Auszüge Hannelore Adomat Bollmanns Rache Ungläubig steht die
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Auszüge Hannelore Adomat Bollmanns Rache Ungläubig steht die
Textauszug Ungläubig steht die frischgebackene Bauherrin vor dem windschiefen Gartentor. Vorsichtshalber vergleicht Margot noch einmal die Adresse, weil sie nicht glauben kann, was sie hier sieht. Haus und Garten bieten schon von der Straße aus einen sehr schäbigen Anblick. Zaghaft bahnt sich Margot einen Weg durch meterhohes Unkraut, das überall wuchert. Bis zum Haus sind es etwa zehn Meter. Als sich schon nach den ersten Schritten eine Distel in ihrer Strumpfhose verhakt, ist die Versuchung groß, einfach umzukehren. Aber dann schließt sie kurz die Augen, atmet tief durch und kämpft sich weiter. Es nützt ja alles nichts! Als Margot endlich die Haustür erreicht, ist die Strumpfhose zerrissen, die Schuhe sind schmutzig und an ihrem schönen, neuen Rock hängen Kletten, die beim Entfernen auch noch Fäden ziehen. Während sie den Schlüssel aus ihrer Handtasche kramt, betrachtet sie kopf-schüttelnd die vielen Risse in der verwitterten Holztür. Nachdem sie den Kampf mit dem alten verrosteten Türschloss endlich gewonnen hat, tritt Margot neugierig ein. Doch schon im nächsten Moment bleibt sie schockiert stehen. Der Flur ist völlig verdreckt, und ein frischer Luftzug weht ihr welkes Laub vor die Füße. Von der Decke hängen lange Spinnweben herab, die fast ihr Gesicht berühren. „Igitt, wie eklig“, denkt Margot und geht nur zögernd weiter. Sie erreicht eine Zimmertür und öffnet sie vorsichtig. Es ist aber nichts als Schmutz zu sehen. Ähnlich sieht es auch in den beiden nächsten Räumen aus. Mit dem Mut der Verzweiflung tastet sich die neue Hausbesitzerin weiter. „Es kann ja schlimmer nicht mehr kommen“, denkt sie jetzt schon etwas abgestumpft. Wenn sie nur dieser penetrante, stechende Geruch nicht überallhin verfolgen würde, der scheint ja dem ganzen Haus anzuhaften. Fast schon gleichgültig öffnet sie nun auch die letzte Tür im Erdgeschoss. Sie hat die ehemalige Küche entdeckt. Instinktiv zieht sie das Schaltuch unter ihrer Jacke hervor und hält es sich vor Mund und Nase. Hier also war die Quelle des allgegenwärtigen entsetzlichen Gestankes. Margot hätte nicht geglaubt, dass es für schmutzig eine so gewaltige Steigerung geben würde. Von den beiden Fenstern ist eines total verdreckt, dem anderen fehlen die Scheiben, die liegen in Scherben auf dem Fußboden. Auf dem altmodischen Küchenherd stehen Töpfe, in denen der Schimmel wuchert. Die Spüle quillt über von schmutzigem Geschirr. Der Fußboden ist übersäht mit Lumpen, Papierfetzen und Laub. Den schlimmsten Anblick aber bietet eine alte halb verrottete Matratze, die in der dunkelsten Ecke des Raumes liegt. Als Margot diese stinkenden Reste eines Lagers angewidert mit der Fußspitze anstößt und prompt zwei Mäuse herausflitzen, schreit sie erschrocken auf. Erst, als sie hört, dass draußen jemand zaghaft „Hallo!“ ruft, beruhigt sie sich und schaut vorsichtig aus dem kaputten Fenster. Vor ihr steht ein älterer Herr. „Entschuldigen Sie, ich wohne nebenan, Paul Wittig mein Name.“ „Angenehm, Margot Bollmann.“ „Meine Frau Gertrud und ich haben Sie schreien gehört, brauchen Sie vielleicht Hilfe?“ „Und ob!“, ruft Margot. Wittig lugt durch die kaputte Scheibe. „Mein Gott, wie sieht es denn hier aus? Gehört das Haus etwa Ihnen?“ „Leider, seit heute. Mein Mann hat es gekauft. Heimlich, hinter meinem Rücken. Nach dem Gang zum Notariat hat er sich klugerweise sofort ins Ausland abgesetzt. Er will ein Jahr lang in Rumänien arbeiten.“ „Das darf nicht wahr sein! Der lässt Sie mit all dem Mist hier allein? ........ An der Rezeption fragt sie nach einem Zimmer. Wenn es möglich ist, möchte sie auf der 2. Etage wohnen, denn Hannes hat die Zimmernummer 212. Der Angestellte bietet ihr die Nummer 217 an. Margot kann ihre Freude nicht verbergen. Sie hat absichtlich kein Zimmer vorbestellt, damit Hannes nichts von ihrer Überraschung erfahren kann. Dass es nun so prima klappt, kann ihrem Plan nur dienlich sein. Da das Zimmer auch mit einem Kühlschrank ausgestattet ist, denn es ist heiß in Bukarest, füllt sie schnell das Anmeldeformular aus und legt ihren Ausweis dazu. „Bollmann“, liest der Portier. „Sicherlich die Frau Gattin von Herrn Bollman?“ „Ja, eine Überraschung.“ „Überraschung. Ich sehe, Sie haben Geburtstag. Bitteschön, meinen herzlichen Glückwunsch.“ Der Portier verbeugt sich leicht, vertieft sich aber sofort in seine Unterlagen, und schaut ihr nach, als sie die Stufen nimmt, als hätte er vergessen, ihr etwas zu sagen. In ihrem Zimmer angekommen, nimmt Margot sofort den Kühlschrank in Augenschein. Während sie das bedrohlich weich gewordene Gebäck ins Kühle stellt, überlegt sie die nächsten Schritte. Duschen, frisch anziehen, frisieren. Auf jeden Fall so hübsch wie möglich machen. Er soll ihr auf keinen Fall vorwerfen können, dass er sich mit ihr schämen müsse. Sie tut ihr Bestes und ist am Ende mit dem Ergebnis sehr zufrieden. „Hoffentlich ist es Hannes auch“, denkt sie etwas ängstlich. Dann schaut sie nach der Torte, die zum Glück wieder schön fest geworden ist. Kritisch betrachtet sie noch einmal von allen Seiten ihr Kunstwerk, dann folgt ein letzter prüfender Blick in den Spiegel. „Mein Gott“, denkt sie ärgerlich, warum hab ich eigentlich so viel Bammel? Das ist ja schlimmer als vor dem ersten Rendezvous. Ich habe doch nicht den weiten Weg gemacht, um am Ende zu kneifen!“ Ihr Verstand sagt ihr, dass sie hier durch muss. Es ist der beste Weg, sich Gewissheit zu verschaffen. Also gibt sie sich einen Ruck, nimmt Handtasche und Torte und marschiert los. Nummer 212! Jetzt kommt der Moment. Margot atmet tief durch und will gerade anklopfen. Als hinter ihr ein Servicewagen rumpelt, lässt sie sich aber ablenken und dreht sich neugierig um. Ein Zimmermädchen kommt heftig gestikulierend auf sie zu und redet in verhaltener Lautstärke sehr aufgeregt auf sie ein. Dabei zeigt sie laufend auf ein kleines Pappschildchen an der Tür, das leider nur in rumänischer Sprache beschriftet ist. Margot kann nicht übersetzen, was darauf steht, und sie sagt: „Ich spreche leider nicht Rumänisch.“ „Ah, deutsch, wie Herr Bollmann“, sagt das Stubenmädchen überrascht. Leicht knixend stellt sie sich vor. „Ich heiße Maria.“ „Und ich Margot, Margot Bollmann.“ Maria fährt erschrocken zusammen und sieht Margot ganz entsetzt an. „Sie können nicht hinein.“ „Warum nicht?“, fragt Margot mit zitternder Stimme, denn sie ahnt Schlimmes. „Herr Bollmann hat Besuch.“ „Eine Frau?“ „Ja“, sagt Maria zögernd, und wagt es kaum, Margot anzusehen. „Hat er oft Frauenbesuch?“ „Ich weiß nicht“, weicht sie aus, aber Margot bemerkt die Ausrede, und vor Enttäuschung und aufglimmendem Zorn versagt ihr fast die Stimme. Sie bringt nur ein zitterndes, gedehntes „So“ heraus. Dann atmet sie noch einmal heftig. „Maria, bitte öffnen Sie mir die Tür!“, zischt Margot. „Ich darf nicht, nur bin ich ein kleines Zimmermädchen.“ Margot klopft an. Nach einer Weile ruft Bollmann: „Was soll das? Können die das Schild nicht lesen?“ „Aus Deutschland, Sie haben Besuch, Herr Bollmann.“ Das Zimmermädchen rattert davon mit ihrem Wägelchen. „Wer? Was?“