Das Schaf mit der Fahne – Predigt für die Konfirmation 2011

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Das Schaf mit der Fahne – Predigt für die Konfirmation 2011
Das Schaf mit der Fahne – Predigt für die Konfirmation 2011
Liebe Gemeinde
und heute besonders: liebe Konfirmandinnen und Konfirmanden,
„was hat mich an Jesus beeindruckt?“ Ich habe Euch diese Frage gestellt. Wir haben
vorhin Eure Antworten gehört. Die Menschen, denen wir diese Kirche verdanken,
haben sich wohl eine ähnliche Frage gestellt. Und auch eine Antwort gefunden. Es
ist dreimal die gleiche. Wir haben in unserer Laurentiuskirche aus drei verschiedenen
Jahrhunderten jeweils dasselbe Christussymbol:
Das Lamm mit der Fahne.
Mitten in der Blickachse auf dem Altar stehend sehen
wir das Kreuz aus Messing. Wo sich die Kreuzbalken
schneiden, befindet sich ein kreisrundes Medaillon. Es
zeigt das Lamm mit der Fahne. Den Künstler kennen wir
nicht1, wohl aber die Entstehungszeit: 1944 lesen wir
klein auf der Rückseite, also im 2. Weltkrieg. Soldaten Väter, Söhne, Verlobte - fallen an der Front. Kinder
sterben im Bombenhagel. Millionen Menschen werden
in den KZs ermordet. Angst isst die Seelen auf. Was sollen die Nürtinger sehen,
wenn Sie in die Kirche gehen? Wenn sie, wie Ihr gestern, nach vorne zum Tisch des
Herrn kommen zum Abendmahl. Was soll Ihnen Kraft und Hoffnung geben? Christus,
das Lamm Gottes.
Über dem Altar haben wir eine besondere Kostbarkeit unserer
Kirche: das schmiedeeiserne Gitter mit Blumen, Erdbeeren,
Granatäpfeln und 6 ovalen Medaillons. Geschaffen hat es der
Nürtinger Schmied Bernhard Kaiser im Jahr 1624.
Das war im 30-jährigen Krieg (1618-1648). Ganze Dörfer sterben
an der Pest. Im Namen Gottes plündern und morden
evangelische wie katholische Landsknechte. Bernhard Kaiser
steht am Amboss. Was schmiedet er in diesen Kriegszeiten?
Lanzen? Schwerter? Harnische? Nein. Nein. Nein. Sein Hammer
schafft das Lamm mit der Fahne.
Und schließlich begegnet uns das Osterlamm auch im
ältesten Teil der Kirche, den Sie von hier aus gar nicht
sehen können. Darum finden Sie dieses Lamm vorne
auf dem Programmheft. Und Ihr werdet ein Foto davon
auf Eurem gerahmten Denkspruch haben. Dieses Lamm
ziert einen Schluss-Stein im Gewölbe der Sakristei.
Geschaffen hat es im Jahr 1480 Aberlin Jörg (oder ein
Mitarbeiter seiner Werkstatt)2, der große
Kirchenarchitekt der Spätgotik in Württemberg; er hat u. a. auch die Stiftskirche in
Stuttgart gebaut. Wenn wir vor dem Gottesdienst beten und Gott um seinen Segen
1
Die Angabe im Kirchenführer von Johannes Kiefner, es sei Ulrich Henn gewesen, kann nicht stimmen. Wenn
Sie mir einen Hinweis auf den Künstler haben, bin ich Ihnen dankbar.
2
Erst vor kurzem hat Tilmann Marstaller dies aufgrund der Steinmetzzeichen festgestellt.
1
bitten, dann stehen wir unter ihm. Wenn ich in der Sakristei meinen Talar anziehe,
dann wacht es über mir: das Lamm mit der Fahne.
Jesus ist das Schaf mit der Fahne. Das ist natürlich übertragen gemeint: Am Lamm
und an der Fahne sehen wir beeindruckende Wesenszüge von Jesus.
Lassen Sie mich mit dem Kreuz mit der Fahne beginnen. Ursprünglich ist das Kreuz
ein Folterinstrument. Es steht für den ehrlosen Tod. Doch seit Kaiser Konstantin hat
das Kreuz eine neue Bedeutung dazu gewonnen. Am Nachmittag vor der
entscheidenden Schlacht gegen seine Rivalen Maxentius habe Kaiser Konstantin am
Himmel das Kreuzzeichen gesehen und die Worte: „Durch dieses siege!“ In der
darauf folgenden Nacht sei ihm dann Christus im Traum erschienen und habe ihm
aufgetragen, eben dieses Zeichen als Schutzpanier zu gebrauchen. Und im Zeichen
des Kreuzes habe dann Konstantin die Schlacht an der Milvischen Brücke in Rom
am 28. Oktober 312 gewonnen. So berichtet uns zumindest Euseb.3
Das Kreuz wird zum Siegeszeichen. Das Kreuz mit der Fahne steht für den Sieg.
Das Lamm – Jesus Christus – ist der Sieger. Und wer gewinnt, beeindruckt.
Wie sehen Sieger aus? Lassen Sie mich eine Anleihe bei einem Computerspiel
machen. Heavy Weapon heißt es und gehört zu den kleinen kostenlosen Spielen auf
der Homepage von gmx. Man steuert einen Panzer und muss alles abschießen, was
aus der Luft auf einen zukommt – mit Ausnahme des Versorgungshubschraubers.
Der wirft Kugeln ab, die einen, wenn man sie aufsammelt, mit einem Schutzschild
gegen feindliche Angriffe versehen oder die eigene Feuerkraft erhöhen
(panzerbrechende Munition, 2-fach bis 5-fach gestreuter Schuss, zielsuchende
Raketen, Laserstrahl, Atombomben).
Wie sehen Sieger aus?
3
Der Abschnitt in der Kaiserbiographie Eusebs lautet: „Um die Stunde der Mittagszeit, da sich der Tag schon
neigte, habe er – so sagte der Kaiser – mit eigenen Augen oben am Himmel über der Sonne das Siegeszeichen
des Kreuzes, aus Licht gebildet, und dabei die Worte gesehen: ‚Durch dieses siege!“ Staunen aber habe bei
diesem Gesicht ihn und das ganze Heer ergriffen, das ihm eben auf seinem Marsche … folgte und dieses Wunder
schaute. Da sei er in Verlegenheit gewesen, was doch diese Erscheinung bedeute. Während er aber dieses
erwogen und noch lange darüber nachgedacht habe, habe ihn die Nacht überrascht. Da habe sich ihm nun im
Schlafe der Christus Gottes mit dem am Himmel erschienenen Zeichen gezeigt und ihm aufgetragen, das am
Himmel geschaute Zeichen nachzubilden und es bei seinen Kämpfen mit den Feinden als Schutzpanier zu
gebrauchen.“ Zitiert nach: Elisabeth Herrmann-Otto, Konstantin der Große, Darmstadt 2001, S. 55f.
Wie dieses Himmelzeichen genau aussah, wissen wir von einem Silbermedaillon, das Konstantin zu seinem
10jährigen Regierungsjubiläum im Jahr 315 prägen ließ. Es ist das sog. Christusmonogramm, die ineinander
geschrieben ersten beiden Buchstaben von Christus, im Griechischen Chi (Χ) und Rho (Ρ).
2
Sie sind
unverwundbar
und
verfügen über maximale Zerstörungskraft.
Und wenn schließlich der Endgegner besiegt ist
(wozu man mindestens 3 Atombomben braucht),
dann ist der Schirm leer, und sie sind ganz
allein.
Wir mögen überlegen, wie sehr dieses Bild eines Gewinners uns prägt. Ich möchte
möglichst cool sein. Mir macht nichts etwas aus. Ich bin hart im Nehmen. Und immer
gut drauf. Und kriege, was ich will. Wer mir blöd kommt, den hau ich um. Ich bin
stark. Der Stärkste.
Und am Ende ganz allein auf der Welt? Bittereinsam?
Wie sieht Jesus, der Sieger aus?
Der Sieger ist das Lamm. Ein Lamm hat keinen Panzer und keine Reißzähne. Es ist
wehrlos, leicht zu verwunden.
Und Jesus?
Ein Sarg. Ein totes Kind. Eine weinende Frau. Sie hat ihren Mann verloren, schon
länger. Und nun starb auch ihr einziger Sohn. Beerdigung zu Nain. „Und als sie der
Herr sah, jammerte sie ihn.“ (Lukas 7,13).
Vor Jericho sitzen zwei Bettler am Weg. Sie sind blind. Sie hören, dass Jesus
kommt. Sie schreien zu ihm. „Und es jammerte Jesus.“ (Matthäus 20,34).
Jesus sucht die Einsamkeit. Er sucht die Zwiesprache mit seinem Vater im Himmel.
Die Menschen lassen ihm keine Ruhe. Sie folgen ihm, hunderte, tausende. Und
Jesus „sah die große Menge, und sie jammerten ihn“. (Markus 6,34).
Dreimal dasselbe Verb. Dreimal der Jammer. Im Griechischen steht hier das Wort für
Eingeweide4. Der Schmerz, die Not, die Verlorenheit der Menschen drehen Jesus
den Magen um. Er bleibt nicht cool. Es macht ihm etwas aus. Es tut ihm weh, wenn
es Euch schlecht geht. Wenn jemand Euch verletzt, wenn Ihr selber Euch schadet,
trifft es ihn wie ein Faustschlag in die Magengrube. Und er ruht nicht, bis er geholfen
hat. Den Jungen von Nain erweckt er vom Tod und gibt ihn seiner Mutter zurück. Den
blinden Bettlern vor Jericho schenkt er das Augenlicht. Die große Menge macht er
satt mit Worten und Broten.
Das verletzliche Lamm als Sieger – so und nicht anders wollten es unsere Vorfahren
in dieser Kirche haben. Das hat sie beeindruckt.
Geweint hat er am Grab seines Freundes Lazarus. „Und Jesus gingen die Augen
über. Da sprachen die Juden: Siehe, wie hat er ihn lieb gehabt.“ (Johannes 11,35f).
Eine Scheißangst hat er vor dem Sterben gehabt. „Und fing an zu zittern und zu
zagen“ – im Garten Gethsemane am Vorabend seiner Hinrichtung (Markus 14,33).
Geschrieen hat er am Kreuz vor Schmerzen und Verzweiflung: „Mein Gott, mein
Gott, warum hast du mich verlassen“ (Markus 15,34). Nein, er hatte keinen Panzer
um seine Seele und keinen cheat aus dem Internet, der ihn unverwundbar macht. Er
hat sich treffen, verwunden lassen. Er lebte und litt intensiv.
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σπλάγχνα, σπλαγχνίζεσθαι; auch im Gleichnis vom verlorenen Sohn (Lukas 15,20b: Als er aber noch
weit entfernt war, sah ihn sein Vater und es jammerte ihn.)
3
Er hätte sie haben können, die Superwaffe, die den Bildschirm leer räumt. Als sie
kommen, um Jesus zu verhaften, greift Petrus zum Schwert, will kämpfen. Jesus
verbietet es ihm. „Oder meinst du, ich könnte meinen Vater nicht bitten, dass er mir
sogleich mehr als 12 Legionen Engel schickte?“ (Matthäus 26,53).5
Er hätte sie haben können, die Superwaffe. Und er hat auf sie verzichtet. Er wählte
den Weg der Hingabe. Er wird das Lamm.
Das Lamm ist das Opfertier.6 Jesus opfert sich. Er stirbt für uns. Weil er das selber
so will. Aus Liebe.
Wie sehen beeindruckende Sieger aus?
Wie sieht Jesus, das Lamm als Sieger aus?
Er ist
verwundbar,
lässt sich treffen.
Er verzichtet auf Gewalt.
Er macht aus Feinden
nicht Leichen,
sondern Freunde.
Und wenn er gewonnen hat,
ist er nicht ganz allein, sondern:
„Und ich sah,
und ich hörte
eine Stimme vieler Engel um den Thron
und ihre Zahl war vieltausendmal tausend,
die sprachen mit großer Stimme:
Das Lamm, das geschlachtet ist,
ist würdig, zu nehmen
Kraft und Reichtum und Weisheit und Stärke und Ehre und Preis und Lob.7
Und jedes Geschöpf,
das im Himmel ist und auf Erden und unter der Erde und auf dem Meer
und alles, was ist, hörte ich sagen:
Dem, der auf dem Thron sitzt,
und dem Lamm
sei Lob und Ehre und Preis und Gewalt
von Ewigkeit zu Ewigkeit!“ (Offenbarung 5, 11-13).
Amen.
5
Nach 2. Könige 19,35 tötet ein einziger Engel 185 000 assyrische Soldaten. Eine römische Legion bestand aus
3000 bis 6000 Mann. In der Kaiserzeit hatte Rom ca. 30 Legionen, also insgesamt maximal 30 x 6000 =
180 000 Legionäre. Mit denen wäre also ein einziger Engel fertig geworden.
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Im Alten Testament z. B. 2. Mose 12,3 (Passalamm); 4. Mose 28,3 (tägliches Morgen- und Abendopfer); 3.
Mose 14,10ff (Schuldopfer). Im Neuen Testament 1. Korinther 5,7: Auch wir haben ein Passalamm, das ist
Christus, der geopfert ist. Und natürlich Johannes 1,29: Johannes der Täufer sieht Jesus und spricht: Siehe, das
ist Gottes Lamm, das der Welt Sünde trägt!
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Dieser Satz (Offenbarung 5,12) steht auch auf unserem Altarkreuz.
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