als PDF - Französischen Kirche zu Berlin
Transcription
als PDF - Französischen Kirche zu Berlin
Erntedank 4. Oktober 2015 Oberkonsistorialrat i.R. J. Muhs Französische Friedrichstadtkirche Predigt über Psalm 145,15 „Aller Augen warten auf dich, und du gibst ihnen ihre Speise zur rechten Zeit.“ Liebe Gemeinde, wer etwas zur rechten Zeit bekommen hat, kann dankbar sein. Und wer dankbar empfangen hat, kann davon abgeben. So wird vermutlich heute in vielen Kirchen der Bogen geschlagen von unserer Dankbarkeit über das Geschenk der Vereinigung bis zum Teilen mit den Flüchtlingen, das daraus erwächst. Doch warten tatsächlich „aller Augen“ auf ihn? Spielt Gott dabei wirklich eine Rolle? Würde das nicht auch alles genauso gelten ohne Gott? Braucht es noch diesen allmächtigen Lenker, der, wie der Heidelberger Katechismus sagt, „alle Geschöpfe so in seiner Hand hält, dass sie sich ohne seinen Willen weder regen noch bewegen können“? Ich erinnere mich noch gut an einen Familiengottesdienst in den 80er Jahren, als Kinder verschiedene Produkte zum Altar brachten, alles Produkte, die irgendwie aus Äpfeln gemacht waren – das war damals gerade verbreitet: vom Apfelbrei bis zum Apfelschampoo. Über ein Dutzend Erzeugnisse waren so zusammengekommen. Wir können viel aus Äpfeln machen, erstaunlich viel. Und dann zeigte ich einen Apfel, einen besonders schönen, rotbackigen, und sagte: „Aber den Apfel, den können wir nicht machen.“ Inzwischen bin ich mir höchst unsicher, ob diese ebenso schlichte wie seinerzeit einleuchtende Predigt der Äpfel heute noch zutrifft und überzeugt. Wenn ich die Forschung richtig deute, so sind wir heute zwar noch einigermaßen weit entfernt, aber im Prinzip auf dem Wege, auch den Apfel selber zu machen – wie den Mais oder das Schaf oder den Menschen, und sei es zunächst nur als Embryo. Nun gut, wird man einwenden, wir können die Gene verändern, neu kombinieren, aber schaffen können wir sie nicht. Doch was ist das für eine Religion, die ihren Anspruch letztlich herleitet aus der Unbedingtheit einiger Elementarteilchen oder Aminosäuren? Solcher Pantheismus war als universellaufgeklärter vor 200 Jahren schon besser. Am Ende mündet er dann doch im mehr oder weniger platten Materialismus, wo die Entwicklung allen Lebens, auch des geistig-seelischen, eben doch die Existenz der Materie voraussetzt, und sei es in noch so reduzierter Form als Gen oder Atom, und darum das Leben lediglich die Entfaltung des einmal Angelegten und immer Vorhandenen ist. Trotz aller Fortschritte, sie bleiben im bloß Machbaren, im Technischen stecken und heißen daher zu Recht Gen-Technik, Bio-Technik, Atom-Technik. Wirklich Neues, gar Wunderbares kann hier nicht geschehen. Unerklärliches ist geradezu auszuschließen. Es bleibt eine trostlose Religion, wo Gott immer mehr zurückgedrängt wird an den Rand des Lebens. „Wer wärmet uns in Kält´ und Frost? Wer schützt uns vor dem Wind? Wer macht es, dass man Öl und Most zu seinen Zeiten find´t?“ Hätte Paul Gerhardt je so dichten können, wenn er der Technik geglaubt hätte? Und auch der 145. Psalm ist ein einziger großer Lobpreis des Gottes, dem alles, buchstäblich alles, das Kleinste und das Größte, ja viel mehr noch, das Nicht-Materielle: die Gerechtigkeit, die Gnade und die Barmherzigkeit, dem alles zu verdanken ist. Und von diesem so unerhört großen Gott, allmächtig und ewig, gewaltig und herrlich, von diesem unbegreiflichen Gott heißt es : „Du gibst ihnen ihre Speise zur rechten Zeit.“ Ich bin diesem Gott wichtig. Er lässt mich nicht. Das ist keine Spekulation, keine Theorie, schon gar kein Wissen, das ist Glaube. Daher kommt die wahre Speise, das Brot des Lebens. 1 Erntedank 4. Oktober 2015 Oberkonsistorialrat i.R. J. Muhs Französische Friedrichstadtkirche Den Gott Paul Gerhardts, den Gott der Äpfel konnte man noch schmecken, vom Schöpfer der Gene und Atome bleiben weder Geruch noch Geschmack. Wir können das beklagen. Doch gibt es – Gott sei Dank – noch etwas Anderes zu bedenken: Erstaunlicherweise hat der Berliner Pfarrer Dietrich Bonhoeffer diese ganze Entwicklung der Moderne zur Säkularisierung, die Gott immer weiter aus der Welt herausdrängt, welche die Welt und das Leben in allen Facetten mehr und mehr ohne Zuhilfenahme der – wie Bonhoeffer sagt: - „Arbeitshypothese Gott“ begreift und erklärt, diese Entwicklung der Neuzeit hat er anders als andere Theologen nicht verurteilt, sondern begrüßt und positiv gewürdigt, weil sie der Welt und uns Menschen ihre Mündigkeit und Verantwortlichkeit brachte. Wir können uns nun nicht mehr auf einen „Deus ex machina“ berufen, einen Übervater, der wie in der griechischen Tragödie unsere Probleme und Verstrickungen mit seinem Eingreifen „von oben“ löst. Wir tragen schon selbst die Verantwortung und können sie nicht abschieben auf einen Gott, der sowieso alles lenkt und regiert. Der Weltenlenker-, gar der Schlachtenlenker-Gott alter Zeiten war entweder eine billige Entschuldigung oder eine religiöse Überhöhung höchst menschlichen Versagens oder Erfolges, oft auch ein Missbrauch seines Namens. Es ist der Mensch, der die Welt regiert, und heutzutage in einem früher völlig ungeahnten Ausmaß, bis dahin, sogar Leben zu schaffen – und eben auch zu vernichten, ebenfalls in einer früher unbekannten Dimension. Die Bomben in Syrien fallen zwar vom Himmel, doch aus Flugzeugen, die in Hightech-Fabriken in Europa und Amerika gefertigt wurden. Im 145. Psalm heißt es unmittelbar vor unserem Wochenspruch: „Der Herr hält alle, die da fallen, und richtet alle auf, die niedergeschlagen sind.“ Wer dem vertraut, der wird leichter von seinem eigenen Fall und Versagen, von seiner eigenen Schuld sprechen können. Wir brauchen keine Ausflüchte, wir müssen nicht flüchten, wir gehören mitten in diese zerrissene Welt, wir können standhalten, weil wir uns auch im Fallen gehalten wissen. So führt uns ein rechter Glaube gerade in die uns gegebene Welt. Insofern berühren sich christlicher Glaube und Säkularisierung. Gleichzeitig zwingt uns die Säkularisierung zu der Einsicht, dass Gottes Wesen nicht in dieser Welt aufgeht: nicht in Genen und Atomen, der Unendlichkeit der Materie oder des Weltgeistes, in der Anschauung der Natur oder eines Sonnenaufganges, nicht einmal in den Erfahrungen von Schönheit, Gelingen und Kraft, und auch nicht in ihrem Gegenteil von Schuld und Niederlage und Versagen, und schon gar nicht in staatlicher oder kirchlicher Größe und Macht. Gott ist überhaupt nicht zu suchen in den außergewöhnlichen, den seltenen hohen oder tiefen Erfahrungen – wir nennen sie Grenzerfahrungen -, nicht am Rande des Lebens, sondern mitten im Leben, aber eben hier in einer Dimension, die alles Weltliche, auch alles gewohnt Religiöse, alles Erfahrbare hinter sich lässt. Hier geht es um die tiefste Vergewisserung meiner selbst, um die Aufrichtung der Gewissen und die Tröstung der Herzen, wie Calvin es genannt hat. Das ist eine ganz andere Dimension als mit Gen- und Atomforschung zu erreichen ist. Das ist ein anderes Lebensmittel, eine andere Speise, als wir gewohnt sind. Und hier sind wir bei der Geschichte vom reichen Kornbauern, unserem heutigen Evangelium: Er wird ja nicht deshalb Narr genannt, weil er Vorsorge trifft für sein Leben, sondern weil er meint, mit dieser Art Vorsorge, mit der Dimension von Korn und Früchten und Lebensmitteln genug getan zu haben für seine Sicherheit. Dabei sagt Jesus: „Niemand lebt davon, dass er viel besitzt.“ Das wahre Leben spielt sich in ganz anderen Dimensionen ab, in ganz anderen Tiefen unseres Selbst, unseres Herzens, unserer Seele: in Zuversicht, in Hoffnung, in Mut und Liebe, lauter Zustände, die wir nicht einfach machen und produzieren können, die wir auch nicht auf Vorrat bewahren können. 2 Erntedank 4. Oktober 2015 Oberkonsistorialrat i.R. J. Muhs Französische Friedrichstadtkirche Vielleicht ist es diese Dimension, die Jesus meint, wenn er sagt: „Der Mensch lebt nicht vom Brot allein, sondern von einem jeden Wort, das aus dem Munde Gottes geht.“ Dabei erfordert diese andere Dimension keine Weltentsagung und Weltverneinung. Sie will vielmehr mitten in der Welt und im Leben – durch Gottes Wort aufgedeckt – erkannt und ergriffen werden. Es fällt schwer, sie zu beschreiben, weil alle Bezeichnungen und Begriffe doch nur Metaphern und Analogien wären, entweder weltlich oder religiös, als ginge es doch wieder um die Ausgrenzung eines besonderen Bereiches aus der Welt und ihrer Profanität. Vielleicht hat deshalb Jesus in Gleichnissen geredet. Und Bonhoeffer wollte eine nicht-religiöse Sprache dafür, damit wir von Gott reden mitten in der Welt und im Leben, so dass uns alle verstehen, ohne erst Theologie studieren und die Sprache Kanaans lernen zu müssen. So etwas schwebte Bonhoeffer vor. Wir wissen, dass er zu früh ermordet wurde. Doch die Aufgabe bleibt: „Aller Augen warten auf Dich.“ Vielleicht warten ja wir und mit uns viele andere Menschen darauf, dass da einer ist, der uns diese Speise gibt, Mut und Hoffnung und Erbarmen mit den Schwachen und Verfolgten. Vielleicht warten ja sogar auch die Flüchtlinge darauf, dass da jemand ist, der sie nicht herumkommandiert, herumjagt, herumschickt buchstäblich von Pontius zu Pilatus, nicht einen allmächtigen „deus ex machina“, der seine Macht an ihnen auslässt, dessen höhere Ehre es erfordert, Köpfe rollen zu lassen oder Kriege zu führen. Religiöser Fanatismus braucht einen Gott der totalen Unterwerfung. Vielleicht brauchen Vertriebene und vor der Gewalt Geflüchtete ja einen Gott, der ist wie sie, ohnmächtig und schwach, von den Mächtigen herausgedrängt aus der Welt bis ans Kreuz, selber ein Verfolgter und Verfemter, einer, der mit ihnen geht durch das tödliche Meer, über die endlosen Straßen und Gleise des Balkan, in den Zeltlagern unserer Städte in Sichtweite der Bankhochhäuser, unerkannt und auch ungerufen, aber ein Bruder, der uns alle, gleich welcher Religion, Hautfarbe oder Geschlecht, zu Schwestern und Brüdern macht. Das ist es, was uns am Leben hält, mehr als Brot, mehr als Äpfel und alles andere: Gene, Atome, Urknall und Weltformeln. Das ist ein ganz anderes Lebensmittel. Von diesem Gott reden wir, nicht von dem Schreiberling des genetischen Codes. Hinter allen Entschlüsselungsversuchen, hinter allen gelungenen oder misslungenen Versuchen, dem Ursprung des Lebens auf die Spur zu kommen, und unberührt davon, bleibt er Gott, der große, unbegreifliche Schöpfer und zugleich der Vater Jesu Christi und also mein Vater, der wie eine Mutter tröstet in aller Not und Anfechtung. Amen. 3