Ist Geiz geil? - neue

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Ist Geiz geil? - neue
neue verpackung> 02.2003
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Ist Geiz geil?
Der deutsche Einzelhandel scheint sich spätestens seit Einführung des Euro im Wandel zu befinden. So musste die Branche
mit minus 2,5 Prozent in 2002 die stärksten Umsatzeinbrüche
seit zehn Jahren verkraften. Gleichzeitig buhlen die einzelnen
Händler mit Rabattaktionen und einprägsamen Werbeslogans
um die Gunst der Käufer – und arbeiten damit oft ihren eigenen Interessen entgegen. Denn längst kursiert die Meinung
beim Kauf regulär ausgezeichneter Ware „betrogen“ zu werden, da diese oft bereits am nächsten
Tag reduziert im Angebot ist.
Dabei ist die Jagd um das beste
Gabriele Bräunling
Schnäppchen anerkannter Volkssport.
Objekt der Begierde sind Dinge des alltäglichen Gebrauchs, aber auch Luxusgüter wie das neueste Designerkostüm.
Und frei dem Motto „Geiz ist geil“ oder
„Ich bin doch nicht blöd“ dient der niedrige Preis immer wieder als beliebtes
Diskussionsthema.
Auch der Lebensmitteleinzelhandel
hat unter diesem Trend zu leiden. So
konnten die Discounter in 2002 Zuwächsen von bis zu 15 Prozent erzielen. Die
Gründe für ihr Wachstum sind offensichtlich: 4,6 Millionen Arbeitslose, steigenden Steuerabgaben, die Auswirkungen des 11. September und der aktuell
drohende Irak-Krieg schlagen auf die
Stimmung der Verbraucher, die notgedrungen den Gürtel enger schnallen
müssen.
Trotzdem bleibt die aktuelle Preisdiskussion ein typisch deutsches Phänomen: So legen unsere französischen
Nachbarn bei ähnlicher Angebots- und
Gestaltungsvielfalt sehr viel stärkeren
Wert auf die individuelle Warengestaltung, die Briten auf den gebotenen Service, während in Deutschland eindeutig
der Preis regiert.
Welche Auswirkungen haben die
Entwicklungen nun auf die Verpackungsindustrie? Während der VDMA
weiterhin gute Ergebnisse für die Verpackungsmaschinenindustrie meldet,
leiden die Packmittelhersteller mehrheitlich unter einer schlechten Konjunktur und einem harten Preiskampf.
Eine Entwicklung, vor der übrigens
auch neue Packstoffe und Verpackungsideen nicht gefeit sind. Während nämlich beispielsweise führende Getränkemarken noch versuchten PET als verbraucherfreundlichen und deshalb
hochpreisigen Packstoff im Regal zu positionieren, verramschte Aldi die Einweggetränke längst im Zwölferpack.
Und als Ende letzten Jahres die Frage
auftauchte wie der Handel nun mit dem
Zwangspfand umgehen sollte, kursierte
die weit verbreitete Ansicht „erst mal sehen was Aldi macht“. In Summe ist dies
eine gefährliche Position, denn trotz aller tatsächlichen Marktmacht der Discounter sollte die Meinungs- und Innovationsführerschaft nicht allein den Billiganbietern überlassen bleiben.
Dabei trifft dieses Klima den Nerv
der gesamten Volkswirtschaft, da es
eben gerade den Innovationen und den
damit verbundenen notwendigen Investitionen entgegen steht. Investitionen,
die langfristig unsere Stellung als eine
der führenden Wirtschafts- und Exportnationen sichern und damit Motor allen
Wachstums sind.
Deshalb: Geiz ist nicht geil, vielmehr
beschränken solche Botschaften nicht
nur den Verbraucher, sondern langfristig
auch unsere gesamte Wirtschaft. >|