Adidas: Zwischen Gestern und Morgen

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Adidas: Zwischen Gestern und Morgen
Adidas: Zwischen Gestern und Morgen
Geschrieben von: Barbara Russ
Donnerstag, den 05. März 2015 um 14:12 Uhr - Aktualisiert Dienstag, den 06. Dezember 2016 um 16:02 Uhr
Josefine Aberg im Adidas-Archiv
Text: Fredericke Winkler Fotos: Sorin Morar
Exklusiv für J'N'C News öffnete der Herzogenauracher Sportartikelhersteller Adidas die Pforten
zu seinem fast schon sagenumwobenen Archiv. Fashion Director Josefine Aberg empfing J'N'C
News Co-Chefredakteurin Fredericke Winkler in den heiligen Hallen des weltweit agierenden
Unternehmens mit den drei Streifen, das in einem verschlafenen fränkischen Nest Anfang der
1920er Jahre mit handgefertigten Turnschuhen seinen Siegeszug um die Welt begann.
Dieser Artikel erschien ursprünglich in Ausgabe 1/2015 der J'N'C News. Zwischen Wäldern und Wiesen, Äckern und kleinen Industriegebieten, vorbei an Dörfern mit
gepflegten Vorgärten ist das erste, was auf unser Ziel hindeutet, ein Verkehrskreisel in dessen
Mitte ein menschengroßer WM-Fußball thront. Dahinter zeigen sich die Umrisse eines
monolithischen Factory-Outlets. Wir jedoch biegen rechts ab und kommen bald bei einem
mehrere tausend Quadratmeter großen Gelände an, auf dem sich ungefähr ein Dutzend
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Gebäude, sowie ein Tennisplatz, ein Basketballplatz, ein kleiner Teich und ein Fußballstadion
umeinander reihen. Es soll auch eine Kletterhalle geben. Die sieht man aber nicht. Die
Gebäude könnten heterogener nicht sein. Alte Kasernenhäuser in Reih und Glied werden von
modernen Glaskonstruktionen, schwarzen Kisten, asymmetrischen Komplexen und einem
unprätentiösen Parkhaus gebrochen. Erst kürzlich eröffnete das Fitnessstudio, welches gleich
neben dem Betriebskindergarten liegt. Ein paar übereinander gestapelte Container erinnern an
die Zeit, als man vor vierzehn Jahren an diesem Standort begann, den Adidas-Campus zu
bauen. Vor acht Jahren erst eröffnete das größte der Gebäude, das ‚Laces’, welches seinen
Namen seiner eigenwilligen Architektur verdankt, die im Innenraum wie eine
Schnürsenkel-Bindung aussieht. Um die viertausend Menschen aus etwa siebzig Ländern
arbeiten in Herzogenaurach für das Dax-Unternehmen, ein Großteil in dieser kleinen Stadt
mitten im Nirgendwo, dem World of Sports-Campus. Dementsprechend sind überall Menschen
zu sehen – manche geschäftig, andere gerade am Entspannen, auf dem Weg zu einem kleinen
Workout oder einem frühen Mittagessen in der zentral gelegenen Kantine. Verabredet sind wir
mit Josefine Aberg, der Kreativchefin von Adidas Originals und als solche für die Kollektionen
und Kooperationen zuständig. Ihr Büro liegt am vorderen linken Schnürsenkel-Rand, ist klein
und – wie soll es anders sein – voll mit Inspirationsquellen. Josefine Aberg selbst bildet einen
Ruhepol, ganz in schwarz gekleidet und in konzentrierter Erwartung unserer Fragen.
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J'N'C: Frau Aberg, Sie haben die meiste Zeit Ihres Lebens in Stockholm gelebt und
gearbeitet. Wie war es für Sie vor sieben Jahren nach Herzogenaurach zu kommen?
Aberg: Oh ja, das war natürlich eine Umstellung. Von der Großstadt aufs Land, von Schweden
nach Deutschland. Von WESC zu Adidas. Ich kann mich sogar noch gut an meinen ersten Tag
erinnern. Es war der vierte Juli und ich kam an der Rezeption an und hatte ein wenig das
Gefühl, in ein Regierungsgebäude zu treten. Alles schien mir so streng. Als ich dann meinen
eigentlichen Arbeitsplatz sah, hat sich dieser erste Eindruck aber sehr schnell zerstreut. Der
war nämlich in einem blauen Container mit weißen Streifen. Ich habe also in einem
Schuhkarton gearbeitet, bis dieses Gebäude fertig gestellt wurde. Das war irgendwie witzig.
Und ich hatte damals schon fünfzehn Mitarbeiter, die mich sehr warm empfangen haben.
J'N'C: Wie sind Sie denn zu Adidas gekommen?
Aberg: Ich habe damals für WESC eine Kooperation mit Adidas betreut und den Kontakt nicht
abbrechen lassen. Als mir die Stelle angeboten wurde, habe ich die Chance sofort ergriffen. Es
hat mich gereizt, für ein Unternehmen zu arbeiten, dass global arbeitet und dabei Shops wie
Foot Locker als auch Dover Street Market beliefert.
J'N'C: Aber wie schafft man diesen Spagat als Designer?
Aberg: Nun, ich habe ein sehr gutes Team, mit dem ich unterschiedliche Kollektionen entwickle,
um auf die verschiedenen Bedürfnisse unserer Kunden einzugehen. Dennoch muss in jedem
Teil, das wir machen, die DNA der Marke erkennbar sein. Wir haben zum Glück ein
wunderbares Archiv, in dem wir uns die Geschichte von Adidas immer wieder bewusst machen
können.
J'N'C: Und diese Geschichte ist lang. Dennoch war Adidas noch nie erfolgreicher als
heute. Woran liegt das?
Aberg: Im Bereich der Perfomance-Kollektionen liegt das sicherlich an der ständigen
Forschung. Unsere Sportartikel bieten alles, wozu die Technologie heute in der Lage ist. Mit
Adidas Originals verbinden wir diese Kompetenz mit Fashion. Und liegen damit einfach total im
Trend. In jeder Prêt-à-Porter-Kollektion sieht man die Einflüsse der Sportswear. Bei Chanel
tragen die Models Sneakers, Prada bietet Windjacken an. Solche Adaptionen sind nicht mehr
wegzudenken.
J'N'C: Beeinflusst die Mode auch die Sportswear?
Aberg: Für meinen Teil ist die Haute Couture schon eine Quelle der Inspiration. Und auch auf
der Straße sehe ich den Einfluss schon sehr stark. Ich bin gestern erst aus L.A.
zurückgekommen. Dort habe ich mehrmals beobachtet, wie Leute mit ihren Yoga-Klamotten
nach dem Workout zum Lunch zu gehen. Das war für mich etwas irritierend, aber in L.A. ist das
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offenbar vollkommen normal.
J'N'C: Woran mag diese zunehmende Salonfähigkeit von Sportswear liegen?
Aberg: Das hat sicher damit zu tun, dass Sport heute einfach Teil des Lifestyles ist. Und
während man sich vor ein paar Jahren noch keine Gedanken gemacht hat, wie man beim Sport
aussieht, will man heute auch beim Schwitzen eine gute Figur machen. Bei Adidas Originals
liegen die Dinge jedoch nochmals anders. Unsere Kombination von Sportswear und Fashion
arbeitet viel mit der Street Credibility, wie wir sie schon durch die Arbeit mit Künstlern wie
RUN-D.M.C. seinerzeit aufgebaut haben. Damit haben wir das Genre der Streetwear quasi
mitbegründet. An dieses Erbe knüpfen wir an, wenn wir heute mit Pharrell Williams oder Kanye
West arbeiten. Und gehen neue Wege mit Designern wie Stella McCartney.
J'N'C: An die alten Zeiten schließt Adidas auch intensiver an, indem Sie nun die Archive
Collections lanciert haben.
Aberg: Ja, mit der Archive-Collection möchten wir die originalen Kult-Teile wieder auflegen, wie
etwa den Adidas Superstar. Diese Silhouetten erweitern wir um neue Teile oder neue
Farbthemen, aber immer im Look-and-Feel der Originale.
J'N'C: Warum ist Heritage eigentlich so ein großes Thema, schon seit fast 20 Jahren?
Aberg: Das kann ich auch nicht richtig sagen. Es hat sicher damit zu tun, dass man heute nach
der Geschichte hinter den Produkten sucht. Und man erinnert sich an frühere Zeiten und
Momente, die einem wichtig waren und kann sie mithilfe von beispielsweise einem Schuh
wieder hervorholen. Für mich ist es aber genauso wichtig, gezielt mit diesem Erbe an manchen
Stellen zu brechen, damit etwas Neues entstehen kann. Die Archive-Collection ist eine unter
vielen Linien, die wir hier entwickeln und steht für die Authentizität von Adidas über viele Jahre
hinweg. In anderen Kollektionen arbeiten wir freier und zukunftsgewandt mit der DNA von
Adidas. Die Geschichte soll ja weitergehen.
J'N'C: Welche Rolle werden Sie denn in dieser Geschichte spielen?
Aberg: Mein Plan ist natürlich, das zukünftige Archiv aufzubauen. Welches sich in zwanzig
Jahren genau so lohnt, neu aufgelegt zu werden, selbst wenn ich dann womöglich nicht mehr
hier arbeiten sollte (lacht). Als Designerin geht es mir natürlich darum, Produkte zu machen, die
Leute tragen möchten, innovativ zu sein und die Marke weiter zu tragen, mit einem Fuß in der
Vergangenheit und einem in der Zukunft.
J'N'C Können Sie sich noch an Ihren ersten Kontakt mit Adidas erinnern?
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Aberg: Ja, meine Schultasche war von Adidas, in Pastellgrün. Und ich habe Adidas Tricolor
geliebt. Überhaupt liebe ich Farben, auch wenn ich selbst momentan lieber schwarz trage. Das
liegt sicher an den vielen Farben, die ich ständig um mich habe.
Von den alten Adidas Tricolor Styles der Achtziger Jahre werden wir in Kürze sogar einige
Originale in der Hand halten. Denn unser nächster Stopp ist das Archiv, ein Stockwerk tiefer
gelegen und nur mit besonderer Autorisierung und Termin zu betreten. Josefine Aberg begleitet
uns. Empfangen werden wir sehr freundlich von Martin Gebhardt und Stella Brückner, die das
Archiv vor vier Jahren erst aufzubauen begannen. Bis heute kontaktieren sie retirierte
Mitarbeiter, ehemalige und bestehende Kunden und suchen an vielen weiteren Orten nach
Objekten, welche die Geschichte des neunzigjährigen Unternehmens dokumentieren. Sie
führen uns in eine Lagerhalle, in deren erstem Regal ich sofort Hi-Tops entdecke, die sich mein
Bruder im Jahr 1986 stolz vom sauer erspartem Geld kaufte.
Martin Gebhard: Sie sehen, dies ist ein richtiges Archiv, ein Arbeitsraum und kein Museum. Es
ist kalt, 18 Grad mit 45 Prozent Luftfeuchtigkeit, wodurch wir die beste Umgebung für unsere
Kleidung, Schuhe, Kataloge und andere Dokumente schaffen. Insgesamt sind es 85.000
Objekte, die wir sammeln konnten und deren Alterungsprozess wir aufhalten müssen. Das
machen wir mit speziellen säurefreien Archivboxen und feuerfesten Schutzhüllen. Und wir
versuchen, nicht allzu oft Besuch zu empfangen. Wir behandeln alle Objekte hier wie
historische Objekte. Wir haben eine klassische Museumsdatenbank in der jedes Erzeugnis in
digitalisierter Form katalogisiert ist und unter der man alle Informationen finden kann.
J'N'C: Welches ist denn Ihr ältestes Objekt?
Gebhardt: Das ist ein Fußballschuh von 1896, den Adi Dassler als Anschauungsstück gekauft
hatte. Dassler hatte ohnehin eine große Sammlung eigener und fremdproduzierter Objekte, da
er davon ausging, dass man durch ihr Studium am besten lernen kann. Aus diesem Fundus
konnten wir gut schöpfen.
Josefine Aberg zieht in diesem Moment einen grünen Sportanzug heraus. Heide Rosendahl
trug ihn, als sie während der Olympischen Spiele 1972 zweimal Gold und einmal Silber im
Weitsprung und im Fünfkampf gewann.
Josefine Aberg: Ich schätze, an diesem Anzug kann man recht gut erklären, was ich eben mit
unserer Arbeit mit dem Archiv meinte. Wir beginnen langsam wieder, an die kommende
Olympiade zu denken und natürlich setzen wir uns dann mit den erfolgreichen Ausrüstungen
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der vergangenen Olympiaden auseinander. Entweder um daran anzuknüpfen, oder um es
gezielt anders zu machen.
Auf dem Rückweg zum Ausgang gehen wir an neu eingetroffenen Kollektionen von Jeremy
Scott für Adidas vorbei, die noch nicht katalogisiert wurden.
J'N'C: Bei so vielen Kooperationen und Kollektionen im Jahr: Wieviel können Sie davon
überhaupt ins Archiv aufnehmen, ohne aus allen Nähten zu platzen?
Gebhardt: Aus allen Nähten platzen wir jetzt schon (lacht). Daher ist schon bald eine
Erweiterung geplant. Dennoch nehmen wir nicht jedes Stück auf, sondern versuchen, eine
sinnvolle Auswahl zu machen. Originale und handsignierte Stücke von Sportlern haben zum
Beispiel Vorrang. Und von normalen Kollektionen machen wir eine für die Gesamtkollektion
repräsentative Auswahl, wobei wir auch gezielt Stücke auswählen, die nicht in den Verkauf
gegangen sind. Denn wir glauben, dass man von diesen mindestens genauso so viel lernen
kann, wie von den Bestsellern.
J'N'C Wir bedanken und sehr herzlich für Ihre Zeit und die Gespräche.
Nach einem warmen Abschied laufen wir durch das ‚Laces’ zurück zum Empfangsgebäude,
vorbei an einer Gruppe junger Frauen, die sich gerade durch zwei Stangen Kleider und einen
Haufen Schuhe von Adidas Neo arbeiten. Dies seien Bloggerinnen, die in das Headquarter
eingeladen worden seien, um die Kollektion besser kennen zu lernen, erklärt man uns. In der
Kantine herrscht gerade Hochbetrieb. Die Adidas-Stadt pulsiert, während wir ihr den Rücken
kehren und in Richtung Wälder, Äcker und Wiesen die Rückreise antreten.
Dieser Artikel erschien ursprünglich in der Ausgabe 1/15 der J'N'C News vom 16. Januar 2015. Um in Zukunft keine Ausgabe von J'N'C zu verpassen, abonnieren Sie hier das J'N'C
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