2016-08-08_Buendner_Tagblatt
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M o n t a g , 8. Au g u s t 2 0 1 6 KULTUR ▸ A N D R I NA DÄ P P E N (18) U N D T I M K N O F L A C H ( 14) über die Eröffnung des Davos-Festivals «Young Artists in Concert», das am Samstag begonnen hat. S chwebende, sanfte Töne, dazwischen ein pizzicato-ähnliches Donnern des Klaviers, dann wieder süsse und märchenhafte Streichermelodien: Diese Klangwelten kommen einem entgegen, wenn man sich dem Probenraum der Camerata des diesjährigen Davos-Festivals nähert. Es ist die Musik des ukrainischen Komponisten Valentin Silvestrov, welche die jungen Musiker dort konzentriert einstudieren. Harmonien werden gesucht und geputzt und ein gemeinsamer Klangkörper erschaffen. In den nächsten zwei Wochen kommen jede Menge wundervoller Klänge nach Davos, das spürt man hier. Auch in diesem Jahr hat sich Reto Bieri, der Intendant des Davos-Festivals, ein spannendes und unglaublich vielfältiges Programm ausgedacht. Die Festivalthemen werden von ihm in einem langen Prozess entwickelt und erarbeitet. Er folge einem Muster, sagt er uns, welches thematisch von Jahr zu Jahr weitergeführt werde. Von der Fermate, dem «Halt auf Verlangen» in seinem ersten Jahr als künstlerischem Leiter, weiterführend zu «suchenden Kreisen» im vergangenen Jahr, ist das Festival dieses Jahr an einem vertrauten Standpunkt angelangt. «Familienzone». Wenn man dieses Thema hört, kommen einem sofort unglaublich viele Bilder und Assoziationen in den Kopf. Das Programm handelt von der Musikerfamilie im wahrsten Sinne des Wortes, wie in den Komponistendynastien Bach oder Mendelssohn, aber auch von Instrumentenfamilien, Familiendynamik, Muttersprachen, Privatsphären, Sonntagsstimmungen und vielem mehr. Im Gespräch unterstreicht Reto Bieri seine Wörter oftmals mit den Händen. «Mein Die Kammerphilharmonie Graubünden pflegt Barock, Klassik und Romantik. Doch in seiner ersten Saison stösst Dirigent Philippe Bach auch ein Schweizer Fenster auf – insbesondere mit Musik von Othmar Schoeck und Rudolf Moser. N ▸ CARSTEN MICHELS Natürlich wäre jeder andere Bezug zu Graubünden erquicklicher gewesen, aber es ist nun mal, wie es ist: Das Leben des Komponisten Rudolf Moser endete im Engadin. Der begeisterte Freizeitalpinist starb infolge eines Bergunfalls am 20. August 1960 bei Silvaplana – mit diesem Ort biografisch nun für immer verbunden. Doch der Grund, warum Dirigent Philippe Bach in seiner ersten Saison mit der Kammerphilharmonie Graubünden zwei Werke von Rudolf Moser programmiert hat, ist ein ganz anderer. Die Musik von Schweizer Komponisten wird im eigenen Land viel zu selten gespielt, findet Bach. «Ja, man hört sie im Ausland viel häufiger als bei uns», sagt er mit Bedauern. Um diesem Missstand entgegenzuwirken, bringt Bach mit der Kammerphilharmonie gleich zwei Kompositionen aus Mosers Feder zu Gehör: im März 2017 die Intrada op. 38 Nr. 2 und im September dieses Jahres die Passacaglia für Orchester op. 98. Jeweils in den Programmen vorangestellt: Musik von Othmar Schoeck (1886–1957) – auch einer jener Komponisten, die nach Bachs Dafürhalten mehr gespielt werden sollten. Im September kommt Othmar Schoecks Konzert für Violoncello und Streichorchester zum Zug, im März 2017 das Hornkonzert. «Sommerfrische» mit Bläsern Festivalintendant Reto Bieri (3. v. r.) im Kreise der «Jungen Reporter» (FOTO STEFAN MAN) Beruf ist Abschweifen», meint er lachend. Abschweifen bedeutet für ihn, verschiedenste Facetten wahrzunehmen und somit lauter spannende Eindrücke ringsum auch zu bedenken. Nicht als etwas Negatives, sondern als Möglichkeit, die Welt von unterschiedlichsten Seiten zu betrachten. Wir bekommen eine Ahnung davon, was in dieser eindrücklichen Persönlichkeit alles vor sich geht, bis so ein Projekt auch wirklich auf den Beinen steht. Musik auf dem Tisch Auch unter den Musikern spielt dieser familiäre Leitgedanke eine bedeutende Rolle. 80 junge Musiker aus 20 verschiedenen Nationen finden in zwei Wochen zu einer Familie zusammen. Von Mozart bis modern scheint ihr Repertoire endlos. Vor dem Eröffnungskonzert proben drei Percussionisten die «Table Music» von Thierry de Mey. Carlota Cáceres, Frank Dupree und Eléna Beder klopfen mit den Fingern auf eine Tischkante, schlagen mit der Faust auf den Tisch, streichen mit den Handflächen darüber, schnippen und wippen mit den Fingern, rhythmisch und humorvoll. Ihre Noten sehen aus wie von einem Kleinkind hingekritzelte Kringel, Striche, Punkte und Häkchen, die kein Mensch versteht. Tatsächlich hat jedes einzelne Symbol seine Bedeutung, und die drei Musiker haben ein kleines Buch mit allen Übersetzungen auswendig gelernt, um das Stück spielen zu können. Keine leichte Aufgabe, damit das 31. Davos-Festival zu eröffnen – aber am Samstag im Hotel «Schweizerhof» liessen sie sich keine Aufregung anmerken. Eine super Performance, die Zuschauer lachten, als die drei mitten im Tischtrommeln würdevoll ihre Noten umblätterten. Riesiger Applaus am Ende. A N D R I N A ( 1 8 ) D Ä P P E N, T I M K N O F L A C H ( 1 4 ) nehmen am Festival-Workshop «Junge Reporter» teil und berichten für das BT aus Davos. 11 Bach lässt sich von Schweizer Klängen leiten J U N G E R E P O R T E R D AV O S Ein familiärer Auftakt nach Mass B ü n d n e r Ta g b l a tt Insgesamt hat die Kammerphilharmonie 54 Konzerte für die nächste Saison angekündigt – in verschiedener Besetzung und an zahlreichen Orten: 29 in Chur, 20 in anderen Bündner Gemeinden, fünf gar Die Schäfchen im Trockenen: Orchestermanagerin Annette Friedrich, Dirigent Philippe Bach und Präsidentin Dorina Attinger-Vincenz (v. l.) haben das Saisonprogramm 2016/17 fixfertig geschnürt. (FOTO MARCO HARTMANN) auswärts – darunter eines in der Tonhalle Zürich. Seinen Einstand gibt Dirigent Bach am kommenden Donnerstag in Sent, wo der Konzertzyklus «Sommerfrische» startet. Von dort aus geht es über Poschiavo und Soglio nach Chur und Reichenau. «Besonders auf Soglio bin ich sehr gespannt», verriet Bach an der Präsentation des Programms. «Mein Vorvorgänger Marcus Bosch hat mir erzählt, er habe bei seinem ersten Konzert in Soglio vor Rührung Tränen in den Augen gehabt – mal sehen, ob mir das auch so geht.» Programmiert sind im Sommerzyklus vorwiegend Werke, deren Schwerpunkt auf Blasinstrumenten liegt: die Sinfonietta op. 1 von Benjamin Britten; Jacques Iberts «Concertino da camera» für Altsaxofon und Orchester: Felix Mendelssohns «Noc- turno», eine Ouvertüre für Bläser, die Mendelssohn im zarten Alter von 15 Jahren komponierte; sowie die «Petite Symphonie» für Blasinstrumente von Charles Gounod. Herbstkonzert und Chorprojekte Im Herbstkonzert kommt Mendelssohn – neben Moser und Schoeck – noch einmal zu Ehren: mit seiner Konzertouvertüre «Das Märchen von der schönen Melusine», einem Werk, das die Kammerphilharmoniker bereits im März 2014 aufführten – dazumal unter Bachs Vorgänger Sebastian Tewinkel. Das Konzert endet mit Robert Schumanns Sinfonie Nr. 4 d-Moll. Für den erwähnten Auftritt in der Zürcher Tonhalle wird das Programm ein wenig umgestaltet: Statt der Passacaglia von Moser und dem Cellokonzert von Schoeck erklingt das Klavierkonzert Nr. 2 f-Moll von Frédéric Chopin. Neben den Sinfonie- und Kammermusikkonzerten, neben Chaplin-Abend und Langem Samstag tritt die Kammerphilharmonie auch anderweitig in Aktion: Im Dezember wirkt sie an der h-Moll-Messe von Johann Sebastian Bach mit, einem Projekt der Singschule Chur; und im März 2017 führt sie Alvin Muoths «Suita da Psalms» auf, gemeinsam mit dem Chor viril Domat. Im Juni 2017 öffnet sich das Orchester den Laien für ein weiteres Konzert «Side by Side» – diesmal mit Tschaikowskys «Ouvertüre 1812». Nächste Konzerte: 11. 8. (Sent), 12. 8. (Poschiavo), 13. 8. (Soglio), 14. 8. (Chur), 21. 8. (Reichenau). Detailangaben und das komplette Saisonprogramm unter www.kammerphilharmonie.ch Besen, Besen, seids gewesen Im Rahmen des Kultursommers Arosa hat die Oper im Knopfloch am Freitag eine minimalistische Version der Operette «Geneviève de Brabant» auf die Bühne gebracht. Die Premiere überzeugte nur teilweise. Die Idee dahinter ist unbestritten gut: Ursprünglich schrieb Jacques Offenbach die Operette «Geneviève de Brabant» für unzählige Rollen und ein grosses Orchester. Der Zweiakter aus dem Jahr 1859 listet in der Originalversion nicht weniger als 72 Figuren auf. Die in Zürich beheimatete Oper im Knopfloch, die das Werk derzeit in Arosa aufführt, reduzierte diese auf 15 Figuren, die nun von einem Sängertrio verkörpert werden: Rosina Zoppi (Mezzosopran), Ulrich Amacher (Tenor) und Fabrice Raviola (Bariton). Die anderen Rollen übernehmen verschiedenfarbige Besen. Das Orchester schrumpften die Macher auf einen Kontrabass und ein Akkordeon (Yolanda Schibli Zimmermann, Jojo Kunz). Charles Martel in den Krieg zieht, vom Statthalter Golo begehrt. Sie gibt seinem Werben aber nicht nach und bleibt ihrem Gatten treu. Der enttäuschte Golo beschuldigt sie des Ehebruchs mit dem Bäcker Drogan. Trotz Todesurteil überlebt Geneviève dank einer Hirschkuh im Wald und bringt da einen Sohn zur Welt. Als ihr Ehemann Sifroy aus dem Krieg zurückkehrt, holt er sie an den Hof zurück. Schade um die Idee In der Putzequipe wechseln nun die Besen als Figuren zwischen den Sängern hin und her, welche wiederum die entsprechenden Rollen übernehmen. Eine musikalische Herausforderung, welcher die Sän- Zwei verschiedene Ebenen Die Oper im Knopfloch setzt das Stück auf zwei sich vermischenden Ebenen um. Die Protagonisten treten als Putzequipe auf die Bühne, welche die Operette nachspielt. Die Geschichte ist eine gut verständliche und beruht auf einer deutschen Legende. Die schöne Geneviève de Brabant wird als Frau des Pfalzgrafen Sifroy, der unter dem König Oper in Miniaturformat: Das Ensemble der Zürcher Oper im Knopfloch führt in Arosa Offenbachs «Geneviève de Brabant» auf. (FOTO NINA HOMBERGER) ger und das Mini-Orchester an der Premiere jederzeit gewachsen waren. So weit also, so gut. Nun hat sich der Regisseur (Matthias Flückiger) aber dazu verleiten lassen, Texte und Szenen dazwischenzuschieben, welche das Stück unnötig in die Länge ziehen und ihm damit die Dichte nehmen. Auf der Ebene der Putzequipe schuf er Bezüge zum heutigen Alltag, die manchmal doch zu weit hergeholt sind. Gewollt gesetzte Effekte aus der Commedia dell’arte verpufften an der Premiere am Freitag in Arosa – zugunsten von mässig komischem Slapstick. Die Anspielungen auf Kriegsgeschehen im Nahen Osten (Syrien liess grüssen) wirkten irritierend und in der aktuellen politischen Lage schlichtweg unpassend. Wie eingangs gesagt: Die Idee eines Opernminimalismus ist unbestritten gut. Man hätte aber – ebenso unbestritten – daraus mehr machen können. Schade. MAYA HÖNEISEN «Geneviève de Brabant». Weitere Aufführungen: 12. August, 20.30 Uhr, 13. August, 15 Uhr, Waldbühne Arosa (bei schlechtem Wetter: Hotel «Kulm»). Kultursommer-Gesamtprogramm und Tickets: www.arosakultur.ch