Die Lange Nacht der Museen als sinnentleerter

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Die Lange Nacht der Museen als sinnentleerter
Die Lange Nacht der Museen als sinnentleerter Selbstläufer
Text: Christian Saehrendt
Kunstmuseen befinden sich heute in scharfer Konkurrenz zu anderen
Freizeitangeboten. Sie haben sich in den letzten Jahren rasant verändert, um in
dieser Hinsicht wettbewerbsfähiger zu werden. Kampagnen wie die seit 15
Jahren praktizierte Lange Nacht der Museen, ein zielgruppengenaues
Kunstvermittlungsangebot sowie ausgedehnte Gastronomie- und
Shoppingzonen sollten ein größeres und vielfältigeres Publikum ins Museum
locken – Zeit für eine Bilanz.
Die Museumsnächte dienten dem Ziel, ein eher kunstfernes Publikum mit Wein,
Gesang und Spektakel anzulocken. Erfunden in Berlin, breitete sich das Konzept
in rasender Geschwindigkeit in ganz Europa aus. Umso größer war die
Verstörung, als die Stuttgarter Staatsgalerie im Jahr 2013 aus der dortigen
Museumsnacht ausstieg. Die Direktorin Christiane Lange erklärte dazu: „Es ist ein
mittlerweile in die Jahre gekommenes Konzept. Laut Veranstalter ist das Format
in allen Städten ein Erfolgsmodell. Bei genauerem Hinsehen wird der Erfolg
jedoch nur durch die Einbindung von immer neuen nichtmusealen Orten und
von Theater, Musik sowie Massenpartys gewährleistet.“ Frau Langes Offenheit ist
die Ausnahme – sonst klagen Museumsleiter nur hinter vorgehaltener Hand über
den Zwang zum Event. Es sei kaum noch möglich, sich dem Massenspektakel zu
entziehen, ohne elitär zu wirken. Auch Künstler haben nichts vom
Eventpublikum, das ihre Werke allenfalls im Vorbeigehen flüchtig wahrnimmt.
Zudem vermittelt die Museumsnacht ein verzerrtes Bild: Die vom Event
angelockten Erstbesucher könnten glauben, dass dort täglich dieser bunte
Strauß an Amüsements auf sie wartet. Doch wenn sie dann an einem normalen
Öffnungstag wiederkommen, sehen sie nur Kunst! Analysen der Langen
Museumsnächte in Berlin haben ergeben: „Auch wenn der erwartete Gewinn
neuer Besucher in den Staatlichen Museen Berlins minimal ausfiel, zeigt sich
doch klar die Motivation des angestammten Publikums, im Rahmen der langen
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Nächte neue Museen kennen zu lernen.“ Immerhin hat sich das Stammpublikum
gut unterhalten – und vielleicht liegt der Sinn der langen Nächte eher darin, den
bereits überzeugten Museumsbesuchern und Kunstvereinsmitgliedern eine
heitere und spannende Abwechslung zu bieten, damit sie „ihr“ Museum einmal
mit anderen Augen sehen.
Als Wunderwaffe des Museumsmarketings wird gelegentlich die Ausweitung der
Konsumzone genannt. Seit Shopping-Mall-Betreiber die Methode eingeführt
haben, durch gastronomische Angebote potenzielle Kunden länger in den
Einkaufszentren zu halten, damit sie nach dem Essen noch mehr einkaufen und
nach dem Einkaufen noch mehr essen, gilt die Gastronomie auch unter
Kulturmanagern als Umsatzverstärker und Wohlfühlfaktor. Bei
Besucherbefragungen kam die interessante Tatsache zum Vorschein, dass das
Verkaufsgespräch im Shop für viele Besucher der einzige persönliche Kontakt mit
einem Mitarbeiter während des Museumsbesuchs war. Merchandise-Artikel
ergänzen oder ersetzen den traditionellen Katalog, der in vielen Fällen immer
theoretischer, dicker und schwerer geworden ist. Dick, schwer und
schwerverständlich sind Kataloge deshalb, weil es zum heutigen Standard
gehört, eine Ausstellung mit möglichst vielen kunsttheoretischen Texten
akademischer Autoren und Autorinnen aufzuwerten, zudem werden viele
Aufsätze in englischer und deutscher Variante abgedruckt. Hingegen dienen die
haptisch erfahrbaren Merchandise-Artikel der emotionalen Bindung an das
Haus.
Kunstmuseen und Kunstvereine in der Schweiz, in Österreich und in Deutschland
haben in den letzten Jahren beeindruckende Versuche unternommen, ein
breiteres Publikum anzusprechen, die Häuser gegenüber ihrem sozialgeografischen Umfeld zu öffnen und stärker in Stadt und Gemeinde zu vernetzen
– pro forma gehörte dies auch zu den Zielen der Museumsnächte, blieb dort
jedoch ohne langfristige, empirisch belegbare Wirkung auf die Bewohner der
Nachbarschaft und auf das Stammpublikum anderer Institutionen, weil die
Museumsnachtsprogramme nicht spezifisch genug waren und keine nachhaltige
Bindung zum veranstaltenden Museum erreicht wurde. Gleichzeitig ist es eine
Notwendigkeit, gezielt bestimmte Besuchergruppen jenseits des
Bildungsbürgertums anzusprechen, das aus bildungspolitischen und
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demografischen Gründen dahinschwindet. Kinder und Jugendliche werden durch
spezielle Programme angesprochen, wie etwa den Kinderclub des Züricher
Kunsthauses oder das Programm „Augen auf“ im Kunstmuseum Basel. In der
Kestner Gesellschaft Hannover gibt es mittlerweile Kinderkurse (Zielgruppe:
Eltern), Führungen (allgemein Kunstinteressierte, ohne Kunstkenner zu sein),
Vorträge/Filme/Konzerte (Kulturinteressierte, teils junge Leute), sogar
Grillabende und Ladies Nights. Und im Frankfurter Städel hat man sich neben
vielen anderen Angeboten etwas Besonderes einfallen lassen: „Kunstpause für
Mamas. Entspannen und abschalten vom Babyalltag und dabei Neues
entdecken.“
Diese Programme sind von Haus zu Haus verschieden, sie ändern sich auch mit
wechselnden Direktionen und Etat-Umschichtungen, eine langfristige und
flächendeckende Evaluation ist hier schwer möglich. Was nicht läuft, wird in der
Regel rasch eingestellt, etwa die „Single-Treffs im Museum“, die in verschiedenen
Häusern erprobt wurden und meistens floppten. Trotz all dieser pädagogischen
Bemühungen wird die Jugend im Museum immer eine Minderheit bleiben. Schon
jetzt ist das Gros des Stammpublikums in Museen und der Mitglieder in Kunstund Museumsvereinen in der Altersgruppe 50+. Dies wird sich laut
demografischen Vorhersagen in den kommenden Jahrzehnten noch verstärken.
Während die Werbung mit ihrer „werberelevanten“ Zielgruppeneinteilung bis 49
Jahre noch dem Trend hinterherhinkt, denken die Museen schon länger an die
Alten, beziehungsweise an die „jungen Alten“: Viele von ihnen haben genügend
Freizeit und ein gutes Einkommen, vor allem gelten sie als offen und
kulturinteressiert, sind sie doch sozialisiert und ausgebildet im Bildungsschub
(„Kultur für alle!“) der 1970er Jahre. Spezielle Kunstvermittlungsangebote für
Senioren, sogar für Alzheimerbetroffene, sind in den letzten Jahren in vielen
Museen auf- und ausgebaut worden, und hier wird in Zukunft auch noch viel zu
tun sein. Insofern sind – ungeachtet des Buhlens um Jugendliche, junge Muttis
und Migranten – die Alten die Zukunft, hier entscheidet sich, ob es einem
Ausstellungshaus gelingt, im Blick auf die Besucherzahlen eine kritische Masse zu
generieren, um zu überleben.
Der Erfolg all der bisherigen Bemühungen, Schwellenängste eines NichtFachpublikums abzubauen, ist schwer messbar, fehlen doch systematische
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Studien über die Langzeitwirkung von Museumsbesuchen und
Kunstvermittlungsprogrammen. Besucherforschung wird leider weiterhin
vernachlässigt. Zudem befinden sich viele Formen der Kunstvermittlung in der
Experimentierphase und werden laufend variiert. Erfolgsmeldungen sind oft nur
punktuelle Momentaufnahmen. Bei allen erreichten Teilerfolgen muss man vor
dem Trugschluss warnen, dass mit passgenau zugeschnittenen
Kunstvermittlungsangeboten jede Zielgruppe erreichbar ist, und jedes Kunstwerk
sich durch Vereinfachung und Interpretation einem Publikum erklären lässt, das
zuvor durch Schnittchen, Musik und Kleinkunst ins Museum gelockt worden ist.
Stattdessen führt letztlich kein Weg daran vorbei, die Komplexität der Kunst zu
vermitteln, mit dem Publikum den Umgang mit Vielschichtigkeit zu trainieren,
sich von der Idee zu befreien, dass alles in der Kunst einen Sinn hat, erklär- und
übersetzbar ist. Jede Auseinandersetzung mit Kunst erfordert Anstrengungen
und Entscheidungen des einzelnen Betrachters, und statt in ständiger Angst zu
leben, das Publikum zu überfordern und zu verschrecken, statt immer neuer
niedrigschwelliger Wohlfühlangebote sollte man nicht versäumen, die Kunst als
Sphäre des Experiments, als Zone der Verrätselung und Verweigerung zu
propagieren – denn auch das sind ganz entscheidende Merkmale von Kunst! In
diesem Sinne wäre darüber nachzudenken, ob ein Ausstieg aus der
Museumsnacht nicht der bessere Weg für viele Museen wäre, die stattdessen die
frei gewordenen Ressourcen und Manpower in gezielte und langfristig angelegte
Kunstvermittlungsprogramme investieren könnten. Und die komplette Absage
einer Museumsnacht würde vielleicht einmal die Gelegenheit zum Nachdenken
bieten, wen man mit Kultur überhaupt erreichen will - und zu welchem Zweck?
Dr. Christian Saehrendt ist Kunsthistoriker und freier Publizist. In diesen Beitrag
wurden Gespräche mit Besuchern und Mitarbeitern u. a. von Museen in Wien
(Museum für Moderne Kunst), Zürich (Kunsthaus), Hannover (Kestnergesellschaft),
Kassel (Staatliche Museen Hessen Kassel) Davos (Kirchnermuseum), Frankfurt (Städel)
eingearbeitet
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Christian Saehrendt : „Die Lange Nacht der Museen als sinnentleerter Selbstläufer“, in:
standpunktgrau –magazin, hrsg. Baasch/Lohbeck/Reiner, www.standpunktgrau.de, 2015
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