Bericht über den Euro-Fighter
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Bericht über den Euro-Fighter
D_44_46_Coaster 15.02.2010 11:23 Uhr Seite 2 COASTER Ein Adrenalin-Kick mit interessantem Theming Ein Freizeitpark ist grundsätzlich ein Ort für die ganze Familie. Ist es also sonderlich clever, eine Achterbahn nach einer der grausamsten Horrorfilm-Serien zu thematisieren? Die Antwort lautet: Ja – wenn man Thorpe Park heißt! Text: Tim Herre Photos: Jennifer Born SAW Das Familienpublikum wird in Thorpe nur noch nebenbei bedient, der Fokus liegt aber klar auf der Zielgruppe, die Action, Action und noch mehr Action fordert. Und so ist es auch kein Wunder, dass „Saw – The Ride” zum absoluten Crowd-Pleaser wurde. Sicherlich U m dies zu verstehen, muss man die Historie der wurde kontrovers diskutiert, ob die ganze Sache nicht Tussauds-Parks im Londoner Raum kennen. In die Grenzen des guten Geschmacks bei Weitem unmittelbarer Nähe buhlten dort bis Anfang des neu- überschreitet, und diejenigen, die an dieser Stelle „Ja, en Millenniums zwei identisch ausgerichtete Freizeit- natürlich!” riefen und immer noch rufen, haben ja auch parks um die Besucher der englischen Hauptstadt. irgendwie Recht. Aber eben nur irgendwie. Denn die Diese Ära war spätestens im Frühjahr 2002 Ge- Faszination, die die sadistischen Spiele des zentralen schichte, als der Thorpe Park auf Thrillpark getrimmt Saw-Characters Jigsaw ausüben, ist ein Massenphä- wurde und seinem Publikum „Colossus” präsentierte, nomen geworden und die marketingtechnische Aus- eine Intamin-Loopingbahn mit nicht weniger als zehn weitung im Freizeitpark-Sektor war nur eine Frage der Überschlägen. Es folgten der B&M-Inverted-Coaster Zeit – denn Freizeitparks faszinieren schließlich auch „Nemesis Inferno” und die Intamin-Katapult-Achter- die Massen und müssen dies tun, sonst rechnen sie bahn „Stealth”. Die Botschaft war also klar: „Familien, sich nicht. geht bitte ins 20 Kilometer entfernte Chessington World of Adventures! Teenager, Thrillseeker, Junggebliebene – hier entlang, bitte! Hereinspaziert, hoch Der Eingangsbereich als rostiges Industrieareal 44 verehrtes Publikum!” D_44_46_Coaster 15.02.2010 11:23 Uhr Seite 3 Und es ist ja nicht so, dass der Horror erst beim Ein- aussehender Folie bestückt. Die Thematisierung wur- Der Bahnhofsbereich sieht steigen in den achtsitzigen Wagen des Gerstlauer- de innen wie außen konsequent durchgezogen – also nicht viel besser aus: Auch hier „Eurofighters” starten würde. Schon im Wartebereich möglichst ungemütlich im Wellblech-Look, komplett überwiegt der rostige „Charme” werden die Augen der prospektiven Fahrgäste mit mit blutigen Leichenteilen, Video, wahnsinnig lautem einer verlassenen Industriehalle Exponaten aus den Werkstätten von Jigsaw verwöhnt, Soundtrack und unheimlichen Blitzen. und man braucht kein Kenner der Saw-Reihe zu sein, Die Kapazität ist für eine Anlage mit Einzelchaisen um sich auszumalen, wie die Opfer mit den rostigen recht ordentlich, denn es werden immer zwei Wagen Gerätschaften in den inzwischen sechs Saw-Filmen gleichzeitig beladen. Im Schnitt verlässt nach jeweils malträtiert werden. Weite Teile der Warteschlange sind 26 Sekunden ein Wagen die Station, was einer theo- zudem aus knapp drei Meter hohen, von Stacheldraht retischen Kapazität von nicht weniger als 1.100 Per- gekrönten Maschendraht-Zäunen gebildet, was nicht sonen pro Stunde entspricht. nur Vordrängeln – in einem Teenager-Park wie Thorpe Die Fahrt selbst verläuft zuerst im Dunkel des die Sta- leider noch immer ein Riesenproblem – erschwert, tion umschließenden Gebäudes. Nach einer Rechts- sondern auch zusätzlich eine beklemmende Atmo- kurve werden die Fahrgäste zunächst mit Jigsaw kon- sphäre schafft. Der Stacheldraht ist freilich verlet- frontiert, der auf einem Dreirad im Halbkreis auf sie zu- zungs-unbedenklich, denn was da wie rasiermesser- fährt und seine Besucher mit „Let the Games begin!” scharf aussieht, ist in Wirklichkeit mit täuschend echt nett begrüßt. Die Chaise fährt im folgenden Strecken- Überall wird vor dem Zutritt und der Benutzung gewarnt 45 D_44_46_Coaster 15.02.2010 11:23 Uhr Seite 4 abschnitt auf nur schemenhaft erkennbare, große Äxte Wie lautet also das Fazit? „Saw – The Ride” ist mit von diversen „Eurofightern” be- zu, denen mittels einer kleiner Abfahrt ausgewichen Sicherheit der am aufwändigsten in Szene gesetzte kannten Manöver wird. Besonders effektiv ist hier die anschließend zu „Eurofighter” – ganz besonders wegen des Indoor- sehende Walze mit Dornen, die man wirklich erst im Teils. In diesem Frühling wird das Erlebnis zudem noch Moment des Drops sieht, wenn sie kurz angeblitzt um eine neue Attraktion ergänzt: Schräg hinter der wird. Nach einer Linkskurve geht’s wieder ein paar Achterbahn wird auf dem alten Vergnügungsdampfer Meter hinauf, wo der Wagen in einer Lagerhaus-Sze- „Thorpe Belle” ein ganzjähriges Horror-Maze mit Live- nerie von beiden Seiten mit Pressluft beschossen wird Erschreckern eröffnet – und mit so was hat der Park, – das klappt mal mehr, mal weniger gut. Doch das der mit den „Fright Nights” alljährlich das umfang- Highlight der Dunkelfahrt kommt erst noch: Nach einer reichste Halloween-Event im Vereinigten Königreich weiteren Linkskurve erkennen die Fahrgäste das ret- präsentiert, ja ausreichend Erfahrung. Wir sind also tende Tageslicht, doch plötzlich vollführt der Wagen gespannt darauf, wie viel schrecklicher „Saw” in der einen In-Line-Twist – direkt über einer am Boden lie- neuen Saison 2010 sein wird. Die Inversionen sind die genden Leiche, aus der Wasser spritzt, bis in die Gesichter der Mitfahrer. Ein Schreckmoment, der sitzt. Jetzt könnte die Fahrt eigentlich vorbei sein, doch, ach ja – da kommt ja noch der Outdoor-Part. Hier erwartet den Thrillseeker etwas mehr als die übliche, solide „Eurofighter”-Kost. Die Abfolge der Elemente stellt eine willkommene Abwechslung dar, zum Bei- FAKTEN spiel fehlt ein Vertikallooping gänzlich. Der große Drop schickt den Wagen direkt ■ Eröffnung: 14.03.2009 in einen Immelmann, der Rest der Strecke ■ Schienenlänge: 720 Meter spielt sich also hinter dem Drop und dem ■ Schienenhöhe: 30,5 Meter großen Stationsgebäude ab. Dort ist der ■ Geschwindigkeit: 89 km/h Kurs großflächig verteilt, wartet aber trotz- ■ 3 Inversionen: In-Line-Twist, dem mit den für Bahnen dieser Gattung Immelmann, Dive-Loop typischen, engen Manövern auf. Nach ■ Max. Längsneigung: 100° einem Overbanked-Turn nach links gibt ■ Max. Beschleunigung: 4,7 g es einen saftigen Airtime-Hill, gefolgt von ■ Fahrzeit: 1:40 min (inkl. Lift) einem leicht nach rechts geneigten Drop ■ 8 Fahrzeuge für je 8 Pers. und einer ansteigenden 180°-Steilkurve ■ Kapazität: 1.100 Pers./h nach links, hinauf in die Blockbremse. Ein ■ Designer: John Wardley weiterer, steiler Drop folgt und mit dem ■ Statik/Dynamics: Stengel, unglaublich engen, unter Bodenniveau München, Deutschland angefahrenen Dive-Loop kommt das ■ Hersteller: Gerstlauer, Mün- Highlight der Fahrt auch wirklich erst ganz sterhausen, Deutschland. zum Schluss. Man kann also sagen, dass ■ Betreiber: Thorpe Park, Chertsey, England der Fahrtablauf gut choreographiert ist. Hier erkennt man die Handschrift des beratenden Designers John Wardley. 46 ■