Erfahrungsbericht von Hannah Rothermel Durham
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Erfahrungsbericht von Hannah Rothermel Durham
Erfahrungsbericht von Hannah Rothermel Durham Allgemeines Durham ist eine Kleinstadt im Nordwesten Englands mit (nach eigener Meinung) der drittältesten Universität Englands, die in den Geisteswissenschaften (und in Physik) regelmäßig in den Top 5 des Landes gerankt wird. Wer eine traditionelle Universität in einer klischeehaften britischen Kleinstadt mit vielen denkmalgeschützten Gebäuden und Weltkulturerbe-Burg sowie -Kathedrale (aka Hogwarts aus Harry Potter 1-2) sucht, ist hier richtig. Reise Man kann per Flugzeug (am praktischsten ist Newcastle upon Tyne /NCL), per Bahn (Europa Spezial über Brüssel nach London, dann East Coast direkt von London nach Durham), per Fähre (Amsterdam), per Auto und bestimmt auch noch über andere Wege anreisen. Meiner Erfahrung nach bekommt man Hin- und Rückflug für <160€, Züge für <120€ one way (aber dafür ohne Gepäckbegrenzung). Was die englische Bahn angeht: Unbedingt rechtzeitig im Voraus buchen! Online und mit Kreditkarte auf nationalrail.co.uk oder eastcoast.co.uk. Es gibt deutliche Unterschiede zwischen spontanen Fahrten nach London (ca. £100) und zwei Monate im Voraus gebuchten Fahrten mit Young Person Railcard (ca. £20). Außerdem würde ich grundsätzlich direkte Verbindungen bevorzugen, und zum Umsteigen nach längeren Fahrten (auch für Gleiswechsel) etwa drei Stunden einplanen, um auf der sicheren Seite zu sein. Es kann nämlich vorkommen, dass es in England regnet. Und dann kann es vorkommen, dass die Gleise rund um Durham einfach weggespült werden. Und dann kann es vorkommen, dass man drei bis vier Stunden später als gedacht ankommt, weil man plötzlich drei Mal zusätzlich umsteigen, eine Teilstrecke mit dem Bus fahren oder gar einen Umweg über die andere Küste nehmen muss. Ist mir bis jetzt noch jedes Mal bei längeren Fahrten untergekommen (auch wenn andere Leute angeblich mehr Glück haben). Nach Newcastle kommt man recht schnell und billig mit der Bahn (ca. HD-MA), da macht vorher buchen auch keinen Unterschied. Hinweis für Partymäuse: Zwischen 22:45 und 04:45 fahren keine Züge von Newcastle nach Durham. Stadt Die Lage im Norden und den Ruf der Uni resultiert in einer etwas eigenen Bevölkerungszusammensetzung: Die locals gehören überwiegend der unteren Arbeiterschicht an und sprechen einen – auch für Engländer – teilweise unverständlichen Dialekt, wohingegen die students überwiegend der gebildeten Oberschicht aus dem Süden angehören und perfektes BBCEnglisch sprechen. Die Stadt ist also ein wenig in zwei Welten geteilt; geht man zum großen Supermarkt durch einen überwiegend von locals bewohnten Stadtteil, ist es ungewöhnlich, nicht an Eltern im Teenageralter vorbeizulaufen. Geht man zum Unicampus, ist es ungewöhnlich, nicht an Studenten vorbeizulaufen, für die Geld offensichtlich keine Rolle spielt. Ja, ich habe hier Studenten kennen gelernt, die zu ihrem 18. Geburtstag einen Lamborghini geschenkt bekommen haben, die mit eigenen Dienstboten aufgewachsen sind und für die es eine neue Erkenntnis war, dass Tee aus Blättern besteht. Wenn man’s mit Humor nimmt, kann man hier Freundschaften mit Mafiakindern, Millionären oder Eton-Absolventen knüpfen. Wenn einem derlei Treiben suspekt ist: Keine Panik! Ich kenne ebenso sehr nette locals, die hier studieren, und viele englische Studenten, die in den Sommerferien arbeiten. Am besten fühle ich mich jedoch von anderen internationals verstanden; das mag an gemeinsamen Erfahrungen liegen, oder auch daran, dass internationals eher dem Alter deutscher Studenten entsprechen. Wetter Es gibt gute Gründe, warum hier so gut wie jeder Student Gummistiefel besitzt und die, leicht überzogen formuliert, nur in begründeten Fällen nicht trägt. Das erste Mal Hagel, Graupel und Schnee gab es Anfang Oktober und das letzte Mal vor ein paar Tagen, Ende April. Erschwerend kommt dazu, dass Engländer die Angewohnheit haben, nicht zu räumen oder gar zu streuen. Besonders die kleine Steigung vor der Bibliothek kann sehr tückisch werden, von den Hügeln ganz zu schweigen. Im Winter also einfach langsam gehen, sich irgendwo festhalten und den Laptop gut einpacken, sollte man sich doch mal draufsetzen. Bis Schuhgröße 38 empfehle ich Hunter Kinderstiefel; sind „nur“ halb so teuer wie die normalen, haben bei mir aber ein halbes Jahr fast täglichen Gebrauchs überstanden, sind bequem und sehen für Gummistiefel recht vorzeigbar aus. Wohnen Vorneweg: Da es sehr viele Hügel, kaum Radwege und sehr wenige Parkplätze gibt, geht man zu Fuß. Üblich ist es, etwa 20 Minuten zur Uni zu laufen. Regenschirm nicht vergessen. Da man also läuft, ist es sinnvoll, möglichst nah am Stadtzentrum zu wohnen – English (Hallgarth) und Modern Languages (Elvet Riverside) liegen zwischen Altstadt und der Science Site, die etwa dem Neuenheimer Feld entspricht. Englische WGs sind nicht mit deutschen WGs zu vergleichen. Zum einen mietet man hier immer gleich ein ganzes Haus, hat also Küche und Wohnzimmer und mit etwas Glück auch einen Garten. Zum anderen sind die Häuser aber grundsätzlich schlecht isoliert (ich spüre den Wind mit geschlossenen Fenstern, und mein Haus ist ein „guter“ Neubau), Mischbatterien sind hier immer noch nicht so ganz angekommen (heißes und kaltes Wasser haben häufig unterschiedlichen Druck, also funktionieren sie, wenn es sie gibt, auch nicht so ganz), und durchdachte Konstruktionen wie „Teppichboden im Bad“, die Toilette im Schrank unter der Treppe oder Haustüren, die man nur mit zwei Händen öffnen kann, sollten einen nicht überraschen. Ich selbst lebe in Gilesgate. Hier bekommt man für etwa £60-65 die Woche (also etwa 300€ im Monat) ein kleines Zimmer in einem von Studenten bewohnten Haus (Nichtstudenten zahlen mehr Steuern). Gilesgate hat den Vorteil, dass es zwischen Stadtzentrum und den großen Supermärkten liegt und dass es einen kleinen Supermarkt, Dönerbuden und Pubs dazwischen gibt. Wenn ich die Wahl hätte, würde ich wieder eine WG zwischen Claypath und Sainsbury’s suchen – das sprengt weder das Budget noch die Fußsohlen, und diese Gegend wird sowohl von Studenten als auch von netten locals bewohnt. Außerdem sind hier die Häuser meist besser als die bezahlbareren ganz im Zentrum. Ich habe meine WG auf durhamstudentpad.co.uk gefunden, indem ich auf Gesuche per Mail geantwortet habe, dann Fotos vom Haus zugeschickt bekommen habe, mit einer meiner Mitbewohnerinnen geskypt habe und dann den Mitvertrag, ohne jemals vor Ort gewesen zu sein, unterschrieben und die erste Monatsmiete samt Kaution überwiesen habe. Das ist gut gegangen, erfordert jedoch einiges an blindem Vertrauen. Die hiesigen Studenten suchen sich ihre Häuser meist schon im Winter, es springt aber später immer mal wieder jemand ab, der ersetzt werden muss... Einkaufen Es gibt in Durham selbst zwei britische Supermarktketten: Sainsbury’s (in Gilesgate) und Tesco („tiny Tesco“ in Viaduct, „Tesco-in-town“ und „big Tesco“ am Rand von Gilesgate), sowie Aldi und weitere Einkaufsmöglichkeiten neben „big Tesco“. Die meisten Studenten sind der Meinung, dass Tesco billiger ist als Sainsbury’s. Ich würde sagen, dass es stark darauf ankommt, was man wann kauft. Die Preise zwischen den einzelnen Märkten schwanken ebenso wie zwischen den Ketten. Manchmal bezahle ich £2 für zwei Bio-Joghurtbecher, manchmal verlangen sie £2,30 für einen. Das System hinter den Preisen und Angeboten habe ich immer noch nicht durchschaut. Was Shopping angeht, kann man in Durham abgesehen von H&M und Primark alles finden; neben „big Tesco“ gibt es TkMaxx, eine Art Outlet. Wer mehr Auswahl zum Geld ausgeben braucht, kann nach Newcastle oder nach Gateshead (wenn Newcastle Mannheim entspricht, entspricht Gateshead Ludwigshafen) ins Metro Centre (das größte Einkaufszentrum Europas) fahren. Uni Ich bin am English Department gelandet. Zu meiner großen Überraschung bin ich in alle meine Wunschveranstaltungen gekommen (eigentlich hieß es, das klappt eh nicht, also wähle irgendwas – wählt nicht irgendwas, sondern macht euch vorher Gedanken, welche Module euch gefallen und was eventuelle Alternativen sein könnten). Mein Stundenplan für das Jahr: - die beiden klassischen lecture modules (Vorlesung und Tutorium) am English Department – Shakespeare (guter Überblick, zu empfehlen) – Chaucer (sehr anstrengend, sprachlich und inhaltlich!) - zwei special topics (etwa Hauptseminare) am English Department – Germanic Myth and Legend (sehr zu empfehlen, Ashurst ist ein sehr guter Dozent) – Jewish American Fiction (sehr zu empfehlen, Mark Sandy ist ein sehr guter Dozent) - zwei fachfremde first year lecture modules (Vorlesung und Tutorium) – Ethics and Values, Philosophy Department (sehr angenehm, zu empfehlen) – Ancient Civilisations of the East, Archaeology Department (guter Überblick, zu empfehlen) Im Nachhinein bin ich mit dieser Aufteilung sehr gut gefahren. Ich würde auf gar keinen Fall mehr als zwei special topics belegen – aber da es so viele reizvolle Themen zur Auswahl gibt, würde ich wohl wieder zwei belegen und schlaflose Nächte der Hausarbeiten wegen haben... Ein special topic besteht aus einem zweistündigen (110-120 min) und von etwa 15 Stundenten besuchtem Seminar alle zwei Wochen, für das man jeweils ein neues Buch (z.B. Everything is Illuminated oder Lord of the Rings) komplett und diskussionsreif gelesen haben sollte. Man hält je ein unbenotetes Referat und gibt zwei als Austauschstudent 3000-Wörter-Hausarbeiten ab. Ein lecture module im English Dept. besteht aus einer wöchentlichen, einstündigen (50-60 min) und von etwa 150 Studenten besuchten Ringvorlesung zu je einem Werk oder Thema und einem ein bis zweistündigen, von etwa 5-10 Studenten besuchten, ein bis zwei mal pro term stattfindendem tutorial, in dem man mit einem („ranghohen“) Dozenten in dessen Büro je 2-3 Werke im Detail diskutiert. Man gibt als Austauschstudent zwei 2000-Wörter-Hausarbeiten ab. Ein lecture module im Philosophy Dept. besteht aus einer wöchentlichen, einstündigen (50-60 min) und von etwa 150 Studenten besuchten Vorlesung zu je einem Philosophen oder Thema und einem einstündigen, von etwa 10 Studenten besuchten, alle zwei Wochen stattfindendem tutorial, in dem man mit einem („rangniedrigen“) Dozenten je einen Essay zu einem Thema im Detail diskutiert. Man gibt zwei 1500-Wörter Hausarbeiten ab und schreibt eine Klausur. Ein lecture module im Archaeology Dept. besteht aus einer wöchentlichen, einstündigen (50-60 min) und von etwa 100 Studenten besuchten Ringvorlesung zu je einem Thema und einem ein bis zweistündigen, von etwa 10 Studenten besuchten, einmal pro term stattfindendem tutorial, in dem man mit einem („rangniedrigen“) Dozenten Arbeitstechniken (Recherche und Umgang mit Artefakten) bespricht. Man gibt als Austauschstudent eine 1000 und eine 3000-WörterHausarbeit ab. Ausgehen Nun, das englische Ausgehverhalten... Da jedes College mit seiner eigenen Bar mit billigem Alkohol und Durham mit der offiziell schlechtesten Disco Europas (Klute) ausgestattet ist, geht es im Wesentlichen darum, sich möglichst absurd bekleidet möglichst schnell zu betrinken. Absurd bekleidet bedeutet: Entweder „Röcke“ bis knapp unter den Po und derart hohe Schuhe, dass frau darin kaum laufen kann (Alter und Figur sind hier irrelevant) – oder fancy dress (das kann alles von selbstgebastelten Tier-Kostümen über die Pfarrer-und-Nutten-Szene-aus-BridgetJones bis hin zu den allseits beliebten onesies sein). Wer lieber gemütlich im Pub sitzen und mit Freunden reden will, dem würde ich den Queen’s Head in Gilesgate empfehlen: Wohnzimmeratmosphäre und preiswertes, für einen Pub recht gutes Essen. Das Pub Quiz ist dort allerdings unglaublich schwer. Ich habe es mit einem Iren, einem Engländer, einem Schotten und einer Amerikanerin versucht – und wir wussten nicht einmal die Hälfte. Ansonsten gibt es viele nette Cafés – einfach mal in die kleineren Seitengassen gehen anstatt gleich Starbucks anzusteuern. Colleges Grundsätzlich kann man die Colleges in Durham eher mit den Häusern in Hogwarts gleichsetzen als mit Oxbridge-Colleges. Als Austauschstudenten könnt ihr euch euer College nicht selbst auswählen, also macht euch nicht zu viele Gedanken. Grundsätzlich tragen die meisten Colleges in der Altstadt gowns und die meisten etwas außerhalb liegenden Colleges nicht, dafür haben die meist eine bessere Ausstattung. Ich wurde St. Mary’s College zugewiesen. Mary’s ist ein eher traditionelles College: Man trägt zu besonderen Anlässen wie Immatrikulation, formal dinners etc. gowns (Umhänge). Die meisten meiner Freunde sind jedoch in Van Mildert College, einem etwas (man verzeihe mir) traditionslosen, jedoch sympathischen Hill College. Wenn euer College eine international fresher’s week anbietet, geht auf jeden Fall hin! So viele alberne Kennenlernspiele habe ich noch nie gespielt. Außerdem helfen die international fresher reps (die Studenten, die die Woche organisiert haben) bei Organisatorischem wie Campuscard, Bankkonto, Handy, allgemeiner Orientierung und mehr. Ebenso würde ich es empfehlen, zur allgemeinen fresher’s week zu gehen. Allerdings: Viele fresher leben in dieser Woche das erste Mal nicht bei ihren Eltern und testen ihre Grenzen... Sport und Ausflüge Durham ist sehr gut ausgestattet. Maiden Castle, der Hochschulsport-Gebäudekomplex samt verschiedensten Sportfeldern und millionenschwerem Rudertrank ist ebenso beeindruckend wie die College-Ligen in Rugby und Fußball (Collingwood College hat Mannschaften von A bis I). Ich bin in den Durham University Canoe Club eingetreten und habe im Gegensatz zu denjenigen, die eher andere Städte erkunden, recht viel Zeit in der Natur verbracht. Und ich muss sagen: Ich mag die nordenglische Landschaft – leider abgesehen von den Flüssen. Die sind zwar wildwassertechnisch reizvoll und riechen nicht so schlecht wie der Neckar, sind dafür aber voller E. Coli und im schlimmsten Fall Weil-Krankheitserreger. Wer Flüsse nicht so gerne hat, kann im Hallenbad Kanupolo spielen (eine Mischung aus Handball und Schiffe versenken), was besonders im Winter seinen Reiz hat. Im Gegensatz zu Heidelberg wird Kanupolo hier von der Uni gefördert und ist dementsprechend erfolgreich, dennoch wird jeder Anfänger mit offenen Armen empfangen und von wirklich netten Nationalspielern gecoacht. Slalom habe ich ebenso versucht wie Freestyle – jeweils glorreich untergegangen, aber das Camping-Wochenende mit dem Club war trotzdem eine Erfahrung, die ich nicht missen möchte, ebenso wie das Wildwasser-Wochenende im Lake District. Ich kann euch einen Sport, bei dem man die Natur zu sehen bekommt und ein wenig herumreist (Kajak, Caving, Wandern,...) nur ans Herz legen. Wer zwar gerne draußen unterwegs ist, es aber lieber etwas ruhiger hat, der kann rund um Durham in den (momentan mit Lämmern gesprenkelten) Hügeln Spaziergänge machen und sich wie im Auenland fühlen. Probleme Geld, Geld, Geld. Ich musste wegen Krankheit und Todesfall zwei Mal spontan und sofort nach Deutschland fliegen. Das hat dann dazu geführt, dass ich über Ostern nicht zu meiner Familie konnte, kaum verreist bin (ein Tagesausflug nach York und ein Wochenende am Lake District war alles, was ich mir das Jahr über leisten konnte) und am Ende des Auslandsjahres ganz genau pleite war - obwohl ich eigentlich ein reichliches Polster an Erspartem hatte. Plant damit, mehr als das Doppelte zu brauchen, als ihr rein rechnerisch brauchen solltet. Irgendwas kann immer passieren, und das Leben nimmt keine Rücksicht auf den Zustand eures Bankkontos. Abschließend bleibt nur zu sagen: Glückwunsch! Auch wenn ich erst hier Heidelberg richtig zu schätzen gelernt habe, es war eine großartige Zeit, in der ich viel (fürs Leben) gelernt, viel erlebt, und Freunde für’s Leben getroffen habe! Und manchmal scheint sogar die Sonne. Überschwemmung – das Modern Languages Dept. unter Wasser Castle – das älteste College der drittältesten Universität Englands Gilesgate – ein beliebtes Wohnviertel unter Studenten, da vergleichsweise bezahlbar