übernommen. Wir konnten im März 2004 an einem ihrer Seminare teilnehmen
und verdanken seiner Präsidentin, Frau Dr. Sabina Nowak, viele zusätzliche
Informationen zu Wölfen und ihrem Schutz in Polen.
29
4 Verhalten
Fast alle hier angestellten Betrachtungen zum Verhalten der Wölfe beziehen
sich auf die Ergebnisse, zu denen Erik Zimen nach jahrelanger Beobachtung
der von ihm aufgezogenen Wölfe kam. Zwar waren alle diese Wölfe an den
Menschen gewöhnt und es kann so nie mit voller Sicherheit gesagt werden, ob
sie sich in freier Natur auch so verhalten, aber viele Untersuchungen zum
Beispiel der Verhaltensentwicklung der Welpen waren nur auf diese Art und
Weise möglich. Erik Zimen hat durch seine jahrelangen Beobachtungen und
Arbeiten mit den Wölfen allein einen Verhaltenskatalog, ein Ethogramm mit
insgesamt über 350 Verhaltensweisen aufgestellt, und ist einer der
berühmtesten Forscher, die sich mit Wölfen beschäftigt haben. Auf dem Gebiet
der Ethologie ist er neben den sonst eher auf Ökologie bedachten Kollegen
Okarma, Mech etc. sicher auch einer der wichtigsten.
Viele seiner Beobachtungen konnten wir bei Rudel des Wildparks in Groß
Schönebeck bestätigt finden, nur dass man natürlich in 15 Tagen nicht einmal
annähernd die Erkenntnisse und Theorien erarbeiten kann, wie Zimen in seiner
jahrelangen Zeit mit den Wölfen. Daher werden in diesem Kapitel
hauptsächlich die Erkenntnisse Erik Zimens über die Ethologie der Wölfe
vorgestellt.
4.1 Die Entwicklung des Verhaltens
4.1.1 Die Entwicklung des Verhaltens
Wolfwelpen werden nach etwa 61­75 Tagen Tragzeit in einer meist von der
Mutter selbst gegrabenen Höhle zur Welt gebracht. In den ersten 10 Tagen
ihres Lebens beschränken sich ihre Regungen auf Winseln, ein wenig
Herumrobben und das Saugen mit dem typischen Milchtritt. In der nächsten
Dekade werden sie zwar etwas beweglicher, reagieren auf verschiedene Reize,
wie laute Geräusche oder Licht, sind aber immer noch sehr hilflos,
unbeweglich und eigentlich nur auf das Saugen an den Zitzen der Mutter
31
Verhalten
bedacht. Diese finden sie, weil sie, sobald sie mit ihrem Kopf an etwas Warmes
stoßen sich sofort in diese Richtung bewegen. So finden sie auch ihre
Geschwister, um sich untereinander zu wärmen, falls die Mutter sich nicht in
der Höhle befindet. Anfangs tut sie das aber lange, wobei ihr Futter zunächst
meist vom Alpharüden zugetragen wird
Nach 20 Tagen folgt bei den Welpen ein enormer Entwicklungssprung. Aus
den winzigen Fellknäulen mit den kurzen Beinchen, hängenden Ohren und bis
zum 14. Tag noch ungeöffneten Augen, werden kleine Wölfe. Die Beine
strecken sich und werden kräftiger, die Ohren stellen sich auf, erste, spitze
Milchzähne wachsen und die Schnauze wird insgesamt länglicher. Um ein
Vielfaches größer ist jedoch der Schritt in der Verhaltensentwicklung. Die
ersten angeborenen Verhaltensweisen, der Milchtritt, der Saugreflex, einfache,
reflexartige Reaktionen auf Umweltreize und Ansätze von Spielverhalten – sie
versuchen, sich gegenseitig zum Beispiel in den Rücken zu beißen – werden
abgelöst durch erste eigene Erfahrungen außerhalb der Höhle, wohin die Mutter
die Welpen nach 3 Wochen das erste Mal trägt. Nach Erik Zimen entwickeln
sich allein in den letzten zehn Tagen ihres ersten Lebensmonates 60% aller
„wölfischen“ Verhaltensweisen, nach weiteren zehn Tagen sind es schon 80%,
wobei letztendlich nur noch die Verhaltensweisen, die später mit Fortpflanzung
zu tun haben, fehlen, also das Sexualverhalten, das Gebären und die Aufzucht
eigener Welpen. Das erste von Zimens selbst aufgezogenen Weibchen
kümmerte sich allerdings schon mit nur 3 Monaten um ihre zwei Monate
jüngeren Welpen, was vermuten lässt, dass auch diese Anlagen vorher
vorhanden sind, nur nicht früher ausgelöst werden, denn wenn sie selbst das
erste Mal Kontakt mit Welpen haben, sind sie 1 Jahr alt, die Geschlechtsreife
erreichen sie durchschnittlich im Alter von 2 Jahren. Die Welpen werden etwa bis zur zehnten Woche gesäugt, danach wird ihnen,
anfänglich durch die Mutter, später mehr und mehr auch durch andere
Rudelmitligeder, Futter zugetragen. Die Welpen erlernen die Verhaltensweisen für ihr späteres Leben vor allen
Dingen im Spiel.
32
Verhalten
Abb 4.1
Welpen beim Spiel
(Quelle: Monty
Sloan 2004)
Noch bevor sie selbst wirklich Fleisch fressen, oder die Möglichkeit haben,
eigene Beute zu töten, schleichen sie sich an, springen, beissen und schütteln
eine vermeintliche Beute, wie Fellstücke oder auch ihre eigenen Geschwister.
Ein großer Teil ihres Verhaltensreportoires ist angeboren, alles, was sie
erlernen müssen, ist die richtige Verbindung einzelner Elemente einer
Handlungskette. Im Laufe dieses Prozesses treten anfangs unsinnige
Kombinationen auf, wie zum Beispiel das Zubeißen zuerst, und das
Anschleichen am Ende. Erfahrungen wiederum mit der Wölfin Anfa zeigten
aber auch hier, dass die korrekte Ausführung im Ernstfall schon erstaunlich gut
gelingt.
Grundlegend wissen Wölfe also, wie man jagt, nur was man jagt, muss
wiederum erlernt werden. Ausgelöst wird das Jagdverhalten bei allen Wölfen
durch das Fluchtverhalten der Beute. Haben sie Erfolg, ist das eine positive
Erfahrung, und der Jagdeifer für diese Art der Beute verstärkt sich. Haben sie
keinen Erfolg, bzw. müssen erfahren, dass für sie ein Beutetier (noch) nicht
erlegbar ist, lassen sie nach wenigen Versuchen davon ab. In freier Natur kann
Energieverschwendung tödlich sein, somit müssen sie effektiv lernen, was
sinnlos ist und was nicht. Letztendlich schätzen sie ihre Chancen besser ein, als
mancher Haushund.
33
Verhalten
4.1.2 Sozialisation und Flucht
Anhand seiner Beobachtungen mit verschiedenen Generationen junger Wölfe,
deren Verhalten in bestimmter Umgebung ihm oder Fremden und später
besonders anderen Wölfen gegenüber, nennt Zimen das Sozialisation­ und das
Fluchtverhalten als wichtige beteiligte Faktoren an der Entwicklung sozialer
Bindungen der Welpen. Diese zwei voneinander getrennten Erbfaktoren
werden wahrscheinlich zu verschiedenen Zeitpunkten der Entwicklung der
Jungen ausgebildet und beeinflussen sich später wechselseitig. Zu erkennen
war, dass 3 Wochen alte Welpen sich weit scheuer verhielten als die komplett
ab ihrem sechsten Lebenstag von Zimen aufgezogene Anfa. Die Welpen
zeigten Ansätze der Flucht bei der Fütterung und wurden mit der Zeit nur noch
scheuer, nur selten zeigten sie, in einiger Entfernung, den Versuch eines
freundlichen Kontaktes: sie wedelten mit dem Schwanz, zogen die Ohren nach
hinten, knickten in den Hinterbeinen ein und näherten sich dem Menschen
kurz, rannten aber immer wieder davon. Vollkommen unmöglich war die
Gewöhnung bei einem 5 bis 6 Wochen alten Welpen, spätestens dann ist also
die Zeit einer möglichen, normalen Sozialisation an den Menschen
überschritten. In einigen Versuchen wurde zwar gezeigt, dass man, mit
unglaublichem Zeitaufwand, der kompletten Isolation eines Wolfes und mit
Hilfe von Medikamenten auch erwachsene Tiere noch an den Menschen
annähern konnte, aber natürlich entspricht dies nicht den natürlichen
Bedingungen, unter denen Welpen aufwachsen. Somit wird die
Sozialisationsphase innerhalb einer kurzen Periode der ersten Lebenswochen
eingeordnet, und findet bevorzugt mit größeren, vertrauten Individuen statt. Da
sich auch das Fluchtverhalten sehr früh entwickelt, soll so eine Sozialisation an
Artfremde verhindert. Eine Sozialisation an den Menschen kann also nur
stattfinden, wenn das Fluchtverhalten durch frühe Gewöhnung unterdrückt
wird. Bei Hunden ist die Fluchttendenz weit weniger stark und die
Sozialisationsphase länger, werden Hundewelpen doch mit 6 bis 10 Wochen
erst von ihren Wurfgeschwistern und der Mutter getrennt, und entwickeln
34
Verhalten
trotzdem noch eine starke Bindung an den Menschen. In einem ihnen bekannten Gebiet, zum Beispiel nahe ihrer Höhle, begrüßen
Wolfswelpen für sie fremde Wölfe besonders stürmisch. Sie haben keine Angst
vor den unbekannten ihrer eigenen Art, oder, im Falle der Aufzucht durch den
Menschen in ihrem Revier keine Angst vor fremden Menschen. So bevorzugte
Anfa, auf dem Gehöft „ihrer“ Menschen teilweise Fremde vor ihrem Ziehvater.
Bei neu in ein anderes Rudel eingeführten Welpen gelang dies bis zum Alter
der Welpen von etwa 8 bis 10 Monaten fast immer ohne Probleme.
Es kann vorkommen, dass sich im Sommer einzelne Wölfe oder auch kleine
Gruppen vom Rudel trennen und sich diesem erst später wieder anschließen.
Dann sind aber für sie fremde Wölfe, die Welpen im Rudel. Diese
kennzeichnen sich nun schon von weitem als solche, stürmisch aber
unterwürfig, und verhindern somit, dass die anderen Wölfe sie angreifen.
Dieses Verhalten hat also den Sinn, Aggressionen anderer, erwachsener Wölfe
zu unterdrücken, um stattdessen Pflegeverhalten auszulösen.
4.1.3 Erlernen von Signalbedeutungen
Um mit den anderen Wölfen des Rudels kommunizieren zu können, müssen
die Welpen erst die Bedeutung der verschiedenen Signale kennenlernen. Sie
müssen die Verbindung herstellen können zwischen der Form und der
Bedeutung eines Signals. Interessant ist hierbei wiederum, dass die Jungen
zwar ein Signal ausführen, richtig an den Empfänger „senden“ aber selbst die
Signale des anderen noch nicht verstehen. Die meisten Verhaltensweisen, die
der Kommunikation dienen, dürften angeboren sein, denn auch Anfa, die
anfangs ganz ohne Kontakt zu Artgenossen aufgewachsen ist, führte Signale
korrekt und der Situation entsprechend aus.
Welpen begrüßen erwachsene Wölfe, indem sie mit eingeknickten
Hinterbeinen, eingeklemmtem, nur in der Spitze wedelndem Schwanz und tief
gehaltenem Kopf mit angelegten Ohren auf diese zurennen. Dabei winseln sie
meist aufgeregt, und springen, wenn sie den anderen Wolf erreicht haben, an
35
Verhalten
ihm hoch und lecken ihm die Schnauze. Daraufhin werden die Erwachsenen
die Welpen beriechen, ihnen manchmal das Fell lecken und wenn es ums
Füttern geht, das im Magen transportierte Fleisch erbrechen. Wenn die Welpen
allerdings zu aufdringlich in ihrem Verhalten werden, kann auch eine Drohung
erfolgen, welche die Welpen allerdings nicht im geringsten zu beeindrucken
scheint,denn die Erwachsenen führen die angedrohte Strafe nie aus.
So lernen auch hier die Jungen die Bedeutung von Signalen im Spiel
untereinander. Ihre Spiele sind oft besonders rauh und es gibt viel Geschrei.
Doch müssen die Welpen bis zum 8. bis 12. Monat die Signale verstehen
können, denn dann verlieren sie ihren „Babyschutz“ und müssen auf eine
Drohung richtig reagieren können. Nur wenige Signalbedeutungen sind
angeboren, dazu gehört zum Beispiel. eine Fluchtreaktion, wenn einer der
Welpen schreit, oder wenn die Mutter ein warnendes Wuffen von sich gibt.
Auch die Beißhemmung erlernen die Welpen erst voneinander. Diese soll in
der Regel verhindern, dass bei Auseinandersetzungen fest zugebissen wird und
somit jedesmal schwerwiegende Verletzungen entstehen. Dass sie bei den
Welpen nicht abgeboren ist, ist daran zu erkennen, dass ihre Spiele, wie kurz
vorher erwähnt, sehr rauh sind. Erst dadurch lernen sie, das ihr eigenes festes
Zubeissen auch festes Zubeissen der anderen zur Folge hat, der Lernprozess
beruht also auf der unangenehmen Erfahrung der Schmerzen.
Die Beißhemmung der adulten Wölfe gegenüber den Welpen, die ja hier nicht
auf der Angst vor den Welpen beruhen kann, könnte durch angeborene
Hemmungsmechanismen begründet sein. Diese werden auch von unterlegenen
Wölfen ausgenutzt. Sie machen sich klein und zeigen etwa das Verhalten, was
sonst die Welpen zum Beispiel beim Betteln um Futter zeigen: „Ich bin hilflos,
und liefere mich dir aus, als „Kind“ bin ich keine Konkurrenz“. Sie machen
sich die Beißhemmung der Adulten gegenüber den Welpen zu Nutze, was aber
nicht in jedem Fall (zum Beispiel nicht im Ernstkampf) Wirkung zeigt.
36
Verhalten
4.2 Das Verhalten im Rudel
4.2.1 Innerartliche Kommunikation
Kommunikation ist eine von einem Tier (Sender) auf ein anderes Tier
(Empfänger) gerichtete Aktion (Signal), die das Verhalten des Empfängers
verändert. Die Tiere müssen der gleichen Art angehören, wobei aber eine
Aktion auch allgemein, und nicht auf einen bestimmten Empfänger bezogen
sein kann.
Die optische Kommunikation nimmt bei Wölfen einen hohen Stellenwert ein
und enthält, da sie im Rudel leben, weit mehr verschiedene Signale. Die
Körperhaltung wird zum Beispiel zum Signal, sobald sie von der normalen,
nämlich aufrecht mit locker herunterhängendem Schwanz, glattem Gesicht und
Lippen, abweicht. Zu den verschiedenen Faktoren, die die Kommunikation
zwischen zwei Tieren beeinflussen gehören unter anderem deren Geschlecht
und Alter, der Rangunterschied zwischen ihnen wie auch der Ort des
Geschehens oder die Motivation der Tiere.
Genauere Betrachtung wurde nun den Ausdruckselementen der Angst und der
Wut gewidmet. Ein Modell dazu erstellte schon Lorenz.
Abb. 4.2
Ausdrucksmodell
(LORENZ)
37
Verhalten
Unter a erkennen wir die Normalhaltung, nach c wird zunehmende Angst
ausgedrückt, nach g zunehmende Wut, und bei i hätte man letztendlich die
stärkste Überlagerung der beiden.
Den ersten Einwand, den Zimen nun gegen dieses Modell vorbrachte, waren
Beobachtungen bei den Ernstkämpfen seiner Wölfe. Er beschreibt, dass dabei
vorher keinerlei Vorwarnung stattfindet. Weder akustische noch (zumindest
nicht für uns erkennbare) optische Signale bereiten den Angriff vor. Die
Körperhaltung entspricht der normalen, und demnach müsste also an Stelle des
Bildes für die größte Wut die Normalhaltung in Lorenz‘ Modell abgebildet
sein. Auch wird der Ausdruck maximaler Wut und Angst von einem Tier nur in
größter Bedrängnis und somit in höchster Verteidigungsbereitschaft gezeigt.
Dabei hat es sicher größte Angst, doch auch größte Wut? Nach diesen
Überlegungen entwickelte Zimen sein eigenes Modell, wobei er ausgeht von
der Angst (vor Verletzungen) und von Aggression als Angriffstendenz. Trotz
der Möglichkeit der anfänglichen Überlagerung, hemmen sich diese beiden
Triebe gegenseitig. Je größer die Angst also, desto weniger Wut kann der Wolf
gleichzeitig empfinden und andersherum, bis letztendlich bei größter Angst
wahrscheinlich gar keine Wut mehr empfunden wird.
Abb 4.3
Ausdrucksmodell
(ZIMEN)
38
Verhalten
Demnach bleibt bei Zimen die obere Ecke frei. Im Verhalten des Wolfes zeigt
sich die Stärke der Angst in Relation zur Angriffstendenz. Wenn ein Wolf also
beginnt, Angst zu empfinden wird er Ausdruckselemente zeigen, die das
Fehlen jeder Aggression und Angriffstendenz ausdrücken. Erst wenn die
Angriffstendenz des Gegners stärker wird, kommt es zur Verteidigung oder
letztendlich auch zur Flucht. Wenn hingegen die Angriffstendenz steigt, kommt
es zu den üblichen Rangdemonstrationen des Wolfes, greift er allerdings
ernsthaft an, ist dies erst am Verhalten selbst zu erkennen.
Die meisten aggressiven Verhaltensweisen treten aber gehemmt auf, denn die
Tiere haben Angst vor ihrem Gegner, beziehungsweise Angst vor
Verletzungen, die aus dessen Reaktion hervorgehen könnten. So wird auch die
vorher erwähnte Beißhemmung nicht nur, wie Lorenz meinte, durch
Demutsverhalten ausgelöst, sondern eben durch die Angst des Angreifers,
selbst gebissen zu werden.
Normale Auseinandersetzungen werden meist durch Drohen, Imponieren etc.
und entsprechende, unterwürfige Verhaltensweisen des Gegenübers gelöst.
Angegriffen wird oft auch nur mit Hilfe des Körpergewichts.
Nebeneinanderstehend drückt der Ranghöhere mit seinem Hinterkörper gegen
den des Gegners, welcher mehrmals gegen die Halspartie des Gegners
schnappt. Dieser wendet dann den Kopf ab, und präsentiert den Hals.
Abb 4.4
Imponieren mit
Halsdarbieten
39
Verhalten
Da mit dem Kopf die gefährlichste Waffe abgewandt ist, hört der andere meist
auf zu schnappen, täte er dies nicht, wäre die Reaktion des Angreifers
wahrscheinlich um vieles heftiger. An diesem Beispiel wird klar, wie fein
abgestimmt das Verhältnis von Angst und Angriffstendenz des Angreifers zu
Angst und Verteidigungsbereitschaft des Verteidigers ist. Beim Imponieren
sind die Rückenhaare gesträubt, der Blick ist abgewandt und die Körperhaltung
angespannt, beim Drohen
Abb. 4.5
Drohhen
links:
Angst
rechts: Aggression
handelt es sich um das bekannte Zähneblecken, jeweils etwas abgewandelt
nach Verteidigungs­ oder Angriffsstellung.
Einen Ausdruck für freundliche Stimmung findet sich im schon vorher
beschriebenen Begrüßungsverhalten der Welpen. Die Aktive Unterwerfung
ähnelt diesem sehr, und es wird vermutet, dass sie aus dem Futterbetteln
entstanden ist. Allerdings zeigten Zimens Welpen schon vor der Aufnahme
fester Nahrung Ansätze von aktiver und passiver Unterwerfung.
Abb. 4.6
Passive und aktive
Unterwerfung
40
Verhalten
Ein Erklärungsversuch ist, dass sich im Laufe der Evolution bestimmte
Verhaltensweisen im Dienste der Signalwirkung verändert haben, auch
“Ritualisierung” genannt. Weiterhin ist die Verständigung über den Geruchssinn wichtig. Wölfe erkennen
einander am Geruch, und sie erhalten und geben Informationen auch durch ihr
Markierungsverhalten. Besonders wichtig ist hier das Spritzharnen. Dabei wird
eine kleine Menge Urin schräg gegen einen Gegenstand gespritzt und dabei das
Bein gehoben. Normales Urinieren in Hockstellung sowie Koten haben
hauptsächlich ausscheidende Funktion und tragen die jeweilige
Geruchsinformation eher nebenbei. Das Spritzharnen dagegen ist echtes
Markierungsverhalten und wird nur von den geschlechtsreifen und ranghohen
Wölfen des Rudels ausgeführt, ein paar Schritte daneben setzen sie meist durch
Kratzen mit allen Vieren auch noch eine optische Markierung. Untersuchungen
von David Mech und Roger Peters von freilebenden Wölfen in Minnesota
ergaben, dass rund 4 mal pro Kilometer entlang regelmäßig benutzten
Wanderwegen markiert wurde, hier besonders an Wegkreuzungen und an
vorher von anderen Wölfen markierten Stellen. Aus den Erkenntnissen, dass
gehäuft an Grenzen oder Überschneidungsgebieten von Revieren markiert
wird, kann man ableiten, dass dieses Verhalten auch der Koordination mehrerer
Wolfsrudel dient. Die verschiedenen Rudel können sich so aus dem Weg gehen
und Konfrontationen vermeiden, genauso wie auch einzelne Wölfe, für die eine
Begegnung mit einem fremden Rudel tötlich enden könnte. In der Paarungszeit (Ranz) sind die Rüden besonders interessiert an den
Stellen, an denen zuvor das ranghöchste Weibchen uriniert hat, vermutlich
erfahren sie dadurch ihren Stand der Hitze. Oft wird dicht daneben dann der
eigene Urin abgesetzt. Bei der akustischen Kommunikation werden die verschiedensten
Lautäußerungen, von Winseln über Knurren, Wuffen, Schreien und dem
berühmten Heulen unterschieden, dazu gibt es aber noch verschiedene
Geräusche die nicht mit den Stimmbändern erzeugt werden. Da gibt es z.B. das
ein Schnappen in der Luft, wobei durch hartes Aufeinanderschlagen von Ober­
41
Verhalten
und Unterkiefer ein dumpfer, klackender Laut entsteht, welcher größte
Verteidigungsbereitschaft signalisiert. All diese Laute erhalten ihre Bedeutung
vor allen Dingen im Zusammenhang mit dem gesamten Verhalten der Wölfe.
Dem berühmten Heulen werden verschiedenste Funktionen zugeschrieben,
unter anderem um Kontakt zu anderen, von der Gruppe getrennten Mitgliedern
zu halten oder zu suchen. Auch eine mit der Geruchsmarkierung vergleichbare,
territoriale Funktion wird ihm zugeschrieben. Auf jeden Fall bedeutet das
Heulen einen starken Auslöser für jeden anderen Wolf, auch zu heulen. Dies
wollte sich die Biologin Sabina Nowak bei ihrem Workshop zunutze machen,
versammelte sich mit den Beteiligten in einiger Entfernung zum Dorf in der
Nacht im Wald, und versuchte, durch eigenes Nachahmen dieser Laute, eine
Antwort des dort lebenden Rudels zu erhalten. Leider war dies in jener Nacht
nicht von Erfolg gekrönt, doch auch im Wildpark konnten wir das dortige
Rudel heulen hören.
Bei der taktilen Kommunikation, ist der Schnauze­Fell und der Schnauze­
Schnauze­Kontakt unter den Tieren zu erwähnen, welche, je nach Rang der
Tiere relativ häufig stattfinden.
An einem Beispiel aus dem Spielverhalten der Wölfe kann man schließlich
erkennen, wie wichtig es für das Verstehen von Bedeutungen ist, dass die
Wölfe sich untereinander “kennen” und gegenseitige Absichten aus vorher
miteinander gemachten Erfahrungen schließen können. Bei der von Zimen als
“Spielattacke” bezeichneten Variante des Spielverhaltens, wird das “Opfer”
unter starkem Fixieren angeschlichen, und schließlich mit hopsenden
Bewegungen anrennend angegriffen. Wenn überhaupt, dann zeigt der Angreifer
erst in den letzten Momenten vor dem Kontakt mit dem Opfer etwa durch
Zickzacksprünge, dass es sich um ein Spiel handelt. Nun rennt das Opfer nicht
weg, sondern stellt sich und beide spielen. Diese Attacke ist äußerlich kaum
von einer echten, aggressiven zu unterscheiden, und schließlich können auch
bei Wölfen spielerische Attacken “geblufft” sein und leicht in aggressives
Verhalten übergehen, doch da der eine Wolf den anderen kennt, können sie
sich in vielen Fällen aus Erfahrungen miteinander verstehen. Daraus ergibt sich
ein Teil signalunabhängiger Verständigung. In vielen Fällen kann ein Signal
42
Verhalten
auf ein Minimum beschränkt werden und wird trotzdem noch verstanden.
Diese Möglichkeit spart Enerige, ein Signal jedesmal vollständig und genau
auszuführen. In wirklich wichtigen Bereichen aber, wie z.B. bei
Verhaltensweisen der Unterwerfung und der Rangdemonstration werden alle
Signale trotz Gewöhnung immer in eindeutiger, kompletter Form ausgeführt.
4.2.2 Struktur und Funktion des Rudels
In einem allgemeinen Modell eines Rudel findet sich das Alphapaar, also die
beiden ranghöchsten Wölfe des Rudels, an der Spitze. Zu ihnen können sich ein
oder mehrere Erwachsene, meist Rüden gesellen, welche in der Regel
Wurfgeschwister oder Kinder eines der beiden Alphatiere sind. Den Rest
bilden dann alle überlebenden dies­ und letztjährigen Jungtiere. Die Juvenilen, also die Jungen vom Vorjahr, bilden in größeren Rudeln oft eine
Art „Pufferzone“ zwischen den Ranghöchsten und den jüngsten Wölfen. Zimen
beobachtete dies in allen seinen Rudeln und nannte diese Gruppe von Tieren
die „Halbstarkenbande“. Zwar gibt es innerhalb dieser Gruppe schon einige
Konflikte um Statusfragen, doch gegenüber dem Rudel treten sie immer in
geschlossener Gruppe auf. Oft können sie der Grund für das Ausscheiden eines
Wolfes sein, denn sie greifen zwar nicht selbst an, aber fallen in fast jeden
ausgebrochenen Kampf mit ein. Dann lassen sie sich, nachdem der eigentliche
Angreifer durch Demutsverhalten zufriedengestellt ist, auch dadurch nicht
beeinflussen und der Verlierer muss das Rudel verlassen. In diesen Gruppen
gibt es oft einen „Klein­Alpha“, also einen innerhalb der Gruppe ranghöchsten
Wolf. Ein alles entscheidender „Leitwolf“ ist nicht existent, vielmehr sind es die
Bindungen der ranghohen Wölfe untereinander, die den Zusammenhalt des
Rudels bestimmen. Je höher der Rang eines Wolfes, desto häufiger nimmt er
Kontakt zum Beispiel Fell­Schnauze­Kontakt zu den anderen Wölfen des
Rudels auf, bzw. wirkt einen starken Einfluss auf andere aus, ihm zu folgen.
Dies kann aber auch durch die Größe der Gruppe und durch den Rang des
43
Verhalten
folgenden Tieres beeinflusst sein. Rangniedrigere entfernen sich leichter, als
ranghohe Tiere.
Die Zuneigung der Welpen ist anfangs zu allen Mitgliedern des Rudels
anscheinend gleich stark. Bald schon, mit etwa 4 Monaten, werden die
Juvenilen und Subdominanten nur noch um Futter angebettelt, vor den
Alphawölfen wird hingegen immer öfter spontanes Demutsverhalten gezeigt.
Die anderen Tiere werden also schon nach der Rangordnung unterschieden,
bevor die Welpen selbst überhaupt in diese Rangordnung eingegliedert werden.
Im Herbst folgt dann auch die Differenzierung nach Geschlecht, das heißt, dass
alle Jungwölfe sich unterwürfig gegenüber dem Alpharüden zeigen, aber nur
noch die Weibchen gegenüber der Alphawölfin. Auch die
geschlechtsgebundene Rangordnung ist also jetzt erkannt. Die Welpen haben untereinander eine sehr starke Bindung. Dies ist besonders
wichtig, wenn sie beginnen, sich vom Rudel zu entfernen. Tests haben gezeigt,
dass ein einzelner Welpe nicht vermisst wurde, sobald aber zwei oder mehr
verschwanden, wurde mit Suchverhalten reagiert. Bis zum Spätherbst ist die
Bindung der adulten Wölfe an die Welpen noch sehr stark, verändert sich aber
dann. Es wird nicht mehr ständig Kontakt mit den Kleinen gesucht. Dafür wird
aber nun deren Bindung an die Älteren stärker, die Welpen folgen ihnen dicht
auf, was es dem Rudel ermöglicht, wieder größere Wanderungen zu
unternehmen. Erst mit 10 Monaten werden sie wieder selbstständiger. Sie
könnten sich dann theoretisch selbst ernähren. Die Rudelgröße bleibt an sich ab einer bestimmten Mitgliederzahl durch
regelmäßigen Zuwachs durch Welpen und Abgänge durch ausgeschiedene
Wölfe gleich. In den von Zimen beobachteten Rudeln blieben die
heranwachsenden Jungwölfe meistens bis zur Geschlechtsreife im Rudel und
wenn die Rangordnung in den höheren Rängen stabil war, verließen sie dann
auch früher oder später die Gruppe. Wenn die Verhältnisse eher instabil waren,
konnten einige dieser “Halbstarken“ in die oberen Reihen vorstoßen und somit
im Rudel bleiben. Ein hoher Rang bringt also entweder die Möglichkeit, im
Rudel zu verbleiben, oder bei den Älteren, sich direkt an der Reproduktion zu
beteiligen. „Ein hoher Rang erhöht die persönliche Eignung (fitness), also die
44
Verhalten
Möglichkeit, eigenes Genmaterial in die nächste Generation zu überführen.“
Warum kümmern sich dann aber die rangniedrigeren Wölfe um die Welpen des
Alphapaares, die ja nicht ihre eigenen sind? Die Theorie der „Gesamteignung“
(inclusive fitness) unter anderem von Hamilton eingeführt, besagt, dass „die
Gesamteignung eines Tieres sein individueller Beitrag zu Fortpflanzung seiner
Gene [ist,] zuzüglich des Beitrages, den es zur Fortpflanzung der gleichen Gene
durch verwandte Tiere leistet.“ Demnach gilt also: je verwandter zwei Tiere, je
höher also der Prozentsatz des gleichen Genmaterials ist, um so mehr lohnt es
sich für eines der Tiere, die eigene Reproduktion zugunsten des
Fortpflanzungserfolges des verwandten Tieres zurückzustellen. Dieses
Verhalten könnte sich innerhalb der Evolution entwickelt haben, indem die
Träger eigennütziger Gene und somit diese selbst immer weniger wurden. Das
ist aber nicht bewiesen und bleibt somit Theorie. Sie könnte aber eine
Erklärung dafür liefern, warum Wölfe nicht immer unbedingt versuchen, ihren
Rang zu verbessern. Bei den Juvenilen ist natürlich der hohe Rang wichtig, um
im Rudel zu bleiben, aber ältere Wölfe versuchen nicht nur ständig, ihren Rang
zu verbessern. Hier herrscht ein Gesamtgleichgewicht zwischen den Interessen
des Individuums und denen der übergeordneten sozialen Gemeinschaft.
4.2.3 Rangordnung
„Eine Rang­ oder Dominanzbeziehung zwischen zwei Tieren beruht auf der
Einschätzung der Stärke des anderen in Relation zur eigenen in einer
bestimmten Situation. Sie entspricht also nicht unbedingt dem wirklichen
Kräfteverhältnis und muss auch nicht notwendigerweise durch eine direkte
Konfrontation erfahren werden“. Letzteres zeigte sich, als eine größere und
kräftigere Wölfin in Zimens Rudel lange Zeit unter einer anderen Alphawölfin
verblieb, und sich zweimal ein Rüde durch Umschichtungen in der gesamten
Rangordnung auf der Stellung des Beta­Rüden wiederfand, ohne eine
Konfrontation hinter sich zu haben. Die Rangbeziehung drückt sich unter anderem im individuellen Freiheitsraum,
45
Verhalten
den ein Tier im Umgang mit einem anderen hat aus, das heißt, in deren
jeweiligem Zugang zu bestimmten Objekten etc.. Je größer der Unterschied
zwischen dem Freiheitsraum der Partner ist, desto größer ist auch ihr
Rangunterschied. Eine Rangbeziehung ist Verschiebungen unterworfen, da
beide Partner versuchen, ihren Freiheitsraum auszuweiten. Hierbei findet man
sowohl stabile als auch instabile Gleichgewichtszustände. Ein stabiler Zustand
entsteht meist, wenn es lediglich darum geht, den momentanen Freiheitsraum
zu erhalten oder nur auf ein bestimmtes Objekt auszuweiten, z.B. beim Futter.
Instabil wird es in Hinsicht auf die soziale Stellung des Wolfes im Rudel. Hier
kommt es vor, das neben der Erweiterung des eigenen Freiheitsraumes der
eines anderen eingeschränkt wird. Die Stellung zueinander kann man am
Ausdrucksverhalten der Tiere erkennen, die gesamte Rangordnung ist aber
mehr als nur die Summe aller Zweierbeziehungen. Natürlich findet man
Querverbindungen zwischen unterschiedlichen Situationsrangordnungen, diese
müssen aber nicht gleichartig sein. Ein Wolf, der am Futter den Vorrang hat,
kann z.B. im sozialen Geschehen unterlegen sein. Dieses zeigte sich beim
Rudel im Wildpark Groß Schönebeck: der eigentliche Alphawolf war kastriert,
und somit zwar noch „der Stärkste“ und beim Fressen der „Futteralpha“, aber
in der Rangordnung und bei der Paarung mit dem Alphaweibchen stand ein
anderer Wolf an erster Stelle. Zimen entwickelte nun anhand verschiedener Beobachtungen ein „erstes
Modell der sozialen Rangordnung“: Bei Auseinandersetzungen, in denen es
sich um die Stellung des Wolfes im sozialen Geschehen dreht, findet man zwei
voneinander getrennte Rangordnungen für Rüden und Weibchen, da diese
Auseinandersetzungen nur zwischen gleichgeschlechtlichen Wölfen stattfinden.
Spätestens nach einem Jahr erkennen junge Wölfe sowohl ihr eigenes, als auch
das Geschlecht der anderen Rudelmitglieder. Besonders bei hart umkämpften
Positionen im Rudel sind dies nicht nur Auseinandersetzungen zwischen zwei
Tieren, sondern der Rest des Rudels beteiligt sich daran, besonders natürlich
die jeweils gleichgeschlechtlichen Wölfe. Jede Veränderung innerhalb der
Rangbeziehung zweier Wölfe führt zu einer Häufung des aggressiven
Verhaltens im gesamten Rudel, dagegen wiederum dämpfen stabile
46
Verhalten
Verhältnisse die Aggressionen. Soziale Beziehungen von
gleichgeschlechtlichen Tieren sind vermutlich auch von inneren, hormonellen
Faktoren abhängig, zum Beispiel zeigt sich in den Wintermonaten zur Ranz
beim Alphaweibchen eine besonders hohe Tendenz, Rangniedrigere zu
unterdrücken.
In einer Erweiterung dieses Modells befasst sich Zimen mit der Dynamik und
Struktur der sozialen Rangordnung:
Abb.: 4.7
Das Verhalten von
zwei Wölfen je
nach Rangverhält ­ nis
47
Verhalten
Die Beziehung zwischen zwei Wölfen A und B kann entweder ohne
Rangdifferenz sein, oder A ist dominant gegenüber B. Wenn letzteres der Fall
ist, können wieder 3 verschiedene Arten der Beziehung unterschieden werden,
die im Bild zu sehen sind: 1. Stabiles Rangverhältnis (mitte): die Kontaktaufnahmen sind freundlich,
Spielverhalten ist zu erkennen, oft zeigt sich derRanghöhere nur durch
den leicht höher gehaltenen Schwanz.
2. Unterdrückungsversuche des Ranghöheren (unten): zu Beginn ist noch
Spielverhalten zu erkennen, dass aber durch A bald aggressiver wird, A
imponiert, springt B an, welcher sich zunächst unterwirft und
Demutsverhalten zeigt, aber bei fortschreitender Aggressivität durch A
letztendlich sogar zur Flucht gezwungen werden kann.
3. Expansionstendenz des Rangniedrigeren (oben): wieder Anfänge im
Spiel, wenn A diese nicht deutlich genug abwehrt kommt es zur
weiteren Anspannung der Situation, es folgen Droh­ und
Imponierauftritte und letztendlich der Ernstkampf; ein neues
Rangverhältnis entsteht, wenn der Angegriffene den Ernstkampf ganz
verliert, also flieht oder sich nur noch verteidigt
Bei der 2. und 3. Situation können die Kämpfenden von anderen
Rudelmitgliedern Hilfe in Form von einfachem Schnappen nach dem einen
Gegner oder auch hemmungslosem Miteingreifen bekommen. Bei einem
Ernstkampf wäre Demutsverhalten des Unterlegenen nutzlos, und wird auch
nicht ausgeführt, denn der Gegner würde nur weiter hemmungslos angreifen.
Wenn der Verlierer feststeht, kann es je nach Verhalten der anderen
Rudelmitglieder dazu kommen, dass er zum „Prügelknaben“ (von uns wegen
dem Gegenstück zum Alphawolf meist als „Omega“ bezeichnet) wird. Er wird
nur noch angegriffen, hat auch seine vielleicht vorher dominante Stellung zu
allen anderen Rudelmitgliedern verloren und scheidet aus dem Rudel aus. In
manchen Fällen hält sich dieser Wolf weiterhin in der Nähe der Gruppe auf und
zeigt wieder Versuche der Kontaktaufnahme. Er zeigt zunächst aus Entfernung
immer Demutsverhalten zum Alphawolf und nähert sich ihm eventuell in
spielerischer Haltung. Wenn ihm eine Annäherung gelingt, kann auch das
48
Verhalten
Verhältnis der ehemaligen Feinde wieder freundlich­tolerant werden.
Nach diesen „Gesetzmäßigkeiten“ werden die oben genannten Merkmale der
sozialen Rangordnung ergänzt: -
An der Spitze steht oft ein älterer Wolf und somit ist die Rangfolge oft nach
Alter strukturiert.
-
Zwischen ranghohen Wölfen sind die Rangunterschiede stark, bei
Rangniedrigeren weniger ausgeprägt, bei den Welpen gar nicht vorhanden
(ihre Auseinandersetzungen beziehen sich mehr auf augenblickliche
Interessenkonflikte wie z.B. ums Futter).
-
Bei starkem Druck von oben verwischen die Rangunterschiede zwischen
den Rangniedrigeren.
-
Innerhalb gleichaltriger Untergruppen des Rudels (außer Welpen) gibt es
eine soziale Rangordnung im Kleinen (die „Halbstarken“).
-
Zwischen erwachsenen Wölfen verschiedenen Geschlechts gibt es keine
Rangordnung, wenn sie etwa auf gleicher Stufe der weiblichen oder
männlichen Rangordnung stehen, erst bei größeren Unterschieden im Alter
oder in der Position existiert auch dort eine Rangordnung, die aber nicht zu
Rangkämpfen führt.
In Zimens von ihm bobachteten Rudel fiel die besonders starke Aggressivität
der Weibchen untereinander auf, auf die bald noch ein Blick geworfen wird.
Nach häufig auftretenden Ernstkämpfen, ohne vorheriges Drohen und ohne
Beißhemmung wurde die Verliererin immer ausgestoßen und das geschah
teilweise mit sämtlichen geschlechtsreifen Weibchen. Auch im Wildpark waren
alle 3 „Prügelknaben“, also die Ranguntersten bzw. schon aus dem Rudel
ausgestoßenen Wölfe Weibchen und es gab keine Zusammenschlüsse der
Ausgestoßenen untereinander. Bei Rüden waren die Auseinandersetzungen
weit weniger aggressiv, es wurde eher gedroht oder imponiert und kaum fest
gebissen. Der direkte Kampf war nur beschränkt auf die in der Rangordnung
direkt benachtbarten Tiere, wobei es bei den Weibchen die Alphawölfin auch
auf die unerfahrensten und für sie am wenigsten gefährlichen Tiere abgesehen
hatte.
49
Verhalten
4.2.4 Aggressivität
Im Verlauf des Jahres sind im Wolfsrudel Häufungen aggressiven Verhaltens
zu bemerken und auch Zeiten, in denen kaum Auseinandersetzungen
stattfinden. In Zusammenhang wird dies gebracht mit verschiedensten
Faktoren, besonders mit der wechselseitigen Wirkung endogener und exogener
Faktoren.
In den Sommermonaten, wenn das Rudel mit der Aufzucht der Welpen
beschäftigt ist, und die innerliche, endogene Komponente der aggressiven
Handlungsbereitschaft gering ist, sind nur wenig Auseinandersetzungen zu
verzeichnen, zum Herbst hin mit dem Älterwerden der Welpen steigt die
aggressive Handlungsbereitschaft zwar schon an, aber da noch die feste
Rangordnung aus dem Sommer herrscht, werden wirkliche
Auseinandersetzungen weitestgehend unterdrückt. Langsam werden die
Beziehungen gespannter, auch bei den Welpen zeigen sich erste Ansätze von
Konflikten, die Juvenilen zeigen Expansionstendenz nach oben, die Älteren
zeigen Unterdrückungsversuche nach unten und schließlich kommt es zu ersten
Rangwechseln. Diese nun veränderen Rangbeziehungen zwischen
Einzelwölfen haben wiederum Einfluss auf andere und bald wird die
Rangordnung von unten noch oben hin instabil, bis auch zwischen den Älteren
mit ihren festeren Rangbeziehungen die ersten Konflikte auftreten. Mit der Zeit
entsteht eine neue Rangordnung, ein neues Gleichgewicht, welches nun wieder
zu einem Absinken der Aggressionen führt. Die Ranz setzt ein, die, abgesehen
vielleicht vom Verhalten des Alphaweibchens, relativ friedlich und ohne große
Kämpfe ausgeht. Danach verringert sich schlagartig die endogene
Antriebskomponente, auch das Alphaweibchen beruhigt sich letztendlich
wieder, die Unterdrückung der Subdominanten geht zurück. Nun, durch das
Nachlassen des Drucks von oben kommt aber wieder Bewegung in die
Ordnung, neue Rangwechsel finden statt, die zum Ende hin wieder in ein neue,
stabilere Phase treten, sodass zum Sommeranfang mit den neuen Welpen und
50
Verhalten
den neuen Aufgaben des Rudels auch wieder die Aggressionen nachlassen. Das Verhalten hat also sowohl endogene als auch soziale Ursachen. Die noch
vom Sommer übriggebliebene festgefügte Ordnung verhindert, dass die
endogene Antriebssteigerung sich sofort in offen ausgetragener Aggressiviät
entlädt, im Frühjahr ist es umgekehrt: ein Nachlassen der endogenen Antriebe
nach der Ranz und somit auch ein Nachlassen der Unterdrückung bedingen,
dass die Konflikte zwischen rangniedrigeren Wölfen bei der Neuordnung ihrer
Beziehungen zunächst zunehmen, und sich dann wiederum bis in die höheren
Reihen des Rudels vorarbeiten. Demnach ist es also der äußerliche Faktor der
Rangordnung an sich, der im Herbst den verzögerten Anstieg und im Frühling
den verzögerten Abstieg des aggressiven Verhaltens bedingt. Die Aggressivität
wird also erst durch die Hierarchische Struktur der Rudels in relativ geregelten
Bahnen gehalten. Sie ist somit weder ausschließlich eine Frage spontaner
endogener Antriebssteigerung, noch ein rein sozial, also durch das Rudel
bestimmtes Verhalten. „Aggressives Verhalten entsteht [...] bei der Auseinandersetzungen des
Individuums mit seiner sozialen Umwelt in einem außerordentlich fein
abgestimmten
System
wechselseitiger
Antriebs­
und
Hemmungsmechanismen.“
Aggressivität ist zwar im Interesse des Einzelnen für die Konkurrenz mit den
Artgenossen vorhanden, sie würde aber in ungehemmter Form die soziale
Einheit des Rudels sprengen. Deshalb wird sie durch die hierarchischen
Organisation so gedämpft, das wenigstens zeitweise relativ stabile
Verhältnisse geschaffen werden, was die Durchführung lebenswichtiger
Aufgaben ermöglicht.
4.3 Jagdverhalten
Das Repertoire an Verhaltensweise für die Jagd ist gegenüber anderen Caniden
relativ hoch und variiert je nach Areal, Beute und Jagdbedingungen.
Wölfe prüfen auf der Suche nach Beute regelmäßig konstante Wechsel in ihrem
51
Verhalten
Revier. Dabei traben sie mit durchschnittlich 10 bis 12 km/h. Nehmen sie dabei
eine Witterung auf, folgen sie dieser und schleichen sich bis auf wenige Meter
an ihre Beute heran, wobei sie geschickt jede noch so kleine Deckung nutzen.
Merkt die Beute seine Anwesenheit, so kommt es zur Konfrontation und beide
Tiere stehen sich für einen kurzen Augenblick gegenüber. Bleibt das Beutetier
stehen und ist bereit sich zu verteidigen, so kann es passieren, dass der Wolf
von seinem Vorhaben ablässt. Rennt die Beute jedoch los, setzt der Wolf sofort
zur Verfolgung an. Im vollen Galopp kann er dabei Geschwindigkeiten von 50
bis 65 km/h erreichen. Schafft er es nach kurzer Hatz seine Beute einzuholen,
so erfolgt ein Angriff auf die Flanke, Hinterteil, Rücken oder Nase des Tieres.
Geschichten von einem Biss in die Achillesferse gehören in das Reich der
Märchen. Ein Wolf würde sich dabei direkt der Gefährlichsten Waffe seiner
Beute (der Hufe) aussetzen.
Bei der Jagd im Rudel werden häufig komplexe Jagdtechniken angewandt, bei
denen in der Regel ein Beutetier von seine Gruppe getrennt und auf eine
Gruppe von Wölfen, beziehungsweise ein unüberwindbares Hindernis
zugetrieben wird. Wenn es sich anbietet nutzen sie auch landschaftliche
Besonderheiten wie zum Beispiel vereiste Flächen oder Abgründe zu ihrem
Vorteil.
Dennoch ist der Jagderfolg in der Regel gering. MECH beobachtete 1966 eine
Gruppe von Wölfen (15 bis 16 Tiere), die über einen längeren Zeitraum 131
Elchen aufspürten. 54 Elche konnten fliehen, bevor die Wölfe überhaupt nahe
kamen. 24 verteidigten sich indem sie sich ins Wasser stellten. Letztendlich
wurden 53 Elche eingeholt, von denen wiederum 34 fliehen konnten und sich
12 im Wasser verteidigten. Von den verbliebenden 7 Tieren, die angegriffen
wurden konnten 6 gerissen und eines verletzt werden.
52
5 Nachwort
Nachdem wir nun diese Arbeit beendet haben, können wir das erste mal
wirklich sagen, wir hätten einen Einblick in die Arbeit der Biologen erhalten,
deren Erkenntnisse uns als Quellen dienten. Mit der Zeit eröffneten sich uns weit mehr Fakten und interessante Einblicke
in die Natur der Wölfe, als wir am Anfang denken mochten. All die dargestellten Zusammenhänge selbst untersuchen zu können, hätte
diese Erfahrung natürlich noch reicher gemacht. Doch auch, wenn uns ein
großer Teil nur aus der Theorie vorliegt und wir in vielen Bereichen leider
nicht die Möglichkeit hatten eigene praktische Beispiele miteinzubringen, und
sie selbst zu erleben, gab uns die Arbeit trotzdem einen gewissen
„Allgemeinüberblick“, den wir vorher nicht hatten.
Durch die Länge und das Ausmaß der Klausurersatzarbeit bekamen wir ein
besseres Gefühl dafür, was man alles beachten muss, wenn man sich auf diese
Art und Weise mit einem Thema beschäftigt, wieviele Facetten man
wahrnimmt, die einem bei kleineren, allgemeineren Ausführungen nicht ins
Auge fallen. Dies war nicht das erste Mal, das wir uns mit Wölfen beschäftigten, und es
wird sicher auch nicht das letzte Mal gewesen sein, dass uns ihr Schicksal
interessierte.
Abb. 5.1
(DANIEL WOOD)
53
6 Glossar
Art:
Die Gesamtheit aller Individuen, die sich untereinander geschlechtlich
Fortpflanzen und fruchtbare Nachkommen erzeugen können; Diese Definition
des Artbegriffs ist bei den Caniden stark umstritten, da zum Beispiel Canis
lupus, Canis latrans und Canis rufus sehr wohl geschlechtsreife Nachkommen
zeugen können, jedoch zumindest Lupus und Latrans zwei verschiedene Arten
sind
AfN Wolf:
Association for Nature „Wolf“ ­ Naturschutzverband Wolf
Präsidentin des sich für die Aufklärung von Landwirten und den Schutz der
großen Beutegreifer in Polen einsetzenden gemeinützigen Vereins ist Dr.
Sabina Nowak. Er wird gefördert von Euronatur, IFAW und der Wolf Society
of Great Britain.
Biotop:
ein räumlich abgetrennter Lebensbereich einer Biozönose
Biozönose:
Lebensgemeinschaft verschiedener Populationen
Canidae:
Familie der Hundeartigen
Canis:
Gattung der echten Hunde
Canoidae:
Unterordnung der hundeartigen Landraubtiere
Felidae:
Familie der Katzenartigen
Feloidae:
Unterordnung der katzenartigen Landraubtiere
Grundumsatz:
Minimalgröße des Energiebedarfs eines nüchternen Tieres im thermoneutralen
Temperaturbereich; Wird auf der Grundlage des Sauerstoffverbrauchs je
Zeiteinheit ermittelt (Okarma)
Mephitidae:
Familie der Stinktiere
mt­DNS:
mitochondriale DNS; sie stammt immer von der Mutter und variiert über
längere entwicklungsgeschichtliche Zeiträume weniger als die Zell­DNS,
weswegen sie auch zur Bestimmung verwandtschaftlicher Beziehungen
herangezogen wird
Mustelidae:
Familie der Mardeartigen
Odobenidae:
Familie der Walrosse
Ökosystem:
Die Einheit von Biotop und Biozönose
–54–
Otariidae:
Familie der Ohrenrobben
Phocidae:
Familie der Hundsrobben
Population:
Die Gesamtheit aller angehörigen einer Art, die einem bestimmtem Gebiet
vorkommen
Procynoidae:
Familie der Waschbären
Sagittalkamm:
Ansatzstelle des Unterkiefers
Tapetum lucidum:
Eine hinter den Stäbchen von Caniden befindliche Schicht, die das Licht
konzentriert reflektiert
thermoneutrale Zone: Temperaturbereich, in dem ein Lebewesen keine Energie zur
Aufrechterhaltung einer stabilen Körpertemperatur verbraucht (Okarma)
Ursidae:
Familie der Bärenartigen
Viverridae:
Familie der Schleichkatzen
–55–
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revision of classification
–57–
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http://www.kerwoodwolf.com/RED.htm: Canis Rufus
http://www.furry.de/suran/fox_db/Species_overview.html: Übersicht zu den Unterarten des Fuchses
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http://www.wolfsongalaska.org/gray_wolf_europe.html: „The Gray Wolf in Europe and Asia“;
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http://members.tripod.com/wolfden99/info.html
http://de.wikipedia.org/wiki/Raubtiere: Übersetzungen einiger englischer Familienbezeichnungen
Bilder und Abbildungen:
Abb. 2.1, 2.3 sowie 3.1 bis 3.4 entstammen Okarmas „Der Wolf“
Abb. 2.2 erstellt unter Verwendung der Vorlage von L. D. Lawrence
Abb. 2.4 und 4.1: http://www.wolfpark.org: Monty Sloan 2004
Abb. 3.5 sowie 4.2 bis 4.7 sind Zimens „Der Wolf“ entnommen.
Abb. 5.1 Wood, D (1997): „Wölfe“; Köhnemann Verlagsgesellschaft mbH; Köln
–58–