Zu Forschung und Praxis einer musiktherapeutischen - Phil.-So.

Transcription

Zu Forschung und Praxis einer musiktherapeutischen - Phil.-So.
Zu Forschung und Praxis einer
musiktherapeutischen Behandlung von
Depressionen – Ein Beispiel aus Finnland
Jörg Fachner
Professor for Music, Health and the Brain
Anglia Ruskin University
Cambridge, UK
Überblick
1.  Treatment fidelity in randomisiert
kontrollierten Studien (RCT) und
entsprechendes Musiktherapeutentraining
-  Nordic MT Conference 2012 (Erkkilä, Ala-Ruona &
Punkanen)
-  MTU Artikel Fachner & Erkkilä 2013
2.  MT RCT- Studienüberblick
-  Forschungsfragen
-  EEG Studie
• Diskussion
Klinische Musiktherapiepraxis und
Forschung?
•  Randomisierung
-  Patienten, die es nötig hätten kriegen nicht was sie
brauchen
•  Setting
-  Ein Forschungssetting ist nicht die reale Welt der
Musiktherapie
•  Standardisierung
-  Wir müssen kreativ auf den Einzelnen eingehen und nicht
einer allgemeinen Vorgabe folgen
•  Reduktion
-  Reduzierte Modelle zerstören die Essenz der
Musiktherapie
Musiktherapieforschung
•  Polarität von Behandlungsstandardisierung und
Individualität (des Therapeuten/Klienten)?
-  Interne / Externe Validität von Musiktherapie (Aldridge
2003)
•  Intern: Handlungssicherheit / Qualitäten / Funktionen
•  Extern: Vergleichbarkeit mit anderen Behandlungsformen /
Standardisierung
•  RCT: Randomisiert, kontrollierte Studien
-  sind ein spezifischer Typ eines wissenschaftlichen
Experiments
-  sind das bevorzugte Design klinischer Studien
-  werden oftmals genutzt um die Effektivität verschiedener
Interventionsarten in einer bestimmten Patientenpopulation
zu untersuchen und zu vergleichen
Treatment fidelity (TF) I
(Belg 2004)
•  TF ≈ Behandlungstreue = Behandlungsnivellierung
-  Gemeinsam verabredete Genauigkeit, Vertrautheit und
Akzentuierung der Behandlungsverfahren
•  Ein bedeutsamer Erfolgsfaktor eines RCTs (Bellg et al.,
2004):
-  Bezieht sich auf die methodologischen Strategien, welche
Reliabilität (Zuverlässigkeit) und Validität (Gültigkeit) von
Behandlungsinterventionen überwachen und verbessern
-  Um zu versichern das eine Forschungsstudie zuverlässig
und gültig eine klinische Intervention misst
-  Eine Beurteilung der TF nutzt oftmals
Behandlungsmanuale und Videoaufzeichnungen von
Therapeuten, um zu sehen ob diese dem
Forschungsprotokoll folgen und um deren
Handlungsfähigkeiten messen
•  Bellg, A.J et al. 2004. Enhancing Treatment Fidelity in Health Behavior Change Studies: Best
Practices and Recommendations from the NIH Behavior Change Consortium
Treatment fidelity (TF) II
(Belg 2004)
•  Falls TF nicht überwacht wird, aber die Resultate der
Studie sind
1.  Signifikant, dann kann es gut sein, dass der Effekt auf
unbekannten, unbeabsichtigten Faktoren beruht
2.  Nicht signifikant, dann weis man nicht, ob die Behandlung
uneffektiv ist oder ob schlicht keine TF besorgt wurde
•  Verbesserung der TF verbessert die statistische
Aussagekraft (Power)
•  Optimierung der TF steigert die Effektstärke (effect size)
-  In späteren Studien werden weniger Versuchspersonen benötigt
und es entstehen somit weniger Kosten
•  Optimierung der TF in kleinen Studien verstärkt die
Chance signifikante Resultate zu erzielen
-  MT Studien sind oftmals kleine Studien aufgrund beschränkter
Recoursen und dem aufwendigen Interventionseinsatz (Zeit,
Personal, Klientel …) mit dem gearbeitet werden kann
Treatment fidelity (TF) III
(Waltz et al 1993)
•  Adherence (Vereinbarungstreue)
-  Das Ausmaß in welchem sich ein Therapeut sich an die
vereinbarten Regeln hält,
•  bzgl. Intervention und Theorie des untersuchten Verfahrens
•  Kompetenz
-  Grad der Kenntnisse und Fähigkeiten des Therapeuten
und seiner informierten Einschätzung
•  des Schweregrades der Erkrankung
•  der spezifischen Manifestation der Krankheit
•  der Lebenssituation und Beanspruchung durch Stress
•  des Entwicklungsstandes in der Therapie
•  die Wahrnehmung des Grades der bereits erzielten Verbesserung
•  der richtigen Zeit für die Interventionen, etc.
Waltz, J.; Addis, M.E.; Koerner, K.; Jacobson, N.S. 1993. Testing the Integrity of a
Psychotherapy Protocol: Assessment of Adherence and Competence. Journal of
Consulting and Clinical Psychology, vol 61, No 4; 620-630
Konsequenzen für MT RCT I
(Erkillä 2012)
•  Behandlungsprotokoll erstellen
-  Die theoretischen Ecksteine des Ansatzes sammeln und beschreiben
-  Das klinische Setting elaborieren, inklusive der genutzten Instrumente
-  Das Behandlungsmodell von den Anteilen und Variationen ‘säubern’,
die nicht originär dem Ansatz zuzuordnen sind (d.h. andere MT
Techniken oder Instrumente herauslassen)
•  Die Besonderheiten des Ansatzes definieren und von denen
abgrenzen, welche gemeinsam mit anderen Ansätzen sind
•  Die forschenden Therapeuten sorgfältig in diesem Protokoll
trainieren
•  Adherence (Vereinbarungstreue) und Kompetenzen
ermitteln, beurteilen und beachte
Konsequenzen für MT RCT II
(Erkillä 2012)
• Kompetenzen in der Ausführung von und
Einfühlung in einen bestimmten
musiktherapeutischen Behandlungsansatz
- ein rezeptiv orientierter Therapeut ist nicht
unbedingt kompetent in aktiven Techniken
- Ein Therapeut der hauptsächlich mit
Blasinstrumenten arbeitet mag Schwierigkeiten
haben die gleiche Kompetenz mit einem Klavier
zu entwickeln
- etc.
Improvisatorische, psychodynamische
Musiktherapie (IPMT)
•  psychodynamischer Ansatz
•  Unterstützende und Ressourcenorientierte Emphase
•  Kombination aus klinischer
Improvisation und Gespräch
-  freier oder ‘referentieller’ Start der
Improvisation
-  eingeschränkte Instrumentierung
•  Anhören von gemeinsamen
Improvisationen
Improvisatorische, psychodynamische
Musiktherapie (IPMT) II
Bewusstes
Vorbewusstes
unbewusstes
Rationales Denken,
Fähigkeiten,
Kenntnisse, Techniken
Emotionen, Metaphern,
Symbole, Assoziationen
Unterdrücktes
psychisches Material –
kein direkter Zugang
Über die Bedeutung der
Improvisation reden
Akt der Improvisation
Motiv-kraft der Improvisation
Erkkilä, Ala-Ruona, Punkanen & Fachner 2012
Creativity in improvisational psychodynamic
music therapy
Erkkila, Ala-Ruona, Punkanen & Fachner (2012)
Entwicklung eines
Behandlungsmodells
• Therapeutentraining
-  15 Monate (Januar 2007 – April 2008)
-  20 Trainingstage, jeweils 5 Stunden
-  Unterrichtung über theoretische und praktische
Aspekte der Depression
-  Rollenerfahrung von Therapeut und Patient,
Beobachtung von Therapien, Reflektion und
Diskussion in der Gruppe
-  Alle Sessions wurden mit Video aufgezeichnet
-  Memos der Diskussionen werden erstellt und mit
Qualitativen Methoden analysiert
Erfahrungen
(Ala-Ruona & Punkanen 2012)
•  Nicht MT im Allgemeinen erforschen, aber MT für eine
besondere Zielgruppe untersuchen und besondere
Bedürfnisse der Patienten erkennen
•  Sich darüber bewusst werden, wie wir MT verstehen und
wie die Kernelemente in Beziehung zu MT Theorie,
Praxis und Methode stehen
•  Neubewertung und Neudenken klinischer Praxis
•  Ein tieferes Verständnis des theoretischen
Bezugsrahmens
•  Die Interventionen weiterentwickeln durch Erfahrungen,
Beobachtungen und Reflektion (auch aus der Sicht des
Patienten)
•  Selbstlernendes verbessern und verfeinern des Modells
Herausforderungen im
Therapeutentraining I
• Probleme in der verbalen Interaktion
• Übergänge zwischen verbalen und
musikalischen Modalitäten
• Umgang mit Struktur und Prozess innerhalb
der Sessions (Mikro) und dem Therapieverlauf
(Makro)
• Eingeschränkte Instrumentierung
• Umgang mit non-verbaler Kommunikation
-  (Ala-Ruona & Punkanen NCMT 2012)
Herausforderungen im
Therapeutentraining II
•  Fähigkeit des Therapeuten ein Gefäß für die
Gedanken und Emotionen des Patienten zu sein
•  Technische Kompetenzen im Umgang mit den
komplexen MIDI und Audioaufzeichnungen
•  Dechiffrierung des non-verbalen Botschaften der
Klienten
•  Umgang mit Gegenübertragung
•  Mit dem Patienten in den therapeutisch relevanten
Bereichen zu blieben
-  (Ala-Ruona & Punkanen NCMT 2012)
Depressionsstudie
Details und Ergebnisse
baseline
Zeithorizonte: zweiarmige
Depressionsstudie
3m
A!
n=79!
pretest!
C!
A!
n=33!
MT+SC!
posttest!
follow-up!
after 3!
months!
B!
B!
follow-up!
randomisation!
n=46!
SC!
n=25!
non-clinical!
reference group!
A!
6m
posttest!
B!
RCT- Studiendesign I
• n = 79 Personen (18-50 Jahre) mit Depression
(ICD-10: F 32 + F 33) in Mittel-Finnland, in
ambulanter Behandlung
•  Im Durchschnitt 35 Jahre, 80 % Frauen, 50% mit moderater
Depression (F32.1), 80% Komorbide Ängstlichkeit
• randomisiert (10:7 ratio) zu MT + SC (n = 33)
oder nur ‚SC’ (n = 46)
-  (SC) Standardversorgung : Unregelmäßige ambulante
Betreuung durch Psychiater > Medikation, zusätzlich
Kurzzeit-psychotherapie (5-6 Sitzungen) mit
‚Depression Nurse‘
-  (MT) Musiktherapie; individuelle Behandlung
•  2x/Woche
•  über 3 Monate (ca. 18 Sitzungen)
Erkkilä, Gold, Fachner et al. 2008 BMC Psychiatry
Studien Design II:
1.  Psychiatrische Tests (nach 3 + 6 Monaten):
1.  Depression (MADRS)
2.  Ängstlichkeit (HADS-A), Alexithymia (TAS-20),
Funktionalität (GAF), Lebensqualität (RAND)
2.  Biomarker (nach 3 Monaten)
- Ruhe EEG
•  frontale Alpha Asymmetrie
•  ‚frontal midline theta‘
•  Topographie
- (Musik EEG)
3.  Diverse computergestützte Analysen
-  Rating musikalischer Emotionen, klinische
Improvisationen, Therapievideos, Narrative
Erkkilä, Gold, Fachner et al. 2008 BMC Psychiatry
Forschungsfragen
• Verbessert improvisatorische MT (zusätzlich zur
Standardversorgung) die Messwerte der Tests
von depressiven Patienten nach 3 und 6
Monaten?
• Korreliert klinische Veränderung (gemessen in
den Tests) mit Veränderungen von Biomarkern?
• Verändert sich das spontane Ruhe EEG nach 3
Monaten?
-  Spuren neuronaler Reorganisation / Neuroplastizität ?
-  Lokalisierbarkeit ?
Erkkilä, Gold, Fachner et al. 2008 BMC Psychiatry
qEEG
• Aufzeichnung (5 Minuten Ruhe / Augen zu)
-  BioSemi Active View
-  32 Kanäle + Artefakt Kontrolle (EOG, EKG, EMG,
Referenz: Mastoid-rechts/links)
• Analyse (Neuroguide-Software)
-  Spektralanalyse von ca. 2 Minuten Artefakt-freiem
Ruhe EEG
-  FP1+2; F3+4; F7+8; Fz. Alpha (8-12 Hz); Theta (4-8
Hz) korreliert mit MADRS und HADS-A
•  integrierte normative EEG Datenbank [N=678; 2-82 Jahre, 22
Altersklassen] erstellt alters-und geschlechtsbezogene z-scores
der jeweiligen Rohdaten
•  Reliabilitätsprüfung der ausgewählten EEG Epochen
Split-Half Reliability [>.95]
•  takes odd numbered one second epochs
to predict the even numbered epochs
• Test-Retest Reliability [>.90]
takes the first half of the edit selections
and predicts the second half
Primäres Messergebnis
Depression
Difference (95% CI), t-test
4.65 (.59 to 8.70), t=2,29, p=.03*
(3M)
Sekundäres Messergebnis I
Ängstlichkeit
Difference (95% CI), t-test
1.82 (.09 to 3.55), t=2.11, p=.04*
(3M)
Sekundäres Messergebnis II
Funktionieren im Alltag
Difference (95% CI), t-test
-4.58 (-8.93 to -.24), t = -2.11, p=.04*
(3M)
Sekundäres Messergebnis III
Lebensqualität
Difference (95% CI), t-test
-4.50 (-11.40 to 2.40), t = -1.30, p= .20
(3M)
Sekundäres Messergebnis IV
Emotion
Difference (95% CI), t-test
2.05 (-2.35 to 6.44), t= 0.93, p= .36
(3M)
Behandlungsresponse
Decrease in MADRS
scores as 50% or more
treatment response ≥ 50%
treatment response < 50%
Difference (95% CI), t-test
.34 (.11 to .99), p= .03*
(3M)
Korrelation der FAA (z-Scores) mit
Depression und Angst
(vor Behandlungsphase; N=75)
FAA z-scores basieren
auf einem Vergleich mit
normativen EEG Daten.
Positive Werte
Indizieren höhere
Amplituden, d.h.
weniger Aktivität in der
linken Hemisphäre.
* p < .05
** p < .01
Frontale Asymmetrie I
prä/post Inter-Gruppenvergleich
Pre/post
Veränderungen
(z-scores) von 0
(prä) zu 3
Monaten (post)
Differenz (95% CI), t-test
-.31 (-.60 to -.03), t= -2.23, p= .03*
(3M)
Fachner, Gold & Erkkilä 2013 Brain Topogr
Frontale Asymmetrie II
Loreta p-Werte bei 9 + 10 Hz
Independent t-Test: MT(post Mean) – SC (post Mean)
9 Hz
10 Hz
Frontale Asymmetrie III:
F7/8, Musik und Sprache
• Non-Musiker mehr FAA F7/8 (Davidson 1977)
• Musikalischer Ausdruck und reflektierende
Verbalisierung von Emotionen in IPMT
-  B44/5: Broca Areal und Prosodik?
•  Aprosodie und rechte Broca-Läsion (Williamsen 2003)
-  B47: Inferiorer Frontaler Gyrus
•  MIT, Aphasie und Neuroplastizität (Nervenstrang) von STG und
IFG (Schlaug et al 2009)
•  Funktionales Prärequisit für die Verarbeitung musikalischer
Syntax (Sammler et al 2011)
•  Spiegelneuronen aktiviert in der Umsetzung musikalischer
Sprachbewegungen (e-motion) (Molnar-Szakas & Overy 2006)
Frontale Asymmetrie IV
Vergleich MT mit SC nach 3 Monaten
Signifikante Korrelation von FM
Theta und HADS-A
Prä/post MT Intra-Gruppenvergleich
Korrelation des EEG (z-Scores) mit Depression und
Ängstlichkeit
Fachner, Gold & Erkkilä 2013 Brain Topogr
Pre/Post Musikherapie
t-Test Gruppenmittelwerte
Paare
N=27
Fachner, Gold & Erkkilä 2013 Brain Topogr
Non-/Responders
Okzipitale Alpha-Unterschiede
Zusammenfassung I
• Treatment Fidelity und kooperatives
Therapeutentraining sind wichtige Erfolgsfaktoren
der Forschungspraxis von Musiktherapie
Outcome-studien
• IPMT ist erfolgreich in der Behandlung von
Depressionen
-  Signifikante Bereicherung der Standardversorgung
• IPMT ist erfolgreich in der Behandlung von
Ängstlichkeit im Zusammenhang mit
Depressionen
• IPMT verbessert die Funktionalität im Alltag und
das Bewältigen von Alltagshandlungen
Zusammenfassung II
•  IPMT moduliert die EEG Aktivität in frontotemporalen Regionen im Ruhe EEG
-  Neuroplastizität von Musik und Sprache in der Therapie
•  Patienten mit IPMT sprechen besser auf die
Depressionsbehandlung an, als wenn sie nur
Standardversorgung bekommen
•  Nicht signifikant aber als deutlicher Trend zeigt sich:
-  IPMT hat einen positiven Einfluss auf die Lebensqualität und
die Wahrnehmung eigener Emotionen
-  IPMT ist eine motivierende Therapieform und die Mitarbeit
der Patienten ist
Danke!
• Zusammenarbeit:
-  Esa Ala-Ruona1, Marko Punkanen1 und Jaakko
Erkkilä1, Tuomas Eerola1, MarieTervaniemi1, Mauno
Vanhala, Christian Gold2, Sakari Oja3;
1.  Finnish Centre of Excellence in Interdisciplinary Music
Research, University of Jyväskylä, Jyväskylä, Finland.
2.  Grieg Academy Music Therapy Research Centre (GAMUT),
Unifob Health, Bergen, Norway.
3.  Brain Research Center, University of Tampere Medical
School, Tampere, Finland
•  Funding: EU FP6 (NEST); Academy of
Finland CoE