Villa und Zeile - Armut und Reichtum im Stadtbild
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Villa und Zeile - Armut und Reichtum im Stadtbild
Villa und Zeile - Armut und Reichtum im Stadtbild Dresdens Umschlag: Villa Beutestraße 1, Dresden, 1945 zer- stört Plattenbau in Dresden Johannstadt Technische Universität Dresden Fakultät Architektur Institut für Grundlagen der Gestaltung und Darstellung Professur für Darstellungslehre Prof. Dr. Ing. Niels-Christian Fritsche Seminar Darstellungslehre WS 2006/2007 Dipl. - Ing. Rochus Wiedemer Bildsprache - Map the Rich! Villa und Zeile - Armut und Reichtum im Stadtbild Dresdens Thomas Bache Inhalt Einführung 4 Die Villa 6 Der Zeilenbau 8 Villen in Dresden10 Zeilenbau in Dresden12 Siedlungsstruktur14 Das Nebeneinander im Stadtbild16 Lageplan18 Blasewitz20 Weißer Hirsch22 Klotzsche26 Radeberger Vorstadt28 Seevorstadt30 Gorbitz34 Prohlis36 Resumé38 Quellen 40 Einführung Eine Auseinandersetzung mit Reichtum und Überlegungungen, wie sich dieser räumlich ausprägt, führen zu der Erkenntnis, dass der Begriff eng mit dem Bautyp Villa verbunden ist.Von jeher als Herrschaftsarchitektur geplant, gelten Villen noch heute als der Inbegriff für den Wohnort der gesellschaftlichen Oberschicht. Reichtum kann nicht ohne Armut existieren. Ärmeren Menschen wird in den Vorstellungen der Bevölkerung gern ein zu Hause in den Plattenbauten aus sozialistischer Zeit zugewiesen. In der Tat erleiden diese Gebäude seit 1990 einen konstanten Statusverlust und Statistiken der Stadt Dresden zeigen, dass in den Plattensiedlungen größere Arbeitslosigkeit herrscht und die Zahl der Sozialhilfeempfänger höher ist als in den Villenvierteln. Anhand einer Erkundung der Stadt und einer dabei entstehenden Fotodokumentation soll überprüft werden, wie das Nebeneinander von Reichtum und Armut funktioniert. Dabei werden folgende Fragestellungen beleuchtet: Was ist auffällig, wenn Villen und Zeilenbauten, deren Nutzer aus verschiedenen sozialen Milieus stammen, aufeinandertreffen? Entsprechen die Gebäude noch dem architektonischen und gesellschaftlichen Ideal, nach welchem sie zur Zeit ihrer Entstehung strebten? Welche Sicht haben die Bewohner der jeweiligen Gebiete auf den Dualismus Reichtum und Armut? Werden Zeilen im Villenviertel eher aufgewertet als Zeilen im Plattenbaugebiet? Historisches zur Villa Die Villa ist derjenige Haustyp, der dem Weltbild des wohlhabenden Bürgers am meisten entsprach und entspricht. In der Bestimmung des Brockhaus findet man unter anderem: „[...] man versteht unter einer Villa ein nach einem einheitlichen, künstlerischen Entwurf erbautes, allseitig freiliegendes, für eine oder höchstens zwei Familien bestimmtes Landhaus von mittleren Größenverhältnissen nebst dazugehörigen kunstgärtnerischen Anlagen.“ In einer Villa zu wohnen bedeutete, dass man nicht in einem Stadthaus lebt, dessen Nutzung sich viele Familien, oft unterschiedlicher sozialer Herkunft, teilten. Anders noch als das barocke Bürgerhaus oder gar das Bauernhaus, in denen Wohnen und Arbeiten unter einem Dach geschahen, war die Villa ein privater Ort, aus dem die Erwerbswelt ausgeschlossen blieb. Weiterhin war die Villa auch die Stätte der Darstellung des gesellschaftlichen Ranges, hier entfaltete sich eine am Adel orientierte Wohnkultur, die man sich einiges kosten ließ. Wer unter seinesgleichen bestehen wollte, für den gehörte das Renomieren und Repräsentieren zu den unabänderlichen Zwängen, die das Funktionieren des sozialen und geschäftlichen Geflechts erforderte. Zum gedanklichen Erbe der antiken Villa gehört die Landschaft, nicht die „freie“, sondern die Kulturlandschaft, in der die ursprüngliche Wildnis durch die zivilisatorische Arbeit des Menschen gemäß den Regeln der Vernunft nutzbringend geordnet ist. Bis in das letzte Jahrhundert hinein blieben der Park, der Garten, schließlich das Gärtchen und die Abb. 1:Villa Wiener Straße 44, Dresden, 1945 zerstört Rasenfläche für jede Villa unverzichtbar. Ohne Garten keine Villa. Trotz starker Verkleinerung blieb der Garten als Umgebung der Villa unentbehrlich, da er die erwünschte Distanz zur Außenwelt ermöglichte. Aus der Villa rustica der Antike entwickelte sich im 16. Jahrhundert der Bautypus des herrschaftlichen Wohnhauses der venezianischen Gutsanlagen, wie etwa die „Villa La Rotonda“ von Andrea Palladio. Als Vorläufer der Dresdner Villen darf am ehesten die römische Villa suburbana betrachtet werden, als Villa vor der Stadt, die nur dem Wohnen diente. Abb. 2:Villa Rotonda bei Vicenza Der Zeilenbau Jahre eine wahre Blütezeit. Sie gehört zu den charakteristischsten Hinterlassenschaften der realsozialistischen Gesellschaften. Die Diskusion über den Kurs in der Architektur war in den ersten Nachkriegsjahren noch offen gewesen, bis der sowjetische „Zuckerbäckerstil“ auch für die DDR vorbildlich wurde. Die Phase blieb eine Episode, bald setzte man auf konsequente Rationalisierung. Der industrielle Wohnungsbau unter Anlehnung an die Bauhausarchitektur war die Antwort auf die Frage nach immer rationelleren Baumethoden. In der DDR baute man in Hoyerswerda 1957 erstmals in Plattenbauweise. Die beliebteste und auch bekannteste Form war die Wohnunsbauserie (WBS) 70, die 1972 an der TU-Dresden entwickelt wurde und 42% aller in Europa gebauten Platten ausmacht. In Architektur und Masse der Siedlungen spiegeln sich die Bestrebungen, gesellschaftliche Ungleichheiten aufzuheben und einen relativ homogenen Lebensstandart für die breite Bevölkerung zu schaffen. Der Traum von Fernheizung, warmen Wasser aus der Wand und Innen-WC wurde vor allem für Parteimitglieder und Kleinfamilien wahr. Mit der Industrialisierung Ende des 19. Jahrhunderts stiegen die Bevölkerungszahlen in Europa und Nordamerika explosionsartig an. Das führte zu einer starken Verknappung des Wohnraumes. Die Wirtschaft fand die Lösung dieses Problems im industriellen Wohnungsbau. In Betrieben wurden großformatige Bauteile vorgefertigt und später auf der Baustelle zusammengefügt. Benutzte man hierfür zunächst hauptsächlich Holz als Werkstoff, ging man später zur Verwendung von Stahlbeton über. Die ersten Gebäude aus vorgefertigten Großplatten in Stahlbetonbauweise entstanden 1910 in New York, im Gartenstadtprojekt Forest Hills Gardens in Queens. In Deutschland errichtete man zwischen 1926 und 1930 in Berlin-Lichtenberg das erste Haus in Tafelbauweise. Dabei handelte es sich um einen zwei- bis dreigeschossigen Siedlungsbau mit ursprünglich 138 Wohnungen, welcher heute den Namen Splanemann-Siedlung trägt. In den sozialistischen Staaten erlebte die „Platte“ in den 1960er bis in die 1980er Abb. 3: Splanemann-Siedlung, Berlin Abb. 4: WBS 70 mit 80 m² Abb. 5: WBS 70 mit 105 m² Abb. 6: WBS 70 Villen in Dresden Dank der lieblichen Flußauen und der sonnigen Elbhänge bot Dresden ideale Voraussetzungen, die Idee des Wohnens in schöner Landschaft zu verwirklichen. Gute Verkehrsanbindungen an die Hauptstädte Mitteleuropas, die lange Tradition als Hauptstadt Sachsens, die Kunstversessenheit seiner Herrscher und einige landschaftliche Annehmlichkeiten ließen Dresden zu einer der Kulturstädte Europas werden. Als Sachsen im Jahre 1831 zur konstitutionellen Monarchie und damit zum bürgerlichen Verfassungstaat umgewandelt wurde, setzte in Dresden ein rasanter wirtschaftlicher Aufschwung ein, der auch eine neue Schicht von reichen Bürgern hervorbrachte, die nun mit dem alten Adel eine neue Oberschicht bildete. Es begann eine lebhafte Bautätigkeit, gelenkt durch baugesetzliche Maßnahmen der königlichen Minister, die stets darauf bedacht waren, den Charakter der schönen Residenzstadt zu bewahren. Die für gutes Wohnen eher abträgliche Industrie wurde aus der Innenstadt verbannt. Dafür legte man zahlreiche Villenviertel an, vornehmlich auf dem Gebiet kleiner Vororte. Dort sammelten sich dann auch die Behausungen der Reichen in Dresden, einer Stadt des Hofes, der Beamten, Pensionäre, Kunstpilger, Emigranten, Diplomaten und Künstler - ein Personenkreis, der fähig war, große Aufträge an die Architektenschaft zu vergeben und dies auch tat. Zeitweise lebten 10 000 Ausländer in Dresden, was den Villenquartieren Namen wie Preußisches-, Schweizer- oder Englisches Viertel einbrachte. In Dresden, wie in anderen Städten Deutsch- lands, führte die steigende Zahl der Villengebäude zu einer Verknappung des Baulandes und zur entsprechenden Verteuerung des Bodens. Die Folge war eine immer stärkere Parzellierung der Grundstücke. Der Wunsch nach Einbettung der Villa in eine Ideallandschaft ließ sich also nur in Ausnahmen, etwa bei den 3 Elbschlössern, verwirklichen. Die immer enger werdenden Terrains um den Villen führten zu der Idee, das Ideal der Villa in deren Inneren zu verwirklichen, etwa durch Ausmalungen mit Landschaftsmotiven oder Großen Wintergärten. Es entwickelten sich schließlich die Mietsetagenvilla und später das Miets- oder Reihenhaus. 10 Abb. 7: Großer Garten 1873 Abb. 8: Großer Garten 1923 Abb. 9: Großer Garten 2005 11 Zeilen in Dresden In Dresden existieren einige größere und kleinere Wohngebiete in Plattenbauweise. In Gorbitz mit 15000 und in Prohlis mit 10000 Wohnungen findet man die beiden größten Anlagen, kleinere gibt es zum Beispiel in Johannstadt, Gruna und Klotzsche. Häufig entdeckt man, dass Baulücken oder kleinere Baufelder mit Platten ausgefüllt wurden, wie in der Neustadt oder in der Seevorstadt. An städtebaulich oder historisch wichtigen Punkten versuchten die Planer, die Plattenbauten in ihrer Fassadenstruktur dem umgebenden Bestand durch historisierende Formen anzupassen. Dies geschah etwa am Albertplatz oder im Stadtzentrum. Probleme mit seinem städtebaulichen Erbe hat Dresden wie alle Städte der ehemaligen DDR. Einst heiß begehrt, unterliegen Plattenbauten seit der politischen Wende und der Wiedervereinigung 1990 einem konstanten Statusverlust. Die Wohnpräferenzen haben sich durch steigende Individualisierung gewandelt. Was früher „Vollkomfort“ darstellte, wird nun mit Zweitklassigkeit assoziiert. Durch die Abwanderung von Besserverdienern besteht die Gefahr der sozialen Segregation. Im Gegensatz zu den Villenvierteln, die weitgehend von reicheren Bevölkerungsgruppen und Firmen rekonstruiert wurden und nun in altem Glanz erstrahlen, können Plattenbaugebiete auf massive staatliche Hilfe hoffen. Im Rahmen zahlreicher Projekte wie „Stadtumbau Ost“, „Shrinking Cities“ oder „Soziale Stadt“ wird nach Lösungen für die Probleme der Gebiete gesucht, auch um der befürchteten Gettoisierung entgegenzuwirken. Abb. 11: Umzug in den Vollkomfort Abb. 12: Prohlis 12 Abb. 10: Blick auf das Rundkino Abb. 13: Hochhäuser am Terrassenufer Abb. 14: Neues Wohnen im Stadtzentrum 13 Siedlungsstruktur von Villenvierteln Abb. 15: Dresden - Blasewitz 0 250m 500m 1000m 2000m Abb. 16: Dresden - Loschwitz 0 250m 500m 1000m 2000m 14 Siedlungsstruktur von Plattenbaugebieten Abb. 17: Dresden - Prohlis 0 250m 500m 1000m 2000m Abb. 18: Dresden - Gorbitz 0 250m 500m 1000m 2000m 15 Das Nebeneinander im Stadtbild Auf den folgenden Seiten werden nun Orte gezeigt, an denen Villen und Zeilen aufeinander treffen. Die Auswahl erfolgte mit Hilfe des Dresdner Sozialstrukturatlases und Luftbildaufnahmen. Begonnen wird mit dem nach Zahlen wohlhabendsten Stadtteil Blasewitz, in welchem sich Reichtum sehr stark in der Bebauung abbildet. Im letzten aufgeführten Ort, Prohlis, gibt es keine Villenbebauung mehr. Wer hier Enklaven des Reichtums in der Armut sucht, wird enttäuscht. Blasewitz Loschwitz Klotzsche Neustadt Weißer RadeHirsch berger Vorstadt Altstadt Seevorstadt Gorbitz Süd Prohlis Dresden Arbeitlosenzahl 5,9 in % 6,2 7,8 9,1 10,1 19,0 19,2 15,5 Leistungs6,8 empfänger nach SGB2 in % 6,9 8,5 13,7 13,5 31,5 28,8 k.A. Mietpreis in € 5,7 5,2 5,2 5,0 4,7 4,5 5,0 5,9 Zusammenstellung aus dem Dresdner Sozialstrukturatlas 2005 16 17 Gorbitz Abb. 19: Dresden 18 Klotzsche Radeberger Vorstadt Weißer Hirsch Blasewitz Seevorstadt Prohlis 19 Abb. 20: Blasewitz - Mendelsohnallee Blasewitz 1921 wurde der Ort als einer der reichsten Gemeinden Sachsens per Zwangsverordnung Stadtteil von Dresden. Am äußersten östlichen Rand von Blasewitz und neben dem Universitätsklinikum errichtete man in den 1980er Jahren mehrere Plattenzeilen. Trotz ausbleibender oder geringer Sanierungsmaßnahmen erfreuen sich diese Wohnhäuser großer Beliebtheit. Die angrenzenden Villen werden nicht negativ beeinflusst. Blasewitz wurde 1349 erstmals urkundlich erwähnt. Einen Großteil des Ortes machte das Waldgebiet „Blasewitzer Tännicht“ aus, welches ab 1700 ein wichtiges Jagdrevier der Wettiner war. Bereits zu diesem Zeitpunkt war das romantisch am Elbufer gelegene kleine Dorf beliebte Sommerfrische der Dresdner, die hier die ersten Landhäuser errichteten. Im 19. Jahrhundert nahm die Anzahl dieser Villen immer mehr zu. Ab 1863 entstanden die zunächst noch planlos errichteten Gebäude auf Grundlage eines Bauordnungsplanes. In den folgenden Jahren wuchs Blasewitz zum wohlhabenden Villenvorort, in dem zahlreiche Fabrikbesitzer, Kommerzienräte und Staatsbeamte, aber auch Künstler und Wissenschaftler ihren Wohnsitz hatten. 20 Loschwitzer Straße 1, Straßenansicht Schubertstraße 2 - 6, Straßenansicht Mendelsohnallee, Straßenansicht Forsthausstraße1, Straßenansicht 21 Abb. 21: Weißer Hirsch - Am Heiderand Loschwitz - Weißer Hirsch torium, welches bis 1990 als Militärlazarett in Nutzung der sowjetischen Streitkräfte blieb. Der Weiße Hirsch entwickelte sich zum beliebten Wohnort für prominente Dresdner. Der Wissenschaftler Manfred von Ardenne siedelte hier sein weltberühmtes Forschungsinstitut an. Frühere Pensionen und Fremdenheime dienten nun als Wohnheime bzw. Kindereinrichtungen. Auf der Suche nach Armut auf dem Weißen Hirsch sind 2 Reformbauzeilen aus den 30er Jahren aufgefallen. Unsaniert und mit verwahrlosten Vorgärten könnten in ihnen Teile jener 1,1 % Sozialhilfeempfänger leben, die der Dresdner Sozialatlas für dieses Gebiet angibt. Der Stadtteil, der bis Mitte des 17. Jahrhunderts weitgehend unbesiedelt war, erhielt seinen Namen von einer 1686 eröffneten Schänke namens „Zum Weißen Hirsch“. Um 1840 begann die Entdeckung des Weißen Hirschs als Sommerfrische. Als 1887 der junge Arzt Dr. Heinrich Lahmann ein Sanatorium in einer ehemaligen Badeanstalt errichtete, avancierte der Weiße Hirsch zum Luftkurort von internationaler Bedeutung. Um die Jahrhundertwende entstanden rund um den Kurbezirk verschiedene gesellschaftliche und kulturelle Einrichtungen sowie zahlreiche Villen. Im Jahr 1921 erfolgte gegen den Willen der Mehrheit der Einwohner die Zwangseingemeindung nach Dresden. 1945 beschlagnahmte die Sowjetarmee das Lahmann-Sana- 22 Am Heiderand 6, Straßenansicht Am Heiderand 4, Gartenseite 23 Pfarrer und Sekretärin der Katholischen Gemeinde: „Arme, die müssen Sie woanders suchen. Außer einer allein erziehenden Mutter mit drei Kindern fällt uns niemand ein.Von Problemen haben wir nichts gehört. Man lebt einfach nebeneinander her.“ Pfarrer und Sekretärin der Evangelischen Gemeinde: „Wirklich Arme findet man hier nicht oder nur vereinzelt. Es gibt ein paar unsanierte Häuser mit entsprechend ungepflegten Vorgärten. Das verstehe ich nicht, man kann doch wenigstens Ordnung halten und zum Beispiel den Zaun reparieren. Die wirklich Reichen wohnen in Radebeul. Mich interessieren die Ergebnisse Ihrer Studie.“ Reicherer Bewohner: „Hier gibt es wirklich Reiche, die bauen sich eine drei Meter hohe Mauer um ihr Grundstück. Das ist eher unangenehm. Und daneben auch Arme, die arbeitslos sind und nichts haben als ihr sanierungsbedürftiges Haus. Das sieht nicht gut aus und wird von den Nachbarn als störend empfunden.“ Bewohner der weißen Villa: „In den Zeilen nebenan wohnen keine Armen, dort wohnen drei Doktoren. Die Wohnungen sind sehr groß und auch nicht so billig. Die Villa gehört mir, da habe ich schon vor der Wende drinnen gewohnt. Ein kleiner Teil ist Büro, aber hauptsächlich wohnen wir drin.“ Am Heiderand 2 - 6 24 Am Heiderand 4, Gartenseite Am Heiderand 2 - 4, Straßenansicht Am Heiderand 6 Am Heiderand 2 - 4, Straßenansicht Am Heiderand 4 Am Heiderand , Entsorgungseinrichtungen 25 Abb. 22: Klotzsche - Selliner Straße Klotzsche Laut Dresdner Sozialstrukturatlas gehört Klotzsche zu den am besten situierten Stadtteilen Dresdens. Bereits schon zur Steinzeit besiedelt, gewann die Gemeinde aber erst im 19. Jahrhundert an Bedeutung, und zwar als Villen- und Kurort. In der DDR wurden hier zahlreiche Industrien angesiedelt, unter anderem der Flugzeugbau, und später die dazugehörenden Plattenbauten errichtet. Bewohnerin einer Villa: „Mich stören die Platten nicht. Kontakt habe ich keinen zu den Bewohnern, es gibt auch keine Probleme. Mit den anderen Nachbarn ist es dafür nett, man unterhält sich und grillt auch zusammen. Nach arm und reich würde ich dieses Gebiet aber nicht teilen.“ Zinnowitzer Straße 29, Straßenansicht Selliner Straße 39 - 61, Hofseite 26 Selliner Straße 4, Straßenansicht Alexander - Herzen - Straße 27 Abb. 23: Radeberger Vorstadt - Bautzner Straße Neustadt - Radeberger Vorstadt Das Gebiet der Radeberger Vorstadt war Mitte des 19. Jahrhunderts noch weitgehend unbebaut. Erst ab 1860 entstanden entlang der Radeberger- und der Bautzner Straße prächtige Villen, welche von höheren Militärangehörigen und Beamten bewohnt wurden.Vorausgegangen war 1836 der Bau der „Societätsbrauerei zum Waldschlösschen“, der ersten Aktienbrauerei Deutschlands.Von den Auswirkungen des 2. Weltkrieges blieb dieses Gebiet weitgehend verschont. Es wurde nach 1990 umfassend rekonstruiert. Östlich der 3 Elbschlösser und in unmittelbarer Nähe der ehemaligen Staatssicherheitszentrale Dresdens errichtete man in den 1980er Jahren 2 Plattenbauten. Bewohner waren vor allem sowjetische Offiziere und Mitarbeiter der Staatssicherheit. Wahrscheinlich auf Grund der guten Lage und der Sanierung werden die Gebäude auch weiterhin als Wohnobjekte angenommen. Hausmeister und Bewohner der Platte: „Früher haben hier die Stasioffiziere gewohnt, die haben sich alle verkrümelt. Aber hier leben jetzt keine Armen, da müssen Sie nur mal auf den Parkplatz schauen. Ganz normale Arbeiter und Angestellte.“ 28 Bautzner Straße 181, Straßenansicht Bautzner Straße 126 - 126f,Vorderansicht Bautzner Straße 124 - 126 Bautzner Straße 124, Hofansicht Bautzner Straße 122,Vorderansicht Bautzner Straße 122a,Vorderansicht 29 Abb. 24: Seevorstadt - Wiener Straße Seevorstadt Bewohnerin der Zeile: „In den Villen wohnen doch keine Menschen, das sind alles Institutionen. Und hier im Haus wohnen ganz normale Leute, keine Armen“. Die Seevorstadt Ost, zu der auch der Große Garten gehört, entwickelte sich in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts vom Bauerndorf zum bevorzugten Wohnort der Dresdner Oberschicht, die sich hier zahlreiche Villen errichtete. Einige der Lücken, welche auf die Bombardements von 1945 zurückzuführen sind, wurden mit Wohnzeilen geschlossen. Heute sind die Villen größtenteils in einem rekonstruierten Zustand und mehrheitlich Sitz von Unternehmen. Auch die Zeilen wurden saniert. Während diese voll belegt sind, haben die Villen in diesem Gebiet sehr häufig mit Leerstand zu kämpfen. 30 Wiener Straße 81, Straßenansicht Wiener Straße 83 - 85a, Straßenansicht 31 Wiener Straße Wiener Straße 81 - 85, Straßenansicht Wiener Straße 83 - 85a, Hof 32 Villa, Seevorstadt - Ost Villa, Seevorstadt - Ost Villa, Seevorstadt - Ost Villa, Seevorstadt - Ost Villa, Seevorstadt - Ost Villa, Seevorstadt - Ost 33 Abb. 25: Gorbitz - Hirtenstraße Gorbitz niert sind. Aber nach arm und reich würde ich das gar nicht teilen. Es hat jeder zu kämpfen, wir müssen für alles selbst aufkommen.“ Das Dorf Gorbitz wurde, genau wie Dresden, im Jahre 1206 gegründet. Nach einer bewegten Geschichte fiel es 1921 an Dresden. Auf Beschluss des Rates der Stadt begannen 1979 die Vorbereitungen zum Bau des größten Dresdner Neubaugebietes, auf einer bis dahin grünen Wiese. Neben einer neuen Straßenbahnverbindung wurden einige Pavillons mit Geschäften und Gaststätten erbaut. Am Rande der Platten befindet sich eine Einfamilienhaussiedlung aus den 1930er Jahren. Reichtum, auch vergangener, ist in diesem Stadtteil, der neben Prohlis zu den ärmsten in Dresden zählt, nicht zu finden. Bewohnerin eines Hauses: „Natürlich hätte ich lieber einen anderen Blick als diesen, gerade wenn die Platten noch unsa- Hirtenstraße 2, Straßenansicht 34 Hirtenstraße 1, Straßenansicht Wilsdruffer Ring 1 - 7, Straßenansicht 35 Abb. 26: Prohlis - Ernst-Toller-Straße Prohlis Prohlis war, ähnlich wie Gorbitz, ein kleines Bauerndorf mit wechselhafter Geschichte, ehe es 1921 nach Dresden eingemeindet wurde. Die Luftangriffe von 1945 zerstörten den Ort bis auf den alten Dorfkern fast völlig. Sämtliche Bauerngüter, bis auf eines, dem heutigen Heimatmuseum, sowie das Prohliser Schloß fielen 1976 den Plänen für das bis dahin größte Plattenbauprojekt Dresdens zum Opfer. Die Monotonie des Gebietes, in dem man einige geplante, kulturelle Einrichtungen nicht realisierte, führte Prohlis den Beinamen „Schlafstadt“ zu, welcher bis heute haften blieb. Nördlich der „Sternhäuser“ errichtete man in den 1930er Jahren mehrere Straßenzüge mit Einfamilienhäusern, die teilweise im Schatten der Plattenbauten stehen. Reichtum ist nirgendwo zu entdecken. Bewohnerin der Einfamilienhaussiedlung „Die Häuser hier wurden alle in den 30er Jahren gebaut. Nein, hier leben keine Reichen. Mich stören die Platten nicht. Es gibt keine Probleme mit den Bewohnern.“ 36 Heinrich - Mann - Straße 22 - 24, Christian - Morgenstern - Straße 9 - 15 Nestroystraße 9, Straßenansicht Nestroystraße 1, Straßenansicht Ernst - Toller - Straße 30, Straßenansicht Nestroystraße 37 Resumé Villen und Plattenzeilen treffen in Dresden häufig aufeinander. Was städtebaulich zum Teil sehr unglücklich erscheint, schlägt sich im Empfinden der jeweiligen Bewohner jedoch nicht nieder. An wenigen der aufgesuchten Orte beschwerte man sich über den jeweils anderen Gebäudetyp oder seine Nutzer. Große Sympathie war auch nicht zu erkennen, man lebt meist einfach nebeneinander her. Bezeichnenderweise ließ sich keiner der Befragten in die Gruppen „Reiche“ oder „Arme“ fügen. Die meisten der Villen haben nicht mehr die gleiche Bedeutung wie zur Zeit ihrer Entstehung. Neben neuen Nutzungen wie Firmensitzen, Kanzleien, Praxen oder staatlichen Einrichtungen erhielten die für nur einen Haushalt geplanten Gebäude auch Änderungen im Grundriß, um Platz für mehrere Mietparteien zu bieten. Nur wenige Villen werden noch ursprünglich genutzt. In dem Fall kann man die Bewohner auch als reich, und nicht nur als besserverdienend, bezeichnen. Obwohl der Blick auf eventuelle Schulden, die durch diese Art des Eigentums entstehen können, versagt bleibt. Auch die Plattenbauten entsprechen nicht mehr der Idee, nach der sie entstanden. Die einst als Wohnort für alle Schichten gedachten Häuser weisen heute einen teilweise hohen Leerstand auf und haben sich deutlich entmischt. Einkommensschwache Familien sind die Hauptnutzer dieser Wohnungen. Doch wirkliche Armut kann man nicht entdecken. Diese tritt eher vereinzelt auf und ist schwer zu erkennen, ebenso wie wirklicher Reichtum. Regeln, wie Platten und Zeilen aufeinander einwirken, ließen sich bei der Erkundung Dresdens nicht ableiten. Man kann aber sagen, dass Zeilen in baulich durchmischten Gebieten weniger Leerstand aufweisen als in reinen Plattenbaugebieten, während die Eigentümer von Villen, die neben Zeilen stehen, eher neue Nutzer suchen. 38 39 Quellen Literaturangaben Haller, Christoph: Leerstand im Plattenbau. Ausmaß, Ursachen, Gegenstrategien. Berlin 2002. Kadatz, von Hans-Joachim: Seemanns Lexikon der Architektur. Leipzig 1994. Keller, Carsten: Leben im Plattenbau. Zur Dynamik sozialer Ausgrenzung.Frankfurt/ Main 2005. Sozialatlas der Landeshauptstadt Dresden. 2005. Statistikstelle Dresden: Stadtteilkatalog. Landeshauptstadt Dresden. Dresden 2002. Gössel, Peter:Villen in Dresden. Köln 1991. Internetangaben www.bpb.de www.stadtumbau-ost.de www.deutscher-verband.de www.dresdner-stadtteile.de www.dresden.de Bildernachweis Deckblatt oben: Gössel, Peter:Villen in Dresden. Köln 1991 S. 111. Deckblatt unten: Deutsche Fotothek MI09485B01b.jpg (am 08.02.2007) Abb. 1: Gössel, Peter:Villen in Dresden. Köln 1991 S. 16. Abb. 2: http://www.sitiunesco.it/pix/vicenza/la_rotonda2.jpg (am 08.02.2007) Abb. 3: http://de.wikipedia.org/wiki/Bild:Splanemann-Siedlung.jpg (am 08.02.2007) Abb. 4: http://www.iemb.de/veroeffentlichungen/schriftenreihen/leitfaden/Wbs70/ wbs70_02.htm (am 08.02.2007) Abb. 5: http://www.iemb.de/veroeffentlichungen/schriftenreihen/leitfaden/Wbs70/ wbs70_02.htm (am 08.02.2007) Abb. 6: http://www.iemb.de/veroeffentlichungen/schriftenreihen/leitfaden/Wbs70/ wbs70_02.htm (am 08.02.2007) Abb. 7: TU Dresden, Lehrstuhl Städtebau, 2007. Abb. 8: TU Dresden, Lehrstuhl Städtebau, 2007. Abb. 9: TU Dresden, Lehrstuhl Städtebau, 2007. Abb. 10: Dresdner Geschichtsverein e.V. ,Dresdner Hefte, 23. Jahrgang, Heft 81, 1/05, 40 Titelblatt. Abb. 11: Dresdner Geschichtsverein e.V. ,Dresdner Hefte, 23. Jahrgang, Heft 81, 1/05, S. 32. Abb. 12: Dresdner Geschichtsverein e.V. ,Dresdner Hefte, 23. Jahrgang, Heft 81, 1/05, S. 31. Abb. 13: Göthel, Wolfgang: Dresden, Leipzig 1964, S. 39. Abb. 14: Göthel, Wolfgang: Dresden, Leipzig 1964, S. 74. Abb. 15 - 18: TU Dresden, Lehrstuhl Städtebau, 2007 Abb. 19 - 26: Google Earth alle weiteren Bilder: eigene Aufnahmen. 41