Skandal um Planned Parenthood
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Skandal um Planned Parenthood
Nr. 115 | 3. Quartal 2015 | ISSN 0945-4586 | Einzelpreis 4,– E B 42890 LEBENSFORUM Zeitschrift der Aktion Lebensrecht für Alle e.V. (ALfA) Interview Der weite Weg zur Inklusion Ausland Kinder sind keine Waren Medizin PraenaTest:Warum ihm nicht zu trauen ist Skandal um Planned Parenthood Leber gefällig? LebensForum 115 In Kooperation mit Ärzte für das Leben e.V. und Treffen Christlicher Lebensrecht-Gruppen e.V. (TCLG) 1 INHALT LEBENSFORUM 115 Ein »Abgang«, der alles ändert Dr. med. Claudia Kaminski DANIEL RENNEN / REHDER MEDIENAGENTUR EDITORIAL 3 TITEL Leber gefällig? Alexandra Maria Linder M. A. 4-7 4 INKLUSION Der weite Weg zur Inklusion Interview mit Prof. Dr. Holm Schneider BIOETHIK-SPLITTER 8 12 AUSLAND 14 Fällt das Abtreibungs-Verbot in Chile? 16 Eckhardt Meister Klare Absage Sebastian Sander 18 In den USA sorgt der größte Anbieter vorgeburtlicher Kindstötung für Schlagzeilen. Mit versteckter Kamera gefilmte Videos legen den Verdacht nahe, »Planned Parenthood« mache Geschäfte mit dem Gewebe abgetriebener Kinder. DANIEL RENNEN Kinder sind keine Waren Sebastian Sander 14 -15 MEDIZIN Künstliche Befruchtung lässt Gefäße 20 schneller altern Pressemitteilung der DGK 21 Neuer Trend: Babyfernsehen Dr. Edith Breburda 24 DPA Trau keinem Test unter dreißig Prof. Dr. Paul Cullen Im Mai hatte das Schweizer Bundesgericht ein viel diskutiertes Urteil zur Leihmutterschaft gefällt. Nun haben die Richter ihre schriftliche Begründung veröffentlicht. GESELLSCHAFT Nachruf auf Prof. Dr. Seelentag Dr. med. Claudia Kaminski 27 BÜCHERFORUM 30 KURZ VOR SCHLUSS 32 LESERBRIEFE 34 IMPRESSUM 35 2 21 - 23 Die Konstanzer LifeCodexx AG hofft, den von ihr entwickelten PraenaTest demnächst als Regelleistung der gesetzlichen Krankenkassen anbieten zu können. Lesen Sie hier, welche gravierenden Folgen dies hätte. LebensForum 115 E D I TO R I A L 8 - 11 Der Erlanger Kinderarzt und Genforscher Holm Schneider über »Inklusion« und warum der Weg dorthin noch weit ist. 16 - 17 Im traditionell katholischen Chile spaltet der Versuch, das totale Abtreibungsverbot zu kippen, Politik und Gesellschaft. LebensForum 115 Ein »Abgang«, der alles ändert oder ob diese Tat in bestimmten Konstellationen in den Rang eines Rechts erhoben und das ihm entgegenstehende Berufsrecht Liebe Leserin, lieber Leser, für nichtig erklärt wird. Im Ergebnis Anfang Juli hat der Bundestag in Erswürde der Entwurf ter Lesung über vier Gesetzentwürfe beBrand/Griese et al. raten, mit denen die Beihilfe zum Suizid dazu führen, dass die neu geregelt werden soll. Bleibt es beim Beihilfe zum Suizid, derzeitigen Zeitplan, wird die endgültidie derzeit straffrei ge Entscheidung über die künftige geist, strafrechtlich in allen Fällen verfolgt setzliche Regelung am 6. November gewerden kann, in denen sie auf Wiederfällt. Zur Wahl stehen vier Gesetzentholung angelegt ist. Sowohl Suizidhilfewürfe, die unterschiedlicher kaum sein vereine als auch Ärzte, die als »Sterbehelkönnten: Sie reichen vom ausfer« durchs Land reisen, müssnahmslosen Verbot der Suiten künftig fürchten, rechtlich zidhilfe über die Strafbarkeit belangt zu werden. Dagegen »Wollen wir der geschäftsmäßigen Beihilwürde der Entwurf Hintze/ fe zum Suizid bis hin zur AuLauterbach et al. Ärzten erstdas wirklich?« ßerkraftsetzung des ärztlichen mals das Recht einräumen, eiStandesrechts und der Legaliner bestimmten Gruppe von sierung des ärztlich assistierMenschen bei der Selbsttöten Suizids im Bürgerlichen Gesetzbuch tung zur Hand zu gehen. Der Ärzte(BGB). schaft würde ferner jede Möglichkeit geDer aus Sicht von Lebensrechtlern nommen, ein solches Verhalten zu sankklarste aller Entwürfe hat im Parlament tionieren oder auch nur als »unärztlich« leider bisher keine Aussicht auf eine Mehrzu brandmarken. heit. Nach menschlichem Ermessen werGesteht die Gesellschaft Ärzten ausden sich die Abgeordneten daher zwischen drücklich das Recht zu, Menschen bei zwei Entwürfen entscheiden: Zwischen der Selbsttötung zu unterstützen, ändert dem der Abgeordneten Brand/Griese et dies alles. Suizidhilfe und auch der Sual., der Suizidhilfevereinen das Handizid selbst würden nicht mehr als Fehlwerk legen will, und dem der Abgeordentscheidungen in tragischen Situationen neten Hintze/Lauterbach et al., der den betrachtet, sondern als eine von mehreärztlich assistierten Suizid zu einer »Beren Möglichkeiten, aus dem Leben zu handlungsalternative« erheben und dies scheiden. Als Nächstes würde die Frage im BGB festschreiben will, um das ärztaufgeworfen, wie Ärzte mit Menschen, liche Standesrecht auszuhebeln, das dem die sich nicht selbst töten können, umentgegensteht. gehen sollen? Unter Druck gerieten auch Auch wenn der Entwurf Brand/Griese jene, die einen solchen »Abgang« ablehet al. nicht sämtliche Formen der Suizidnen und stattdessen – wie bisher üblich – hilfe mit Strafe bewehrt, zielt er doch auf bis zu ihrem natürlichen Tod auch Hileine Verschärfung der jetzigen Rechtslafen der Solidargemeinschaft in Anspruch ge und verspricht insofern ein Mehr an nehmen. Wollen wir das wirklich? Lebensschutz. Dagegen würde der EntEine erhellende Lektüre wünscht wurf Hintze/Lauterbach et al. den ärztlich assistierten Suizid in den Rang einer Ihre »Behandlungsalternative« erheben, für die sich Menschen am Lebensende beim Vorliegen bestimmter Voraussetzungen entscheiden können sollen. Gesellschaftspolitisch betrachtet macht Claudia Kaminski es einen gewaltigen Unterschied, ob ein Bundesvorsitzende der ALfA und dieselbe Tat nicht in allen denkbaren Kontexten für strafwürdig erachtet wird ? 3 DANIEL RENNEN / REHDER MEDIENAGENTUR TITEL Leber gefällig? Mit versteckter Kamera gedrehte und im Internet anschließend veröffentlichte Videos, die »Planned Parenthood«-Mitarbeiter in skandalösen Gesprächen mit den vermeintlichen Käufern von fötalem Gewebe zeigen, haben den größten Anbieter vorgeburtlicher Kindstötungen in den USA in die Hauptnachrichtensendungen katapultiert. Von Alexandra Maria Linder M. A. U nsere Mission: Bei steigender Nachfrage nach seltenen Materialien und Dienstleistungen in der Forschungsgemeinschaft wird StemExpress angespornt und bestimmt durch persönliche Erfolgs-, Unglücks- und Triumphgeschichten. Jedes Teammitglied widmet sich der Versorgung der globalen Forschungsgemeinschaft mit den Materialien, die notwendig sind, um zu neuen Einsichten zu gelangen, neue Fragen zu 4 stellen und der menschlichen Erfahrung Hoffnung zu geben.« Offen wirbt die Firma »StemExpress« mit Blutspendeaufrufen und lukrativen Angeboten für Krankenhäuser, zum Beispiel Nabelschnurblut zu verkaufen. Weniger offen findet sich unter anderem eine Produktkategorie »Fötale Leber«. Zurzeit sind einige dieser Produkte nicht mehr erhältlich, die »Fact sheets« sind gelöscht. Denn »StemExpress« hat die Zusammenar- beit mit Abtreibungseinrichtungen der amerikanischen »Planned Parenthood« plötzlich aufgekündigt. Es sind hehre Ziele, die sich millionenschwere Unternehmen wie »StemExpress« öffentlich geben – die Rettung der Menschheit. Doch welchen Preis sie und viele andere dafür zu zahlen bereit sind und welchen Preis andere dafür zahlen müssen, tritt seit einigen Wochen auf erschreckende Weise zutage: Nach drei JahLebensForum 115 »Das Geld aber wird mit Abtreibungen verdient.« »Partial Birth Abortion« ähnlich: Das Kind wird mit den Füßen zuerst geboren, man zieht es bis zum Genick heraus. Dann stößt man Scheren in das Genick des Kindes, erweitert das Loch, um das Gehirn herauszuziehen. Da der Kopf des Kindes noch nicht geboren ist, gilt es nicht als Geburt, sondern als TeilgeLebensForum 115 burtsabtreibung. Aber, so Frau Nucatola beim nächsten Schluck Wein, Gesetze müssten ja interpretiert werden. Sie sieht die Abgabe der Kinderteile keinesfalls als Geschäft an und will nicht als Verkäufer betrachtet werden. Vielmehr stellt sie der Forschung und der Medizin dringend benötigtes Material zur Verfügung, ist also sozusagen der Vermittler, und das ist etwas ganz anderes – ein Verkaufsimage möchte sie als »Planned Parenthood« keinesfalls haben. Als der vorgebliche Käufer sich am Ende bei der Vorsitzenden von »Planned Parenthood Amerika«, Cecile Richards, für diese Möglichkeit und die wunderbare Arbeit von Frau Nucatola bedankt, ist diese ganz gerührt und lobt ihre Leiterin: troffen zu haben. Die amerikanische Lebensrechtlerin Abby Johnson, die selbst acht Jahre lang für PP tätig war, beschreibt in ihrem Buch Unplanned (deutsch: Le- »Die Organisation erhält im Jahr mindestens 350 Mio US-Dollar.« benslinie) die Vorgaben zur Steigerung der Abtreibungszahlen – unter anderem durch Ausweitung der Abtreibungen bis zur 24. Schwangerschaftswoche. Von den über eine Million Abtreibungen, die jährlich in den USA stattfinden, OFFICIAL WHITE HOUSE PHOTO BY PETE SOUZA HILLARY FOR IOWA ren intensiver, verdeckter Arbeit trat das amerikanische »Center for Medical Progress« an die Öffentlichkeit, mit heimlich aufgenommenen Gesprächen. Die Vertreter des Centers gaben sich gegenüber Funktionären der »Planned Parenthood« als potentielle Käufer von fötalen Organen aus. Man spricht in diesen Gesprächen zwanglos über Organe, die man gewinnen kann (vor allem gefragt sind zurzeit Leber, Herz, neuerdings auch Lunge und Extremitäten, wohl wegen der Muskelzellen), über Preise, die man erzielen kann (30 bis 100 US-Dollar pro Probe), über Schwierigkeiten mit Gesetzen und den Versuch, nicht offen als Beschaffer aufzutreten, sondern eher »hinter verschlossenen Türen«. Das Video, das man sich trotz des unfassbaren Inhalts wirklich ansehen sollte, zeigt ein etwa achtminütiges Gespräch mit der Leiterin der Medizinischen Dienste von »Planned Parenthood«, Dr. Deborah Nucatola. Man sitzt gemütlich in einem Lokal bei Salat und Rotwein und sie erläutert kauend, dass man die Abtreibungen ultraschallkontrolliert vornimmt, damit man genau sehen kann, wo man bei dem Fötus ansetzen muss, um die gewünschten Organe nicht zu beschädigen. So könne man die Leber, die Lunge und das Herz unbeschadet herausbekommen und liefern. Bei der Planung der Abtreibungen könne man schon festlegen, von welchem Fötus man welche Teile gewinnen könne. Der Kopf sei in der Tat ein Problem. Denn normalerweise würde man die Abtreibungen ja mit dem Kopf zuerst vollziehen, was eine Zerstörung notwendig mache. Wenn man die Sache aber umdrehe, also die Abtreibung bei den Füßen beginne, wäre das ganze am Ende so erweitert, dass auch der Kopf in Gänze herausgezogen werden könne. Je besser erhalten der Fötus ist, desto eher ist er verwertbar und muss nicht im Müll landen. Was Frau Nucatola hier beschreibt, ist der in den USA verbotenen Form der Hillary Clinton Barack Obama »Yes, she’s amazing«. Mrs. Richards hat übrigens in ihrer Funktion als Präsidentin und CEO von »Planned Parenthood« ein Jahresgehalt von 400.000 US-Dollar. Das »Center for Medical Progress« hat nicht nur ein Video gedreht, wie man sieht, in weiser Voraussicht. Denn es wurde versucht, dieses erste Video medial möglichst untergehen zu lassen. Es folgte ein zweites, ein drittes, ein viertes, mit immer grausameren Inhalten. Die amerikanische »Planned Parenthood« ist der größte Anbieter von Abtreibungen in den USA. Nach außen tritt die Organisation als Retterin für vor allem mittellose Frauen in Not und als maßgebliche Familienplanungsorganisation auf. Das Geld aber wird mit Abtreibungen verdient. Hinweise darauf gibt es viele. Im Jahr 2013 bekam die Aurora-Einrichtung in Colorado einen Preis dafür, die angesetzten Abtreibungszahlen über- führt »Planned Parenthood« zwischen 32 und 40 Prozent aus. Damit erzielt »Planned Parenthood« ungefähr die Hälfte seines Jahresumsatzes mit vorgeburtlichen Kindstötungen: Die Organisation erhält im Jahr mindestens 300 Millionen USDollar aus staatlichen Programmen. Mit der zugrunde gelegten Zahl von 350.000 Abtreibungen pro Jahr errechnet sich ein Durchschnittsumsatz von 164,5 Millionen US-Dollar (bei durchschnittlichen Kosten von 470 US-Dollar pro Abtreibung). Auch die Geschichte der Organisation hat Flecken: Gegründet wurde sie im Jahr 1921 unter dem Namen »American Birth Control League« von der Eugenikerin Margret Sanger, die eng mit dem Gründer der deutschen »pro familia«, Hans Harmsen, zusammenarbeitete. Die Umbenennung in »Planned Parenthood« erfolgte 1942. Im Jahr 1952, unter Mitwirkung von Frau Sanger, wurde von dem 5 TITEL »Sozialhygieniker« Hans Harmsen die »Deutsche Gesellschaft für Ehe und Familie« gegründet, heute »pro familia«. Man tauschte den Begriff der »Geburtenkontrolle« im Jahr 1965 durch den Begriff »Familienplanung« aus. Beide Vereine gehören zu den Gründungsmit- gliedern des internationalen Dachverbands »International Planned Parenthood Federation«. Schon oft wurde »Planned Parenthood Amerika« vorgehalten, vor allem in Latino- und Schwarzenvierteln Abtreibungseinrichtungen zu betreiben. Beim Zahlenvergleich ist der Anteil schwarzer Kinder (ca. 370.000), ungefähr ein Drittel aller Abtreibungen, in der Tat deutlich höher als der Anteil der schwarzen Bevölkerung an der Gesamtbevölkerung der USA, der lediglich um die 13,2 Prozent beträgt. Dass Kinder nach ihrer Abtreibung weiterverwertet werden, ist keine neue Erkenntnis. Der Organ- und Gewebebereich ist als Verwendungsmöglichkeit international gängig (»fetal organ harvesting« / fötale Organernte). Die Zellen der abgetriebenen Kinder (vorzugsweise im Fötalstadium, weil dann die Orga- »Auch die Geschichte der Organisation hat Flecken.« ne ausgebildet sind und die Zellen unterschieden werden können) verwendet man zum Beispiel, um so genannte Biohybridorgane mit künstlichen Trägermaterialien als Transplantate herzustellen. Außerdem kann man neben Nieren, Lunge, Leber auch Eierstöcke, Augenbestandteile, 6 Bauchspeichel-, Thymusdrüse etc. nutzen. Gängig ist die Verwertung in osteuropäischen Staaten wie der Ukraine, wo Firmen wie »EmCell« oder »UCTC« ganz offen für Verjüngungskuren mit Zellen von abgetriebenen Kindern werben. In Deutschland wurde die mögliche Verwertung der abgetriebenen Kinder ohne öffentliches Aufsehen im Jahr 2007 durch einen neuen § 4 a im Gesetz über die Qualität und Sicherheit von menschlichen Geweben und Zellen (Gewebegesetz) geregelt. Eine Frau darf unmittelbar nach der Abtreibung gefragt werden, ob sie das tote Kind »spendet«. Abgesehen von der Zumutung für eine Frau, die einen belastenden Eingriff hinter sich hat, stellt sich die ethische Frage, ob man ein Kind, das man ohne Einwilligung getötet hat, auch noch ohne Einwilligung ausschlachten darf. Insofern muss man spätestens jetzt hellhörig werden und prüfen, ob es solche Zustände auch bei uns geben könnte. Denn durch diese Änderung wird deutlich gemacht, dass solche »Spenden« vorkommen und offensichtlich geregelt werden mussten. Folglich muss es auch einen, wenn auch hierzulande noch sehr grauen Markt dafür geben. INFO Fötale Gewebespenden Spende ja, Handel nein – Was in den USA als gesetzlich erlaubt und was als verboten gilt Nach Veröffentlichung des ersten Videos hatte Cecile Richards, Präsidentin von »Planned Parenthood« in den USA, in einer eigenen Videobotschaft die Vorwürfe zurückgewiesen: »Ich möchte sehr deutlich sagen: Die Behauptung, ›Planned Parenthood‹ profitiere in irgendeiner Weise von Gewebespenden, ist nicht wahr. Unsere Spender-Programme befolgen – wie die aller Anbieter hochwertiger Gesundheitsdienste – sämtliche Gesetze und ethischen Richtlinien.« In den USA können Frauen Gewebe ihrer abgetriebenen Kinder wissenschaftlichen Einrichtungen unentgeltlich zu Forschungszwecken zur Verfügung stellen. Der Handel mit Körperteilen abgetriebener Kinder ist gesetzlich verboten. Einrichtungen, welche die »Spende« von Geweben organisieren, ist es aber erlaubt, sich die Kosten für die Sammlung und den Transport der Leichenteile von Forschungseinrichtungen, die diese verwenden, finanziell erstatten zu lassen. Dagegen ist es Abtreibungseinrichtungen gesetzlich verboten, vorgeburtliche Kindstötungen im Falle einer anschließenden »Gewebespende« zeitlich oder methodisch so zu steuern, dass dabei die Interessen der Empfänger nach möglichst intakten Föten gewahrt werden. LebensForum 115 Um Kinder vor ihrer Weiterverwertung zu schützen, wären eine Meldepflicht und eine Beerdigungspflicht sinnvoll. Damit hätte man außerdem endlich eine saubere Statistik, um das Gesetz zu prüfen, wie es im Gesetz vorgeschrieben fällig erschien der Präsident persönlich am 26. April 2013 bei einer »Planned Parenthood«-Konferenz in Washington. Laut »Planned Parenthood« sagte er: »Cecile, (…) thank you for the outstanding leadership that you’ve shown over DAVID SHANKBONE Beweise lassen sich nicht leicht finden, eher weitere Indizien. Für ein wichtiges Indiz könnte man die Tatsache halten, dass »pro familia« eine Schrift aus dem Jahr 2000 neu aufgelegt hat. Diese »Expertise« hat den Titel: »Fötales Gewebe Cecile Richards Fetales Gewebe zu verkaufen: Ausschnitt aus dem versteckt gedrehten Video – Ein Gutachten zu Forschung und Verwendung von embryonalem/fetalem Gewebe« (gefördert vom Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend). Ausführlich geht die Expertise darauf ein, welche Organe und Gewebe verwendet werden können, und dass man ist, und man hätte einen Ort der Trauer, des Weiteren gerieten diese Kinder im gesellschaftlichen Ansehen aus dem Bereich des »Gebärmutterinhalts« heraus wieder in die Kategorie der Menschen, was ein wichtiges Zeichen wäre. Nach anfänglicher, erstaunlicher Zurückhaltung nach dem ersten Video haben weitere Veröffentlichungen des »Center for Medical Progress« dazu geführt, dass »Planned Parenthood« unter Druck gerät. Wie heilig diese Kuh ist, zeigt sich unter anderem darin, dass ein Antrag zur Beendigung der finanziellen Unterstützung bereits gescheitert ist – ein erster Versuch im Senat wurde mit 53 zu 46 Stimmen abgelehnt. Die Bundesstaaten Louisiana und Alabama haben sich inzwischen anders entschieden und geben keine Gelder mehr für die Organisation, in weiteren Staaten wird die Sachlage geprüft. Die Demokratin und US-amerikanische Außenministerin Hillary Clinton versuchte nichts zu sagen, musste dann aber doch: Sie sei stolz auf ihre Unterstützung der Organisation und würde niemals aufhören, die Möglichkeit und das Recht jeder Frau zu unterstützen, ihre eigenen gesundheitlichen Entscheidungen zu treffen. Auch US-Präsident Barack Obama ist ein »Pro-choicer«. »Planned Parenthood« pflegt politische Kandidaten der »Pro-choice«-Fraktion im Wahlkampf zu unterstützen. Sicher nicht zu- »Louisiana und Alabama geben keine Gelder mehr.« in manchen Ländern die Abtreibungspraxis entsprechend geändert habe, um die Kinder möglichst zu erhalten. Auch das ist bekannt. So gibt es zum Beispiel manuelle Vakuumaspiratoren (ein mechanisches Gerät für Frühstabtreibungen, meist verschleiert durch den Begriff »Menstruationsregelung«) inzwischen auch mit größerer Kanüle, um den Kopf und etwas größere Embryonen intakt zu halten. Die Schrift endet mit der Empfehlung, sich als Verband intensiv mit diesem Thema zu beschäftigen, weil es durchaus entsprechende Anfragen geben könne. Das war vor 15 Jahren. Es ist nicht davon auszugehen, dass es keine Anfragen gab und gibt, zumal von privaten Praxen und Einrichtungen solche Fälle schon bekannt, nicht aber thematisiert wurden. LebensForum 115 the years. You just do a great, great job.« (www.plannedparenthood.org/about-us/ newsroom/press-releases/obamas-historic-speech). Er dankt Cecile Richards bei seinem Auftritt also ausdrücklich für ihre wundervolle, außergewöhnliche Führungstätigkeit. Die heilige Kuh »Planned Parenthood« wird nach Jahrzehnten der unbehelligten Tätigkeit endlich, wenn auch mit Hindernissen, geprüft. Wie heißt es noch bei »StemExpress«? »Unser Versprechen: Der Schutz der Privatsphäre unserer Forscher und Spender hat bei StemExpress immer höchste Priorität.« Jetzt kann man sich auch vorstellen, warum das so ist. IM PORTRAIT Alexandra Maria Linder M. A. Die Autorin, Jahrgang 1966, hat Romanistik und Ägyptologie studiert und sich als Übersetzerin und Lektorin selbständig gemacht. Die 1. Stellvertretende Bundesvorsitzende der ALfA e. V. hat 2009 das Sachbuch »Geschäft Abtreibung« veröffentlicht, das auch dieses Thema behandelt. Sie lebt mit ihrem Ehemann und drei Kindern im Sauerland. 7 INKLUSION IM PORTRAIT Prof. Dr. med. Holm Schneider Jahrgang 1969, arbeitet als Kinderarzt und Leiter der Abteilung für Molekulare Pädiatrie am Universitätsklinikum Erlangen. Er ist verheiratet und Vater von fünf Kindern. 8 LebensForum 115 Der weite Weg zur Inklusion Trotz legitimer Wünsche gibt es »kein Recht« auf ein »gesundes Kind«, meint der Genforscher, Kinderarzt und Buchautor Holm Schneider. Stefan Rehder sprach mit dem Leiter der Molekularen Pädiatrie am Universitätsklinikum Erlangen, der auch 2. Stellvertretender Vorsitzender der Aktion Lebensrecht für Alle (ALfA) e. V. ist. LebensForum: Herr Professor Schneider: Inklusion ist derzeit in aller Munde. Als Genforscher und Kinderarzt, der sich besonders für Menschen mit Behinderungen einsetzt, könnte Sie dies freuen. Wie zufrieden macht Sie der Umgang von Politik und Gesellschaft mit dem Thema Inklusion? Professor Dr. med. Holm Schneider: Nun, die Richtung stimmt, aber der Weg ist noch weit. Es freut mich, dass die Familien meiner Patienten heute Möglichkeiten vorfinden, um die andere vor zehn Jahren noch mit ganzem Einsatz kämpfen mussten. Das ist politischen Entscheidungen zu verdanken. Ich nehme vielerorts ein Bemühen um Chancengleichheit für Menschen mit Behinderung wahr: in Kindergärten, Schulen, Vereinen, sogar auf dem ersten Arbeitsmarkt. Missverständnisse bleiben da nicht aus, und manchmal kommt es auch zu echten Interessenskonflikten – mit der Gefahr, dass Betroffene ins mediale Rampenlicht gezerrt werden und erbitterte öffentliche Debatten auslösen. Wie Henri aus Baden-Württemberg zum Beispiel, dem die Schlagzeile »Geistig behindert aufs Gymnasium?« wohl eher zweifelhafte Popularität verschafft hat. Inklusion heißt nicht, dass jedem Kind jede Schule offenstehen sollte. Sondern? Dass Menschen mit Behinderung gleichberechtigt mit anderen entscheiden können, welcher Ort für sie der passende ist, und dass sie tatsächlich die gleichen Chancen bekommen. Gerade jene, die sich von klein auf als »anders« erleben, brauchen solche Chancengleichheit, um Selbstachtung und ein realistisches Selbstbild zu entwickeln. Und da viele Begabungen sich erst in der Gemeinschaft entfalten, profitieren auch Gemeinschaften davon, wenn sie Ausgrenzung vermeiden und jemanden, der ernsthaft dazugehören möchte, so annehmen, wie er nun mal ist. LebensForum 115 Wo sehen Sie die größten Defizite? Da, wo man meint, Inklusion lasse sich von außen, durch Verordnungen bewirken. Das geht fast immer schief. Inklusion beginnt im Kopf, nicht auf dem Papier. In Nordrhein-Westfalen zum Beispiel, wo im Sommer 2014 das 9. Schulrechtsänderungsgesetz in Kraft trat, wird jetzt ein Drittel der Kinder mit sonderpädagogischem Förderbedarf an Regelschulen unterrichtet. Ich kenne Lehrer, die das als »Zumutung« bezeichnen – und sie haben recht. Inklusion an Schulen kann nicht ohne die Bereitschaft der Lehrkräfte und der Klassengemeinschaft gelingen, auch nicht ohne adäquate Fortbildung und zusätzliche Ressourcen. Wenn es an solchen Voraussetzungen mangelt, lassen wir uns ungern etwas zumuten – ein Wort, das ursprünglich »zutrauen, besonderen Mut anerkennen« bedeutete. Und tatsächlich braucht es Mut, in einer Gemeinschaft aus lauter jungen, leistungsfähigen, unbehinderten Individuen unsere eigentliche Abhängigkeit voneinander nicht zu verleugnen. Und was schlagen Sie da vor? Zuerst sollten wir die Bilder von Behinderung in unseren Köpfen korrigieren. Jeder von uns kann jederzeit zum Behinderten werden. Kaum jemand wird ein Leben lang gesund sein. Krankheiten und Handicaps gehören zum Leben einfach dazu, manchmal schon von Anfang an. Eltern, Mitschüler und Lehrer, die das verstanden haben, werden einander zutrauen, mitzuwachsen mit einem besonderen Kind. Die meisten Erwachsenen wissen auch, dass es sinnlos ist, an jedes Kind die gleichen Anforderungen zu stellen. Der Überflieger lernt dabei, dass er sich nicht mühen muss, andere werden überfordert und damit demotiviert. Bildung sollte jedoch helfen, eigene Stärken zu erkennen und schät- zen zu lernen, ebenso wie die der anderen. Kurz: Es braucht mehr als nur politische Vorgaben, um Behinderte inkludieren zu können. Ist es kein Widerspruch, wenn Bund, Länder und Kommunen überlegen, wie Inklusion in Städten und Gemeinden, in Kindergärten und Schulen, am Arbeitsplatz und in der Freizeit gelingen kann, andererseits aber Gesetze beibehalten, die die vorgeburtliche Tötung von Menschen mit Behinderungen ermöglichen, und darüber hinaus die Entwicklung von Gentests fördern, mit denen sich die Träger genetischer Besonderheiten identifizieren und selektieren lassen? Ja, das ist ein frappierender Widerspruch, auf den ich auch immer wieder hinweise. Wirkliche Inklusion beginnt schon vor der Geburt. In Deutschland ist der sogenannte PraenaTest seit August 2012 erhältlich. Laut dem Hersteller, der Konstanzer BioTech-Firma LifeCodexx, haben bereits im ersten Jahr 6.000 Frauen von diesem Test Gebrauch gemacht. Rund die Hälfte davon in Deutschland. LifeCodexx bewirbt den Bluttest als schnelle und sichere Alternative zu Fruchtwasseruntersuchungen und der Chorionzottenbiopsie, da er eine Genauigkeit von 99,8 Prozent aufweise und nicht das Risiko einer Fehlgeburt berge. Befürworter des PraenaTests argumentieren, durch den Bluttest sei eine vorgeburtliche Diagnostik nun mit weniger Risiken für Mutter und Kind verbunden. Ein Argument, das auch den Genforscher und Kinderarzt Schneider überzeugt? Nun, für das Kind ist dieser Test durchaus riskant, denn wenn es tatsächlich oder auch nur vermeintlich – infolge falschpositiver Befunde – von der Norm abweicht, dann kann sein Lebensrecht vom Staat nicht mehr gewährleistet werden. Wir wissen ja zum Beispiel, dass nach der vorgeburtlichen Diagnose einer Trisomie 21 (Down-Syndrom) über 90 Prozent der Betroffenen abgetrieben werden. Der PraenaTest wird ab der vollen9 INKLUSION Derzeit ist der PraenaTest eine sogenannte IGeLLeistung, die von den Patientinnen privat bezahlt werden muss. LifeCodexx bemüht sich aber um Aufnahme des PraenaTests in den Leistungskatalog der gesetzlichen Krankenkassen. Der Gemeinsame Bundesausschuss berät bereits über einen Antrag auf Erprobung des PraenaTests. Entscheidet der sich dafür, könnte als Ergebnis der dann durchzuführenden Studien die Aufnahme des Tests in die Regelleistungen der gesetzlichen Krankenkassen folgen. Mit welchen Veränderungen müsste unsere Gesellschaft in einem solchen Fall rechnen? Damit, dass der PraenaTest dann ein Test für fast jede Schwangere wird, weil viele Ärzte ihn dann unabhängig vom Alter der Schwangeren oder anderen Risikofaktoren anbieten werden. Die Deutsche Gesellschaft für Humangenetik erklärte dazu schon 2012, dass diese Untersuchung »allen Schwangeren verfügbar gemacht werden sollte«. Damit käme es zu einer weiteren Aushöhlung des Lebensschutzes ungeborener Kinder, auch der genetisch normalen. Denn je breiter der Test eingesetzt wird, desto wahrscheinlicher ist es, dass die Diagnose einer »Chromosomenstörung« gar nicht stimmt. In Studien lag eine falsch-positive Diagnose in 0,2 bis 0,3 Prozent der Fälle vor. Würde man alle Schwangerschaften testen, also auch die junger Frauen, bei denen kindliche Chromosomenanomalien viel seltener sind, wären die meisten vermeintlich Betroffenen ganz normale Kinder. Solche Screening-Untersuchungen würden außerdem dazu führen, dass Menschen, deren genetische Merkmale aus Sicht ihrer Eltern unerwünscht sind, keine Chance 10 mehr haben, geboren zu werden. Diese »Eugenik von unten« könnte das Gleiche bewirken wie »von oben«, vom Staat angeordnete Eugenik, nämlich das Aussterben bestimmter Menschengruppen. Ich finde es absurd, so etwas als Regelleistung von Krankenkassen vorzuschlagen. Das ist ein Angriff auf die Würde des Menschen insgesamt. Besondere Bedeutung kommt in diesem Zusammenhang auch dem Arzthaftungsrecht zu. In der Vergangenheit haben Richter bereits Ärzte zu Schadensersatz verurteilt, weil diese Frauen nicht eindrücklich genug vor der Möglichkeit gewarnt hätten, ein Kind mit Down-Syndrom zu bekommen. Ist eine Kind-als-Schaden-Rechtsprechung in einer Gesellschaft, die sich die Inklusion auf die Fahne geschrieben hat, nicht ein merkwürdiger Anachronismus? gesundheitlichen Beeinträchtigung des Ungeborenen seitdem immer rechtswidrig ist und das Verhindern einer rechtswidrigen Tat nie einen Schadensersatz begründen kann, sollten Kind-als Schaden-Prozesse in unserem Land eigentlich nicht mehr vorkommen. Trotzdem hat der Bundesgerichtshof 2002 eine Ärztin zur Zahlung von Kindesunterhalt verurteilt, weil sie schwere Fehlbildungen der Arme und Beine, die bei vorgeburtlichen Ultraschalluntersuchungen hätten erkannt werden müssen, der Schwangeren nicht mitteilte. Auch bei erfolglosen Abtreibungsversuchen wurden Ansprüche gerichtlich verhandelt oder über die Haftpflichtversicherung des Arztes befriedigt. Aus meiner Sicht ist nicht die Haftpflichtversicherung des Frauenarztes, sondern die gesamte Solidargemeinschaft in DENYS_KUVAIEV/FOTOLIA.COM deten neunten Schwangerschaftswoche angeboten. Das Ergebnis liegt nach vier bis zehn Tagen vor. Laut § 218 a Absatz 1 StGB ist bis zur zwölften Lebenswoche des ungeborenen Kindes dessen straffreie Abtreibung möglich, wofür nur ein Beratungsschein vorgelegt werden muss. Ob das Testergebnis der Grund dafür war, wird nirgends erfasst. Auf dem Auftragsbogen zum PraenaTest lassen sich außer Trisomie 21 derzeit sechs weitere genetische Besonderheiten ankreuzen, die man beim Baby »ausschließen« möchte. Zum Beispiel das Turner-Syndrom, eine Chromosomenanomalie, die zu behandelbarem Kleinwuchs führt – bei normaler Intelligenz und Lebenserwartung. Dieser Test birgt also nicht nur für Kinder mit Down-Syndrom ein tödliches Risiko – und er bringt Schwangere in Gefahr, eine Entscheidung unter Zeitdruck zu treffen und dann ein Leben lang Mutter eines getöteten Kindes zu sein. Über 90 Prozent der Kinder mit Down-Syndrom werden heute abgetrieben Als Vater wie als Kinderarzt verstehe ich natürlich den Wunsch nach gesunden Kindern. Der ist völlig legitim. Ich weiß aber auch, dass es kein Recht darauf gibt und dass kein Test auf dieser Welt ein gesundes Kind garantieren kann. Dennoch wurden Ärzte zur Unterhaltskostenzahlung verurteilt, weil die Eltern erklärten, dass sie ihr Kind bei rechtzeitiger Kenntnis seiner Behinderung abgetrieben hätten. In Österreich zum Beispiel gab und gibt es solche Fälle immer wieder. In Deutschland dagegen wurde die sogenannte embryopathische Indikation vor 20 Jahren abgeschafft – wegen des Diskriminierungsverbotes im Grundgesetz. Da eine Abtreibung allein wegen einer der Verantwortung, wenn einer Familie durch die Geburt eines Kindes mit angeborenen Besonderheiten Nachteile entstehen. Dafür zu sorgen, wäre notwendige Anti-Diskriminierungspolitik. Welche Maßnahmen müsste der Gesetzgeber Ihrer Ansicht nach ergreifen, um derartige Urteile zukünftig unmöglich zu machen? Er müsste zunächst die immense Wirkung solcher Gerichtsurteile zur Kenntnis nehmen: Schon das erste Urteil des Bundesgerichtshofs zur fehlerhaften Aufklärung über Pränataldiagnostik führte zu einer sprunghaften Ausbreitung der Fruchtwasseruntersuchung. Während LebensForum 115 das Verfahren noch lief, verdoppelte sich bundesweit die Zahl der Fruchtwasseruntersuchungen. Und Ärzte, die Schwangere so berieten, dass sie ein mutmaßlich behindertes Kind nicht zur Welt brachten, fühlten sich auf der sicheren Seite. Das Problem ist nicht die Pränataldiagnostik an sich, sondern der Auftrag an den Arzt, vorgeburtlich festzustellen, ob ein Kind bestimmte Eigenschaften hat, um sein Leben gegebenenfalls »rechtzeitig« zu beenden. Wofür werden Ärzte bei fehlerhafter Pränataldiagnostik haftbar gemacht? Nicht für die Beeinträchtigung des Kindes, sondern für das Unterbleiben eines Schwangerschaftsabbruches. Der Gesetzgeber müsste also verhindern, dass Selektion und Tötung menschlichen Lebens als ärztliche Aufgaben angesehen werden, die dann eben auch »Qualitätsansprüchen« zu genügen hätten. Das gilt für das Thema Abtreibung genauso wie für die aktuelle Debatte um aktive Sterbehilfe. Im Falle des Oldenburger Babys Tim – eines heute 18-jährigen Mannes, der seine eigene Abtreibung überlebte – wurde einer Zeugin vor Gericht eine eidesstattliche Erklärung abverlangt, dass Tims Mutter vor dem Eingriff auf das mögliche, wenn auch unwahrscheinliche Überleben des Kindes hingewiesen worden war. Das ist eigentlich unfassbar. Gehört es nicht zum Grundverständnis unseres Rechtssystems, dass Menschen dem Versuch ihrer Tötung normalerweise Widerstand entgegensetzen und, Gott sei Dank, manchmal überleben? Der Gesetzgeber sollte Möglichkeiten schaffen, dass Kinder ungewollt Schwangerer leichter von ungewollt Kinderlosen adoptiert werden können, und er sollte dafür sorgen, Alternativen zur Selbsttötung wie Hospize und Palliativstationen noch viel bekannter zu machen. Und nicht zuletzt sollte er der verbreiteten Vorstellung, alles einklagen zu können, entgegentreten. Ein gesundes Baby ist und bleibt ein Geschenk. Als Kinderarzt beraten Sie selbst ja auch Schwangere, bei deren Kind eine Fehlbildung oder Krankheit diagnostiziert wurde. Wie gehen Sie selber mit dem Haftungsrisiko um? Wenn die Diagnostik und die Informationen, die im Aufklärungsgespräch übermittelt werden, dem medizinischen Standard und der konkreten Situation der Schwangeren entsprechen, ist jeder Arzt berechtigt und nach aktueller Gesetzeslage auch verpflichtet, lebenserhaltend zu beraten. Ich muss bei ordnungsgemäßer Aufklärung keine Haftung befürchten, wenn ich versuche eine Frau LebensForum 115 zur Fortsetzung der Schwangerschaft mit einem mutmaßlich behinderten Kind zu ermutigen, wenn ich Kontakte zu Familien herstelle, die das Leben mit einem betroffenen Kind anschaulich machen, oder auf die Nachteile und ungewollten möglichen Folgen weiterer Pränataldiagnostik hinweise. Wer nicht regelmäßig mit Menschen mit Behinderung zu tun hat, wirkt im Umgang mit ihnen oft verunsichert und gehemmt. Vergleichbar jemandem, der sich in einer Sprache auszudrücken sucht, die er nicht beherrscht. Kann man sagen, Übung macht auch hier den Meister, oder gibt es da vielleicht noch anderes zu berücksichtigen, etwa dass behinderte Menschen uns unsere eigene Verletzlichkeit vor Augen führen, was zum Beispiel auch Ängste hervorrufen kann? Das trifft sicher zu. Menschen, deren Grenzen sichtbar sind, erinnern uns eben auch an unsere eigene Schwäche, daran, dass jeder Mensch angewiesen ist auf andere, dass niemand alles alleine schafft. Damit muss ich mich erst mal auseinandersetzen. Habe ich den Mut, mich meiner Begrenztheit zu stellen, meinen Schattenseiten, meinen Schwächen und Ängsten? Das konfrontiert mich plötzlich ganz konkret mit der Frage: Was macht mein Leben wertvoll? Und hier können Menschen mit Behinderung uns Wesentliches sagen: Mein Wert ist nicht das Produkt meiner geistigen und körperlichen Kräfte. Er ist nicht an Leistungsfähigkeit gebunden, weder im Himmel noch auf Erden – ich erinnere da nur an Papst Johannes Paul II. bei seinen letzten öffentlichen Auftritten. Wer über diese Frage nachdenkt, dem kann nichts Besseres passieren, als Menschen mit Behinderung kennenzulernen, sie schätzen zu lernen – und dadurch an die Hand genommen zu werden, die eigenen Grenzen anzunehmen. Wer sich darauf einlässt, der kann enorm viel gewinnen. Es gibt viele Menschen mit Behinderung, die anderen gern einen Einblick in ihr Leben gewähren, und es gibt Gemeinschaften, wo man staunend erkennt, dass auch Menschen mit einem ganz kleinen Kompetenzbereich eine ihnen gemäße Aufgabe finden können. Kinder, die zusammen mit Behinderten den Kindergarten und die Schule besuchen, verlieren meist recht schnell die Hemmung und lernen relativ problemlos, angemessen mit ihnen umzugehen. Aber was ist mit den Menschen, die noch in einer exklusiven Bildungslandschaft aufgewachsen sind? Was kann ihnen helfen, die Angst oder auch nur Scheu vor dem Umgang mit Behinderungen zu überwinden? Am besten der eigene Wille, es einfach mal zu versuchen. Sie sind nicht nur Kinderarzt und Genforscher, sondern auch Autor mehrerer Kinder- und Sachbücher, die auf ganz unterschiedliche Weise zeigen, wie Menschen mit Behinderung unsere Gesellschaft bereichern. In Ihrem 2014 im Neufeld Verlag erschienenen Buch »Was soll aus diesem Kind bloß werden?« haben Sie sieben Menschen mit Down-Syndrom porträtiert und damit gezeigt, wie eine gelungene Inklusion von Menschen mit Behinderung in der Arbeitswelt aussehen kann. Welche Rückmeldungen haben Sie auf dieses Buch, das bereits seine 2. Auflage erlebt hat, bekommen? Mehr als erwartet. Es gab Rückmeldungen von Eltern, die zeigen, dass diese Geschichten tatsächlich Mut machen, dass sie den Blick auf das lenken, was Menschen mit Down-Syndrom können. Unser Bundespräsident Joachim Gauck schrieb, er freue sich über die Zuversicht, die das Buch ausstrahle und die in unserem Land gebraucht werde. Auch der Brief eines Bischofs, der mich wissen ließ, dass er aktiv zur Verbreitung des Buches beiträgt, hat mich sehr berührt. Gestaunt habe ich, auf welch originellen Wegen es in die Hände von Firmenchefs, also potenziellen Arbeitgebern, gelangt ist – oder zu einer Schwangeren, die voller Angst war, weil man bei ihrem Baby im Bauch eine verdickte Nackenfalte festgestellt hatte. Sie hat Kraft für das »Ja« zu ihrem Kind aus diesem Buch gewonnen, zusammen mit der Erkenntnis, dass auch aus Kindern mit Down-Syndrom etwas werden kann. Arbeiten Sie bereits an einem neuen Projekt? Und wenn ja, was ist davon schon mitteilbar? Im Sommerurlaub möchte ich ein anderes Buch abschließen, in dem es nicht um die Arbeitswelt geht, sondern um Inklusion im privaten Umfeld: Es erzählt von Menschen mit unterschiedlichen Handicaps, die den Wunsch nach einer eigenen Familie trotzdem verwirklicht haben. Und von Kindern, die ihre Eltern, obwohl sie anders sind, nicht weniger lieben. Es soll im Frühjahr 2016 im Neufeld Verlag erscheinen. Patienten in meiner Spezialambulanz fragen mich immer wieder: »Kann so jemand wie ich auch mal heiraten und Kinder bekommen?« Darauf zu antworten, fiel mir anfangs schwer. Deshalb habe ich sehr genau hingehört, wenn Menschen mit Behinderung über ihre Erfahrungen sprachen, und einige haben mir erlaubt, ihre persönliche Geschichte weiterzuerzählen. 11 BIOETHIK-SP L I T T E R +++ Bioethik-Splitter +++ Bioethik-Splitter +++ Bioethik-Splitter +++ Bio CHERRYX Straßburg (ALfA). Es gibt kein Grundrecht auf assistierten Suizid. Das hat Mitte Juli der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) in Straßburg bekräftigt (Az.: 2478/15). Die Richter wiesen die Klage einer Britin als unbegrün- Der EGMR in Straßburg det ab. Mit der Klage wollte die Frau die vermeintlichen Rechte ihres inzwischen verstorbenen Mannes geltend machen. Nach einem Schlaganfall litt dieser unter dem Locked-in-Syndrom: Er war bei vollem Bewusstsein, sein Körper aber fast völlig gelähmt. Laut den britischen Gerichten habe er sterben wollen, sei aber aufgrund seiner Lähmungen nicht in der Lage gewesen, sich ohne fremde Hilfe das Leben zu nehmen. Beihilfe zum Suizid ist in Großbritannien strafbar und kann mit bis zu 14 Jahren Haft geahndet werden. Mit der Klage wollte der Mann erreichen, dass die britischen Gerichte seinen Sterbewunsch akzeptieren. Dies war jedoch bis hinauf zum Obersten Gerichtshof erfolglos geblieben. Daraufhin verweigerte der Mann die weitere Aufnahme von Nahrung, Flüssigkeit und Medikamenten und starb im August 2012. Seine Ehefrau rief später den EGMR an. Das Verbot des assistierten Suizids, die Strafandrohung bei entsprechender Hilfe sowie das Urteil des Obersten Gerichtshofs in Großbritannien hätten das Grundrecht ihres Mannes auf Privat- und Familienleben verletzt. Der EGMR wies die Beschwerde ab. In ihrer Begründung beriefen sich die Richter auf ein Urteil vom 29. April 2002 (Az.: 2346/02). Damals hatten die Straßburger Richter eine Britin mit einer unheilbaren, zuletzt ebenfalls zu völliger Lähmung führenden Muskelschwäche abgewiesen. Ein Recht auf assistierten Suizid lasse sich aus der Europäischen Menschenrechtskonvention nicht unmittelbar ablei- ten. Unter den Zeichnerstaaten gebe es auch keinerlei Konsens in dieser Frage. Daher hätten die Staaten bei deren Regelung einen weiten Spielraum. In dem von den Richtern nun zu entscheidenden Fall hatte die Ehefrau einen gesellschaftlichen Wandel geltend zu machen versucht. Die Bereitschaft, einen assistierten Suizid zu akzeptieren, sei deutlich gewachsen. Dem hat der EGMR nun widersprochen. Ein Konsens in dieser Frage sei nicht in Sicht. In dieser Situation biete die Menschenrechtskonvention den britischen Gerichten keinerlei Handhabe, sich über die Gesetzesentscheidungen des Parlaments hinwegzusetzen. Die Beschwerde sei offensichtlich unbegründet und daher unzulässig, befanden die Straßburger Richter. san Fähigkeiten eines menschlichen Embryos herstellen.« Menschen wären dann »in der Lage, Menschen zu konstruieren – nach eigenen Vorstellungen«. Dies bedrohe die Einmaligkeit des Menschen. »Jeder Mensch hat ein Recht auf Einmaligkeit und eine eigene Würde. Kein Mensch darf sich anmaßen, willkürlich die genetischen Merkmale eines anderen zu bestimmen. Das Klonen würde der Selektion von Menschen mit vermeintlich höheren Qualitäten Tür und Tor öffnen.« Ein Mensch dürfe aber niemals »Mittel zum Zweck« werden, so Losinger weiter. Die »gesetzlichen Strukturen« zu einem Reproduktionsmedizin-Gesetz zusammenzuführen, hält der Weihbischof für einen »notwendigen Ansatz«. Wichtig sei, »dass dabei die hohen ethischen Standards gewahrt bleiben. Der Lebensschutz für Embryonen, den das Embryonenschutzgesetz garantiert, darf nicht angetastet werden«, fordert Losinger. reh Losinger für neues Reproduktionsmedizin-Gesetz Berlin (ALfA). Augsburgs Weihbischof Anton Losinger hält es für notwendig, Gesetze wie das Embryonenschutzgesetz, das Gentechnikgesetz und das Stammzellgesetz zu novellieren und »zu einem großen Reproduktionsmedizin-Gesetz zusammenzuführen«. Im Interview mit dem »Berliner Tagesspiegel« (Ausgabe vom 2. August) sagte Losinger, der auch Mitglied des Deut- Mütter nur noch selten »guter Hoffnung« WWW.CDUCSU.DE EGMR: Es gibt kein Recht auf einen assistierten Suizid Weihbischof Anton Losinger schen Ethikrates ist, mittlerweile könnten menschliche Körperzellen »so reprogrammiert werden, dass daraus pluripotente Zellen entstehen. Aus ihnen kann man Nerven-, Muskel-, Leber- oder Blutzellen generieren.« Das sei ethisch unbedenklich. In Kürze würden Forscher jedoch in der Lage sein, aus menschlichen Körperzellen totipotente Zellen zu entwickeln. »Das wäre ein gigantischer Sprung«, so Losinger. »Denn aus totipotenten Zellen lassen sich Funktionen und Gütersloh (ALfA). So gut wie alle Schwangeren (99 Prozent) nehmen mittlerweile Vorsorgemaßnahmen in Anspruch, die in den Mutterschafts-Richtlinien gar nicht vorgesehen sind. Hierzu zählen etwa mehr als drei Ultraschalluntersuchungen sowie Blut- oder Herztonmessungen. So lautet das Ende Juli präsentierte Ergebnis einer Studie der Bertelsmann Stiftung, für die knapp 1.300 Mütter kurz nach der Geburt befragt wurden. Nahezu unerheblich war dabei, ob bei den Frauen eine sogenannte Risikoschwangerschaft oder ein unauffälliger Verlauf vorlag. Laut der Studie ließen 49 Prozent der Frauen mit normal verlaufender Schwangerschaft fünf und mehr Ultraschalluntersuchungen durchführen. Nahezu jede ließ eine Kardiotokographie (CTG) durchführen. Beim CTG werden die Herztöne des Kindes und die Wehen der Mutter erfasst. Vier von fünf Frauen haben für die oft unnötigen Untersuchungen auch ins eigene Portmonee gegriffen. Laut den Autoren der Studie hatten weder das Alter (Frauen ab 35 Jahren gelten automatisch als Risikoschwangere) noch das Einkommen oder der Bildungsabschluss der Schwangeren einen Einfluss darauf, ob die Frauen Zusatzuntersuchungen in Anspruch nahmen oder nicht. »Mehr ist nicht zwingend besser. +++ Bioethik-Splitter +++ Bioethik-Splitter +++ Bioethik-Splitter +++ Bio 12 LebensForum 115 oethik-Splitter +++ Bioethik-Splitter +++ Bioethik-Splitter +++ BioethikEs gibt eine klare Überversorgung während der Schwangerschaft«, erklärte Uwe Schenk, Gesundheitsexperte der Bertelsmann Stiftung. Experten fürchten, eine Schwangerschaft werde immer häufiger als etwas Krankhaftes und Behandlungswürdiges verstanden. reh mehr als 74 Prozent im Vergleich zum Zeitraum März bis Mai 2014. In Sachsen und Bremen betrug der Anstieg rund 67 Prozent. Am geringsten fiel der Anstieg im Saarland und in Berlin aus mit einem Plus von rund 21 beziehungsweise 27 Prozent. reh Verkaufsboom bei »Pille danach« hält an Zahl der Organspender wieder gestiegen Frankfurt am Main (ALfA). Die Zahl der Organspender in Deutschland ist im ersten Halbjahr 2015 erstmals seit längerem wieder gestiegen. Von Januar bis Ende Juni gab es 464 Organspender gegenüber 435 im Vergleichszeitraum des Vorjahres. Dies teilte die Deutsche Stiftung Organtransplantation (DSO) Ende Juli in Frankfurt mit. »Damit ist der seit einigen Jahren anhaltende Abwärtstrend bei der Organspende durchbrochen« wird der Medizinische Vorstand der DSO, Axel Rahmel, zitiert. Rahmel sprach von einer »vorDANIEL RENNEN Berlin (ALfA). Die Handlungsempfehlungen für den rezeptfreien Verkauf der »Pille danach« in Apotheken lassen weiter auf sich warten. Die Empfehlungen würden noch an einigen Stellen überarbeitet, sagte eine Sprecherin der Bundesvereinigung Deutscher Apothekerverbände Ende Juli der Katholischen Nachrichten-Agentur. Die Grundprinzipien der bisherigen Empfehlungen blieben erhalten. Seit Mitte März ist die »Pille danach« in deutschen Apotheken rezeptfrei erhältlich. Versandapotheken wurden von der Abgabe ohne Rezept ausgenommen, um Missbrauch zu verhindern. Die Bundesvereinigung der Apothekerverbände hatte Ende Januar erste Handlungsempfehlungen und eine Checkliste veröffentlicht. Darin heißt es, der Apotheker solle die »Pille danach« der Kundin persönlich und möglichst nicht auf Vorrat verkaufen. Bei minderjährigen Kundinnen weisen die Verbände auf die besondere Sorgfaltspflicht hin. Eine Abgabe ist aber laut Verordnung grundsätzlich an »Frauen im gebärfähigen Alter« rechtens. Die endgültige Verkaufsentscheidung liege beim Apotheker, betonte die Sprecherin. Frauenärzte hatten unter anderem kritisiert, dass die Empfehlungen nicht ausreichende Informationen über die nachlassende Wirksamkeit des Präparats bei einer Zunahme des Gewicht enthielten. Seit der Rezeptfreigabe der »Pille danach« wurden in Deutschland bis Ende Mai 167.500 Packungen über den Tresen gereicht. Das teilte der Gesundheitsinformationsdienst »IMS Health« mit. Im Vergleichszeitraum des Vorjahres seien es 119.800 Packungen gewesen. Das entspreche einem Anstieg von nahezu 40 Prozent. Vor allem in ostdeutschen Bundesländern stieg der Verkauf stark an. Den höchsten Anstieg gab es in Brandenburg und Sachsen-Anhalt mit einem Plus von Wertvolles Gut: Menschliche Organe sichtigen Hoffnung«, dass sich »die Organspendezahlen weiter erholen«. Allerdings sei es zu früh, »um von einer echten Trendwende bei der Organspende zu sprechen«. Nachdem in mehreren Transplantationszentren Manipulationen bei der Verteilung von Organen aufgedeckt wurden, ging die Zahl der Organspenden in Deutschland in den vergangenen Jahren zurück. Im ersten Halbjahr 2010 hatten noch 648 Menschen Organe gespendet. reh PID: Ethikkommission konstituiert Stuttgart (ALfA). Die gemeinsame PID-Ethikkommission der Länder Ba- den-Württemberg, Hessen, RheinlandPfalz, Saarland, Sachsen und Thüringen zur Durchführung der Präimplantationsdiagnostik (PID) hat sich am 15. Juli 2015 konstituiert. Sie wurde gemäß Staatsvertrag bei der Landesärztekammer Baden-Württemberg eingerichtet. Die PID-Ethikkommission hat die Aufgabe, Anträge auf Durchführung einer Präimplantationsdiagnostik zu bewerten. Nach dem Willen des Gesetzgebers ist eine solche Behandlung nur ausnahmsweise und nur unter strengen Voraussetzungen zuzulassen. Der Kommission gehören acht Mitglieder an: Vier medizinische Sachverständige aus den durch die PID berührten Fachrichtungen, jeweils ein Sachverständiger oder eine Sachverständige der Fachrichtungen Ethik und der Fachrichtung Recht. Ferner jeweils ein Vertreter einer Organisation, die sich maßgeblich für die Wahrnehmung der Interessen der Patienten engagiert, sowie ein Vertreter einer Organisation, die sich maßgeblich für die Wahrnehmung der Interessen der Selbsthilfe der Menschen mit Behinderung engagiert. Jedes Mitglied hat zwei Stellvertreter. Zur Vorsitzenden wählten die Mitglieder der Kommission einstimmig Dr. med. Gabriele du Bois aus Böblingen. Die Fachärztin für Humangenetik ist seit Jahren im Ethikausschuss des Deutschen Ärztinnenbundes aktiv und seit 2011 auch dessen erste Vorsitzende. Im März dieses Jahres hatte sich die Bayerische Ethikkommission für Präimplantationsdiagnostik konstituiert. Sie wird von Prof. Dr. med. Hugo Segerer geleitet. Segerer ist Professor und Chefarzt der Neonatologie und Diabetologie im St. Hedwig Krankenhaus der Barmherzigen Brüder. Aufgabe der Ethikkommission ist es zu prüfen, ob eine medizinische Indikation vorliegt, die zur Vornahme einer PID berechtigt. Die Kommission ist für alle vier im Freistaat angesiedelten PID-Zentren zuständig und soll gewährleisten, dass in ganz Bayern nach einheitlichen Kriterien entschieden wird. »Die genetische Untersuchung von Embryonen ist ein ethisch-moralisches und rechtliches Spannungsfeld. Klar ist: Die PID darf auf keinen Fall als ein Selektionsinstrument wahrgenommen werden«, betonte Bayerns Gesundheitsministerin Melanie Huml. pd/reh oethik-Splitter +++ Bioethik-Splitter +++ Bioethik-Splitter +++ BioethikLebensForum 115 13 AUSL AND Kinder sind keine Waren Im Mai dieses Jahres hat das höchste Gericht der Schweiz einem homosexuellen Paar die Anerkennung eines mittels Leihmutterschaft in den USA gezeugten Kindes als leibliches Kind beider Männer verweigert und dafür in vielen Medien harsche Kritik geerntet. Ende Juli hat das Bundesgericht nun sein schriftliches Urteil veröffentlicht. Eine lohnende Lektüre. Von Sebastian Sander sen hatten. Das Paar lebt in der Schweiz, wo es am 11. Februar 2011 seine Lebensgemeinschaft eintragen ließ. Im Land der unbegrenzten Möglichkeiten erwirkte das Paar am 24. Februar 2011 zudem ein Vaterschaftsurteil des Superior Courts des County of Kern von Kalifornien, welches den Spermienspender zum genetischen und leiblichen Vater und dessen Partner zum vermuteten zweiten leiblichen Vater des noch ungeborenen Kindes erklärte. Außerdem ver- Manches stellt man heute besser gleich am Anfang klar. In diesem Beitrag geht es nicht um Homosexualität, sondern um künstliche Befruchtung und Leihmutterschaft. Auf die Gefahr hin, dass der Autor den einen oder anderen Leser enttäuscht, es geht hier auch nicht um die Frage, was sündhafte Sexualität ist, sondern darum, was Recht und Unrecht ist. Nicht vor Gott, sondern vor dem Gesetz. Dass das Paar, das von Schweizer Behörden die Anerkennung eines auf solche Weise gezeugten Kindes verlangte, ein homosexuelles ist, das in einer eingetragenen Lebensgemeinschaft lebt, spielt bei dem bemerkenswerten Urteil, das die Schweizer Bundesrichter bereits im Mai fällten und dessen schriftliche Fassung sie nun veröffentlichten, keine Rolle. Es hätte auch ein heterosexuelles sein können. In der Schweiz ist – wie in Deutschland – nicht Homosexualität verboten, sondern die Leihmutterschaft, und das unabhängig vom Zivilstand der Betroffenen. Natürlich steht es jedem trotzdem frei, den Schweizer Bundesrichtern und/oder dem Autor dieses Beitrags einen Hang zur Homophobie zu unterstellen. Es wäre allerdings wahrheitswidrig. ner Beschwerde gegen die Entscheidung ein. Nach mehreren Instanzen landete der Fall schließlich vor dem Schweizerischen Bundesgericht. DAS URTEIL In ihrem Urteil (5A_748/2014) weisen die obersten Schweizer Richter darauf hin, dass sowohl die Schweizer Bundesverfassung als auch das Schweizer Fortpflanzungsmedizingesetz sämtliche DANIEL RENNEN EINE VORBEMERKUNG DIE VORGESCHICHTE Am 11. April 2011 erblickte in Bakersfield im US-Bundesstaat Kalifornien ein Kind das Licht der Welt, das auf natürliche Weise gar nicht hätte entstehen können. Denn das Kind wurde in einem Labor aus einem Spermium seines Vaters und einer von einer anonymen Frau gespendeten Eizelle gezeugt. Anschließend wurde die so befruchtete Eizelle in die Gebärmutter einer anderen Frau transferiert, mit welcher der Vater und sein homosexueller Partner im Juli 2010 einen Leihmuttervertrag geschlos14 Es gibt Dinge, die man nicht mieten können sollte: etwa den Bauch einer Frau fügte das Gericht, in der Geburtsurkunde des Kindes die Namen der beiden Männer einzutragen. Zurück in der Schweiz bemühten sich die beiden Männer um die Anerkennung des ausländischen Gerichtsurteils und der daraufhin ergangenen Geburtsurkunde und beantragten eine entsprechende Eintragung in das Personenstandsregister. Nachdem das zuständige Amt dies abgelehnt hatte, legten die beiden Män- Formen der Leihmutterschaft verböten. In ihrer schriftlichen Urteilsbegründung führen die Richter dazu aus: »Das Verbot der Leihmutterschaft wird mit dem Schutz der Frau vor Instrumentalisierung und mit dem Schutz des Kindeswohls begründet. (...) Die biologische (austragende) Mutter soll nicht dem Konflikt zwischen der psychischen Bindung an ihr Kind und der Zusage gegenüber den Wunscheltern ausgesetzt werden und das Kind ist davor LebensForum 115 LebensForum 115 der Leihmutter vor der Kommerzialisierung ihres Körpers, bedeutungslos wäre, wenn die Rechtsumgehung der Wunscheltern nachträglich gültig erklärt würde.« Ferner würde »die Verneinung der Ordre public-Widrigkeit« die »rechtsanwendenden Behörden zwingen, ein durch Rechtsumgehung erreichtes Kindesverhältnis als fait accompli (Anm. der. Redaktion: vollendete Tatsache) zu akzep- Für Lebensrechtler in Deutschland ist das Urteil der obersten Schweizer Richter in mehrfacher Hinsicht ermutigend: Denn auch Deutschland steht eine Debatte über eine Liberalisierung des Verbots der Leihmutterschaft wie der Eizellspende bevor. Und auch deutsche Paare – homosexuelle, aber auch heterosexuelle – umgehen längst das geltende deutsche Recht, indem sie im Ausland sittenwidri- DANIEL RENNEN zu schützen, dass es zur Ware degradiert wird, die man bei Dritten bestellen könne.« Das Verbot der Leihmutterschaft gelte »unabhängig vom Zivilstand«. Der US-amerikanische VaterschaftsEntscheid könne in der Schweiz nicht anerkannt werden, da er mit dem »Ordre public«, den inländischen Wertvorstellungen, »schlechthin unvereinbar wäre«. Dabei halten die Richter ausdrücklich fest, das kalifornische Urteil sei nicht deshalb »Ordre public-widrig«, »weil es ein Kindesverhältnis zu zwei miteinander rechtlich verbundenen Männern herstellt«. Eine im Ausland ausgesprochene Stiefkindadoption sei auch bei eingetragenen Lebenspartnern »grundsätzlich anerkennbar« und verstoße »nicht per se gegen den schweizerischen Ordre public«. Und das, obwohl in der Schweiz Homosexuellen die Adoption eines Kindes, das einer der Partner aus einer früheren heterosexuellen Verbindung mitbringt, bislang rechtlich untersagt ist. Die beiden Männer hätten jedoch, als sie in den USA einen Leihmutterschaftsvertrag abschlossen, die für die Schweiz geltende Rechtsordnung bewusst umgangen. Dass die beiden Männer »als schweizerische Staatsangehörige mit Wohnsitz in der Schweiz, ohne weiteren Bezug zu Kalifornien – die Leihmutterschaft gerade zur Vermeidung des schweizerischen Verbots in Kalifornien« vereinbart und durchgeführt hätten, stelle eine »rechtlich relevante Rechtsumgehung dar«. »Grund dafür ist«, so die Richter weiter, »dass die Rechtsordnung offensichtlich um die von ihr beabsichtigte Wirkung ihrer Vorschriften gebracht werden soll, wobei diese Vorschriften vor der Verletzung der Moral, das öffentliche Interesse und die Menschenwürde schützen sollen«. Da das Kind aber an der Rechtsumgehung der »Wunscheltern« keine Schuld trage, prüften die Richter auch, ob die Anerkennung der in den USA ausgestellten Geburtsurkunde im Interesse des Kindeswohls sein könne. In ihrer schriftlichen Urteilsbegründung führen sie dazu aus: »Wohl ist es möglich, dass die Anerkennung eines ausländischen Leihmutterschaftsurteils im Interesse des Kindes ist.« »Ebenso gut« sei jedoch denkbar, »dass sich ein Leihmutterschaftskind später als Objekt des – durch das Recht verbotenen – Vorgehens sieht. In diesem Fall würde ihm die Gültigerklärung der Verbotsüberschreitung jedes Recht absprechen, sich als Opfer zu fühlen.« »Sicher« sei jedenfalls, »dass der Schutz des Kindes davor, zur Ware degradiert zu werden, die man bei Dritten bestellen kann, aber auch der Schutz Schweizer Bundesgericht: Leihmutterschaft verstößt gegen den »Ordre public« tieren, womit der Fortpflanzungstourismus gefördert würde und das inländische Leihmutterschaftsverbot weitgehend wirkungslos wäre«. KONSEQUENZEN UND LEHREN Die Richter verfügten, dass die kalifornische Geburtsurkunde von den Schweizer Behörden insoweit anzuerkennen sei, soweit diese das Abstammungsverhältnis des Kindes zu seinem genetischen Vater beurkunde. Nicht anerkannt werde dagegen die Geburtsurkunde, soweit damit ein Kindesverhältnis zwischen dem mittels künstlicher Befruchtung gezeugten Kind und dem Lebenspartner des genetischen Vaters konstruiert wurde. Stattdessen wiesen die Richter die zuständige Behörde an, »zusätzlich zum Kindesverhältnis gemäss Geburtsurkunde folgende Angaben zur Abstammung einzutragen: Genetische Mutter: anonyme Eizellspenderin«. Zu vermerken sei im Personenstandsregister ferner: »Gebärende Mutter:« und dahinter seien der Name, das Geburtsdatum sowie der Wohnsitz der Leihmutter einzutragen. ge Leihmutterschaftsverträge abschließen und anschließend über die deutschen Botschaften im Ausland eine Anerkennung des gewünschten statt des tatsächlichen Elternverhältnisses anstreben. Bedenkt man, dass bei den mehrstufigen Verfahren der Laborzeugung auf jeder Stufe menschliche Embryonen sterben oder gar gezielt selektiert und getötet werden, so muss das Urteil der Schweizer Bundesrichter von Lebensrechtlern als wegweisend betrachtet werden. Der Staat kann zwar seine Bürger letztlich nicht daran hindern, etwas zu begehren und sich andernorts auch zu beschaffen, das hierzulande aus guten Gründen verboten ist. Aber er muss sich von ihnen auch nicht für dumm verkaufen lassen und ihre rechtswidrigen Handlungen im Nachhinein zu heilen suchen. Dass Letzteres auch nicht im Interesse des Wohles eines unschuldigen Kindes ist, haben die Richter des Schweizer Bundesgerichts in ihrem höchstrichterlichen Urteil eindrucksvoll hervorgehoben. Vor allem aber hat der Staat dafür Sorge zu tragen, dass Menschen nicht als Ware (Kind) und Mittel zu ihrer Produktion (Leihmutter) herabgewürdigt werden. 15 AUSL AND Fällt das Verbot der Abtreibung in Chile? Kommt nach Irland nun Chile an die Reihe? Geht es nach Chiles Präsidentin Michelle Bachelet, dann gehört das Abtreibungsverbot, das in dem Andenstaat seit mehr als 25 Jahren gilt, bald der Vergangenheit an. Anfang des Jahres reichte sie eine Gesetzesvorlage ein, mit der sich nun der Kongress befasst hat. Wie auch immer das parlamentarische Verfahren am Ende ausgeht, eines hat Bachelet bereits erreicht: Das traditionell katholische Land ist gespalten. S eit mehr als einem Vierteljahrhundert gehört Chile zu den Ländern der Welt, in denen vorgeburtliche Kindstötungen noch ausnahmslos verboten sind. Dass es dabei auch in Zukunft bleiben wird, ist nun allerdings erstmals fraglich. Anfang August stimmte der Gesundheitsausschuss der großen Kammer des chilenischen Parlaments mit acht gegen fünf Stimmen für die Behandlung einer Gesetzesvorlage, mit der Chiles sozialistische Präsidentin Michelle Bachelet ein Wahlversprechen einzulösen gedenkt. Bachelets Gesetzentwurf sieht vor, Abtreibungen in Teilen zu legalisieren. Ihm zufolge sollen vorgeburtliche Kindstötungen in dem Andenstaat zukünftig erlaubt sein, wenn das Leben der Mutter in Gefahr ist, das Kind bei einer Vergewaltigung gezeugt wurde oder Ärzte bei ihm eine schwere Missbildung diagnostizieren. Die Reform der chilenischen Abtreibungsgesetzgebung ist Teil des Regierungsprogramms, mit dem Bachelet, eine ausgebildete Kinderärztin, 2013 die Wahlen in Chile gewann. Stimmt die Abgeordnetenkammer der Gesetzesvorlage zu, muss sie noch durch den Senat. Und selbst dann wäre das Ende der Fahnenstange womöglich noch nicht erreicht. Nicht wenige Experten halten es nämlich durchaus für möglich, dass das Gesetzesvorhaben am Ende 16 BOLIVIEN PAZIFIK ARGENTINIEN CHILE ATL ANTIK DANIEL RENNEN Von Eckhardt Meister vor dem Verfassungsgericht des Landes landen werde: Ausgang ungewiss. Sicher ist hingegen, dass das Vorhaben der Generalstochter das Parlament und auch weite Teile der Bevölkerung in dem traditionell katholischen Land spaltet. Als symptomatisch für das Ausmaß der Spaltung können zwei Kampagnen betrachtet werden, die mit überaus drastischen Mitteln für beziehungsweise gegen die Liberalisierung vorgeburtlicher Kindstötungen zu Felde ziehen. Auf der einen Seite steht die Organisation »Miles Chile«, die für die sogenannten »Reproduktiven Rechte« von Frauen eintritt. Sie wirbt in professionell gemachten Videos, die im Internet unter dem Namen »Abortion Tutorials« firmieren, für das Gesetzesvorhaben. In den ziemlich geschmacklosen Clips gibt eine junge Frau ihren Geschlechtsgenossinnen »Tipps«, wie sie in Chile trotz des Abtreibungsverbots eine vorgeburtliche Kindstötung erreichen könnten. So sollten abtreibungswillige Frauen etwa dafür sorgen, dass sie von einem gerade anfahrenden Auto erfasst würden oder die Absätze ihrer High-Heels ansägen und dann so fallen, dass sie mit ihrem schwangeren Bauch auf die Spitze eines Hydranten treffen. Nicht derart zynisch, aber dafür nicht minder schockierender kommt die Kampagne »InformAborto« daher, bei der LebensLebensForum 115 Michelle Bachelet Kind. Das Kind ist unschuldig, es ist das zweite Opfer dieses Verbrechens. Eine Abtreibung kann das Trauma der Vergewaltigung nicht ungeschehen machen. Im Gegenteil. Die Abtreibung fügt diesem Trauma noch ein weiteres Trauma hinzu. Und das unschuldige Kind wird getötet«, sagt Rosana Landaluce, die für die Anti-Abtreibungs-Kampagne arbeitet. Die Spanierin ist vor mehr als 20 Jahren nach Chile gezogen. Sie sei froh, in einem der letzten Länder der Welt zu leben, das Abtreibung völlig verbietet. Jetzt kämpfe sie dafür, dass das so bleibe. Auch Vertreter der Katholischen Kirche sind über das Vorhaben betrübt. »Wir sehen den Vorschlag, Abtreibungen in einzelnen Fällen zu erlauben, mit einiger Besorgnis, weil es in der Praxis einen Rückschritt für unsere Gesellschaft, für unsere Kultur, bedeuten würde. Wir würden eine Form von Diskriminierung etablieren: Wer darf leben? Und wer nicht? Das besorgt uns – sehr«, erklärt Fernando Ramos, Weihbischof des Erzbistums Santiago de Chile. »Aufgrund der teils traumatischen Erfahrungen, die wir in dieLebensForum 115 sem Land gemacht haben, stellt für uns die Achtung der Menschenwürde, eines jeden menschlichen Wesens, den Grundpfeiler für das Funktionieren unserer Gesellschaft dar«, sagt Ramos, der damit auf die Militärdiktatur in Chile anspielt. Der Erzbischof von Concepción, Fernando Chomali, sprach gar vom einem »traurigen Tag für Chile«. Der Gesetzestext, den die beiden Kammern des Parlaments beraten werden, sei »taub gegenüber so vielen wunderbaren Erfahrungen von Frauen, die dank einer liebevollen Begleitung oder Hilfe auch unter dramatischen Umständen ihr Kind zu Welt gebracht haben«, klagt Chomali. Auch wissenschaftliche Erkenntnisse zeigten, »dass das Leben mit der Empfängnis beginnt«. »Der Text ist auch taub gegenüber der Anweisung der chilenischen Verfassung, die die Pflege und den Respekt vor dem Leben der Ungeborenen vorschreibt«, so der Erzbischof weiter, der auch historische Vergleiche nicht scheut: »Auch in anderen Ländern hat man damit angefangen, drei Ausnahmen zuzulassen, und dann letztlich die freie Abtreibung erlaubt«, warnt Chomali. Vorgeburtliche Kindstötungen waren bei Vorliegen einer medizinischen Indikation in Chile 1931 legalisiert worden. Im September 1989 dekretierte jedoch General Augusto Pinochet, kurz vor der Aufgabe seiner Macht, ein absolutes Abtreibungsverbot. Keine der demokratisch gewählten Regierungen der letzten 25 Jahre hat bisher eine Änderung in dieser Frage für nötig gehalten. Im chilenischen Fernsehen begründete Michelle Bachelet ihren Vorstoß unter anderen damit, »dass die völlige Kriminalisierung nicht dazu beigetragen hat, Abtreibungen zu verhindern«. Wie viele vorgeburtliche Kindstötungen in Chile vorgenommen werden, kann niemand sagen. Harte Zahlen gibt es kaum. Die Regierung spricht von rund 33.000 Fällen pro Jahr, die in Krankenhausakten erfasst worden seien. Strafrechtlich verfolgt wurden laut einer 2014 veröffentlichten Studie zwischen Januar 2011 und September 2012 nur 310 Fälle. Die Schätzungen von Organisationen, die Abtreibungen befürworten, sprechen von 70.000 bis 160.000 Fällen im Jahr, darunter auch solche, die im Ausland durchgeführt worden seien. Dabei ist Chile gar nicht das einzige Land in Lateinamerika, das vorgeburtliche Kindstötungen unter allen Umständen gesetzlich verboten hat. Außer in Chile existiert auch in Nicaragua, El Salvador und in der Dominikanischen Republik ein absolutes Abtreibungsverbot. KURZ & BÜNDIG Primas Welby gegen Sterbehilfe London (ALfA). Der Primas der anglikanischen Kirche in England, Erzbischof Justin Welby, hat vor einer Liberalisierung der Sterbehilfe in Großbritannien gewarnt. Ein Recht auf Suizid würde einen »rechtlichen und ethischen Schritt über den Rubikon« bedeuten, schrieb der Erzbischof von Canterbury in einem Gastbeitrag für den britischen »Observer«. Beihilfe zur Selbsttötung »aus Mitleid« bliebe in der Praxis schon jetzt strafffrei. Ein entsprechender Rechtsanspruch würde auch die Rolle der Ärzte grundlegend ändern. Ein entsprechendes Gesetz Justin Welby gefährde »viele Tausend« schutzbedürftiger Menschen. Beihilfe zum Suizid ist in Großbritannien verboten und kann theoretisch mit bis zu 14 Jahren Haft geahndet werden. Das britische Parlament beriet Mitte September erstmals über einen Gesetzentwurf, der dies ändern will. Nach Schätzungen der Senioren-Hilfsorganisation »Age UK« erlitten jährlich 500.000 alte Menschen in Großbritannien Formen der Gewalt. Es sei »unmöglich sicherzustellen, dass sie und andere Schutzbedürftige nicht unter Druck gesetzt werden, ihr Leben vorzeitig zu beenden, ohne dass die vorgeschlagenen Schutzinstanzen dies feststellen können«, so das Oberhaupt der anglikanischen Kirche. In den US-Bundesstaaten Oregon und Washington, in denen Sterbewillige sich tödliche Pharmaka verschreiben lassen können, gäben vier beziehungsweise sechs von zehn Patienten als ein Motiv die Sorge an, ihren Angehörigen zur Last zu fallen, so Welby. Mit der gesetzlichen Freigabe des assistierten Suizids falle »jeder wirksame Schutz gegen diese Sorge weg«, ganz zu schweigen von einem »heimlichen Druck«, der tatsächlich von Verwandten vermittelt werden könnte. Welby äußerte die Befürchtung, ein Suizidhilfe-Gesetz leiste einer Gesellschaft Vorschub, »in der das einzelne Leben nicht mehr wert ist, geschützt, gewürdigt und verteidigt zu werden«. Mit dem katholischen Kardinal Vincent Nichols und Vertretern anderer Glaubensgemeinschaften hatte Welby einen Aufruf gegen das geplante Gesetz unterzeichnet. Darin heißt es, die Möglichkeit eines vorzeitigen Todes sei für die Betreffenden kein Trost, sondern sei eine zusätzliche Last. reh FOREIGN AND COMMONWEALTH OFFICE COMANDO MICHELLE BACHELET rechtler mit Kleintransportern und großformatigen Plakaten, auf denen die Leichen abgetriebener Kinder zu sehen sind, durch Chiles Städte touren. Dass auf beiden Seiten zu derart schweren Geschützen gegriffen wird, ist sicher nicht nur dem lateinamerikanischen Temperament geschuldet, sondern zeigt auch, wie sehr die Frage das Land spaltet. »Vergewaltigung ist nach der Abtreibung der schlimmste Angriff auf Frauen. Aber bei diesem Verbrechen ist der Kriminelle der Vergewaltiger, nicht das 17 AUSL AND Klare Absage Mit einer Dreiviertel-Mehrheit hat das britische Unterhaus Anfang September einen Gesetzentwurf vom Tisch gefegt, der den ärztlich assistierten Suizid in Großbritannien legalisiert hätte. Auf der Insel ist die Beihilfe zur Selbsttötung eine Straftat. Und auch wenn sie seit langem längst nicht mehr in jedem Fall verfolgt wird – zur Normalität wollen die Briten sie offenbar auch nicht erheben. Deswegen stimmten sie nun dagegen, sie in die Hände von Ärzten zu legen. Von Sebastian Sander Die ist in Großbritannien laut dem »Suicide Act« von 1961 strafbar und kann theoretisch sogar mit bis zu 14 Jahren Haft geahndet werden. Theoretisch. Denn DANIEL RENNEN B iopolitisch gesehen gehört Großbritannien zu den liberalsten Ländern der Erde. 1978 erblickte mit Louise Brown hier nicht nur das erste mittels künstlicher Befruchtung im Labor erzeugte Kind das Licht der Welt. Auf den britischen Inseln sind längst auch die Forschung mit embryonalen Stammzellen und das Klonen menschlicher Embryonen zu Forschungszwecken legal. Gesetzlich erlaubt ist ferner die Präimplantationsdiagnostik (PID), also die Selektion von im Labor erzeugten Embryonen vor ihrem Transfer in den Uterus der Mutter. Und zwar sowohl, um zu verhindern, dass Eltern genetisch vererbbare Krankheiten auf ihre Nachkommen übertragen, als auch, um sogenannte Designer-Babys zu erzeugen, die als Zellspender für erkrankte Geschwisterkinder dienen sollen. Auch die Produktion von Tier-Mensch-Mischwesen ist in Großbritannien seit langem legal. Seit Anfang dieses Jahres dürfen Reproduktionsmediziner hier sogar Drei-Eltern-Babys erzeugen. Es ist nicht so, dass ethische Argumente in den biopolitischen Debatten der Briten keine Rolle spielten. Aber dass sie sich auf der Insel besonderer Wertschätzung erfreuten oder gar ausschlaggebend wären, wird man auch nicht behaupten können. Insofern hat auch Experten die klare Mehrheit überrascht, mit der das britische Unterhaus Ende vergangener Woche einen Gesetzentwurf ablehnte, der auf eine Legalisierung der Beihilfe zum Suizid abzielte. IRL AND 18 2010 erließ der damalige britische Chefankläger Sir Keir Starmer neue Richtlinien für den Umgang der Strafverfolgungsbehörden mit Personen, die im Verdacht stehen, Beihilfe zum Suizid geleistet zu haben. In diesen wurden die Staatsanwälte angewiesen, von einer Strafverfolgung der Suizidhilfe abzusehen, wenn »das Opfer eine freie, klare, geregelte und informierte Entscheidung, Suizid zu begehen, erreicht« habe und der Suizidhilfe-Verdächtige »vollständig von Mitleid motiviert wurde«. Ferner darf laut den Richtlinien die Handlung des Helfers, »obwohl ausreichend um als Straftat definiert zu werden, nur eine geringe Unterstützung oder Hilfe« darstellen. Darüber hinaus muss der Suizidhelfer nach der begangenen Tat den Suizid des Opfers bei der Polizei melden und bereit sein, diese »in vollem Umfang bei der Aufklärung der Umstände« zu unterstützen. Vorausgegangen war der Überarbeitung der Richtlinien ein Gerichtsurteil. Darin hatten die auch »Law Lords« genannten Richter, die zugleich dem »House of Lords«, also dem Senat des britischen Parlaments, angehören, 2009 verfügt, der britische Chefankläger müsse die Kriterien veröffentlichen, nach denen er Anklage in jenen Fällen zu erheben gedenkt, in denen britische Bürger Personen begleiten, die sich in der Schweiz das Leben zu nehmen beabsichtigen. Geklagt hatte die damals 46-jährige Debbie Purdy. Die an Multipler Sklerose erkrankte und im Alter von 51 Jahren G R O S S B R I TA N N I E N in der Praxis wird davon schon lange kein Gebrauch mehr gemacht. LebensForum 115 DEUTSCHE STIFTUNG PATIENTENSCHUT MARCO GOVEL/FOTOLIA.COM in einem Hospiz verstorbene Frau, die sich mit solchen Gedanken trug, wollte wissen, inwieweit ihrem Mann eine Strafverfolgung in Großbritannien drohe, wenn er sie eines Tages in die Schweiz begleiten sollte. In ihrem Urteil gingen die Lordrichter jedoch weit über ihre Aufgabe, Recht zu sprechen, hinaus. In ihrer 43 Seiten umfassenden Entscheidung ließen sie wenig Zweifel daran, dass sie den »Suicide Act« für hoffnungslos überholt halten. Und zwar vor allem, weil das Gesetz dem heute vorherrschenden Verständnis des Begriffs der Selbstbestimmung keine Rechnung trage. Das sieht das britische Unterhaus offenbar anderes. Mit 330 gegen 118 Stimmen lehnten die Mitglieder des »House of Commons« am Freitag einen von dem Labour-Abgeordneten Rob Marris initi- Eugen Brysch ierten Gesetzentwurf ab. Der sah vor, dass Patienten mit einer Lebenserwartung von weniger als sechs Monaten sich von Ärzten eine tödliche Dosis Medikamente verschreiben lassen können, um damit Suizid begehen zu können. Marris begründete seinen Gesetzentwurf damit, der derzeit geltenden Gesetzgebung fehle die Ausgewogenheit. Sie gehe an den Bedürfnissen von Sterbenskranken, deren Familien und Ärzten vorbei. Es gebe »zu viele Amateur-Suizide und zu viele Leute, die zu Sterbehilfeorganisationen wie Dignitas gehen«. Sein Labour-Kollege Keir Starmer – der frühere Chefankläger sitzt seit 2015 im britischen Unterhaus – sagte, das geltende Recht toleriere amateurhafte Suizidbeihilfe durch mitleidende Angehörige, schließe aber professionelle Hilfe aus. Es bleibe dann nur der Ausweg, zum LebensForum 115 Sitz des bioethisch meist liberalen britischen Parlaments Sterben in die Schweiz zu reisen. Das sei ungerecht. »Wir sind in unseren eigenen rechtlichen Arrangements gefangen.« Dass er dazu maßgeblich beigetragen hat, indem er die »Beihilfe zur Selbsttötung aus Mitleid« von der Strafbarkeit ausgenommen hatte, sagte er nicht. Die Tories-Abgeordnete Fiona Bruce erklärte, die Gesetzesvorlage entbehre derart der Schutzmechanismen für Patienten, dass es »zum Lachen wäre, wenn der Gegenstand nicht so ernst wäre«. Das Parlament habe Wehrlose zu schützen und »keine Gesetze zu erlassen, die sie töten«. Ihre Parteifreundin Caroline Spelman argumentierte, aus einem »Recht zu sterben« könne »schnell eine Pflicht zu sterben werden«. Die Katholische Kirche begrüßte die Ablehnung des Entwurfs durch gut drei Viertel der Mitglieder des britischen Un- »Wird bereits nicht verfolgt: Hilfe zur Selbsttötung ›aus Mitleid‹« terhauses. Der stellvertretende Vorsitzende der Bischofskonferenz von England und Wales, Erzbischof Peter Smith von Southwark, erklärte, der Entwurf enthalte »schwere Risiken« für das Leben schutzloser Patienten. Es gebe inzwi- schen »exzellente Möglichkeiten« für die Palliativmedizin. Diese sollten im Fokus der parlamentarischen Debatten stehen. In Deutschland begrüßte die Deutsche Stiftung Patientenschutz den Ausgang der Abstimmung. Der Vorstand der Stiftung, »Nicht grenzenlos: Das Recht auf Selbstbestimmung« Eugen Brysch, erklärte: »Es ist gut, dass sich Großbritannien gegen jede Form der organisierten Suizidhilfe ausgesprochen hat.« Das Votum mache »Mut für die Sterbehilfediskussion in Deutschland«. Am 6. November will der Deutsche Bundestag in Zweiter und Dritter Lesung abschließend über die rechtliche Neuregelung der Beihilfe zum Suizid beraten. Hier ähnelt ein von den Abgeordneten Peter Hintze (CDU) und Karl Lauterbach (SPD) initiierter Gesetzentwurf sehr dem Entwurf, dem das »House of Commons« jetzt eine klare Absage erteilte. Mit ihm wollen die Parlamentarier im Bürgerlichen Gesetzbuch (BGB) festschreiben, dass Ärzte unheilbar kranke Patienten bei einem Suizid unterstützen können. Durch die Regelung im BGB soll das Ärztliche Standesrecht, das dem bislang entgegensteht, außer Kraft gesetzt werden. 19 MEDIZIN Künstliche Befruchtung lässt Gefäße schneller altern Vom 29. August bis 2. September veranstaltete die Europäische Gesellschaft für Kardiologie einen Kongress in London. In dessen Verlauf veröffentlichte die Deutsche Gesellschaft für Kardiologie eine Pressemitteilung, die für Lebensrechtler von besonderem Interesse sein dürfte und die »LebensForum« daher nachfolgend ungekürzt im Wortlaut veröffentlicht: London/Bern/Berlin, 1. September 2015 – Neuere Studien liefern Hinweise darauf, dass In-vitro-Fertilisation ein neuer wichtiger Risikofaktor für Herz-Kreislauf- und Stoffwechsel-Erkrankungen sein könnte. Das berichtete Dr. Emrush Rexhaj (Inselspital Bern) auf dem Kongress der Europäischen Kardiologischen Gesellschaft (ESC) in London. Eine kürzlich publizierte Studie über »Retortenbabies« zeigte eine ausgeprägte generalisierte Funktionsstörung der Gefäße und eine deutlich erhöhte Gefäßwanddicke (Intima-Media Dicke, IMT) der Halsschlagader im Vergleich zu Kontrollkindern. Im Gegensatz dazu war die Gefäß-Funktion zum Beispiel der Eltern dieser IVF-Kinder und bei natürlich gezeugten Geschwistern der IVFKinder normal. Dr. Rexhaj: »Das erlaubt »Bei IVF-Kindern manifestierte sich ein erhöhter Blutdruck« den Schluss, dass IVF per se die Funktionsstörung der Gefäße verursacht.« Die Funktionsstörung der Gefäße zusammen mit der erhöhten IMT entsprach bereits dem ersten Stadium einer vorzeitigen Arteriosklerose. Als erste Folge der arteriellen Funktionsstörung der Gefäße manifestiert sich bei IVF-Kindern bereits in jungen Jahren ein erhöhter Blutdruck im Vergleich zu Kontrollgruppen, sagt Dr. Rexhaj: »In unserer 5-Jahre Folge-Studie bestand bei IVF-Kindern die Funktionsstörung der Gefäße weiter, und 24h-Blutdruckmessungen zeigten signifikant erhöhte systolische und diastolische Blutdruckwerte. Diese Daten sprechen für eine wahr20 scheinliche Zunahme der Häufigkeit von arteriellem Bluthochdruck in der IVFPopulation bereits in jungen Jahren.« Zusammengefasst zeigen die vorliegenden Daten, dass beim Menschen und im Tiermodell IVF per se zu vorzeitiger Gefäßalterung und arteriellem Bluthochdruck führt. Im Mausmodell ist ein sogenannter epigenetischer Mechanismus für diese Veränderungen verantwortlich, erklärt Dr. Rexhaj. Epigenetik befasst sich mit der Vererbung von nicht genetisch festgelegten Eigenschaften. Männliche IVF-Mäuse vererben zum Beispiel die Funktionsstörung der Gefäße an die nächste Generation. Ein Zusammenhang zwischen schädlichen Einflüssen während der Foetalzeit und einer erhöhten Häufigkeit von kardiovaskulären und metabolischen Erkrankungen im späteren Leben konnte bereits vielfach gezeigt werden, so Dr. Rexhaj. IVF umfasst die Manipulation des frühen Embryos in einer möglicher Weise besonders empfindlichen Phase: »Ein ähnlicher Mechanismus wird bei IVF-Kindern angenommen.« »Die IVF-Population ist noch sehr jung, vorzeitige kardiovaskuläre Morbidität und Mortalität tritt normalerweise ab dem fünften Lebensjahrzehnt auf. Es werden deshalb weitere 20 bis 30 Jahre vergehen, ehe sich genaue Zahlen zu den IVF-induzierten kardiovaskulären Endpunkten herauskristallisieren werden«, so Dr. Rexhaj. »Das bedeutet, dass die pränatale Anamnese integraler Bestandteil jeder Anamnese sein und bei der Implementation von kardiovaskulärer Prävention und/oder der Behandlung kardiovaskulärer Krankheiten Berücksichtigung finden sollte.« Die weltweite Infertilitäts-Häufigkeit wird konstant auf etwa neun Prozent geschätzt. Bereits heute werden in westlichen Ländern zwei bis fünf Prozent aller Geburten mit Hilfe von IVF ermöglicht. »Diese neuen Daten machen deutlich, dass sich hier mittelfristig wohl ein Faktor entwickelt, der künftig einen relevanten Einfluss auf die Herz-Kreislaufmorbidität haben wird und daher in der Versorgungsplanung berücksichtigt werden sollte«, so der Pressesprecher der DGK Prof. Eckart Fleck (Berlin). Quelle: ESC 2015 Abstract Assisted reproductive technologies-induced premature vascular ageing persists and evolves into arterial hypertension in adolescents; E. Rexhaj, R. Von Arx, D. Cerny, R. Soria, E. Bouillet, C. Sartori, U. Scherrer, SF. Rimoldi INFO Anm. d. Redaktion Über Studien, die zeigen, dass Kinder, die mittels künstlicher Befruchtung erzeugt werden, eine höhere Fehlbildungsquote aufweisen als Kinder, die auf natürlichem Wege gezeugt werden, wurde in »LebensForum« schon häufiger berichtet. Reproduktionsmediziner wenden dagegen regelmäßig ein, solche Studien zeigten lediglich Korrelationen auf und belegten keineswegs, dass die bei der künstlichen Befruchtung verwandten Verfahren ursächlich für die höhere Fehlbildungsquote seien. Viel wahrscheinlicher sei, dass als Ursache für die höhere Fehlbildungsquote die schlechtere Qualität der Ei- und Samenzellen angenommen werden müsste, da ihre Spender häufiger ein höheres biologisches Alter besäßen und sich erst dann an Reproduktionsmediziner wendeten, wenn Versuche, Kinder auf natürlichem Wege zu zeugen, erfolglos blieben. Zumindest in diesem Fall scheint das Studiendesign andere Schlussfolgerungen zuzulassen. reh LebensForum 115 DPA MEDIZIN Trau keinem Test unter dreißig Die börsennotierte Konstanzer BioTech-Firma LifeCodexx AG hofft, dass der von ihr entwickelte PraenaTest demnächst zu einer Regelleistung der gesetzlichen Krankenkassen wird. Mit dem umstrittenen Bluttest können schwangere Frauen ihr ungeborenes Kind unter anderem auf das DownSyndrom testen lassen. Unser Autor, selbst Labormediziner und Vorsitzender der »Ärzte für das Leben« (ÄfdL), erklärt, warum eine Ausweitung des PraenaTests massenhaft falsch-positive Ergebnisse mit sich brächte und welche Konsequenzen dies für die betroffenen Kinder und Eltern hätte. Von Professor Dr. med. Paul Cullen S eit 2012 ist es möglich, ungeborene Kinder mit Down-Syndrom anhand einer Untersuchung des mütterlichen Blutes zu identifizieren. In aller Regel werden diese Kinder dann auch abgetrieben und somit getötet – denn eine Therapie für das Down-Syndrom gibt es derzeit nicht. Wir haben es bei diesem Test also nicht mit der Diagnose einer Krankheit, sondern mit Selektion zu tun. Bei der Einführung dieses »nicht-invasiven vorgeburtlichen Tests« (engl.: non-invasive prenatal diagnostics, NIPD) wurde neben der Einfachheit und Risikolosigkeit der Untersuchung insbesondeLebensForum 115 re die sehr hohe Treffsicherheit der Methode ins Feld geführt. Aber wie misst man eigentlich die »Treffsicherheit« eines Tests? Um dies zu verstehen, wird es troffenen (in der Regel Kranke von Gesunden) trennen kann. Um dies zu ermitteln, wird die Methode bei einer Gruppe von Kranken und einer Gruppe von Gesunden angewendet und die Anzahl der Fälle gezählt, die ein zutreffendes beziehungs»Es gibt Lügen und verdammte Lügen, weise ein nicht-zutreffendes Ergebnis aufweisen. und dann gibt es die Statistik ...« Um dies an einem einfachen Mark Twain Beispiel zu illustrieren, gehen wir bei diesem zunächst von 100 Kranken und 100 Gesunleider nötig sein, ein wenig ins Grundden aus. Bei einem perfekten Test würde sätzliche zu gehen. alle 100 Kranke ein »positives« TesterDie Treffsicherheit einer Untersugebnis und alle 100 Gesunde ein »negatichungsmethode wird daran gemessen, wie ves« Testergebnis aufweisen. (Zur Erkläzuverlässig sie Betroffene von Nicht-Berung: In der medizinischen Fachsprache 21 MEDIZIN werden die Begriffe »positiv« und »negativ« in Bezug auf Untersuchungsergebnisse meist so verwandt, dass sie genau das Gegenteil dessen meinen, was sie in anderen Kontexten bedeuten). Als Mediziner reden wir, um bei unserem Beispiel zu bleiben, daher von einer Richtig-Positivrate und Richtig-Negativrate von jeweils 100 Prozent, beziehungsweise von einer Falsch-Positiv- und Falsch-Negativrate von jeweils null Prozent. Einen derart perfekten Test wie in unserem Beispiel gibt es jedoch in der ganzen Medizin nicht. Vielmehr weist jeder Test einen gewissen Anteil an Ergebnis- viele Methoden wird sogar der »Normbereich« als der Bereich definiert, der 95 Prozent der gesunden Bevölkerung einschließt, so dass fünf Prozent aller Gesunden ein »abnormes« Testergebnis aufweisen müssen). So gesehen überrascht es nicht, wenn die Konstanzer Firma LifeCodexx (wie auch inzwischen andere NIPD-Anbieter) bei der Einführung des PraenaTests mit der hohen Treffsicherheit der Methode werben. Und in der Tat lässt sich die Treffsicherheit dieser Untersuchungsmethoden unter technischen Gesichtspunkten durchaus sehen. Auf ihrer Website Gleichwohl sind Kennziffern wie die »Falsch-Positivrate« und die »Falsch-Negativrate« nur die halbe Wahrheit. Denn entscheidend in der täglichen Praxis ist nicht, wie oft ein Test bei 100 Kranken positiv oder negativ wird, sondern was das Testergebnis im konkreten Einzelfall bedeutet. Diese Aussage nennt man die positive oder negative Vorhersagekraft eines Testergebnisses. Im Falle der NIPD lautet die wichtigste Frage: »Was ist die Wahrscheinlichkeit bei einem positiven Testergebnis, dass diese Frau, die vor mir sitzt, tatsächlich ein Kind mit Down-Syndrom austrägt?« Überraschenderweise hängt die Antwort auf diese Frage in erster Linie nicht von der Treffsicherheit des Tests, sondern von der Wahrscheinlich eines Kindes mit Down-Syndrom bei der betroffenen Frau ab. Dieser Umstand ist sehr wichtig, denn die Häufigkeit des Down-Syndroms hängt sehr vom Alter der Mutter (und zu einem geringeren Grad auch vom Alter des Vaters) ab. Bei einer 20-jährigen Mutter liegt das Risiko einer Schwangerschaft mit einem Down-Syndrom-Baby beispielsweise bei etwa 1:2.000. Wir wissen aber, dass von 1.000 Schwangerschaften mit Babys ohne Down-Syndrom der Test in einem Fall »falsch-positiv« sein muss. Wird also »Bei 20-jährigen Schwangeren beträgt das Risiko etwa 1:2.000« »Zuverlässig. Schnell. Sicher.«: So wird der Praenatest beworben sen auf, die nicht richtig sind: Das heißt, es wird bei den Gesunden trotzdem einige Testergebnisse geben, die fälschlicherweise »positiv« ausschlagen, sowie es unter den Kranken immer auch solche Testergebnisse geben wird, die fälschlicherweise »negativ« ausschlagen. Für »Einen perfekten Test gibt es nicht« viele Untersuchungsmethoden, die jeden Tag eine breite Anwendung finden, sind Falsch-Positiv- und Falsch-Negativraten in der Größenordnung von zehn Prozent überhaupt keine Seltenheit. (Für 22 wirbt LifeCodexx beispielsweise damit, dass ihr Test eine Detektionsrate von mindestens 98 Prozent (anders ausgedrückt, eine Falsch-Negativrate von weniger als 2 Prozent) und eine Falsch-Positivrate von rund 0,1 Prozent aufweist. Das bedeutet, dass statistisch betrachtet von 100 schwangeren Frauen, die tatsächlich ein Baby mit Down-Syndrom erwarten, nur zwei mittels des PraenaTests fälschlicherweise als Mütter ausgewiesen würden, deren Kind »kein Down-Syndrom« aufweise. Und von 1.000 Frauen, deren Babys tatsächlich kein Down-Syndrom aufweisen, würde nur eines aufgrund des Tests fälschlicherweise mit dem »Verdacht auf Down-Syndrom« befundet. Aus Sicht eines Labormediziners sind diese Werte sensationell hoch und von kaum einer anderen Laboruntersuchung zu übertreffen. der PraenaTest bei 2.000 jungen Frauen mit Niedrigrisikoschwangerschaften angewendet, so müssen wir im Schnitt mit drei positiven Testergebnissen rechnen. Doch nur eines davon ist auch »richtigpositiv« und betrifft das Kind, das auch tatsächlich Träger des Down-Syndroms ist. Die beiden anderen sind »falsch-positive« Testergebnisse. Das bedeutet aber im Ergebnis nichts anderes, als dass bei solchen Niedrigrisikoschwangeren etwa zwei Drittel der positiven Testergebnisse (rund 66 Prozent) falsch-positiv und damit auch tatsächlich falsch sein müssen. Dies entspricht im Übrigen auch den Angaben des Deutschen Ethikrats, der im April 2013 geschätzt hatte, dass in Niedrigrisikoschwangerschaften zwei Drittel der positiven Testergebnisse falsch-positiv sein könnten. Als der PraenaTest und die anderen NIPDs eingeführt wurden, hat man lediglich die sogenannten »Hochrisikoschwangerschaften« als Zielgruppe idenLebensForum 115 DPA tifiziert. Außerdem wurde empfohlen, den Test erst ab der neunten Schwangerschaftswoche einzusetzen. Möglicherweise getrieben durch die rege Konkurrenz auf diesem Sektor sieht man sich inzwi- »Gesellschaftliches Problem wird in die Arztpraxen verlagert« schen dazu veranlasst, diese Zielgruppe zu erweitern. Diese Erweiterung erfolgt erstens durch eine Ausweitung der Indikation. Das heißt, es wird nicht nur nach Down-Syndrom, sondern auch nach anderen erblichen Störungen (beispielsweise den Trisomien 15 und 18 (PraenaTest), dem Turner-Syndrom (Panorama-Test) sowie nach den Geschlechtschromosomen zur Bestimmung des Geschlechts (alle NIPD-Verfahren)) gefahndet. Sodann wird der Test Schwangeren angeboten, die nicht zu einer Hochrisikogruppe gehören, sprich Frauen unter 35 Jahren bis hin zu allen schwangeren Frauen unabhängig vom Alter. Schließlich versucht man, durch technische Verbesserungen die Empfindlichkeit des Tests zu erhöhen, so dass er auch in einer möglichst frühen Phase der Schwangerschaft verwendet werden kann. So ist es heute zum Beispiel möglich, ein Ergebnis des PraenaTests deutlich vor der 12. Schwangerschaftswoche zu erhalten, was bedeutet, dass Abtreibungen noch innerhalb der Drei-Monats-Frist und ohne Angabe einer Indikation durchgeführt werden können. Damit aber sind viele der Bedenken, die Gegner dieser Untersuchung bei ihrer Einführung geltend gemacht haben, bereits drei Jahre später Realität. Insbesondere durch die Ausweitung der Untersuchung auf Niedrigrisikoschwangerschaften weicht die Treffsicherheit der Untersuchung deutlich von der ab, die durch die Zahlen, mit denen die Hersteller werben, suggeriert wird. Hierbei muss bedacht werden, dass die FalschPositivrate der Untersuchung umso höher steigt, je seltener Chromosomenstörungen wie Down-Syndrom bei der untersuchten Alterskohorte vorkommen. Bedenkt man nun, dass der Test aber gerade deshalb angewendet wird, um die Chancen der Eltern auf ein »gesundes« Kind möglichst zu erhöhen, entbehrt diese Situation nicht einer gewissen Ironie. Selbst die Frauenärztinnen der »Arbeitsgemeinschaft Frauengesundheit«, die für »das Recht [einer Frau], ... eine Schwangerschaft abzubrechen, deren Austragen LebensForum 115 Bei Niedrigrisikoschwangeren müssen zwei Drittel der Testergebnisse falsch sein sie körperlich oder seelisch überfordert«, eintreten, sind über diese Entwicklung besorgt. »Wir sehen«, schreiben sie, »dass durch eine immer ausgefeiltere Pränataldiagnostik ein gesellschaftliches Problem, »Das Prinzip dieser Testung gerät völlig ad absurdum« nämlich der Umgang mit einem Leben mit Behinderung ... in unsere Arztpraxis verlagert wird. Wir befürchten, dass ein risikoorientierter Denkstil sich mit hohen leistungsorientierten und ästhetischen Anforderungen an Kinder verbindet, während Bemühungen um Inklusion von Menschen mit Behinderung aus dem Blickfeld geraten. Eine bewusste Entscheidung für ein erkranktes oder behindertes Kind droht immer schwieriger zu werden.« Wir haben bei solchen Untersuchungen das Ende der Fahnenstange noch lange nicht erreicht. Schon in wenigen Jahren werden NIPD-Methoden verfügbar sein, mit denen sich Mutationen in einzelnen Genen feststellen lassen werden. Dadurch werden nicht nur Erbkrankheiten wie die zystische Fibrose oder die Muskeldystrophie feststellbar sein, sondern auch Gene für Krankheiten oder Krankheitsrisiken, die sich erst im Erwachsenenleben manifestieren, wie Morbus Huntington oder hereditärer Brustkrebs. Ähnlich einer Hollywood-Diva, die bei dem verzweifelten Versuch, die Zeichen des Alterns aufzuhalten, zu immer drastischeren schönheitschirurgischen Maßnah- men greift, versucht unsere Gesellschaft inzwischen wirklich alles, um Behinderte restlos auszuselektieren und das »perfekte« Kind zu gewährleisten. So sind wir auch bereit, diesem Bemühen Nicht-Behinderte wissentlich zu opfern. Aber selbst ein Test, der restlos alle genetischen Störungen erkennen könnte, würde letztlich wenig ausrichten, da über 95 Prozent aller Behinderungen erst nach der Geburt durch Unfälle oder Krankheit entstehen. So gerät das Prinzip dieser Testung vollends ad absurdum. Dass die Akzeptanz von Behinderungen und behinderten Menschen durch diese frustrane Übung nicht gerade erhöht wird, liegt auf der Hand. Vielmehr ist zu befürchten, dass die Selektion umso wütender um sich greifen wird, je deutlicher ihre Impotenz sichtbar wird. IM PORTRAIT Professor Dr. med. Paul Cullen Der 1960 in Dublin geborene Autor ist Labormediziner, Internist und Molekularbiologe. Er leitet ein großes medizinisches Labor in Münster und ist außerordentlicher Professor für Laboratoriumsmedizin an der dortigen Universität. Seit vier Jahren ist er zudem Vorsitzender des Vereins »Ärzte für das Leben«, der sich dem Schutz des menschlichen Lebens von der Empfängnis bis zum natürlichen Tod widmet. Mehr Infos: www.aerztefuerdasleben.de. 23 MEDIZIN Neuer Trend: Babyfernsehen Nicht nur in Deutschland nehmen die Ultraschalluntersuchungen (vgl. S. 12 f. dieser Ausgabe) dramatisch zu. Der in den westlichen Industrieländern zu beobachtende Trend hat offenbar zwei Ursachen. Paare wollen sichergehen, dass mit dem Kind auch wirklich alles stimmt. Nun warnen Experten vor unnötigem »Babyfernsehen«. Von Dr. med. vet. Edith Breburda G ynäkologen in den USA warnen vor zu vielen Ultraschalluntersuchungen bei normalen Schwangerschaften. Milena Mrosovsky erzählt, dass sie mindestens ein Dutzend Ultraschalluntersuchungen hatte, als sie schwanger war. »Ich war glücklich über die vielen Bilder und klebte sie alle in mein kleines Album.« Solche Aussagen sind nicht ungewöhnlich für Eltern. Amerikanische Frauen lassen heute immer mehr Ultraschalluntersuchungen an ihren Ungeborenen durchführen. Sie posten die Bilder stolz auf Facebook oder in anderen sozialen Netzwerken. Seit 2004 konnte man einen 92-prozentigen Anstieg dieser Untersuchungen beobachten. Jeder Besuch beim Arzt beinhaltet eine Ultraschalluntersuchung. Experten warnen nun davor, dass es medizinisch nicht gerechtfertigt ist, bei einer risikoarmen Schwangerschaft so viele Untersuchungen durchführen zu lassen. Im Mai 2014 machten verschiedene medizinische Gesellschaften, wie auch die amerikanischen Gynäkologen und Geburtshelfer, darauf aufmerksam, dass eine oder zwei Untersuchungen bei einer Schwangerschaft ohne Komplikationen genügen sollten. »Ultraschall sollte für die kurzmöglichste Zeit und mit der geringsten Energiefrequenz an einem Ungeborenen angewendet werden, und auch nur dann, wenn es unbedingt nötig ist«, empfehlen die Fachleute. Daniel O’Keefe, Vizepräsident der Gesellschaft für Maternal-Fetal Medicine, schreibt 2013 im medizinischen Journal »Seminars Perinatology«, dass 4 bis 5 Ultraschalluntersuchungen übertrieben seien. Wenn Frau Milena Mrosovsky dieses Wissen bei ihrer Schwangerschaft gehabt hätte, wäre sie nicht so naiv den Anweisungen ihres Doktors gefolgt. »Früher bestand man auf einer Untersuchung um die 20. Woche herum. Neuerdings empfiehlt man die 12. Woche. Leider lesen Ärzte 24 nicht ihre Fachzeitungen«, so O’Keeffe. Ob Ultraschall dem Fötus schadet, untersuchte man das letzte Mal 1992. Damals war die Dosierung, mit der die Apparate arbeiteten, viel geringer. Die Schallwellen, die letztendlich vom Körper des Ungeborenen reflektiert oder absorbiert werden, verwandeln sich in elektrische Impulse, die vom Ultraschallgerät verstärkt und auf einem Bildschirm dargestellt werden. Wie man heute weiß, sind zu viele Mammogramme, Darmspiegelungen und andere medizinische Ultraschalluntersuchungen meistens gar nicht notwendig. Eltern sind jedoch begeistert, dass ihnen die moderne Technik einen Einblick in die Gebärmutter ermöglicht. Immer genauere Bilder werden gemacht, weil man wissen will, wie das Baby aussieht. Ob man dafür nun mehr Schallintensität benötigt und eventuell dem Kind schadet, scheint kaum einen zu interessieren. »Selbst Ärzte machen sich über die Sicherheit von pränatalen Ultraschalluntersuchung keine weiteren Gedanken. Krebs kann man davon nicht bekommen, es sei schließlich keine Röntgenstrahlung damit verbunden«, sagt Jacques Abramowicz von der Wayne-State-Universität. Ärzte warnen Frauen, sie sollten keinen Alkohol zu sich nehmen, kein heißes Bad und Stress vermeiden, wenn sie schwanger sind. Aber über die Sicherheit und Effizienz von Ultraschalluntersuchungen redet kaum ein Arzt. Man hofft, dass Frauen sich stärker an ihr Ungeborenes binden, wenn sie es sehen. »Lernen Sie Ihr Kind kennen, bevor es geboren wird«, wirbt die Firma General Electric auf ihrer Website. Sie verkauft ihre Maschinen nur an Gesundheitseinrichtungen. Einige Eltern drängen darauf, mehr von ihrem Kind zu sehen, als die Ärzte befürworten. Andere Ärzte sind besorgt, irgendein Detail zu übersehen, das Aufschluss über die Gesundheit des Ungeborenen geben könnte. Gynäkolo- gen werden am häufigsten herangezogen, wenn es um Kunstfehler geht. Oft wird dann behauptet, weitere Ultraschallbilder hätten Klarheiten gegeben. Doch wie sicher sind die Apparate? Die Amerikanische Food und Drug Administration, die gleichbedeutend mit unserer Lebens- und Arzneimittelbehörde ist, warnte im Dezember 2014 vor einigen Ultraschallgeräten. »Sie erhitzen das Gewebe und verursachen die Bildung von kleinen Blasen.« Die Langzeiteffekte, welche diese Maschinen ausüben, kennt man nicht. Einige Tierversuche an Hühnern und Mäusen lassen jedoch schädliche Auswirkungen vermuten. So haben einige Neurowissenschaftler inzwischen ungeborene Tiere Ultraschalluntersuchungen ausgesetzt. Eine Studie der Yale Universität, die 2006 in den »Proceedings of the National Academy of Science« erschien, brachte neurologische Auffälligkeiten bei jungen Mäusen mit den Untersuchungen in Verbindung. Australische Forscher beschrieben 2009 im »International Journal of Developmental Neuroscience«, Küken-Eier mit Ultraschall bestrahlt zu haben. Die Küken hatten nach ihrem Schlüpfen Gedächtnisstörungen. Ihre Lernfähigkeit war geringer ausgeprägt als die anderer Küken. Die Universität von Washington berichtete 2014 im »Autism Research Journal« von überaktiven Mäusen, die vorgeburtlich mit Ultraschall beschallt wurden. Dr. Pasko Rakic vom Nationalen Institute of Health untersuchte Affenhirne auf mögliche neurologische Folgen nach der intrauterinen Anwendung von Ultraschall. Frank A. Chervenak, Direktor der Gynäkologie des New Yorker PresbyterianKrankenhauses ist der Überzeugung, dass ein oder zwei Ultraschalluntersuchungen bei einer normalen Schwangerschaft nicht überschritten werden sollten. 2012 erschien im Amerikanischen »Journal of Obstetrics and Gynecology« eine Studie, die ergab, dass vermehrLebensForum 115 Der Eileiter kann sich nicht ausdehnen wie die Gebärmutter. Er kann platzen, sobald das Kind größer ist. Eine Operation würde unweigerlich auch den Tod des Kindes hervorrufen. Theologen argumentieren, dass das Kind hierbei indirekt getötet wird. Die Ärzte bedrängten Rebecca, ihr neuntes Kind durch die Einnahme von Methotrexate abzutreiben. Es sollte also direkt getötet werden. Das brachte das gläubige Ehepaar jedoch nicht über das Herz. RAINER KLAWKI te Ultraschalluntersuchungen manchmal ein falsches Bild geben. Manchmal meint man, das Ungeborene sei zu groß, und man macht einen Kaiserschnitt, der gar nicht nötig gewesen wäre. Rebecca Loretz und ihr Mann Michael wollten immer eine große Familie. Doch als ihr zweites Kind durch einen Kaiserschnitt zur Welt kam, warnten die Ärzte vor weiteren Kindern. Die Narbe, die durch den Kaiserschnitt entstand, könnte einreißen, sagten sie. Die Eltern beachte- Faszinierend, aber unnötig und womöglich sogar schädlich: zu viel Ultraschall ten den Rat nicht. Die medizinische Literatur beschrieb das Risiko mit nur einem Prozent. Das wollten die beiden gerne auf sich nehmen. Es folgten sechs weitere Geburten. Alle Kinder wurden durch Kaiserschnitt entbunden. Nach dem achten Kind dachten die Eltern, ihre Familie sei nun komplett. Doch im Mai 2013 erwartete Rebecca wieder ein Kind. »Das war wirklich eine Überraschung. Wir dachten, diese Schwangerschaft würde wie alle anderen verlaufen«, sagte Michael. Die erste Ultraschalluntersuchung ergab, dass das Baby genau auf dem Narbengewebe der Gebärmutter implantiert war. Man sagte den Eltern, solch eine ektopische Schwangerschaft auszutragen käme einer Katastrophe gleich. Die Ärzte gaben dem Kind keine Chance. Es müsse abgetrieben werden, um das Leben der Mutter zu retten. Selbst Ethiker würden in so einem extremen Fall zustimmen, die Stelle der Gebärmutter zu entfernen, wo sich das Kind implantiert hat. Normalerweise spricht man von einer ektopischen Schwangerschaft, wenn sich das Kind im Eileiter eingenistet hat. LebensForum 115 Einen Plan B hatte das Krankenhaus nicht, weil noch nie eine Mutter in so einem Fall eine Abtreibung verweigert hatte. Rebecca wurde in das Krankenhaus eingeliefert, um genauer beobachtet zu werden. Die Ärzte bedrängten die Mutter in den kommenden Tagen. Sie kamen alleine oder zogen andere Experten hinzu. Sie sollte das Leben des Babys endlich beenden, um ihr eigenes zu retten. Ein Arzt sagte zu Michael: »Ihre Chance, am Ende der Schwangerschaft ein lebendes Baby in den Armen zu halten, ist gleich null. Höchstwahrscheinlich stirbt auch Ihre Frau. Ist es das, was Sie wollen? Sie wollen einfach nicht die Realität sehen und deshalb hören Sie auch nicht auf den Rat der Experten.« Erst nachdem den Ärzten klar wurde, dass sie das Paar nicht zu einer Abtreibung bringen konnten, sympathisierten einige Ärzte mit den Eltern und fingen sogar an, mit ihnen für das Ungeborene zu beten. Bei der nächsten Ultraschalluntersuchung hörten sie, dass die Schwangerschaft fehldiagnostiziert worden war. Das Baby hatte sich nicht über der Narbe ein- genistet, sondern im Muttermund. »Ist das besser?«, fragte Michael hoffnungsvoll. Er erinnert sich an die schmerzliche Antwort. »Nein. Im Grunde ist das noch schlimmer.« Ein drittes Ultraschallbild, das viel später gemacht wurde, brachte dann dennoch Hoffnung. Es sah nur so aus, als ob das Baby im Muttermund eingenistet wäre. Aber es war in Wirklichkeit doch in der Gebärmutter. Nur eben sehr nahe an der Cervix. Dies gab allen eine kleine Erleichterung, auch wenn die Beteiligten noch sehr besorgt blieben. Das Ehepaar gab zu, dass die Schwangerschaft sehr an ihnen zehrte. Nur das Wissen, dass viele Leute für Mutter und Kind beteten, half. »Fünf Wochen war ich vor der Geburt im Krankenhaus. Die Ärzte hatten Sorge, meine Gebärmutter würde zerreißen. Ich betete unentwegt, dass Gott mir dieses Kind schenkt. Nach einiger Zeit übergab ich mich in den Willen Gottes«, sagt Rebecca. Am 1. November 2013 wurde die kleine Philomena nach einer vierstündigen Operation entbunden. Das Kind war vollkommen gesund. Auch wenn es fast unmöglich schien, dass es überhaupt hätte geboren werden können. Die Eltern beteten die ganze Zeit zur Heiligen Philomena und versprachen, ihrem Kind den Namen Philomena zu geben, wenn es ein Mädchen werden sollte. Während ihrer ganzen Ehe beteten sie, Gottes Willen folgen zu können und so großmütig wie möglich zu sein. Das brachte ihnen viel Kritik ein. Michael war erstaunt, als er in der Literatur fand, dass seit 1967 bereits 60.000 ähnliche Schwangerschaften zu 99,7 Prozent mit einer Abtreibung geendet hatten. Der Fall des Paares wurde bei einem wissenschaftlichen Symposium präsentiert. Es wurde empfohlen, beim Vorliegen einer ektopischen Schwangerschaft mit einer Abtreibung länger zu warten und genauere Untersuchungen heranzuziehen. IM PORTRAIT Dr. med. vet. Edith Breburda Die Autorin, Dr. med. vet. Edith Breburda, ehemals an der Justus-Liebig-Universität Gießen tätig, arbeitet heute als Biomedizinexpertin in Madison, der Metropole der US-amerikanischen Stammzellenforschung. Sie hat mehrere Bücher veröffentlicht. 25 GESELLSCHAF T 19. 9. 2015 in Berlin Marsch für das Leben Sie können nicht selbst mitgehen? Kein Problem! Dafür gibt’s unsere Aktion: „Geh Du für mich!“ Unterstützen Sie Jugendliche mit Ihrer Spende für z. B. den Kauf eines Bahntickets nach Berlin, um für Sie beim Marsch für das Leben dabeizusein. © pict rider – Fotolia.com Beispielkosten für ein Ticket von München nach Berlin (einfache Fahrt): 29,– Euro. Oder mit dem Fernbus: 39,50 Euro Aktion Lebensrecht für Alle e. V. Ottmarsgäßchen 8 · 86152 Augsburg Tel. (08 21) 51 20 31 · Fax 15 64 07 E-Mail: [email protected] · www.alfa-ev.de 26 Spendenkonto: Augusta – Bank eG BLZ 720 900 00 · Konto 5 040 990 Kennwort: Geh Du für mich 2015 LebensForum 115 GESELLSCHAFT In memoriam Die Aktion Lebensrecht für Alle (ALfA) e. V. trauert um ihre Gründerin Professor Dr. Hedwig Seelentag, die mit 95 Jahren gestorben ist. Ein Nachruf. Von Dr. med. Claudia Kaminski D ie im Fach Atomphysik habilitierte Dozentin der Universität Augsburg begann 1974 mit außerordentlichem Engagement und großem persönlichem Einsatz, sich um Schwangere in Konfliktsituationen zu kümmern. Dazu gehörte auch, dass sie Frauen in Not in ihrer eigenen Wohnung aufnahm. Was bewegte die alleinerziehende Mutter von drei Söhnen auf dem Höhepunkt der Frauenbewegung eine Initiative zum Schutz der Kinder im Mutterleib zu gründen? 1971 bekennen sich 374 Frauen öffentlich in der Illustrierten »Stern« zu »ihrer« Abtreibung. Tatsächlich täuschten viele die Abtreibung nur vor, doch das Tabu ist gebrochen. In der DDR wird am 9. März 1972 das »Gesetz über die Unterbrechung der Schwangerschaft« verabschiedet: eine Fristenlösung, die Abtreibung innerhalb der ersten drei Monate erlaubt. Auch in der Bundesrepublik Deutschland erhitzt der Paragraf 218 die Gemüter. Nach zähen Verhandlungen wird am 18. Juni 1974 die Fristenlösung nach DDRModell eingeführt. Kurz zuvor hatten sich SPD und FDP unter Helmut Schmidt als Bundeskanzler auf die Fortführung der sozial-liberalen Koalition geeinigt. Das von der Opposition angerufene Bundesverfassungsgericht verhindert ein Inkrafttreten der Reform mit der im Februar 1975 vorgelegten Begründung: »Das sich im Mutterleib entwickelnde Leben steht als selbständiges Rechtsgut unter dem Schutz der Verfassung auch unter Art. 2 Abs. 2 und Art. 1 Abs. 1 GG, und hat auch Vorrang vor dem Selbstbestimmungsrecht der Frau.« Vorgeschlagen wird eine so genannte Indikationenlösung. Ein Braunschweiger Student, Rüdiger Dürr, lässt zusammen mit einer Gruppe Gleichgesinnter in zahlreichen Städten Deutschlands Plakate zum Thema »Abtreibung« kleben. Als die Gesetzespläne der Regierung bekannt werden, lädt er zur Lebensrechts-Kundgebung nach Hannover ein und kann – da Hoffnung LebensForum 115 auf ein Scheitern des Vorhabens bestand – Tausende mobilisieren. Dürr ist es auch, der Hubert Hüppe kennen lernt und ihm die »Aktivisten« anvertraut. Hüppe hatte schon damals für Schlagzeilen gesorgt. 1972 organisierte Pfarrer Winfried Pietrek vor der ersten, noch missglückten Abstimmung zur Fristenlösung – unter Schmidts Vorgänger Willy Brandt – einen fünftägigen Professor Dr. Hedwig Seelentag Hungerstreik auf dem Beethovenplatz in Bonn. Mit dabei: Hubert Hüppe. Dürrs Plakate erregten auch in Augsburg Aufsehen. Dort verfolgt Seelentag die politische Entwicklung und beschließt, wirklich konkret zu helfen. Mit einer Anzeige unter der Rubrik »Verschiedenes« in der »Augsburger Allgemeinen« beginnt 1974 die Lebensrechtsarbeit der ALfA: »Sind Sie Schwanger? Sind Sie verzweifelt? Rufen Sie an ... am Samstag zwischen 8 und 18 Uhr!« Der Auftraggeber: Ein kleiner Freundeskreis um Hedwig Seelentag – zusammengeschlossen, um jungen Schwangeren zur Seite zu stehen. Nur mit einer schriftli- chen Bürgschaft kann der Anzeigenleiter der Augsburger Allgemeinen damals davon überzeugt werden, dass es nicht darum geht Abtreibungen durchzuführen. Und der Erfolg gibt dem Freundeskreis recht: Bis zu 31 Anrufe pro Tag führten früh zu einer Zusammenarbeit mit anderen Beratungsstellen. Politisch gesehen gibt es für die junge Initiative schon 1976 einen Dämpfer: Am 18. Mai tritt die Neufassung des Paragrafen 218 in Kraft. Zwar wird grundsätzlich eine Freiheitsstrafe von bis zu drei Jahren oder eine Geldstrafe für Abtreibung vorgesehen, für die Schwangere eine Geldstrafe oder eine Freiheitsstrafe von bis zu einem Jahr, es wird jedoch auch die Indikationenregelung eingeführt: Medizinisch, kriminologisch, eugenisch oder durch eine Notlage begründete Abtreibungen werden straffrei gestellt. Trotzdem – oder gerade deshalb – wächst der Augsburger Freundeskreis um Seelentag schnell. 1977 wird die »Aktion Lebensrecht für Alle Augsburg« als gemeinnützig in das Vereinsregister eingetragen mit den Schwerpunkten Bildungs- und Öffentlichkeitsarbeit sowie soziale Hilfen. Die sich organisierenden 40 Mitglieder denken zunächst nur an lokal begrenzte Aktionen. Zum ersten Vorstand der ALfA gehören die Vorsitzende Frau Prof. Dr. Hedwig Seelentag sowie die Stellvertreter Dr. Georg Götz und Ulrich Schieder. Dass aus dem Verein eine bundesweite Bewegung wird, liegt an Personen, die von der Arbeit der ALfA erfahren und Mitglieder werden wollen: Erstes überregionales Mitglied wird bald eine Dame aus Nordrhein-Westfalen, die fleißig weitere Mitglieder begeistert. 1980 haben sich die Aktivitäten der Bürgerinitiative schon auf die gesamte Bundesrepublik ausgedehnt: Beratung, Begleitung, Nachbarschaftshilfe, der Aufbau von Kleiderkammern für Babysachen, Vermittlung von Babysittern, Gebetskreise, Leserbriefgruppen, ein Ärztekreis und ein Juristenkreis. 27 GESELLSCHA F T Briefe an Abgeordnete werden verfasst und bis 1980 hat die ALfA schon rund 500.000 Flugblätter und Schriften verteilt. Im gleichen Jahr schließt sich die Jugendarbeitsgemeinschaft für das Leben (JAL) unter der Leitung von Hubert Hüppe der ALfA, die mittlerweile 4.000 Mitglieder zählt, als Jugendorganisation an. Die JAL ist ebenfalls überkonfessionell, überparteilich, überregional und unabhängig und engagiert sich in der Betreuung alter Menschen, in Nachhilfestunden für Gastarbeiter-Kinder und ähnlichen Aktivitäten. Allmählich kristallisiert sich die Solidarität mit der werdenden Mutter und ihrem Kind immer mehr heraus und die ALfA erlebt die Jugendlichen als besonders aufgeschlossen für wissenschaftliche Fakten. Sie sind in den frühen 80ern leichter davon zu überzeugen, dass das Ungeborene schon ein Mensch ist und sich als solcher entwickelt, und sie bringen Energie und jugendlichen Schwung ein: 1981 und 1983 treten bis zu 30 Mitglieder der JAL in Essen in den Hungerstreik, um gegen das geplante »Schwangerschaftskonflikt-Zentrum« der Arbeiterwohlfahrt zu protestieren. Leider ohne den gewünschten Erfolg. Auch ein von der Diözese Essen organisierter Schweigemarsch mit 20.000 Teilnehmern aus ganz NRW kann die Einrichtung des Zentrums nicht verhindern. 1983 findet in Aachen das erste Bundestreffen der JAL statt, die immer mehr zum Träger der ALfA-Aktivitäten wird. Für die jungen Aktiven ist die Teilnahme an Kirchen- und Katholikentagen selbstverständlich, um auch dort auf das Recht auf Leben aufmerksam zu machen. Dieses Engagement liegt Seelen- tag sehr am Herzen. Um die wachsende Zahl der Mitglieder besser informieren zu können, kommt 1985 der 1. ALfA-Rundbrief unter Jochen Beuckers mit einer Auflage von 2.800 Stück heraus. Im gleichen Jahr wird Josef Engel aus Memmingen der erste hauptamtliche Bundesgeschäftsführer. Ein besonderes Jahr wird 1986 für die noch junge Lebensrechtsorganisation: Auf der am 15. März stattfindenden Mitgliederversammlung sucht die ALfA nach geeigneten Wegen, um der stark gewachsenen Organisation in der ganzen Bun- Hubert Hüppe, CDU Stern-Titel von 1971 desrepublik Rechnung zu tragen. Es werden Landes- und Regionalverbände in der Satzung verankert und es erfolgt die Umbenennung in die »Aktion Lebensrecht für Alle, ALfA e. V.«. Vorsitzende des ersten Geschäftsführenden BundesANZEIGE 28 vorstandes nach der neuen Satzung ist Professor Dr. Hedwig Seelentag. Die bisher als Bundeszentrale fungierende Privatwohnung Seelentags, die für ihren Einsatz mit dem Bundesverdienstkreuz ausgezeichnet wird, reicht für die Bewältigung der Arbeit längst nicht mehr aus. Die ALfA bezieht die erste Bundesgeschäftsstelle in der Heilig-Kreuz-Straße in Augsburg und richtet in der Bundeshauptstadt den »Arbeitsraum Bonn« ein. Mittlerweile haben sich 9.000 Mitglieder der Bewegung angeschlossen und die ersten Regionalverbände werden in Augsburg und München gegründet. Zudem erhält die ALfA ihr bis heute erhaltenes grün-blaues Logo, mit dem dann auch 1987 das zehnjährige Bestehen gefeiert wird. Ebenfalls 1987 ruft die ALfA den 1. Juni als »Tag des Lebens« aus, der schon im folgenden Jahr international begangen wird. Das zum »modernen Hexenprozess« stilisierte Verfahren um den Memminger Abtreibungsmediziner Theissen beschäftigt 1988 und 1989 die Lebensrechtler in Deutschland. Gelegenheit für Seelentag und die ALfA, klar Stellung für das Leben zu beziehen. Rund 100 Delegierte nehmen im Januar an der ersten Bundesdelegiertenversammlung der ALfA teil. Im Büro Bonn kommt im gleichen Jahr das erste »Lebenszeichen«, die Verbandszeitschrift, in den Druck. Die Gründerin hat zwischenzeitlich die Lebensrechtsbewegung in der DDR im Blick und gründet auf einer Reise in den Osten erste ALfA-Freundschaftskreise. Schon zu Beginn des Jahres 1989 LebensForum 115 zeigen sich die Früchte. Es kommt zum Treffen der ALfA-Freundeskreise in der DDR mit katholischen und evangelischen Kirchenvertretern in Leipzig, bei dem eine Teilnahme am »Tag des Lebens« diskutiert wird. Bereits im Oktober folgt die zweite Reise von Professor Dr. Hedwig Seelentag in die DDR. Sie führt offizielle Gespräche mit SED-Vertretern über die Gründung eines ALfA-Zweiges in der DDR. Durch die Wiedervereinigung 1990 entwickelt sich die ALfA ohne jegliche staatliche Reglementierung in den neuen Ländern und gründet schließlich im Mai 1991 den ersten Regionalverband in Greiz in Thüringen. Aufgrund eines Flugblatts, auf dem der Kommunistische Bund Westdeutschland sowohl Professor Dr. Hedwig Seelentag als auch maßgebliche Persönlichkeiten der Katholischen Kirche verunglimpfte, wird die Katholische Kirche auf die ALfA aufmerksam. Es entwickeln sich gute Kontakte zum Augsburger Bischof Josef Stimpfle. Die Diözese unterstützt die ALfA großzügig und finanziert die bis heute bestehende Geschäftsstelle der ALfA im Ottmarsgäßchen in Augsburg, die im Sommer 1991 bezogen wird. Ende 1991 gründet der Landesverband Bayern unter Leitung von Seelentag eine Patenschaftsaktion zur dauerhaften Unterstützung Schwangerer und Familien in Not. Sie weitet sich schnell auf das ganze Bundesgebiet aus und ist bis heute eine tragende Säule der sozialen Hilfen der ALfA. 1992 kandidiert Professor Dr. Seelentag nicht mehr für den Vorsitz und wird Ehrenvorsitzende. Ruth Reimann, geb. Esser, Juristin aus Köln, wird zur ersten Bundesvorsitzenden der ALfA nach der Gründerin. Die Entwicklung ihrer ALfA begleitet Seelentag bis in das neue Jahrtausend hinein weiter mit großem Engagement – und in den 90er Jahren schon zeigt sich auch die kluge und geradezu prophetische Weitsicht Seelentags in der Wahl des Namens »Aktion Lebensrecht für Alle« – denn tatsächlich sind die Bedrohungen des menschlichen Lebens seither in allen Phasen gewachsen: Überzählige Embryonen, Selektion durch PID und andere Diagnostikverfahren bis hin zur aktuell diskutierten Sterbehilfe und den assistierten Suizid. Nicht verschwiegen sei an dieser Stelle, dass Frau Professor Dr. Hedwig Seelentag die Entwicklung der ALfA nicht bis zum Schluss weiter begleitet hat. Die Jahrtausendwende brachte der Lebensrechtsbewegung in Deutschland auch die Debatte um die Beratungsscheinvergabe durch die Katholische Kirche. Viele sahen den Beratungsschein als »Lizenz zum Töten« an, weil er durch die Gesetzesänderung die einzige Voraussetzung für eine straffreie Abtreibung darstellte. Dieser Meinung folgten auf der Bundesdelegiertenversammlung 2000 der ALfA mehrheitlich auch die Delegierten. Nach ein paar Jahren des »Sowohl als auch« der Meinungen gab es endlich einen klaren Richtungsentscheid und Kurs der ALfA. Diesen Kurs konnte und wollte Professor Dr. Hedwig Seelentag leider nicht mehr mitgehen, sodass sie den Ehrenvorsitz niederlegte und zu unserem großen Bedauern aus der ALfA austrat. Der Versuch, ihr zu sagen, dass manchmal Kinder eigene Wege gehen und sich gegen die Meinung der Eltern stellen, konnte sie nicht mehr umstimmen, ebenso wenig wie die Tatsache, dass jedes ALfA-Mitglied nach wie vor mit jeder geeigneten Beratungsstelle zusammenarbeiten konnte. ANZEIGE Bioethik-Akademie Der Jugend für das Leben und Christdemokraten für das Leben „Warum sich Lebensschutz lohnt“ Unter diesem Motto laden die Jugend für das Leben (Jugendorganisation der ALfA) und die Jungen Christdemokraten für das Leben in diesem Jahr wieder gemeinsam zu einer Bioethik-Akademie für Jugendliche und junge Erwachsene ein. Die Teilnehmer der Akademie erwarten wieder interessante Vorträge und Diskussionen mit hochkarätigen Referenten und ein spannendes Wochenende mit anderen jungen Menschen, denen das Lebensrecht jedes Menschen am Herzen liegt. Datum: 30. Oktober bis 01. November Ort: JH Aachen, Maria-Theresia-Allee 260, 52074 Aachen Tagungsbeitrag: 60 Euro (Schüler, Studenten) 130 Euro (ohne Ermäßigung) Anmeldung: [email protected] LebensForum 115 29 BÜCHERFORU M D ieses Buch kommt zur rechten Zeit. Denn es setzt – rechtzeitig vor der für November geplanten Entscheidung des Bundestags über die gesetzliche Neuregelung der Suizidhilfe – der Freitod-Rhetorik maßgebliche Fakten und treffende Argumente entgegen. Die »acht Plädoyers gegen Sterbehilfe«, welche die drei Herausgeber – der Medizinrechtler Rainer Beckmann und die Bundesvorsitzenden der Aktion Lebensrecht für Alle (ALfA) und der Christdemokraten für das Leben (CDL), Claudia Kaminski und Mechthild Löhr – dort versammelt haben, basieren auf einer Fachtagung, welche CDL und ALfA im vergangenen Herbst unter dem provokanten Titel »Du sollst mich töten – Kommt jetzt der ärztlich assistierte Suizid?« in Berlin veranstalteten. Den Anfang macht der Philosoph Robert Spaemann. Sein Beitrag ist – wie das Buch selbst – überschrieben mit »Es gibt kein gutes Töten« und räumt mit der Annahme auf, es könne so etwas wie ein »Recht auf Suizid« geben. Vielmehr sei der Suizid »eine Handlung, die sich der Rechtssphäre entzieht«. »Von ihr führt kein Weg zu irgendeinem Recht, einen anderen zu töten, beziehungsweise von einem anderen getötet zu werden.« Jenen, die sich auf ein »Sterben in Würde« berufen und den Suizid als geeignetes Mittel dazu betrachten, schreibt Spaemann, mit Kant, dem Vater des Würdegedankens, ins Stammbuch: Gerade für Kant sei der Suizid »nicht Ausdruck von, sondern Absage an Autonomie und Freiheit des Menschen, da er ja gerade das Subjekt von Freiheit und Sittlichkeit vernichtet«. Der Suizid sei deshalb »jener Akt der Selbstvergessenheit, mit welchem ein Mensch dokumentiert, dass er sich selbst nur noch als Mittel zur Erreichung oder Erhaltung wünschenswerter Zustände versteht, als Mittel, das sich, wenn es versagt, selbst beiseiteräumt«. Für Kant, in dessen Tradition auch das Grundgesetz steht, bestand die Würde des Menschen darin, dass er nie als bloßes Mittel angesehen, sondern immer als »Zweck an sich« betrachtet werden müsse. Wo dagegen der Suizid »als legitime Handlung, ja als Ausdruck der Menschenwürde« gelte, dort ergebe sich, so Spaemann, »unweigerlich eine verhängnisvolle Folge«: Denn »wo das Gesetz es erlaubt und die Sitte es billigt, sich zu töten oder sich töten zu lassen, da hat plötzlich der Alte, der Kranke, der Pflegebedürftige alle Mühe, Kosten und Entbehrungen zu verantworten, die seine Angehörigen, Pfleger und Mitbürger für ihn aufbringen müssen. Nicht Schicksal, Sitte und Solidarität sind es mehr, die ihnen dieses Opfer abverlangen, sondern der Pflegebedürftige selbst (...), da er sie ja leicht davon befreien könnte.« Mit anderen Worten: Die Legalisierung des ärztlich assistierten Suizids liefe auf eine Entsolidarisierung der Gesellschaft hinaus, mit der Gefahr, dass in ihr – früher oder später – all jenen die Tür gewiesen wird, die zum Weiterleben auf Hilfe Dritter angewiesen sind. Nicht minder erhellend nehmen sich auch die Beiträge aus, die der Osnabrücker Sozialethiker Manfred Spieker, der Heidelberger Medizinethiker Axel W. Bauer, der Würzburger Medizinrechtler Rainer Beckmann, der Onkologe und Palliativmediziner Stephan Sahm und die Leiterin des Hospiz- und Palliativberatungsdienstes der Malteser in Berlin, Kerstin Kurzke, sowie die Journalisten und Buchautoren Gerbert van Loenen und Andreas Lombard zu diesem Band beigesteuert haben. Aus unterschiedlichen Erfahrungswelten und mit unterschiedlichen Blickwinkeln kommen sie alle zum selben Ergebnis: Es gibt kein gutes Töten. Es gibt kein gutes Töten 30 Stefan Rehder Rainer Beckmann/Claudia Kaminski/Mechthild Löhr (Hrsg.): Es gibt kein gutes Töten. Acht Plädoyers gegen Sterbehilfe. Edition Sonderwege. Manuscriptum Verlagsbuchhandlung Thomas Hoof KG. Leipzig 2015. 176 Seiten. Klappbroschur. 9,80 EUR. Im Schaufenster Kind auf Bestellung Die Journalistin Eva Maria Bachinger könnte auch Vorsitzende eines Vereins oder einer Stiftung »zur Pflege einer deutlichen Aussprache« sein. Schonungslos legt sie in »Kind auf Bestellung« die Finger in die Wunden einer Gesellschaft, die glaubt, auch alles zu dürfen, was die Reproduktionsmedizin möglich gemacht hat. Dass auch bei Zeugungsunfähigkeit die Elternschaft mit genetisch eigenen Kindern als »Norm« gelte, huldige einem »Biologismus«, den man ansonsten für vernachlässigbar halte. »In der politischen Mitte ist derzeit Beschönigen und Verharmlosen en vogue. Kritiker werden diffamiert und in ein Eck gestellt. Halbwahrheiten werden auch von Experten verbreitet. Die Kommerzialisierung von Eizellspenden und Leihmutterschaft sei nur »mit einem internationalen Verbot ansatzweise vermeidbar«. Angesichts des globalisierten Marktes sei »das Gerede vom hehren Altruismus schlichtweg Unsinn, ebenso wie die Beschwörung«, die Präimplantationsdiagnostik (PID) bleibe nur »in engen Grenzen« erlaubt. Fazit: Für alle, die sich kein X für ein U vormachen lassen wollen. reh Eva Maria Bachinger: Kind auf Bestellung. Ein Plädoyer für klare Grenzen. Deuticke, Wien 2015. 240 Seiten. Klappbroschur. 19,90 EUR. Und wenn ich nicht mehr leben möchte? Viele dürften sich noch an die Debatte erinnern, die der ehemalige Ratsvorsitzende der Evangelischen Kirchen in Deutschland Nikolaus Schneider ausgelöst hat, als er öffentlich machte, dass er seine damals krebskranke Frau auf deren Wunsch hin auch in die Schweiz begleiten würde, obwohl er selbst Beihilfe zum Suizid ablehnt. Auch wenn man nach wie vor fraLebensForum 115 gen kann, warum Schneider damit überhaupt an die Öffentlichkeit ging, so hilft das vorliegende Buch, doch seine Haltung und seinen Konflikt besser zu verstehen. Im Interview mit Evelyn Finger, Leiterin des Ressorts »Glauben und Zweifel« der Wochenzeitung »Die Zeit«, das Finger mit ihm und Bundesgesundheitsminister Hermann Gröhe führte, wird vieles differenzierter dargestellt, als es damals durch den Blätterwald rauschte. Ergänzt wird das Gespräch um ein Interview mit Anne Schneider, die sich einer offenbar erfolgreichen Chemotherapie unterzog, und um einen sehr lesenswerten Beitrag von Bundesärztekammerpräsident Frank Ulrich Montgomery. Fazit: Beachtlich. reh Und wenn ich nicht mehr leben möchte? Hermann Gröhe und Niklolaus Schneider im Gespräch mit Evelyn Finger. Adeo Verlag, Asslar 2015. Gebunden. 190 Seiten. 17,99 EUR. Welche Medizin wollen wir? Der Autor hat sich als Befürworter des ärztlich assistierten Suizids einen Namen gemacht. Und auch in diesem Werk hält er erneut ein Plädoyer für die Beihilfe zur Selbsttötung durch Ärzte. »Richtig verstandene ärztliche Suizidhilfe« sei »Ausdruck äußerster empathischer Zuwendung des Arztes zu seinem Patienten auf der Grundlage einer vertrauensvollen Beziehung«. Dem muss entschieden widersprochen werden. Denn im Grunde wird hier impliziert, dass Ärzte, die nicht bereit sind, einem Patienten bei der Selbsttötung zur Hand zu gehen, einen geringen Grad an Empathie an den Tag legten. Und von vielen dürfte dies so verstanden werden, als seien sie schlechtere Ärzte. Tatsächlich ist aber das Gegenteil der Fall. Wer meint, die Beihilfe zum Suizid könne eine ärztliche Aufgabe sein, definiert in Wahrheit den Beruf des Arztes nach eigenem Gutdünken neu. Und das hat nichts mit Empathie, aber viel mit Hybris und Anmaßung zu tun. Das ist insofern bedauerlich, als dass der Autor in diesem Buch eine ganze Reihe bedenkenswerter Vorschläge für eine nachhaltige Reform des Gesundheitswesens macht. Fazit: Eingeschränkt empfehlenswert. reh Michael de Ridder: Welche Medizin wollen wir? Deutsche Verlags-Anstalt, München 2015. 304 Seiten. Gebunden. 19,90 EUR. LebensForum 115 D as vorliegende Buch besticht aus einer ganzen Reihe von Gründen. Da ist zunächst seine politische Dimension. Dass sich der Ratsvorsitzende der Evangelischen Kirchen in Deutschland (EKD), Heinrich BedfordStrohm, der auch Landesbischof der Evangelisch-Lutherischen Kirche in Bayern ist, zur Suizidhilfe äußert, ist bereits als solches ein Politikum. Zunächst weil Protestanten, anders als die Katholiken, kein Lehramt besitzen, das die kirchliche Lehre in solchen Fragen verbindlich formulieren könnte, weshalb der öffentlichen Äußerung des EKDRatsvorsitzenden, egal zu welchem Thema, stets besonderes Gewicht zukommt. Gewichtig ist dieses Buch aber auch deshalb, weil viele Journalisten die Äußerungen von Bedford-Strohms Amtsvorgänger, Nikolaus Schneider, er sei bereit, seine damals krebskranke Frau notfalls auch gegen seine Überzeugung zum Suizid in die Schweiz zu begleiten, überstrapaziert haben. Vielfach wurde der Eindruck erweckt, als müssten Schneiders umstrittene Äußerungen als Abrücken von der Ablehnung der Suizidhilfe durch die EKD verstanden werden. Doch dies wäre, wie der Autor klarstellt, ein Irrtum. Nach der Lektüre dieses Buches kann niemand mehr guten Gewissens behaupten, die EKD billige die Suizidhilfe. Mehr noch: Unter der Überschrift »Was die Kirchen sagen« widmet der EKD-Ratsvorsitzende ein ganzes Kapitel der Darstellung dessen, was die römisch-katholische, die griechisch-orthodoxe und die evangelische Kirche zu diesem Thema zu sagen haben. Selbst minimale Unterschiede werden dabei so klar herausgearbeitet, dass am Ende eines ganz deutlich wird: Mögen die Begründungen auch unterschiedlich sein, in der Ablehnung der Suizidhilfe sind sich die christlichen Kirchen einig. Wer also glaubt, die Evangelische Kirche gegen die Katholische in dieser Frage ausspielen zu können, hat jedenfalls seine Rechnung ohne Bedford- Strohm gemacht, der hier zudem ein gelungenes Beispiel für gelebte Ökumene gibt, die in bioethischen Fragen zuletzt recht brüchig erschien. Bemerkenswert ist dieses Buch aber nicht allein wegen seiner politischen, innerkirchlichen und kirchenübergreifenden Dimensionen. Auch die Machart des Buches beeindruckt. Und zwar sowohl formal als auch inhaltlich. So findet sich am Ende eines jedes Unterkapitels eine kurze Zusammenfassung der wichtigsten Passagen, für die der schnelle Leser vermutlich ebenso dankbar sein wird wie der, welcher dieses leicht verständlich geschriebene Werk als ein Studienbuch betrachtet. Inhaltlich bemerkenswert macht das Buch zweierlei. So darf das vorliegende Werk wohl auch als gelungenes Beispiel für die Synthese von theoretischer Reflexion und pastoraler Sorge gelten, die der Autor hier wechselseitig aufeinander zu beziehen versteht. Das beweist: Auch im Angesicht mitunter furchtbaren Leidens müssen Verstand und Herz keineswegs gespalten vorliegen, sondern können harmonisiert werden, wenngleich sich der Verdacht aufdrängt, dies setze womöglich eine ähnlich integre Person, wie die des Autors, voraus. Bereichert wird der Leser aber auch durch fünf, vom Autor selbst entwickelte »ethische Leitlinien«, die dieser, nachdem er die gängigsten ethischen Ansätze treffend dargestellt hat, diesen zugesellt. Sie mögen mit »Dankbarkeit für das Leben«, »Endlichkeitsbewusstsein«, »Selbstbestimmung und Verantwortung«, »Kontextsensibilität« und »Soziokulturelle Verantwortung« zwar teilweise recht sperrig etikettiert sein, lohnen aber, wie das gesamte Werk, einer gewissenhaften Auseinandersetzung. Die EKD spricht Stefan Rehder Heinrich Bedford-Strohm: Leben dürfen – Leben müssen. Argumente gegen die Sterbehilfe. Kösel-Verlag, München 2015. 176 Seiten. 17,99 EUR. 31 KURZ VOR SC H LU S S » Es wäre weder human noch moralisch, wenn der Gesetzgeber verbindlich festlegen wollte: Das kann man aushalten. Solche Entscheidungen führen jedes Jahr in Deutschland zu Zehntausenden gescheiterten Suizidversuchen (...). Indem der Gesetzgeber diesen Menschen die Hilfe verweigert, weist er ihnen am Ende den Weg vor die U-Bahnen.« Der Hamburger Strafrechtsprofessor Reinhard Merkel in einem Interview mit dem »Stern« » Die Idee des qualitätsgesicherten, klinisch ›sauber‹ durchgeführten Selbstmordes ist von der Euthanasie nicht mehr zu trennen und einer humanen Medizin fremd.« Der Präsident der Bundesärztekammer Frank Ulrich Montgomery in einem Beitrag für das Buch »Und wenn ich nicht mehr leben möchte« » Es handelt sich um ein medizinisches Problem, wenn Paare keine Kinder kriegen können. Daher gibt es keinen Grund, den Versicherten diese Leistung vorzuenthalten.« SPD-Gesundheitsexperte Karl Lauterbach im »Spiegel« zur Forderung, die gesetzlichen Krankenkassen sollten die Kosten für künstliche Befruchtungen wieder voll übernehmen » Die ›Baby-take-home-Rate‹ ist bei einer Patientin mit Mitte 25 bei zwei Embryonen pro Versuch bei etwa 30 Prozent, bei einer Frau mit 40 oder über 40 liegt die Wahrscheinlichkeit bei 10 bis 15 Prozent.« » Der Münchner Reproduktionsmediziner Wolfgang Würfel gegenüber dem Bayerischen Fernsehen Die biologische (austragende) Mutter soll nicht dem Konflikt zwischen der psychischen Bindung an ihr Kind und der Zusage gegenüber den Wunscheltern ausgesetzt werden und das Kind ist davor zu schützen, dass es zur Ware degradiert wird, die man bei Dritten bestellen könne.« Auszug aus einem Urteil des Schweizer Bundesgerichts (Az.: 5A 748/2014) zur Leihmutterschaft 32 Tops & Flops Lebensrechtler sollten »erhobenen Hauptes und unerschrocken weiterkämpfen und sich nicht von unsachlicher Kritik oder gar Anfeindungen beeindrucken lassen«. Das riet der CDU-Bundestagsabgeordnete Wolfgang Bosbach in einem Interview mit dem katholischen Nachrichtenportal kath. net. »Wer gegen den Lebensschutz agitiert und polemisiert, dem fehlen offensichtlich fundierte Sachargumen- Wolfgang Bosbach te und deshalb sollte man diesem Teil des Publikums nicht kampflos das Feld überlassen«, so Bosbach weiter. Der 63-Jährige, der seit vielen Jahren den Rheinisch-Bergischen Kreis als Direktkandidat im Bundestag vertritt, sagte, »die Zahl von über 100.000 registrierten Abtreibungen pro Jahr« sei »nach wie vor erschreckend hoch«. »Umso überraschender ist es, dass es eine gesellschaftliche Debatte hierüber nur am Rand gibt.« reh FOTO AG GYMNASIUM MELLE Expressis verbis Ludwig A. Minelli, Chef der Schweizer Sterbehilfeorganisation »Dignitas«, hat sich – offenbar in der Hoffnung, Einfluss auf die Entscheidung des Parlaments zur rechtlichen Neuregelung der Suizidhilfe in Deutschland nehmen zu können – in einem Schreiben an alle Abgeordnete des Bundestags gewandt. In diesem schildert er nicht nur ausführlich den Tod eines Krebspatienten mit Darmverschluss, der an Ludwig Minelli seinem Kot erstickte, sondern stellt auch gleich die Kostenfrage: »An den vier Wochen im Krankenhaus nach der ersten Operation, an den beiden Operationen, durch die künstliche Ernährung und durch den Aufenthalt auf den verschiedenen Stationen im Krankenhaus und im Hospiz hat die Krankheitsindustrie zu Lasten der Krankenkassen (und damit der Prämien- und Steuerzahler) an diesem Patienten viel Geld verdient.« reh Betreutes Wohnen für unter 1-Jährige: Uterus zu vermieten LebensForum 115 Aus der Bibliothek Karl Binding/Alfred Hoche: Die Freigabe der Vernichtung lebensunwerten Lebens. Ihr Maß und ihre Form (1920) »Die Anstalten, die der Idiotenpflege dienen, werden anderen Zwecken entzogen; soweit es sich um Privatanstalten handelt, muß die Verzinsung berechnet werden; ein Pflegepersonal von vielen tausend Köpfen wird für diese gänzlich unfruchtbare Aufgabe festgelegt und fordernder Arbeit entzogen; es ist eine peinliche Vorstellung, daß ganze Generationen von Pflegern neben diesen leeren Menschhülsen dahinaltern, von denen nicht wenige 70 Jahre und älter werden. Die Frage, ob der für diese Kategorien von Ballastexistenzen notwendige Aufwand nach allen Richtungen hin gerechtfertigt sei, war in den verflossenen Zeiten des Wohlstandes nicht dringend; jetzt ist es anders geworden, und wir müssen uns ernstlich mit ihr beschäftigen. [...] Von dem Standpunkte einer höheren staatlichen Sittlichkeit aus gesehen kann nicht wohl bezweifelt werden, daß in dem Streben nach unbedingter Erhaltung lebensunwerten Lebens Übertreibungen ge- übt worden sind. Wir haben es, von fremden Gesichtspunkten aus, verlernt, in dieser Beziehung den staatlichen Organismus im selben Sinne wie ein Ganzes mit eigenen Gesetzen und Rechten zu betrachten, wie ihn etwa ein in sich geschlossener menschlicher Organismus darstellt, der, wie wir Ärzte wissen, im Interesse der Wohlfahrt des Ganzen auch einzelne wertlos gewordene oder schädliche Teile oder Teilchen preisgibt und abstößt.« Karl Binding/Alfred Hoche: Die Freigabe der Vernichtung lebensunwerten Lebens. Ihr Maß und ihre Form (1920). Anm. d. Redaktion: Hoche war Psychiater, Binding Professor für Strafrecht. Ihr o. a. Buch erschien 1920 auf dem Höhepunkt einer Debatte, die in Deutschland über die »Tötung Geisteskranker« geführt wurde. Historiker vertreten die Auffassung, dieses Buch habe der Reichsregierung unter Adolf Hitler die Begründungen für die Massenmorde an Menschen mit körperlichen, geistigen und psychischen Besonderheiten geliefert. »Die Welt. Die von morgen« (27) Fünf Jahre, nachdem der Bundestag im November 2015 den ärztlich assistierten Suizid legalisiert hatte, ist im Deutschland von morgen eine Debatte darüber entbrannt, ob Ärzten die Approbation entzogen werden solle, die sich weigerten, Patienten bei einem Suizid zu assistieren. Argumentiert wird unter anderem, vor allem in ländlichen Gebieten sei nicht sichergestellt, dass alle Suizidwilligen auch immer einen Arzt fänden, der bereit sei, ihnen bei der Selbsttötung zur Hand zu gehen. Im Petitionsausschuss des Bundestags seien zahlreiche Beschwerden von Angehörigen eingegangen, die beklagten, dass – obwohl ihre hochbetagten Verwandten längst eingewilligt hätten, aus dem Leben zu scheiden – sich kein Arzt fände, der ihnen dabei helfen wolle. Ein hochbetagtes Mitglied des wisLebensForum 115 senschaftlichen Beirats der »Giordano Bruno Stiftung« hat sogar die Bundesrepublik Deutschland vor dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte verklagt. Er argumentiert, der Staat hindere ihn an einem »Sterben in Würde«, da er es versäume, Sorge dafür zu tragen, dass es ein flächendeckendes Angebot von Ärzten gebe, die bereit seien, Suizidhilfe zu leisten. Da er weiter für die Kosten seiner Pflege aufkommen müsse, entstünden »durch die Abschmelzung des Erbes« zudem seinen Nachkommen erhebliche finanzielle Nachteile. Die Leitungsgremien von »Amnesty International« diskutieren, ob die Organisation mit einer Kampagne für ein »Menschenrecht auf Suizid« eine neue Zielgruppe auf sich aufmerksam machen und als Mitglieder gewinnen könne. Stefan Rehder KURZ & BÜNDIG Thailand verbietet Leihmutterschaft Bangkok (ALfA). In Thailand dürfen Kliniken Ausländern nicht länger die Dienste von Leihmüttern anbieten. Auch der Kauf von Ei- und Samenzellen ist verboten. Ärzte, die dennoch kommerzielle Leihmutterschaften unterstützen, müssen mit Haftstrafen von bis zu einem Jahr rechnen, Leihmütter mit MYANMAR L AOS THAILAND K AMBODSCHA GOLF VON THAIL AND VIETNAM bis zu zehn Jahren. Das teilte Ende Juli das thailändische Gesundheitsministerium mit. Lediglich verheiratete, heterosexuelle Paare, von denen mindestens einer thailändischer Staatsbürger sein muss, dürfen – sofern diese nicht direkt bezahlt werden – noch Leihmütter in Anspruch nehmen. Mit der Gesetzesänderung reagierte die thailändische Regierung auf zwei Skandale, die weltweit für Schlagzeilen gesorgt hatten. In dem einen Fall ließ ein australisches Paar ein krankes Zwillingskind bei der Leihmutter und nahm nur das gesunde Geschwisterchen mit nach Australien. In dem anderen Fall hatte ein reicher Japaner mindestens zehn Kinder mit Hilfe von Leihmüttern gezeugt, angeblich um seine Nachkommenschaft zu sichern. reh EGMR: Richter weisen Klage ab Straßburg (ALfA). Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) hat die Klage einer Italienerin abgewiesen, die ihre künstlich erzeugten und anschließend tiefgefrorenen Embryonen der Forschung zur Verfügung stellen wollte. Der Staat Italien habe das Recht, eine solche Embryo-Spende zu verbieten, urteilten die Richter Anfang September. Die 1954 geborene Klägerin hatte sich 2002 einer In-vitro-Fertilisation (IVF) unterzogen, bei der fünf Embryonen künstlich erzeugt und tiefgefroren wurden. Als der Mann der Frau im Jahr darauf verstarb, lehnte sie den Embryotransfer zur Herbeiführung einer Schwangerschaft ab und beschloss stattdessen, die Eizellen der Wissenschaft zur Erforschung seltener Krankheiten zur Verfügung zu stellen. reh 33 LESERFORUM An der Titelgestaltung von »LebensForum« wird häufiger Kritik geübt. Woher ich das weiß? Weil Sie sich nicht scheuen, diese, zumindest aber einen Teil davon, hier auch zu veröffentlichen. Deshalb hoffe ich, dass Sie auch dieses Lob veröffentlichen werden: Ich finde das Titelbild der letzten Ausgabe ganz besonders gelungen. Geradezu preisverdächtig. Janette Husemann, Kleve Auch Zeichen für den Tod Hochwürden Andreas Kuhlmann, katholischer Priester, plädiert (LF114, S. 24f.) dafür, beim »Marsch für das Leben« auf das Mitführen weißer Kreuze zu verzichten und statt ihrer leere Kinderwagen mitzuführen. Das Kreuz sei mit Tod und Auferstehung des Sohnes Gottes zum Zeichen der Hoffnung und der Liebe geworden. Es für politische Zwecke einzusetzen, gehe mit der Gefahr einher, diese seine eigentliche Aussage zu verfälschen. Da bin ich, auch ich ein katholischer Christ, ganz anderer Meinung. Ein Freund, mit dem ich Krankendienst gemacht habe, hat es einmal so ausgedrückt: »Das ist gerade der Unterschied zum Roten Kreuz: An unserem Kreuz hängt einer!« Der da hängt, hat selbst gelitten und ist ungerecht gestorben. Das Kreuz ist, da stimme ich zu, ein Zeichen für den Sieg über den Tod. Ebenso hält es uns aber, mit dem der daran hängt, das Sterben Christi vor Augen. So ist das Kreuz auch ein Zeichen für den Tod, für das Gedenken an die Toten und für die Barmherzigkeit Gottes mit uns Lebenden und unseren Toten. Stirbt ein kleines Kind, so wird es oft in einem kleinen weißen Sarg beigesetzt. Die weißen Kreuze sind so für mich ein starkes Symbol für den Tod kleiner Kinder, ob wir sie nun zu Tode getragen haben oder nicht. Jesus selbst sagt uns: »Wer mein Jünger sein will, nehme täglich sein Kreuz auf sich und folge mir nach« (Lk 9,23). Die politisch zugelassenen vorgeburtlichen Kindstötungen sind für mich eines meiner Kreuze, die ich durch mei34 hungsweise der christliche Glaube verschwindet immer mehr aus der Öffentlichkeit. Das ist schade und sehr bedauerlich, gibt unser Glaube doch Hilfe zur Orientierung und im Umgang mit Problemen wie zum Beispiel den Schwangerschaftskonflikten. Ich stimme mit Herrn Kuhlmann darin überein, dass das Kreuz unter anderem Symbol für Hoffnung ist. Allerdings ist es auch ein Symbol für den Tod, der zwar durch Jesus Christus überwunden wurde, aber nur denen den Schrecken nehmen kann, die Christus auch als ihren Erlöser angenommen haben. Da dürften wir dann an der Stelle sein, dass schon viele Bürger in diesem Land eben keine (aktiven) Christen mehr sind. Auch oder gerade diese sollen ja durch den Marsch angesprochen werden. Es ist und bleibt eben das Anliegen, auf den hunderttausendfachen Tod der Ungeborenen, beziehungsweise der gezielten Tötung eben dieser, einmal im Jahr hinzuweisen. Dieses gelingt eben am besten durch eine Symbolik, die jeder versteht. Mit leeren Kinderwagen, wie das vorgeschlagen wurde, ist das meiner Meinung nen Alltag zu tragen habe. Warum soll ich dann nicht zum Gedenken an die durch Abtreibung um ihr Leben gebrachten Kinder dieses mein Kreuz auch beim »Marsch für das Leben« als sichtbares weißes Kreuz mit mir führen? Ob ein Kinderwagen leer ist oder nicht, sieht nur der, der ihn schiebt. Keinesfalls kommen mitgeführte Kinderwagen in ihrer Symbolkraft für die toten Kinder an die weißen Kreuze heran. Wir sollten sie des- Der »Marsch für das Leben« durch Berlin halb beim »Marsch für das Leben« auch weiterhin gelassen nach nicht wirklich zu bewerkstelligen. mit uns tragen. Auch wenn wir vielleicht Zudem ist der Transport dieser Kindergerade wegen der weißen Kreuze und ihwagen schon ein logistisches Problem, rer klaren Aussage angegriffen, beschimpft ein teures noch dazu. und bespuckt werden. Nein, das Kreuz, das Symbol unseres Glaubens, das sowohl für den Tod als Anton Graf von Wengersky, Grafing auch für die Vergebung steht, muss noch massiver zurück in die Öffentlichkeit gebracht werden. In einer visuellen Welt wie der Unseren wird man ansonsten nicht mehr wahrgenommen. Wir haben eine Andreas Kuhlmann und auch andere Botschaft und diese muss durch eindeuLeser mögen es mir bitte gleich zu Antige Symbole transportiert werden. Wer fang nachsehen, dass ich als lutherischer kein Kreuz nehmen mag, kann wie auch Christ nicht auf die angeführten Heiligen in den letzten Jahren mit leeren Händen in der Stellungnahme eingehen kann und gehen, ein Schild tragen, gerne auch einen möchte. Ich finde den Beitrag trotzdem leeren Kinderwagen schieben. Ich schreiinteressant und diskussionswürdig. Vorbe es noch einmal ganz deutlich. Auf die weg, ich empfinde das Tragen der Kreuze Kreuze gänzlich zu verzichten, halte ich beim »Marsch für das Leben« für richtig allerdings für absolut falsch! und würde nicht darauf verzichten wollen. Zur Begründung: Das Kreuz bezieSven Behrens, Bremervörde Die Symbolik des Kreuzes LebensForum 115 IMPRESSUM IMPRESSUM LEBENSFORUM Ausgabe Nr. 115, 3. Quartal 2015 ISSN 0945-4586 Verlag Aktion Lebensrecht für Alle (ALfA) e.V. Ottmarsgäßchen 8, 86152 Augsburg Tel.: 08 21 / 51 20 31, Fax: 08 21 / 15 64 07 www.alfa-ev.de, E-Mail: [email protected] Herausgeber Aktion Lebensrecht für Alle e.V. Bundesvorsitzende Dr. med. Claudia Kaminski (V.i.S.d.P.) Kooperation Ärzte für das Leben e.V. – Geschäftsstelle z.H. Dr. med. Karl Renner Sudetenstraße 15, 87616 Marktoberdorf Tel.: 0 83 42 / 74 22, E-Mail: [email protected] www.aerzte-fuer-das-leben.de Treffen Christlicher Lebensrecht-Gruppen e. V. Fehrbelliner Straße 99, 10119 Berlin Tel.: 030 / 521 399 39, Fax 030 / 440 588 67 Fax Internet: www.tclrg.de · E-Mail: [email protected] Redaktionsleitung Stefan Rehder, M.A. Redaktion Matthias Lochner, Alexandra Linder M.A., Dr. med. Maria Overdick-Gulden, Prof. Dr. med. Paul Cullen (Ärzte für das Leben e.V.) Anzeigenverwaltung Aktion Lebensrecht für Alle (ALfA) e.V. Ottmarsgäßchen 8, 86152 Augsburg Tel.: 08 21 / 51 20 31, Fax: 08 21 / 15 64 07 www.alfa-ev.de, E-Mail: [email protected] Bankverbindung Augusta-Bank eG IBAN: DE85 7209 0000 0005 0409 90 BIC: GENODEF1AUB Spenden erwünscht Druck Reiner Winters GmbH Wiesenstraße 11, 57537 Wissen www.rewi.de Satz / Layout Rehder Medienagentur, Würzburg www.rehder-agentur.de Titelbild Dipl.-Des. Daniel Rennen / Rehder Medienagentur www.rehder-agentur.de Auflage 6.500 Exemplare Das LebensForum ist auf umweltfreundlichem chlorfrei gebleichtem Papier gedruckt. Anzeigen Es gilt die Anzeigenpreisliste Nr. 7 vom 7.10.2014. Mit vollem Namen gekennzeichnete Artikel geben nicht unbedingt die Meinung der Redaktion oder der ALfA wieder und stehen in der Verantwortung des jeweiligen Autors. Erscheinungsweise LebensForum Nr. 116 erscheint am 14.11.2015. Redaktionsschluss ist der 18.09.2015. 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Der Bezug des LebensForums ist im Beitrag schon enthalten. Die Höhe des Beitrages, die ich leisten möchte, habe ich angekreuzt: c 12,– E jährlich für Schüler, Studenten und Arbeitslose c 24,– E jährlich Mindestbeitrag c _________ E jährlich freiwilliger Beitrag. Mitgliedsbeiträge und Spenden sind steuerlich abzugsfähig! Meine Adresse Freiwillige Angaben Name Geboren am Straße, Nr. Telefon PLZ, Ort Religion Beruf c Um Verwaltungskosten zu sparen und weil es für mich bequemer ist, bitte ich Sie, meine Beiträge jährlich von meinem Konto einzuziehen: Institut IBAN BIC/SWIFT Datum, Unterschrift LebensForum 115 35 LETZTE SEITE Hilfe statt Scheine Gericht bestätigt den Anspruch katholischer Beratungsstellen auf finanzielle Förderung Von Stefan Rehder E inen zählbaren Erfolg für den Lebensschutz haben die Caritasverbände des Erzbistums Berlin und der Diözese Görlitz vor Gericht errungen. Ende Juni bestätigten die Richter des Bundesverwaltungsgerichts in Leipzig ein Urteil des Oberverwaltungsgerichts Berlin-Brandenburg aus dem Jahr 2013, das den beiden Schwangerenberatungsstellen in Strausberg und Cottbus der Caritasverbände im Erzbistum Berlin und im Bistum Görlitz einen Anspruch auf Förderung durch das Land Brandenburg attestiert hatte. Gegen diese Entscheidung hatte das Land Brandenburg Revision beim Bundesverwaltungsgericht eingelegt. Das Land muss nun die rechtswidrig vorenthaltenen Fördermittel für die Jahre 2007 bis 2015 (rund 1,6 Millionen Euro) an die beiden Caritasverbände nachzahlen. »Das Urteil ist ein Erfolg für den Lebensschutz. Schwangere Frauen müssen die Möglichkeit haben, eine Beratung zu wählen, die für das Leben eintritt«, erklärte Gabriela Pokall, Direktorin des Caritasverbandes der Diözese Görlitz nach Bekanntgabe des Urteils. »Die Entscheidung des Gerichts stellt eine Würdigung der besonderen Schwangerenberatung der Katholischen Kirche ohne Beratungsschein dar und bedeutet, dass diese Beratungsart in der weltanschaulichen Vielfalt ihren Platz hat«, so Pokall weiter. Nach dem Schwangerenkonfliktgesetz (SchKG) haben auch Einrichtungen, die »nur« eine Schwangerenberatung und nicht auch eine sogenannte Schwangerenkonfliktberatung anbieten – weil sie nach dem Umstieg der Katholischen Kirche in der Schwangerenberatung seit 2001 keine Beratungsscheine mehr ausstellen, die schwangere Frauen zu einer straffreien Abtreibung berechtigen –, grundsätzlich einen Anspruch auf Förderung. Das Land Brandenburg hatte jedoch, nachdem es sich in einem außergericht36 Postvertriebsstück B 42890 Entgelt bezahlt Deutsche Post AG (DPAG) Aktion Lebensrecht für Alle e.V. (ALfA) Ottmarsgässchen 8, 86152 Ausgburg lichen Vergleich mit den Caritasverbändes ungeborenen Lebens« ausgerichtet den im Erzbistum Berlin und im Bistum sei. Insofern unterscheide es sich signiGörlitz über die Nachzahlung von Förfikant von allen anderen in Brandenburg dermitteln für die Jahre 2001 bis 2006 geförderten Beratungsstellen. geeinigt hatte, im Jahr 2007 ein AusfühRund 75 Prozent der in Brandenrungsgesetz erlassen, das es ihm ermögliburg geförderten Beratungsstellen trägt chen sollte, die von der Caritas getragenen der Verband »pro familia«. Zudem wiBeratungsstellen künftig von einer Fördederspreche der Ausschluss eines Angerung auszuschließen. Dieses Gesetz bebots von der öffentlichen Förderung, wie sagt, dass das Land für den Fall, dass es auf es die Katholische Kirche offeriere, der seinem Territorium mehr BeratungsstelSchutzpflicht, die dem Staat für das unlen gibt, als zur Deckung des bundeseingeborene Leben obliege. heitlich definierten Bedarfs notwendig sind, vorrangig diejenigen Beratungsstellen zu fördern habe, die beide Formen der Beratung anbieten. Im Verlauf des Verfahrens, unter das die obersten Verwaltungsrichter in Leipzig mit ihrem Urteil nun einen Schlussstrich zogen, stellte sich das Land Brandenburg auf Brandenburg muss auch scheinlose Beratung fördern den Standpunkt, die Beratungsstellen der Caritas seien zur Der Rechtsstreit entstand, nachdem Deckung des Beratungsbedarfs in Brandie deutschen Bischöfe 1999 beschlosdenburg nicht notwendig. Dem war besen hatten, die Beteiligung am staatlichen reits das Oberverwaltungsgericht BerlinSystem der SchwangerschaftskonfliktbeBrandenburg nicht gefolgt. Nach Ansicht ratung zu beenden. Seitdem stellen kader Richter reicht es nicht aus, dass das tholische SchwangerschaftsberatungsstelLand dafür sorge, dass der sogenannte len keine Beratungsscheine mehr aus, die Mindestversorgungsschlüssel von einer zur straffreien Abtreibung genutzt werBeratungskraft pro 40.000 Einwohner den können. Nach Auffassung des Landes eingehalten werde. Gesetzlich gefordert Brandenburg verloren die Beratungsstelsei auch die Gewährleistung eines weltlen der Caritas hierdurch ihre Förderbeanschaulich pluralen Beratungsangebots. rechtigung. Die Caritas setzte ihre BeraIn ihrem Urteil hoben die Richter austung jedoch unvermindert fort. Experten drücklich hervor, dass das von der Kamessen dem Urteil eine grundsätzliche tholischen Kirche getragene BeratungsBedeutung bei, die über das Land Branangebot auf den »unbedingten Schutz denburg hinaus reiche. LebensForum 115