Predigt zu Markus 15,1-15: Enttäuschte Fans und opferbereite Liebe

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Predigt zu Markus 15,1-15: Enttäuschte Fans und opferbereite Liebe
Markus 15,1-15: Enttäuschte Fans und opferbereite Liebe (22.03.2015; J. Röhl)
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Predigt zu Markus 15,1-15: Enttäuschte Fans und opferbereite Liebe
Liebe Schwestern! Liebe Brüder!
1. Enttäuschte Fans
Bei Fußballfans kann die Stimmung manches mal
sehr schnell kippen. Solange die eigene Mannschaft erfolgreich ist und Spiele gewinnt, ist es
leicht ein begeisterter Anhänger zu sein. Aber
wenn die Mannschaft immer wieder versagt und
ein Spiel nach dem anderen verliert, kann die
Stimmung auch in Wut, Aggression und sogar
Hass umschlagen. Gerade im Fußball sind ja viele
Fans mit sehr viel Emotion und Herzblut bei der
Sache. Und wenn dann eine Enttäuschung nach der anderen kommt, dann können die positiven
Emotionen auch schnell ins Gegenteil überschlagen.
So ähnlich stelle ich mir das bei Jesus von Nazareth vor. Im Lauf seiner Wirksamkeit hat er viele
Anhänger gewonnen. Er hat so manche Erwartung geweckt. Und er wurde dann am Palmsonntag
wie der große Erretter begrüßt und gefeiert. Viele sahen in ihm den Messias. Sie sahen in ihm
denjenigen, der Gottes Reich auf Erden aufbaut und das Volk Israel endlich in die Freiheit führt.
Und Jesus hat dem ja auch nicht deutlich widersprochen. Er ist symbolträchtig auf einem Esel
nach Jerusalem geritten und hat sich feiern lassen. Er hat damit ganz gezielt auf eine Stelle bei
Sacharja angespielt, nach welcher der Messias auf einem Esel geritten kommt.
Allerdings wird dann schnell deutlich, dass Jesus seine Rolle als Messias ganz anders versteht,
als der Großteil des Volkes. Viele haben erwartet, dass Jesus irgendwie die Massen zum Aufstand
gegen die römische Herrschaft aufwiegelt. Sie trauten ihm zu, in der Kraft Gottes den Römern entgegen zu treten. Aber Jesus hat ihre Erwartungen bitter enttäuscht. Er hat sich ganz anders verhalten, als die Menschen das gedacht haben.
Er war nicht der starke Anführer, der die Massen gegen die Römer mobilisiert. Er verhält sich nicht
so, wie man es von einem Messias, von einem König der Juden erwartet. Anstatt gegen die Römer zu kämpfen, lässt er sich gefangen nehmen, demütigen und er wehrt sich nicht. Sogar seine
eigenen Anhänger wenden sich von ihm ab. Einer verrät ihn, die anderen machen sich aus dem
Staub, als es brenzlig wird. So sieht kein erfolgreicher Widerstandskämpfer aus. So sieht kein Befreier von den Römern aus. Es ist enttäuschend. Es ist frustrierend.
Dann darf das Volk wählen zwischen Jesus und Barabbas. Barabbas steht für einen anderen
Weg, wie man mit den Römern umgehen soll. Er war ein Widerstandskämpfer, ein Rebell, ein Terrorist. Er wollte mit Gewalt gegen die Römer kämpfen. Er gehörte zu einer Gruppe, die deswegen
auch über Leichen ging. Darum saß er auch in römischer Haft und war zum Tode verurteilt.
Barabbas hatte möglicherweise noch einen weiteren Vornamen. In manchen Bibelhandschriften
wird er Jesus Barabbas genannt. Viele Ausleger gehen davon aus, er tatsächlich so genannt wurde. Das Volk stand also vor der Wahl, welchen Jesus sie haben wollten: Jesus von Nazareth oder
Jesus Barabbas. Den Jesus, der mit opferbereiter Liebe die Welt verändern wollte, oder den Jesus, der mit Gewalt die Römer besiegen wollte.
Viele haben sich gedacht: Wie sollte Jesus von Nazareth wirklich etwas verändern können? Wie
will er mit schönen Predigten und ein paar Wundern die Oberherrschaft der Römer beseitigen?
Nein, die Römer herrschen mit Gewalt und Unterdrückung. Man kann sie nur mit den eigenen
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Waffen schlagen. Man darf nicht klein bei geben, sondern muss Stärke zeigen. Welchen Jesus
wollt ihr? Einen sanftmütigen und opferbereiten Jesus? Oder einen kraftvollen und kämpfenden
Jesus?
Das Ergebnis war deutlich. Die Menge hat sich für Barabbas entschieden. Für den Weg der Gewalt und der Stärke. Jesus von Nazareth war ihnen zu schwach. Sie waren von ihm enttäuscht. Er
hat ihre Erwartungen nicht erfüllt. Und so schrien sie: Kreuzige ihn!
Wie sieht unser Jesus aus? So manches mal sehne auch ich mich nach einem Jesus, der machtvoller und siegreicher in dieser Welt wirkt. Ein Jesus, der sichtbar etwas in dieser Welt verändert,
der sichtbar gegen das Böse siegt. Wie ist das mit den Christen in Syrien, die allein wegen ihres
Glaubens getötet werden? Wäre es nicht besser, wenn Jesus sichtbar und machtvoll eingreifen
würde? Was bringt verfolgten Christen ein Jesus, der wie ein Lamm zum Opferaltar geführt wird
und abgeschlachtet wird?
Wie ist das in unserem Land, hier in Deutschland? Auch hier gibt es genügend Menschen, die
schwach und hilflos sind und die unter der Gewalt anderer leiden. Der Kollege, der von anderen
gemobbt wird und der systematisch von anderen fertig gemacht wird. Der Hartz IV Empfänger, der
keinen Job mehr bekommt und der von allen abgeschrieben ist. Der Krebskranke, der einfach nur
leben will und nicht versteht, wie Gott seine Krankheit zulassen kann. Ist ein schweigender und leidender Jesus wirklich die Lösung für die Probleme unserer Welt?
Mir ist es wichtig, dass wir in unserem Glauben ehrlich sind. Enttäuschungen gehören auch zu unserem Glaubensleben dazu. Jesus erfüllt nicht immer die Erwartungen, die wir an ihn haben. Wir
sollten diese Enttäuschungen nicht zu schnell beiseite schieben oder schön reden. Wenn wir unseren Frust durch christliche Phrasen übertünchen, dann sucht er sich andere Ventile.
Der bessere Weg ist, wenn wir mit unserem Frust und unserer Enttäuschung zu Jesus kommen.
Als Christen fällt es uns schwer, über negative Gefühle zu reden. Es muss ja immer alles in Ordnung sein als Christ. Wir müssen immer fröhlich und zuversichtlich sein. Wir müssen doch immer
darauf vertrauen, dass Gott alles gut und richtig macht.
Aber was ist, wenn wir das so nicht erleben? Was ist, wenn Jesus nicht Kranke gesund macht,
Schwachen aufhilft und Hungernden zu essen gibt? Was ist, wenn Jesus sich schweigend in den
Tod ergibt und von seinen Feinden gedemütigt und gequält wird?
Im Alten Testament hat die Klage ihren festen Platz. Ich glaube, wir müssen als Christen neu lernen zu klagen. Nicht nur für uns im stillen Kämmerchen, sondern auch als Gemeinde. Im Buch der
Psalmen gibt es viele Klagepsalmen. Und es war selbstverständlich, dass diese auch im Gottesdienst laut gebetet wurden. Die Frage nach dem „warum“ wurde öffentlich gestellt. Vor Gott wurde
laut geklagt. So z.B. in Psalm 89,47: „HERR, wie lange willst du dich so verbergen und deinen
Grimm wie Feuer brennen lassen?“
Warum sollten wir nicht auch heute klagen dürfen und Gott unsere Enttäuschung ins Gesicht sagen dürfen? Jesus selbst klagt am Kreuz: „Mein Gott, mein Gott, warum hast du mich verlassen?“
(Ps. 22,2) Es ist besser, wenn wir uns von Anfang an, mit unserem Frust und unserer Wut an Gott
richten, als wenn wir es in uns hineinfressen und es dann irgendwann zur Explosion kommt.
Die Menschen damals waren enttäuscht von Jesus. Er hat ihre Erwartungen nicht erfüllt. In ihrer
Enttäuschung haben sie sich gegen ihn gewandt. Sie waren nicht bereit, sich auf Jesus einzulassen und ihre Vorstellungen vom Messias korrigieren zu lassen. Wenn wir uns diese Szene in Erinnerung rufen, dann müssen wir uns selbst fragen: Wie hätten wir reagiert? Und wir müssen uns
auch heute fragen: Wie reagieren wir, wenn unsere Erwartungen an Jesus enttäuscht werden?
Diese Frage nehme ich aus diesem Text für mich mit.
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2. Opferbereite Liebe
Ein anderer Punkt, der uns auch in der Gesprächsgruppe zu diesem Text beschäftigt hat, ist das
Stichwort „opferbereite Liebe“. Adam Hamilton kennzeichnet so das Verhalten Jesu gegenüber
dem gewaltbereiten Verhalten des Barabbas. Was bedeutet „opferbereite Liebe“? Und was heißt
es für uns als Nachfolger und Nachfolgerinnen von Jesus in dieser Haltung zu leben? Jesus erscheint hier in dem Text als der stille Dulder, der alles über sich ergehen lässt. Er wehrt sich nicht.
Er verhält sich tatsächlich so, wie ein Lamm, das zur Schlachtbank geführt wird. Müssen wir Christen auch immer so schweigsam und duldsam sein? Dürfen wir uns nicht gegen Gewalt und Unrecht wehren?
Wenn wir uns die Evangelien anschauen, dann stellen wir schnell fest, dass Jesus keineswegs ein
ängstlicher Softie war, der auf keinen Fall jemand verletzen wollte. Nein im Gegenteil. Er hat oft
den Konflikt gesucht. Er hat deutliche Worte gegen religiöse Heuchler gefunden. Er konnte voller
Wut die Händler aus dem Tempel werfen. Jesus war nicht einer, der zu allem nur Ja und Amen gesagt hat. Sein Motto war nicht: Tue niemanden etwas zu Leide. Nein, seine Motivation war, Gott
und seinen Nächsten wie sich selbst zu lieben.
Um der Liebe willen konnte er hart und unnachgiebig sein. Aber um der Liebe willen konnte er
auch sanft und duldsam sein. Vor Pilatus wusste Jesus, dass er den Weg des leidenden Gottesknechtes gehen soll. Er wusste, dass er als das wahre Passalamm sterben soll, damit die Kluft
zwischen Gott und Mensch überwunden werden kann. Adam Hamilton betont in seinem Buch immer wieder, wie unerklärlich das letztendlich für uns ist, was dort am Kreuz geschah. Jesus war
auf jeden Fall klar, dass dies der Weg der Liebe ist. Dass er als der Messias dieses Kreuz auf sich
nehmen soll, um Versöhnung zu bewirken.
Das heißt aber nicht, dass er in allen Situationen so schweigsam war und sich gegen Unrecht
nicht gewehrt hat. Im letzten Kirchlichen Unterricht haben wir einen Film über Dietrich Bonhoeffer
angeschaut. Er hat auch mit der Frage gerungen, was es als Christ bedeutet, angesichts des Unrechts ein Leben in opferbereiter Liebe zu führen. Sein Schwager Hans von Dohnanyi brachte ihn
mit der Widerstandsbewegung gegen Hitler in Kontakt.
Anfangs schien es Bonhoeffer völlig unmöglich, dass man sich mit Gewalt gegen das Unrecht wehren sollte. Er wusste, dass jeder der Blut vergießt, Schuld auf sich lädt. Mit der Zeit wurde ihm deutlich, dass er sich
genauso schuldig macht, wenn er das Böse gewähren lässt, ohne einzugreifen. Was heißt nun opferbereite Liebe? Unrecht schweigsam erdulden? Oder Unrecht mit Gewalt zu bekämpfen? Bonhoeffer wusste, dass
er sich auf jeden Fall schuldig macht. Er hat sich für den Weg des Widerstandes entschlossen. Und zwar nicht nur gewaltfreier Widerstand, sondern er war auch eingeweiht in den Attentatsversuch auf Hitler und hat
ihn gebilligt.
Opferbereite Liebe heißt nicht, dass wir immer alles duldsam ertragen
müssen. Opferbereite Liebe heißt, mit aller Konsequenz und Kraft den Weg der Liebe zu gehen.
Jesus ist diesen Weg gegangen – für uns. Auch wenn wir seine Wege nicht immer sofort verstehen und wir manches mal enttäuscht von ihm sind. Er geht mit uns den Weg der Liebe.
Amen
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Bildquelle: Daniel Hannes/pixelio.de und „Bundesarchiv Bild 146-1987-074-16“ über Wikimedia Commons