RosaRot Nr.47 - Universität Zürich
Transcription
RosaRot Nr.47 - Universität Zürich
Zeitschrift für feministische Anliegen und Geschlechterfragen Nr. 47, Herbst 2014 RosaRot Nr. 47 RosaRot Nr. 47 Seht, eine Rote Rosa! Rosa, eine altbekannte und verdiente Kommilitonin, die zahlreiche Studierende jahrzehntelang begleitet hat, hat sich ein weiteres Mal einer Metamorphose unterzogen. Rot erstrahlt sie nach zweijähriger Kurpause in alter Frische und hat wie gewohnt allerhand Spannendes, Kritisches und Provozierendes zu berichten – diesmal zum Thema Frau werden. Interessanterweise waren viele Reaktionen auf unser Thema automatisch auf das Frau sein angelegt – und sofort fanden auch wir uns in die altbekannte Essentialismusdebatte verstrickt. Natürlich dachten wir an Simones berühmten Ausspruch «Man kommt nicht als Frau zur Welt, man wird dazu gemacht». Aber es bleibt die Folgefrage: Und dann? Werden, sich entwickeln, verwandeln, und eben, ja, sich emanzipieren. Hier stehen wir, und können nicht anders, als uns einmal mehr zu fragen: Was bedeutet es für uns, Frauen zu werden, immer noch und ständig diesen Prozess aufrechtzuerhalten und dabei zwischen Geschichte und Zukunft unsere Gegenwart mitzugestalten? Diese Frage verbindet uns alle – ob wir wollen oder nicht. IMPRESSUM RosaRot Zeitschrift für feministische Anliegen und Geschlechterfragen 47. Ausgabe, Herbst 2014 erscheint halbjährlich ISSN 1661-9277 Redaktion Léa Burger, Carolyn Kerchof, Laura Lots, Susanna Richli, Sarah Stucki, Anja Schulthess, Christina Zinsstag, Evelyne Zinsstag, Dolores Zoe Die Zusammenarbeit rund um die RosaRot ist eine Erfahrung und eine Entwicklung auf diesem Weg, und die Entstehung der 47. Ausgabe war aufgrund des Themas wohl noch stärker geprägt von den Fragen: Wer wollen ‹wir› sein, wer ist dieses ‹wir› und verbindet ‹uns› als ‹Frauen› noch mehr als diese Fragen? Mit den Mailänder Philosophinnen haben wir im Laufe der Heftproduktion den Reiz der Sowohl-als-auch-Antworten auf diese Fragen entdeckt. So pflegen auch wir diese feministische Vielstimmigkeit: Neben die Aussagen der Mailänderinnen treten die Stimme einer orthodoxen Jüdin, die lyrischen Ichs eines Gedichts, die Selbstinszenierung von Katy Perry oder die Stimme der Vagina in Der Rosendorn. Laute Rufe und leise Beobachtungen steuert der Comic über die Zürcher DemoKultur bei und dank einem starken Auftritt der katalanischen Amazonen bebildern auch visuelle Kommentare den Rosen-Chor. Grafische Gestaltung und Druck Konzeption und Layout: Carolyn Kerchof, Christina Zinsstag Titelbild: Monika Hoffmann, Amazone Druck: Ley Druck GmbH, Luzern Auflage 500 Exemplare Konto Raiffeisenbank Zürich IBAN: CH60 8148 7000 0082 0648 5 Kontaktadresse RosaRot Rämistrasse 62 8001 Zürich [email protected] rosarot.uzh.ch Markante Stimmen lassen wir hier erklingen – ob sie als Fanfare, Marsch oder Ohrwurm daherkommen, dürfen die LeserInnen in jedem Beitrag selbst vernehmen. Für Nachdrucke von in der alten Rosa und der nun neuen RosaRot publizierten Artikel ist die Redaktion zu kontaktieren. Die Ansichten der einzelnen AutorInnen entsprechen nicht unbedingt denjenigen der RedaktorInnen. Jegliche Ähnlichkeiten mit lebenden oder verstorbenen Personen haben sich diese selbst zuzuschreiben. Als Minimalanforderung gendergerechter Sprache gilt das ‹Binnen-I›, weitere Differenzierungen sind den AutorInnen überlassen. Wir wünschen euch rote und rosige Zeiten mit unserer 47. Ausgabe! Anja, Carolyn, Christina, Dolores, Evelyne, Laura, Léa, Sarah und Susanne 2 3 RosaRot Nr. 47 RosaRot Nr. 47 Inhaltsverzeichnis 6 24 36 49 Grundsätzlich sind alle... von DZ Dass Frauen heute... von CB/SN You may think... von R Als ich vor über 20 Jahren... von MG Wie die Rosa Rot wurde Frauen werden politisch 9 28 Frau werden? So ein Scheiss! Amazone II Mein erster Gedanke... von ANS/CS 29 15 Emanzen sollen zuverlässig wiederkehren: circa alle 20 Jahre Amazone I 16 Dass Alice Schwarzer als Steuersünderin... von FS Zwischen Bescheidenheit und Akzeptanz 32 Also wenn Sie zu mir kommen... von LB Girls Drive?! Nein Danke, ich geh lieber zu Fuss! 19 Pause am Deutschen Seminar... von DZ Mailänder Appetithäppchen Die feministische Bewegung ist voll... von DS A Person Die Schöne und das Biest 53 37 Amazone IV These Are the Mes These are the mes I would like... von R 38 54 39 57 Im Song Dark Horse singen... von EZ Es gibt gute Tage und andere... von AH 43 58 Ich habe lange keine Romane... von ANS von AS Morgentoilette Amazone III 5.47 Uhr– ich lehne mich... von FW Tat-sächlich Frau Männer zerstäuben Leben auf der Strasse «Das Spiel aller Frauen» 59 AutorInnen 4 5 RosaRot Nr. 47 RosaRot Nr. 47 Wie die Rosa Rot wurde meiner Lektüregruppe voller Freude von diesem Treffen im Frauen*Zentrum und über das Zeitschriftenprojekt. Währenddessen spannen auch die Mitfrauen der Rosa die Fäden weiter und so fand ich eines Morgens eine E-Mail mit dem Betreff «Frage in den Raum» in meiner Mailbox: «Wenn ihr wünschen könntet, würdet ihr die Rosa an der Uni weiterführen?» Diese «Frage in den Raum» stiess unsererseits auf entschiedene Zustimmung. Die Übergabe wurde also in die Wege geleitet und in allerletzter Sekunde gelang es uns auch noch, das bereits anderweitig versprochene Rosa-Büro an der Rämistrasse zurückzufordern. So gibt es sie also beide weiterhin: das Rosa-Büro als Frauenraum an der Universität Zürich selbst und die Zeitschrift RosaRot als Diskussionsraum für feministische Anliegen und Geschlechterfragen – hoffentlich weit über die Uni hinaus! Rote Tradition Die Zeitschrift Rosa entstand in den 90er Jahren dank einigen Geschichtsstudentinnen, die aus Unzufriedenheit über das fehlende Angebot zur Frauengeschichte eine Historikerinnengruppe und eine dazugehörige Zeitschrift gründeten. Von der Zeitschrift der Historikerinnengruppe bis zur Rosa wurde die Publikation vier Mal umbenannt und auch die neue Redaktion geht einen weiteren Schritt auf diesem Weg: Aus der Rosa ist die RosaRot entstanden. von DZ Entführung und Rückeroberung Grundsätzlich sind alle studentischen Vereine demselben Dilemma ausgesetzt: Kontinuierliches Arbeiten über das Auf und Ab des Semesterrhythmus’ hinweg erfordert einige Anstrengung und noch schwieriger geworden ist dies im eng getakteten Bologna-Karrierefahrplan. Zudem neigt sich auch das interessanteste Studium irgendwann dem Ende zu und engagierter Nachwuchs muss gefunden werden. Beide Umstände, zusammen mit der Tatsache, dass das Anliegen ‹Feminismus› allenthalben nicht mehr so populär ist wie auch schon, haben dazu geführt, dass die Rosa im Jahr 2012, nach stolzen 46 Ausgaben, vor dem Aus stand. Ehemalige Macherinnen entschieden sich daraufhin, die Rosa aus der Universität zu entführen und andernorts weiterleben zu lassen. An diesem anderen Ort, dem Frauen*Zentrum Zürich, traf ich im Dezember 2013 auf das Rosa-Redaktionskollektiv. Zu Sitzungsbeginn stellte ich mich als Initiantin einer feministischen Lesegruppe an der Theologischen Fakultät vor – das einzige, was ich als handfeste feministische Aktivität vorzuweisen hatte. In den darauffolgenden Tagen erzählte ich 6 «Nein, wie könnt ihr eure Zeitschrift bloss RosaRot nennen? Ihr erfüllt damit ja jegliche Klischees der Frauenheftli!» Mehr als einmal erfolgte diese Reaktion auf den Namen unserer Zeitschrift. Dass mit RosaRot jedoch nicht nur die Farbe gemeint ist, sondern dass wir uns damit bewusst in eine feministische Tradition stellen, bedarf anscheinend der Erklärung. ‹Rosa› wird im Zuge des schwindenden Bewusstseins für die historischkritischen Frauenkämpfe nicht mehr mit einer der Urheberinnen eines marxistischen Feminismus assoziiert. Mit dem ‹Rot› im Namen wollen wir aber genau diesen Teil der Frauengeschichte wieder zu Bedeutung verhelfen und stellen uns also in die Tradition von Rosa, Clara & Co. Von der Zeitschrift der Historikerinnengruppe zur HistorikerinnenZeitschrift, dann zur Zeitschrift für Geschlechtergeschichte und schliesslich zur Zeitschrift für Geschlechterforschung – die wechselnden Untertitel der Rosa verraten es: Die Frauengeschichte verschwand nach und nach aus dem Namen der Zeitschrift und an ihre Stelle trat die Geschlechterforschung. Dies widerspiegelt die Entwicklung, welche die dissidente feministische Theoriebildung hin zu den institutionalisierten und (fast) etablierten Gender Studies durchlebt hat. Beide Momente sind entscheidend für unser historisches Selbstverständnis: Unsere sozialen und strukturellen Bedingungen sind ohne herzhafte Kämpfe, mutigen Starrsinn, ohne Gewitztheit und Hartnäckigkeit der verschiedensten Fraueninitiativen nicht zu denken; zugleich stehen wir in der Tradition wissenschaftlicher Diskurse, welche es uns heute verunmöglichen, vorschnelle Gewissheiten über die Geschlechterverhältnisse im Politischen wie im Sozialen zu erlangen. Als Zeitschrift für feministische Anliegen und Geschlechterfragen wünschen wir uns die RosaRot deshalb als Amalgam der Geschichte aller Frauenkämpfe sowie Geschlechterdiskurse – aber: wie soll das gehen? Fragen und Forderungen Wie bereits gesagt, findet die RosaRot an zwei Orten statt: Zum einen gibt es die Zeitschrift, zum anderen den Frauenraum an der Universität. Beide sind Verhandlungs- und Diskussionsräume, welche wir nutzen können, um Antworten auf die obige Frage zu verhandeln. 7 RosaRot Nr. 47 RosaRot Nr. 47 Zuerst zur Zeitschrift. «Ich kann das Wort ‹Identität› bald nicht mehr hören!», beklagte sich vor kurzem eine Freundin. Zahlreiche Redaktionssitzungen haben uns gezeigt, dass wir bezüglich den Geschlechterverhältnissen grosse, drängende Fragen haben, welche uns besonders im Zuge poststrukturalistischer Theoriebildungen nur ungenügend oder zu einseitig beantwortet werden. Diese Fragen und mögliche Antworten wollen wir deshalb in die rosarote Runde werfen und erproben. Dazu wollen wir die RosaRot in ihrer Historikerinnen-Tradition auch als eine Art Zeitmaschine wieder tauglich machen. Wir wollen gemeinsam in der Frauengeschichte stöbern und Vergessenes und Marginalisiertes hervorholen, um so die Ursprünge der Frauenemanzipation besonders auch in der genannten kritischen Tradition zu erinnern und zu aktualisieren. Dann zur Situierung an der Universität: Zwar ist die RosaRot nicht an den Fachbereich Gender Studies des Asien-Orient-Instituts angegliedert, als Zugewandte möchten wir bezüglich dieses Studiengangs jedoch auf zweierlei hinwirken: Zum einen gilt es von Seiten der Studierenden diesen Forschungs- und Lehrbereich, der sowohl in Basel wie auch in Zürich unter wissenschaftspolitischem Dauerbeschuss steht, zu unterstützen. Wir erachten die Gender Studies als zwar nicht unumstrittene, aber immens wichtige Institutionalisierung jahrzehntelanger Forderungen seitens der Frauenbewegungen. Im Sinne des Rotwerdens der Rosa möchten wir jedoch auch erwirken, dass die Geschichte der Frauenbewegungen im Lehrangebot der Universität allgemein und den Gender Studies im Spezifischen intensiviert wird. Damit einhergehen muss eine Korrektur des Fortschrittsnarrativs der Frauengeschichte, welches sich zu oft als Befreiung von der Hausarbeit hin zur individuellen Identitätswahl als Subvertierung bestehender Geschlechternormen liest. Dagegen könnten die Gender Studies eine Lücke in der universitären Lehre und Forschung füllen, indem sie verstärkt auf sozialpolitische Umwälzungen und marxistisch-ökonomische Forderungen der Frauenbewegungen fokussieren und damit nicht nur historische, sondern auch gegenwärtige Geschlechterfragen als untrennbar von materiellen und strukturellen Bedingungen offenlegen. Gerade weil die Rosa nun Rot geworden ist, will die Zeitschrift sich einer breiteren LeserInnenschaft öffnen. Zwar können immer noch wissenschaftliche Texte und Seminararbeiten verkürzt publiziert werden und es sollen ExpertInnen zu Wort kommen. Persönliches, Anekdotisches, Essayistisches und Kritisches wird jedoch mehr Platz erhalten. Wir wünschen uns, damit die Zürcher Publikationslandschaft, in der wir eine feministische Zeitschrift bisher vermisst haben, zu ergänzen. Wir freuen uns auf zahlreiche LeserInnen, eben so viele Beiträge und weitere 46 Ausgaben! ◆ 8 Frau werden? So ein Scheiss! Zwei junge Damen aus dem Zürcher Akademie-Kuchen unterhalten sich per E–Mail über das Frauwerden. Die Befürchtung, in ihrer feministischen Haltung misogyn zu sein, führt sie zur Suche nach dem, was Frauen jenseits von Frauenbünden verbindet. von ANS und CS Von: [email protected] Von: [email protected] Betreff: Frau werden??? Betreff: Re: Frau werden??? Datum: 28.05.2014 um 15:45 Datum: 18.06.2014 um 14:39 An: [email protected] An: [email protected] Mein erster Gedanke zum Heftthema war: So ein Scheiss! Frau werden, das verspricht Klischees über den Körper, der von selbst zur Frau wird – natürlich vor allem durch Menstruation und Brüste, weniger durch die Enthaarung – das zielt auf so einen inneren Drang, der uns Frauen werden lässt. Ja, und dabei hat doch schon Simone de Beauvoir gesagt, wir werden zu Frauen gemacht. Und Judith Butler hat gesagt – ja, was auch immer sie eigentlich sagt, denn ich verstehe es ja von Tag zu Tag weniger – jedenfalls, Frau werden passt nicht und es passt auch nicht dazu, dass Frauen Putzfrauen werden, Ärztegattinnen, Hausfrauen, jedenfalls gar nicht oder jedenfalls schlechter bezahlt als ihre Männer und als die männliche Klasse, um das mal so zu sagen. Was soll das: Frau werden? Mir ging’s ähnlich. Ich dachte ebenfalls an Menstruation, das Erste Mal und an all diese klischierten Vorstellungen von vomMädchen-zur-Frau-werden. Weshalb überhaupt steht dieses ‹Werden› so im Vordergrund? Um der Todsünde des Essentialismus, der mit ‹Frau sein› oder einfach mit ‹Frau› einhergeht, zu entgehen? Um also statt dessen das Prozesshafte zu betonen, das Soziale, das einen erst zur Frau macht? Was sicher so falsch nicht ist. Aber eben. Da ist doch mehr. Und damit meine ich nicht einfach den Körper, das biologische Geschlecht. Dennoch, bei aller Differenziertheit, bei aller Vorsicht vor Zuschreibungen: Manchmal denk ich: Zum Teufel. Ich bin einfach Frau – ob’s mir gefällt oder nicht. Irgendwann einmal habe ich das eingenommen, 9 RosaRot Nr. 47 RosaRot Nr. 47 was sich eine weibliche Position nennt und damit mehr oder weniger gut gelebt. Und deshalb verstehe ich mich nun als Frau, ohne genau zu wissen, was das überhaupt bedeutet. Von: [email protected] Natürlich ist da Interesse. Neugierde. Die Vorstellung, dass es möglich ist, das Frausein (oder bescheidener: zumindest das eigene Frausein) zu ergründen. Und insgeheim habe ich wahrscheinlich die Hoffnung, dass mit dem Verstehen des eigenen Geschlechts so etwas wie ein neues Frausein einherginge und ein anderer Umgang mit dem eigenen Geschlecht und nicht zuletzt mit anderen Frauen möglich würde. Esoterik? Vielleicht. An deinen Schluss muss ich anknüpfen. Denn mir scheint ja immer mehr, wenn Frauwerden überhaupt etwas heisst, dann heisst es, eine bestimmte Frau zu werden, eben: alleinstehende Krankenpflegerin, lesbische Mutter mit verschiedenen Jobs, Managerin und so weiter. Und da fragt sich dann: Wer ist Frau von all diesen Frauen? Was sollte das Gemeinsame zwischen ihnen sein? Ja, ich weiss natürlich um Gemeinsamkeiten auf verschiedenen Ebenen. Reproduktionsarbeit ist ein Thema, das viele Frauen verbindet, da sie sehr viel mehr von dieser Arbeit leisten als Männer. Aber eben, nicht alle. Es gibt ja Frauen in Europa, die gern die Reproduktionsarbeit an Migrantinnen (wobei ja ‹Migrantinnen› auch so ein Geisterbegriff ist, aber das ist hier nicht Thema) abgeben... Und dennoch sollte das Frausein Politikum bleiben und verbinden. Oder nicht? Geht es nun um das Frausein, oder Frauwerden, oder geht es eher um jenes Weibliche, von dem ich immer mehr das Gefühl habe, es habe mit Frauwerden gar nicht so viel zu tun? Es sei denn, Frauwerden heisst, sich loszusagen von Konkurrenz, Egoismus, Kapital. Dann werden wiederum viele Frauen gleich sagen, dass sie als Frauen da gar nicht dahinterstehen könnten. Betreff: AW: Re: Frau werden??? Datum: 02.07.2014 um 09:09 An: [email protected] Was mir nachgeht: die Frage, ob diesem Interesse, dieser Neugierde, ein Uneinssein, ein Nicht-Akzeptieren-Können des eigenen Geschlechts zugrunde liegt. Diese Frage trifft mich irgendwo zutiefst. Und auch: Weshalb diese Ablehnung von für mich typisch weiblichen Attributen? Weshalb diese paradoxerweise fast schon misogyne Haltung bestimmten anderen Frauen gegenüber? Du kennst das, oder? Du willst also nicht von Frauwerden sprechen, sondern vom Hausfrau, Putzfrau, Pflegefachfrau werden? Das sind für mich zwei verschiedene Ebenen. Wobei das eine mit dem anderen doch wieder zu tun haben kann. Ich meine: Je nach dem, was man unter Frausein, der weiblichen Position, dem Frauwerden versteht, hat das vielleicht mit der nach wie vor gültigen Arbeitsteilung der Geschlechter und mit dem (ökonomischen) Nicht-Wert von Reproduktion zu tun? Wenn das Weibliche das bezeichnen soll, was ausgeschlossen wird in unserer Gesellschaft, und wenn es von Männern wie Frauen abgelehnt wird, warum heisst es dann ‹das Weibliche›? Es ist mir klar warum, und zugleich ist es mir schleierhaft. Wie viele Frauen gibt es, die ich schlichtweg mühsam finde, politisch wie persönlich! Und das sind Frauen. Frauensolidarität, gemeinsame Suche nach Weiblichkeit? Was sollte das denn sein? 10 Es gibt auch noch die Variante von wegen Gebärmutter haben und so. Frauwerden bei der Geburt oder gar schon bei der Zeugung, dank Chromosomen? Blabla. Frauwerden ist nicht ein organischer Vorgang, sondern höchstens die Deutung eines solchen. Aber das wissen wir ja auch schon länger. tun, diese Unmöglichkeit etwas zu werden und sich festzulegen? Aber was wäre dann feministische Politik? Aufheben dieser Widersprüche? Neubewertung? Woha, wo wir’s von Gegensatzpaaren haben, müsste es dann nicht doch um Dekonstruktion gehen? Aber was bitte sollte das konkret heissen? Ist Feministin werden eigentlich zu vereinen mit Frauwerden? Natürlich gibt es nicht die Feministin. Es gibt die bürgerlichen Feministinnen, die sich gegen ziemlich vieles wenden, was ich als linke Feministin fordern würde – nehmen wir nur beispielsweise eine vollumfänglich staatlich finanzierte Kinderbetreuung, um eine relativ harmlose und doch auch unter Feministinnen umstrittene Forderung zu nennen. Jedenfalls aber, der Feministin hängt ja in bestimmten Kreisen das klischeehafte Image von Hässlichkeit usw. an. Ich lache über solche Klischees. Gleichzeitig finde ich mich immer wieder in Widersprüche verstrickt: Vieles, was nämlich als weiblich gilt, weise ich zurück. Warum? Halte ich meine Ablehnung von typisch weiblichen Attributen für feministisch, während sie bloss Abbild einer patriarchalen Beeinflussung ist? Frauwerden: Soll ich behaupten, dass dafür vor allem Geld nötig ist, ökonomische Unabhängigkeit? Jedenfalls scheint mir klar: Die ökonomische Ungerechtigkeit muss aufgehoben werden, in allen Sektoren. Das heisst, besonders auch in denjenigen Sektoren, in denen vor allem Frauen arbeiten, braucht es gute Entlöhnung (um eine scheinbar ganz bescheidene und unrevolutionäre Forderung zu formulieren). Trägt das zum Frauwerden bei? Vielleicht trägt es dazu bei, Frau sein zu können, statt es immer werden zu müssen? Von: [email protected] Betreff: Re: AW: Re: Frau werden??? Datum: 02.07.2014 um 12:25 An: [email protected] All diese Widersprüche! Zum Beispiel: «Schminken ist blöd, unnötig, lächerlich...» Dies ist ein Satz, der irgendwo tief in mir steckt und den ich im Elternhaus aufschnappte. «Frauen sollten sich schminken, sonst fallen sie aus dem Rahmen, sind unweiblich.» Der zweite Satz, der dem anderen immer voraus- oder hinterhereilte. Was tun mit solchen Satzpaaren, von denen ich noch viele weitere aufzählen könnte? Du glaubst also, dass es nichts gibt, was alle Frauen verbindet? Ich weiss nicht. Es gibt ja diesen ominösen Satz von Lacan: «La femme n’existe pas», was vermutlich so zu verstehen ist, dass das, was alle Frauen verbindet, paradoxerweise gerade die Tatsache ist, dass sich nichts Allgemeines über sie sagen lässt. Dies, weil die Frau in der Sprache oder der gesellschaftlichen Ordnung nicht repräsentiert wird, da diese Ordnung männlich ist. Und das ginge dann eher in die Richtung, die Frau nicht als Identität, sondern als Weibliches zu verstehen – als das, was rausfällt. Und diese Nichtartikuliertheit des Weiblichen beträfe dann beide, Männer wie Frauen, wenn auch in unterschiedlicher Weise: Die weibliche Position bestünde im Unterschied zur männlichen Frauwerden: Sich zwischen diesen Satzpaaren ewig hin- und herwenden wie in einem Hamsterrad, morgens lange vorm Schrank stehen, nur um dann zu sagen: Scheisse, das ist doch blöd, irgendwas bestimmtes anzuziehen. Dann doch wieder zurückeilen und überlegen. Hat das mit Frauwerden zu 11 RosaRot Nr. 47 RosaRot Nr. 47 Position darin, sich mit etwas zu identifizieren, was nicht artikuliert ist. Männliche oder weibliche Positionen wären dann auch unabhängig vom biologischen Geschlecht zu denken. In diesem Sinne könnte man sagen, dass allen Frauen (‹Frau› als weibliche Subjektposition verstanden) gemeinsam ist, dass sie mit der Nichtartikuliertheit ihrer eigenen Position konfrontiert sind, sich trotzdem unausweichlich einer männlichen Kultur und Sprache unterwerfen müssen und damit wiederum auf unterschiedliche Weise umgehen. ‹weiblich› heissen muss. Ich weiss es nicht. Aber mir scheint aus verschiedenen (historischen) Gründen einleuchtend, dass diese gesellschaftliche Ordnung männlich dominiert ist. Dass sie anders sein könnte, auch. Dennoch sind wir eben dieser (männlichen) Ordnung unterworfen. Und das, was darin nicht aufgeht, wird ‹weiblich› genannt. Von daher stellt sich mir dann auch die Frage, ob und wie aus einer Position heraus, die notwendig androzentristisch ist, eine Kritik am Androzentrismus möglich ist??? Vielleicht könnte man Frauwerden gerade verstehen als Versuch, sich der männlichen Logik, den männlichen Gesetzen nicht vollständig zu unterwerfen und eine andere Sprache zu finden. Frauwerden hiesse dann nicht die Identität ‹Frau› anzunehmen, so wie wir das anfangs verstanden haben, sondern: unabhängig vom biologischen Geschlecht dem Weiblichen ‹treu› zu sein (im badiouschen Sinne) und das Nichtartikulierte ein Stück weit zu artikulieren; dem, was keinen Wert hat, Wert verleihen. Frauwerden wäre dann emanzipatorisch, politisch, feministisch – aber in einem anderen Sinne, als wir die Worte ‹emanzipatorisch› und ‹politisch›, ‹feministisch› üblicherweise brauchen. Vielleicht müsste man dafür ein neues Wort schöpfen? Diese Nichtartikulierbarkeit lässt sich dann auch verbinden mit dem Ökonomischen: Auch die Reproduktionsarbeit existiert quasi nicht im hegemonialen, ökonomischen Denken, weil sie keinen Wert schöpft. Denn wenn ‹wertvoll› mit ‹profitsteigernd› definiert wird (wie das die klassische Ökonomie tut), dann ist Reproduktion nicht wertvoll und kommt als Teil des ökonomischen Prozesses gar nicht in den Blick. Auch hier sind die Reproduktion und das Weibliche das, was nicht gedacht wird, was keinen Wert hat. Das ist alles notwendigerweise abstrakt. Aber dieser Zugang zum Thema Geschlechterdifferenz, zum Thema Frau scheint mir immer plausibler. Ich merke gerade, dass ich doch nicht so theoriemüde bin, wie ich geglaubt habe. Zumindest diesbezüglich nicht. Und weisst Du was? Dieser Zugang erscheint mir noch viel plausibler, seit ich solche theoretischen Ansätze aus dem Mund einer Frau gehört habe. Das finde ich interessant. Ich habe schon einige Männer gelöchert mit Fragen nach der psychoanalytischen Sicht auf die Geschlechterdifferenz und diese Antworten, dieses Gerede vom Phallus hat mich nicht zufriedengestellt – höchstens aggressiv gemacht, hehe. Vermutlich hat diese Frau nicht mal etwas fundamental anderes gesagt. Es macht also einen Unterschied, wer es zu mir sagt. Die Ablehnung von Dingen, die als weiblich gelten, die Ablehnung von anderen Frauen und der Art und Weise wie sich manche verhalten, wie sie reden – das kenn ich nur zu gut. Ich denke, mich haben diese Dualismen von Körper und Geist, weiblich und männlich, Denken und Affekt enorm geprägt und tun es immer noch – auch wenn ich die Problematik dieser Dualismen sehe. (Das ist doch genau auch das Problem mit der Dekonstruktion – so wie ich das verstehe. Klar können wir diese Dualismen dekonstruieren und das ist sicher auch sinnvoll. Aber ändert es etwas daran, dass mich diese Gegensätze enorm geprägt haben und es weiter tun?) Du fragst, weshalb dieses Ausgeschlossene 12 die Frauen schlechthin spricht. Das Wort ‹Frau› ist bekanntlich älter als der Kapitalismus. Vielleicht hat dieser (könnten wir es ‹latenten Hass› nennen?) gegen das, was als weiblich gilt bzw. was wir jeweils mit weiblich assoziieren, mit diesem Leiden an der weiblichen Subjektposition zu tun. Die Ablehnung des Weiblichen scheint ein Ausweg zu sein, indem wir uns davon abgrenzen und uns damit vielleicht um so mehr der männlichen Logik unterwerfen? Wobei natürlich nicht alles, was auf der Ebene der Rollen, Identitäten etc. als weiblich gilt mit dem Weiblichen (verstanden als Nichtartikuliertes, Nichtrepräsentiertes) gleichzusetzen ist. Ich glaube, das sind wirklich verschiedene Ebenen. Wie war das noch mal mit der Reproduktion? Falls der Arbeitsbereich der Frauen, wie Federici das sagt, im Ausgang des Mittelalters in Europa von Mechanismen des kapitalistischen Wirtschaftens durchsetzt wurde, wodurch die Frauen ihre Stärke und Handlungsfähigkeit einbüssten – ja, dann bedeutete es natürlich zuvor etwas anderes, Frau zu sein. Und doch wurde es ‹Frausein› genannt. Die Frauen wurden doch nicht erst zu Frauen, als die Allmende privatisiert wurden? In vielen Zeiten und an vielen Orten lebten und leben Menschen, die als ‹Frauen› bezeichnet wurden und werden. Und ich meine, dass da etwas Gemeinsames ist, das sie alle verbindet. Und zugleich ist das Frauwerden in den unterschiedlichen Kontexten doch etwas völlig Anderes. Damit komme ich theoretisch nicht klar. Also doch Gender- und Intersektionalitätstheorie herbeiziehen? Gehen wir nochmals zurück: Die unartikulierte Position. Und eine neue Sprache finden. Ja, natürlich, aber was ist denn nun die Sprache? Nein, ich versteh’s wieder überhaupt nicht. Von: [email protected] Betreff: AW: Re: AW: Re: Frau werden??? Datum: 07.07.2014 um 19:57 An: [email protected] Was soll ich antworten? Ich könnte sagen: Mit allem einverstanden! Oder auch nicht? Ich könnte nämlich auch sagen: Wenn das mit der Subjektposition so und so ist, halt mal, dann verläuft die Geschlechtergrenze aber doch wohl ganz anders? Was ist genau diese Position, die unartikuliert bleibt, und in der herrschenden Sprache nicht anders kann, als unartikuliert zu bleiben? Ist das gut übersetzbar in eine ökonomische Analyse, wie du sie vorschlägst und wie ich sie ja auch für plausibel halte: Reproduktion wird nicht gezählt im wirtschaftlichen Kalkül. Aber seit wann ist das so? Gab es schon immer ‹Frauen› oder nicht? Ich las, im Mittelalter hätten sie weniger nach Mann oder Frau unterschieden, als vielmehr nach Stand, oder innerhalb der Frauen auch beispielsweise zwischen Jungfrauen, Ehefrauen, Witwen, weltlichen Frauen und Nonnen, etc. Aber dann las ich in einer mittelalterlichen Quelle gleich einen Satz, der über 13 RosaRot Nr. 47 Ich weiss es nicht. Das einzige, was mir dazu einfällt, sind Lévi-Strauss, Lacan und Irigaray mit ihren Theorien der Frau als Tauschobjekt, die wie ein Signifikant zwischen Männern, Familien, Clans zirkuliert. Und die Frau als Tauschobjekt, als zirkulierenden Signifikanten zu denken, bedeutet doch wiederum, dass die Frau eine fundamental andere Beziehung zur symbolischen Ordnung hat als der Mann. Was ich hingegen sicher weiss, ist, dass der Feminismus nicht feministisch ist, wenn ein bürgerlicher Bundesrat ‹den Frauen› in globo vorwirft, sie seien «nicht bereit» und deswegen nicht in Chefetagen. Ja, immerhin habe ich da ein Negativbeispiel: Es hat aus meiner Sicht überhaupt gar nichts mit Feminismus zu tun, wenn sich Frauen in Chefetagen drängen. Aber indem ich dies sage, bringe ich nicht nur die ‹feministischen› Bundesräte, sondern auch diverse Frauen gegen mich auf. Ich komme zu keinem Schluss. Und bin deswegen doch nicht dankbar, wenn mir jemand flüstert, dass die Biologie in dem Falle eben doch die einfachste, klarste und wahrste Antwort auf alle Fragen liefere. Diesem Logos glaube ich nicht. Ja, Du hast Recht. An Negativbeispielen dafür, was Feminismus sein soll, mangelt es uns tatsächlich nicht! Das ist doch zumindest ein Anfang, ziemlich klar zu sehen, was Feminismus, Frausein und Frauwerden für uns nicht heissen kann. Ich kann auch nicht aufhören zu fragen – was wohl an der Materie selbst liegt. ‹Frau sein›, ‹Frau werden› und ‹Weiblichkeit›, das scheinen mir alles recht prekäre und unbeständige Angelegenheiten zu sein. Und, so auf der ganz persönlichen Ebene: Ich habe keine Ahnung, was es für mich heisst, Frau zu sein. Aber die Frage lässt mich nicht los. Und ich glaube, Dir geht es auch so. Und ganz vielen anderen Frauen auch. Vielleicht sollten wir uns einfach selbst und gemeinsam immer wieder fragen? ◆ Von: [email protected] Betreff: Re: AW: Re: AW: Re: Frau werden??? Datum: 9. Juli 2014 um 10:09 An: [email protected] Du fragst ja eigentlich nach der Genealogie dieser Geschlechterdifferenz und -hierarchie bzw. nach der Genealogie des Androzentrismus. Das überfordert mich. Ich glaube aber definitiv, dass es vor dem Kapitalismus Frauen gab. Dass es etwas fundamental anderes bedeutete, damals Frau zu sein, glaube ich definitiv auch. Ich glaube aber nicht, dass das heissen muss, dass es nichts gibt, was Frauen verbindet (wobei mir das Wort ‹verbinden› nicht gefällt, wenn ich es mir so recht überlege. Aber vielleicht ist das wieder diese Abwehr gegen alles, was esoterisch anmutet. Frauenbünde, Schwesternschaft und so). Aber dennoch: allein schon, dass sie ‹Frauen› genannt werden, verbindet sie. Frau als Signifikant für das Andere? Du fragst, was vor dem Kapitalismus mit der Frau und mit der Reproduktion war. 14 RosaRot Nr. 47 RosaRot Nr. 47 Zwischen Bescheidenheit und Akzeptanz Ein Gespräch mit der Zürcher Lehrerin Esther Goldberg* über Feminismus und das Frausein im orthodoxen Judentum. von LB Je mehr die orthodoxen Frauen am religiösen Leben teilhaben können, desto mehr stehen sie für eine Gleichbehandlung der Geschlechter und ergo für eine stärkere Partizipation der Frauen am religiösen Diskurs ein. «Also wenn Sie zu mir kommen, dann sprechen wir über authentisches Judentum. Authentisch deshalb, weil es praktiziertes Judentum ist.» Mit diesem Satz begrüsst mich Esther Goldberg, 75 Jahre alt, mehrfache Mutter, vielfache Grossmutter und noch zahlreichere Urgrossmutter. Wenn jemand über die Mutterfigur im Judentum Bescheid weiss, dann sie. Kann sie mir aber auch Auskunft geben über die Rolle und Selbstbestimmung der Frau? Schliesslich bin ich auf der Suche nach einer feministischen, orthodoxen Jüdin, um das Bild der ‹unterdrückten Frau in patriarchalen Religionen› aufzubrechen. Wie bei der Burkadebatte prominent, wird dieses Stereotyp derzeit in Politik und Öffentlichkeit hitzig debattiert und reproduziert. Ich aber möchte eine alternative Frauenfigur finden. Eine, die strenge religiöse Praxis und Feminismus vereint. Was im ersten Moment widersprüchlich klingen mag, ist in Israel durchaus verbreitet: Laut einer Studie von Professorin Tamar El Or werden Frauen dort feministischer, je religiöser sie werden. Oder anders formuliert: Bereits hier unterbricht mich Esther Goldberg, denn ‹Feministin› will sie sich nicht nennen: «Wenn ich es mir recht überlege, habe ich es gar nicht nötig, mich Feministin zu nennen. Ich muss für nichts kämpfen.» Die Bedeutung der Frauenrolle Für Esther Goldberg beinhaltet Feminismus immer eine Art Kampfhaltung, die ihr nicht entspricht. Sie glaubt, dass Feministinnen vielleicht ihr Frausein an sich nicht akzeptieren. Goldberg selbst hat dies bei sich noch nie in Frage gestellt und ergänzt später, dass das sicher auch mit ihrer Ehe zu tun hat. «Ich glaube, es 16 orthodoxen Judentum intendiert ist? Wenn ja, habe ich aber dennoch den Eindruck, dass die Rolle der Frau eine zugewiesene und nicht selbst gewählte ist. Wo ist da Platz für Selbstbestimmung, die meines Erachtens als wichtiges Merkmal der (Geschlechter)Gleichheit angesehen werden kann? Oder bin ich da zu stark von Christentum oder gar Neoliberalismus geprägt? hängt damit zusammen, ob man von der eigenen Aufgabe und Rolle überzeugt ist oder ob man sich wertlos fühlt und darum so etwas Anderes haben muss. Das ist eine ganz persönliche Meinung.» Aus ihrer Sicht besitzt die Frau im Judentum nämlich eine sehr starke Rolle, die aber vielleicht für das feministische Anliegen nicht so relevant sei: Während dem Mann die Aufgabe des religiösen Lernens und Wissens zukomme, beschäftige sich die Frau mit der Hausarbeit und engagiere sich im sozialen Bereich der Gemeinde. Die Frau könne zwar für das Gebet drei Mal pro Tag in die Synagoge gehen, so wie es für den Mann vorgesehen ist, müsse aber nicht. «Sie hat viel wichtigere Aufgaben. Sie hat die Kinder und das Haus. Verstehen Sie, die Frau hat in diesem Bereich einen ganz starken Einfluss und ist glücklich, wenn sie diese religiösen Pflichten mit dem ganzen Klimbim weglassen kann.» Weibliche Selbstbestimmung zwischen Gesetz und Alltag «Selbstbestimmung ist für mich sehr relevant», betont Esther Goldberg immer wieder. Sie ist ihr möglich, aber immer nur in einem bestimmten Rahmen, nämlich innerhalb des göttlichen Gesetzes. So empfindet sie beispielsweise die Kleidervorschriften durchaus als etwas Positives, weil der weibliche Körper wie ein kostbares Schmuckstück sorgfältig eingepackt werde. Während ich ihr zuhöre, ertappe ich mich dabei, wie ich innerlich den häuslichen Aufgabenbereich der Frau abwerte und der geistigen Arbeit des Mannes einen Mehrwert zuspreche. Wenn ich mir aber Esther Goldbergs Haltung zu Herzen nehme, beginne ich zu verstehen, was sie mit der starken Rolle der Frau meint: Die Organisation des Sabbats, dessen Einhaltung als wichtigstes Merkmal für Orthodoxie gilt, die koscheren Speisegesetze, die Tag für Tag die Essenszubereitung bestimmen, sowie das Aufziehen der Kinder, die entsprechend dem Gebot ‹Mehret euch› vielzählig sind – all dies sind existentielle Bestandteile eines jüdisch praktizierten Lebens und liegen ganz in den Händen der Frau. Zu den Mädchen, die Goldberg derzeit an einer jüdischen Schule unterrichtet, sagt sie, dass ein Mann nicht am äusserlichen Körper ‹kleben› bleiben, sondern die Frau aufgrund ihrer Persönlichkeit lieben und schätzen solle. Dabei kommt sie auf die heutige Jugend zu sprechen, auf diejenigen Mädchen, welche so kurze Shorts tragen, dass man schon fast die Pobacken sieht. «Ich war in einer Sekundarschule und habe dort ein paar Unterrichtsstunden besucht. Da war ein Lehrer mit den 14- oder 15-jährigen Mädchen. Die waren angezogen! Da hab ich mich wirklich gefragt: Wie kann der als Lehrer unterrichten? Und wenn er bei dieser Mode unterrichten kann, dann ist es doch schade um sein Sexgefühl, dann ist das abgetötet.» Schliesslich können Gesetze und Grenzen auch Freiheit bedeuten, gerade in Bezug auf die Sexualität. Goldberg zückt einen Zeitungsartikel, in dem es um sexuel- Im Gegensatz zum (protestantischen) Christentum, das Wort und Glaube in den Mittelpunkt der religiösen Auseinandersetzung stellt, steht in der jüdischen Orthodoxie die Praxis viel stärker im Vordergrund. Könnte es also tatsächlich sein, dass eine Gleichwertigkeit der Geschlechter im 17 RosaRot Nr. 47 RosaRot Nr. 47 Mir wird klar, dass ich selbst das Stereotyp der ‹unterdrückten Frau in patriarchalen Religionen› in mir trage und aufgrund der Ausführungen von Esther Goldberg das Bild von Frausein und Selbstbestimmung neu überprüfen und kritisch hinterfragen muss. Schliesslich ist auch die Selbstbestimmung des Mannes und auch meine eigene in normative Vorstellungen und Handlungsweisen eingebettet. Das ist mir zwar nicht neu, aber die direkte Erfahrung im Gespräch mit Goldberg überrascht mich doch und stimmt mich nachdenklich. Sodann stellt sich mir aber eine letzte Frage, nämlich ob es nicht so ist wie mit den Kühen und dem Gras auf der anderen Seite des Zauns: Schmeckt dieses nicht viel besser als das auf der eigenen Weide und ist darum reizvoll, weil eben ausserhalb des Erreichbaren? Esther Goldberg antwortet lächelnd: «Wissen Sie, ich glaube, ich bin von Natur aus nicht so der Typ. Ich kann zum Beispiel in ein elegantes und schönes Haus kommen und mich darüber freuen. Aber deswegen brauche ich nicht nach Hause zu rennen und dort alles zu ändern. Das habe ich nicht nötig.» ◆ len Druck bei Jugendlichen geht – aufgrund der angeblich sexuellen Freiheit. «Das ist ja dann auch keine Selbstbestimmung mehr!» Selbstbestimmt leben und sich Freiheiten nehmen sind für Goldberg also wichtig und dahingehend möglich, als dass sie im Alltag selbst entscheiden kann, ob sie einen Vortrag besuchen möchte oder nicht, ob sie eine Stellvertretung als Lehrerin annimmt oder nicht. Aber immer innerhalb ihrer Rolle als Ehefrau, Mutter, Schwester oder Tante. Das ist gesetzt. Meine Spurensuche hat mich zu einer Frau geführt, die konsequent ihre Religiosität mit einer bestimmten Art von selbstbewusstem Frausein verbindet. Dies geschieht weniger im Sinne eines Feminismus, der auf formale Gleichberechtigung hinzielt, sondern vielmehr auf eine essentielle Weise: Indem Esther Goldberg sich auf für sie spezifisch weibliche Eigenschaften und Fähigkeiten beruft und eine gleichwertige Rollenverteilung postuliert, macht sie sich innerhalb der jüdisch-orthodoxen Ordnung stark für die Rechte und Freiheiten der Frau. Sie erachtet die Pflichten des religiösen Gesetzes als ‹Zaun› im Leben, der den richtigen Weg weist und zu einem guten Leben führen kann. Dieses Gespräch wurde als Interview bereits im fakultativ 1/2014 veröffentlicht. *Name geändert 18 Mailänder Appetithäppchen Der italienische Differenzfeminismus steckt voller unaufgelöster Selbst-Widersprüche, was ihm ständig Missverständnisse einbringt. Was hat es mit dieser sperrigen Richtung des Feminismus auf sich? von DS schen Differenzfeminismus einzuführen: weil da so etwas primär gar nicht erst vorgesehen ist. Und seit mich meine Bemühungen, für mich zu klären, was ich mit der Kategorie Geschlecht anfangen will, mit dieser Art des Denkens in Berührung gebracht haben, werde ich den Eindruck nicht los, dass das vielleicht gar nicht so dumm ist. Ich will hier deshalb zu skizzieren versuchen, welche gedanklichen Wege – vielleicht auch Um- und Abwege – sich öffnen, wenn man sich unter dem Einfluss der Feministinnen aus Mailand mit der Geschlechterfrage befasst. «Die feministische Bewegung ist voll von politischen und philanthropischen Eindringlingen. Wir warnen die männlichen Beobachter, uns zu ihrem Studienobjekt zu machen. Uns interessiert weder ihre Zustimmung noch ihre Polemik. Wir geben ihnen zu verstehen, dass es würdevoller für sie ist, sich nicht einzumischen.» Das war 1970. Die Autorin Carla Lonzi klinkte sich mit ihrem Text Wir pfeifen auf Hegel gerade aus dem Marxismus-Leninismus aus und hinterliess dabei den Kristallisationskern für ein Denken, das später als die Affidamento-Position der ‹Mailänderinnen› bzw. als ‹italienischer Differenzfeminismus› bekannt werden sollte. Unbehagen und Grabenkämpfe Heute ist das Jahr 2014, und ich versuche als Mann für die erste Ausgabe von RosaRot – Zeitschrift für feministische Anliegen und Geschlechterfragen einen Artikel zum Thema Frau werden zu schreiben. Dass ich dazu aus unmittelbarer Erfahrung nichts zu berichten habe, ist mir natürlich schon selber aufgefallen. Aber das Frau werden ist ein idealer Aufhänger, um in die etwas widerspenstige Begriffswelt des italieni- «Also mit so Frauenzeugs halt.» Der irgendwie selbstironisch und irgendwie provokativ gemeinte Kommentar eines Freundes dazu dokumentiert das Unbehagen, das uns Männern nach wie vor im Nacken sitzt, wenn es um ‹feministische Anliegen 19 RosaRot Nr. 47 RosaRot Nr. 47 und Geschlechterfragen› geht. Zumindest kenne ich das so: Wer als Bub auf den Pausenhöfen der späten 80er und frühen 90er sozialisiert worden ist, dem ist der kategorische Imperativ mit in den Rucksack fürs Leben gepackt worden, mit den Weibern ja nicht zuviel gemein zu haben. Da war es schon verdächtig, wenn sich einer nicht raufen wollte. Online-Duden, und der spuckt für den ‹Kampf im Schützengraben› als Hilfestellung das folgende Anwendungsbeispiel aus: «Es kam zu Grabenkämpfen innerhalb der Frauenbewegung.» Linguistisch gesprochen sind ‹Feminismus› und ‹Grabenkampf› also quasi synonym. Klar doch, Zickenkrieg. Da muss der Erklärbär ran und mal reinen Tisch machen. Was soll denn da noch schief gehen, Frau Lonzi? Was in den kulturell diversifizierten Schulen der Gegenwart – und das meine ich nur halb ironisch – ganz anders sein mag. Unter Altersgenossen jedoch, wie politisch sensibilisiert sie sonst auch sein mögen, löst das Thema mit mechanischer Zuverlässigkeit pubertäre Reaktionen aus. Irgendwie muss man lachen. Wenn, dann fasst man es mit spitzen Fingern an wie einen gebrauchten Tampon. Oder man reisst sich zusammen, proklamiert mal kurz, was Sache ist, und wischt die Thematik mit ausladender Geste vom Tisch. Kann ja nicht so schwierig sein; weg damit und gut ist. Unterschied im Menschsein Tatsächlich wäre der italienische Differenzfeminismus als Ausgangspunkt für eine Einmischung in befriedender Absicht denkbar ungeeignet. So wird Antje Schrupp, die im deutschen Sprachraum gegenwärtig vielleicht umtriebigste Vertreterin dieser Denkrichtung, auf ihrem Blog jeweils schneller mit Essentialismus- und Biologismusvorwürfen eingedeckt, als sie «Schwangerwerdenkönnen» sagen kann. Zwar nicht aus guten Gründen, wie ich meine, doch die Reaktionen sind nachvollziehbar: Die von den Italienerinnen geprägte Rhetorik scheut sich nicht, das Missverständnis in Kauf zu nehmen. Und da die emanzipierten Frauen von heute den Männern in nichts nachstehen wollen, finden sie es auch irgendwie doof, dieses Frauenzeugs. Muss man auch mal ruhen lassen. Heute ist's ja anders. Und überhaupt, #aufschrei, voll die Opfer. Kaum hatte ich auch nur begonnen, mich ins Thema einzulesen, fand ich mich schon in der Rolle eines solchen wieder, der den Frauen – bei einer wie Lonzi bereits unten durch – den Feminismus erklärt. Etwa mit Äusserungen wie dieser: «Man wird zwar als Frau geboren, es kommt aber darauf an, was eine daraus macht.» Schrupp führt die Aussage als blosse Variation des berühmten Satzes von Simone de Beauvoir ins Feld: «Man wird nicht als Frau geboren, man wird es.» Zumindest vordergründig jedoch scheint es sich dabei geradewegs um dessen Widerruf zu handeln. Genauso wie bei einer verwandten Formulierung von Luisa Muraro, einer Mailänderin der ersten Stunde: «Wir haben nicht gewählt, als Frauen geboren zu werden, und gerade diese Tatsache macht es unabdingbar, das Frausein zu akzeptieren.» Also zunächst, dass es den Feminismus gar nicht gibt. Und dass vielleicht nicht überall Feminismus drin ist, wo ‹Gender› draufsteht. In diesem Zusammenhang bin ich kürzlich am Wort ‹Grabenkampf› hängen geblieben: Militärhistorisch unterbelichtet, wie ich bin, fragte ich mich, was für eine Vorstellung genau die Rede von ‹Grabenkämpfen im Feminismus› eigentlich hervorrufen will. Die erste Adresse, die mir in Sachen Kriegsgeschichte einfällt, ist der Wird das Frausein damit nicht wieder auf eine Frage der Geburt reduziert, auf 20 Ein Merkmal der Erfahrung eine bloss biologische Tatsache? Und also das Frauwerden, die Sozialisation mit all ihren kulturellen Zufälligkeiten, geleugnet? Der Gedanke, dass man nicht mehr oder weniger Frau sein kann – und im engeren Sinn daher auch nicht Frau werden kann – ist für den italienischen Differenzfeminismus jedenfalls zentral. Ein Mensch verfügt über sein Geschlecht immer ganz: «Es ist ausgeschlossen, dass eine Frau nicht weiss, welchen Unterschied im Menschsein es bedeutet, als Frau geboren zu sein», so die Mailänderinnen in der im Namen der Libreria delle donne di Milano publizierten Kollektivschrift Wie weibliche Freiheit entsteht. Angesichts solcher Aussagen kann man fast nicht anders, als zu erwarten, dass der italienische Differenzfeminismus im Geschlechterunterschied eine Art Naturgesetz sieht, wenn nicht gar ein metaphysisches Ordnungsprinzip. Doch den Mailänderinnen geht es nicht um Natur und Ontologie, sondern um Erfahrung und Praxis: «Sich auf die Natur zu berufen würde den Frauen nichts nützen, denn diese unterliegt der gesellschaftlichen Interpretation, welche das menschliche Schicksal der Frau direkt von der weiblichen Anatomie ableitet.» Nirgendwo machen die Italienerinnen die Geschlechterdifferenz an isolierbaren Eigenschaften fest: «Sie ist», so Muraro, «keine natürliche Ausstattung wie die Haare oder der Uterus, sondern ein Merkmal der Erfahrung». Und wenn jede und jeder immer schon in einem absoluten, unhintergehbaren Verhältnis zur Geschlechterdifferenz steht, dann steht die Geschlechterdifferenz auch in einem absoluten, unhintergehbaren Verhältnis zum menschlichen Dasein: «Der Unterschied zwischen Mann und Frau ist der grundlegende Unterschied innerhalb der Menschheit», schreibt Lonzi in Wir pfeifen auf Hegel. Das Geschlecht erscheint bei ihr als eine Kategorie ganz anderer Qualität als etwa die Hautfarbe: «Der schwarze Mann ist dem weissen Mann gleich, die schwarze Frau ist der weissen Frau gleich». Ein Merkmal der Erfahrung – aber eines, über das man von Geburt an verfügt? Zum Körper gehörig – aber nicht als dessen natürliche Ausstattung? Inhaltlich an nichts festzumachen – und doch konstitutiv für das Menschsein? Man könnte meinen, beim italienischen Differenzfeminismus handle es sich um eine Diskurstradition, die keinen anderen Zweck verfolgt, als Verwirrung zu stiften. Opazität als Programm sozusagen. Da kann Schrupp auf ihrem Blog noch so betonen, dass sie das Schwangerwerdenkönnen weder für eine notwendige noch für eine hinreichende Bedingung für das Frau sein hält: Dass sie es dennoch als weibliche Erfahrung thematisiert, provoziert vor dem Hintergrund ihrer voraussetzungsreichen Argumentation den Argwohn, es gehe am Ende uneingestandenermassen doch darum, geschlechtliche Identität auf das Niveau schierer Körperfunktionen herunterzukürzen. In Das Patriarchat ist zu Ende führen die Feministinnen aus Mailand diesen Gedanken unter Bezugnahme auf Lonzi wie folgt aus: «Für alle Differenzen, seien sie durch Kultur, Charakter, Interessen oder Altersunterschiede bedingt, gibt es, so meinen wir, zumindest theoretisch eine Vermittlung – nur für eine nicht: die Geschlechterdifferenz. Sie ist irreduzibel, denn sie gehört zum Körper in seiner unüberwindbaren Opazität.» Für Muraro stellt sich die Geschlechterdifferenz daher gewissermassen als die ursprünglichste Differenz überhaupt dar: «Ich bin in der Tat überzeugt, dass niemand den Sinn der Differenz besitzt, wenn ihm der der sexuellen Differenz fehlt.» 21 RosaRot Nr. 47 RosaRot Nr. 47 Theorie und Widersprüche politisches Projekt ab: «Der Unterschied besteht in der jahrtausendelangen Abwesenheit der Frau in der Geschichte. Machen wir uns diesen Unterschied zunutze: Wenn die Integration der Frau erst einmal erreicht ist, wer weiss, wie viele Jahrtausende nötig sein werden, um dieses neue Joch abzuschütteln?» Wenn sich eine Theorie selbst zu widersprechen scheint, dann kann das bedeuten, dass es sich deren Urheberinnen oder Urheber nicht so genau überlegt haben. Die Auflösung von Widersprüchen wäre dann ein gedanklicher Fortschritt, ein Gewinn. Es kann jedoch auch sein, dass die Theorie mit Selbstwidersprüchen operiert, um einer paradoxen Wirklichkeit gerecht zu werden. Die Auflösung von Widersprüchen wäre dann ganz im Gegenteil ein Verlust. Eine widerspruchsfreie Theorie, die zum Umgang mit der Realität nichts taugt, ist verschwendetes Leben. Sich als das Andere ins Spiel bringen in subversiver Absicht: Lonzis Politgruppe nannte sich Rivolta femminile. Ihre Kritik war jedoch nicht lediglich gegen das bürgerliche, sondern genauso sehr gegen das revolutionäre Gleichheitsdenken gerichtet: Mit Blick auf die Entwicklungen in den Realsozialismen ihrer Zeit beargwöhnte sie den Klassenkampf als Abrechnung unter Männercliquen. «Die Frau wird als Frau unterdrückt», so Lonzi, «auf allen gesellschaftlichen Ebenen: nicht auf der Ebene ihrer Klassen- sondern ihrer Geschlechtszugehörigkeit.» Inwiefern die begrifflichen Spannungen, die von den Theoretikerinnen des italienischen Differenzfeminismus – zweifelsohne in aller Absicht – aufrechterhalten werden, produktiv sind, konnte ich für mich noch nicht beantworten. Dessen ungeachtet aber halte ich es für erhellend, den Gründen nachzugehen, die die Mailänderinnen zu ihren Theorieentscheidungen veranlasst haben. In diesem Sinn seien hier noch einige weitere Mailänder Appetithäppchen serviert. Was genau aber soll es nun sein, dieses unterdrückte Andere? Lonzi lehnt alle Zuschreibungen ab, die die Unterscheidung zwischen Mann und Frau inhaltlich begründen würden – insistiert aber doch auf der Differenz. Ein Denken, das der gängigen Intuition nicht gerade entgegenkommt: Entweder a und b unterscheiden sich irgendwie, oder sie tun es eben nicht. Aber doch nicht beides zugleich! Das unterdrückte Andere Vier Jahre bevor Luce Irigaray mit Speculum das mitbegründete, was man heute gemeinhin unter Differenzfeminismus versteht, nahm Lonzi in Wir pfeifen auf Hegel den differenzfeministischen Grundgedanken vorweg: «Die Gleichheit der Geschlechter ist die Hülle, mit der heute die Unterlegenheit der Frau getarnt wird». Auf der orwellschen Farm der Geschlechter sind alle gleich, aber die Männer sind gleicher. Gleichstellungspolitik heisst: Die Frauen sollen wie die Männer werden. Lonzi weist «sowohl die Ebene der Gleichheit als auch die der Ungleichheit als ein von der männlichen Macht aufgezwungenes Dilemma» zurück. Das Weibliche und Männliche leiten sich nicht voneinander ab, ergänzen einander nicht und konkurrieren nicht miteinander; zwischen ihnen besteht keine Symmetrie und keine noch so vertrackte Wechselseitigkeit. Ein sperriger Gedanke, darüber ist sich Lonzi im Klaren: «Die Frau steht nicht in einem dialektischen Verhältnis zur männlichen Welt. Die Bedürfnisse, die sie gerade klärt, implizieren keine Antithese, sondern ein Sich-aufeiner-anderen-Ebene-bewegen. In diesem Und wieso nicht umgekehrt? Lonzi leitet aus ihrem Begriff des grundlegenden Unterschieds innerhalb der Menschheit ihr 22 Punkt haben wir am meisten Schwierigkeiten, verstanden zu werden, aber es ist wichtig, darauf zu bestehen.» Signifikant› – als bleibendes Zeichen für das Potential je neuer Bedeutsamkeit –, soll den Raum offen halten für die kommunikativen Auswirkungen des Aussersprachlichen. Wozu das sich stumm vollziehende Kulturelle genauso zählt wie die Biologie. Das Reale ist gemäss Chiara Zamboni, die die Position mit Muraro und anderen in der Philosophinnengemeinschaft Diotima weiterentwickelt, als etwas zu begrüssen, das «die Grenzen der Sprache verschiebt», indem es «sich störend aufdrängt». Symbolischer Materialismus Jeder Versuch, das Weibliche und Männliche inhaltlich zueinander in Beziehung zu setzen, läuft auf eine Theorie darüber hinaus, weshalb sich Männer wie Männer und Frauen wie Frauen verhalten: nicht als Subjekte, sondern als Resultanten sozialer und biologischer Kräfte. Und da sich die männliche Normalität nicht zu rechtfertigen braucht, geschieht dies zu Lasten der Frauen: Ein Mann tut, was er tut, weil er tut, was er will; eine Frau will, was sie will, weil es in ihrer Natur liegt oder sie halt so erzogen wurde. Autorität und Anerkennung Und das geht nur in der Praxis. Das Affidamento, quasi das Markenzeichen der Mailänderinnen, ist deren Antwort auf die Frage, wie eine Politik der Subjektsetzung funktionieren kann: durch die Anerkennung der Autorität solcher, zu denen man sich – sich ‹anvertrauend› – in Beziehung setzt, und zwar nicht auf der Basis von Gemeinsamkeiten, sondern aufgrund von Unterschieden. Jede Frau, die eine andere für sich offen als Autorität anerkennt, weil diese etwas verkörpert, was jene gerne selbst wäre, vergrössert den Spielraum dafür, was weibliches Handeln bedeuten kann. Sie ist nun mal Frau geworden. Die symbolische Ordnung, die wir vom Patriarchat geerbt haben, rechnet nicht mit freiem weiblichem Handeln. Und diese Asymmetrie verschwindet nicht, bloss weil man sich das ganz fest vornimmt. Auch das Kulturelle weist eine eigene Widerständigkeit auf, seine eigene Materialität. Die Mailänderinnen plädieren daher für etwas, was sie ‹symbolischen Materialismus› nennen: die beständige Arbeit an den Spielräumen, die Geschlechterdifferenz frei zu interpretieren. Die Asymmetrie der Ausgangssituationen verbietet es, dies eins zu eins auf Verhältnisse unter Männern und zwischen Männern und Frauen zu übertragen. Dennoch vermute ich, dass es sich auch in anderen Zusammenhängen lohnen könnte, die Kultivierung eines solchen Begriffs von Autorität und Anerkennung ins Auge zu fassen. Wo auch immer nämlich man sich in emanzipatorischer Absicht untereinander zu solidarisieren sucht, stellt sich die Frage nach einem produktiven Umgang mit Verschiedenheiten, nach Formen von Autorität jenseits patriarchaler Hackordnungen sowie nach Möglichkeiten, dem eigenen Handeln im Zusammenspiel mit anderen neue Bedeutung zu geben. ◆ «Das unvorhergesehene Schicksal der Welt», schreibt Lonzi, «liegt darin, den Weg noch einmal von vorn zu durchlaufen mit der Frau als Subjekt.» Das freie Handeln der Frau als das unvorhergesehene Andere: Als solches kann es sich nur ins Spiel bringen, wenn es sich – wie es das männliche Subjekt schon immer tat – als eines setzt, das sein natürliches und kulturelles Gewordensein laufend überschreitet. Was nicht heisst, es zu leugnen. Im Gegenteil: Die Geschlechterdifferenz, nicht in einer bestimmten Bedeutung, sondern als ‹unerschöpflicher 23 RosaRot Nr. 47 RosaRot Nr. 47 Frauen werden politisch «Das het doch ke Wert – da mache doch üseri Manne scho recht, oder?» Argumente der GegnerInnen des Frauenstimmrechts in der Schweiz und deren Bedeutung für heute. von CB und SN Dass Frauen heute ihre politische Verantwortung wahrnehmen und an die Urne gehen, um abzustimmen und zu wählen, verwundert uns nicht. Dass es den Frauen lange Zeit versagt war, in der Politik aktiv zu sein, lässt uns dagegen stutzen. Für viele Frauen und Männer bleibt es skandalös, dass das Frauenstimm- und Wahlrecht in der Schweiz erst im Jahre 1971 auf Bundesebene eingeführt wurde. Damals stimmten 65.7% der Schweizer Stimmberechtigten für die Einführung. Bereits vor 1971 hatte es viele Versuche gegeben, das Stimm- und Wahlrecht für die Frauen auf Gemeinde-, Kantons- und Bundesebene einzuführen, davon waren die meisten aber erfolglos geblieben. leben und die Erziehung der Kinder litten, wenn die Frau Politik betreiben würde. Verschiedenste Plakate im Kampf gegen das Frauenstimmrecht zeigen alleingelassene Kinder. Ein Plakat zeigt etwa ein brüllendes Baby, das aus dem Stubenwagen gefallen ist. Das ganze Wohnzimmer wurde durch den Wind verwüstet, der durch das offengelassene Fenster hereinweht, und eine schwarze Katze mit grossen Kulleraugen nimmt im Stubenwagen Platz. Und schuld daran ist – die Mutter, denn sie treibt Politik (Abb. 1)! Auch das Plakat, auf welchem ein kleines Mädchen zu sehen ist, das in einer Hand ein geknicktes Blümchen hält und mit der anderen in der Nase bohrt, bläst ins gleiche Horn und fragt: «Mutter wenn chunsch hei?» Weshalb hat es so lange gedauert, bis in der Schweiz die Frauen abstimmen und wählen konnten? Welche Argumente haben Männer und Frauen vorgebracht, die diese Gleichstellung so lange verhindert haben? Die GegnerInnen sahen eine Bedrohung für das traditionelle Frauen- und Familienbild und eilten zur Rettung der schweizerischen Familie. Die BefürworterInnen betonten immer wieder, dass die Frauen ebenso wie auch die Männer ihre Bürgerpflicht erfüllen könnten, ohne deshalb Beruf oder Familie zu vernachlässigen. Im Abstimmungskampf der 1950er Jahre äusserten sich die BefürworterInnen folgendermassen: «Niemand wird sich im Ernste vorstellen, durch die Einführung des Frauenstimmrechts würden die Familienmütter «Muetter wenn chunsch hei?» Eine der Befürchtungen im Bezug auf das Frauenstimmrecht war, dass das Familien24 plötzlich allesamt zu täglich in Anspruch genommenen Berufspolitikerinnen.»¹ Im Gegenteil sei es sogar förderlich für die Familie, «wenn sich das Blickfeld der Frau über das Nächstliegende hinaus weitet.»² stimmrecht folgenden Einwand diskutieren musste: «Die Frauen haben Hitler gewählt. Sie sind verantwortlich für die antidemokratischen Entwicklungen, die gewisse Länder eingeschlagen haben.»³ Die BefürworterInnen widerlegten diesen Vorwurf, indem sie darauf verwiesen, dass bei denjenigen Wahlkreisen in Deutschland, bei denen überhaupt Erhebungen über das Stimmenverhalten der Geschlechter gemacht wurden, die weiblichen Wählerinnen bedeutend weniger die Nationalsozialistische Partei unterstützt hatten. Sie nahmen zudem auf Untersuchungen Bezug, denen zufolge das Verhältnis der Parteistärken nicht wesentlich durch die Einführung des Frauenstimmrechts beeinflusst wurde.⁴ Diese Ergebnisse wurden auch verwendet, um die Ängste vor einem grossen Einfluss des Frauenstimmrechts auf das Kräfteverhältnis der politischen Parteien zu besänftigen.⁵ Die Befürchtungen, dass die Frauen aufgrund des Frauenstimm- und Wahlrechts zu wenig Zeit für Haushalt, Familie und Ehemann hätten, durchzogen dennoch die Argumente der Gegner. Die Broschüren der BefürworterInnen befassten sich mit allerhand Einwänden dieser Art, beispielsweise, dass das Frauenstimmrecht politischen Ehestreit und Familienhader zur Folge habe. «Die Frauen haben Hitler gewählt» Einige Argumente in diesem Abstimmungskampf schockieren heute. So ist es zugegebenermassen lächerlich, dass der Schweizerische Verband für das Frauen- Vom Interesse und der Bildung Verbreitete Argumente gegen das Frauenstimm- und Wahlrecht stützten sich auch auf die fehlende Mehrheit der BefürworterInnen unter den Frauen. Diese Aussagen wurden von den Frauenbewegungen durch Umfragen in den Kantonen Basel-Stadt, Genf und Zürich widerlegt, in welchen sich die Mehrheit der Frauen für das Frauenstimmrecht aussprach. Zudem verwiesen in diesem Zusammenhang viele Broschüren auf das Stimmrecht und Wahlrecht als ein Menschenrecht, welches für alle Menschen unabhängig von Geschlecht gelten soll. Deshalb sei es überhaupt nicht von Belang, ob die Frauen das Stimm- und Wahlrecht wünschten oder nicht.⁶ Auch der Einwand war verbreitet, dass die Frauen nicht genügend auf das Stimmrecht vorbereitet oder nicht reif dafür seien. Abb. 1: Die Mutter treibt Politik. 25 RosaRot Nr. 47 RosaRot Nr. 47 Diesem Argument wurde meist mit der Antwort begegnet, dass der Schweizerische Verband für das Frauenstimmrecht gewillt sei, die Frauen in Geschäften der Politik zu schulen. «Soll der junge Mann, der mit 20 Jahren zur Urne geht, wirklich reifer sein für die Mitverantwortung im Staat als seine Mutter, die ihn erzogen hat?»⁷ eingenommen hatten, wurde hingegen von den BefürworterInnen des Frauenstimmrechts als Hinweis dafür gesehen, dass die Frauen nicht mehr nur für das Private und das Haus zuständig seien, sondern auch in der Politik mit ihren Anliegen und Interessen präsent sein sollten. Auch der Schweizerische Katholische Frauenverbund wünschte sich die Teilnahme der Frau am öffentlichen Leben, jedoch nicht an der Politik. Sie sahen das grosse Problem der politischen Beteiligung darin, dass die Frauen mit ihren hohen sittlichen Werten zu gut seien für die Politik: «Durch die Einführung der Frau ins politische Leben müsste sie und die Frauenorganisationen einen grossen Teil ihrer Arbeit der Politik schenken, zum Schaden jener Aufgaben, die ihr näher stehen und deren Lösung mehr zur Gesundung des Volkes beitragen können.»¹⁰ Auch dieses Argument wird auf Plakaten motivisch festgehalten: Eine Frau mit ihrem Kind läuft vor der grässlichen Hand der Politik davon. Viele befürchteten, dass die Frauen durch das Parteiengemenge und die Politik verdorben würden. Die Frauenverbände, welche sich für das Frauenstimmrecht aussprachen, antworteten auf dieses Argument sehr gewitzt: «Wenn unsere Politik wirklich so verdorben ist, so ist es höchste Zeit, dass neue Elemente sie aus dem Sumpfe herausziehen und gewisse Missbräuche bekämpfen.»¹¹ Von der Ungleichheit der Geschlechter Erschreckend ist der Standpunkt, politische Partizipation führe zur Vermännlichung der Frau. Unvergessen das Plakat mit der hässlichen Frau mit Krallen an den Händen und Warzen im Gesicht, welches die Aufschrift trägt: «Wollt Ihr solche Frauen?» Als Antwort der BefürworterInnen folgte die Aussage, dass die Frauen durch das Frauenstimmrecht ihre eigene Stimme mit ihren eigenen Anliegen und Interessen vertreten können würden. Die Frau solle und könne durch das Frauenstimmrecht weibliche Politik treiben und werde nicht ‹männlich› politisieren.⁸ Diese Thematik führt uns zur Geschlechterdebatte der siebziger Jahre. Die Gegner stellten fest, dass Ungleichheiten zwischen Mann und Frau bestehen und führten diese Ungleichheiten auf die Naturen der Geschlechter zurück. So wurde – meist von Männern – erklärt, dass die Frau ihrem ganzen Wesen nach viel mehr zum Privaten und Häuslichen als zur Betätigung im öffentlichen Bereich tendiere. Auch wenn schon damals anerkannt wurde, dass Frauen in wirtschaftlichen Betrieben arbeiteten und Geld verdienten, bestand man doch darauf, dass es «der männlichen Natur obliegt, die Rechten und Pflichten der Familie und der Gesellschaft nach aussen zu vertreten.»9 Die Tatsache, dass die Frauen ihren Platz in der Berufswelt Von heutigen Forderungen Wir müssen uns heute bewusst sein, dass die Politik im europäischen Kontext in Machtstrukturen funktioniert, welche Jahrhunderte lang allein von Männern geprägt wurden, die selbst in Gesellschaften mit spezifischen Geschlechterrollen lebten. Die Frau begibt sich damit in eine Maschinerie der Männerkultur, wo sie sich mit ihren Besonderheiten zuerst finden und sich mit ihrer eigenen Stimme behaupten muss. 26 Diese Auseinandersetzung zeigt, dass der Genderdiskurs von politischer Relevanz ist und auch nach Annahme des Frauenstimmund Wahlrechts weiter verändert werden muss. Es muss ein politisches System gestaltet werden, in welchem Menschen in ihren Unterschieden und Gemeinsamkeiten geschätzt werden und in welchem ihre Eigenschaften und Ideen produktiv und konstruktiv aufgenommen und verwirklicht werden können. Um dies zu erreichen müssen Frauen und Männer gemeinsam Einfluss auf das heutige politische System ausüben und dieses gemeinsam weiter gestalten. Das Frau- und Menschwerden in der Politik wird uns noch lange beschäftigen. ◆ Schon im Kampf um das Frauenstimmrecht wurde ausgeführt: «Noch wichtiger als die politische Gleichberechtigung der Frau (die wir ihr persönlich durchaus nicht vorenthalten möchten) ist aber die Wiedergeburt eines selbstständigen weiblichen Lebensideals, des weiblichen Ideals überhaupt, das nicht in einer Vermännlichung und Selbstaufgabe bestehen kann. [...] Die Politik wird erst dann eine Bereicherung durch die Mitarbeit der Frau erfahren, wenn sie als selbstbewusstes Geschlecht in ihrer weiblichen Eigenart erstarkt und sie ihre Lebensbestimmung erfasst haben wird, also nicht als Konkurrentin des Mannes, sondern als seine notwendige Ergänzung auftritt.»¹² Anmerkungen 1 Der Schweizerische Verband für das Frauenstimmrecht: Das Frauenstimmrecht in der Schweiz. Tatsachen und Auskünfte. Zürich. 1950, S. 35. 2 Arbeitsgemeinschaft der schweizerischen Frauenverbände für die politischen Rechte der Frau: Einwände gegen das Frauenstimmrecht...und wie ich sie widerlege. Zürich. 1970, S. 10. 3 Der Schweizerische Verband für das Frauenstimmrecht: Das Frauenstimmrecht in der Schweiz. Tatsachen und Auskünfte. Zürich. 1990, S. 34. 4 Vgl. ebd. 5 Arbeitsgemeinschaft der schweizerischen Frauenverbände für die politischen Rechte der Frau: Einwände gegen das Frauenstimmrecht...und wie ich sie widerlege. Zürich. 1970, S. 13. 6 Ebd., S. 1. 7 Der Schweizerische Verband für das Frauenstimmrecht: Das Frauenstimmrecht in der Schweiz. Tatsachen und Auskünfte. Zürich. 1950, S. 33. 8 Arbeitsgemeinschaft der schweizerischen Frauenverbände für die politischen Rechte der Frau: Einwände gegen das Frauenstimmrecht...und wie ich sie widerlege. Zürich. 1970, S. 11. 9 Zentralvorstand der Helvetische Gesellschaft: Das Frauenstimmrecht. Schaffhausen. 1929, S. 101. 10 Ebd., S. 105. 11 Der Schweizerische Verband für das Frauenstimmrecht: Das Frauenstimmrecht in der Schweiz. Tatsachen und Auskünfte, Zürich. 1950, S. 35. 12 Zentralvorstand der Helvetischen Gesellschaft: Das Frauenstimmrecht. Schaffhausen. 1929, S. 111. Bildverzeichnis Abb. 1: Die Mutter treibt Politik: Gosteli-Stiftung, Plakatsammlung. 27 RosaRot Nr. 47 Emanzen sollen zuverlässig wiederkehren: circa alle 20 Jahre Emanzipation hat nicht nur, aber viel mit Feminismus zu tun. Weniger gegen Männer, sondern vielmehr gegen gestrige Karrierefeministinnen müssen Nachwuchsemanzen sich behaupten. von FS Bedeutung der Emanzipation schlechthin: Die Entlassung der Kinder aus der elterlichen Gewalt. Dass Alice Schwarzer als Steuersünderin entlarvt wurde, hat eigentlich nur anekdotischen Wert. Die Boulevardpresse findet daran ein Fressen und kleine BürgerInnen mögen sich in ihrer mehr oder weniger heimlichen, mehr oder weniger berechtigten Wut gegenüber den Einflussreichen gefallen. Hingegen weist diese Enthüllungsgeschichte auf einen wichtigen Umstand hin: Relikte, wie die 72-jährige Schwarzer, fallen aus der Zeit. Vorbei sind in Europa die Zeiten des ungebremsten Wirtschaftswachstums, als Steueroptimierung noch ein Kavaliersdelikt war. Auch Plagiate sind plötzlich keine Bagatellen mehr. Was vor dreissig Jahren nicht relevant schien und kaum überprüfbar war, kostet heute Politikerinnen und Politiker gleichermassen die Karriere. Damit steht Schwarzer gleichsam für eine wiederkehrende Aufgabe der Emanzipation, nämlich die Aufgabe und Gestern... Niemand kann behaupten, die Emma hätte es nicht gebraucht. Schwarzers dezidierte Stimme half, manchen gesellschaftlichen und vor allem gesetzlichen Missstand zu beheben. So lancierte sie 1971 in Deutschland beispielsweise die Diskussion um den §218, der Abtreibung unter Strafe stellte. In der Schweiz dauerte es zwar noch bis 2002, bis eine einheitliche Praxis in allen Kantonen per Volksabstimmung durchgesetzt wurde, aber mittlerweile ist der Schwangerschaftsabbruch – durch den Slogan ‹Mein Bauch gehört mir› zu einem Symbol des 29 RosaRot Nr. 47 RosaRot Nr. 47 Die allgegenwärtige anti-patriarchale Kampfrhetorik Schwarzers (und anderer Frauen ihrer Generation) hingegen zementiert bestenfalls den grossen Unterschied, auch wenn Schwarzer in einer Anspielung auf die wohl berühmteste emanzipatorische Rede der westlichen Geschichte meint, sie habe einen Traum: Den Traum von einer Gesellschaft, in der es nur noch Menschen und keine Frauen oder Männer mehr gäbe. Gut also, dass ihr Buch Der grosse Unterschied: Gegen die Spaltung von Menschen in Männer und Frauen – das einen schönen Traum und die berechtigte Forderung im Titel mit Kampfparolen zerstört –, auch schon wieder fast fünfzehn Jahre her ist. Feminismus geworden – auch überall in der Schweiz legal. Noch vorher (auf Bundesebene 1971) wurde den Frauen als wichtigstes Element der Gleichstellung das Wahlrecht zugesprochen, selbst wenn die renitenten Appenzeller durch einen Bundesgerichtsentscheid letztlich zur Umsetzung gezwungen werden mussten. Damit kamen Frauen endlich in den Genuss voller Rechte und wurden zu gleichwertigen BürgerInnen. Andere Absurditäten, wie die gesetzliche Bevormundung alleinerziehender Mütter, sind ebenfalls längst beseitigt. Gegen Schwarzers Engagement ist also nichts zu sagen. Die Erfinderin der Emma mauserte sich jedoch (zur notabene kinderlosen) Karrierefeminstin und scheinbaren Vorzeigefrau. Ob ein solcher Lebensentwurf noch zeitgemäss ist? Tatsächlich ist die Verwirklichung dieses Traums näher als erwartet. Es bräuchte einzig den Mut, ihn in die Tat umzusetzen. Die gesetzlichen Rahmenbedingungen zu seiner Verwirklichung sind mittlerweile grösstenteils gegeben. Die Umsetzung dieses Traums kann jedoch nur gemeinsam funktionieren – und sicher nicht, indem Frauen zum Kampf gegen Männer angehalten und Männer als Feindbild stilisiert werden. Wozu die Entzweiung der Geschlechter und die einseitige Identifikation mit der eigenen bzw. anderen Geschlechtsgruppe führen, hat die Schweiz mit den allgegenwärtigen Pädophilie-Diskussionen und der Annahme der Pädophilie-Initiative im Frühjahr 2014 allzu schmählich bewiesen. Dass auch Männer für diese Initiative gestimmt haben, zeigt nur, wie heimtückisch die Situation ist – nämlich so heimtückisch, dass diese Männer nicht merken, wie auch sie unter den Generalverdacht der Pädophilie gestellt werden und folglich gegen sich selbst gestimmt haben. (Dagegen wurde kürzlich am Bezirksgericht Meilen eine Frau, die sich an einen Minderjährigen herangemacht hatte, zu bloss 20 Monaten unbedingt verdonnert.) ...und heute... Die Familie ist wieder im Kommen, auch wenn sie – durchaus zu Recht – nicht mehr ganz so aussehen mag, wie konservative Kreise sie fordern. Da wohnen Väter und Mütter bunt durcheinander gewürfelt zusammen oder auch nicht und ziehen Kinder gross. Eine der Voraussetzungen dafür: Heute sind Frauen finanziell zusehends unabhängiger. Entscheidend ist auch, dass die staatliche Bevormundung weggefallen ist. Obwohl die Zeit nicht weit zurückliegt, als die Kinder unverheirateter Frauen (und die Mütter gleich mit dazu) bevormundet wurden, erinnert sich kaum jemand der jüngeren Generationen mehr daran – von persönlicher Betroffenheit ganz zu schweigen. Daraus zu schliessen, es müsse weiterhin gegen Männer und vor allem ständig wider das Vergessen gekämpft werden, ist ein Fehlschluss. Nach siegreichem Kampf verlangen Friedenszeiten, so sie denn Friedenszeiten sein sollen, schliesslich nach einem neuen und vor allem gemeinsamen Vorgehen. Umgekehrt sind Männer in ihrer überwiegenden Mehrheit keinesfalls Triebtäter, 30 die sich an kleinen Mädchen (von Jungen spricht Schwarzer bezeichnenderweise kaum) oder an Ehe- und anderen Frauen vergehen. Die beharrliche Verbindung von Sex mit männlicher Gewalt wird dem Grossen und Ganzen kaum gerecht. Auch dann nicht, wenn berechtigterweise immer wieder auf höchst tragische und verdammenswerte sexuelle Gewalttaten hingewiesen wird. Gerade die Einführung des Frauenwahlrechts in der Schweiz kann als Zeichen dafür verstanden werden, dass sich Dinge erstens grundsätzlich ändern können und Männer zweitens längst nicht die bornierten Macht- und Gewaltmenschen sind, als die sie von Schwarzer hingestellt werden. Vielmehr lässt die Tatsache hoffen, dass die Schweiz das einzige europäische Land war, in dem den Frauen das Stimmrecht per Volksentscheid von einer Mehrheit der Männer (65.7%) zugesprochen wurde. Familienleben gemeinsam zu gestalten und die Erziehungsaufgaben zu teilen. Hingegen die Teilung der Erziehungsaufgaben zu fordern und Männer gleichzeitig unter den Generalverdacht der Pädophilie zu stellen, mutet reichlich paradox an. Aber von all dem konnte Alice Schwarzer, aufgewachsen zur Zeit des Wirtschaftswunders und wiederkehrender Booms der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts, nichts wissen. Nur schade, dass sie es immer noch nicht gelernt hat. Emanzipation kann deshalb für die jüngeren Generationen nicht nur heissen, von den älteren Generationen zu lernen – ein Lernprozess, den Schwarzer in fast schon verschwörungstheoretischer Manier bedroht sieht, da männliche Diffamierungsstrategien die Generation der Emanzen à la Schwarzer schlecht zu machen versuchten. Emanzipation muss auch heissen, die Unterschiede zwischen den Generationen zu kennen – die Unterschiede in den Lebensbedingungen. Dabei macht Schwarzer, die nach wie vor als führende Intellektuelle Deutschlands bezeichnet wird, auch nicht die beste Figur. Sie klebt seit der Gründung der Zeitschrift Emma auf dem Sessel der Chefredakteurin. Der zaghafte Versuch eines Generationenwechsels wurde 2008 schon nach acht Wochen abgebrochen. Emanzipation – ja, das Werden, nicht nur von Mann und Frau, sondern überhaupt – ist damit weniger eine Frage der Geschlechter, als eine Frage der Generationen. Das hingegen ist wohl die älteste Geschichte, nicht nur der Menschheit, sondern der organischen Natur generell. ...Emanzipation! Besonders im Kontext der Zeitschrift Rosa, die unter der neuen Redaktion auch Rot geworden ist, muss Emanzipation bedeuten, nicht nur feministisch, sondern auch links – eben progressiv – zu denken. Das hiesse dann, sowohl gesellschaftliche Schieflagen als auch gewisse wirtschaftliche Missstände, wie die veralteten Steuerregime westlicher Staaten, anzuprangern. Das würde vielleicht auch bedeuten, dem unseligen Karrieregedanken einmal abzuschwören und das Konkurrenzdenken sein zu lassen. Es kann eben keinesfalls darum gehen, dass Frauen innerhalb des gegenwärtigen Wirtschaftssystems in sogenannte Männerdomänen eindringen. Wäre das berufliche Fortkommen nicht mehr auf Gedeih und Verderb mit einem 100%Pensum verbunden, würde die Karriereorientiertheit der Männer (und auch die der Frauen) wohl automatisch schwinden. Im Gegenzug gäbe es mehr Raum und Zeit, das So sehe ich das. ◆ 31 RosaRot Nr. 47 RosaRot Nr. 47 Girls Drive ?! Nein danke, ich geh lieber zu Fuss! Kennst du Girls Drive ? Seit über einem Jahr liegt die Zeitschrift an der Uni Zürich und anderen Hochschulen auf. Was daherkommt wie eine hippe Annabelle, will uns Studentinnen die Emanzipation als neoliberales Karrieretool verkaufen. von DZ Augen und Nase sind diabolisch schwarz bemalt, der Mund skelett- oder narbenartig gezeichnet. Ich muss an Corpsepaint, die Gesichts- und Körperbemalung im Metal denken. Hier aber mischt sich eher GothicChic-Ästhetik mit Ethno-Folklore. Die Kinnpartie des Gesichts ist überschrieben mit «Honduras», und weiter: «Karriere im brutalsten Land der Welt». Tatsächlich habe ich mir im Zusammenhang mit Honduras noch nie karrieretechnische Überlegungen gemacht – möglicherweise also eine vorurteilsfreie und originelle Herangehensweise an das mittelamerikanische Land? Ich schlage die Zeitung auf und tauche hinter den zartrosa gehaltenen Seiten und grossen schwarzen Lettern ab. Pause am Deutschen Seminar der Uni Zürich. Ich schlendere die Treppe hinunter und bleibe wie immer vor dem roten Sideboard mit seiner kunterbunten Auslegeordnung an Flyern, Agenden und Magazinen stehen. Mein Blick schweift über das Zettelsammelsurium und bleibt auf einem Stapel ordentlich platzierter Zeitschriften ruhen. Girls Drive?! Dieses Magazin habe ich noch nie gesehen, dabei gehe ich doch fast täglich hier ein und aus. Mein Herz schlägt schneller. Endlich ein Frauenmagazin an der Uni! Ich schnappe mir ein Exemplar und setze mich auf die Treppenstufen vor dem Hauseingang. Girls Drive – das Karrieremagazin für Studentinnen mit Drive entpuppt sich als Zeitung im grossen Tabloidformat. Ich halte die Ausgabe No. 4 in den Händen. Ein düsteres Gesicht blickt mir frontal entgegen, 32 Freiwillige Milizionärinnen met wird. Dass den durch Patriarchat und Kapital gestützten Unternehmensstrukturen durch Freiwilligenarbeit der «Studentinnen» – es ist das erste und einzige Mal in diesem Editorial, dass ein generisches Femininum verwendet wird – beizukommen sei, ist jedoch ein Argument, das mir beim besten Willen nicht einleuchten will. Was uns freiwillig nicht gegeben wird, dafür müssen wir freiwillig arbeiten?! Das stinkt irgendwie nach marktkonformer Selbstoptimierung. Soziale und strukturelle Probleme, welche nicht zuletzt gehäuft auch an diversen Bildungsinstitutionen und in der Forschung zu finden sind, bleiben dabei auf der Strecke. Ungleichheit, Misserfolg und Armut muss in einer entsolidarisierten Gesellschaft halt jedeR für sich ertragen. Der Tauchgang währt nicht lange. Bereits im Editorial stolpere ich über das generische Maskulinum und das emphatische «Engagiert euch!», mit dem die «Investorin und Philanthropin» Carolina Müller-Möhl uns Studentinnen die Freiwilligen- bzw. Gratisarbeit im Dienste der Gesellschaft schmackhaft machen will. Dabei weist Müller-Möhl, die u.a. Mitglied der Verwaltungsräte NZZ AG, Bertelsmannstiftung und Avenir Suisse ist, löblicherweise darauf hin, dass der Grossteil der unbezahlten Arbeit in der Schweiz noch immer von Frauen verrichtet wird. Diesen Umstand gilt es aber anscheinend weder genauer zu beleuchten noch kritisch zu hinterfragen. Vielmehr schliesst Müller-Möhl ihr Editorial folgendermassen: Die Aussage «junge Frauen, die sich nicht mehr mit dem Wertekanon ‹Kinder, Kirche, Küche› abfinden wollen» zeugt daneben von zweierlei: Zum einen ist dieser Satz Hohn in den Ohren unserer feministischen Vor- und Mitstreiterinnen, denen ebendieser Wertekanon unterstellt wird, und verkennt damit die gefochtenen Kämpfe und die Emanzipationsbestrebungen in verschiedensten gesellschaftlichen – auch theologischen! – Bereichen der vergangenen sechzig Jahre komplett. Zudem negiert dieser Satz die selbstbestimmte Handlungsfähigkeit jener jungen Frauen, die sich sehr wohl mit ihrem Glauben, dem Muttersein und der Haushaltsarbeit auseinandersetzen und identifizieren können. «Kinder, Kirche, Küche» wird hier mit Rückständigkeit und Naivität assoziiert, wohingegen aufgeklärte Studentinnen ganz dem protestantischen Arbeitsethos verpflichtet werden: Ihr seid erfolgreich, weil ihr so hart arbeitet. Und dieses ganze «freiwillige» Engagement muss uns auch noch Spass machen! Da kommt mir die Frage, ob frühe gesellschaftliche Zwänge und Konventionen nicht ehrlicher waren: Zumindest wusste frau, wogegen sie sich wehren kann. «Solange die Vereinbarkeit von Beruf und Familie noch immer auf den hinteren Rängen der politischen Agenda figuriert, solange es immer noch mühsam ist, als top ausgebildete Frau mit Kindern Karriere zu machen und auf den Chefetagen immer noch eine männliche Monokultur herrscht, sind wir nicht da, wo wir hinkommen wollen und hingehören. Gerade Studentinnen und junge Frauen, die sich nicht mehr mit dem Wertekanon ‹Kinder, Kirche, Küche› abfinden wollen, sind gefordert, sich für ihre Interessen einzusetzen. Nicht nur in Wahlen und Abstimmungen, sondern auch als freiwillige ‹Milizionärinnen›, um einzufordern, was uns freiwillig nicht gegeben wird. Generationen von Frauen haben das Terrain schon vorbereitet. Und sie haben viel erreicht. Mit Hartnäckigkeit, aber auch, weil es Spass macht, sich zu engagieren.» (GD No. 4, 2) Ganz zu Recht analysiert Müller-Möhl, dass die Vereinbarkeit von Familie und Beruf ein drängendes politisches Problem ist, dem noch immer viel zu wenig Aufmerksamkeit und vor allem zu wenig Tatendrang gewid33 RosaRot Nr. 47 RosaRot Nr. 47 Female High Potentials es auf kapitalistisch-konventionellem oder unkonventionellem Wege (für letzteres wird in Girls Drive No. 4 Gabriela Manser, die CEO von Goba Schweiz AG, ins Feld geführt – sie hat nicht studiert). In den Girls Drive-Mediadaten 2014, welche auf der Website zugänglich sind, wird das Programm des Magazins folgendermassen umschrieben: Zwei Momente dürfen meines Erachtens dabei jedoch nicht unterschlagen werden: Indem eine junge Generation sich abgrenzt, schliesst sie auch immer an bestehende Umstände an. Nur wenn frau mit diesen vertraut ist, vermeidet sie, stets wieder in die gleichen Fallen zu tappen. Als zweites Moment gilt es zu betonen, dass Frauen in politischen wie wirtschaftlichen Chefpositionen – das Maskulinum ist hier bewusst gewählt – vor allem dann Anerkennung finden, wenn sie bewusst ‹männliche› Attribute an den Tag legen. Oder aber, ein Argument neueren Datums: Sie wirtschaften ethisch-sozialverträglich und entscheiden ‹weiblich›. So oder so bewegt frau sich in patriarchal geprägten Gefilden und muss darum doppelt aufmerksam sein bezüglich historischen wie strukturellen Bedingungen, denn: Erlaubt ist, was nicht stört! Nicht zuletzt scheint es dem Girls Drive doch nicht allzu weit her zu sein mit den Kaderfrauen: Die Zeitung ist ein Tochtermagazin von Ladies Drive – das Businessmagazin für Ladies mit Drive. Beide Zeitschriften werden zwar redaktionell von Frauen geleitet, der Vorsitzende der Swiss Ladies Drive GmbH, welcher die Businessmagazine angehören, ist jedoch mit Sebastian Treibel als ‹General Manager› (oder CEO) ein Mann (s. Mediadaten 2014). «Warum braucht es ein Karrieremagazin für Studentinnen? 1. Es gibt noch keines! 2. Frauen stellen die Mehrheit der UniAbgänger 3. Junge Frauen suchen nach neuen Rollenvorbildern 4. Die Wirtschaft braucht Female High Potentials 5. Und: Junge Karrierefrauen wünschen sich mehr als Ausgeh- oder Fashionmagazine.» Wir Studentinnen sind hier also (in der Reihenfolge des Auftretens): Frauen, UniAbgänger, junge Frauen, Female High Potentials, junge Karrierefrauen. Geht es hier wirklich um weibliche Studierende? Ein auffällig geschlechter-unsensibler Sprachgebrauch, scheint mir. Sodann wird suggeriert, dass wir jungen Frauen neue Vorbilder bräuchten, welche uns in Girls Drive in Form diverser Porträts erfolgreicher CEOs und Karrierefrauen angeboten werden. Falls dies ein unterschwelliges Plädoyer für mehr Frauen in Kaderpositionen sein sollte, wäre auch verständlich, warum Girls Drive vom Gleichstellungsbüro des Kantons Zürich unterstützt wird. Aus feministischer Perspektive scheint es mir aber zunächst einmal fraglich, ob wir jungen Frauen diesem Bedürfnis der neoliberalen Marktwirtschaft überhaupt entsprechen wollen. Vor allem aber wehre ich mich explizit dagegen, dass dies nur durch einen Bruch mit bestehenden Frauenvorbildern vonstatten gehen könne. Ich sehe sehr wohl ein, dass viele junge Frauen sich erst dann trauen, Karriere zu machen, wenn sie sehen, dass dies überhaupt möglich ist – sei Tu mehr! Besser! Was in diesem Karrieremagazin für Studentinnen mit Drive vorherrscht, ist die penetrante Pflicht zu einem Erfolg, der sich an rein wirtschaftlichen Leistungsprinzipien bemisst. Frauen, die berufstätig sind und Kinder haben, scheinen in dieser Zeitungswelt eigentlich nicht vorgesehen – ganz zu 34 weil sie mit einer ahistorischen Haltung einhergeht, die die Geschichte der Frauenemanzipation leugnet. Während die androzentrische Geschichtsschreibung oftmals als eine der ‹grossen Figuren und Helden› erscheint, lässt sich die ‹Frauengeschichte› nicht ohne Berücksichtigung von Familie und Gemeinschaft schreiben – ganz einfach deshalb, weil sie über lange Zeit der den Frauen zugewiesene Arbeitsort der Reproduktion war und über weite Strecken immer noch ist. Die Geschichte dieser marginalisierten Orte müssen wir kennen, denn sie prägen unsere potentiellen Vorbilder. Das «Female High Potential» ist also nicht an der dünnen Luft oberhalb der vielbeschworenen ‹gläsernen Decke› zu finden, sondern liegt in den Untiefen der Geschichte begraben. Ein Karrieremagazin, das sich ganz und gar dem neoliberalen Erfolgsversprechen verschreibt, hilft uns jungen Frauen und Studentinnen weder im familiären noch im universitären Alltag. Im Gegenteil: Es beschreibt die Möglichkeiten des Frauseins entlang des immer gleichen Paradigmas, innerhalb dessen die Emanzipation, wenn überhaupt, dann als Karrieretool nützlich ist. Wenn eine «Studentin mit Drive» zu sein bedeutet, meine Mitfrauen rechts liegen zu lassen, dann gehe ich aber lieber zu Fuss. ◆ schweigen von Frauen, die keine Karriere machen wollen. Was stattdessen in Girls Drive propagiert wird, ist das Bild junger, wissbegieriger Frauen, die sich arbeitswillig, flexibel und genussvoll dem Credo von «Mehr Engagement!» unterwerfen; oder, wie es andernorts in den Mediadaten auch heisst: «Tu mehr! Besser!». Dazu passt, dass wir jungen Frauen uns heute anscheinend nicht mehr auf Familien- und Gemeinschaftsstrukturen verlassen dürfen, denn wer will sich schon mit «Kinder, Kirche, Küche» abfinden? Stattdessen wissen wir selbst viel besser, was uns heute bei Prüfungsstress und anderen Angstzuständen hilft: «Mini-Meditation, der kleine Helfer fürs Studium», den wir «ohne grossen Zeitaufwand und jederzeit spontan» anwenden können (GD No.4, 26). Zeit zum Reden oder für eine beruhigende Umarmung bleibt uns Studentinnen im Bologna-Strudel sowieso nicht mehr. Auch andere zwischenmenschliche Kontakte haben scheinbar keinen intrinsischen Wert mehr: «Nutzt jede Chance, interessante Menschen kennenzulernen, diese Kontakte zu etablieren und als Investition in euer späteres Job-Netzwerk zu sehen» (GD No.4, 40). Es ist diese Entsolidarisierung, welche zwischen den Zeilen der Texte in Girls Drive mitschwingt, die mich aus meinem Tauchgang in die rosige Buchstabenflut fluchtartig wieder aufsteigen lässt. Frauengeschichte(n) Im Weltbild von Girls Drive sind Frauen ökonomische Faktoren, die nur als solche Handlungsfähigkeit besitzen: Arbeitet mehr, konsumiert besser! Das einzige, was hier zählt, ist der individuelle berufliche Erfolg, den sich jede Frau selber schmiedet – ohne dass der Gedanke an eine politische Solidarisierung der Frauen auch nur gestreift würde. Diese Entsolidarisierung ist meines Erachtens nur möglich, 35 RosaRot Nr. 47 RosaRot Nr. 47 A PERSON THESE ARE THE MES You may think I’m a person Tall, and somewhat fat, You might think I’m your girlfriend, But, in fact, I am a cat. Out of sight, I’m sleek and wild And quick, and keen, and free. But at home I am your little pet, And I’m – meow – hungreee… I’ll find the warmest spot to sit And rub you till I’m fed. I’ll demurely endure all your stroking And I’ll sometimes climb into your bed. I’ll roll over and purr; when it suits me I’ll act cute, and I’ll pounce and I’ll play But soon as I have had my fill I’ll up and go away. Because without an open window, A house just ain’t a home And I’d sit before the door and claw And make sure you hear me moan. But give me a flap and I’m happy I will always come back to your house – ’cause if it’s true I can come and can leave as I please. Then I might even bring you a mouse. These are the mes I would like you to meet. I’ll introduce my egos in their character conceit. We exist together pleasantly, each holds an equal place But who knows which is here right now, looking through this face? There’s one who wears the outfit with the ‘S’ upon her chest She’s everyone’s favorite, does everything best, She doesn’t ever make mistakes, or feel any pain, She has no room for insecurity or doubt or fear or shame. That one always carrying ’round a concrete block, Wearing dirty dungarees and a patent pair of Docs – She’s strong, a survivor, she always comes through. She can dig, she can lift things, and she doesn’t need you. There’s one in all the black clothes who’s covering her face, standing in the background, who won’t impose upon the space. She’s low key and on tiptoes – she hardly dares to breathe. She’s grateful and takes up much less than she needs. And looking up with large eyes and a practiced little pout Is the one who needs you to sort everything out. She’s dizzy and clumsy, forgetful and shy Don’t slip up and defy her cause she’s guaranteed to cry. The one with ample bosom and wide open arms Gives dozens of cuddles, she comforts and calms. She will listen without judgment, she will soothe out all your woes, She doesn’t have a single thing that others need to know. von R The one in the all rainbow clothes, the hair dye and the wings, Who jumps around in somersaults and shouts out loud and sings – She is queer, she is crazy, she is often undressed, She is unperturbed by any dare – don’t put her to the test. And somewhere there’s a teacher who looks down her nose at you And anything that you’ve done, you can bet she’s done it too. She is tight with information, she can make you feel quite small But beware if she is watching you and doesn’t speak at all. But the one of me who’s lonely, and terrified, and weak, We voted her out years ago – she isn’t here to speak. She’s hurting and she’s ugly and she’s wounded and she’s plain, But we sent someone to look for her. She might show up again. von R 36 37 RosaRot Nr. 47 Männer zerstäuben Sex und Macht in Katy Perrys Dark Horse I knew you were / You were gonna come to me / And here you are / But you better choose carefully / ‘Cause I am capable of anything / Of anything and everything. von EZ Im Song Dark Horse singen Katy Perry und Juicy J über eine gefährliche Frau, die einen Mann hemmungslos verführt. Der Videoclip inszeniert den Song als altägyptisches Spektakel, in dem fünf Männer nacheinander einer Königin prunkvolle Geschenke vor den Thron bringen: einen faustgrossen Diamanten, erlesene Speisen, einen goldenen Wagen, Schalen voller Schmuck und eine gigantische goldene Pyramide. Die Königin nimmt die Geschenke mit gierigem Blick entgegen, lässt daraufhin die Verehrer zu rotem Staub zerfallen und verwandelt sie in einen Gegenstand, den sie gerade begehrt: ein Schmuckstück, einen Wasserkelch, einen dekorativen Anhänger, ein goldenes Handtäschchen, einen hechelnden Schosshund mit Menschenkopf. Katy Perry nimmt sich alles, was sie will – rücksichtslos, gierig und launisch. eine Frau einen Mann1 mit ihren Reizen verführt und an sich bindet, während er ihr vollkommen ausgeliefert ist: Make me your Aphrodite / Make me your one and only / But don’t make me your enemy / Your enemy, your enemy. Die Rolle der Verführerin ist auf die Anziehungskraft zugespitzt, die sie auf den Mann ausübt; ihre eigene, nicht auf den Mann bezogene Persönlichkeit, ist ausgeblendet. Die sexuelle Anziehungskraft der Frau wird über die magic im Pre-Chrous besungen: So you wanna play with magic / Boy, you should know what you’re fallin’ for / Baby, do you dare to do this / ‘Cause I’m coming atcha like a dark horse.2 Der Chorus Are you ready for ... a perfect storm3 ... cause once you’re mine ... there’s no going back verweist wiederum auf die überwältigende Macht, die die Frau über den Mann ausübt. Aus dem Luststurm der Katy Perry gibt es kein heiles Entkommen: Mark my words / This love will make you levitate / Like a bird / Like a bird without a cage / But down to earth / If you choose to walk away / Don’t walk away. Dem Mann bleibt keine andere Möglichkeit, als ihr vollkommen zu verfallen: It’s in the palm of your hand now, baby / It’s a yes or a no, no maybe / So just be sure / Before you give it all to me / All to me / Give it all to me. Unwiderstehliche Verführerin In Kunst, Literatur, Musik und Film gibt es verschiedene Tropen, die um die Frau als Verführerin kreisen: die ‹Lolita›, die ‹Femme Fatale›, der ‹Vamp›, die ‹Schwarze Witwe›... Ihnen allen ist gemeinsam, dass 39 RosaRot Nr. 47 RosaRot Nr. 47 Ägyptische Körper Juicy J tritt nicht als einer der Könige auf, die Katy Perrys Macht ausgeliefert sind. Nachdem er von zwei katzenköpfigen Dienerinnen aus einem Sarkophag ausgepackt wurde, tanzt Katy Perry an der Pole-Stange mit ihm. Während seiner Rap-Einlage ist sie nicht nur Königin, sondern auch seine Club-Tänzerin. Sonnenaufgang in Memphis, Egypt, a crazy long time ago. Auf einer ägyptischen Barke sich räkelnd, ahmt Katy Perry in Profilhaltung antike Relief-Gestalten nach. In verschiedenen extravaganten und lasziven Posen inszeniert sie sich als Kleopatra: Sie hält sich ein Horusauge vors Gesicht, Hieroglyphen schweben um sie herum, ihr sphinxartiger Thron schleudert tödliche blaue Blitze aus den Augen und spricht mit tiefer Stimme den letzten Satz des Chorus: There’s no going back. Lebensgefährliche Lust Dass der Song eine Phantasie für Männer ausmalt, wird auch im Rap von Juicy J deutlich. Anders als Katy Perry singt er über seine eigene Erfahrung in dieser wilden Affäre; mit you wird aber wie im ersten Song-Teil ein heterosexueller Mann als Zuhörer impliziert. Zunächst einmal wird Perrys Mords-Performance im Bett beurteilt: She’s a beast / I call her Karma / She’ll eat your heart out / Like Jeffrey Dahmer.4 Juicy J erteilt sich selber (und implizit seinem Zuhörer) den Rat, vorsichtig mit seiner Partnerin umzugehen: Be careful / Try not to lead her on / Shorty5 heart is on steroids / ‘Cause her love is so strong. Ihre Lust ist so stark, dass sein Herz das fast nicht mitmacht. Wer sich mit ihr einlässt, sollte sich nicht einbilden, er könne ihr seine Gefühle nur vorspielen: You may fall in love when you meet her / If you get the chance, you better keep her / She’s sweet as pie, but if you break her heart / She’ll turn cold as a freezer. Auch Katy Perry kann blaue Blitze schmettern. In ihren verschiedenen Verkleidungen und Posen sind Göttlichkeit und Menschlichkeit vermischt. Auf ihrer Barke und auf dem Thron ist sie von Dienerinnen umgeben, die hautenge goldene Kleider und Katzen-Masken tragen. Die männlichen Körper sind ebenfalls sexualisiert. Die nackten Oberkörper der männlichen Sklaven sind mit blauer oder roter Farbe bemalt. Der adlerköpfige Gott im Götterrelief hat einen ausgeprägten Sixpack. Die Könige ihrerseits sind mit goldenem Prunk ausgestattet. Sie wirken gegenüber der Königin unterwürfig und ergeben. Ihre Körper werden spielerisch zu rotem Staub und in verschiedene Gegenstände verwandelt. Zum Schluss besteigt Katy Perry eine goldene Pyramide, die sich unter stürmisch wirbelnden blau-pinken Wolken zum Himmel erhebt, während der letzte König als hechelndes Schosshündchen zurückbleibt. In dieser hoffnungslosen Lage kann mann eigentlich nur noch zur Gewalt greifen: That fairy tale ending with a knight in shining armor / She can be my Sleeping Beauty / I’m gon’ put her in a coma. Die Frau in ein Koma zu versetzen, erscheint Juicy J als die einzige Möglichkeit, in dieser verhängnisvollen Machtkonstellation wieder die Oberhand zu gewinnen. Aber er ist ihr doch schon zu sehr verfallen: Now I think I love her / Shorty so bad, sprung and I don’t care / She ride me like a roller coaster Die Objektifizierung der Männerkörper täuscht zwar visuell eine Umkehrung der patriarchalen Geschlechterverhältnisse vor. Tatsächlich geschieht die Umkehrung der Machtbeziehungen jedoch nicht: In Song und Clip wird eine auf den männlichen Zuschauer zugeschnittene Phantasie illustriert. Der einzige Körper, der im Videoclip nackt gezeigt wird, ist der von Katy Perry. 40 / Turned the bedroom into a fair / Her love is like a drug / I was tryna hit it and quit it / But lil’ mama so dope / I messed around and got addicted. Der Song endet mit dem Chorus – der Mann bleibt gefangen – there’s no going back. Subjekten zu einem Geschehen zwischen einem Subjekt und einem Objekt bei. In dieser Konstellation kann keine Gegenseitigkeit mehr stattfinden: Das (weibliche) Subjekt wird zum passiven Gegenstand der (Liebes-)Handlungen des (männlichen) Subjekts. Diese strukturelle Verschiebung wird besonders im Songtext von Dark Horse, aber auch im Videoclip an verschiedenen Stellen sichtbar. Obwohl die strukturellen Voraussetzungen scheinbar umgekehrt werden, indem die Verführerin Katy Perry die zentrale Figur des Songs spielt, dreht sich tatsächlich alles um you – den männlichen Gesangspartner und den impliziten männlichen und heterosexuellen Zuhörer. In Song und Clip spielt Katy Perry also eine Rolle in einer Männerphantasie, in der sie sich selber zum Objekt macht: Juicy J vergleicht seine Sehnsucht nach Katy Perry damit, einem kannibalischen Mörder zum Opfer zu fallen. Um sich aus dieser für ihn offenbar viel zu intensiven Beziehung zu befreien, erwägt er, sie wie Sleeping Beauty (Dornröschen) in ein Koma zu versetzen, um als knight in shining armor der Geschichte zu entkommen. Diese Stelle ist besonders brisant, weil sie auf die weltweite Problematik des Femizids verweist. Das Narrativ des Mannes, dem aus einer Liebesbeziehung, als deren Opfer er sich sieht, nur der Ausweg der Ermordung der Frau bleibt, ist als Legitimierung für Gewalt an Frauen stark verbreitet. Dass dieses Narrativ auch den Mann klischiert, zeigt, dass die Subjekt-Objekt-Verschiebung auch für das ‹Subjekt› der Beziehung negative Konsequenzen hat. Dialektik des Liebesspiels Songtext und Videoclip zelebrieren in einer gigantischen Metapher das spannungsvolle Spiel der Verführung. Dies macht den Song zu einem Ohrwurm und den Clip zu einem opulenten visuellen Erlebnis. Umwerben und Umworben-werden, Begehren und Begierde, Verführen und Verschlungenwerden – all dies wird im Clip in Bildern ausgemalt, ohne dass direkte sexuelle Handlungen zu sehen sind. Stattdessen wird Katy Perry von den Männern mit auserlesenen Geschenken umworben. Mit diesen dürfen sie sich ihr nähern, setzen sich dabei jedoch ihrer Launenhaftigkeit aus, die sofort umschlägt, wenn sie erhalten hat, was sie wollte. Wenn beim Mann nichts mehr zu holen ist, wird er kurzerhand selber in ein Accessoire verwandelt. So ist alles, was von ihm übrigbleibt, ein Spielzeug für Katy Perry – und ein Häufchen roter Sand. Die Metaphorik der Verführung als Austausch von Geschenken hat von alters her Dichter_innen inspiriert. Ihre exzessive Verwendung hat nicht nur in der Popkultur zum Klischee der Frau geführt, deren Zuwendung nur durch teure Geschenke zu erwerben ist und auch auf diese beschränkt bleibt. Dieses Klischee ist seit langem gesellschaftlich akzeptiert und wird z.B. in der Werbung der Schmuck- und Parfümindustrie weiter tradiert. Die exzessive Verwendung der Metapher hat jedoch noch eine weitere schwerwiegendere Konsequenz: Sie trägt zur Verwandlung des Liebesgeschehens als einem Geschehen zwischen zwei Juicy J ringt in seiner Rap-Einlage mit Katy Perrys Leidenschaft, richtet seine Ratschläge jedoch stillschweigend auch an den männlichen Hetero-Zuhörer. Damit impliziert er, dass auch dieser solch eine Affäre mit Katy Perry erleben könnte. Mit dem Rat Try not to lead her on – ‹versuche, ihr keine 41 RosaRot Nr. 47 RosaRot Nr. 47 falschen Gefühle vorzuspielen› – vermittelt er der Zuhörer_innenschaft, dass heterosexuelle Männer grundsätzlich mit Frauen nur ins Bett wollen, und ihnen zu diesem Zweck Gefühle nur vorspielen. Mit diesem Rollenbild wird das Handlungsspektrum von Männern im Umgang mit ihren Emotionen dramatisch eingeschränkt. religiöser Strang weit besser bekannt ist. Als Beispiel sei hier nur die Strategie vieler christlicher Konfessionen erwähnt, unter Berufung auf biblische Stellen Frauen von kirchlichen Leitungsfunktionen fern zu halten. Die übermässige Verwendung von Geschlechterstereotypen in der gesellschaftlichen Kommunikation hat direkte Konsequenzen für das Selbstverständnis von Frauen und Männern heute. Die ärgerliche Frage bleibt, warum viele Sängerinnen und Schauspielerinnen sich auf solche Darstellungen ihres Geschlechts einlassen – ja, sie sogar mitproduzieren. Ich sehne mich nach einem Mainstream-Pop, der das Spiel der Verführung auch ohne diese Stereotypen erlebbar machen kann. So schwierig wäre das nicht: Wie wär’s zum Beispiel, wenn sich im Videoclip nicht nur Männer, sondern auch Frauen in Katy Perry verlieben würden? Oder wenn Juicy J seine Verzweiflung nicht in Morddrohungen ausdrücken müsste? ◆ Das Spiel der Stereotypen Flirt, Verführung, Sex und Liebe geschehen nicht in einem Machtvakuum – gerade das macht sie reizvoll, im echten Leben ebenso wie in Geschichten, Filmen und Liedern. Song und Clip von Dark Horse positionieren sich jedoch in einem popkulturellen Mainstream, der Liebe und Sex plakativ auf ein heteronormatives Geschehen reduziert und Geschlechterstereotypen tradiert, die von Feministinnen seit langem denunziert werden. Durch das Setting des Videoclips im Alten Ägypten werden diese Rollenbilder zusätzlich zementiert. Nicht nur wird ein längst obsoletes Bild des ‹geheimnisvollen Alten Ägyptens› abgerufen. Durch die Projektion in eine vergangene oder zukünftige Kultur erhalten bestehende Geschlechterstereotypen zusätzliches, mythisches Gewicht. Die reaktionäre und stereotype Darstellung von Frauen ist in vielen Bibel-, Heroen- und Science-Fiction-Filmen symptomatisch. Damit situieren sich diese Filme stillschweigend in einen Diskurs, dessen Anmerkungen Prism, Katy Perrys drittes Studio-Album, wurde am 22. Oktober 2013 veröffentlicht. Eine glänzende Quelle für feministische Medienkritik ist Anita Sarkeezian's Youtube-Kanal feminist frequency. Diese Tropen sind grundsätzlich heterosexuell ausgerichtet, da sie innerhalb der patriarchalen Dialektik Frau– Objekt / Mann–Subjekt konstruiert sind. 2 Ein dark horse ist ein unbekanntes Pferd, das bei Pferderennen die Berechnungen der Wettenden zunichte macht. 3 Die Redewendung perfect storm bezeichnet einen apokalyptischen Zerfall des Kosmos, der durch das Zusammenfallen verschiedener Komponenten ausgelöst wird. 4 Jeffrey Dahmer war ein amerikanischer Serienmörder, der 1978–91 siebzehn Männer und Jungen vergewaltigt, ermordet und verstümmelt hat. Zu seinen Verbrechen gehörten auch Nekrophilie und Kannibalismus. Juicy J spielt mit der Redewendung she eats my heart out, was ‹sich nach jd. verzehren› bedeutet: ‹Sie isst mein Herz wie Jeffrey Dahmer›. 5 Shorty ist ein Slang-Begriff für einen ‹Grünschnabel›. Damit bezeichnet Juicy J sich selbst. 1 42 «Das Spiel aller Frauen» Die Protagonistin Iris Vegan verliert sich in Siri Hustvedts Roman Die unsichtbare Frau fast bis zur Auflösung in Männerblicken. Eine Reflexion über die weibliche Subjektposition. von ANS tion, weibliche Begehrensstrukturen, über «weibliche Neugierde und männlichen Fetischismus»2, über die Nicht–Repräsentierbarkeit des Weiblichen in einer männlich dominierten Sprache und Kultur, über das Leiden an der unausweichlichen Unterwerfung unter diese Ordnung. Diesen Themen möchte ich in diesem Essay nachgehen. Ich habe lange keine Romane mehr gelesen. Das Studium hat sie mir ausgetrieben. Ich las die grossen Philosophen, politische und ästhetische Schriften. Ab und zu Gedichte. Aber kaum Romane, und schon gar keine ‹Frauenliteratur›. Dann habe ich Siri Hustvedt entdeckt, von der ich lediglich wusste, dass sie die Frau von Paul Auster ist, ebenfalls schreibt und dass ihre Bücher (zumindest die deutschen Ausgaben) mit klischeeversprechenden Buchdeckeln und -titeln versehen sind. Eine Freundin, auf deren Geschmack und Intellekt ich mich verlasse, lieh mir What I loved von Siri Hustvedt. Ich las das Buch in zwei Nächten. Danach wollte ich mehr und fand ein unscheinbares Bändchen mit dem Titel Die unsichtbare Frau. So kam es, dass ich mich mit Iris Vegan, der Heldin aus Siri Hustvedts Romandebut, identifizierte. Ich liess es geschehen. Ich liess mich – um mit Iris’ Worten zu sprechen – von diesen «Fiktionen infizier[en]»1. Es ist diese Nähe, dieses Wiedererkennen von Eigenem in dieser Geschichte, die mich veranlasst zu fragen, ob Iris’ Geschichte nicht auch eine grössere, allgemeinere Erzählung beinhaltet; eine Erzählung über die weibliche Subjektposi- Weibliche Neugierde und männlicher Fetischismus Im ersten Teil des Romans lässt sich Iris Vegan, Doktorandin in Literatur, aus Geldnöten für ein etwas seltsames, morbides Projekt eines gewissen Mr. Morning einspannen. Iris soll die Gegenstände, die dieser in Schachteln aufbewahrt, detailliert beschreiben und auf Tonband sprechen – für sechzig Dollar pro Schachtel und Gegenstand. Die Gegenstände (ein Handschuh, ein Wattebäuschchen u.ä.) gehörten einer jungen Frau, die bis zu ihrem Tod in demselben Haus wie Mr. Morning wohnte. Er ist überzeugt davon, dass sie den ‹Abdruck› dieser Frau tragen, 43 RosaRot Nr. 47 RosaRot Nr. 47 «den Abdruck eines warmen lebendigen Körpers auf die Welt.» Um die Lebendigkeit dieser Dinge zu erhalten, steckt er sie in Schachteln. Iris soll ihm nun dabei helfen, «die Fragmente einer unbegreiflichen Existenz zusammenzufügen», indem sie die Gegenstände mit einer flüsternden, jeglicher Individualität beraubten Stimme beschreibt, damit sie sich in ihrer «Reinheit» und «Nacktheit» entfalten können. Iris ist zugleich fasziniert und abgestossen von diesem Projekt. Aus Neugierde beginnt sie zu recherchieren, wer diese junge Frau war, und findet dabei heraus, dass diese ermordet und Mr. Morning des Mordes verdächtigt wurde. Als sie Mr. Morning damit konfrontiert, antwortet dieser: «Ich glaube, Sie haben das Wesen Ihrer Aufgabe nicht ganz verstanden. Ich habe Sie gerade deswegen engagiert, weil Sie nichts wissen. Ich habe Sie engagiert, damit Sie sehen, was ich nicht sehen kann, weil Sie sind, wer Sie sind.» Iris, Neugierde und ihr Interesse haben in diesem Projekt keinen Platz. Sie ist Platzhalterin für das Phantasma eines Mannes, der glaubt, das Wesen einer Frau zu ergründen, indem er es auf Gegenstände reduziert und eben darin verfehlt und zu sehen verweigert.3 einen Radiergummi von sich und einen falschen Namen zurück. Begehren und Begehrtwerden Iris scheint Männer, die sie für ihre Zwecke einspannen, geradezu anzuziehen. Der zweite Teil des Romans erzählt von der Dreierbeziehung zwischen Iris, ihrem Freund Stephen und dem Fotokünstler George. Iris’ Liebesbeziehung zu Stephen ist keine auf Augenhöhe. Stephen bezeichnet sie als «offenes Buch» während er sich selbst verschliesst und ihr «zu glatt[e], zu vollständig[e]» Geschichten erzählt, die sie immer wieder nach den «Löchern» fragen lässt. Ihre Gespräche erschöpfen sich für Iris in «Zeile[n] aus Groschenromanen» und «vorgefertigte[n] Antwort[en]». Sie fühlt sich verwundbar und beeinflussbar: «Ihn reizte die Vorstellung, er könne mein Begehren manipulieren. Jedenfalls befürchtete ich das. Was mich anwiderte, war, dass ich an dieser undurchsichtigen Beziehung beteiligt war. Ich hatte sie gesucht, und meine Motive waren konfus.» Gemäss Lacans Freud-Lektüre verleugnet der Fetischist den Mangel des Phallus der Frau, indem er einen symbolischen Ersatz für den fehlenden Phallus findet.4 Damit verleugnet er nicht nur die Andersheit der Frau, sondern auch seinen eigenen Mangel, mit dem sie ihn in ihrer Andersheit konfrontiert. Denn mit dem Penis ‹besitzt› der Mann den Phallus, der ihn vollständig machen würde, nur vermeintlich – im Imaginären. Indem Iris’ Neugierde auf den «nekrophilen Fetischismus»5 eines Mannes trifft, bedient sie dieses Phantasma (und ihr eigenes) und schreckt zugleich davor zurück. Am Ende des ersten Teils wirft Iris die Gegenstände der toten Frau mitsamt dem Lohnscheck von Mr. Morning weg und lässt ihm – auf seine Bitte hin – nur Iris erkennt also, dass sie das Manipuliertwerden durch andere (Männer) sucht und geniesst, auch wenn sie darunter leidet. Beschimpft und «klein gemacht zu werden», gibt ihr das Gefühl, geliebt zu werden.6 Iris geniesst es, begehrt zu werden und macht sich dazu immer wieder zum Objekt des Begehrens eines anderen – zu dem, was dem anderen fehlt und in ihr zu finden glaubt. So bemerkt sie einmal luzide: «Sie [die Jungen] suchten alle nach einem Objekt, und einige von ihnen dachten, ich wäre es. [...] [Sie] bettelten um irgendein geheimnisvolles Geschenk, von dem sie glaubten, ich könnte es ihnen geben. Aber ich hatte es nicht – das, was sie wollten.» 44 Der zerstückelte Körper keinen Moment lang zweifelte ich, dass es real war. Das Loch wuchs, verzehrte das linke Auge und die Nase, und dann kam die Furcht, kalt und absolut, ein so tiefes Entsetzen, dass es eine Art Lähmung bewirkte. Ich war starr. [...] ich beobachtete, wie das Loch den Rand des Bildes verschluckte. Ich hatte Angst um meine Finger, dachte aber nicht daran, das Foto fallen zu lassen. Es war mit meinen Händen verbunden, war Teil meiner Gliedmassen, und dann war ich blind.» Dass dieses Objekt-Werden fatale Folgen haben kann, zeigt Iris’ Begegnung mit dem Fotokünstler George, von dem sie vermutet, dass er eine heimliche sexuelle Beziehung mit ihrem Freund Stephen lebt. Aus Neugierde und von der erotischen Ausstrahlung Georges angezogen, lässt sich Iris auf ein Fotoshooting mit ihm ein. Dabei entdeckt sie die Lust «angesehen zu werden» und gerät in einen ekstatischen, tranceartigen Zustand, indem sie sich voll und ganz dem Blick des Fotografen hingibt. Das einzige Foto, bei dem es sich – gemäss George – wirklich um Kunst handelt, ist eine Aufnahme, die Iris’ Körper nur fragmentarisch zeigt: «Die Aufnahme zeigte nicht meinen ganzen Körper. Ich war unter den Brüsten abgeschnitten, und meine ausgestreckten Arme waren am Ellbogen abgetrennt. Fotos werden auf alle möglichen Arten gestutzt, und die Ergebnisse sind selten verstörend. Der Betrachter ergänzt die fehlenden Teile. Aber dieses Bild war anders. [...] ich hatte, den furchtbaren Eindruck, dass die Teile von mir, die nicht im Bild waren, wirklich fehlten.» Das Bild entwickelt aber auch ein Eigenleben in dem Sinne, dass es ohne Iris’ Zustimmung und angeblich ohne Georges Wissen in Umlauf gerät. Plötzlich wird Iris von fremden Männern auf das Bild angesprochen. Iris entwickelt die Idee, sie sei zum «Tauschobjekt»9 geworden, und Stephen sei von Anfang an in Georges Plan eingeweiht gewesen.10 Als sie George damit konfrontiert, weicht ihr dieser aus. Er hält es für sich als Künstler für legitim, Iris’ Bild neben demjenigen einer Epileptikerin, deren Anfall er zufällig auf der Strasse fotografierte, in einer Galerie auszustellen. Damit fügt er sich ein in die Reihe der männlichen Voyeuristen und Fetischisten in Iris’ Leben.11 Iris’ Körper hat er durch seine Fotografie zerstückelt: Rumpf, Hände, Beine, Unterleib sind abgeschnitten, was wie schon bei Mr. Morning als Verweigerung betrachtet werden kann, die Frau in ihrer Andersheit zu sehen.12 Iris wird als (Partial-)Objekt gesehen und gebraucht, nicht als Subjekt – was auch erklärt, weshalb sich Iris selbst auf dem Bild nicht erkennt. Iris fühlt sich von George nicht nur «beraubt», sie erkennt sich auf der Fotografie selbst nicht wieder, während andere sie auf der Fotografie als Iris erkennen. Dies stürzt sie in eine fundamentale Krise der Grenzenthebung zwischen Bild und Körper, Fiktion und Realität. Wie Elisabeth Bronfen in ihrem Essay zu Siri Hustvedt, Paul Auster und Sophie Calle überzeugend zeigt, beginnt Iris «[...] ganz im Sinne der klassischen Hysterikerin [...] jene unsaubere Schnittstelle zwischen Fiktion und Realität, die das Foto für sie markiert, am eigenen Leib nachzuempfinden.»8 Iris entwickelt eine Reihe von Symptomen und Halluzinationen. Das Foto erhält für Iris ein Eigenleben: «Das Bild veränderte sich. [...] [ich bemerkte] ein kleines schwarzes Loch im Gesicht. [...] Es war vorher nicht da. Aber ‹Diskurs des Hysterikers› Iris’ Migräneattacken und Halluzinationen führen schliesslich zur Hospitalisierung, wo sie sich in die Hände des «Kopfschmerz-Zar[en]» Dr. Fish, eines hoch angesehenen Spezialisten für neurologische Leiden, begibt.13 Von diesem verspricht sie 45 RosaRot Nr. 47 RosaRot Nr. 47 gesellschaftlichen Ordnung zu konfrontieren und andererseits besonders gefährdet ist, ein psychosomatisches Leiden zu entwickeln.18 sich nach dem erfolglosen Aufsuchen einer Reihe anderer Ärzte endlich Hilfe, konfrontiert ihn jedoch gleichzeitig mit seiner Unzulänglichkeit und Unmöglichkeit, die Ursache ihres körperlichen Leidens zu erklären. Bin ich ein Mann oder bin ich eine Frau? Wie schon im Zusammenhang mit dem Fetischisten Mr. Morning, dem voyeuristischen Fotografen George und mit Stephen, an dessen Begehren sich Iris ausrichtet, zeigt sich auch hier Iris’ ambivalente Haltung: Einerseits bedient sie das Begehren von Dr. Fish, indem sie ihn an den Platz des Wissenden setzt und sich als (Untersuchungs)Objekt zur Verfügung stellt.14 Andererseits fordert sie ihn heraus und konfrontiert ihn mit seinem Mangel, für den Iris’ rätselhafte Symptome und Halluzinationen als Beweis fungieren: «Dr. Fish war ein Mann, der Erfolge liebte. Er liebte sie so sehr, dass er mir, bevor ich im Krankenhaus landete, sagte, es ging mir besser, wenn es mir schlechter ging, und jetzt, wo es mir offensichtlich nicht besser ging, mied er mich. Ich war das Symbol seines Versagens geworden, ein widerspenstiger Körper, eine Verhöhnung seiner medizinischen Überlegenheit.» Auch im vierten Teil gerät Iris an eine Reihe von (wissenden?) Männern. So etwa an Prof. Michael Rose, für den sie als Assistentin zu arbeiten beginnt. Die Arbeiten lassen sie ebenso kalt wie ihre früheren Recherchen für den Medizinhistoriker Dr. Rosenberg – bis sie damit beauftragt wird, die Geschichte Der brutale Junge zu übersetzen. «Etwas an der Geschichte, etwas in ihr war wahnsinnig aufregend, und es hat auf uns übergegriffen», wird Iris später zu ihrem Liebhaber Michael Rose sagen. Während der Übersetzungsarbeiten beginnt Iris, sich mit dem Jungen Klaus Krüger aus der Geschichte zu identifizieren. So sehr, dass sie nachts zu Klaus wird und als Mann durch das nächtliche New York zieht – ebenso wie Klaus getrieben von «perverse[n] Impulse[n]», etwas «Irrationales zu tun». Diese Konstellation erinnert an Lacans ‹Diskurs des Hysterikers›, in dem sich ein Subjekt an einen ‹Herren› wendet, dem es ein Wissen unterstellt und von dem es etwas wissen will, während es diesen ‹Herren› jedoch gleichzeitig mit seiner Unzulänglichkeit konfrontiert.15 Iris’ Symptome können also in diesem Zusammenhang nicht nur als Ausdruck eines inneren Konflikts zweier widerstreitender Begehren verstanden werden.16 Sie weisen auch auf die Löchrigkeit des ‹Symbolischen›17 hin, von dem das System der empirischen Wissenschaft und der medizinischen Sprache Teil ist, und das hier von Dr. Fish verkörpert wird. Zu fragen bleibt, inwiefern Iris als Frau einerseits dazu prädestiniert ist, andere mit dieser Löchrigkeit unserer Wie schon bei Iris’ körperlicher Reaktion auf das Foto scheinen sich für Iris auch hier die Grenzen zwischen Fiktion und Realität zu verwischen. «Du weißt genausogut wie ich, dass man keine Grenzen ziehen kann, dass wir ständig von allen möglichen Fiktionen infiziert werden, dass es unvermeidlich ist», sagt Iris später zu Michael Rose. Sie magert ab, schneidet sich die Haare kurz und zieht die Kleider eines fremden Mannes an. «Ich war dieser Junge. Woher er kam, wusste ich nicht. Klaus war vor langer Zeit an einem unterirdischen Ort, den ich nicht erreichen konnte, konstruiert worden.» Nach Freud ist es unmöglich geworden, in Iris’ Ausdruck des «unterirdischen Orts» nicht eine Metapher für das Unbewusste zu 46 Mit dieser Entdeckung ihrer Weiblichkeit ändert sich auch Iris’ Beziehung zu Männern. Ein letztes Mal lässt sich Iris auf eine dieser Grenzerfahrungen ein, die sie stets gesucht und gefürchtet, genossen und erlitten hat. Auf dem Weg zu ihrer Wohnung lässt sich Iris von Michael Rose die Augen mit einem Tuch verbinden, das er ihr geschenkt hat. «Wie ein Kind hatte ich das Gefühl, dass meine Blindheit mich verschwinden oder die Grenzen meines Körpers verschwimmen liess.» Dieses zunächst harmlose Kinderspiel, das dem Roman im Original auch seinen Namen gibt (The Blindfold) kann als Metapher verstanden werden für Iris’ Phantasie, sich dem männlichen Blick als Objekt des Begehrens komplett auszuliefern und dadurch als Subjekt, als Zurückblickende und Erwidernde zu verschwinden. vermuten. Mit dem luziden Satz drückt Iris aus, dass sie etwas Männliches in sich trägt, für das Klaus nur Repräsentant ist und dem sie in ihren nächtlichen Verwandlungen Ausdruck verschafft und nachforscht. Nach Lacan kennt das Unbewusste kein Geschlecht.19 Das Subjekt nimmt lediglich auf der Ebene der symbolischen Ordnung die Position ‹Mann› oder ‹Frau› ein.20 Und selbst diese Positionierung ist eine unsichere Angelegenheit. Da es keinen Signifikanten der Geschlechterdifferenz gibt, der es erlauben würde, ‹Mann› oder ‹Frau› vollständig zu symbolisieren, sieht sich das Subjekt dazu gezwungen, sein Geschlecht immer wieder aufs Neue zu befragen.21 Die Frage, die Iris umtreibt und auf die sie sich von ihren nächtlichen Streifzügen als Klaus Krüger eine Antwort erhofft, ist die Frage der Hysterikerin: «Bin ich ein Mann oder eine Frau?» und genauer: «Was ist das, eine Frau zu sein?»22 Eine wirkliche Antwort auf diese (unbewussten) Fragen findet Iris konsequenterweise weder im fiktiven Klaus Krüger noch beim Kunstkritiker Paris (der mit seinen Anspielungen vermutlich wesentlich zu Iris’ Verwandlung in Klaus beigetragen hat). Und auch nicht bei ihrem Liebhaber Prof. Michael Rose, der sie dazu bringt, ihre nächtlichen Streifzüge als Klaus aufzugeben. Dennoch scheint sich im Laufe des Buches Iris’ Haltung zu sich selbst und ihre Beziehung zu Männern zu ändern. Was als erotisch verspielte Geste beginnt, endet für Iris mit der erschreckenden Begegnung mit einem komplett Anderen. Michael Rose drängt sie gegen ihren Willen zum Geschlechtsakt, schlägt und beschimpft sie als «Hexe». Iris erkennt eine unüberbrückbare Kluft zwischen sich und diesem Mann, und die beiden trennen sich. Am Ende des Buches macht der exzentrische Kunstkritiker Paris Iris ein eindeutiges Angebot: «Bist Du nicht neugierig?» Iris schlägt das Angebot aus und als Paris seinerseits physischen Druck auf sie ausübt, rennt sie davon «[...] als wäre der Teufel hinter [ihr] her.» Wohin sie rennt, wissen wir nicht. Vielleicht ist sie dabei, Frau zu werden – in dem Sinne, dass sie ihre Weiblichkeit, ihre Andersheit anderen, aber auch sich selbst gegenüber, erkennt und als Möglichkeitsraum annimmt. Das Spiel aller Frauen Iris wird es möglich, die Lust an ihrer ‹Weiblichkeit› zu entdecken, die sie als «Spiel aller Frauen» erkennt, in dem sie sich verlieren kann. Weiblichkeit als lustvolles Spiel zu erleben scheint mir eine komplett andere Erfahrung zu sein, als sich dem Begehren eines anderen zu unterwerfen und zu seinem Objekt zu werden. Zum Schluss am Rande: Siri Hustvedt, die ihrer Heldin den Namen Iris – ein Anagramm von Siri – gegeben hat, hat Die unsichtbare Frau übrigens ihrem Mann, Paul Auster, gewidmet. Eine unerhörte Botschaft? ◆ 47 RosaRot Nr. 47 RosaRot Nr. 47 Die Schöne und das Biest Oder: Frau werden ist ein psychischer Prozess, der Zeit braucht Anmerkungen 1 Wenn nicht anders angegeben, stammen alle Zitate aus: Hustvedt, Siri: Die unsichtbare Frau. Deutsch von Uli Aumüller. 11. Auflage. Rohwolt Taschenbuch Verlag. Reinbek bei Hamburg 2012. 2 Bronfen, Elisabeth: Männlicher Wissensdurst, weibliche Neugierde: Überkreuzte double games von Siri Hustvedt, Paul Auster und Sophie Calle. In: Crossmappings. Essays zur visuellen Kultur. Scheidegger & Spiess. Zürich 2009, S. 173. 3 Siehe dazu auch: ebd. S. 167. 4 Evans, Dylan: Wörterbuch der Lacanschen Psychoanalyse. Turia und Kant. Wien 2002, S. 100. 5 Bronfen 2009, S. 167. 6 Iris: «Seine Gegenwart liess mich schrumpfen, und obwohl ich mich darüber ärgerte, freute ich mich auch auf dieses Gefühl, kleingemacht zu werden [...] Ich kann unmöglich sagen, warum diese Beschimpfung mir das Gefühl gab, geliebt zu werden, aber es war so.» 7 Siehe dazu auch: Bronfen 2009, S. 168. 8 Ebd. 9 Ebd. 10 Iris’ Vorstellung, ein Tauschobjekt zu sein, erinnert auch an Lacans frühe Schriften, in denen er in Anlehnung an Lévi-Strauss die Schwierigkeit der weiblichen Subjektposition darin sieht, dass sie in die Position eines Tauschobjektes gedrängt wird und dazu (als Tauschobjekt, als Signifikant, der zwischen verschiedenen Familienverbänden zirkuliert) «zur symbolischen Ordnung eine Beziehung zweiten Grades hat» (zitiert nach Evans 2002, S. 103). 11 Siehe dazu auch: Bronfen 2009, S. 168. 12 Ebd. 13 Interessanterweise bringt Iris ihre Symptome selbst mit ihrer Lektüre über eine Adelige aus dem 18. Jahrhundert in Verbindung, die über zwanzig Jahre an Kopfschmerzen gelitten haben soll. Auch dies ist ein Beispiel für die ausgeprägte Wechselwirkung zwischen Fiktion und Realität in Iris’ Erleben. Interessant wäre es, der Frage nachzugehen, inwiefern es sich bei (psychosomatischen) Symptomen immer auch um eine Form der Kulturleistung handelt. 14 Iris: «Dr. Fish war zuversichtlich, und ich glaubte ihm halbwegs. In Wahrheit beteiligte ich mich an dem Betrug.» 15 ‹Der Diskurs des Hysterikers› ist einer von vier Diskursen, die Lacan entwickelt hat, um verschiedene soziale Bindungen oder intersubjektive Beziehungen zu charakterisieren (siehe dazu Evans 2002, S. 78–81). Der ‹Diskurs des Hysterikers› muss jedoch von der Hysterie als neurotische Struktur unterschieden werden (ebd. S. 137). 16 Evans 2012, S. 302. 17 Das ‹Symbolische› bezeichnet eines der drei Register (Symbolisches, Imaginäres und Reales) in Lacans Denken. Die ‹symbolische Ordnung› kann hier, sehr stark vereinfacht, als Bereich der Kultur mit ihren Gesetzen und ihrer Sprache verstanden werden. Siehe dazu auch: Evans 2002, S. 298–301. 18 Den Hinweis darauf, dass die notwendige Unterwerfung des Subjekts unter eine männliche, phallozentrische Sprache und Kultur für die weibliche Subjektposition mit einem «Selbstkannibalismus» (Tove Soiland) einhergeht und damit Aufschluss über die grosse Verbreitung psychosomatischer Leiden bei Frauen geben könnte, verdanke ich Tove Soiland. 19 Siehe dazu: Evans 2002, S. 117–122. 20 Ebd. 21 Ebd. 22 Ebd. S. 137. 48 Ausgehend von der mittelalterlichen Erzählung Der Rosendorn wird das Verhältnis von Sexualität und Ästhetik psychoanalytisch betrachtet. Dabei wird aufgezeigt, wie wir Prozesse der Aneignung und Integration von Geschlecht zur Bildung der eigenen Geschlechtsidentität alternativ zu populären Gendertheorien begreifen können. von MG wissen, und nachdem das kleine zottelige Ding noch einmal frech seinen Anteil an Ehre und Anerkennung fordert, wird es von der Herrin zum Teufel gejagt: «Geh weg, du verfluchtes schwarzes Ungeheuer, stachelig wie ein Meermonster. Du pist gruilich geschaffen.» Als ich vor über 20 Jahren auf der Suche nach einem Thema für meine Dissertation war, stiess ich in einer spätmittelalterlichen Märensammlung auf eine Geschichte, die mich seltsam berührte: Der Rosendorn erzählt die Geschichte einer jungen Frau, deren Genitale eines Tages zu sprechen beginnt. Es beklagt sich bitterlich darüber, dass es vernachlässigt werde: Von all den Zuwendungen, in deren Genuss ihre Herrin komme, werde ihm gar nichts zuteil – und dies, obwohl man sie, die junge Dame, überall nur seinetwegen begehre. Die Schöne blickt verwundert an sich hinab und erschrickt zutiefst über das, was sie dort am eigenen Leib entdeckt: Nein, das konnte unmöglich sein, dass so ein hässliches, schwarzes, haariges Ding der Grund für die Verehrung der Männer war – «viel eher müsste ich mich schämen, würde man dich sehen.» Die Fut versucht sich treuherzig zu verteidigen, lobt die makellos hellrosa schimmernde Haut ihrer Herrin, meint aber, dass der braune Pelz ihr auch nicht schlecht stehe: «Denn jedes Ding soll man nach der Farbe loben, die zu ihm passt.» Davon will die Schöne aber gar nichts Unter Tränen trennt sich die Fut von ihrer Herrin und versucht ihr Glück bei den Männern alleine. Doch es wird ihr schlecht gelohnt: Wo immer man sie erblickt, hält man sie für eine Kröte und tritt sie mit Füssen. Der Herrin aber ergeht es nicht viel besser: Kaum hatte sich herumgesprochen, dass ihr das Ding zwischen den Beinen fehlt, wurde sie als die Fudlose verlacht. Man begann, den Blick von ihr abzuwenden und tat, als ob man sie gar nicht mehr sähe. Beide sind zutiefst unglücklich und wünschen sich nichts sehnlicher, als einander wieder zu finden. Als sie sich tatsächlich nach einem Jahr just an der Stelle, an der sie sich getrennt hatten, wieder begegnen, sind sie überglücklich und beschliessen, einander nie mehr zu verlassen. 49 RosaRot Nr. 47 RosaRot Nr. 47 Literarische Gestaltung einer genuin weiblichen Erfahrung – oder doch bloss eine Männerphantasie? Also raut ich ainem ietlichen man, / der ie liebes weib gewan, / das er seinem weib / nagle die fud zu dem leib, / das ir die fud icht entrinn, / oder er ist versaumpt seiner minn. Dieser erzählerische Rahmen erlaubt es, die Geschichte vom Rosendorn als eine Männerphantasie zu lesen, als eine Geschichte von und für Männer geschrieben, die – so meine damalige Interpretation – das Ambivalente und Konflikthafte, das mit Geschlecht und Sexualität verbunden ist, an die Frau delegiert und es dort abhandelt und bannt. Damit, so meine Kritik, wird ein Bild der Frau konstruiert, das sich denkbar schlecht dazu eignet, Anerkennung und Integration von Geschlecht und Sexualität auf der Seite der Frau zu fördern. Nun lassen sich Geschichten bekanntlich auf ganz verschiedene Arten und Weisen lesen. Als ich mich damals entschloss, den Rosendorn zum Ausgangspunkt einer kulturwissenschaftlichen Studie zur Repräsentation des weiblichen Genitales zu machen, standen für mich ganz klar kulturkritische Interessen im Vordergrund. Es ging mir um die Kritik an einer Kultur, welche die Darstellung des weiblichen Genitales entweder vollständig tabuisierte oder aber diese nur zuliess, wenn es sich um Bilder monströser Hässlichkeit handelte. Dann machte ich aber eine interessante Erfahrung. Wenn ich die Geschichte erzählte, fiel der Erzählrahmen logischerweise weg. Dann war eben ich die Erzählerin, und die Erzählung bekam eine ganz neue Bedeutung, entfaltete eine ganz andere Wirkung: Der Rosendorn entpuppte sich als eine Erzählung, die meine ZuhörerInnen ganz offensichtlich berührte, sie in Kontakt mit eigenen, schwierigen Gefühlen brachte, und vor allem: sie damit nicht alleine liess, sich nicht damit begnügte, diese schwierigen Gefühle darzustellen und ins Bewusstsein zu heben, sondern diese als Ausgangspunkt eines Prozesses darstellte, in dessen Verlauf eine Entwicklung stattfindet und der Konflikt überwunden wird. Gerade dieses letzte Moment – die glückliche Wiedervereinigung der Frau mit ihrem Geschlecht – schien mir ganz entscheidend wichtig dafür, dass die Geschichte auch bei meinen ZuhörerInnen einen Prozess in Gang zu setzen vermochte und eine transformative Kraft mit ermächtigender Wirkung entfaltete. Der Rosendorn eignete sich ganz prima für einen solchen kritischen Zugang, und dies umso mehr, als die allegorische Geschichte vom Streit zwischen weiblicher Schönheit und Sexualität in eine geradezu voyeuristische Erzählperspektive eingebettet ist: Ein Ich-Erzähler berichtet, wie er sich einem Rosengarten nähert, durch eine kleine Öffnung schaut und beobachtet, wie eine junge Frau sich in den Garten begibt und im Rosentau badet. Dabei geschah es – so berichtet er weiter – dass ein Zauberkräutlein das Geschlecht der Schönen berührte, worauf dieses zu Reden anfing… Am Ende der Geschichte wendet sich die junge Frau nach der glücklichen Wiedervereinigung mit ihrem Geschlecht mit einer doppelten Bitte an den Erzähler: Er möge dafür sorgen, dass sie ihr Geschlecht nie mehr verliere, und er möge aller Welt berichten, dass sie jetzt keine Fudlose mehr sei: do tet ich des si mich bat: / hinwider an die alten stat / satzt ich die fud, als ich wol kund. / ainen nagel sazestund / ich vil vast dardurch traib. / die fud immer mer belaib./ 50 Aneignung von Geschlecht als universelle Entwicklungsaufgabe schen Konflikte her betrachtet – weniger auf die Tatsache, dass eine Gesellschaft stets regulierend und normierend auf das Individuum einwirkt und dieses, wie wir zu sagen pflegen, damit subjektiviert. Die entscheidende Frage scheint vielmehr zu sein, inwiefern die spezifische Art und Weise, in der eine bestimmte Gesellschaft das tut, dazu geeignet ist, das Individuum bei der Bewältigung seiner psychischen Konflikte zu unterstützen oder eben nicht: Welche Regulierungen sind hilfreich und wirken progressiv? Welche wirken zusätzlich belastend und hemmen oder erschweren die individuelle Konfliktlösung? Welche stehen im Dienste des Individuums und fördern Identität und Integration, Autonomie und Handlungsfähigkeit? Welche wirken entfremdend, ausbeuterisch und isolierend, etc.? Beantworten lassen sich diese Fragen nicht absolut, sondern stets nur im Rahmen eines bestimmten historisch-gesellschaftlichen Kontextes. Der Rosendorn wurde für mich damit zu einer Erzählung, die es mir ermöglichte, Frauen in Kontakt mit etwas zu bringen, worüber sie bisher meist mit niemandem gesprochen hatten – und es in vielen Fällen vermutlich sich selbst gar nie recht klar gemacht hatten: das höchst ambivalente Verhältnis zu ihrem eigenen Genitale. Die Frage aber, woher dieses ambivalente Verhältnis kommt und weshalb es für viele Frauen offensichtlich so schwierig ist, ihr Genitale ins eigene Selbstbild zu integrieren, ist damit noch nicht beantwortet. Handelt es sich um einen Konflikt, der gesellschaftlich eingepflanzt wird? Ist er ein Effekt weiblicher Sozialisierung? Ist die Jahrhunderte alte Tradition der tabuisierenden und abwertenden Darstellung der Vulva daran schuld? Oder gibt es dafür genuin psychische Gründe? Die schützende Funktion von Scham Ich persönlich gehe davon aus, dass die Aneignung und Integration von Geschlecht eine universelle Entwicklungsaufgabe ist, bei der psychische Konflikte sozusagen vorprogrammiert sind und damit unvermeidlich. Die wissenschaftliche Grundlage für diese Annahme ist die über Jahre gewachsene Einsicht in die spezifische Eigengesetzlichkeit psychischen Funktionierens. Die Konflikte selbst können deshalb nicht einfach auf das Konto einer regulierenden und normierenden Gesellschaft verbucht werden. Wie gut oder schlecht deren Bewältigung gelingt, scheint nun aber von verschiedenen – individuellen und kulturellen – Faktoren abhängig zu sein. Hier spielt die Gesellschaft m.E. tatsächlich eine bedeutende Rolle – aber anders, als wir uns dies gewöhnlich vorstellen: Denn der kritische Punkt bezieht sich – vom Standpunkt der individuell zu bewältigenden psychi- Dieser Ansatz hat für mich heuristischen Wert – es geht mir nicht darum zu beweisen, dass es so ist, wie ich annehme. Er erfüllt seinen Zweck, wenn er mir erlaubt, die Probleme, die sich mir stellen und die ich mir zu untersuchen vorgenommen habe, besser zu verstehen oder neu zu formulieren. Seine Plausibilität hingegen steht und fällt mit der Frage, ob es mir gelingt zu erklären, was ich mit der Eigengesetzlichkeit des psychischen Funktionierens meine. Für mein eigenes Verständnis genuin psychischer Prozesse entscheidend war die Auseinandersetzung mit dem Phänomen der Scham. Dabei interessierte mich vor allem der Umstand, dass die Scham im Deutschen nicht nur ein bestimmtes Gefühl bezeichnet, sondern auch als Bezeichnung des weiblichen Genitales dient. Ich begann mir auch Gedanken darüber zu machen, woher 51 RosaRot Nr. 47 die Genitalscham kommt, die, wie wir wissen, zwar eine anthropologische Universalie ist, aber dennoch nicht von Geburt an vorhanden. Dabei entdeckte ich, dass Scham nicht nur das Gefühl ist, das wir empfinden, wenn wir nicht comme il faut sind, also aus dem normierenden Rahmen der Gesellschaft herausfallen oder uns als sonst wie defizient empfinden, sondern dass Scham psychogenetisch betrachtet zunächst einfach das Resultat eines inneren Regulierungsprozesses ist, der dafür sorgt, dass wir psychisch im Gleichgewicht bleiben. wir in der Pubertät und frühen Adoleszenz von Mädchen häufig beobachten und in der Geschichte vom Rosendorn in einer Art und Weise literarisch verarbeitet wurde, die uns heute noch anspricht. Entwicklung ist ein Prozess, der Zeit braucht Im Rosendorn ermöglichte die Trennung zwischen der jungen Frau und ihrem Genitale den für den psychischen Reifungsprozess benötigten Aufschub. Die negative ästhetische Besetzung erwies sich somit als funktional und passager, das Genitale konnte seiner sexuellen Funktion entsprechend anerkannt und ins Selbstbild integriert werden. Wie auch immer sich dieser Prozess ‹im richtigen Leben› vollzieht: ob still und unbemerkt, weil relativ konfliktfrei, oder als etwas, was mit diffusem Unbehagen oder exzessiven Schamgefühlen einhergeht – Aneignung und Integration von Geschlecht ist ein Prozess, der m.E. zentral zum Frau werden gehört (genauso notabene wie zum Mann werden, nur stellen sich hier die zu lösenden Konflikte etwas anders dar). Es handelt sich um einen psychischen Prozess, der Zeit braucht und kulturell in geeigneter Form unterstützt werden sollte. Eine entscheidende Rolle bei diesem Erkenntnisprozess spielte eine Passage aus Freuds Drei Abhandlungen zur Sexualtheorie, die ich zwar schon zigfach gelesen haben musste, ohne dass ich sie für die Themen, mit denen ich beschäftigt war, produktiv machen konnte. Die Passage findet sich in der zweiten Abhandlung, in der sich Freud mit der kindlichen Sexualität auseinandersetzt. Er fragt sich, was mit denjenigen sexuellen Regungen passiert, die das Kind zwar empfindet, die für dieses aber aufgrund der noch fehlenden körperlichen und psychischen Reife «unverwendbar» sind und deswegen «Unlustempfindungen hervorrufen». Die Psyche, so Freud, reagiert darauf, indem sie «seelische Gegenkräfte» mobilisiert, «die zur wirksamen Unterdrückung solcher Unlust die erwähnten psychischen Dämme: Ekel, Scham und Moral, aufbauen». Zu ergänzen ist, was Freud hier auslässt, aber an der «erwähnten» Stelle zusätzlich nannte und für die Probleme, mit denen ich mich beschäftigte von besonderer Bedeutung war: die Ästhetisierung als ein weiterer Mechanismus der Gegenbesetzung von unverwendbaren sexuellen Regungen. Damit habe ich plötzlich die innere Gesetzmässigkeit verstanden, die es mir erlaubte, zwei scheinbar disparate Phänomene miteinander in Verbindung zu bringen: Die Genitalscham als Resultat einer regulären kindlichen Strukturbildung und die negative ästhetische Besetzung des Genitales, die Inwiefern unsere Kultur das tut und was eine ‹geeignete Form› der Unterstützung sein könnte, ist Gegenstand meiner aktuellen Forschungsarbeit. Es handelt sich um eine kulturkritische Analyse, die ein ganz anderes Erkenntnisinteresse hat und von ganz anderen Voraussetzungen und Kriterien getragen wird als meine frühe, gesellschaftskritische Analyse des Rosendorns, die zwar vermutlich irgendwie richtig war, aber nichts bewirkte. Auch Erkenntnisprozesse brauchen ihre Zeit. ◆ Der Rosendorn, in: Hanns Fischer (Hg.): Die deutsche Märendichtung des 15.Jahrhunderts, München 1966. 52 RosaRot Nr. 47 RosaRot Nr. 47 Morgentoilette von FW geschnarcht diese Nacht. Nun ja, wird wohl so gewesen sein. Wird sich auch kaum ändern in Zukunft. Ich drücke meine Zigarette aus, küsse meine Frau ins braungraue Haar und gehe unter die Dusche. Meinen Körper seife ich nur knapp ein. Er ist zu hart, zu muskulös, zu kantig, überall sind Haarstoppeln. Nach kurzer Zeit verlasse ich die Duschwanne wieder. Ein Badetuch um die Hüfte gewickelt, beginne ich vor dem Spiegel den Rasierschaum auf Gesicht und Hals zu verteilen. Den elektrischen Braun-Rasierer verwende ich schon länger nicht mehr. Einerseits störte sich meine Frau ständig an den Bartstoppeln im Waschbecken. Andererseits bevorzuge ich das Gefühl der kühlen Klinge auf meiner Haut und das kratzige Geräusch, welches entsteht, sobald die Klinge die dicken Haare durchtrennt. Es gibt Tage, an denen wachsen meine Barthaare so stark, dass ich meine 10-Uhr-Pause und meinen Mittag etwas nach hinten schiebe, um mich auf der Toilette unbemerkt ein zweites oder drittes Mal rasieren zu können. Mir ist es unangenehm, wenn die Stoppeln durchs Make-up 5.47 Uhr – Ich lehne mich zum Küchenfenster raus und ziehe an meiner ersten Zigarette. Den Rauch atme ich langsam aus; beobachte, wie er sich sanft mit den Nebelschwaden vermischt und fast unmerklich davonschwebt. Eine kühle Brise streichelt meine Hand. Ich giesse mir eine Tasse Filterkaffee ein und zünde eine zweite Zigarette an. Mir ist kalt. Dennoch spreize ich meine Beine und die Kälte des Windes dringt durch meine Pyjamahose. Meine Morgenlatte beginnt langsam zu erschlaffen. Früher habe ich mir morgens oft einen runtergeholt – in dieser Beziehung dachte ich sehr pragmatisch. Jetzt gehe ich nicht mal mehr duschen mit einem Ständer. Weiss nicht mehr, wann sich das dieses Verhalten einzuschleichen begann. Ich mag dieses Ding weder anfassen noch anblicken. Ich mag meinen Schwanz nicht. Ist irgendwie ’n Fremdkörper geworden. Meine Frau setzt sich frisch geduscht und angekleidet zu mir. Sie meint, ich hätte 54 spriessen und einen Bartschatten werfen. Nur eine glatte, frisch rasierte Haut fühlt sich richtig, fühlt sich weiblich an. ist. Ich weiss dann nicht so recht, was ich machen soll. Ich fühle mich erniedrigt. Sie sieht mich nackt, lechzt nach meinem Kolben und ich will mich am liebsten ausm Staub machen, weil mir bewusst wird, was mir blüht – aber das kann ich nicht so einfach. Das kann ich nicht so einfach... Meine Frau kann schliesslich nichts dafür, dass ich mich als Frau fühle – in einem Frauenkörper leben will. Erst seit ich ihr das vor etwas mehr als zehn Monaten anvertraut habe, will sie überhaupt Sex im Stile einer Vergewaltigung haben. Als ob sie mir das abverlangt, nur um die letzten Tropfen meiner verschwindenden Männlichkeit zu ergattern. Ich höre, wie meine Frau nach den Schlüsseln kramt. Sie ist aufm Sprung. Ich hoffe, sie kommt sich nicht von mir verabschieden, während ich noch im Bad bin. Eigentlich weiss sie, dass ich es nicht aushalte, wenn sie mich so sieht – ganz ungeschminkt, mit blossem Oberkörper und flacher Brust. Im Alltag trage ich bereits Silikonimplantate im BH. Ich schäme mich, wenn ich als Zwischenwesen vor ihr stehe. Nicht Mann – das war ich im Grunde nie – und auch nicht Frau. Halb geschminkt, halb nackt. Nur – wir haben gestern miteinander geschlafen... Manchmal bildet sie sich am Morgen danach ein, dass ich meinen männlichen Körper doch akzeptieren würde. Ich fühle mich nicht ernst genommen, wenn sie denkt, dass ich durch Sex wieder zum Mannsein finden würde. In ihren Augen ist nach einer solchen Nacht wieder alles wie früher. Ich würde mich nicht mehr so aufwendig zurechtmachen und sie könnte sich deswegen mit einem Kuss von mir verabschieden – obwohl ich noch nicht fertig bin mit meiner Morgentoilette. In der Regel hält sie sich zwar an unsere Abmachung und stört mich morgens nicht im Bad. Aber nach einer durchzechten Nacht missversteht sie die Dinge schon mal. Kaum habe ich mein Gesicht mit einer feuchtigkeitsspendenden Creme eingerieben und die Make-up-Grundierung aufgetragen, höre ich es an der Tür klopfen. Meine Frau ruft mir zu, dass sie mir einen sonnigen Tag wünsche. Durchatmen... Ich höre, wie ihre Schuhe auf dem Parkett klacken und sie die Tür ins Schloss fallen lässt. Schnell steigt sie die Treppe hinunter, ihre Schritte hallen im Treppenhaus nach. Wie sehr ich sie noch immer liebe, trotz aller Schwierigkeiten, die wir gemeinsam durchleben. Manchmal traue ich mich nicht mal mehr sie anzusprechen. So auch gestern Nacht. Meine Frau genoss es sichtlich, als ich sie entkleidete. Mein Blick wanderte voller Bewunderung über ihren Körper. Das Altern hat auch bei ihr einige Spuren hinterlassen, aber ihr geschmeidiger, wohlgeformter Körper gefällt mir noch immer. Ich hasse meine Hülle, alles Materielle an mir. Besonders dieses Ding im Schritt. Wenn ich mit dem Fahrrad unterwegs bin, klemm ich’s mir zwischen die Beine, schiebe das Becken etwas nach hinten und bücke meinen Oberkörper nach vorn. Mein ganzes Gewicht drückt dann drauf. Es schmerzt höllisch, aber ich will meinen Schwanz nicht. Ich ekle mich davor. Der liebgewonnene Schmerz ist Ausdruck dieses Ekels. Eigentlich haben wir ohnehin nur noch selten Sex. Nicht, dass es mir etwas ausmachen würde, sie oral oder mit einem Dildo zu befriedigen, aber sie will mich mit meinem Schwanz. Sie will, dass ich es ihr vaginal besorge. Sie will mir ausgeliefert, mir untergeben sein, mich in sich spüren. Ich soll über sie verfügen. Mir liegt das nicht. Wir begegnen uns nicht mehr auf Augenhöhe und diese Machtspiele sind nicht einvernehmlich. Manchmal trachtet sie danach, dass ich ihr Schmerzen zufüge oder in sie eindringe, obwohl sie seit den Wechseljahren oft nicht feucht genug dafür 55 RosaRot Nr. 47 RosaRot Nr. 47 Während meine Frau vergangene Nacht mit zusammengebundenen Armen nackt auf dem Bett lag und mich zwang, ihre mit aller Kraft zusammengepressten Beine zu spreizen, musste ich immer wieder an meinem Schwanz rumfummeln, damit die Erregung nicht nachliess. Sie lag auf dem Bauch, so hat sie’s zum Glück nicht mitbekommen. Als ich in sie eindrang, wieder ohne dass sie feucht genug gewesen wäre, stöhnte sie laut auf. Wenn ich sie ficke, dann sehe ich mich dort liegen. Es ist mein Körper, der dort liegt. Es ist nämlich ihr Körper, mit dem ich mich identifiziere, nicht meiner, aber das versteht sie nicht. Seit sie sadomasochistische Szenen nachahmen will, kann ich mich jedoch nicht mehr in sie hineinprojizieren, es macht mich keineswegs an. Deshalb die Erektionsprobleme. Nachdem sie bereits ein erstes Mal gekommen war, kniete sie gestern irgendwann vor mir, wollte meinen Schwanz mit ihrer Zunge liebkosen. In vielem komme ich ihr entgegen, aber meinen Schwanz darf sie nicht in den Mund nehmen. Dieser Körperteil gehört nicht zu mir, er gehört auch nicht hingebungsvoll befriedigt zu werden! meinen Schwanz einige Male schnell und heftig in sie hinein. Die Bauchmuskeln meiner Frau zuckten unwillkürlich, kurz bevor sie ein zweites Mal kam. Ich spürte nichts. Nur Ekel vor mir selber. Übelkeit stieg in mir auf. Verharrte einen Moment in ihr, raunte mehrmals laut. Zog meinen Schwanz hinaus, tat so, als ob ich es mit meiner Hand zu Ende führen würde. Sie weiss, dass ich nicht mehr in ihr kommen will. Verschwand ins Bad. Übergab mich leise. Meine Füsse sind kalt. Die Fussbodenheizung im Bad muss ausgefallen sein. Ziehe mir schnell Strümpfe über und schlüpfe in meine kuschlig weichen Pantoffeln. Mit dem Concealer bessere ich die Unebenheiten auf meinem Gesicht nach. Ich greife nach der Wimpernzange. Anstelle von künstlichen Wimpern verleihe ich meinen eigenen eine schön geschwungene Form. Sieht natürlicher aus. Danach trage ich zwei Mal schwarze Mascara auf. Etwas Rouge, ein wenig Lipgloss, zuletzt noch die Frisur. Mein Naturhaar ist leider zu dünn und nicht mehr dicht genug, als dass ich auf eine Perücke verzichten könnte. Meine Kleider liegen auf dem Wäschekorb bereit. Spüle meinen Mund aus, putze mir die Zähne. Betrachte dabei mein Gesicht im Spiegel. Die Blässe und Sorgen werden vom Make-up überdeckt. Ja, so gefalle ich mir besser. ◆ Früher mochte ich es, wenn wir uns gegenseitig geleckt haben, bis wir beide in unseren Mündern gekommen sind. Jetzt verabscheue ich meinen Schwanz so sehr, dass ich nicht mehr kommen will. Und das könnte – seit meine Frau auf jene Art von Sex abfährt – nur noch beim Oralsex passieren. Ich stiess sie also jäh von mir weg. Sie landete rücklings auf dem Bett. Stiess Tat-sächlich Frau von AH Es gibt gute Tage und andere. Heute ein beschissener. Getaktet. Effizient. Gezwungen gesprächig. Höflich. Ich bin hier, dort die anderen und ich bald mehr dort als hier. Körperliche Anstrengung wäre gut, also gehe ich laufen. Mein Puls schlägt hoch, meine Muskeln spielen. Atmen. Ich überquere im Laufschritt die Strasse. Ein Mann kommt mir entgegen. Ein kleiner. Ein junger. Nervös tänzelnd. Spannung. Unsere Blicke treffen sich. Ich gehe zur Seite. Versuche auszuweichen. Und dann der Schlag. Er sitzt. Die Faust trifft mich zwischen Brust und Schulter. Zwischen Selbstbewusstsein und Verletzlichkeit. Stehenbleiben. Ich drehe mich um. Sprachlos. Von hinten sehe ich dieses Würstlein, das zum Ungeheuer wird. Es rennt davon. Wie immer in solchen Situationen fehlt die Schlagfertigkeit. Ich drehe mich wieder um und laufe weiter. Haltung. Vorerst. In den nächsten Minuten versuche ich, die Situation zu begreifen. Chaos im Kopf. Mit jedem Schritt erahne ich zunehmend, was Gewalt gegen Frauen bedeuten kann. Plötzlich fühle ich eine unglaubliche Betroffenheit. Nicht ich wurde geschlagen. Wir wurden geschlagen. Auch wenn ich dazu diszipliniert wurde, nicht in naturalisierenden und homogenisierenden Kategorien zu denken, erlebe ich in diesem Moment eine bis dahin unbekannte Verbundenheit. Differenz und Reflexion sind schlagartig unwichtig. Allein das Gefühl der Solidarität zählt. An und durch meinen eigenen Körper wird plötzlich vieles nachvollziehbar, was vorher abstrakt war. Erstaunen. In mir pocht es. Aufregung. Erfahre ich meine weibliche Identität tatsächlich durch diesen Angriff auf ganz neue Weise? Ich komme an. Hier. ◆ 56 57 RosaRot Nr. 47 AutorInnen AH – Anna Hoj hegt den geheimen Wunsch, mit anderen Ismen den Mainstreamkonstruktivismus des Poststrukturalismus zu überwinden und eine vierte Welle der Frauenbewegung auszulösen. ANS – Anja Nora Schulthess studiert im Master Kulturanalyse, Allgemeine und Vergleichende Literaturwissenschaft und Gender Studies an der Universiät Zürich. AS – Antonia Steger studiert Kulturanalyse und Germanistik, arbeitet nebenberuflich im Ausstellungsbereich und ist hauptberuflich fasziniert von städtebaulichen Fragen, Vögeln und CSS. Seit einem Jahr hat sie die neu erblühte künstlerische Comic-Szene für sich entdeckt und teilt ihre Freude unter www.facebook.com/graphicnovel.ch. CB�SN – Christina Bosbach und Stefanie Neuenschwander kennen sich seit der Kantonsschule, wo sie dieselbe Klasse besuchten. Christina ist 23 Jahre alt, hat Operngesang in Berlin studiert und schliesst im kommenden Semester den Bachelor in Soziologie ab. Stefanie (24) hat den Bachelor in Theologie an der Universität Zürich abgeschlossen und studiert nun im Master Religion und Kultur in Berlin. Beide verbindet die Freude an delikatem Essen, schwerem italienischem Rotwein und gemeinsamen Gesprächen über Gesellschaft, Genuss und Glück. Die fachliche Zusammenarbeit der Freundinnen hat mit diesem Artikel begonnen. CS – Corinna Schaub verstand sich schon lange vor dem Studium in Philosophie und Geschichte als Feministin und tut es auch danach noch, trotz allem und erst recht. DS – Dalibor Suchanek ist Programmierer mit Philosophieabschluss. [email protected] DZ – Dolores Zoe kann sich nicht so recht entscheiden, ob sie arbeits- oder hobbylos sein soll. Umso dezidierter ist sie kritische Feministin, lebenspraktische Dogmatikerin und hoffnungslose Ästhetin. Farbe zu bekennen findet sie wichtig – möglicherweise ist das dem Leben als Stadtkind geschuldet, vielleicht auch der Steinerschule. www.bellelibelle.ch EZ – Evelyne Zinsstag studiert Theologie in Zürich. Nebenbei beschäftigt sie sich intensiv mit Filmen und Serien, YouTube und Social Media – was als Ablenkung begann, ist längst zum Objekt feministischer Analyse geworden. FS – Fabian Schwitter Tafelessig, Wasser, Kochsalz, Senfsamen – wahlweise mit Rosmarin, Feigen oder Knoblauch. Auf speziellen Wunsch mit Meerrettich. Vorzüglich zu Wurst. FW – Frieda Watson (181cm) wuchs in einer Regenbogenfamilie, bestehend aus zwei schwedischen Müttern und zwei schottischen Vätern im Zürcher Oberland auf. Nach dem Abschluss der Klosterschule in Einsiedeln bezog sie ein Baumhaus am Greifensee und liess sich zur professionellen Flohmarktverkäuferin ausbilden. Heute arbeitet sie als Holzschnitzerin, Aktografin und freischaffende Journalistin. LB – Léa J. Burger interessiert sich für (jüdische) Körperrituale und Geschlechterbilder. Derzeit schliesst sie ihr Studium der Religionswissenschaft und Gender Studies an der UZH ab und freut sich auf neue Herausforderungen und mögliche Synergien. MG – Monika Gsell ist Psychoanalytikerin mit eigener Praxis und wissenschaftliche Mitarbeiterin im Fachbereich Gender Studies an der Universität Zürich. Sie ist Autorin des Buches Die Bedeutung der Baubo. Studien zur Repräsentation des weiblichen Genitales (Stroemfeld-Verlag 2001) und hat verschiedene Artikel zur psychischen Bedeutung von Geschlecht veröffentlicht. In ihrer aktuellen Forschungsarbeit beschäftigt sie sich mit unterschiedlichen Formen von chirurgischen Eingriffen in den menschlichen Genitalbereich. R – Rozalin ist Performance- und Seiten-Dichterin aus England. Sie hat mit The Lovely Persons Book of Poems ihre erste Gedichtsammlung veröffentlicht und mehrere kleinere Bücher in limitierter Auflage herausgegeben. Ihre Arbeiten über die verrückten Seiten des Lebens sind charmant und voller Liebe, aber immer aufmerksam, ehrlich und provokant. [email protected] Bilderserie Amazonen Die Amazonen von Monika Hoffmann stammen aus der Serie BCN • 2012, welche im Mai 2012 in Barcelona entstanden ist. Ursprünglich auf der Suche nach Austausch mit lokalen feministischen Gruppierungen begegneten der Fotografin diese feministischen Street-Art-Motive. Die Bilder wurden im August 2012 in Bern ausgestellt und können nun als Unikat-Drucke bestellt werden. Monika Hofmanns neueste Serie Elfen[sch]au ist ab dem 25. August 2014 in der Tapas-Bar Volver in Bern und ab dem 30. September 2014 im Absinthe-Bistrot Die Grüne Fee in Solothurn zu sehen. Monika Hoffmann ist wissenschaftliche Mitarbeiterin am Interdisziplinären Zentrum für Geschlechterforschung der Universität Bern (IZFG). Sie hat Germanistik, Hispanistik und Gender Studies an den Universitäten Bern und Basel studiert. [email protected] von AS 59 ABONNIEREN Sende uns eine E-Mail an [email protected] und wir schicken dir die RosaRot 2x im Jahr direkt in deinen Briefkasten. Abo in der Schweiz 20.– CHF / im Ausland 20.– Euro GönnerInnenabos klein 50.– CHF / gross 100.– CHF alle Preise pro Jahr und inkl. Porto RUF NACH PAPIEREN Wir suchen feministische, essayistische, wissenschaftliche, persönliche, radikale, ironische Artikel sowie literarische, fotografische und künstlerische Beiträge zum Thema Sach- und Lustpolitik für unsere 48. Ausgabe. Wie hast du's mit der Lust? Nach was gelüstet dich? Bist du Lust(ig)? Lust- und Liebesobjekte. Geht Lust immer mit Sache einher? Fetischismus, sexueller Fetisch, Warenfetisch. Sachen, Dinge, Objekte. Bist du Objekt(iv)? Neue Sachlichkeit. Ist Sachpolitik Männersache/Lustpolitik Frauensache? Kann Politik lustvoll sein? Kann es in Bern auch nach Lust und Laune zugehen? Wird unsere Lust geordnet und kontrolliert? Lust und Frust. Zuviel, zu wenig, keine Lust haben. Gibt es gute/richtige/natürliche im Gegensatz zu schlechter/falscher/unnatürlicher Lust? (Feministische) Pornografie in Text, Bild und Film. Und: Ist Feminismus Lust- oder Sachpolitik, oder gar Privatsache? Wir freuen uns auf alle Artikel, die unser Thema in Frage stellen, es auf die Spitze treiben oder es ganz und gar ignorieren. Sende uns deinen Beitrag (max. 14'000 Zeichen, inkl. Leerzeichen) bis zum 06.12.2014 an [email protected].