Nekrobazillose

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Nekrobazillose
Nekrobazillose beim Damhirsch
Für einige Damhirschhalter war das letzte Jahr ein schwieriges und belastendes Jahr. Es
gab Kälberverluste. So auch bei uns. Das aktuelle Jahr muss anders werden.
Wir haben einige Kälber verloren, das erste am 18. August 2014. Ob dies Nekrobazillose
war? Es atmete schwer und hatte blutigen Schaum um Nase und Mund. Beobachtet hatte
ich es schon lange. Nachdem wir es mit dem Netz einfangen konnten, gingen wir mit ihm
zum Tierarzt. Es wurde mit Antibiotika, Fiebersenker (Baytril, Metacam), Vitamin-Präparat,
Selen-Stoss und rehydion zur Stabilisierung des Wasser- und Elektrolythaushaltes
behandelt. Trotzdem starb das Kalb kurze Zeit später.
Das zweite Kalb verloren wir am 22. August. Auch dieses Kalb kam mir seit längerer Zeit
verdächtig vor, weil ich jeden Abend die Herde bewege und mit dem Feldstecher die
Reaktionen beobachte. Irgendwann war es soweit: Gras hing aus dem Maul. Wir fingen das
Kalb mit dem Netz ein und medizinierten es wie das erste. Für uns in unserem zweiten
Hirschhalterjahr gab es nichts anderes. Der Weg, alles versucht zu haben, muss wohl zuerst
begangen werden, bevor die Einsicht gewinnt, dass kaum eine Überlebenschance besteht.
Wenn einmal eine Fanganlage vorhanden ist, sieht es allenfalls anders aus. Dann kann
vielleicht auch mehrmals eingefangen und behandelt werden.
Nekrobazillose ist sichtbar
Zwischenzeitlich schmerzte mein auf Nekrobazillose geschult gewordener Blick. Es
schmerzte und die Vernunft, trotz Hoffnung, hätte mich eigentlich dazu zwingen müssen,
diese Kälber (Streuer) frühzeitig auszuselektionieren. Aber ich konnte nicht.
Ich beobachtete, dass Kälber, die das Gras nicht mehr über den geschwollenen Zungenwulst
brachten, stark speichelten. Die Mütter reinigten die Kälber, indem sie diesen Speichel
ableckten. Auch beobachtete ich, dass die Kälber, da sie das Gras nicht mehr über den
Zungenwulst brachten, sich vermehrt an der Futterkrippe aufhielten und eingeweichte
Zuckerrübenschnitzel mit Graswürfel frassen. Dieses Futter behinderte sie wohl weniger
beim Schlucken. Dabei sonderten sie dauernd Speichel ab, welcher in die Futterkrippe
tropfte. Auch an der Tränke verloren sie Speichel und kontaminierten die Umgebung. Damit
kamen wiederum die anderen Hirsche in Kontakt.
Kalb mit Nekrobazillose (Quelle René Hodel)
Am 23.09.2014 tötete ich das letzte Kalb wegen Nekrobazillose. Wir verloren 44% des
Jahrgangs wegen Überbemutterung, Unfall und Nekrobazillose (28%). Ich kam mir hilflos
vor! Geholfen wurde mir im Hinblick auf die nächste Saison vor allem mit der Hoffnung, dass
es 2015 anders sein werde.
Ich weiss nicht, ob bei Betroffenen systematisch nachgefragt und die jeweiligen Situationen
analysiert wurden. Ich weiss nicht, ob Schlussfolgerungen daraus gezogen wurden. Mir
scheint, es bestehen Tabus bei betroffenen Hirschhaltern und viele akzeptieren das einfach
so. Die immer wieder gelesene und gehörte Antwort, es kommt und geht und niemand weiss
wirklich warum, ist fatalistisch, verunsichert und befriedigt nicht. Damit kann und will ich nicht
leben. Ich bin selber aktiv geworden und muss mir selber weiter helfen.
Das Bakterium fusobacterium necrophorum
Erregerspezifisch bekannt ist, dass das Bakterium fusobacterium necrophorum
(Fusobacterium), als Umweltkeim natürlich im Boden vorhanden ist. Auch sind die Bakterien
natürlich vorhandene Bewohner des Magen-Darm-Traktes der Säugetiere, nicht nur der
Wiederkäuer. Deshalb werden sie über den Kot auch ausgeschieden und finden sich überall,
wo Kot ist: im Mist, im Boden, im Schlamm. Sie können dort mehrere Monate überleben. Das
Bacterium liebt ein sauerstoffarmes bis -freies Milieu.
Die Fusobakterien sind gemäss Literatur nicht fähig, unbeschädigte Häute zu durchdringen.
Aufgrund ihres Auftretens und Eindringens werden drei Formen unterschieden: die
Maulform, die Fussform und jene Form, die Organe im Körperinnern angreift.
Die Fussform dringt wohl mit kontaminierter Erde via verletzte Aussenhaut oder
Zwischenklauenspalt in den Körper ein.
Kalb mit Nekrobazillose am Fuss (Quelle René Hodel)
Die Maulform durchdringt bei Verletzungen (Zahnwechsel, andere Schleimhautverletzungen)
die empfindliche Maulschleimhaut. Da Hirsche Erde fressen, kann kontaminierte Erde, aber
es können auch Fusobakterien aus dem Verdauungstrakt durch Wiederkauen oder über den
Kot (verschmutzte Euter) ins Maul gelangen.
Wenn die Leber betroffen ist, werden die Fusobakterien via Blutbahnen zu den
Blutreinigungsorganen transportiert. Viel Blut fliesst von den Verdauungsorganen zur Leber.
Evt. durchdringen Bakterien bei Entzündungen, Reizungen, Vergiftungen auch die
Darmschleimhaut und gelangen so ins Blut.
Mögliche Ursachen
Als umwelt- und tierspezifische Ursache wird ein geschwächtes Immunsystem wegen zu
hohem Tierbesatz erwähnt (Störungen des Ruhebedürfnisses und Dichtestress, evt. auch
gegeben, weil auf den Weiden zu wenig durchsichthemmende Strukturelemente wie Bäume,
höheres Altgras, Topografie [Mulden] und Distanzen [lange Weiden] vorhanden sind und
wegen Spiessern, die immer wieder stören).
Auch verschmutzte Liegeplätze und Nässestellen in den Weiden, verschmutzte und
verschlammte Tränke- und Futterstellen begünstigen ein anaerobes Milieu, in welchem das
Bakterium wachsen kann.
Eine mangelhafte Mineral- und Vitaminaufnahme der Kühe und Kälber schwächt ihre
Abwehrkräfte. So gehen evt. die Kälber nicht in den Kälberschlupf, wo sie speziell gefüttert
werden können oder die Mütter kommen nicht an die Futterstellen. Ihre Milch ist dann zu
wenig mit Mineralien und Vitaminen angereichert.
Zahnwechsel und Futter, welches die Maulschleimhaut im Mikrobereich verletzt, kann weiter
ursächlich sein (grobe oder spitze Futterbestandteile und Beschäftigungsmaterial).
Auch altes, abgenagtes und absplitterndes Krippenholz kann verletzen.
Verdorbenes Futter (schimmliges Heu/Emd/Silage und Brot) kann Darmreizungen und
Vergiftungen verursachen. Die Darmhäute können dann evt. durchlässiger sein für
Fusobakterien, welche vermutlich auch in der Schleimhaut leben.
Hirsche fressen bei "Englischem Rasen"-Weiden oder jungem Aufwuchs gerne die jungen
Blätter und Gräser. Der Zucker von jungem Gras wird zum grössten Teil im Pansen von den
Mikroorganismen in flüchtige Fettsäuren abgebaut. Wenn nun zusätzlich Ausgleichsfutter mit
einem hohen Anteil an pansenverfügbaren Nährstoffen zu gefüttert wird, kann das zu
Pansenazidose und damit zum Tod eines Teils der Pansenbakterien führen. Tote Bakterien
scheiden Gifte aus. Diese können den Organismus schwächen und die Leber belasten.
Damit wird der Körper ganz allgemein anfälliger und weniger widerstandsfähig gegen die
Nekrobazillose. Ob durch die Azidose die Darmschleimhäute gereizt und dadurch
durchlässiger für Fusobakterien werden, die dann in die Blutbahnen gelangen und so wieder
die Leber belasten könnten, dies ist eine Möglichkeit, von der ich allerdings nirgends etwas
gelesen habe.
Es gibt Aussagen wie: "Im Elsass kennt man die Nekrobazillose nicht." Oder: "Der
Damhirsch gehört nicht hier hin, wir haben ein viel zu feuchtes Klima." Und: "Die Schweizer
Hirschpopulation ist durch Inzucht geschwächt und damit ganz allgemein anfälliger." Sind
auch in solchen Aussagen Lösungsansätze zu finden?
Situation Sommer 2014
Nach unseren grossen Verlusten habe ich mit dem Wissen um obige Aussagen die Situation
im Sommer 2014 bei uns analysiert. Ich habe versucht zu kombinieren, um schlussendlich
Massnahmen für die anstehende Saison 2015 treffen zu können.
Das Wetter im Sommer 2014 war auch bei uns nass, der Boden war oft mit Wasser gesättigt.
Doch das Wetter kann nicht beeinflusst werden.
Wir haben aktuell ein nutzbares Wintergatter von ca. 22 a Grösse. Hier befinden sich
ausgediente Weihnachtsbäume. Sie sollen im Sommer als mögliche Deckung dienen. Um in
ihrem Schutz zu setzen, sind sie bisher von den Hirschkühen nicht angenommen worden; sie
setzen lieber ins hohe Altgras.
Den Mist der ganzen Wintersaison habe ich erst anfangs September aus dem Stall
genommen und auf abgeerntete Ackerflächen ausgebracht.
Noch gibt es keinen Trinkwasseranschluss. Das Wasser kommt mehrheitlich von einem
Bach und von Drainagen aus meinem Land. Die Drainagen liegen bis 1.8 m unter der
Bodenoberfläche.
Als wir am 11. April 2014 mit dem Zufüttern von 150 g gewürfeltem Hirschfutter pro Tier
begannen, haben wir mit dem Verabreichen von weiterem Mineralstoff aufgehört. Laut so
von mir verstandenen Aussagen ist dies nicht mehr nötig. Ins Hirschfutter seien genügend
Mineralstoffe und Vitamine eingearbeitet.
Die Spiesser und die beiden Stiere waren immer die Ersten an der Futterkrippe. Für die
Mütter blieb wenig Futter übrig. Beim schlussendlich nur alle zwei Tage, dafür grössere
Mengen Hirschfutter füttern, blieben wohl Würfel übrig, doch ich beobachtete mehrere
Hirschkühe, die sich auch dann weiter auf der Weide aufhielten. Sie sind durch das
Hirschfutter nicht angelockt worden. Dafür haben Krähen und andere Vögel die restlichen
Würfel herausgepickt, was sie natürlich nicht ohne die Krippen zu verkoten machen konnten.
Neben den Futterkrippen im Unterstand habe ich ins Wintergatter eine 6 m lange alte
Holzkrippe gestellt.
Die Herde lagert im Sommer in den Weiden vielfach an den gleichen Stellen unter den
grossen Birnbäumen.
In der Weide 1 ist 1/3 der Fläche (ca. 33 a) zum Setzen nicht geschnitten worden. In den
Baumreihen zwischen den Bäumen wird nicht gemäht, so bleibt älteres Gras stehen.
Im Frühjahr wird ein Mal gegüllt und es werden damit ca. 50 kg N-wirksam ausgebracht. Pro
folgendem Weidewechsel gibt es ca. 30 kg N/ha in Form von Kalkammonsalpeter mit
Magnesium. Die Weiden werden ca. alle 4-6 Wochen gewechselt. Aufgrund der
Herdengrösse, des Futterbedarfes, der Parzellengrösse und dem Ertrag des Herausheuens
rechne ich mit ca. 110 dt TS Ertrag pro ha.
links Weide nach dem Heuschnitt, Mitte Altgrasstreifen in der Baumreihe, rechts junges Kleegras (Quelle René
Hodel)
Aus der aktuell noch ackerbaulich genutzten Weide 3 fliesst Wasser in die Weide 2. An drei
Stellen hat sich der Pflanzenbestand verändert. Weide 1 ist ohne Nässestellen.
Im Frühjahr 2014 haben wir im Wintergatter Zwetschgenbäume gesetzt. Ich nahm zu jenem
Zeitpunkt einfach zur Kenntnis, dass die obersten 2-3 cm Boden die typischen Verfärbungen
von verdichtetem und damit tendenziell anaerobem Boden aufweisen.
Legende: oben verdichtete 2-3 cm Erde, darunter normale Erde (Quelle René Hodel)
Für mich ist die erregerspezifische Schlüsseleigenschaft, dass Fusobakterien ein anaerobes
Milieu brauchen, entscheidend. Entweder ist fusobacterium necrophorum im anaeroben
Magen-Darm-Bereich oder im Boden beeinflussbar. Inwiefern das Bakteriengleichgewicht im
Magen-Darm-Kontrakt bezüglich dieser Bakterien direkt beeinflussbar wäre, weiss ich nicht.
Einfluss nehmen kann ich im Umweltbereich.
Ende Oktober habe ich im Wintergatter mehrere Spatenproben gestochen. Auch habe ich
den Grasbewuchs beurteilt und dabei Gras samt Wurzeln ausgerissen. Die Spatenprobe
zeigte immer noch Verdichtungsverfärbungen auf, weniger als im Frühjahr, aber vorhanden
waren sie immer noch. Auch Gras konnte ich flächig mit den Wurzeln ausreissen. Dank dem
nassen Wetter ist es im Sommer nicht verdorrt. Die Wurzeln konnten die anaerobe,
verdichtete Schicht nur schlecht durchdringen.
Vorbeugende primäre Massnahmen, der erste Ansatz
Das Wintergatter ist von ca. Ende November bis anfangs April mit Hirschen dauerbelegt. Ich
will damit die Sommerweiden schonen. Vier bis fünf Wintermonate wird hier konzentriert der
Boden zertreten, mit Kot und Harn belastet und verdichtet. Im Wintergatter gibt es auch im
Sommer unbewachsene Stellen. Hier können die Hirsche ihr Bedürfnis nach Erde fressen
befriedigen. Durchs Wintergatter laufen die Hirsche täglich, wenn sie im Unterstand Futter
und Wasser aufnehmen wollen. Bei nassem Wetter klebt Erde an den Klauen. Diese Erde ist
vermutlich stark mit fusobacterium necrophorum belastet. Damit könnten Erkrankungen im
Maul- und Klauenbereich erklärt werden.
Meine primäre Bekämpfung der Nekrobazillose setzt vor allem hier an. Ich habe diesen
Frühling im Wintergatter mit ca. 200 g/m2 Nekapur 2 (Branntkalk, stark ätzend) den Boden
desinfiziert. Wenn bei Liegeboxen der Milchkühe ein Kalk-Strohbett gemacht werden will,
dann wird auch Nekapur 2 eingesetzt.
verteilte Kalksäcke vor dem Ausbringen (Quelle René Hodel)
Ziel war eigentlich eine Ausbringmenge von 300-500 g/m2. Diese Menge ist gemäss
Sicherheitsblatt zu Nekapur 2 für Mikroorganismen letal. Die ätzende Wirkung von
Branntkalk wird in der Landwirtschaft zur natürlichen Bodenhygienisierung bei Verpilzungen
(Kohlhernie), zur Schneckenbekämpfung, zur bakteriellen Desinfektion im Stall und in der
Teichwirtschaft eingesetzt. Auch Weideparasiten können damit bekämpft werden. Der
Einsatz der Mengen, wie ich sie ausgebracht habe, kann im Ackerbau alle 3 Jahre in die
abgeernteten Felder ausgebracht werden. Nach dem Produktebeschrieb könnte der
Grasbewuchs (Weiden) bei grösseren Ausbringmengen verbrannt werden. Bei mir war dies
mit 200 g/m2 Nekapur 2 im Wintergatter nicht der Fall. Bei solch grossen Mengen wird der
pH-Wert gewollt in kurzer Zeit stark erhöht und es wird ca. 320 g Wasser pro kg Kalk
gezogen. Ob nun eine desinfizierende Wirkung gegen Nekrobazillose eingetreten ist, weiss
ich nicht, da ich weder vor noch nach dem Einsatz eine bakterielle Bodenuntersuchung
gemacht habe.
Legende: Der Kalk ist ausgebracht (Quelle René Hodel)
Sofort nach dem Ausbringen habe ich mit einer Kreiselegge den Boden ca. 10-12 cm tief
bearbeitet und damit die anaeroben obersten 2-3 cm aufgerissen und mit darunterliegendem
aerobem Erdmaterial und dem Kalk gemischt. 5 Tage danach war schönes, warmes Wetter.
Die anaeroben Bodenbrocken konnte zusätzlich austrocknen. Branntkalk entwickelt seine
Wirkung jedoch erst unter Wassereinfluss. Ausgiebig geregnet hat es erst am 6. Tag. So
lange durften die Hirsche die behandelte Fläche nicht betreten. Später kann eingesät
werden. Im Nebeneffekt wird grundsätzlich durch Kalkung der Boden gelockert, d.h. die
Struktur meiner lehmig-tonigen Böden wird verbessert. Branntkalk liefert den nötigen
Elektrolytgehalt zur Tonflockung. Es bilden sich grössere Krümel.
nach dem Kreiseleggendurchgang (Quelle René Hodel)
In Gesprächen mit anderen Hirschhaltern oder Interessierten meine ich die Tendenz bemerkt
zu haben, dass Betriebe, die ihre Hirsche auf schweren Böden halten und solche mit
Nordhang eher Probleme mit Nekrobazillose haben. Es ist tendenziell feuchter. Ein Südhang
oder leichtere Böden trocknen besser ab. Die Gefahr von oberflächlicher Verdichtung ist
geringer. Ob die Aussage, im Elsass kennt man Nekrobazillose nicht, damit zusammen
hängt, wage ich nicht zu beurteilen. Ich kenne das Klima und die Böden im Elsass nicht.
Unsere Böden im Hirschgatter sind gegeben. Sie sind eher schwer und wenig durchlässig,
da sie tonig und schluffreich sind. Nach ca. 25 cm kommt Lehm zum Vorschein. Der nasse
Sommer 2014 war wohl fördernd für die Fusobakterien. Nach diesem Ansatz sind unsere
Böden eher weniger für die Damhirschhaltung geeignet.
Die sich ergebende oberflächliche Verdichtung, wie sie typisch ist für Weidebetriebe, werde
ich deshalb regelmässig mit Ackerbau im Gatter aufbrechen müssen.
Vorbeugende primäre Massnahmen, der zweite Ansatz
Der zweite wichtige Bekämpfungsansatz wird sein, die Hirschkälber beim Markieren mit dem
Lippengrindvirus zu impfen. Dazu haben wir oben noch nichts gesagt. Damit hat man in der
Schweiz scheinbar gute Erfahrungen gemacht. Man könnte auch mit viel Aufwand
versuchen, die Kühe zu impfen, so dass die Kälber via Milch die Antikörper aufnehmen
können. Wenn die Kälber allerdings direkt geimpft werden, dann müssen sie selber
Antikörper entwickeln. Das Lippengrindvirus hat gar nichts mit Hirschen zu tun. Sie sind nicht
anfällig darauf. Vermutlich wird mit der Impfung einfach der Abwehrmechanismus aktiviert.
Und davon kann bei der Bekämpfung der Nekrobazillose profitiert werden.
Andere Erfahrungen sind mit Fusogard im Ausland gemacht worden. Ob es in der Schweiz
eingesetzt wird, weiss ich nicht. Fusogard wirkt gegen fusobacterium necrophorum. Es wird
zur Verhinderung von Fussfäule (Verletzungen im Zwischenklauenspalt) und
Leberabszessen bei Rindern eingesetzt. Es gibt ausländische Hirschhalter, die gute
Erfahrungen damit gemacht haben. Andere wurden enttäuscht.
Der Nutzen, sowohl von Impfen mit Lippengrindvirus oder Fusogard bei Hirschen, ist
wissenschaftlich (noch) nicht untersucht worden.
Es gilt wohl (noch) die Aussage, dass es keine kommerziellen Impfstoffe zur Prävention von
Nekrobazillose beim Hirsch gibt.
Als weitere Massnahme werden wir den Kälbern ein Vitamin A/E-Selen-Präparat
verabreichen.
Vorbeugende primäre Massnahmen, der dritte Ansatz
Der dritte wichtige Bekämpfungsansatz ist, die Hirsche zu ihren Mineralstoffen und
Vitaminen kommen zu lassen. Auch soll der Protein-/Energiehaushalt zum Wachsen
ausgeglichen sein.
Ab April haben wir die Mineralstoffmischung auf 30 g/Tier und Tag erhöht, so dass der
Vitamin A-Bedarf für die Fötusentwicklung und danach für die Milchproduktion sicher gedeckt
ist. Der Bedarf der anderen Mineralstoffe und Vitamine wäre auch mit weniger als 30 g/Tier
und Tag gedeckt.
Hirsche verlieren im Winter an Gewicht, resp. Jungtiere haben wenig bis keine
Gewichtszunahmen oder verlieren Gewicht. Dafür wachsen sie im Frühjahr kompensatorisch
stärker. Im Sommer wird der wöchentliche Gewichtszuwachs der Jungtiere wieder kleiner.
Frühjahrsgras ist energiereicher als Sommergras. Das kompensatorische Wachstum der
Jungtiere sollte genutzt werden. Die Kühe sollen bei Zeiten wieder ihr Sommersollgewicht
erreichen und die Mehrenergie, ohne zu verfetten, in schwerere, lebensfähigere Kälber
investieren können. Den erhöhten Energiebedarf decken wir seit diesem Jahr mit CCMWürfel. Würde das Defizit mit einer Getreidemischung ausgeglichen, gäbe es wieder ein
grösseres Vogelproblem. Ab Juni kann die CCM-Menge bei gleicher Mineralstoffmenge
reduziert werden.
Zusätzlich speziell ist, dass wegen der Wärmebehandlung der CCM-Würfel beim Pressen
ein Teil der Energie geschützt durch den Pansen geht und erst im Darm abgebaut wird.
Diese Energie steht dem Hirsch direkt und nicht via Umweg Pansenmikroorganismen zur
Verfügung. Die Energie im Gras wird in erster Linie von den Pansenmikroorganismen
gebraucht. Beim Ausgleichen mit Getreide, würde ein erhöhtes Risiko für Pansenacidose
und damit einer Schwächung des Körpers und der Leber bestehen, da Getreideenergie vor
allem im Pansen abgebaut wird.
Es ist nicht ganz einfach, 1.2 kg reine Mineralstoffmischung pro Tag zu verfüttern. Indem wir
die Mischung mit in Wasser eingeweichten CCM-Würfeln vermengen und danach auf ca.
300 - 350 g CCM/Hirsch und Tag ergänzen, wird alles gefressen. Um den Pansen-pH
ausgeglichener zu halten, sollte in zwei Gaben, am Morgen und am Abend, gefüttert werden.
Nur, die Mengen werden dann sehr klein und die schnelleren Spiesser und Stiere bekommen
wiederum mehr Futter als die Kühe. Mit Mais, welcher natürlicherweise mehr im Darm als im
Pansen abgebaut, ist das Acidoserisiko so oder so geringer. Daher füttern wir momentan
trotzdem nur ein Mal pro Tag.
Die Mineralstoffmischung muss immer frisch eingemischt werden. Stehen gelassene, nasse
Mischungen werden bitter und werden nicht mehr gerne gefressen.
Seit wir mit CCM mischen ist es normal, dass die ganze Herde die Weiden verlässt und zum
Unterstand kommt, um auf das Futter zu warten. Letztes Jahr, bei Zuckerrübenpellets und
Mineralstoff, gestreckt mit Graswürfeln, war das nie der Fall. Auch blieben immer Reste
übrig. Graswüfel und damit Proteine im Sommer zu füttern bringt nichts. Graswürfel passen
im Winter zu Emd. Grassilage benötigt eine Energieergänzung.
Neben altem Gras in den Baumreihen wird Emd zur freien Verfügung angeboten. Hirsche
mögen aber vor allem junges Gras. Nach jedem Weidewechsel dünge ich ca. 30 kg N/ha.
Weitere, sekundäre Massnahmen:
- der Fressbereich im Unterstand wird nach Bedarf bis auf den Betonboden geputzt
- ausgemistet wird im Frühjahr, nicht erst im Herbst
- die alte Holzkrippe ist durch sechs neue Kunststoffkrippen von 2 m Länge ersetzt worden
- das spezielle Hirschfutter wird gezielt im Kälberschlupf dem neuen Jahrgang zur Verfügung
gestellt. Zur Angewöhnung der Kälber wird die Herde zu jedem Zeitpunkt allabendlich ins
Wintergatter geholt und übernachtet dort.
- die Weihnachtsbäume werden nun im Frühjahr und nicht erst am 1. August verbrannt
- dass immer alter und junger Grasaufwuchs in jeder Weide sind, machen wir bereits. Die
Weiden werden mindestens 1x /Jahr geschnitten.
- die vier Nässestellen sollen im Sommer drainiert und trocken gelegt werden
- evt. werde ich den Wasserzusatz zur Mineralstoffmischung mit MMS (master mineral
solution, eine 28%ige Lösung mit 80% Natriumchlorit) desinfizieren.
- die Lagerplätze (Abkotbereiche) unter den Birnbäume werden nach dem Weidewechsel mit
Branntkalk desinfiziert
- noch habe ich den Treibgang nicht mit Branntkalk desinfiziert. Das Gras stirbt dann ab.
- die Weiden werden bewusst in die Fruchtfolge eingebaut Die Weiden sehen aktuell gut aus.
Grundsätzlich besteht durch das Beweiden, egal ob mit Rindvieh oder Hirsche, immer eine
Tendenz zur oberflächlichen Verdichtung und damit zu anaeroben Bereichen.
- Um den Stress zu mindern, sollte eine Zuchtherde und eine Spiesser- / Stierenherde
gebildet werden. Noch fehlen mir dazu die Möglichkeiten und die Grösse der Herde
(Fanganlage, Gatter)
- Es wird nur qualitativ gutes Emd verfüttert und ganzjährig angeboten. Grobe Futtermittel
gibt es keine.
- Kälber mit Nekrobazillose sind Streuer. Diese werde ich möglichst sofort ausselektioniert.
- inwiefern eine Blutauffrischung mit neuen Tieren aus dem Ausland etwas bewirken kann,
weiss ich nicht (Inzuchttendenz in der Schweiz? Unsere Hirsche haben, bis auf 3
Ausnahmen, alle Riswickerblut und wären damit eigentlich robustere F1 und F2 Tiere)
- Veränderungen im Pansenmilieu, z.B. ein schneller Futterwechsel, kann zum Absterben
der Pansenmikroben und damit zu Vergiftungserscheinungen führen. Teilweise muss Emd
den Hirschen durch Einsperren ins Wintergatter "aufgezwungen" werden. Dieses Frühjahr
erfolgte der Futterwechsel zu schnell, resp. die Hirsche verweigerten das Emd und
erhungerten lieber die Zeit, bis sie wieder ¼ bis ½ Tage ins Gras konnten. Die Hirsche
bekamen wässerigen Durchfall. Nachdem sie nur noch jeden zweiten Tag auf die Weide
konnten und so Emd fressen mussten, bekam der Kot wieder Konsistenz.
- Damit der Vitamin A-Bedarf im Sommer gedeckt ist, muss ich 30 g Mineralstoffe pro Tier
und Tag füttern. Beim Vitamin D3-Bedarf würden 20 g reichen, beim Selen noch weniger. Ich
verfüttere Mineralien und Vitamine im unnötigen Überfluss. Eine angepasste
Sommermineralstoffmischung mit erhöhten Gehalten an Vitamin A, E und Selen könnte als
Alternative zum Hirschfutter kostengünstiger in CCM-Pellets eingemischt verfüttert werden.
Erfahrungen sammeln
Ich fordere jeden Hirschhalter auf, die beschriebenen Massnahmen zu hinterfragen, aber
auch, sie mit seinen Erfahrungen zu ergänzen und die Erfahrungen mit wem???
………….Agridea……….. BGK……….. BBZN……….. zu diskutieren. Damit könnte ein
Gesamtbild Nekrobazillose und eine Frage- und Auswertungsliste erstellt werden. Die
Situation auf den Hirschbetrieben könnte systematischer erfasst und ausgewertet werden.
Die Setzzeit steht bevor. Wir hoffen nun, die Verluste möglichst klein halten zu können.
Autorenporträt
René Hodel ist Lehrer und Berater am landwirtschaftlichen Bildungs- und Beratungszentrum
Natur und Ernährung (BBZN) in Hohenrain (LU). Hauptsächlich erstellt er Ertrags- und
Verkehrswertschatzungen und wirkt unterstützend mit beim Verkauf von
Landwirtschaftsbetrieben. Weiter beurteilt er Biogasanlagen mit
Umweltverträglichkeitsberichten (UVB). In einem kleineren Pensum arbeitet er als
landwirtschaftlicher Schätzer bei der Immobilienbewertung Kanton Luzern. Pächterin des
Landwirtschaftsbetriebes ist seine Frau Veronika Hodel-Ehrler.