PR62 - Proletarische Revolution
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PR62 - Proletarische Revolution
Proletarier/innen aller Länder, vereinigt euch! Proletarische Revolution Nr.62 unabhängig von Staat und Kapital 16. Jg. revolutionär-kommunistische Zeitung in Österreich im 146. Jahr der Pariser Kommune Spendenempfehlung: 2,- Euro April 2016 Impressum: Medieninhaber, Herausgeber, für den Inhalt verantwortlich Kollektiv Proletarische Revolution c/o Stiftgasse 8, 1070 Wien www.prolrevol.wordpress.com Die Proletarische Revolution liegt in folgenden Buchhandlungen / Vereinslokalen auf (und ist dort auch käuflich zu erwerben): - Buchhandlung Frick, 1010 Wien, Schulerstraße 1-3 - Buchhandlung des ÖGB, 1010 Wien, Rathausstraße 21/Ecke Universitätsstraße - Literaturcafe Buchhandlung Lhotsky, 1020 Wien, Rotensterngasse 4/Ecke Taborstraße - Marxer Lesestube, 1030 Wien, Marxergasse 18 - Buchhandlung Jauker, Sampogasse 4, 1140 Wien - Buchhandlung Alex, 4020 Linz, Hauptplatz 21 - Buchhandlung Hacek, 9020 Klagenfurt, Paulitschgasse 5-7 - Rotes Antiquariat, Rungestraße 20, D-10179 Berlin - M 99, Manteuffelstraße 99, D-10997 Berlin - Buchladen Rote Straße, Nikalokirchhof 7, D-37073 Göttingen - Aufbau Buchvertrieb, Kanonengasse 35, 8004 Zürich Flugblätter der IA*RKP als Broschüren auf Persisch Im Abo kostet die PR für 1 Jahr im Inland 20,-, Sozialabo 15,im Ausland 30,- Euro Die Konkurrenz der imperialistischen Mächte führt zum Krieg, wenn die proletarische Revolution dem Krieg nicht zuvorkommt! Inhalt Editorial Österreich Faschisierung: Asylverweigerung, Spaltung und Hetze, Faschisierung von Staat und Gesellschaft (SPÖVP – FP) 3 SPÖ und 12.Februar 1934 8 Schluss mit faschist. Hetze...! 10 Asylrecht abgeschafft 11 Frankreich Reaktionärer Schub 14 Ausnahmezustand 20 Antiterroeinsätze 20 Ukraine Zwei Jahre nach dem Putsch 21 Griechenland KKEml: Nein zur NATO-Operation in der Ägäis Klassenkämpfe und sozialistische Revolution Was tun ... in revolutionärer Situration? ... bei revolutionärer Erhebung? 30 31 34 37 Philippinen Taktische Offensiven der NPA 39 Wahlen - Revolution 40 Österreich Klassenkämpfe und Volkskämpfe Silvesterskandal - Sexismus 42 Steuerreform 45 Feiern oder kämpfen? (komakml-Flugblatt) 48 Lohnunterschiede Frauen-Männer Schluss mit Sexismus, Rassismus und Krieg (Feministisches Frauenbündnis 8.März) 49 50 (klein)bürgerliche Theorien „Nord-Süd-Konflikt“ oder Antiimperialismus? 52 „Werkbank“ Iran und Türkei? 69 „Reformismus auf der Höhe der Zeit“ (4 Thesen) 70 BDS-Stellungnahme zu Verleumdungen 77 In den letzten 6 Monaten hat sich deutlich gezeigt, dass die sogenannten „zivilgesellschaftlichen“ Mobilisierungen und Graswurzelbewegungen politisch unwirksam sind. Während in Österreich zehntausende Freiwillige in ihren Wohnorten praktische Solidarität mit den Heimatvertriebenen und Auswander/innen üben und hunderte wöchentlich oder gar täglich Hilfsgüter zu den Verzweifelten an den Grenzen Österreichs, Ungarns und verschiedener Balkanstaaten bringen, zur selben Zeit errichtet die österreichische Regierung kilometerlange Zäune, Anhaltelager, Überwachungsanlagen und Militärcamps. Auch wenn über 100.000 Voices for Refugees am Wiener Heldenplatz zusammenkommen, kann das offensichtlich nicht die Abschaffung des Asylrechts und die Militarisierung des öffentlichen Lebens an Grenzen und in „Aufnahmelagern“ verhindern, oder auch nur deutlich einbremsen. Die „Zivilgesellschaft“ mit ihren verständnisheischenden Appellen an die Vernunft und Menschlichkeit der Herrschenden ist gescheitert. Solange nicht entschlossene Kräfte an Einfluss gewinnen, die sagen: Das sind unsere Brüder und Schwestern, Unterdrückte und Ausgebeutete wie wir, und nur zusammen werden wir im Kampf gegen unseren gemeinsamen Feind, die kapitalistische Ausbeuterklasse, die Verhältnisse für uns alle verändern! – solange eine solche revolutionär-demokratische Massenbewegung unter Führung der Arbeiter/innenklasse nicht erstarkt, werden die Herrschenden mit den Flüchtlingen und mit uns tun, was sie wollen bzw. für sich und ihre Profitinteressen am besten halten. Die vorliegende Nr.62 der Proletarischen Revolution konzentriert sich, soweit es die tagtäglichen Aktivitäten der IA*RKP und ihr nahestehenden Kräfte betrifft, auf Fragen des Demokratieabbaus und der Faschisierung. Dazu dokumentieren wir mehrere Flugblätter und bringen einen Artikel, der sich mit der Einschätzung der FPÖ und der Faschisierung in Österreich beschäftigt. Ergänzend dazu gibt es einen Beitrag über die jüngsten Entwicklungen in Frankreich, das nicht erst seit den Anschlägen in Paris 2015 ein Vorreiter in der EU in Bezug auf faschistischen Ausnahmezustand, Grenzschließung und Massendeportation (v.a. von Roma) ist. Da der Medienwirbel um die Syrienkonferenzen einen viel näher gelegenen Brennpunkt der zwischenimperialistischen Konkurrenz permanent überdeckt, bringen wir einen Artikel zur Ukraine. (Kiew ist gleich weit von Wien entfernt wie Paris, und näher als Athen oder Barcelona!) In Fortsetzung unserer Auseinandersetzung mit den Entwicklungen in Griechenland (in der vorangegangenen PR 61) bringen wir einen Beitrag zu den dortigen Klassenkämpfen und der Perspektive der sozialistischen Revolution. Im theoretischen Teil der PR62 setzen wir uns kritisch mit zwei Strömungen auseinander, die in der aktuell schwachen Klassenkampf-Situation ihre äußerst schädliche Wirkung entfalten können: Einerseits geht’s um den sogenannten „Nord-Süd-Konflikt“ am Beispiel eines Artikels von Lauesson/Cope in der Monthly Review, und andererseits um vier (überflüssige) Thesen aus dem Eck der autonomen Bewegung über „einen Reformismus auf der Höhe der Zeit“ und eine „zeitgemäße emanzipatorische Politik“ … Als unser Beispiel aus dem „globalen Süden“ und zu unseren Ansichten über eine „zeitgemäße emanzipatorische Politik“ bringen wir einen Bericht über die Aktivitäten der Neuen Volksarmee (NPA) auf den Philippinen. Abschließend möchten wir aufgrund verschiedener (kritischer) Anfragen darauf hinweisen, dass die Proletarische Revolution in der derzeitigen Situation nicht viel mehr leisten kann, als die tatsächliche revolutionäre kommunistische Bewegung in Österreich widerzuspiegeln. Nehmt an Aktionen und Diskussionen aktiv teil, schreibt Flugblätter und Beiträge und beteiligt euch daran, die Zeitschrift besser zu machen! Kollektiv Proletarische Revolution Für neue Leser/innen: Die „Proletarische Revolution“ erscheint seit 2001. Sie greift mit revolutionär-kommunistischen Positionen in aktuelle Kämpfe und in damit verbundene praktische und theoretische Auseinandersetzungen ein. So setzt sie die Tradition der von den Marxisten-Leninisten Österreichs 1963 gegründeten „Rote Fahne“ und der 1972 bis 1980 erschienen österreichischen (Wochen-) Zeitung „Klassenkampf“ fort. Das Kollektiv Proletarische Revolution stellt sich die Aufgabe, durch die Verbindung der Erfahrungen und Lehren von nahezu 200 Jahren revolutionärer, internationaler Arbeiter/innen-Bewegung mit dem aktuellen Klassenkampf in Österreich und weltweit einen Beitrag zu leisten zur Bewusstmachung und Revolutionierung der Arbeiter/innenklasse im heutigen Österreich. Die „Proletarische Revolution“ kämpft in der Tradition der internationalen revolutionär-kommunistischen Bewegung. Diese hat sich vor einem halben Jahrhundert intensiv mit den Fehlern der Kommunistischen Partei der Sowjetunion auseinandergesetzt und ab Anfang der 1960er Jahre einen scharfen Kampf gegen die Wegbereiter des bürokratischen Staatskapitalismus in der Sowjetunion geführt. Die theoretische und praktische Verteidigung einer marxistisch-leninistische Generallinie für die Weltrevolution hat damals zur Gründung neuer, revolutionär-kommunistischer Zeitungen und Parteien geführt, die sich an der chinesischen Kulturrevolution unter Mao Zedong orientierten. Das Kollektiv Proletarische Revolution geht davon aus, dass ohne positive Berücksichtigung der theoretischen und praktischen Leistungen der chinesischen Kulturrevolution die Theorie und Praxis der revolutionären kommunistischen Bewegung nicht entsprechend den aktuellen Anforderungen des revolutionären Klassenkampfs weiterentwickelt werden können. Die „Proletarische Revolution“ bringt in 4 bis 6 Ausgaben jährlich sowohl agitatorische und propagandistische Aufrufe, Stellungnahmen und Redebeiträge zu aktuellen Kämpfen als auch wissenschaftliche Untersuchungen, Analysen und Thesen von österreichischen und international relevanten Parteien und Organisationen der revolutionären kommunistischen Weltbewegung. Die „Proletarische Revolution“ ist unabhängig von Staat und Kapital und finanziert sich ausschließlich aus Spenden, Abo-Einnahmen und anderen freiwilligen Beiträgen. Abo-Bedingungen siehe Umschlag hinten! Die „Proletarischen Revolution“ kann als pdf-Datei im Netz unter <prolrevol.wordpress.com> heruntergeladen werden. Kollektiv Proletarische Revolution Proletarische Revolution 62 Antifa gegen FPÖ? – Faschismus verhindern? Gegen Faschisierung und Abbau demokratischer Rechte in Österreich heute Nach aktuellen Meinungsumfragen, die in verschiedenen bürgerlichen Medien verbreitet werden, liegt die FPÖ Mitte März in der „Sonntagsumfrage“ (Was würden Sie wählen, wenn nächsten Sonntag Nationalratswahlen wären?) bei etwa 33%. Gleichzeitig betätigen sich SPÖ und ÖVP (mit verteilten Rollen) als EU-weite Vorreiter beim Ausbau der Festung EUropa und der Abwehr von Heimatvertriebenen aus den von imperialistischen Kriegen verwüsteten Gebieten. In anderen EU-Ländern können wir ähnliche Entwicklungen verfolgen: Sozialdemokratische Regierungsparteien höhlen die bürgerliche Demokratie aus und beseitigen demokratische Rechte in der Praxis und auf gesetzlicher Ebene (z.B. in Frankreich Notstandsgesetze in die Verfassung; Deutschland, Schweden, Slowakei,…). Viele Maßnahmen oder Organisationen werden heute oft als „faschistisch“ bezeichnet, um eine besondere Abscheu auszudrücken, so als ob das Wort faschistisch gleichbedeutend mit „Scheiße“ oder „reaktionär“ wäre. Wir denken uns, dass in einem ernsthafteren Gespräch der Begriff „faschistisch“ nicht inflationär, sondern nur dann verwendet werden sollte, wenn auch wirklich „Faschismus“ gemeint ist. Nicht erst in jüngster Zeit, sondern schon seit den 1960er Jahren gibt es aber viel Verwirrung um den Faschismus-Begriff auch unter Kräften, die sich durchaus am Marxismus orientieren. Wenn wir als Revolutionäre Kommunist/innen über Faschismus und Faschisierung der Gesellschaft reden, beziehen wir uns vor allem auf die Definition von Faschismus durch die Komintern (1934) als „offen terroristische Herrschaftsform des Monopolkapitals“ – es ist also eine Form der Herrschaftsausübung der Kapitalistenklasse, insbesondere ihrer reaktionärsten Elemente im Monopol-Finanzkapital. Faschistische Bewegungen und Organisationen streben eine solche Herrschaft an, wobei es nicht darauf ankommt, ob sie das auch offen ankündigen. „Offen terroristisch“ bedeutet, dass der Staatsterror, sobald die terroristische Herrschaftsform errichtet ist, für alle erkennbar ist. Zumindest alle Demokrat/ innen erkennen dann, dass die Grundprinzipien der (bürgerlichen) Demokratie missachtet werden, dass - vor allem von Seiten der Polizei oder paramilitärischer Verbände – schrankenlose Gewalttätigkeit ausgeübt wird. Schon in der Anfangsphase werden massiv Gesetze gebogen oder gebrochen und (frühere) bürgerlich-demokratische Verfassungsbestimmungen zunehmend ausgehöhlt und durch „antidemokratische“ Gesetze oder Verordnungen ausgehebelt – nach kurzer Zeit herrschen Gewalt und Terror auf allen Ebenen vor. Als „Faschisierung“ wird vor der Machtübertragung an eine faschistische Regierung der schrittweise Abbau demokratischer Rechte durch bürgerliche Parlamentsparteien, also der Weg dorthin, zur offen terroristischen Herrschaftsform der Bourgeoisie bezeichnet. Im Gegensatz zur inflationären Verwendung des Faschismus-Vorwurfs ist es kein „Beweis“ für Faschismus, wenn von Polizei oder Militär in eine Demo hineingeschossen wird. Das geschah historisch gesehen in Österreich z.B. im April und Juni 1919 (Gründonnerstagsdemo 17.4.19 vorm Parlament bzw. 15.6.19 Hörlgasse), im Juli 1927 (15.7.27 Justizpalast) usw. – oder auch im Berliner Blutmai 1929. Aktuelle Vorfälle aus der EU sind etwa Genua 2001, Göteborg 2001, Athen 2008, … Faschismus bzw. Faschisierung ist es, wenn geschossen wird, um eine offen terroristische Herrschaft zu errichten (wo dann „normalerweise“ in jede oppositionelle Demo geschossen wird). Es ist kein „Beweis“ für Faschismus, wenn führende Mitglieder einer Kommunistischen Partei verhaftet werden, wegen Hochverrat angezeigt (und nach ein paar Tagen oder Wochen wieder freigelassen werden). Das ist auch in Österreich schon Faschisierung und Demokratieabbau mehrmals lange vor der Errichtung der faschistischen Herrschaft 1933/34 geschehen, als z.B. die sozialdemokratische Stadtregierung an einem Tag 115 Funktionäre der KPÖ verhaften ließ (angeblich um einen Aufstand zu verhindern). Faschismus bzw. Faschisierung ist es, wenn nicht nur kommunistische, sondern auch sozialdemokratische und klassenkäm pferische Gewerkschaftsführer/innen ständig von Verhaftung bedroht sind und praktisch nur noch verdeckt arbeiten können. Faschismus bezeichnet eine Unterdrückungsform, wo die gesamte (oppositionelle) Arbeiter/innenbewegung illegalisiert ist und (zunehmend) alle ihre Funktionäre von Verhaftung und Ermordung bedroht sind. Das war in Österreich z.B. ab 1933 mit dem Verbot von KPÖ und Republikanischem Schutzbund, sowie der Auflösung des Parlaments der Fall. (Allerdings weist Dimitroff andererseits ausdrücklich darauf hin, dass das Weiterbestehen eines Rumpfparlaments – z.B. in Mussolini-Italien – kein Beweis dafür ist, dass der Faschismus noch nicht an der Macht sei – das (von Oppositionellen gesäuberte) Parlament kann z.B. aus Legitimationsgründen von einer faschistischen Regierung weitergeführt werden. Nach Analysen der Komintern ist der Faschismus eine instabile Herrschaftsform des Monopolkapitals, weil große Teile der Volksmassen weit über die Arbeiter/ innenklasse hinaus „offen“ unterdrückt werden und keine demokratischen Ausdrucksmöglichkeiten haben, also offensichtlich ihre wirtschaftlichen und politischen Interessen nicht vertreten können. Deswegen greift die Bourgeoisie nicht bei jeder passenden Gelegenheit, sondern nur dann zum Faschismus, wenn sie ihre Interessen nicht mehr mit den normalen Unterdrückungsmitteln der bürgerlichen Demokratie (Medienverhetzung, Polizeirepression, Klassenjustiz, …) durchsetzen kann. Eine Situation, wo oppositionelle demokratische (und sogenannte „zivilgesellschaftliche“) Kräfte weitgehend ungehindert agitieren und protestieren können, aber kommunistische und revolutionäre Kräfte oder auch militante klassenbewusste Gewerkschafter/innen verfolgt werden, als „faschistisch“ zu bezeichnen, verharmlost objektiv eine reale Gefahr des Faschismus und trägt zur ideologischen Verwirrung der bewusstesten und kämpferischsten Kräfte im Klassenkampf bei. Darüber hinaus sollten Rassismus und Faschismus nicht verwechselt oder vermischt werden; d.h. die brutale rassistische Unterdrückung eines Teils der Arbeiter/innen bzw. bestimmter Migrant/innen ist kein „Beweis“, dass in diesem Land der Faschismus an der Macht ist – wer sowas leichtfertig behauptet, unterschätzt einerseits die „normale“ gezielte Verhetzung und Spaltung der Bevölkerung durch die Ideologen und Gewaltapparate der Bourgeoisie und andererseits die (noch bevorstehenden) Möglichkeiten der Bourgeoisie in Bezug auf terroristische Unterdrückung aller Arbeiter/innen und Demokrat/innen. FPÖ faschistisch und Hauptfeind? Nach dieser langen Klarstellung, was wir revolutionären Kommunist/innen als faschistisch bezeichnen und was nicht, jetzt zur FPÖ: Die FPÖ ist nach unserer Einschätzung keine faschistische Partei, aber sie hat als einzige österreichische Partei einen stabilen faschistischen Flügel. Die Proletarische Revolution 62 FPÖ als Gesamtpartei kritisiert in ihrer Propaganda nicht „die Demokratie“ und die „demokratischen Werte“, sondern die Unterdrückung durch die „Großkopferten“ und „Gutmenschen“, die „Bürokratie“, die sich nicht um die „einfachen Leute“ kümmern usw. Die derzeitigen Wahlerfolge der FPÖ bedeuten nicht, dass große Teile der Arbeiter/innenklasse und des Kleinbürgertums eine Beseitigung der bürgerlich-demokratischen Verfassung in Österreich fordern (sowie der ohnehin verstümmelten demokratischen Rechte in der EU). Gerade in Bezug auf die EU kritisiert z.B. die FPÖ, dass „wir Österreicher“ zu wenig demokratische Rechte haben. Die FPÖ vertritt reaktionäre Strömungen und Ideologien, wie z.B. Rassismus, Militarismus, Frauenfeindlichkeit (Machotum), christlichen Fundamentalismus, … aber sie bündelt sie nicht und hebt sie nicht auf eine qualitativ höhere Ebene als viele andere bürgerlichen Parteien. Die FPÖ als Gesamtpartei baut nicht direkt programmatisch darauf auf und versucht, für verschiedene Ansichten offen zu bleiben. Sie verspricht nicht, derartige reaktionäre Forderungen systematisch auf Staatsebene durchzusetzen (z.B. Ausweisung aller Ausländer, massiver Ausbau des Militärs, Entmündigung der Frauen, stärkere Begünstigung christlicher Religionen, …) Nur eine relativ kleine (aber wichtige und stabile) Fraktion von Faschisten in der FPÖ tut das auch quasi-programmatisch. Diese wird geduldet, aber nicht in den Vordergrund gestellt; öffentliche Funktionäre und Mandatare distanzieren sich regelmäßig von solchen Positionen. Wir betonen bewusst seit Jahren, dass in Österreich aktuell und in absehbarer Zukunft für die Bourgeoisie keine Notwendigkeit besteht, faschistische Kräfte an die Macht zu hieven. Wenn die FPÖ an einer Landesregierung (oder vielleicht auch wieder einmal einer Bundesregierung) als Koalitionspartner beteiligt wird, dann hängt das von taktischen Überlegungen der jeweiligen regierungsbildenden Parteien ab, wie sie zu einer mehrheitsfähigen Regierung kommen können, um ihr Programm umzusetzen. Eine fallweise Beteiligung der FPÖ an einer Regierung ergibt sich nicht aus politischen Analysen des Monopolkapitals, dass jetzt eine Partei mit einem faschistischen Flügel an die Regierung gebracht werden müsse, um mit offenem Terror (also faschistischen Methoden) eine Offensive gegen die Arbeiter/innenklasse einzuleiten und durchzuführen. Massenmobilisierungen gegen FPÖ-(Wahl-)Kundgebungen sind kein geeignetes Mittel, antifaschistisch orientierte Menschen auf die Notwendigkeit des Sturzes der Diktatur der Bourgeoisie überhaupt zu stoßen. Eine Mobilisierung gegen FPÖ-Auftritte mit offen rassistischen Forderungen oder bestimmter faschistischer Funktionäre muss die Orientierung auf den Kampf für mehr demokratische Rechte beinhalten und kann z.B. Losungen verwenden wie: „Kampf für mehr Demokratie – zwingt Faschisten in die Knie!“ usw. Auf keinen Fall soll eine Befürwortung der aktuell bestehenden politischen Ordnung (als „kleineres Übel“) herauskommen, sondern es muss die Gefahr von Einschränkung demokratischer Rechte durch Beschlüsse aller bürgerlichen Parlamentsparteien und die Notwendigkeit der Erweiterung demokratischer Rechte in den Mittelpunkt gerückt werden. Das Ziel jeder Aktion gegen die FPÖ muss dabei sein, die selbstständigen Aktivitäten und Zusammenschlüsse in der Arbeiter/innenklasse zu fördern, und das Selbstvertrauen insbesondere von Arbeiterjugendlichen zu stärken, dass sie politisch was bewirken können, wenn sie organisiert und planmäßig auftreten. Gegen Faschisierung und Abbau demokratischer Rechte Viele linke, sich selbst als marxistisch verstehende Gruppen betreiben heute eine Politik der Verteidigung der bürgerlichen Demokratie und speziell individueller Freiheitsrechte gegen eine angebliche faschistische Bedrohung, meist durch die FPÖ oder kleine faschistische Gruppen. Faschisierung und Demokratieabbau Diese Gegenüberstellung halten wir für falsch. Wir bekämpfen alle Faschisierungsschritte der bürgerlichen Regierung (mit oder ohne FPÖ-Beteiligung) und orientieren uns dabei auf einen Kampf für volksdemokratische Rechte, vorrangig also solcher demokratischen Rechte, die für die Arbeiter/innen als Klasse wichtig für ihren Kampf sind, also kollektive demokratische Rechte. Bei unserer politischen Schwerpunktsetzung halten wir nach wie vor daran fest, dass aktuell in Österreich die Konzentrierung auf den „antifaschistischen Kampf“ kein weiterführender Weg ist, um näher an die proletarische Revolution heranzukommen. Wir sehen wenig Chancen in solchen Kämpfen, klassenbewusste Aktivist/innen zu gewinnen und an den Kommunismus heranzuführen. In den aktuellen Antifa-Bewegungen herrschen mehrheitlich ganz klar prokapitalistische und proimperialistische Orientierungen vor, und die beteiligten Kräfte konzentrieren sich fast ausschließlich auf die Verteidigung ihrer (bürgerlichen) demokratischen Freiheiten gegen den (angeblich drohenden) Faschismus. Darüberhinaus sieht der Großteil der heutigen Antifaschist/innen überhaupt die EU als Bollwerk gegen den Faschismus (z.B. anlässlich der heuchlerischen EU-Kritik an der ungarischen Orban- oder der polnischen PiS-Regierung). Deshalb haben wir es mit unseren bescheidenen Kräften an der Antifa-Front besonders schwierig, den demokratischen Kampf mit dem Kampf für die proletarische Revolution zu verbinden. Trotz der genannten schwierigen Lage werden wir uns nicht von antifaschistischen Aktionen fernhalten (ohne bei jeder dabei sein zu müssen). Antifa-Demos ziehen u.a. wegen ihrer Breite auch zahlreiche Arbeiterjugendliche (besonders aus migrantischen Zusammenhängen) an, an die wir uns gezielt in militanten Kämpfen richten und ihnen unsere Vorstellungen und unseren Weg nahebringen müssen. Im Kampf gegen Faschisierung und für mehr demokratische Rechte in allen Bereichen müssen wir die wirklichen Träger dieser staatlichen Entwicklung nennen: Es ist immer wieder die Sozialdemokratie, und der signifikante Aufund Ausbau des Polizeistaats begann 1989-97 unter SPÖ-Innenministern (incl. dem „linken“ Einem). Die seinerzeitige ÖVP-FPÖRegierung brauchte 2000 bloß in die Schubladen der Löschnak, Einem und Schlögl zu greifen und deren „Reformen“ fortführen. Es ist wichtig zu betonen, dass sich die Bourgeoisie schon heute in Österreich auf eine eventuelle faschistische Option vorbereitet (wie es die deutsche z.B. 1968 unter SP-Brandt mit den Notstandsgesetzen machte). Der Bourgeoisie ist die Notwendigkeit eines schärferen Ausbeutungskurses in der Zukunft bewusst und sie plant deshalb eine eventuell unvermeidliche Zuspitzung von Klassenkämpfen ein. Die folgenden, beispielhaft genannten Maßnahmen dienen erstens dazu, heute schon eine klassenkämpferische Entwicklung (durch Einschüchterung und Repression) zu behindern und zweitens dazu, für den Fall des Falles gewappnet zu sein. Die Maßnahmen und Pläne setzen auf verschiedenen Ebenen und Bereichen an: Die Aufrüstung und Ausbildung der beiden bewaffneten Unterdrückungsinstrumente, Militär und Polizei, für gewalttätiges Vorgehen gegen Massenaktionen. Einerseits „Polizeiisierung“ der Armee, d.h. ihr zunehmender Einsatz für Polizeiaufgaben (z.B. an Grenzübergängen zur Flüchtlingsabwehr und gegen Flüchtlingshelfer/ innen), und andererseits Militarisierung der Polizei, d.h. ihre teilweise armeemäßige Bewaffnung und Ausbildung. Im Winter 2015 wurden die Grenzschutztruppen des Bundesheeres mit Helmen, Schildern und Pfefferspray ausgerüstet, nachdem sie schon ab Herbst 2015 mit Pistolen bewaffnet waren. Die rechtliche (wo noch notwendig) und faktische Vorbereitung der Armee auf Einsatz im Inneren, Übungen in dieser Richtung bis hin zu regelrechten Bürgerkriegsübungen bei geeigneten Vorwänden, Nutzung der Aus- Proletarische Revolution 62 landseinsätze zu diesem Zweck (z.B. Verweis des Bundesheeres und des Kriegsministers, dass die Berufs- und Zeitsoldaten - nicht aber die Präsenzdiener - aufgrund der Auslandseinsätze und der dortigen Erfahrungen in puncto crowd and riot control bestens geeignet sind für Einsätze in der „Flüchtlingsfrage“). Ein für die Herrschenden äußerst wichtiger Punkt ist die systematische Gewöhnung der Bevölkerung an eine Präsenz des Gewaltapparats und speziell auch der Armee im öffentlichen Raum. Katastrofeneinsätze des Bundesheeres wurden immer schon zu Werbezwecken breit in den Massenmedien gebracht. Im Herbst 2015 wurden dann in den Nachrichten immer wieder Filme mit Bundesheereinheiten gezeigt, die an Flüchtlinge Essen und Decken austeilen. (Zum Beispiel sind in Italien und Frankreich Militärposten mit größeren Soldatengruppen an Straßenkreuzungen schon Normalzustand; in Deutschland und Griechenland Panzerwagen der Polizei auf Plätzen stationiert.) Die Internetüberwachung, Auswertung von Überwachungs-Kameras im öffentlichen Raum und ähnliches werden (auch in den Massenmedien) massiv als Schutzmaßnahme propagiert, um davon abzulenken, dass es der Bourgeoisie dabei um eine weitere Perfektionierung des Überwachungs- und Bespitzelungsstaats geht. Dazu gehören als neuere Maßnahmen auch z.B. das systematische Abfilmen aller Demo-Teilnehmer/innen (und dazu extra eingerichtete Flaschenhälse mit Tretgittern am Beginn der Demo-Route) oder der Einsatz von Drohnen. Auf Gesetzesebene gibt es wesentliche Strafrechtsänderungen, z.B. die europaweit koordinierte Einführung von „Mafiaparagraphen“, wonach nicht eine Tat angeklagt wird, sondern die vermeintliche Zugehörigkeit zu einer Gruppe. In Österreich sind das der § 278a StGB „Tierschützerparagraph“; und § 278b – „Unterstützung einer ausländischen terroristischen Vereinigung“. Auch der § 274 (Landfriedensbruch) wurde im Sommer 2015 novelliert, um ihn für die Richter einsatzfähiger zu machen. Mit dem im Februar 2016 beschlossenen neuen Staatsschutzgesetz (PStSG) werden nicht nur (schon bisher bestehende) österreichische Geheimdienste zusammengelegt, sondern ihre Befugnisse werden auch deutlich erweitert, unter anderem die gesetzliche Erlaubnis, ohne richterliche Kontrolle Personen auszuspionieren und zu überwachen, nur um „die Wahrscheinlichkeit (!) eines verfassungsgefährdenden Angriffs“ festzustellen. Im Rahmen regelmäßiger Besprechungen und Übungen wird die Koordination und Zusammenarbeit verschiedener Einsatzdienste (Rettung, Feuerwehr, Zivilschutz usw.) mit Polizei und Militär verbessert – ausdrücklich auch im Zusammenhang mit eventuellen Ausnahmezustands- oder Notstandssituationen. Wenn wir die Entwicklung in anderen EU-Ländern beobachten, können wir schon heute sehen, was die österreichische Bourgeoisie in nächster Zeit noch alles vorhat: In Frankreich wird gerade das Strafrecht drastisch verschärft – siehe dazu den Artikel in dieser Nummer weiter hinten! In Ungarn, Polen, Lettland usw. werden die Massenmedien defakto einer Zensur unterworfen, in Frankreich erfolgt die Gleichschaltung der Medien, besonders der Fernsehstationen, im Zusammenhang mit Terrorismus-Hetze und (mindestens) sechsmonatigem Ausnahmezustand. In Portugal „regiert“ der Präsident mit Notverordnungen, um eine „linke“ Regierung zu verhindern. In Deutschland werden faschistische Parteien und Organisationen aufgebaut (NSU, AfD) und alte gefördert (NPD), um Einsatzgruppen für das Grobe zur Hand zu haben. Im Großraum Paris werden neue Siedlungen in den Banlieues von vornherein so gebaut, dass ihre Abriegelung, der Militäreinsatz gegen sie, ihr Ausspionieren durch Blockwarte usw. erleichtert werden. „Die Wahrheit verpflichtet euch zuzugeben, dass die österreichische Sozialdemokratie heute politisch bankrott ist.“ Flugblatt der IA*RKP, Februar 2016 Georgi Dimitroff: Brief an die österreichischen Arbeiter, 1934 Am 12. Februar 1934 standen zehntausende österreichische Arbeiter/ innen gegen die bürger liche Staatsmacht auf, um die ständigen poli tischen und wirtschaftlichen Verschlechterungen zu stoppen. Die am meisten entschlossenen und klassenbewussten von ihnen griffen zu den Waffen und widersetzten sich den Angriffen der Polizei, des Militärs und der faschistischen Heim wehrtruppen. Drei Tage lang kämpften sie mutig in Wien und mehreren Industriestädten von Niederösterreich, Steiermark, Oberösterreich, Salzburg und Tirol. Doch wegen Zersplitterung, mangelnder Unterstützung und vor allem dem kompletten Fehlen einer zentralen revolutionären Leitung der Kämpfe konnte die faschistische Reaktion siegen und eine austrofaschistische Gewaltherrschaft errichten, die den Nazis den Weg ebnete. Trotzdem war es die erste bewaffnete Erhebung gegen den Faschismus in Europa vor dem Spanischen Bürgerkrieg und den Partisanenkämpfen gegen den Nazifaschismus. Der faschistische Putsch in Österreich kam nicht überraschend, denn bevor die Sozialdemokratische Partei und sämtliche ihrer Unterorganisationen im Februar 1934 verboten wurden, waren schon 1933 die (damals noch revolutionäre) KPÖ, der Republikanische Schutzbund und weitere Arbei ter/innenorganisationen von der rechtskonservati ven Regierung verboten worden. Auch die in Wien alleinregierenden Sozialdemo kraten hatten am 15.Juli 1927 ihre Polizei in de monstrierende Arbeiter/ innen schießen und mit Säbelattacken niedermetzeln lassen – mit fast 100 Tote und über 1000 Verletzten wurde die bürgerli che Unterdrückerordnung wieder hergestellt. 1930 verkündete der rechte Flügel der heutigen ÖVP (die damalige „Heimwehr“) einen „Marsch auf Wien“ und schworen im Korneuburger Eid die Beseitigung des „westlichen demokratischen Parlamentarismus und Parteienstaats“. Damit ging eine Welle der faschistischen Morde an klassenbewussten Arbeiter/innen los, 1933 wurde u.a. ein Massenstreik der Eisenbahner/innen staatlich niedergeschlagen und im Jänner 1934 ein allgemeines Versammlungsverbot von der damaligen christlichsozialen (heute ÖVP) Regierung DollfußSchuschnigg erlassen. Die Polizei führte ständige Hausdurchsuchungen in Ve r s a m m l u n g s r ä u m e n und Wohnungen der bereits verbotenen revolu tionären und kommunistischen Organisationen, aber auch in Parteilokalen der SP durch – bis sich Linzer Schutzbündler am 12.2. bewaffnet wehrten und die Wiener E-Werker/ innen den Strom abdreh ten, das Zeichen zum Generalstreik für den Sturz der Regierung. In einem ausführlichen „Brief an die österreichi schen Arbeiter“ nennt Georgi Dimitroff, der da malige Vorsitzende der Kommunistischen Interna tionale, die wichtigsten Gründe für die Niederlage im Kampf gegen die Fa schisierung des österreichi schen Staates, insbesonde re: die Desorientierung des Kampfs der Arbeiter/innen durch die dominierende Sozialdemokratie, das stän dige Zurückweichen vor den Angriffen der Reaktion, das mangelnde Vertrauen in die Kraft der Massenmobi lisierung vor dem 12.2. und die defensive Ausrichtung des bewaffneten Aufstands ohne klare politische Ziele. Wenn wir die heutige Situation in Österreich und EUropa mit der damaligen vergleichen, sind wir meilenweit davon entfernt, dass sich hier Tau sende revolutionär oder auch nur antifaschistisch gesinnte Arbeiter/innen bewaffnet gegen die seit Jahrzehnten andauernden politischen und wirtschaft lichen Verschlechterungen erheben. In Frankreich wird der monatelange „Ausnahmezustand“ samt Versammlungsverbot, Bespitzelung und Polizeiterror ohne richterliche Verfügung gerade zum Normalzustand; in Polen werden und in Ungarn Proletarische Revolution 62 wurden grundlegende demokratische Rechte per Gesetzesänderung abgeschafft; in Österreich werden z.B. die Polizeibefugnisse immer weiter ausgedehnt (Bespitzelung durch immer genauere Geräte, Datenspeicherung, V-Leute…), die Inlandsgeheim dienste (Staatsschutz) zusammengelegt, alle Reisebewegungen immer genauer überwacht und eingeschränkt, die Polizei mit Militärwaffen aufgerüstet und das Militär für Inlandseinsätze herangezogen. Seit Jahrzehnten, insbesondere aber seit Ausbruch der Wirtschaftskrise 2008, werden die Lebensbedin gungen von durchschnittlichen Arbeiter/innen und kleinen Angestellten immer weiter gesenkt. Die Situation der ärmsten 10-20% hat sich in den letzten Jahren dramatisch verschlechtert – Mindest einkommensbezieher/innen können sich und ihren Kindern schon lange keine ausreichende Versorgung mehr sichern. Gründe für entschlossene Massenaktionen von Arbeiter/innen, Werktätigen und Erwerbslosen gäbe es genug. Aber die allgemeine Ratlosigkeit wird derzeit bei uns nur in kleinen und politisch bisher unbedeutenden Gruppen zu überwinden versucht. Nur wenige erkennen bewusst, dass wir in einer Klassengesellschaft leben, wo die immer weiter gesteigerte Ausbeutung der Arbeiter/innenklasse durch den bürgerlichen Staat gesichert wird und zu immer größerem Reichtum und Kapitalanhäufung einer immer kleineren Klasse von Aktienbesitzern und anderen Kapitalisten führt. Aber an der mittelfristig immer weiter sinkenden Wahlbeteiligung zeigt sich, dass große Teile der Arbeiter/innenklasse vor allem die jüngeren, jedes Vertrauen in die Parlamentsparteien verloren haben, die den Arbeiter/ innen und Volksmassen vorher alle möglichen Versprechungen machen, aber nachher die Politik der Banken und Konzerne umsetzen – krassestes Beispiel derzeit Griechen land… Bloßer Widerstand führt mittelfristig in die sichere Niederlage, wenn es nicht den entschlossensten Elementen gelingt, eine Bewegung in die Offen sive, zum Angriff zu führen, breite Massen in den Kampf zu ziehen, bevor die Kräfte ermatten. Der bürgerliche Staatsapparat ist mit seinen Möglichkeiten der Massenbeeinflussung, den geschulten Aufsehern und Ordnern und bewaffneten Verbänden ein gefährlicher Gegner. Aber er dient im Kern nur einer sehr kleinen Klasse von kapitalistischen Ausbeutern, deren Interessen die ganze staatliche Politik und alle traditionellen Parteien untergeordnet sind. Seine Schwäche be steht vor allem darin, dass die gesamte Triebkraft die ständige Jagd nach Maximalprofit ist. Gerade in Krisenzeiten, wo die Profitaussichten schwächeln, können von den Herrschenden nur sehr beschränkt Zugeständnisse an die Ausgebeuteten und Unterdrückten gemacht werden, ohne die „Wettbe werbsfähigkeit“ am Weltmarkt zu verlieren. Sie müs sen bei fallenden Profitraten die Angriffe auf die Arbeiter/innenklasse weiter steigern, d.h. die große Mehrheit der Volksmassen in Österreich immer noch ärger schikanieren: Bei der Arbeitshetze, Reallohnsenkungen, Arbeitszeitverlängerung (pro Tag, Woche und Lebensarbeitszeit), Kürzung der Sozialversorgung, Verschlechterung der öffentlichen Bildung und Krankenversorgung usw. Wir Revolutionären Kommunist/innen versuchen im Kampf gegen die ständigen Verschlechterungen immer mehr Betroffene einzubeziehen und gleichzeitig die bewusstesten Teile von der unbedingten Notwendigkeit einer offensiven politischen Orientierung zu überzeugen. Für uns ist das nächste Ziel die Umwälzung aller bestehenden Verhältnisse in einer proletarischen Revolution unter Beteiligung großer Teile der Arbeiter/innenklasse, um in einer sozialistischen Gesellschaft das kapitalistische Prinzip der Warenbeziehungen und Ausbeutung des Menschen durch den M e n s c h e n überhaupt zu beseitigen. Broschüre der MLPÖ mit dem Dimitroff-Brief von 1934 und Text aus der RF 149 (1974); Nachdruck erhältlich in der Marxer Lesestube (Adresse siehe letzte Seite!) Flugblatt zur Kundgebung am 14.März, Liesinger Platz, 1230 Wien Schluss mit der rassistischen-faschistischen Hetze gegen Flüchtlinge! 10 Die Faschisten marschieren wieder – allein in den ersten zwei Monaten des Jahres 2016 hat es mehr rassistische Aufmärsche von Pegida, Identitären, Partei des Volkes, FPÖ und NPÖ gegeben (30) als im ganzen Jahr 2015 (14)! Die Wahlerfolge im Parlament reichen ihnen nicht mehr – sie drängen zunehmend auf die Straße. Rückenwind bekommen sie von den Regierungsparteien SPÖ und ÖVP, die mit ihrer immer restriktiveren Flüchtlings politik und der „Das Boot ist voll“ Stimmungsmache den rassistischen Mob immer mehr aufstacheln. Für den 14.03.2016 hat die FPÖ eine Großkundgebung gegen die Flüchtlingsunterkunft in der Ziedlergasse in Wien-Liesing angekündigt. An dem widerlichen HetzAufmarsch werden neben FPÖ-Chef H.C.Strache auch der deutschnationale Burschenschafter und FPÖPräsidentschaftskandidat Norbert Hofer1 und Johann Gudenus erwartet. Die FPÖLiesing hat bereits gedroht: „Was die Dresdner können, schaffen wir, wenn es sein muss, auch.“ In Deutschland wurden 2015 mehr als 1200 Angriffe auf Flüchtlinge und ihre Unterkünfte gezählt. Für Österreich gibt es von offizieller Sei- te keine direkten Vergleichs zahlen. Auch wenn die Zahl geringer ist, heißt das nicht, dass der reaktionäre, faschistische Hass sich nicht jederzeit auch hier in massiven Gewalttaten entladen kann. Die Flüchtlingsunterkunft in der Ziedlergasse wurde bereits mit rassistischen Parolen beschmiert. Stellen wir uns dem rassistischen Terror egal an welchem Ort entgegen! Solidarisch mit allen geflüchteten Menschen sein! Aber auch noch so große Einsatzbereitschaft führt keine politische Lösung herbei und ändert nichts an den Fluchtgründen. Immer mehr Menschen werden aus den Neokolonien fliehen, weil dort die Lebenssituation für die Volksmassen ständig unerträglicher wird – auch wenn die Imperialisten gerade keine Kriege führen, sondern „nur“ die alltägliche Ausplünderung vorantreiben. Die Arbeiter/innen und Volksmassen in den imperia listischen Metropolen müssen sich bewusst werden, dass das kapitalistisch-imperialistische Weltsystem die Ursache für das zunehmende Elend in allen Ländern, auch innerhalb der EU, vor allem aber in den abhängigen und von Kriegen geschüttelten Ländern ist. Solange der Imperialismus weiter besteht, wird es keinen Aus weg aus dieser Misere geben, denn es ist nicht nur die falsche Politik „unserer“ Regierungen, die dieses Elend hervorbringt. Es sind die Konkurrenzverhältnisse im Kapitalismus, die sich im imperialistischen Stadium aufs äußerste verschärfen und die herrschenden Klassen dazu zwingen, die Ausbeutung und Ausplünderung im Wettbewerb rücksichtsloser als ihre Konkurrenten voranzutreiben. So werden das Elend in den Neokolonien und die imperialistischen Raubkriege erst ein Ende finden, wenn es der Arbeiter/innenklasse und den Volksmassen gelingt, die Herrschaft des Kapitals in einer proletari schen Revolution zu stürzen. Dafür arbeiten und kämpfen wir. Grenzen auf für alle Flüchtlinge! Demokratische Bürgerrechte sofort für alle MigrantInnen! Lasst Internationale Solidarität lebendig werden – Kommt alle zur anti-faschistischen Kundgebung gegen den Aufmarsch der Faschisten und Reaktionäre! Hofer ist Mitglied der deutschnationalen Burschenschaft „MarkoGermania Pinkafeld“ 1 Proletarische Revolution 62 Das Asylrecht ist abgeschafft. Im Februar 2016 wurde das (ohnehin verstümmel te) demokratische Asyl recht von der FaymannRegierung abgeschafft. Das Asylgesetz 2005, das auf der Genfer Flücht lingskonvention 1951 beruht, die von 147 Staaten unterzeichnet wurde, ist seither in Österreich totes Recht. Seit Februar 2016 gibt es in Österreich kei nen Schutz mehr für „Men schen, die gezwungen sind, ihr Land zu verlassen, um Zuflucht vor Verfolgung wegen ihrer Rasse, Re ligion, Nationalität, politischen Überzeugung oder Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Grup pe zu suchen“. Und das in einer Situation mit „zuneh menden Einsatz von Krieg und Gewalt als Mittel zur Durchsetzung einer Politik der Verfolgung von Gruppen, gegen die wegen ihrer Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder ihrer politischen Überzeugung vorgegangen wird.“ (http://www.unhcr.at/mandat/genfer-fluechtlingskonvention.html) Österreich war nicht das erste Land, das in der EU das Asylrecht praktisch abgeschafft hat, einige Länder der Visegrad-Gruppe (wie Ungarn) waren beim Aufbau von Zäunen und Einsatz von Militärs zur Flüchtlingsabwehr etwas schneller. Aber das imperialistische Österreich ist hinsichtlich seiner öko nomischen und politischen Stellung in Ost- (und Südost-)Europa klar die Hege- monialmacht, deren Entscheidungen durchschlagend sind. Statt einer Aufnahme und Erstversorgung der Heimatvertrieben in Österreich zu gewährleisten, um das Asylverfahren einzuleiten, werden Flüchtlinge an der Grenze in Anhaltelager gesperrt, die vom Militär kontrolliert werden. Mit dieser aggressiven österreichischen Politik werden auch jene reaktionären Kräfte in allen Balkanstaaten gefördert und bestärkt, die in ihren Ländern – gegen die demo kratische Volksbewegung – eine Militarisierung und weitgehende Schließung der Grenzen für Schutz suchende betreiben. Es ist dringend notwendig, dass möglichst viele fortschrittliche Menschen immer wieder auf die Stra ße gehen und öffentlich diese reaktionäre Regie rungspolitik verurteilen. Es ist dringend notwendig, dass sich Gruppen und Organisationen zusammen finden, um gemeinsam Demonstrationen des de mokratischen Willens des Volkes durchzuführen, die den reaktionären Hetzern und der Regierungspoli tik entgegentreten. Es ist dringend notwendig, eine breite Front basisgewerk schaftlicher, sozialisti scher, revolutionärer und kommunistischer Organi sationen aufzubauen, die durch Massenmobilisierun gen aller Art Druck auf die Regierung ausübt, das Asylrecht in Österreich zu mindest in der (miesen, löchrigen und willkürlich interpretierbaren) bisher bestehenden Version des Asylgesetzes 2005 als rechtsgültiges und praktisches demokratisches Recht wieder einzuführen. Unser Weg ist die unbedingte Solidarität mit Arbeiter/innenklasse und Volksmassen in abhängigen Ländern, insbesondere jenen, wo der österreichische und der EU-Imperialismus Mitverursacher für Not, Elend, Terror, Hunger und Krieg sind. Unsere politische Orientierung in diesem demo kratischen Kampf lautet zusammengefasst: Demokratisches Asylrecht für alle vom Imperialismus und seinen Lakaien verfolgten und vertriebenen Menschen! Flugblatt März 2016 Die österreichische Leitkultur gilt verpflichtend für alle. 11 Asylabschaffung und Demokratieabbau Die österreichische Leitkultur gilt verpflichtend für alle. Es wird nicht „nur“ an allen Grenzen wieder scharf kontrolliert und zurückgewiesen (wie zu Zeiten des Kalten Kriegs), sondern auch im Inland fahren die Herrschenden mit neuen Geschützen auf. Parallel zur massiven staatlichen Propaganda für den Ausbau der „Festung EUropa“ gegen die Opfer der von Österreich und der EU verursachten Kriege (und der daraus entstehenden Massenflucht-Bewegung) werden die bereits im Land befindlichen Flüchtlinge (und Migrant/innen) drangsaliert. Das Motto lautet: Anpassung an die europäischen Werte und die österreichische Kultur! Aber was ist diese österreichische Kulturtradition? …dass Frauen und Kinder geschlagen und sexuell missbraucht werden? – das „dürfen“ bei uns nur „Familienoberhäupter“, besoffene („weiße“) Männer, Pfarrer und Mönche. …dass auffällige Nachbarn vernadert werden? ...dass statt offener Kritik eine hinterfotzige Freundlich- 12 keit und Hackl ins Kreuz übliche Umgangsformen sind? …dass Parkwächter und Securities aller Art den Obdachlosen ihren Besitz wegnehmen und in den Mist schmeißen? …dass bewaffnete Ordnungshüter jugendliche Einbrecher erschießen und „fremd aussehende“ Menschen terrorisieren und zum Krüppel schlagen? usw. Das alles gehört zur österreichischen Kulturtradition, ist zwar zum Teil gesetzlich verboten, im Alltag aber weitgehend geduldet – solang Einheimische die Täter sind. Im Zusammenhang mit Anpassung von Flüchtlingen und Zuwander/innen an die „österreichischen Werte“ ist allerdings was ganz anderes gemeint: Flüchtlinge und Migrant/ innen müssen untereinander Deutsch reden (z.B. im Schulhof), sie dürfen „unsere Weiber“ nicht ansprechen, müssen sich beim Scheißen gefälligst auf die Klobrille hinsetzen, sie müssen in der Straßenbahn aufstehen, sollen nicht so ein Theater wegen ein bissl Schweinefleisch in der Wurstsemmel machen und vor allem müssen sie vor jeder Obrigkeit (und dazu gehören alle Einheimischen – denen man das ansieht!) kuschen und tun was man ihnen sagt. Das ist natürlich nicht Staatsrassismus! Weil Menschen rassen gibt es ja gar nicht, und wenn doch, dann sind alle gleich… Vor allem sind Moslems bekanntlich keine Rasse. Aber diese rückständige, mittelalterliche Kultur aus dem Orient darf unser Land nicht überfluten! Im letzten Jahr wurde von der herrschenden Kapitalistenklasse bzw. ihren Parlamentsparteien eine wahre Flut von Gesetzen und Verordnungen verabschiedet, die sich vor dergründig gegen „rückständige, uneuropäische Kulturtraditionen“ richten, in Wirklichkeit vor allem aber zur Spaltung der Arbeiter/innenklasse dienen. Das geschieht nicht nur in Österreich, sondern planmäßig in der ganzen EU (von Ungarn bis Schwe den und England). Noch vor 20 Jahren haben rassistische Hetzer oft mit Begriffen wie „Umvolkung“, oder pseudowissenschaftlicher mit „Verseuchung des Genpools“ um sich geschmissen. Die neue Hetzergeneration, sowohl in der FPÖ als auch bei neofaschistischen Gruppierungen wie den „Identitären“ usw., beziehen sich – wie die Regierungsparteien auch – eher auf Kulturunterschiede, schwafeln von der bedrohten „kultureller Identität“ und ähnlichem. Der klassische, biologistische Rassismus aus dem 19. und 20. Jahrhundert, der behauptete, dass es verschiedene Menschen rassen gebe (bei denen Hautfarbe und Körperbau mit bestimmten intellektuellen und charakter lichen Eigenschaften zusammenhänge), hat sich in der politischen Ausein andersetzung nicht mehr als wirksam erwiesen und ist mit dem Aussterben der Proletarische Revolution 62 letzten Hitler-Mitkämpfer als gesellschaftliche Strömung weitgehend unbedeutend. Aber die Spaltung der Arbeiter/innen und Werktätigen nach angeblichen (stabilen) kulturellen Eigenheiten ist in ihrer Wirkung keineswegs harmloser. Vielfach wird zusätzlich ei ne formale Religionszugehörigkeit hervorgehoben, z.B. betont Strache die Zugehörigkeit „der Serben“ zum Christentum, um Men schen aus mehrheitlich islamischen Bevölkerungs gruppen auszugrenzen. Immer stärker werden Religionen zur Spaltung der Volksmassen eingesetzt, weil sie die Frustrierten auf ein besseres „Jenseits“ (nach dem Tod) orientieren: Abgesehen von den jährlichen Millionen an die katholische Kirche wird z.B. auch das saudische religiöse Verhetzungszen trum in Wien massiv aus Steuergeldern gefördert. Gleichzeitig nimmt aber das Islamgesetz direkt Einfluss auf die islamische Religion – alle anderen Re ligionen in Österreich sind davon nicht betroffen. Der Islam ist ja das Opium der am meisten geknechteten und ausgebeuteten Teile der Arbeiter/innenklasse in Österreich; die islamische Religion ist ein Zufluchtsort für viele Ausgebeu- tete, die an der österrei chischen Realität und Lebensperspektive ver zweifeln. Deshalb wurde dieses Opium-Kontrollgesetz einge führt … Da es bei der spalterischen Hetze vor allem um „Kul tur“ geht, ist es auch unerheblich, dass mehr als die Hälfte der in Wien lebenden angeblichen „Moslems“ zu keiner Moschee gehören und auch nie am Freitag in eine gehen … Aber trotzdem sind sie die Sündenböcke für alle möglichen Missstände im Kapitalismus – z.B. Schuld an der Arbeitslosigkeit, der Kürzung der Sozial leistungen, der Erhöhung der Tarife für Strom, Gas Wasser, Öffis und was sonst noch! Es ist eine ernste und dringende Aufgabe für alle Demokrat/innen, nicht nur in solidarischer Kleinarbeit verschiedene Akti- vitäten zur Unterstützung von Kriegsflüchtlingen und Heimatvertriebenen durchzuführen. Es geht heute darum auch direkt den Hetzern und Spaltern entgegenzutreten. Diese übernehmen die Drecksarbeit für die Herrschenden, die in der Krise umso ungebremster die Ausbeutung und Ausplünderung steigern können, je uneiniger und verwirrter die Arbeiter/innenklasse und Volksmassen in Österreich sind. Wenn wir eine wirkliche Veränderung und eine Überwindung der bestehenden kapitalistischimperialistischen Verhältnisse erreichen wollen, müssen wir heute gegen die vorgehen, die es der Regierung ermöglichen, immer mehr demokratische Rechte einzuengen, zu beschneiden und abzuschaffen. Jeder Angriff der Unterdrücker gegen unsere Kol leg/innen ist ein Angriff auf uns alle! Arbeiter/innen aller Länder, vereinigt euch! 13 „Unsere Entschlossenheit ist total. Wir gehen bis ans Ende... Wir sind im Krieg.“ (Premierminister Valls in seiner Fernsehansprache an die Nation am 26.12.2015) Reaktionärer Schub in Frankreich Noch am Abend der Attentate des 13. November 2015 in Paris hatte Präsident Hollande den „Krieg gegen den Terrorismus“ und speziell den Ausnahmezustand in Frankreich ausgerufen, der kurz darauf von der Nationalversammlung nahezu einstimmig um drei Monate, bis Ende Februar, verlängert wurde 1. Wie zu erwarten und sogar von vielen bürgerlich-demokratischen Kreisen vorausgesagt bzw. kritisiert, hat er nichts, aber auch schon gar nichts in puncto Bekämpfung des djihadstischen Terrorismus gebracht - viel hingegen in puncto Verpolizeistaatlichung und Militarisierung der Gesellschaft. Im Februar wurde er um weitere drei Monate verlängert - nicht trotz seiner Sinn- und Nutzlosigkeit gegenüber dem Terrorismus, sondern wegen seiner absoluten Sinn- und Nutzhaftigkeit für die weitere tendenzielle Faschisierung von Staat und Gesellschaft. Und da zwischen Mitte Juni und Mitte Juli 2016 die Fussball-Europa-Meisterschaft in Frankreich ausgetragen wird, ist heute schon mit einer weiteren Verlängerung des Ausnahmezustandes Ende Mai zu rechnen. Allmählich wird er so zum Normalzustand. Zur Ausforschung der Pariser und sonstiger IS-Terroristen trugen der Ausnahmezustand bzw. die durch ihn ermöglichten und bewirkten polizeilichen und militärischen Sondermaßnahmen gar nichts bei. Um herauszufinden, dass die Attentate von französischen Staatsbürgern von Brüssel aus geplant und organisiert worden waren und wer genau die konkreten, dabei umgekommenen Terroristen bzw. weitere Drahtzieher waren, hätte man nicht den Ausnahmezustand gebraucht. Auch zur Ausforschung und Bekämpfung eventueller zukünftiger djihadistischer und speziell IS-Terroristen trug und trägt er nichts bei. Aber er bedeutete eine Sturmflut an politischer und ideologischer Reaktion und eine qualitative Verschärfung der Militarisierung und tendenziellen Faschisierung von Staat und Gesellschaft: Allgegenwärtigkeit von schwer bewaffnetem Militär und Polizeiapparat im öffentlichen Raum, massenhafte polizeiliche und gerichtliche Übergriffe und Aggressionen (und nicht zu knapp auch solche der rassistischen und faschistoiden Teile der von manchen so hoch geschätzten Zivilgesellschaft!), Verschärfung der militaristischen, chauvinistischen und rassistischen Hetze des Staatsapparats, der Politikerkaste und der Medien. Reihenweise wurden Demonstrationen und Versammlungen verboten, Militante festgenommen oder durch Hausarrest „außer Gefecht gesetzt“, Versammlungslokale und „Treffpunktbars“ usw. geschlossen, Publikationsmaterialien und andere Infrastruktur beschlagnahmt, beschädigt und vernichtet, jegliche regierungs- und/ oder kapitalismusfeindliche bzw. sogar nur irgendwie kritische Aktion, Bewegung, Organisation eingeschüchtert, drangsaliert und streckenweise regelrecht terrorisiert. Auch bürgerlich-demokratische Kräfte wie z.B. die Anti-AKW-Bewegung „Sortir du nucléaire“ und andere umweltbezogene Bewegungen, speziell im Zusammenhang mit dem sogenannten „Klimagipfel“ in Paris, Frauenbewegungen, die Sans-papiersBewegung und selbstverständlich jede praktische Regung gegen den Ausnahmezustand selbst wurden Ziel von Repression und polizeilicher Gewalt. Viele ließen sich allerdings dennoch nicht daran hindern, von Beginn an in geeigneten Formen und mehr oder weniger entschieden und bewusst dagegen aufzutreten. Laut Einsatzbilanz des Innen- und Justizministeriums kam es per Mitte Februar zu • 3.340 meist nächtlichen Hausdurchsuchungen - alle begründet bloß mit der "öffentlichen Ordnung" und dem "allgemeinen Interesse", nicht etwa mit einem konkreten Verdacht auf terroristische Aktivitäten Zu den Attentaten und den ersten Tagen danach sowie zur Bedeutung des Ausnahmezustands siehe PR 61: „Attentate in Paris - der Funkenflug wird stärker“ 1 14 Proletarische Revolution 62 • 366 Festnahmen, wovon 316 "nur" in (bis zu 48stündigem) Polizeigewahrsam mündeten, 51 in Untersuchungshaft (anscheinend ein kleiner Rechenfehler der Ministerien!) • 563 Strafverfahren, die sich auf alles Mögliche bezogen (187 Fälle von illegalem Waffenbesitz, 167 Verstöße gegen das Rauschgiftgesetz, ansonsten das Übliche wie Störung der öffentlichen Ordnung, Landfriedensbruch, Widerstand gegen die Staatsgewalt ...), aber nur in 5 (!) Fällen auf einen Terrorismusverdacht2 Darunter viele Verwaltungsstrafverfahren, aber auch • 73 Schnellgerichtsverfahren aus dem Polizeigewahrsam heraus und • 65 ordentliche Strafgerichtsverfahren • 382 Fällen der Verhängung von "assignation à résidence", einer Art Hausarrest3 - davon Anfang Februar 290 noch aufrecht und dies in den meisten Fällen bis zum (ungewissen) Ende des Ausnahmezustands4. Die Masse der Razzien, Hausdurchsuchungen und Festnahmen konzentrierte sich auf die ersten Tage und Wochen nach den Attentaten und verdünnte sich dann. Was es aufzubrechen, zu stürmen, zu durchsuchen, zu beschlagnahmen gab und wen es festzunehmen und anzuklagen galt, war dann weitgehend erledigt - und noch breitflächiger vorzugehen und alle angeblich schon einmal polizeilich erfassten Menschen mit dem Sicherheitsvermerk „S“ und einem angeblich islamistischen „Hintergrund“ in ähnlich intensiver Weise zu malträtieren, hätte - es wären dies nämlich angeblich 11.700 Personen (von insgesamt 20.000) gewesen - selbst bei noch so viel hysterischem Eifer die Polizei- und Armeekräfte überfordert bzw. sie gezwungen, andere „wichtigere“ Aufgaben zu vernachlässigen wie die Vereinnahmung bzw. Einschüchterung des „öffentlichen Raums“ durch tausendfache Polizeipräsenz. Da aber immer mehr Stimmen, auch viele bürgerlichdemokratische und sogar bourgeoise, über den Ausnahmezustand und seine „Sinnlosigkeit“ bezüglich der Terroristenbekämpfung murrten und die Regierung keinen ernsthaften Erfolg an der Terrorismus-Front vermelden konnte, sah sich Hollande veranlasst, doch noch auf diese „Gefährder“ zurückzukommen und dem Staatsterrorismus nochmals neuen Schwung und neue Munition zu geben. Am 4.2. entschied er, schrittweise auch diese 11.700 Menschen (und zweifellos auch die restlichen 8.300!) unter elektronische Überwachung zu stellen (von der Telekommunikation bis zu den Bankkonten und Kreditkarten)5. Was aber hat das alles mit dem IS- und sonstigem islamistischen Terrorismus zu tun? Es wurden, heißt es, bis Mitte Jänner 500 illegale Waffen (darunter 40, die angeblich unter das Militärwaffengesetz fallen) und 202 Drogen gefunden, aber nicht ein einziger Terrorist6. Diesbezüglich bestand die Ausbeute nur in 25 meist aus der Luft gegriffenen Fällen von „Verdacht“ terroristischer Aktivitäten oder deren angeblicher Vorbereitung oder auch nur des Liebäugelns damit, aber auch banal „verdächtiger“ Anschauungen, Verhal- Die Polizei versuchte zeitweilig, eine Brücke zu schlagen vom Rauschgift zum Terrorismus, indem Drogenhandel zur Finanzierung terroristischer Aktivitäten „vermutet“ wurde, aber alle diesbezüglichen „Ermittlungen“ wur den inzwischen wieder eingestellt. 2 Hausarrest bedeutet in der Regel absolutes nächtliches Ausgehverbot, mehrmalige Meldepflicht bei der Polizei tagsüber, häufig elektronische Armfesseln. Er zielt oft auf die banale Ausschaltung von Aktivisten. So wurden z.B. eine Woche vor dem „Klimagipfel“ 24 „Umweltschützer“, die die Regierung für ein „wirkliches Problem für die öffentliche Ordnung“ hielt, auf diese Weise ausgeknockt. Alle rechtlichen Einsprüche dieser 24 (wir sind ja bekanntlich in einem Rechtsstaat!) wurden abgeschmettert. 3 Einige, sehr wenige und besonders willkürliche Fälle, die sogar in den Bourgeoismedien zu Schluckauf geführt hatten, wurden in Berufungs- bzw. Beschwerdeverfahren von höherer Stelle wieder aufgehoben, die allermei sten allerdings wurden vom „Rechtsstaat“ im Stundentakt abgenickt. 4 Sogar im Staatsapparat gibt es Zweifel über die Sinnhaftigkeit dieser Maßnahme und wird sie eher für einen neuen politischen und ideologischen Keulenschlag gehalten. Diese 11.700 Sicherheitsvermerke seien außerdem gar nicht Ergebnis konkreter Ermittlungen, sondern eines „empirischen Algorithmus“, entstanden aus Vermu tungen und zufälligen Beobachtungen, Vernaderungen usw., also „Beweismaterial“, wie man es z.B. der DDRStasi zuschrieb, aber genauso bei der österreichischen Polizei findet, ein faschistoider „Raster“ halt. 5 15 Frankreich - Faschisierung und Demokratieabbau tensweisen, Kleidungsgewohnheiten usw. Trotz des wie üblich sehr beliebig gefassten Terrorismus-Begriffs und der Hitze des Gefechts kam es aber nur in 4 Fällen zur Anklage. Und auch in diesen Fällen ist unbekannt, ob die Staatsmacht nicht etwa z.B. kurdische Aktivisten im Visier hat und gerade nicht ISler. Jedoch steht der Ausnahmezustand für Rassismus und faschistoide Polizeimethoden. Zwar wurden „staatsgefährdende“ Aktivitäten, Materialien, Organisationen jeder Art ins Visier genommen, gleichgültig, ob mit arabischem bzw. afrikanischem Hintergrund oder nicht, aber wieder zielte die reaktionäre Dampfwalze in erster Linie auf Araber und Afrikaner. Viele „Verdachtsfälle“ waren pure Erfindungen rassistischer Nachbarn, Arbeitskollegen oder Bosse7. Die Polizei ging mit unglaublicher Brutalität vor: Türen wurden, bevor die Gesuchten öffnen konnten (mitten in der Nacht!), eingetreten, eingeschossen und aufgesprengt, es wurden in der Hitze des Gefechts auch gerne einmal die falschen Türnummern bzw. Menschen erwischt, einige Menschen wurden durch Schüsse und Splitter verletzt, viele traumatisiert, sie mussten sich niederknien (und wurden manchmal verhöhnt, dass sie nicht in Richtung Mekka knieten) und/oder wurden an Heizkörpern usw. angekettet, während ihre Wohnungen durchsucht und vorsätzlich verwüstet wurden8, sie wurden - oft absichtlich vor den Augen ihrer kleinen Kinder - gefesselt und in Handschellen abgeführt. Ein aus Tschetschenien stammendes Ehepaar mit zwei Kindern wurde bei so einem Polizeiüberfall neuerlich schwer traumatisiert, weil - wie die Frau sagte - sie sich beim Erwachen plötzlich wieder wie in Grosny fühlten. Die Zeitung Le Monde schrieb in einem Anflug von bürgerlicher Rechtsstaatlichkeit und schlechtem Gewissen am 21.12. 2015 einen Artikel mit der Überschrift „Improvisation, Pfusch, Brutalität“ und berichtete ab 23.11. in einer (inzwischen nicht mehr auffindbaren) Rubrik „Observatorium des Ausnahmezustandes“ über besonders schwere Übergriffe der Staatsmacht - und auch einige skurrile wie z.B. die Festnahme eines orthodoxen Geistlichen, der wegen seiner schwarzen Kleidung und Kapuze in den Verdacht des Islamismus geriet, oder die gewaltsame „Erstürmung“, heißt Zertrümmerung der unverschlossenen Tür eines Übrigens fragen sich manche: Wie blöd muss ein Terrorist, ein Möchte-gern-Terrorist oder sonst jemand sein, dass er in einer solch brisanten Situation Waffen, Dokumente, Unterlagen etc. bei sich zu Hause aufbewahrt? Deshalb fragen sich auch manche: Stimmt überhaupt, was der Polizeiapparat an Erfolgen meldet? 6 Ein Beschäftigter namens Nacer bei der Wasserversorgung von Aix-en-Provence, die vom Veolia-Konzern gemana get wird, wurde beschuldigt, einen islamistischen Terroranschlag und die Verseuchung des städtischen Trinkwassers geplant zu haben. Tatsächlich war er nachts bei einem unerlaubten Aufenthalt auf dem Firmengelände mit einigen Plastikbehältern erwischt worden. In Wirklichkeit litt er unter einer schweren Hauterkrankung, die er auf die Che mikalien zurückführte, mit denen bei der Wasseraufbereitung hantiert wurde. Er hatte mehrmals eine unabhängige Laboruntersuchung dieser Chemikalien gefordert, was aber von der Betriebleitung stets abgelehnt worden war. Also nahm er die Sache selbst in die Hand und verschaffte sich „illegale“ Proben. Fälle wie diese gibt es viele. Auch Kapitalisten nutzen die Gunst der Stunde. (Quelle: Dossier „Observatorium des Ausnahmezustandes“ der Zeitung Le Monde) 7 Nur als ein Beispiel von vielen der Bericht von Lucien: „Ich ging zur Wohnungstür und sah, dass sie in zwei Teile gespalten war. Dann sah ich einen behelmten und vermummten Mann mit einer Waffe, der mir befahl, mich auf den Boden zu legen. Ich legte mich sofort hin. Dann legten sie mir Handschellen an, hoben mich auf und trugen mich ins Badezimmer. Sie schrien sehr. Sie haben mich vor der Badewanne auf die Knie gezwungen ... Ich hörte großen Lärm aus dem Wohnzimmer, Küche und Schlafzimmer. Glas zersplitterte. Später bemerkte ich, dass Matratzen und Kopfpolster aufgeschlitzt sowie etliche Kleidungsstücke zerfetzt waren, Haushaltsprodukte überall in der Küche verstreut, der Inhalt des Tiefkühlfachs auf den Boden geworfen, die Waschmaschine umgedreht, die Lampen in Wohn- und Schlafzimmer zerbrochen, ebenso einige Möbelstücke ... Sie hatten Lust, sich auf diese Art zu vergnügen ... Welches Interesse gibt es, Sachen kaputt zu machen? Warum sticht man mit Messern in Gebrauchsgegenstände? Was haben sie gewonnen, indem sie meine Vorhänge zerrissen?“ (Quelle: Dossier „Observatorium des Ausnahme zustandes“ der Zeitung Le Monde) 8 16 Proletarische Revolution 62 Frauenhauses für „Frauen in Schwierigkeiten“, weil „besorgte Bürger“ denunziert hatten, dass einige dieser Frauen Schleier trügen. Wozu das alles? Geht es nur darum, dass sich die Sozialdemokratie im Hinblick auf die 2017er Wahlen rechts vom Front National positionieren möchte? Natürlich möchte und betreibt sie das. Sie steht an der Spitze der „Reaktionarisierung“ (ein üblicher Ausdruck in Frankreich) und Faschisierung von Staat und Gesellschaft. Aber um was geht es ihr und der Bourgeoisie über die Wahlen hinaus? Es geht um die Einschüchterung und Terrorisierung von Arbeiter/innenklasse und Volk und speziell deren arabischer und afrikanischer Teile, es geht um die Verbreitung eines Klimas der Unsicherheit und Gefahr (welche aber nicht vom Kapitalismus, sondern von anderen obskuren Quellen her kämen), es geht um die Verbreitung von Hysterie und Denunziantentum, es geht um das Anheizen von Chauvinismus und Rassismus, es geht darum, von den Ursachen der wirklichen Unsicherheit und Gefährdung der Lage von Arbeiter/innenklasse und Volk abzulenken, es geht darum, den Gewaltapparat des Staates scharf zu machen und endlich „robuster“ als bisher zum Einsatz zu bringen, es geht auch um großflächige Übungen für den Bürgerkriegseinsatz, um das Zusammenwirken von Polizei, Militär, Geheimdiensten und weiteren Formationen (Feuerwehr, Rettung, Spitäler ...), es geht darum, die Rechtsentwicklung des gesamten Parteien- und Medienspektrums voranzutreiben. Selten sieht man so deutlich, dass in puncto Reaktion nicht etwa der ultrareaktionäre bzw. faschistoide Front National die Sozialdemokratie und die „Republikaner“ (Sarkozy) vor sich hertreibt, sondern umgekehrt die „sozialistische“ Regierung alle ihre Konkurrenten samt Sarkozy und dem Front National. Angesichts des derzeit gefahrenen Kurses der „Sozialisten“ schauen sowohl Sarkozy als auch LePen ziemlich arm aus. Wieder einmal ist die Sozialdemokratie die politische Speerspitze der imperialistischen Reaktion. Trotzdem wird der Ausnahmezustand als solcher nicht ewig aufrechtzuerhalten sein. Daher müssen Gesetze und Verfassung geändert werden, um die Chose „nachhaltig“ zu machen. So brachte die „sozialistische“ Regierung Ende Dezember eine Strafrechtsreform in die Nationalversammlung (Parlament), die vorsieht, dass der Ausnahmezustand für einen erheblichen Teil aller Maßnahmen, für die er bisher benötigt wurde, in Zukunft nicht mehr benötigt wird (weitere Entmachtung der Untersuchungsrichter zu Gunsten der Polizei, generelle Erweiterung der Polizeibefugnisse, Erleichterung der Internetüberwachung sowie des Abhörens von Personen und Räumen, nächtliche Hausdurchsuchungen, Leibesvisitationen und Durchsuchung von Fahrzeugen ohne konkreten Verdacht einer Straftat, zeitweiliger Polizeigewahrsam ohne Recht auf einen Anwalt, Verhängung des Hausarrests ....). Im Jänner folgte dann das „Verfassungsprojekt zum Schutz der Nation“, das nunmehr den Ausnahmezustand ausdrücklich in die Verfassung hineinschreibt und ihn damit verfassungsrechtlich absichert und festlegt, dass er vom Parlament ad infinitum jeweils für weitere längstens vier Monate (bisher drei) verlängert werden darf. Zweitens beinhaltet das Verfassungsprojekt die Möglichkeit des Entzugs der Staatsbürgerschaft im Falle einer Verurteilung wegen „Terrorismus“. Ursprünglich - angeblich! nur Menschen mit Doppelstaatsbürgerschaft zugedacht9, nahm die Regierung seit Dezember darauf Kurs, diese Keule auf alle unliebsamen Franzosen auszudehnen und brachte auch einen solchen Geset- Ca. 3,3 Millionen Franzosen haben eine Doppelstaatsbürgerschaft, davon zwei Drittel magrebinische, 10% türkische, etliche westafrikanische, einige portugiesische ... Es geht hier also eigentlich darum, sich eine Hand 9 Fortsetzung der Fußnote nächste Seite! 17 Frankreich - Faschisierung und Demokratieabbau zestext zur Abstimmung. Das „Verfassungsprojekt“ wurde am 10.2. von der Nationalversammlung beschlossen und wird derzeit in der Zweiten Kammer, dem Senat, diskutiert, die Strafrechtsreform wurde am 8.3. beschlossen. Der Ausnahmezustand wurde damit sozusagen „regularisiert“ und der Ausbau des Polizeistaats wird sukzessive auch in Gesetz und Verfassung verankert. Dagegen muss der demokratische Kampf geführt werden - ohne freilich wie viele bürgerliche Gegner der Regierungspolitik einem bourgeoisen Aberglauben zu erliegen, weder in die Gerichte der Bourgeoisie, noch in ihre Gesetze und ihren „Rechtsstaat“. Gerade die derzeitigen Entwicklungen in Frankreich zeigen, dass Bourgeoisie und Staatsapparat allen „Rechtsstaat“ und alle bürgerlich-demokratischen Rechte einfach wegwischen, sobald sie es für zweckmäßig halten (und solange es keinen ernsthaften revolutionärdemokratischen Widerstand dagegen gibt). Der Polizeistaat wird so oder so ausgebaut - von Zeit zu Zeit werden eben auch die Gesetze und ggf. die Verfassung angepasst. Und auch wenn das meist nur ein Nachziehen gegenüber der schon geübten Praxis ist, sagt es viel und verweist es auf die „Nachhaltigkeit“, die der tendenziellen Faschisierung zugedacht ist. Gegen vieles davon gab und gibt es Proteste und Manifestationen demokratischer Kräfte, klassenbewusster Gewerkschafter und revolutionärer Organisationen, teilweise sogar auch von Kräften aus dem bürgerlich-demokratischen Lager. In einigen wenigen Fragen gibt es sogar Widersprüche innerhalb der Bourgeoisparteien (samt Rücktritten von Funktionären, sogar einer Ministerin, und Parteiaustritten prominenter Exponenten). Der lauteste Protest von dieser Seite her gilt der Möglichkeit des Entzugs der Staatsbürgerschaft, einer Frage, die zum Inbegriff der „republikanischen Werte“ aufgeblasen wird, auch von Leuten, die ansonsten die Verpolizeistaatlichung und Faschisierung des Staates und der Gesellschaft mittragen. Soweit Proteste oder „Sorgen“ aus der eigentlichen „classe politique“ kommen, sind es meist nur „republikanische“ Rülpser, manchmal, am „linken“ Rand, hört man Winseln über die „republikanischen Werte“ und die „Aufwertung des Front National“. Die gesamte „classe politique“ Frankreichs marschiert mit ihrer Bourgeoisie nach rechts 10. Sowohl die „Sozialisten“ als auch die „Republikaner“ Sarkozy‘s versuchen, den Front National rechts zu überholen. Im Hinblick auf die Präsidentschaftswahlen 2017 soll der Kurs nach ultrarechts auch programmatisch verankert und verdeutlicht werden. habe zu schaffen, unbotmäßigen Menschen „aus“ Algerien, Tunesien, Marokko, Westafrika und Türkei die Staatsbürger schaft entziehen und sie außer Landes expedieren zu können. Hier wird eine weitere und noch tiefere Bresche geschlagen in das „droit du sol“ (Recht auf Staatsbürgerschaft für jeden, der auf dem Staatsterritorium geboren ist). Übrigens ist der Entzug der Staatsbürgerschaft auch jetzt schon in Artikel 23-7 des Code Civil (Bürgerliches Gesetzbuch) vorgesehen, er heißt dort bloß nicht „Verfall“ („déchéance“), sondern „Verlust“ („perte“) der Staatsbürgerschaft; rechtlich gesehen ist das dasselbe, aber, sagen die Scharfmacher, das Wort „Verfall“ enthielte eine „schärfere Dimension eines Straftatbestandes“ - es geht also hauptsächlich wieder um Propaganda und Het ze. Wichtiger aber ist, dass die Ausbürgerung bisher nicht in der Verfassung steht, jedoch der UNO-“Menschen rechtskonvention“ und anderem internationalem Recht widerspricht und daher anfechtbar(er) wäre. 10 Das gilt auch für PCF und „Parti de Gauche“ (Linkspartei“). Beide trugen zusammen mit den „Grünen“ die Ver hängung des ersten dreimonatigen Ausnahmezustands trotz Gemaule im November 2015 mit. Das „Verfassungs projekt“ lehnten am 10.2.2016 sowohl PCF als auch PdG und auch eine Mehrheit der „Grünen“ ab, insbesondere den möglichen Entzug der Staatsbürgerschaft - mit der Begründung, man müsse die bürgerliche Republik und ihre „Werte“ gegen den Front National verteidigen, aus dessen Programm die Forderung nach Ausbürgerung unliebsamer Zeitgenossen direkt entnommen sei. 18 Proletarische Revolution 62 Bürgerlich-demokratische Kritiker dieser Entwicklung sprechen von „Lepenisierung“ des Parteienspektrums. Aber das tut so, als triebe der Front National die anderen Parteien vor sich her, während doch in Sachen „Sicherheit“ die Sozialdemokratie die „Republikaner“ und den FN inzwischen übertrumpft. Marine LePen hat immer öfter einem Valls nichts entgegenzusetzen, als dass dieser die Forderungen des FN abkupfere und im Unterschied zu ihr als Ultrareaktionär nicht wirklich glaubwürdig sein könne. Bleibt die Frage, warum im übrigen Europa, auch in Österreich, kaum über diese Entwicklung in Frankreich gesprochen wird. Die Orbáns und Kaczinskys sind in aller Munde, über die „Sozialisten“ Hollande und Valls (und das viele weitere solche Gesindel überall in Europa, auch in den imperialistischen „Musterdemokratien“) wird geschwiegen. Auch die kriegstreiberische und kriegshetzerische Rolle Frankreichs gegenüber Syrien (und besonders pointiert der französischen Sozialdemokratie seit ihrem Regierungsantritt)11 oder seine üble Rolle in Afrika oder gegenüber Israel spielen in der Öffentlichkeit kaum eine Rolle. Ebenso wenig die Unterdrückung der Sans-papiers, die Schließung seiner Grenzen gegen unerwünschte Migrant/innen (und das lange vor Ungarn), die beständige Massenausweisung von Roma usw. Wie verlogen, wenn sich Imperialisten wie die französischen, deutschen oder österreichischen nur über ebenfalls böse und niederträchtige, aber nur zweitrangige Figuren in Osteuropa entrüsten! (Korrespondenz aus Frankreich, Anfang März 2016) Nachtrag 30.3.2016 Am 30.3.2016 erklärte Staatspräsident Hollande, er hätte entschieden, das Projekt der Verfassungsreform, also der „Konstitutionalisierung“ des Ausnahmezustands und der Möglichkeit, für „terroristisch“ erklärten unliebsamen Menschen die Staatsbürgerschaft zu entziehen, abzublasen. Grund ist nicht in erster Linie anhaltender Protest eines Teils der Bevölkerung, mehr oder weniger bürgerlich-demokratischer Kreise und eines Großteils des „linken“ Parteienspektrums, sondern vor allem die Quertreiberei der „Republikaner“, der Partei von Sarkozy. Diese hatten in der zweiten Kammer, dem Senat, nicht für das Projekt gestimmt und es damit blockiert. Offensichtlich wollten sie Hollande nicht den Gefallen tun, sich als erfolgreicher Feldherr im „Krieg gegen den Terrorismus“ und als äußerst rechte Speerspitze der Reaktion aufzuspielen. Die „Sozialisten“ wiederum werfen der „Rechten“ vor, damit die „Sicherheit“ des Landes zu gefährden. Was ändert das? Nicht viel: Der Ausnahmezustand wird halt neuerlich und im Juni noch einmal verlängert, auch wenn er nicht ausdrücklich in der Verfassung steht, und unerwünschten Personen muss man halt anders beikommen, wie ja bisher auch. Hollande betonte, er würde trotz der Quertreiberei der „Republikaner“ seinen reaktionären Kurs unbeirrt fortsetzen, denn die „Effizienz“ sowohl des Ausnahmezustands als auch der Aufstockung von Polizei, Gendarmerie, Armee, Zoll- und Justizwache hätten sich klar erwiesen. Interessant in diesem Zusammenhang eine Notiz in der aus der De zembernummer der Zeitschrift Afrique Asie: „Terrorismus: ein Staats skandal?“. Bernard Squarzini, Generaldirektor des französischen In landsgeheimdienstes von 2008 bis 2012, erklärte wenige Tage nach den Attentaten vom 13. November in Paris, dass Syrien 2013 Frankreich vorgeschlagen habe, bei der Terroristenbekämpfung zusammenzuar beiten, weil sich viele französische Terroristen in Syrien aufhielten, und eine Liste dieser Leute an den französischen Geheimdienst zu übergeben. Dieser Vorschlag sei von diesem an den damaligen Innen minister Valls weitergeleitet worden, der eine solche Zusammenarbeit aber „aus ideologischen Gründen“ abgelehnt habe. Wir erinnern uns, dass damals die französische Regierung unbedingt in den Syrienkrieg eingreifen wollte, auch mit Bodentruppen, Hollande aber von den USA, die das damals nicht wollten, ausgebremst wurde. 11 19 Frankreich heute - 2 Beispiele 1: Ausnahmezustand und Klassenjustiz Am 12.1.2016 fällte das Berufungsgericht in Amiens das Urteil zweiter Instanz über acht Streikführer des mehrwöchigen Streiks bei Goodyear im Jänner 2014. Damals hatte die 1.143köpfige Belegschaft gegen die Betriebschließung gestreikt, den Betrieb besetzt und Produktionsleiter und Personalchef für 30 Stunden festgesetzt (und übrigens medienwirksam mit Riesen-Sandwiches versorgt, um - von anderen solchen Betriebsbesetzungen und „Geiselnahmen“ hinlänglich bekannte - späteren Vorwürfen, man hätte die armen Kerle hungern und dürsten lassen, zu begegnen). Die Streikführer waren wenig später in erster Instanz zu 6 Monaten Gefängnis auf Bewährung verurteilt worden. Die Betriebsleitung selbst wollte nicht weiter eskalieren und zog sogar ihre zivilrechtliche Nebenklage zurück: es sei den beiden Herren ja nichts wirklich passiert. Die Staatsanwaltschaft dagegen focht auf Weisung des Innenministers dieses Urteil an. Das Berufungsgericht verschärfte nunmehr pflichtschuldig die Haftstrafe und verhängte 24 Monate Haft, davon 9 unbedingt und 15 bedingt auf 5 Jahre. Eine scharfe Klassenjustiz drohte bei einer Regierung Valls sowieso, aber diesmal war sie deutlich schärfer als in vergleichbaren Fällen bisher. Das ultrareaktionäre Klima des Ausnahmezustands heizt auch die Klassenjustiz gegen gewerkschaftliche Kämpfe an. Aus gutem bourgeoisen Grund: Ist denn etwa eine gewaltsame Besetzung von Privateigentum und die „Sequestrierung“ („Festsetzung“) von Kapitalisten und Managern nicht ebenfalls Terrorismus? Es gab seither eine Reihe von gewerkschaftlichen Protestkundgebungen und Arbeitsniederlegungen gegen dieses Urteil. 2: Der Antiterroreinsatz am 18.11. in Saint-Denis Am 18.11. hatte sich eine Razzia in Saint Denis (im Norden von Paris) zu einem „hochgradig überdimensionierten“ (Le Monde) Antiterroreinsatz ausgewachsen. Da Hollande und Valls schon tagelang Krieg trommelten, wurde Krieg inszeniert und die Öffentlichkeit ein paar Tage und Nächte lang mit Kriegsberichterstattung überschüttet. Das Gebiet war weiträumig abgeriegelt und zerniert, das Haus sieben Stunden lang belagert und bestürmt worden, 110 Sonderpolizisten und Soldaten hatten, auch von einem gepanzerten Fahrzeug und einem Helikopter aus, 5.000 (!) Schüsse gegen eine zu erstürmende Wohnung abgegeben und Sprengstoff für das Aufsprengen der Eingangstür eingesetzt. Angeblich hätten die in der Wohnung verbarrikadierten Terroristen „mehr als zwei Stunden lang“ der Polizei und dem Militär schwere Feuergefechte mit „ununterbrochenem Dauerfeuer“ aus Maschinenpistolen (Kalaschnikows) geliefert, im Stiegenhaus Granaten auf die „Einsatzkräfte“ geworfen und sie vom Dach aus mit einem Scharfschützengewehr beschossen. Schließlich wären drei Terroristen auf der Strecke geblieben, darunter Abdelhamid Abaaoud, der angebliche Mastermind der Attentate vom 13.11., Hasna Aït Boulhacen, eine Cousine von Abaaoud, und eine dritte bis dahin nicht identifizierte männliche Person. Boulhacen, hieß es, hätte sich mit einem Sprenggürtel selbst in die Luft gesprengt, dabei wäre auch Abaoud tödlich verletzt und durch ein Loch, das die Explosion in den Fußboden gerissen habe, in die Wohnung einen Stock tiefer geschleudert worden. Die zerfetzten und überall herumliegenden Leichenteile der dritten Person hätten noch nicht identifiziert werden können, aber der abgerissene Kopf (samt einem Teil der Halswirbelsäule), der durch ein Fenster auf die Strasse geflogen sei, verwiese auf eine männliche Person. Das Haus selbst wurde durch Explosionen schwer beschädigt und ist einsturzgefährdet. Auf Seiten der „Einsatzkräfte“ gab es fünf leicht verletzte Polizisten. Am 23.11. gelangte dann ein Bericht der Kriminalpolizei über diese Operation an die Öffentlichkeit, der von der ursprünglichen Darstellung der Einsatzpolizei in einer Reihe von Punkten abwich und „kein Licht in die dunklen Aspekte dieses Einsatzes“ brachte, einer „Operation, die mit seltener Gewalttätigkeit und in extremer Konfusion abgelaufen (ist)“ (Le Monde, 23.12.). Von den „Kriegswaffen“ der wild dauerfeuernden Terroristen, angeblich Kalaschnikows, Granaten, Sprengstoff und ein Scharfschützengewehr, die die „Sintflut der Materialschlacht der Polizei“ (Le Monde) ausgelöst hätten, wurde nichts gefunden außer einer ungeladenen (!) halbautomatischen (!) Browning Pistole, ohne eingesetztes Magazin, und einige Munition dazu. Tags darauf wurde ergänzt, es sei im unteren Stock noch eine zweite Pistole gefunden worden, ebenfalls ungeladen und ohne Magazin. Der Sprenggürtel, den angeblich Boulhacen gezündet hätte, konnte ebenfalls nicht gefunden werden. Die aufgefundenen Patronenhülsen und Granaten seien noch nicht vollständig ausgewertet, aber es stammten nahezu alle von den „Einsatzkräften“. Dass Augenzeugen und auch ein Polizist berichtet hatten, die angebliche Terroristin Boulhacen, die sich angeblich selbst in die Luft gesprengt hätte, sei mit erhobenen Händen am Fenster erschienen und habe die Polizei angefleht, man möge sie rauslassen („Monsieur, lassen Sie mich bitte raus ...ich habe Angst .... er sprengt jemanden in die Luft...“), kommt in diesem Bericht nicht vor. Polizei und Militär hatten die Gelegenheit zu einem überbordenden Einsatz genutzt, sei es zu Übungszwecken, sei es zur Verängstigung, Einschüchterung und Eingewöhnung der ansässigen Bevölkerung. Auf Anfragen von Le Monde und anderen Medien wollten die Generaldirektion der nationalen Polizei und die von deren Sondereinheiten RAID keine weiteren Auskünfte erteilen, außer dass „von einem operationellen Standpunkt aus die Intervention ein Erfolg gewesen“ sei und man nicht von „Unverhältnismäßigkeit“ sprechen könne. Und ein Sprecher des Innenministeriums ergänzte, die Polizeieinheiten seien vor Ort halt aufgrund ihrer Informationslage und ihrer Einstimmung in einem „Gemütszustand“ gewesen, der zu so einem Einsatz geführt habe. (Quelle: Le Monde vom 23.12.2015) 20 Proletarische Revolution 62 UKRAINE: Entwicklung seit dem Putsch Vorbemerkung der Redaktion: Seit März 2016 ist die NATO-gestützte Regierung Jazenjuk (obwohl das voran gegangene Misstrauensvotum scheiterte) im raschen Zerfall. Nach bürgerlichen Umfragen ist die „Zustimmung zu seiner Politik unter ein Prozent gefallen“ (WZ 31.3.16), aber er wird nach wie vor vom reichsten ukrainischen Monopolkapitalisten, Rinat Achmetow im Regierungssessel gehalten. IWF, USA und EU arbeiten fieberhaft (aber nicht gemeinsam) an neuen „Lösungen“. So wurde z.B. schon im letzten Jahr der ehemalige georgische (!) Präsident Michail Saakaschwili als Gouverneur der ukrainischen Provinz eingesetzt und die US-Amerikanerin (!) Natalie Jaresko wurde ukrainische Finanzministerin. Solange sich die ukrainischen Monopolkapitalisten („Oli garchen“) nicht auf eine neue, „stabile“ Regierung einigen, zahlt der IWF die nächsten 1,7 Mrd. USD nicht aus. Darum wird wahrscheinlich Präsident Poroschenkos Vertrauter Wolodymyr Hrojsman bald neuer Regierungs chef der Ukraine sein, zumindest in der Westukraine… Übrigens hat die US-Obama-Regierung kürzlich bekannt gegeben, dass in nächster Zeit ca. 4300 weitere US-Soldaten „an der NATO-Ostgrenze“, also voraussichtlich im Baltikum stationiert werden sollen. Die Ukraine ist seit Ende 2013 zu einem Paradebeispiel für imperialistische Einflussnahme und die Zerschlagung eines Landes zugunsten der Kapitalistenklasse geworden. Einmal mehr treten mehrere teilweise konkurrierende Imperialismen auf, die in ihrem Ringen um Einfluss und Kapital ein Volk an den Rand des Abgrunds drängen. Einmal mehr ist es aber auch für die revolutionären Kräfte notwendig, eine genaue Analyse dieser Entwicklung offenzulegen. Am 22.2.2014 kam es zur Entmachtung des gewählten ukrainischen Präsidenten Viktor Janukowitsch sowie weiter Teile seiner Partei (Partei der Regionen) durch einen quasi-Putsch. Die Bewertung inwieweit dieser Umsturz gerechtfertigt ist, beschränkt sich für uns aber nicht auf die Rechtmäßigkeit dessen innerhalb des kapitalistischen Systems, sondern untersucht Inhalt und Zweck sowie seine Stellung zur ArbeiterInnenklasse. In der Außen- und Nachbetrachtung können wir davon ausgehen, dass es sich um einen pro-west- lichen, reaktionären Putsch handelte. Wir müssen insbesonders hervorheben, dass im Ergebnis lediglich ein Teil der Bourgeoisie durch einen anderen abgelöst wurde. Die Stellung der unterdrückten ukrainischen ArbeiterInnenklasse hat sich hingegen nicht verbessert. Gegenteiliges ist der Fall. Waren die Proteste gegen das Janukowitsch-Regime zu Beginn auch von sozialen Anliegen getragen, wie etwa Kämpfe gegen Pensionskürzungen, Korruption usw., so bekamen sie in der Westukraine vergleichsweise schnell pro-westlichen und nationalistischen Charakter und wurden von rechts vereinnahmt, wobei im Osten des Landes das sozial-kämpferische Element (schwach) erhalten blieb. Die wirtschaftliche Krise und das IWF Diktat Die Ukraine mit ihren derzeit 45,4 Mio. Einwohnern ist gemessen an Bodenschätzen ein vergleichsweise reiches Land. Es verfügt über umfangreiche Eisen- und Steinkohlevorkommen, wobei sich deren Förderung sowie die Stahlerzeugung größtenteils im Osten des Landes konzentrieren.1 Einen weiteren wichtigen Wirtschaftsfaktor bildet die Landwirtschaft, welche ca. 8% des BIP sowie 21,3% der staatlichen Ausfuhr ausmacht. Als einer der größten landwirtschaftlichen Produzenten Europas produziert das Land pro Jahr etwa 60 Mio. Tonnen Getreide und 120 Mio. Tonnen Feldfrüchte. Die lukrativen Böden sowie die vergleichsweise niedrigen Löhne machen die Ukraine daher besonders interessant für ausländische Agrarkonzerne. Nichtsdestotrotz besteht im Land ein doppeltes Defizit sowohl im Staatshaushalt als auch im Außenhandel.2 Dafür wird vor allem die im Land grassierende Korruption und Schattenwirtschaft verantwortlich gemacht, auf die Im Jahr 2011 erzeugte die ukrainische Stahlindustrie, wel che enorm konjunkturabhängig aber auch beschäftigungs intensiv ist, ca. 35 Mio. Tonnen Stahl. 1 21 Ukraine - Neokolonie und Kampfzone schätzungsweise 60% der allgemeinen Produktion entfallen. Bereits vor den Ereignissen des Euromaidan (2013/14) oder der Krise von 2008 zeigten sich in der ukrainischen Wirtschaft degressive Entwicklungen. Laut Schätzungen des Economist kam es ab 1992 zu einer Verringerung des BIPs um etwa 50%, welches derzeit 8.700 USD pro Kopf ausmacht (zum Vergleich: in Österreich soll der Wert etwa bei 46.600 USD liegen). Anfang 2015 bewilligte der IWF 17,5 Mrd. USD für das Land, wobei die letzte Tranche noch nicht freigegeben wurde. Hinzu kamen auch noch zahlreiche zusätzliche Hilfen aus der EU und den USA. Im Gegenzug fordert der IWF eine umfangreiche Implementierung neoliberaler Reformen. Diese umfassen vor allem das Einfrieren der ohnehin schon niedrigen Löhne sowie Kürzungen in den Sozialausgaben. Bereits zu Beginn des März 2014, also kurz nach dem Umsturz, hat Jazenjuk dem IWF einschneidende Kürzungen versprochen. Diese umfassen etwa das Ende der Gas-Subventionierung und die Erhöhung des Gaspreises, welche allein 2014 ca. 50% betrug. Auch die Preise von Strom und Wasser sind seit 2014 bis auf das Dreifache angestiegen. Weiters kam es auch zu einer Erhöhung der Massenbesteuerung (MWSt, Genussmittel, Treibstoffe, Medizin) sowie Sozialkürzungen (z.B. Kindergeld). Die Inflation der ukrainischen Währung Hryvnia beträgt bis zu 70%, was vom ohnehin geringen Durchschnittslohn von 295 Euro netto im Monat nicht mehr viel übrig lässt, zumal noch regionale Preisunterschiede hinzukommen.3 Trotz der wirtschaftlichen und politischen Krise, welche vor allem im Osten zu einem weitgehenden Produktionsstopp geführt hat, ist Russland weiterhin ein großer Handelspartner der Ukraine. So konnte der sog. „Transitkrieg“ zwischen den beiden Ländern zuletzt entschärft werden. War der Umsturz an sich faschistisch? Es wäre grundlegend falsch, die Putschisten und Maidan Demonstranten von 2013-14 pauschal als faschistisch abzustempeln. Derartige Verallgemeinerungen finden sich jedoch zur Genüge, auch innerhalb einer „Linken“. Diese Herangehensweise wird jedoch vor allem von russischer Seite betrieben, welche propagandistisch eine Analogie zu den heroischen Leistungen der SowjetbürgerInnen herstellen möchte. Diese „Rückbesinnung“, ähnlich wie die Bezeichnung „Volksrepublik“ in den 2 Die Wirtschaftsleistung betrug 2012 ca. 180,2 Mrd. USD. 3 http://www.bbc.com/news/world-europe-35483171 (21.02.2016) aufständischen Gebieten im Osten des Landes, ist größtenteils nichts weiter als sinnentleerte Phraseologie zum Zwecke einer Massenmobilisierung in ihrem Sinne. Allerdings ist es notwendig herauszustreichen, dass der Protest in Kiew und Lwiw von Beginn an von Faschisten mitgetragen und organisiert worden ist, so gern die EU und die USA die anti-Janukowitsch Proteste auch als rein pro-demokratisch und liberal-bürgerlich hinstellen möchten. Kern des Anstoßes – Das „Assziierungsabkommen“ und die imperialistische Politik Die Ukraine bildete seit je her eine wichtige strategische Position für die unterschiedlichsten Mächte in der Weltgeschichte. Heute bedeutet dieses Land für die EU-Imperialisten vor allem Transitrouten für die Energieträger Öl und Gas sowie Zugang zum Schwarzen- und zum Asowschen Meer sowie Ausbeutungskapazitäten. In Bezug auf einen wieder aktiver werdenden russischen Imperialismus spielt hier einiges an Besorgnis mit.4 Für die USImperialisten stehen eher geostrategische Interessen im Vordergrund. Unter der Regierung Janukowitsch wurde jedoch 2010 die Blockfreiheit des Seit Mai 2014 verstärkt Gazprom die Beziehungen zur VR China, sodass kürzlich erst Saudi-Arabien als größ ter Lieferant abgelöst werden konnte. Die österreichischen Imperialisten kommentierten dies erstaunlich klar: „Eine Energieallianz mit dem Schwerpunkt „Asiatische Staaten“ wäre aber für Europa fatal!“ (Österrei chische Militärische Zeitschrift 1/2016 S.28) 4 22 Proletarische Revolution 62 Landes in die Verfassung aufgenommen, was sowohl eine mögliche EU als auch Nato-Mitgliedschaft ausschloss. Nichtsdestotrotz wurden Verhandlungen zu einem EU-Assoziierungsabkommen aufgenommen. Derartige Abkommen sind insbesondere als Mittel zu verstehen, um Staaten wie die Ukraine oder auch Moldawien aus dem russischen Einfluss zu lösen bzw. an die EU zu binden. Auch sollen dabei die ukrainischen Streitkräfte in den europäischen Militärkomplex eingebunden werden. Es ist die Rede von Verpflichtung zur „Kooperation“ und „Konvergenz“ in einer „Gemeinsamen Sicherheits- und Verteidigungspolitik“.5 Am 21.11.2013 wurde das Abkommen von Seiten der Janukowitsch-Regierung jedoch verworfen und der Protest, begünstigt durch soziale Faktoren nahm seinen Lauf. Kurz nach dem gewaltsamen Regime-change am 21.3.2014 wurde besagtes Abkommen dann schleunigst unterzeichnet. Im Dezember wurde die Blockfreiheit gekippt und bis 2020 strebt die Ukraine einen EU-Aufnahmeantrag sowie einen NatoBeitritt an. Diese Politik läuft selbstverständlich dem russischen Imperialismus zuwider, dem eine politisch und vor allem militärisch neutrale Ukraine deutlich lieber gewesen wäre. Das neue am Konflikt im Gegensatz zur EU-Erweiterung am Baltikum ist neben einer bestehenden vergleichsweise großen ethnischen Komponente auch eine Veränderung russischer Politik an den Rändern seit dem Südossetien-Konflikt 2008. Russland wehrt sich gegen eine Beschneidung seiner Macht, hervorgerufen durch Destabilisierung, Annäherung an die Nato sowie den potentiellen Verlust von Militärbasen. Auch die Einbindung von ukrainischen Militärs in westliche Strukturen schmerzt die russischen Strategen besonders. So verfügen diese noch immer über Kenntnisse der sowjetisch geprägten strategischen und operativen Vorgangsweise der russischen Generalität im Falle eines Konflikts mit den Westmächten. Auf der EU Seite ist qualitativ ein relativ geschlossenes und deutliches Auftreten des EU-Imperialismus, allen voran des deutschen wahrzunehmen. Diese Entwicklung ist wohl der Verschärfung der Widersprüche in den letzten Jahren geschuldet. Der tendenzielle Fall der Profitrate und die allgemeine Krise seit 2008 zeigen wieder einmal auch hier ihre Auswirkungen in Form des imperialistischen Handelns.6 So äußern sich einige Kapitalisten bereits für die Aufhebung der Krim-Sanktionen sowie zur Notwendigkeit einer verbesserten Marktpräsenz des Westens in der neuen russisch dominierten Eurasischen Union. So spricht der Vorsitzende des OstAusschusses der deutschen Wirtschaft, Eckard Cordes bereits von einem „Weg zu einem gemeinsamen Wirtschaftsraum“.7 Auch Österreichs Außenminister Sebastian Kurz forderte bei der Münchner Sicherheitskonferenz 2015 eine solche Freihandelszone. Die faschistischen Kräfte in der Ukraine Der anti-Janukowitsch Protest wurde von Beginn an von bestehenden faschistischen Organisationen mitgetragen. Obwohl die Faschisierung des Landes seit 2014 sichtbarer und radikaler voran geht, ist diese aber als Prozess zu verstehen, der bereits mit der Auflösung der Sowjetunion begann und befördert wurde. Viele der Kräfte berufen sich auf nach 1991 zu „Volkshelden“ gewordenen Nazi-Kollaborateure und Antikommunisten.8 Die ukrainischen Nationalisten und Faschisten stützen sich auf ein Netz von diversen Parteien und Verbänden die Vgl. EU-Ukraine Association Agreement Title II Art. 7 Bereits von Sept. 2013 bis Frühjahr 2014 beteiligte sich die Fregatte Hetman Sahajdatschay an diversen „AntiPiraterie“ Aktionen. Etwa der Nato Operation Ocean Shield sowie der EU NAVFOR Operation Atalanta, bei der auch ukrain. Offiziere im Operationsstab mitwirken. 5 Das vglw. geringe Wirtschaftswachstum von 0,3% in der Eurozone und ein Einbruch des Außenhandels werden wohl zukünftig weitere Bestrebungen der imperialistischen Mächte nach Freihandelszonen befördern. Insbesondere das Russland-Embargo hat für die deutsche Wirtschaft eine gewisse Hemmfunktion. 6 7 Handelsblatt 31, 13.2.2015 S.6-7 23 Ukraine - Neokolonie und Kampfzone sich im Zuge der MaidanProteste konsolidieren und radikalisieren konnten. Bereits davor entstanden eher lose gewaltbereite rechtsextremistische Gruppierungen, die meist keiner bestimmten Organisation zuzuordnen waren. Sie werden allgemein als „titushky“ bezeichnet und stammen oft aus dem Hooligan-Umfeld. Obwohl sich bei ihnen keine klare Ideologie oder generelles Ziel ausmachen lässt, so fallen sie hauptsächlich durch Prügelorgien auf. Hintermänner oder Personen in leitender Funktion sind auf Grund der spontanen Organisationsform schwer auszumachen. Ganz anders sieht es beim Prawyj Sektor (Rechten Sektor) aus, dieser entstand 2013 als paramilitärischer Arm ursprünglich zurückgehend auf die nationalistische Tryzub (Dreizack) Bewegung. Diese Bewegung umfasste die SozialNationale Versammlung, Karpatskaja Sich und dem Weißen Hammer. Letzterer zeichnet sich insbesondere durch seine Nähe zum radikal militanten neofaschistischen Gedanken- gut aus. Der Rechte Sektor rekrutierte sich aber auch aus Mitgliedern anderer bestehender Parteien und Paramilitärs wie der UNAUNSO, Swoboda, dem Patriot der Ukraine sowie der Gruppe 82. Einige davon gingen bei der Parteigründung im März 2014 in selbiger auf, wie etwa die UNA-UNSO. Dabei blieben die bewaffneten Verbände weitgehend autonom. Ideologisch zeichnen sich diese Organisationen als national-chauvinistisch, fremdenfeindlich, antirussisch, homophob, antifeministisch, antisemitistisch und antikommunistisch aus, wobei es hier schwer ist als Sammelbecken der militanten Rechten klare ideologische „Ziele“ auszumachen. Die Faschisten machen bei ihren Mitgliedern übrigens keinen Unterschied ob es sich um „Russen“ oder „Ukrainer“ handelt. So kämpfen in den Reihen des Prawyj Sektor mehrere russische Staatsbürger und russischsprachige Ukrainer. Weiterhin im illegalen Spektrum bewegt sich die nationalsozialistische ukrainische Nationale Arbeiter Partei von Yevhen Herasymenko. Sie zeichnete sich insbesondere durch noch radikaleren Antisemitismus sowie tätliche Angriffe auf Minderheiten und MigrantInnen aus. Sie kooperiert eng mit der anti-semitistischen und geschichtsrevisionistischen Interregional Academy of Personnel Management (MAUP). Die MAUP verfügt über enge Kontakte zu den ukrainischen Konservativen. So zählen der ehemalige VizePremier Wolodymyr Hrojsman und der Oligarch Georgy Shchokin zu ihren führenden Persönlichkeiten. Auch der sich vergleichsweise oft in Österreich aufhaltende US-amerikanische Holocaustleugner und Verschwörungstheoretiker David Duke zählt zu den Unterstützern.9 Zwar plante die neue bürgerliche Regierung unmittelbar nach dem Sturz Janukowitschs eine Entwaffnung der rechten Verbände, aber auf Grund der sich abzeichnenden Krise im Osten und auf der Krim verzichtete man darauf und forcierte stattdessen eine Integration in die Streitkräfte, allen voran in die Nationalgarde. Diese Entscheidung ermöglichte es den Rechten, nahezu straffrei zu agieren. Sei es nun der Brandanschlag auf das Gewerkschaftshaus in Odessa am 2.5.2014 mit 48 Toten oder die gezielte Liquidierung von RegimeKritikern. Der kapitalistische Staat benützt die faschistischen Elemente als Teil seines Machtpotentials. Die fortschreitende Faschisierung von Gesellschaft, Staatsapparat und Militär ist klar erkennbar, jedoch auf Grund der inneren Lage und dem ver- Ein Beispiel für die Faschisierung ist etwa die Herausgabe einer Gedenkbriefmarke 2009 für den Faschisten und Massenmörder Stepan Bandera. Auch erreichten nach 2000 einige faschistische Parteien bei Wahlen in der Westukraine bis zu 30%. 8 9 24 http://www.globalsecurity.org/military/world/ukraine/right-sector.htm (07.02.2016) Proletarische Revolution 62 gleichsweise hohen Maß an Volksbewaffnung noch nicht vollständig durchführbar. Deshalb bereiten sich die rechten Kräfte auch auf eine Stabilisierung sowie eine Propaganda-Offensive, allen voran gegen linke Gruppen und Parteien sowie „prorussische Elemente“, vor. Die Zensur spielt hierbei eine wichtige Rolle. Im September wurden 388 Personen darunter 41 Journalisten (davon zwei vom Poroschenko äußerst wohlgesonnenen BBC) aus dem Land verbannt. Einige russische Journalisten wurden bereits getötet, eine Entwicklung, die ihren Anfang mit EuroMaidan genommen hat.10 Eine Aufklärung der Taten durch die bürgerliche Justiz? – Fehlanzeige! In der Übergangsphase stellten die Faschisten (Swoboda) sogar den Generalstaatsanwalt. Ja es gibt sogar eine Denunzierungswebsite (Mirotvorec) gegen Journalisten und „Staatsfeinde“. Parlamentsmitglied und Berater des Innenministeriums Anton Gerashchenko lobt hier ab und zu „Patrioten“ für „erfolgreiche Missionen“. Auch die Namen von Ermordeten wie Oleg Kalashnikov (Partei der Regionen) und Oles Busina (dessen Schriften von der Regierung untersagt wurden) fanden sich dort vor deren Tod. Seit 2014 können linke AktivistInnen innerhalb des Landes nur noch verdeckt arbeiten. Am 8.12.2015 wurde Mykola Shersun, Gewerkschaftsfunktionär in Rivne, von vermummten Paramilitärs der Ukrainischen Nationalen Selbstverteidigung attackiert.11 Derartige Vorfälle ereignen sich immer öfter in diesem, nach EU-Definition, ach so demokratischen Land. Für die Rechtsextremen und die Konservativen bildet die Regierung Poroschenko einen gewissen einigenden Faktor. Jedoch scheint sich diese Dynamik etwas zu verändern. Im Sommer 2015 kam es bereits zu Zusammenstößen von faschistischen Paramilitärs (Prawyj Sektor) mit Polizeibehörden in Bezug auf Zigarettenschmuggel. Auch das schlechte Abschneiden von Prawyj Sektor bei den Wahlen sowie das Bestreben Dmytro Jarosch (Führer des rechten Sektors), eine neue Partei zu gründen, spielen hier eine Rolle. Bei dem im Oktober in einigen Landesteilen stattfindenden Regionalwahlen konnte sich die Poroschenko-Klitschko Partei (Solidarität) bei einer geringen Wahlbeteiligung von 47% dennoch festigen. In einigen Städten wurde wegen der angeblichen Gefahr einer Wahlfälschung aber gar keine Wahl abgehalten. Weiters waren die ca. 1,5 Mio. Binnenflüchtlinge von der Teilnahme überhaupt ausgeschlossen. Mit Februar 2016 verschärften sich auch generell die Konflikte um die bürgerlichen Fraktionen und um Premierminister Jazenjuk. Die Abkommen von Minsk und das Kriegsregime in der Ostukraine Die bewaffneten Konfrontationen im Osten begannen ab Mitte April 2014, nachdem sich Demonstranten der Opposition gegen die Kiewer Regierung durch die Übernahme von Polizeistationen selbst bewaffneten und ein Amnestie-Ultimatum aus Kiew ihnen gegenüber ablief. Weiters schlugen auch die Entwaffnungsaktionen der Regierung fehl. Zu dieser Zeit formierten sich auch bereits die sog. „Volksrepubliken“ in den Oblasten Donezk und Luhansk, welche als Kernzonen der russisch geprägten Opposition gegen die neue Regierung in Kiew gelten. Ab Mai/Juni 2014 wurden im Konflikt bereits schwere Waffen eingesetzt, wobei die Kampfhandlungen stets punktuell blieben und beide Seiten nur kleinere Gebietsge- Umfang der Massenproteste 2014 gegen die Kiewer Regierung http://www.nytimes.com/2014/05/17/world/europe/united-nations-human-rights-ukraine.html?_r=2 2016) 10 (07.02. 11 https://ukraineantifascistsolidarity.wordpress.com/2015/12/11/rivne-local-head-of-trade-union-federation-at tacked-by-fascist-thugs/ (07.02.2016) 25 Ukraine - Neokolonie und Kampfzone winne/Gebietsverluste erzielten.12 Jedoch galt gerade die 2. Schlacht um den Donezker Flughafen vom September 2014 bis Jänner 2015 als Symbol des Scheiterns des 1. Abkommens von Minsk. Dieses Waffenstillstandsabkommen war am 5.9.2014 zwischen der Ukraine, Russland, dem Donbass und der OSZE zustande gekommen. Das Folgeabkommen Minsk II wurde hingegen von Deutschland, Frankreich, Russland und der Ukraine ausgehandelt. Die „Volksrepubliken“ und OSZE spielten hier bereits eine viel kleinere Rolle. Auch hatten die westlichen Kräfte auf Grund der vorhinein verhängten Sanktionen und der zur Debatte stehenden Ausweitung ein gewisses Druckmittel in der Hand. Die Bedingungen des Abkommens umfassen: Waffenruhe und den Abzug von schweren Waffen aus einer festgelegten Pufferzone, einen Gefangenaustaustauch sowie Amnestiebestimmungen, einen erweiterten Autonomiestatus der beiden Oblasten, eine OSZE „Beobachtermission“, den Abzug der ausländischen Kämpfer, Wiederherstellung von Grenzkontrollen zu Russland und Kommunalwahlen. Bis dato wurden viele dieser Bestimmungen nur rudimentär (wenn überhaupt) durchgesetzt. Minsk II führte aber nicht zu einer Befriedung der Ukraine, die Kampfhandlungen wurden bei geringerer Intensität fortgesetzt. Faktisch ermöglichte diese bis jetzt über ein Jahr andauernde Pattsituation lediglich eine engere Bindung der Kräfte an die ausländischen Mächte sowie die militärische Hochrüstung im Hinterland.13 In der nur mehr dünn besiedelten Pufferzone ist derzeit kein Wiederaufbau möglich, da es immer wieder zu Kampfhandlungen kommt und die Zukunft dort äußerst Unklar ist. Für die rechts-nationalistischen und faschistischen Kräfte in Kiew stellen wichtige Bestandteile der Minsker Abkommen, etwa die Föderalisierung, einen Landesverrat dar und sie stehen dadurch in einem gewissen Widerspruch zu gemäßigteren bürgerlichen Kräften. Die Beurteilung der Lage der Kräfte in der Ostukraine gestaltet sich etwas schwieriger. Die „Volksrepubliken“ bzw. die „Konföderation Neurußland“ verfügt in keinster Weise über durchgehende homogene staatliche Strukturen. Russland und seine Versorgungskonvois bilden einen wichtigen Bezugsfaktor der Menschen, was zur weiteren Spaltung des Landes beiträgt. Auch wenn im Osten ein antifaschistischer Kampf propagiert wird, so müssen wir uns stets vor Augen halten, dass auch hier nationalistische, rassistische und religiös-fundamentalistische Gruppen operieren. Einige führende Persönlichkeiten der Separatisten aus Donezk und Lugansk sind selbst Oligarchen oder stammen aus dem russischen Geheimdienstumfeld wie etwa Konstantin Malofejew. Auch greifen sie kaum die imperialistische Ausbeutung des Landes an. Eher Gegenteiliges ist der Fall.14 Die Oligarchie, oder besser die extreme Konzentrierung des Kapitals, ist als Ergebnis der revisionistisch-kapitalistischen Entartung der ehemaligen Sowjetunion zu verstehen. Es handelt sich speziell um die Nutznießer der Reformen Glasnost und Perestroika sowie um Kader, die sich auf alte Seilschaften stützen konnten. Eine Problemstellung ergibt sich aus ihrer jeweiligen Zuwendung und Unterstützung. Diese ist teilweise schwer festzustellen und wechselt gegebenenfalls auch. Die einzelnen Oligarchen unterstützen in der Regel jene Staaten und Märkte, in denen ihre Profitinteressen am besten befriedigt werden. Daher sehen wir sowohl prowestliche als auch pro-rus- So konnten sich Mitte 2014 die Kiewer-Seite in Mariupol behaupten, während sich Donezker-Kräfte in Ilowajsk und am zerstörten Flughafen Donezk durchsetzen konnten. 13 Dies gilt aber bei weitem nicht (wie es etwa die Bürgerlichen gerne glauben machen wollen) nur für den Don bass seitens Russland. Auch Poroschenko äußerte sich über diese „vorteilshafte“ Situation. Vgl. http://www.unian. info/politics/1114423-poroshenko-russia-planned-to-annex-another-eight-ukrainian-regions.html (20.02.2016) 14 So forderten im März 2015 sowohl Igor Plotzniki (Volksrepublik Lugansk) als auch Alexander Sachartschenko (Volksrepublik Donezk) von Deutschland und Frankreich einen Aufbau des Bankensektors in der Ostukraine. 12 26 Proletarische Revolution 62 sische „Oligarchen“, welche oft untereinander in Rivalität und Konkurrenz stehen. Derartiges geschah in der Ostukraine mit dem Kapital von Rinat Achmetow, der im Frühjahr 2014 aus der Stahlarbeiter-Belegschaft eine Truppe heraus rekrutierte die gegen Betriebsversammlungen vorging. So ist es Fakt, dass sich die Kapitalisten beider Seiten gegen Reformversuche (etwa der Verstaatlichung der Kohleminen) ausgesprochen haben. Das Eigentum der Kapitalistenklasse an den Produktionsmitteln soll nicht angetastet werden. Soll sich doch die ArbeiterInnenklasse auf beiden Seiten niederschießen, Hauptsache der Kapitalist kann seine Herrschaft erweitern. Viele dieser Kapitalisten weisen auch Verbindungen zu Faschisten oder der organisierten Kriminalität auf. Enge Vertraute von Präsident Poroschenko (laut Forbes der 6. reichste Ukrainer) verfügen über Kontakte zu dem Mafiaboss Semjon Mogilewitsch. Noch krasser ist der Milliardär Ihor Kolomojskyj – ab März 2014 für ein Jahr Gouverneur von Dnipropetrowsk, nach einem Zerwürfnis mit Poroschenko aber abgesetzt – finanziert er mit seinen Vermögen neben den ukrainischen Streitkräften (vorrangig die Luftwaffe) auch eine Vielzahl von Milizen. Da- runter das Dnipro Bataillon welches als seine private Polizei fungiert sowie Donbas, Aidar, Asow, Dnepr 1 und Dnepr 2. Das Dnipro Battalion erhielt bereits 10 Mio. USD Wahlergebnisse Okt.2014 nach regionalen Mehrheiten: Jazenjuk im Westen und von ihm.15 Derzeit Mitte, Poroschenko im Norden und Süden, Oppositionsblock im Osten existieren etwa Blackwater) oder Executive 30 Freiwilligenverbände Outcomes geraten immer von denen der bewaffnete wieder wegen MenschenArm von Prawyj Sektor rechtsverletzungen oder allein etwa 5.000 Mann Beteiligungen an Putschen stellt. in die Schlagzeilen. Sie Neben faschistischen Mifungieren inzwischen als lizen, der Armee und anmilitärische Steigbügelhalderen Freiwilligenverbänter für den ihnen jeweilig den kämpfen auf beiden zuzurechnenden ImperiSeiten auch eine Vielzahl alismus, ohne dass dieser ausländischer Söldner, unbedingt eigene Trupso etwa im Asow-Batailpenkontingente abstellen lon (wohl auch deutsche müsste. Sie stehen in AusNeonazis). Neben diesen rüstungsgrad und Finanstellen auf Kiewer Seite zierung kleineren Staaten westliche PMCs (private um nichts nach, weisen military contractors) also aber oft einen weitaus bezahlte Söldnertrupps eihöheren Ausbildungsgrad nen nicht geringen Anteil. auf. Aber auch von rusOftmals handelt es sich sischer Seite finden sich um gut ausgerüstete ehederartige Unternehmen in malige Angehörige von der Ostukraine. Spezialeinheiten, die neDie Revisionisten haben ben Personenschutz und nichts gelernt/verlernt Werks/Objektschutz gerne Die revisionistische KP der auch zum Kampfeinsatz Ukraine verbrachte die Zeit herangezogen werden. zwischen 2013/14 mit erBereits 2014 berichtete schütternder Anteilnahmsder Spiegel, dass sich 400 losigkeit am Protest. Ja es ausländische Söldner der kam sogar zur DiskreditieFirma Academi in der Ukrung aller Protestierenden raine aufhalten und dabei als „Faschisten“ und „Mörin Polizeiuniformen kämpder“17 Eine grundlegende fen.16 Fehleinschätzung, ähnlich Derartige Unternehmen der Haltung zu Russland. wie Academi (vormals http://europe.newsweek.com/evidence-war-crimes-committed-ukrainian-nationalist-volunteers-grows-269604? rm=eu (08.02.2016) 15 16 http://www.spiegel.de/politik/ausland/ukraine-krise-400-us-soeldner-von-academi-kaempfen-gegen-separatistena-968745.html (07.02.2016) 27 Ukraine - Neokolonie und Kampfzone Medienberichte zu den „antifaschistischen Volksrepubliken“ in der Ostukraine („Rovarossija“): positiv in Lateinamerika, Afrika und Asien, negativ in Nordamerika, EUropa und Australien Die Meinung, Russland sei praktisch in den Konflikt „hineingezogen“ worden oder gar kein imperialistischer Staat, hält sich noch immer in Teilen der „Linken“. Diese Ansicht wird gerade durch den Nationalismus innerhalb der revisionistischen KPs befördert. Neben den russischen Imperialisten benützen eben auch die revisionistischen Parteien der Region (KPU und KPRF) derartige Formulierungen oder Diskreditierungen des Protests an sich. In der Konsequenz ergibt sich der Fehler, dass man sich dadurch auf Grund fehlender Differenzierung, auch hinter die Janukowitsch-Kapitalisten stellt und das Vorgehen des russischen Imperialismus allgemein billigt. Es zeugt auch von einer völligen Fehleinschätzung der sozialen und ökonomischen Komponente des Protests sowie der Bedürfnisse der ArbeiterInnenklasse. Die Stellungnahmen der KPU und der KPRF wirken in Anbetracht der Tatsache, dass es sich bei Russland um ein offen kapitalistisch und imperialistisch agierendes Land handelt, mehr als widersprüchlich. Der russische Imperialismus ist historisch gewachsen und fußt auf dem Sozialimperialismus der Chruschtschow und Breschnew Ära. Allerdings sieht er sich seit der vollen Restauration des Kapitalismus westlichen Typs weiterhin einer Einkreisung unterworfen. Daher und um kulturelle Bezugspunkte zu setzen bedient er sich allzu gerne einer antifaschistischen und antiimperialistischen Rhetorik. Diese von den Revisionisten aufgegriffene Rhetorik ist aber fern jeglicher marxistischleninistischer Kritik und Bewertung der aktuellen Lage. Mehr noch, sie ist sogar die Verneinung des leninschen Prinzips, dass sich das Proletariat nie einer imperialistischen Macht anschließen darf! Nichtsdestotrotz sehen sich die linken Kräfte innerhalb der Ukraine einer massiven Repression seitens des Staates und der faschistischen Organisationen ausgesetzt. So steht das Verbot der KPU vom 16.12.2015 in einer ganzen Reihe von legistischen Maßnahmen, welche sinnbildlich für eine anti-kommunistische und nationalistische Haltung stehen. Im Mai 2015 etwa wurde bereits das Verwenden von Symbolen der ArbeiterInnenbewegung untersagt.18 Im Juli wurde die Partei schließlich von bürgerlich-demokratischen Prozessen ausgeschlossen. Weiters kommt es zusätzlich zu diesen Maßnahmen ständig zu Aktionen seitens der Faschisten gegen Linke. Prawyj Sektor führt etwa Entführungen von Funktionären durch, welche Tags darauf beim Verhör durch die Staatssicherheit wieder auftauchen. Es kommt zu Hausdurchsuchungen oder schlicht blanken Terror. Die linkskämpferische und antiimperialistische Organisation Borotba sah sich auf Grund massiver Repressalien, wie etwa den Angriffen von Faschisten auf ihre Büros, gezwungen ihre Tätigkeiten in den Untergrund zu verlagern. Das Borotba Mitglied Andrej Brashewski z.B. wurde bereits zu Tode geprügelt.19 http://www.workers.org/articles/2013/12/09/pro-imperialists-besiege-ukraine-communists-warn-fascist-coupattempt/ (07.02.2016) 17 18 Entsprechendes Gesetz verbietet sogar ein Singen der Internationale! Das Parteiverbot der KPU sowie ihrer Abspaltungen wird inzwischen vor dem europ. Gerichtshof für Men schenrechte angefochten. Die Partei organisierte sich inzwischen bei der noch zugelassenen Dachorganisation Linksopposition. 19 28 Proletarische Revolution 62 Bei diesen Maßnahmen gegen die Organisationen der ArbeiterInnenklasse bei gleichzeitiger Schonung, ja sogar Unterstützung rechtsextremer Kräfte zeigt sich wieder einmal die wahre Natur der Beziehung des Faschismus und des Kapitals zu einer Diktatur des Finanzkapitals. Die bewaffneten Faschisten und ihre Organisationen, Hand in Hand mit den anderen bürgerlichen Parteien, ebnen den Weg für die imperialistischen Mächte und eine ihnen hörige Bourgeoisie, indem sie vermeintliche und wirkliche Widerstände in der Ukraine beseitigen.20 Die Rolle des österreichischen Kapitals Seit März 1992 engagiert sich die Raiffeisen-Bank in der Ukraine und hat sich (laut Selbstdarstellung) mit ihrer Tochtergesellschaft Aval eine „Spitzenposition“ im ukrainischen Bankensektor verschafft. In der Vergangenheit haben die dort vertretenen österreichischen Banken (RBI, Erste und Bank Austria) massiv Fremdwährungskredite vergeben. Laut Moodys belauft sich die Summe der ausgegebenen Kredite auf 8 Mrd. Euro. Im Zuge der Währungsentwertung kam es in der letzten Zeit zu einem Verlustgeschäft.21 Zwischen 2013 und 14 verringerte die RBI bereits die 20 Beteiligungen in der Ukraine um 30%. Auch die Unicredit verkaufte jüngst erst die ukrainische Tochter Ukrsotsbank.22 2009 bewertete die Deutsche Bank die Ukraine noch als „ideale Bankplattform“ mit „Wachstumschancen“.23 Die Tätigkeiten der Banken im Land sind vielseitig, von der Ausgabe von Krediten und der Einlage von Vermögen – beides momentan bei den UkrainerInnen weniger der Fall, reichen sie bis zur Ermöglichung von Kapitalflucht und Spekulationsgeschäften mit ukrainischen Staatsanleihen. Grundsätzlich lässt sich derzeit eher von einem Rückzug des österreichischen Kapitals aus dem Land sprechen. Die Situation in der Ukraine ist gerade deshalb von wichtiger Bedeutung, weil sie sich zwischen den imperialistischen Riesen und ihren Lakaien bewegt: Dem US-Imperialismus und bestimmten EU-Imperialisten einerseits und dem erstarkenden russischen Imperialismus andererseits. Um nicht von dem einen oder dem anderen erdrückt zu werden, muss sich die ukrainische ArbeiterInnenklasse ihrer Position in diesem für den europäischen Raum entscheidenden Konflikt bewusst werden, um selbstständig auftreten zu können. Keine leichte Sache, zumal die rechten Kräfte stark sind und dies verhindern möchten. Aber nicht nur das, der faschistische Mob marschiert, terrorisiert und tötet! Dazu muss sich ein/e jede/r positionieren! Aber wie können die fortschrittlichen Kräfte in Österreich die katastrophalen Entwicklungen in der Ukraine effektiv bekämpfen? Indem wir vor allem die imperialistischen Praktiken unseres eigenen Landes angreifen! Dieser bürgerliche Staat hat sich durch Ausbeutung und Knechtschaft bereits viele Völker, vor allem in Ost- und Südost Europa, zum Feind gemacht. Von der eigenen Bevölkerung gar nicht zu reden. Diese „OsteuropaOffensive“ des österreichischen Imperialismus gilt es vorrangig zu stoppen! Wer Geld für den Widerstand spenden möchte: Die deutschen Rote Hilfe e.V. hat ein eigenes Hilfskonto für in der Ukraine ver folgte AntifaschistInnen: Spendenkonto Rote Hilfe e.V. IBAN: DE25260500010056036239 BIC:NOLADE21GOE Stichwort: Antifa Ukraine http://www.rote-hilfe.de/presse/bundesvorstand/560-stellungnahmeder-roten-hilfe-e-v-zur-spendenkampagne-fuer-verfolgte-antifaschistinnen-in-der-ukraine Vgl. Stellungnahme der Union Borotba zum 1.Mai in PR60 http://derstandard.at/1392686643801/Oesterreichs-Banken-von-Wirren-in-Ukraine-schwer-getroffen (08.02. 2016) 21 http://derstandard.at/2000028865544/UniCredit-schliesst-Abkommen-fuer-Verkauf-der-Ukraine-Tochter-ab (08.02.2016) 22 23 https://www.deutsche-bank.de/presse/de/content/presse_informationen_2009_4620.htm (08.02.2016) 29 KP Griechenland (marxistisch-leninistisch): Flugblatt der KKEml, Februar 2016 – eigene Übersetzung aus dem Englischen Nein zu den NATO-Operationen in der Ägäis! Der Einsatz einer starken NATOSeestreitmacht mit Luftunterstützung in der Ägäis „zur Überwachung der Migrant/innen-Wellen“, wie es in der Resolution heißt, stellt eine gefährliche und reaktionäre Entwicklung für unser Volk genauso wie für die Völker der Region dar. - Es bedeutet eine klare Einmischung der NATO in die zunehmende imperialistische Konfrontation und Intervention in Syrien und im Nahen Osten, eine sehr gefährliche Entwicklung in einer Zeit, wo die vorgeschlagene aber zweifelhafte Feuerpause begleitet wird von fortgesetzten Bombardements und Drohungen mit einer Ausdehnung des Krieges. - Es verstärkt das Drama der Flüchtlinge, die von den Bombardements und Massakern der Imperialisten und ihrer Marionetten in Syrien vertrieben werden und dann auf NATOKriegsschiffe stoßen, wodurch sie zu Werkzeugen in der Konfrontation und für die Ziele der Imperialisten und Regionalmächte werden. - Es eröffnet einen sehr gefährlichen Weg für unser Land und sein Volk, da wir direkt in die NATO-Kriegspläne verwickelt werden, und auch weil wieder Fragen der Souveränität in 30 der Ägäis und Konfrontationen zwischen der türkischen und der griechischen Bourgeoisie aufgeworfen werden. Die SYRIZA-ANELRegierung hat nach ihrem „Angebot“ für eine neue U S - N AT O - M i l i t ä r b a s i s die USA als „wertvollen Freund“ bezeichnet und mit der Stärkung der USgestützten israelisch-ägyptischen Achse einen weiteren Schritt in Richtung verstärkter Abhängigkeit gesetzt. - Es ist ein Schritt vorwärts in Richtung einer vollständigen Unterwerfung unter die Forderungen der EU„Partner“ (Deutschland, Frankreich) und dem transatlantischen „Verbündeten“ (USA), den Kriegsfalken, den Geiern, die unser Volk ins Elend treiben. Die Kommunistische Partei Griechenlands (marxistisch-leninistisch) verurteilt diese gefährliche Entwicklung und ruft unser Volk auf, den antiimperialistischen und AntikriegsKampf zu verstärken. Wir müssen dem Kampf unseres Volkes für Brot eine antiimperialistische Orientierung geben. Wir müssen unsere Solidarität mit den Migrant/innen und Flüchtlingen ausdrücken, indem wir unseren gemeinsamen Feind angreifen. Wir müssen hinarbeiten auf die Schaffung einer alle Völker umfassenden Widerstandsfront gegen den Angriff des Systems und Regimes der Unterwerfung. Für eine Volksfront gegen Imperialismus und Krieg! US-NATO-EU-IMF raus aus Griechenland! Solidarität mit den Flüchtlingen und Migrant/innen! KKE(ml) Internationales Büro Athen, 16. Februar 2016 [email protected] Emmanouil Benaki Str. 43, Athen 10678, Griechenland Proletarische Revolution 62 Klassenkämpfe in Griechenland und Frage der sozialistischen Revolution Sobald Syriza die Regierungsgeschäfte in Athen übernommen und durch ihre Politik de facto zum geschäftsführenden politischen Ausschuss des Finanzkapitals geworden war, wurde aus einer reformistischen Partei, die den Klassenkampf in die parlamentarische Sackgasse führte, ihn abwürgte und der Arbeiter/innenklasse eine schwere Niederlage bereitete, eine offen arbeiter/innen- und volksfeindliche Partei. Der Verrat sogar am eigenen, ohnehin systemverträglichen Wahlprogramm hatte sofort nach den Wahlen im Jänner 2015 begonnen, aber allerspätestens nach der Volksabstimmung im Juli war er unübersehbar geworden1. Dennoch wurde diese Politik von vielen „Linken“ fast das ganze Jahr 2015 hindurch beschönigt und gerechtfertigt. Wie konnten so viele die Augen davor verschließen, dass Syriza aus einem „falschen Freund“ zur politischen Repräsentanz des Klassenfeinds geworden war? Natürlich ist es nicht immer leicht, sich von Vorurteilen zu lösen und einen gewissen Tunnelblick zu überwinden, auch ist es natürlich so, dass wir hier in Österreich in erster Linie unsere imperialistische Bourgeoisie und ihre Rolle in Griechenland bekämpfen müssen und aus dieser beschränkten Perspektive kann leicht, zumal die im- 1 perialistische Propaganda die ganze Zeit weiter gegen Syriza hetzte, diese als unschuldiges Opfer erscheinen. Trotzdem dürfen nicht ewig die Augen vor der traurigen Realität verschlossen bleiben. Es geht dabei aber auch um die grundsätzliche Frage, wie der Klassenkampf betrachtet und welche Perspektive ihm zugemessen wird. Was Griechenland betrifft, ging es (und geht es noch) dem Wesen der Sache nach darum, wie jemand sich entscheidet angesichts des Scheidewegs: Soll sich eine Massenbewegung wie die in Griechenland auf eine revolutionäre Perspektive hin entfalten oder soll sie sich in ein reformistisches Fahrwasser, in die Kapitulation und Niederlage manövrieren lassen? Vor diesem Scheideweg stand die griechische Arbeiter/ innenbewegung - Syriza, eine zutiefst kleinbürgerliche Reformpartei, stand nie vor dieser Frage. Sie hatte niemals weder eine revolutionäre Orientierung, noch einen wie immer gearteten „Sozialismus“ auf ihre Fahnen geschrieben. Mit einer Syriza bräuchte daher eine solche Auseinandersetzung nicht geführt werden - aber sich mit falschen Auffassungen innerhalb der sich für revolutionär oder dem Sozialismus zugeneigt betrachtenden „Linken“ auseinanderzusetzen ist notwendig. „Kleineres Übel“, „unreife Lage“, „Gefahr des Faschismus“ ... Die Argumente, die zur Rechtfertigung der SyrizaPolitik vorgebracht wurden und teils immer noch werden, sind allesamt nicht neu und werden seit jeher oft und gerne aus der ideologischen Werkzeugkiste der Bourgeoisie gezogen. Das wichtigste Argument ist das vom „kleineren Übel“. Bekanntlich gibt es immer und überall ein jeweils „kleineres Übel“, das geschluckt werden müsse, um das größere zu vermeiden. Im Fall Griechenlands lautet das so: Dem griechischen Volk ginge es bereits derart verheerend, dass Syriza unbedingt an der Regierungsmacht gehalten werden müsse, denn sie sei trotz alledem immer noch besser, schütze das Volk immer noch eher vor dem Ärgsten als PASOK, ND und Konsorten. Den „Luxus“ einer auf einen revolutionären Umsturz gerichteten oder auch nur einer radikal antikapitalistischen und anti-neokolonialen Politik, mit unwägbaren Risken behaftet oder außerdem realitätsfernen „Spekulation“, könne sich die Arbeiter/innenklasse dagegen in so einer Lage nicht leisten. Es kam freilich wie es kommen musste. Allerspätestens seit Oktober 2015 ist offensichtlich, dass sich das „kleinere Übel“ in Griechenland rasch als mindestens so schlimm he- Zur Syriza und der Entwicklung in Griechenland siehe die Beiträge in der PR 61 aus Dezember 2015. 31 Griechenland - Klassenkampf und Revolution rausstellt wie das frühere und neuerlich befürchtete größere. Syriza war schon seit längerem zum Übel, wenn auch nach Ansicht vieler, zum „kleineren Übel“ geworden, aber die Vorschläge der Syriza vom Juli (Vorschläge der Syriza, nicht der „Troika“!), das darauf folgende schulterklopfende und gleich nochmals aggressivere „Memorandum“ der Troika vom August und seither dessen Umsetzung durch Syriza im Schnellzugstempo stellen sogar die bisherige neokoloniale Unterwerfung und arbeiter/innen- und volksfeindliche Politik in den Schatten. Auf die Schandtaten der Vorgängerregierungen wurde noch eins draufgesetzt. Der Verrat als solcher überraschte nicht, ein Blick auf das Parteiprogramm und dann vor allem die Politik der ersten Wochen genügte, um damit zu rechnen. Was aber überraschte, war das Tempo und die „Radikalität“ des Verrats. Die düpierte Arbeiter/innen- und Volksbewegung lag von jahrelangem Kampf erschöpft und frustriert am Boden und bekam durch Syriza nochmals eins übergezogen. Dieser verheerende (wenn auch sicher nur vorläufige!) Ausgang jahrelanger Kämpfe bestätigt zum x-ten Mal die Erfahrung der Arbeiter/ innenbewegung, dass die Interessen der Arbeiter/innenklasse und des Volkes nur im Klassenkampf gegen ihre Feinde im Betrieb und auf der Strasse gewahrt bzw. durchgesetzt werden können und dass dieser - wenn er letztlich erfolgreich sein soll - unter 32 einer revolutionären Perspektive geführt werden muss, weil nur der Sturz der Bourgeoisie und die Überwindung des kapitalistischen Systems zur Abschüttelung der Ausbeutung und Unterdrückung und des neokolonialen Jochs führen kann. Alle Kapitulation gegenüber dem Klassenfeind und alle diese fiesen „kleineren Übel“ führen dagegen zur Unterordnung unter die Bourgeoisie, zur Kapitulation, zur Niederlage. Das Märchen vom „kleineren Übel“ soll nur die Massen vom Kampf um ihre eigenen, denen der Bourgeoisie antagonistisch entgegengesetzten Klasseninteressen abhalten und das Bourgeoisregime bzw. im griechischen Fall auch das neokoloniale Regime stabilisieren oder retten. Andere, die es nicht mehr übers Herz bringen, der Syriza die Stange zu halten, bringen eine „linke“ Variante der systemaffirmativen und gegen jegliche revolutionäre Orientierung gerichteten Argumentation vor, sie anerkennen zwar „prinzipiell“ die Notwendigkeit einer radikalen „Systemkritik“, manche betonen vielleicht auch inbrünstig ihr „sozialistisches Herz“, sie halten aber dennoch eine revolutionäre Orientierung des Klassenkampfs (d.h. eine Orientierung auf die Revolution, auf den Sturz der Bourgeoisie, nicht auf irgendeinen „revolutionären“ Schmarren) für „nicht realistisch“, entweder heutzutage überhaupt nicht (mehr) oder jedenfalls nicht „unter den ge- gebenen Umständen“. Jede „revolutionäre Zuspitzung“ sei zu „gefährlich“, insbesondere immer „jetzt“ - es dürfe nämlich der griechischen Bourgeoisie und dem internationalen Finanzkapital nicht zu nahe getreten oder sie gar provoziert werden! Sie schwenken daher folgerichtig auf systemverträgliche Reformpolitik à la Syriza und reformistische Pseudo-Auswege aus der neokolonialen Abhängigkeit ein - und das vor lauter Ängsten und Sorgen umso mehr, je zugespitzter die Lage ist. Oft handelt es sich dabei sogar - jedenfalls in der Phrase - um „Antikapitalisten“ und sogar „Marxisten“, die Gründe suchen, warum der Klassenkampf in Griechenland als einzig möglicher Ausweg aus der Misere nicht auf die sozialistische Revolution orientiert und ganz generell der Klassenkampf nicht zugespitzt werden dürfe. Auch das ist nicht neu, es gibt immer „Gründe“ dafür, warum das, was zwar „prinzipiell möglich“ ist, „jetzt“ eben nicht möglich ist, insbesondere wenn sich die Lage zuspitzt und es eigentlich um die Nagelprobe der „Systemkritik“, nämlich in der Praxis, ginge. Sogar unmittelbar vor revolutionären Erhebungen, ja sogar erfolgreichen Revolutionen wie z.B. der Oktoberrevolution in Russland 1917 gab es solche „Gründe“. Es ist immer dasselbe: das eine Mal sind Land und Lage dafür subjektiv noch nicht reif (also das Klassenbewusstsein und die Klassen- Proletarische Revolution 62 organisation), das andere Mal stehen übermächtige Feinde dem entgegen2, das dritte Mal gibt es noch einen anderen Grund und am besten alles zusammen. Aber selbst unter den ungünstigsten und schwierigsten Bedingungen und auch in nicht-revolutionären Zeiten geht es um den Scheideweg: Soll eine Massenbewegung wie die in Griechenland auf eine revolutionäre Perspektive hin entfaltet werden oder soll sie - unter welchem Vorwand auch immer - in ein reformistisches Fahrwasser manövriert werden? Dabei ist der Reformismus, das Fassadenrenovieren, das Aufpflastern neuer Tapeten auf verschimmelte Mauern die so ziemlich unrealistischeste Perspektive für eine wirkliche Verbesserung der Lage. Manche, weniger „links“ stehend, projizieren die bornierte Beschränkung ihrer Kapitalismuskritik auf „Finanzhaie und Spekulanten“ auch auf Griechenland: so wie die „Empörten“ und „Occupier“ anderswo sollten auch die Griechen nur an der Fassade des Systems herummachen. Mit solchen Leuten kann an und für sich schwerlich über die Notwendigkeit der Beseitigung des Kapitalismus (des kapitalistischen Systems, nicht einiger „Exzesse“ dieses Systems!) und die sozialistische Revolution diskutiert werden, aber vielleicht können trotzdem einzelne davon überzeugt werden, dass der Kampf für einen Kapitalismus mit „menschlichem Antlitz“ ein Kampf gegen Windmühlen und ein Hirngespinst ist. Noch ein anderes Argument gegen den Klassenkampf im Allgemeinen und einen revolutionären Weg im Klassenkampf im Besonderen besteht in der Faschismuskeule. Würde Syriza nicht gewählt, heißt es, und würde der Klassenkampf nicht abgemildert, sondern weiter verschärft und mit ihm die „wirtschaftliche Lage“ (die der Bourgeoisie und ihres Staates wohlgemerkt!), würde der Volkszorn nicht in geordnete parlamentarische Kanäle gelenkt, würde also die bourgeoise „Ordnung“ gefährdet, würde das Diktat der EU nicht akzeptiert usw. - dann drohten Chaos und Zusammenbruch, es wüchse der Einfluss der Faschisten des „Goldenen Morgengrauen“, es bestünde die Gefahr eines ultrareaktionären oder gar faschistischen Auswegs der Bourgeoisie usw. Anders gesagt: Damit die Bourgeoisie, im griechischen Fall die griechische im Verbund mit der internationalen Finanzbourgeoisie, nicht zum Faschismus greift, muss ihr nachgegeben werden, sodass sie ihre Ziele ohne Faschismus erreicht. So eine „Taktik“ war immer schon der größte Holzweg. Noch nie haben Zurückhaltung und Nachgeben gegenüber der Reaktion zu deren Mäßigung geführt, ganz im Gegenteil, wie wir gerade am Beispiel Griechenlands im Sommer 2015 wieder gesehen haben. Wir sind im Gegenteil der Auffassung, dass der Bourgeoisie, die ja hinter dem Faschismus steckt, im Klassenkampf entgegengetreten werden muss und der Vormarsch des Faschismus nur dadurch gestoppt werden kann. Reaktion und Bourgeoisie verstehen nur eine Sprache, die des Klassenkampfes und letztlich die der revolutionären Gewalt. ... oder revolutionäre Perspektive Keines dieser Argumente, sich nicht strategisch auf einen revolutionären Ausweg aus der Krise, also auf die Vorbereitung einer sozialistischen Revolution zu orientieren, ist stichhaltig. Selbstverständlich war in Griechenland, selbst als die Massenbewegung noch im Aufschwung war, also vielleicht bis 2013 oder längstens 2014, noch lange keine revolutionäre Situation entstanden, also eine Situation, in der objektiv die herrschende Klasse nicht mehr so wie bisher weiter herrschen konnte Nur dass Griechenland „objektiv noch nicht reif“ für die sozialistische Revolution sei, indem es noch Reste vorbürgerlicher Produktionsverhältnisse gäbe, die „zuerst“ überwunden werden müssten, bevor es zur sozi alistischen Sache gehen könnte, behauptet wohl heute niemand mehr (vor dreißig, vierzig Jahren übrigens schon noch, wegen der vielen bäuerlichen Clans usw.!). Allerdings läuft es auf dasselbe hinaus, wenn jemand glaubt, dass eine Überwindung der neokolonialen Abhängigkeit in einer der sozialistischen Revolution vorge lagerten Etappe noch ohne Sturz der Bourgeoisherrschaft möglich sei. 2 33 Griechenland - Klassenkampf und Revolution und die ausgebeutete und geknechtete Klasse nicht mehr so wie bisher weiter leben wollte. Auch die subjektiven Bedingungen waren längst nicht reif dafür, das Klassenbewusstsein trotz heftiger Kämpfe zu wenig geschärft und entwickelt und vor allem gab es noch keine ausreichend starke revolutionäre kommunistische Führung, keine ausreichend starke marxistisch-leninistische Partei, ohne die sowieso gar nichts an zielstrebiger und anhaltender Entfaltung des Klassenkampfes geht. Die sozialistische Revolution ist zwar die historisch in Griechenland anstehende strategische Aufgabe, aber sie stand nicht auf der praktischen Tagesordnung in dem Sinn, dass sie unmittelbar angepackt werden könnte. Bloß, darum geht es ja gar nicht, sondern es geht darum, dass die Klassenbewegung selbst in jeder noch so beschissenen Situation auf Basis einer im Hinblick auf das strategische Ziel ausgearbeiteten Taktik auf eine revolutionäre Perspektive hin entfaltet werden muss. In einer bereits revolutionären Situation geht es unmittelbar um die Revolution, d.h. die Ergreifung der Staatsmacht und die Zerschlagung des bürgerlichen Staatsapparats. In einer noch nicht revolutionären Situation (und selbst bei einer noch viel weniger als im Griechenland der letzten Jahre entfalteten Massenbewegung) geht es darum, die Kräfte der Revolution ide- ologisch, politisch, organisatorisch, auch militärisch3 zu stärken, um diesem Ziel näher zu kommen, wobei der Aufbau einer Partei, die den Klassenkampf führen, auf ein bewussteres Niveau heben und ihm Rückgrat verleihen kann, im Mittelpunkt steht. Eine wirklich radikal antikapitalistische, d.h. auf den revolutionären Ausweg verweisende Propaganda, das praktische Eingreifen bzw. Organisieren der Tageskämpfe auf so einer Linie, unter Losungen und Forderungen, die auf radikale Besserung der Lage und auf den Umsturz der bestehenden Verhältnisse zielen, der Partieaufbau, kein Aufgehen in reformistischen, parlamentarischen, pazifistischen Illusionen - darum geht es. Darum geht es immer, in jeder Situation, es geht immer um das Hinarbeiten auf das strategische Ziel der sozialistischen Revolution, denn nie können die Interessen und Ziele einer demokratischen, antifaschistischen, antiimperialistischen, antikapitalistischen Massenbewegung konsequent durch- bzw. umgesetzt werden ohne den radikalen Umsturz der bestehenden kapitalistischen Verhältnisse. Wenn sich eine revolutionäre Situation entwickelte ... Dem reformistischen, spontaneistischen, anarchistischen oder sonstigen Kritiker einer solchen Sicht ist das alles natürlich fremd, erstens überhaupt zu kommunistisch (er würde wahrscheinlich „stalinistisch“ sagen) und zweitens zu weit von der heutigen Realität entfernt, als dass er dafür das geringste Interesse entwickeln könnte. Aber sobald jemand erkennt, dass es nur einen wirklichen Ausweg aus der Hölle des Kapitalismus und Imperialismus gibt, nämlich den, ihn zu stürzen, also die sozialistische Revolution, dass es also, sollte es nicht bei der reformistischen und illusionistischen Flickschusterei bleiben, keine andere klassenkämpferische Alternative gibt als die sozialistische Revolution, dass das seinerzeit von Rosa Luxemburg geprägte Wort „Sozialismus oder Barbarei“ eine immer bedrohlichere Wahrheit ist - wenn das erkannt wird, dann ist es naheliegend, auch weitergehende Überlegungen über Entstehen und Entwicklung einer revolutionären Situation sowie Bedingungen einer revolutionären Erhebung anzustellen. Nicht dass wir glauben, wir würden damit morgen oder übermorgen praktisch konfrontiert, aber irgendwann werden wir damit konfrontiert werden. Der Klassenkampf verschärft sich in aller historischen Regel oft unerwartet rasch und heftig, z.B. 1968 in Frankreich, aber auch in den letzten Jahren in Griechenland. Das macht noch keine revolutionäre Situation aus, aber auch durch so eine Situation muss mit einer kla- Arbeiter/innen- und Volksmilizen zum Schutz gegen den Gewaltapparat des Staates und zur Abwehr faschi stischer Übergriffe, schrittweiser Aufbau militärischer Formationen (wie es z.B. in der Zwischenkriegszeit der Rotfrontkämpferbund der KPD oder die Österreichische Arbeiterwehr der KPÖ. 3 34 Proletarische Revolution 62 ren revolutionären Strategie und Taktik durchgesteuert werden, durch eine tatsächlich revolutionäre Situation erst recht. Dazu müssen wir uns, soweit das heute schon sinnvollerweise möglich ist, rechtzeitig mit den strategischen und taktischen Fragen der Revolution beschäftigen. Nehmen wir also, obwohl zugegebenermaßen schwer vorstellbar unter den heutigen Umständen in Europa, aber für die Zukunft so sicher wie das Amen im Gebet, an, es käme eines Tages in einem europäischen Land wie z.B. Griechenland dazu, dass eine revolutionäre kommunistische Partei auf Basis einer mächtigen revolutionären Massenbewegung und in einer revolutionären Krise vor der Möglichkeit stünde, die Staatsmacht an sich zu reißen (nicht natürlich durch parlamentarisches Gewusel, sondern durch die Machtergreifung im revolutionären Aufstand). Könnte bzw. sollte sie dann wagen, das in Angriff zu nehmen? Zunächst einmal setzen wir hier voraus eine mächtige und wirklich revolutionäre Massenbewegung und eine wirklich revolutionäre Situation. Eine solche Situation, eine solche revolutionäre Zuspitzung der Klassenwidersprüche war in Griechenland - trotz heftiger Klassenkämpfe - zu keinem Zeitpunkt gegeben. Weder erreichte die „Krise“ der Bourgeoisie einen solchen Punkt der Zersetzung ihrer Macht, noch gab es eine tatsächlich revolutionäre Arbeiter/innenbewegung, das heißt eine unter revolutionär kommunistischer Führung. Also waren weder die objektiven noch die subjektiven Bedingungen für eine revolutionäre Erhebung gegeben. Aber nehmen wir an, die griechische Arbeiter/innenbewegung nähme einen neuen Anlauf und es entstünde eine vorrevolutionäre Situation. Was dann? Nach vorwärts blicken oder nach rückwärts? Sind die objektiven Bedingungen für die Revolution trotz Massenrevolten dennoch noch nicht gegeben, erübrigt sich die Frage nach der praktischen Inangriffnahme der Revolution. Wenn ja, stellte sich die nächste Frage: Sind auch die subjektiven Bedingungen so, dass die Machtergreifung durch einen bewaffneten Aufstand (ohne Waffengewalt geht gar nichts!) ins Auge gefasst oder sogar in Angriff genommen werden könnte? Sind sie ebenfalls gegeben, sicher noch nicht vollständig im gegebenen Moment, das ist nie so, aber absehbar in der Perspektive, dann heißt das, auf diesen Aufstand Kurs zu nehmen bzw., wenn die vorrevolutionäre in eine revolutionäre Situation übergeht, ihn zu wagen. In jeder beliebigen vorrevolutionären oder revolutionären Situation treten nun aber in großer Zahl „linke“ Leute auf, die, obwohl ihr Herz angeblich für den Sozialismus schlägt, vor dem einzig möglichen, dem revolutionären Weg zum Sozialismus zurückschrecken, und zwar umso mehr, als diese Perspektive näher rückt, und nichts anderes mehr zu tun haben, als vor „verantwortungslosem Abenteurertum“ zu warnen. Warum meinen sie das bzw. welche Vorwände schieben sie vor? Hauptargumente ist immer erstens die angeblich fehlende Bewusstheit und „Reife“ der Arbeiter/innenbewegung an der sie übrigens jahraus, jahrein tatkräftig gearbeitet haben, die sich aber ihnen zum Trotz in revolutionären Zeiten sprunghaft steigert. Zweitens der verängstigte Hinweis auf eine Übermacht des ideologie- und waffenstrotzenden Feindes. Im Falle der revolutionären Krise wäre allerdings der Feind, auch sein Gewaltapparat, nicht mehr so übermächtig wie heute. Er erscheint ja heute nur so übermächtig, weil ihm keiner entgegen tritt.4 Treten ihm einmal erhebliche Abteilungen der Arbeiter/innenklasse und des Volkes unter einer revolutionären Führung entgegen und entsteht eine revolutionäre Situation, dann zersetzt, desorganisiert und spaltet sich die Feindesmacht, während zugleich die revolutionäre Arbeiter/innenbewegung sich radikalisiert, Wir reden hier von Klassenkampf im Inneren. Auf der internationalen Ebene erleben wir ständig, welche Mühe die Imperialisten bei ihrem Versuch, die Welt zu beherrschen, haben und was für Papiertiger sie sind, wie sie trotz ihres Waffenarsenals eine Niederlage nach der andern einfahren (Afghanistan, Irak, Somalia, Libyen ...). Auch in Syrien sind wenigstens die westlichen Imperialisten am Ende ihres Lateins. 4 35 Griechenland - Klassenkampf und Revolution organisiert, bewaffnet. So ein Szenario ist keine Phantasie, sondern genau so war der Ablauf noch in jeder wirklichen Revolution, so war es schon bei der (bürgerlichen) Französischen Revolution 1789 gewesen, so war es 1871 bei der Pariser Commune und so war es 1917 bei der Oktoberrevolution. Was gerade noch unvorstellbar war, wird in kürzester Zeit Realität. Was können sie sonst noch gegen die Revolution anführen? Vermutlich die imperialistische Einkreisung des Landes. Das ist eine Frage, die ernsthaft geprüft werden muss, aber ebenfalls in einem revolutionären und nicht in einem reformistischen Geist.5 In der Tat ist es zwar so, dass die Entwicklung des Klassenkampfes in den verschiedenen Ländern ungleichmäßig und ungleichzeitig verläuft, aber so voneinander unabhängig auch wieder nicht, dass der Aufschwung einer mächtigen revolutionären Bewegung in einem Land ein ganz isoliertes Ereignis bliebe und es nicht auch gleichzeitig einen Aufschwung der Klassenkämpfe und der revolutionären Bewegung in dem einen oder anderen weiteren Land gäbe (speziell vielleicht in den Nachbarländern, was besonders wichtig wäre). Dazu kommt, dass ein Aufschwung des Klassenkampfes und erst recht eine revolutionäre Erhebung in einem Land auch den Klassenkampf in anderen Ländern direkt beflügelt6. Längst vor einer revolutionären Erhebung schon strahlen heftige Klassenkämpfe in einem Land aus auf andere Länder, darunter vielleicht die Nachbarländer, um wie viel mehr täte das eine tatsächliche revolutionäre Erhebung. Sie erhielte dadurch auch internationale Unterstützung. Gerade zwischen Griechenland und den Balkanländern gibt es und gab es schon in den letzten Jahren in gewissem Maß eine solche Wechselbeziehung, eine Beziehung, die sich bei weiterer Zuspitzung der kapitalistischen Widersprüche in der Region und einer revolutionären und zugleich internationalistischen Bewegung in Griechenland sicher intensiviert hätte. Kurzum: Wenn eines Tages in einem Land wie Griechenland die sozialistische Revolution auf der Tagesordnung stünde, dann stünde die Arbeiter/ In den Diskussionen in der nepalesischen PCNU(m) spielte diese Frage vor der Machtübernahme durch ei nen revisionistischen Flügel und der Spaltung der Partei (2013) eine große Rolle: Ist eine Revolution in Nepal möglich angesichts der Bedrohung durch Indien? Die Revisionisten entschieden sich gegen die Revolution, unter anderen mit diesem Argument, die Revolutionär/innen gingen davon aus, dass eine siegreiche nepa lesische Revolution eine große Ausstrahlung auf Indien, vor allem auf die Grenzgebiete, mit denen es viel fältige Verflechtungen gibt, haben und den Volkskrieg der indischen Genossen der CPI(m) beflügeln würde, sodass es der indischen Reaktion schwer fallen würde, militärisch gegen ein revolutionäres Nepal vorzuge hen, zumal Indien nicht der einzige äußere Akteur in Nepal ist. Bzw. dass ein solches militärisches Vorgehen zu enormer Verschärfung der Klassenkämpfe in Indien führen würde. Die nepalesischen Genossen wiesen damals daraufhin, dass für die Revisionisten „die Bedingungen immer ungünstig sind“. 5 Z.B. haben die Klassenkämpfe in Frankreich ab dem 3. Mai 1968 und der wochenlange Generalstreik von 14. Mai bis 18.Juni oder der „heiße Herbst“ 1969 in Italien die revolutionäre kommunistische und die Ar beiter/innenbewegung der anderen europäischen Länder beflügelt. Ein paar Funken sind sogar nach Öster reich geflogen und haben nicht nur die revolutionäre Studentenbewegung, sondern auch klassenbewusste Arbeiter/innen angespornt und gestärkt - wie an Umfang und an der größeren Bewusstheit und Entschlos senheit der Streiks der folgenden Jahre gesehen werden konnte (nicht allerdings an der ÖGB-Streikstatistik, denn die meisten der Streiks in den frühen 1970er Jahren waren „wilde Streiks“). 6 36 Proletarische Revolution 62 innenklasse dieses Landes nicht alleine. Auch die Arbeiter/innenklasse anderer Länder leidet nämlich unter derselben kapitalistisch-imperialistischen Ausbeutung und neokolonialen Abhängigkeit.7 Wenn es zu einer revolutionären Erhebung käme ... Dazu kommt noch eine andere Lehre aus der Geschichte. Revolutionäre Situationen und Erhebungen entwickeln sich nicht nach irgendeinem Schema von pedantischen Kleingeistern, sondern aus der plötzlichen Zuspitzung bestimmter Widersprüche und aus Massenbewegungen heraus. Sie sind keine „Willensentscheidungen“ der Revolutionäre, sie sind „unkontrollierbar“, wild, Gräuel jedes Reformisten. Es gibt in der Geschichte nicht selten den Fall, dass trotz schwieriger bis widriger, manchmal sogar außerordentlich widriger Umstände Massenrevolten ausbrechen und eine Qualität erreichen, die die Revolution - wenn auch unter schlechten Bedingungen - auf die Tagesordnung setzen8 - in so einem Fall müssen sich die Kommunisten trotz aller widrigen Bedingungen an die Spitze dieser Bewegung setzen und sie so weit als möglich vorantreiben. Und die internationale revolutionäre kommunistische Bewegung müsste zusammen mit allen Kräften, die gegen den Neokolonialismus und eine Niederschlagung der Volksbewegung auftreten, die Unterstützung durch die internationale Arbeiter/innenklasse und die Völker, vor allem die der Nachbarländer, organisieren. Wir dürfen auch nicht vergessen, dass sich ein revolutionäres Szenario kaum in einem „ruhigen internationalen Fahrwasser“ abspielen würde, sondern auf dem Hintergrund außergewöhnlicher Zuspitzung der Widersprüche im Kapitalismus auch in internationalem Maßstab, was sich in schweren Krisen und Kriegen entlädt. Nahezu alle Revolutionen in der jüngeren Geschichte, d.h. seit es den Imperialismus gibt, standen im Zusammenhang mit Kriegen, die Regime erschütterten und „Reiche“ hinwegfegten. Solche Situationen brauen sich wieder zusammen, auch wieder nicht heute, aber wahrscheinlich früher, als wir denken. Wir sehen ja bereits, wie sich die Kriegsherde in Europa und rundherum entwickeln (von der Ukraine über den Nahen Osten bis Nordafri- 7 Das alles hat nichts mit der Vorstellung zu tun, eine Revolution in einem Land könne und dürfe nur in Angriff genommen werden, wenn sie zugleich in vielen Ländern auf der praktischen Tagesordnung stünde. Als ob wir uns das aussuchen könnten! Die trotzkistische Vorstellung von „Weltrevolution“ sieht z.B. so aus; aber dieselbe trotzkoide „Denkweise“ findet sich auch bei manchen „marxistisch-leninistischen“ Linken. Heutzutage ist das sehr stark eine Rückspiegelung der „Globalisierung“, aber es ist keineswegs neu und es diente noch jedes Mal dem Abwiegeln der Revolution. Schon Lenin musste sich mit solchen Auffassungen auseinandersetzen: „Die Ungleichmäßigkeit der ökonomischen und politischen Entwicklung ist ein unbedingtes Gesetz des Kapitalismus. Hieraus folgt, dass der Sieg des Sozialismus zunächst in wenigen sozialistischen Ländern oder sogar in einem einzeln genommenen Lande möglich ist. Das siegreiche Proletariat dieses Landes würde sich nach Enteignung der Kapitalisten und nach Organisierung der sozialistischen Produktion im eigenen Lande der übrigen, der ka pitalistischen Welt entgegenstellen, würde die unterdrückten Klassen auf seine Seite ziehen, in diesen Ländern den Aufstand entfachen und notfalls sogar mit Waffengewalt gegen die Ausbeuterklassen und ihre Staaten vorgehen.“ (Lenin, „Über die Losung der Vereinigten Staaten von Europa“, Werke, Band 21, S.345f.) Die Pariser Commune 1871 war eine Revolution, die erste proletarische Revolution, unter äußerst ungünstigen Umständen und diese ungünstigen Umstände wurden von Reformisten und Renegaten aller Art dazu benutzt, sie als sinnlosen, ja „verantwortungslosen“ Wahnsinn zu denunzieren - wie solche Kräfte es noch bei jeder bis herigen Revolution machten. Marx dagegen schrieb dazu: „Die Weltgeschichte wäre allerdings sehr bequem zu machen, wenn der Kampf nur unter der Bedingung unfehlbar günstiger Chancen aufgenommen würde.“ (Brief an Kugelmann vom 17.4.1871). Und Lenin ergänzt: „Marx vermochte auch zu erkennen, dass es Augenblicke in der Geschichte gibt, wo ein verzweifelter Kampf der Massen sogar für eine aussichtslose Sache notwendig ist, um der weiteren Erziehung dieser Massen und ihrer Vorbereitung zum nächsten Kampf willen.“ Und nochmals Marx: „Die bürgerlichen Kanaillen von Versailles stellten die Pariser in die Alternative, den Kampf aufzunehmen oder ohne Kampf zu unterliegen. Die Demoralisation der Arbeiter/innenklasse in dem letzteren Fall wäre ein viel größres Unglück gewesen als der Untergang einer beliebigen Anzahl von ‚Führern’.“ „Marx, der im Septem ber 1870 den Aufstand eine Torheit genannt hat, bringt im April 1871, da er eine Volksbewegung, eine Mas senbewegung sieht, dieser die größte Aufmerksamkeit eines Teilnehmers an gewaltigen Ereignissen entgegen, die in der weltgeschichtlichen revolutionären Bewegung einen Schritt vorwärts bedeuten… ‚Welche Elastizität, schreibt er, welche historische Initiative, welche Aufopferungsfähigkeit in diesen Parisern!... Die Geschichte hat kein ähnliches Beispiel ähnlicher Größe!’ Marx stellt die historische Initiative der Massen über alles.“ (Leninzitate aus dem „Vorwort zur russischen Übersetzung der Briefe von Marx an Kugelmann“) 8 37 Griechenland - Klassenkampf und Revolution ka); wir sehen die Entwicklung am Balkan mit seinen nach der Zerschlagung Jugoslawiens gegründeten Zwerg- und Kleinstaaten, instabile neokoloniale Gebilde, teilweise regelrechte Protektorate, voller innerer Konflikte und Widersprüche, die meisten inzwischen zugrundegerichtet und immer tiefer in Wirtschafts- und sonstigen Krisen versinkend; wir sehen die Verschärfung der Widersprüche im Getriebe der EU, die sich derzeit gerade in der „Flüchtlingsfrage“ besonders deutlich ausdrückt; wir sehen die stramme Rechtsentwicklung der europäischen Bourgeoisien und die schleichende Faschisierung der Gesellschaft - lauter Entwicklungen, die Destabilisierung der Bourgeoisregime und früher oder später Massenbewegungen und Massenrebellionen ankündigen. Die objektiven Klassenwidersprüche verschärfen sich und werden früher oder später die Arbeiter/innenklasse und die Völker zwingen, sich gegen Kapitalismus und Imperialismus aufzulehnen. In jedem beliebigen Land bricht eine Revolution mit größter Wahrscheinlichkeit nur in aufgewühlten Zeiten aus - angesichts des Grades an internationaler Vernetzung von Ausbeutung und Unterdrückung heutzutage erst recht. Natürlich gäbe es keine „Garantie“, dass eine revolutionäre Erhebung in nur einem oder wenigen 38 Ländern, noch dazu womöglich kleinen, nicht am Ende doch in einer Niederlage endet, aber selbst die Niederlage wäre in so einem Fall weniger katastrophal und demoralisierend als das über Jahre hin quälende Sichtotlaufen und die verheerende schleichende Niederlage, die die griechische Arbeiter/innenbewegung erlitten hat. Natürlich würde eine solche Niederlage die Arbeiter/innenbewegung dieses Landes für einige Zeit zerschlagen und lähmen, aber auf lange Sicht bliebe die Erfahrung, dass wir stärker sind, als wir glaubten, dass wir aufstehen und an Teilfronten und zeitweise, das nächste Mal vielleicht ganz siegen können, lebendig und wirksam. Sie würde vielleicht auch den Klassenkampf in anderen Ländern befruchten. Nichts schädigt dagegen die Arbeiter/innenbewegung so wie die Kapitulation, die die Revisionisten und Reformisten vertreten. Selbst die Niederlage eines Revolutionsversuchs mit all ihren Folgen ist nichts gegen die Demoralisierung, die daraus erwächst, dass in einer revolutionären Situation die Revolution nicht versucht wird. In Griechenland bestand in den letzten Jahren kei ne revolutionäre Situation und es ging nicht unmit telbar um die Revolution. Es ging aber darum, auf die Revolution hinzuarbei ten, ideologisch, politisch, organisatorisch, zugleich auch schon militärisch, durch das Vorantreiben re volutionär-demokratischer Initiativen und Strukturen, durch die Selbstorganisa tion von Arbeiter/innen klasse und Volk und insbe sondere durch den Aufbau einer revolutionären kom munistischen Partei auf dem Boden des MarxismusLeninismus. Da eine Befrei ung der griechischen Ar beiter/innenklasse und mit ihr des griechischen Volkes von Ausbeutung, Unter drückung und neokolo nialer Abhängigkeit und Entmündigung unmöglich ist ohne revolutionären Umsturz der bestehenden Verhältnisse, muss alles politische Handeln am Ziel dieses Umsturzes ausge richtet werden. „Träumer“ sind nicht die, die das tun, Träumer sind die, die das nicht tun, obwohl sie vor geben, das Wohl der Mas sen im Sinn zu haben. Das praktische Ergebnis von re formistischer Politik dage gen haben wir vor uns in der perversen Gestalt der heutigen Syriza-Regierung und in der Sackgasse und Niederlage, in die diese die Volksbewegung geführt hat. Was ist auf lange Sicht demoralisierender - eine Niederlage sozusagen „in offener Feldschlacht“, in der die Arbeiter/innenklas se aufgestanden wäre und das Haupt erhoben hätte, oder eine entwürdigende Niederlage in einem durch reformistische Fesseln be hinderten und gebremsten Kampf, in dem das Haupt nicht erhoben werden konnte?! Proletarische Revolution 62 Philippinen: Taktische Offensiven der Neuen Volksarmee (NPA) Vorbemerkung der Redaktion: Normalerweise dokumentieren wir in der PR Texte von revolutionären Organisationen, aber diesmal machen wir eine Ausnahme und zitieren (leicht gekürzt) den Feind. Der reaktionäre „Philippine Star“, eine Tageszeitung der Kompradoren und Marionetten des USAImperialismus schreibt in einem Beitrag vom 2.März 2016 zum gerade staatfindenden Wahlkampf: portunistische Großbetrie be‘ in Bukidnon fortsetzen wird, weil die ‚Zerstörung der Umwelt weitergeht‘ und dass sie nicht aufhören werden, bis ‚diese Kapitali sten‘ gestürzt sind. Die Re bellen rufen die Arbeiter/in nen auf, sich für die wahre Einheit einzusetzen, falls sie ihren Job wegen der Stille gung der Betriebe verlieren. (…) Letztes Jahr griff die NPA Plantagen in Mindanao beinahe monatlich an, ver brannte schwere Maschi nen, Lastwagen, und Lie ferwagen, die mit Bananen beladen waren, in Gebieten wie z.B. T’boli und Surallah in South Cotabato; Barobo und Lianga in Surigao del Sur; Quezon, Bukidnon; Maco, Compostela Valley; und Maasim, Sarangani Pro vince. Nach Berichten ist die Zahl der Angriffe in einem nicht einmal einen Monat dau ernden Zeitraum bis zum 25. Februar schon beinahe genauso hoch wie die Zahl der Angriffe im ganzen Jahr 2015. In weniger als einem Monat hat die NPA vier Martig nani-SprühFahrzeuge (für Insekten vernichtungs flüssigkei ten), ein La ger in einem Verpackungs areal und an dere schwere Ausrüstungs geräte in acht verschie denen Plantagen in Bukid non, Agusan del Norte und South Cotabato niederge brannt.(…) Die Folgen eines Rückzugs dieser multinationalen Ba nanenplantagen sind ge waltig. Die Regierung wird Einkünfte aus den nationa len und lokalen Steuern von diesen Betrieben verlieren. Und zwei Millionen Men schen werden entlassen. Die Nationale Demokrati sche Front der Philippinen (NDF) hat bereits große Ba nanenpantagen vor dem Einsatz von Sprühflugzeu gen gewarnt, andernfalls wären die Rebellen gezwun gen, ihre Flugzeuge abzu schießen. Tatsächlich haben die Rebellen schon ein am Boden geparktes Flugzeug beschossen, um zu zeigen, wie ernst es ihnen mit ihrer Drohung ist. Was wir brauchen, ist eine Regierung, die ernsthaft Schluss macht mit allen ih ren Feinden. Ja, wir haben die Demokratie errungen, aber sind wir in anderen Be reichen besser geworden?“ Artikel aus „Philippine Star“, 2.3.2016 – eigene Übersetzung „Die sogenannte friedliche EDSA-People Power Revo lution (1986) wurde allge mein als ein Sieg des phil ippinischen Volkes über die 20 Jahre andauernde Dik tatur von Marcos gesehen, die gekennzeichnet war von zahllosen angeblichen Menschenrechtsverletzun gen durch das Militär und die Polizei. Einer der Gründe, warum vom damaligen Präsidenten Marcos von 1972 bis 1981 das Kriegsrecht ausgerufen wurde, war es, die bürger kriegsartigen Kämpfe, das wachsende Aufstandspro blem und die Drohung einer kommunistischen Macht übernahme zu verhindern. Schauen wir uns an, was heute los ist. Die Neue Volksarmee (NPA) ist nach wie vor sehr aktiv, beson ders in den ländlichen Ge bieten. Und obwohl die EDSA-Revolution die Demo kratie im Land wieder her stellen konnte, hat sich die Situation hinsichtlich Frie den und Ordnung deutlich verschlechtert. Mindanao (eine Inselprovinz im Süden, PR), die 60% zum Agrarexport des Landes bei trägt, ist ununterbrochen von Gräueltaten der NPA betroffen. Plantagen (usamerikanischer Konzerne, PR), die hunderttausende Arbeiter/innen beschäfti gen, werden von den Re bellen angezündet und nie dergebrannt, wenn die Ge schäftsführung keine Revo lutionssteuern zahlen oder nicht tun, was die Rebellen verlangen. (…) Die NPA hat bekannt gegeben, dass sie diese Angriffe gegen ‚op 39 Editorial von „Ang Bayan“ vom 21.2.2016, 14-tägiges Organ des Zentralkomitees der KP Philippinen http://philippinerevolution.net/statements/20160222_ang-bayan-21-february-issue-revolution-not-elections - eigene Übersetzung KP Philippinen: Revolution! Nicht Wahlen! 40 Da der Klamauk im Wahlkampf 2016 zunimmt, sollten die Partei und alle nationaldemokratischen Kräfte den Schwindel und die Inhaltsleere der Wahlen entlarven, damit das philippinische Volk unentwegt seine Massenkämpfe weiterführt, die organisatorische Stärke festigt und den Weg des revolutionären Kampfes einschlägt. Es ist hoch an der Zeit, die grundlegenden Prinzipien zu bekräftigen und zu propagieren, dass die lang angestrebte Gesellschaftsveränderung nur durch den revolutionären Kampf erreicht werden kann, in erster Linie in Form des bewaffneten revolutionären Kampfes, der von einem breiten demokratischen Massenkampf unterstützt wird. Während sich einige fortschrittliche und nationaldemokratische Kräfte für eine kritischen Wahlbeteiligung engagieren, sollte auch das Volk aufgerüttelt werden, die reformistischen Illusionen zurückzuweisen, mit denen die reaktionären und konterrevolutionären kleinbürgerlichen Kräfte erbarmungslos hausieren gehen, nämlich, dass die Teilnahme an den reaktionären Wahlen eine entscheidende Veränderung bringen könnte. Für die Reaktionären und den US-Imperialismus spielen die Wahlen eine entscheidende Rolle für den Erhalt des herrschenden politischen Systems und ihrer Klassendiktatur. Durch den Wahlvorgang sollen die reaktionäre Regierung und das politische System der Großgrundbesitzer und Großbourgeoisie als „demokratisch“ erscheinen. Das verbirgt den Klassencharakter des herrschenden Staats und schafft die Illusion, dass diejenigen, die sich aufstellen und dann die reaktionäre Regierung bilden, „vom Volk gewählt“ seien. Die reaktionären Wahlen spiegeln die verrottete Politik der parasitären herrschenden Klassen wieder, der Großgrundbesitzer und Kompradorenbourgeoisie und insbesondere der bürokratischen Kapitalisten, die mit den kriminellen Syndikaten verbunden sind. Sie streben nach der Regierungskontrolle als günstige Quelle für Vertragsabschlüsse, Steuerbegünstigungen, Warenschmuggel und Schutz ihrer kriminellen Tätigkeiten. Die reaktionären Wahlen sind schon dem System nach betrügerisch. Die Betrugsformen reichen von Stimmenkauf bis zur Einschüchterung und Zwangsmaßnahmen gegenüber den Wähler/innen, um das Wahlergebnis zu manipulieren. Um den Wahlen mehr Glaubwürdigkeit zu verleihen, führte der Staat 2010 ein automatisiertes Wahlsystem ein. Seit die Auszählung der Stimmen vor den Augen der Öffentlichkeit verborgen bleiben, wurden Fälschungen nur noch verbreiteter, massiver und systematischer. Die Kontrolle des USAImperialismus über die Wahlen wurde ebenfalls verstärkt. Die automatisierte Wahlindustrie wird weltweit von ein paar Unternehmen kontrolliert, die mit den großen Monopolen verbunden sind. Für den USA-Imperialismus ist es einfacher geworden, zu entscheiden, wer von den Kandidat/innen an die Macht gebracht wird, insbesondere zentrale Beamte des reaktionären Staates. Die Kontrolle des USA-Imperialismus über die Politik der herrschenden Klasse hat sich weiter verstärkt. Sie benutzen reaktionäre Wahlen, um die herrschende Klasse zu festigen, Rivalitäten in ihren Reihen zu klären, die Gewählten für ihre Machtpositionen zu weihen und die Unterstützung unterschiedlicher Fraktionen zu erhalten. Die kommenden Wahlen im Mai werden wieder eine neue Marionette des USA-Imperialismus und Vertreter der Klasseninteressen der Herrschenden auf seinen/ihren Platz setzen. Für das philippinische Volk haben die reaktionären Wahlen keine große Bedeutung. Die Menschen Proletarische Revolution 62 sind sich bewusst, dass dadurch lediglich die Gesichter in der Verwaltung des reaktionären Staates ausgewechselt werden. Das wird zu keinerlei Veränderung an der grundlegenden Politik führen. Die nächste Regierung wird nur die Ausbeutung und Unterdrückung des philippinischen Volkes mit einer Politik der Förderung der großen ausländischen Kapitalisten fortsetzen. Mitten in der sich verschärfenden und vertiefenden Krise des herrschenden halbkolonialen und halbfeudalen Systems, werden die herrschenden Klassen in den Philippinen nur noch viel unterwürfiger gegenüber dem USA-Imperialismus. Schon jetzt wettstreiten die führenden Präsidentschaftskandidaten um die Aufmerksamkeit des USAImperialismus und präsentieren sich als glühende Anhänger einer neoliberalen Politik. In den ihnen angebotenen Programmen findet sich auch überall die Fortsetzung und Ausweitung des Public-Private-Partnership-Programms (Investitionen privater Unternehmen in halbstaatliche Betriebe), das von den großen einheimischen und ausländischen Kapitalisten wegen ihrer garantierten Profite so sehnlichst gewünscht wird. Ebenso eingeschlossen sind eine Politik der Lohndrückerei, der Aushebelung von Gewerkschaften und die Förderung verschiedener Formen flexibler Arbeit. Damit verbunden ist eine Politik der Begünstigung von Landraub für die Einrichtung und Er- weiterung kommerzieller Plantagen und zerstörerischer Bergbauvorhaben. Der neue reaktionäre Staat, der im kommenden Mai 2016 unter Herrschaft der USA eingerichtet wird, kann nur noch abhängiger und unterwürfiger gegenüber seinem imperialistischen Herrn sein. Die USA werden die Errichtung eines Regimes absichern, das bestimmt weiterhin Militärinterventionen und den Aufbau von us-amerikanischen Militärstützpunkten begünstigt und ihrem Ziel der Stärkung ihrer Militärmacht in der asiatisch-pazifischen Region dient. Angesichts der sich immer weiter verstärkenden Armut und Unterdrückung sollten die nationaldemokratischen Kräfte die Propaganda-Bewegung verstärken, die das halbkoloniale und halbfeudale System entlarvt und das philippinische Volk dazu aufrüttelt, für den Sturz von Imperialismus, Feudalismus und bürokratischem Kapitalismus zu kämpfen. Die revolutionären Kräfte müssen die Schein-Demokratie der reaktionären Wahlen entlarven. In einer Zeit, wo die politischen Kandidat/innen die Aufmerksamkeit der Menschen auf sich ziehen und ihnen Unterhaltungen bieten, sollte das Volk noch weiter zu Massenkämpfen mobilisiert werden. Zur gleichen Zeit nehmen Aktivist/innen der Massenbewegung kritisch an den Wahlen teil und unterstützen Kräfte und Politiker/ innen, die gegenüber der nationaldemokratischen Bewegung und der Volkswohlfahrt freundlich oder unterstützend auftreten. Patriotische und demokratische Parteien nehmen auch teil, um Sitze für ihre Vertreter/innen im Parlament zu gewinnen und zu einer linken Opposition zu werden, die die Anliegen des Massenkampfes in den reaktionären Kongress hineintragen. Dieser Kongress sollte schonungslos entlarvt werden als Instrument der Großgrundbesitzer, Großbourgeoisie und faschistischen und kriminellen bürokratischen Kapitalisten. Die Illusion, dass das Volk einen grundlegenden Wandel dadurch erreichen kann, dass es sich auf den legalen und parlamentarischen Kampf allein verlässt, muss unermüdlich zerschmettert werden. Erhöhen wir ununterbrochen die Militanz des Volkes in seinem Widerstand gegen den herrschenden Staat. „Revolution! Nicht Wahlen!“ ist der Ruf der philippinischen Volksmassen in Ablehnung der reformistischen Illusionen, die von der herrschenden Klasse propagiert werden. Unter Führung der Partei marschieren sie weiter auf dem Weg des Volkskriegs mit dem Ziel der Zerschlagung des herrschenden Staates und der Beseitigung des ausbeuterischen und unterdrückerischen Systems. 41 Flugblatt der IA*RKP, Jänner 2016 Silvester-Skandal: 42 Zu Silvester wurden in Deutschland Tausende Frauen sexuell belästigt, hunderte misshandelt und nicht wenige vergewaltigt. Solche unerträglichen, frauenfeindlichen Vorfälle häufen sich immer dann, wenn Feierstimmung, Al kohol und Massenaufläufe zusammenkommen. So eine Situation wird von Macho-Männern ausge nützt, um möglichst unerkannt Jagd auf Frauen zu machen. Ganz im Gegen satz zur offiziell verkün deten Gleichstellung der Frauen, ist es in Europa (natürlich auch in Österreich!) so, dass Frauen in Wirklichkeit nach wie vor auf vielen Ebenen un terdrückt und benachtei ligt sind. Die Lohnunterschiede und sogenannten „ F r a u e n l o h n g r u p p e n “ sind nur ein offensichtli cher statistischer Beweis dafür, ein anderer sind die Statistiken über sexuelle Gewalt an Frauen. Mindes tens jede zweite Frau in Österreich wird zumindest einmal im Leben ein Opfer sexueller Gewalt, mindes tens 30% werden nach of fiziellen Daten sexuell miss braucht, ein großer Teil davon schon als Mädchen, sehr oft von Verwandten oder Bekannten. Sexismus und Rassismus Trotz einiger rechtlicher Verbesserungen (z.B. bei Vergewaltigung in der Ehe, teilweise Beweisumkehr,…) schätzen es viele Frauen immer noch als sinnlos ein, sexuelle Übergriffe bei der Polizei überhaupt anzuzeigen – abgesehen von den oft demütigenden Behandlungen bei der Anzeigenaufnahme („Jetzt zeigen‘s mir amal genau, was er angeblich gemacht haben soll…“) Die Männerherrschaft (Patriarchat) ist in Europa seit mehr als 3000 Jahren gefes tigt und wird von der herrschenden Klasse (trotz anderer Beteuerungen) auch heute bewusst aufrecht erhalten und zementiert, u.a. als ein Spaltungsmit tel gegen die Arbeiter/innenklasse (neben Religion, Rassismus usw.). Wenn die Herrschenden und ihre Massenmedien über Frauenunter drückung und Gewalt gegen Frauen reden, dann verfolgen sie immer üble Zwecke. Unübersehbar ist das beim Dauerthema „Sexmob in Köln“. Hier wird ständig eine Verbin dung zu der Million Kriegs flüchtlingen von 2015 hergestellt, obwohl sogar nach den zweifelhaften Polizeiangaben von den bisher erwischten nichtdeutschen Beteiligten ca. 95% nicht aus Syrien, Afghanistan, Irak, sondern aus Marokko, Tunesien, Türkei usw. stammen. Natürlich passt es gut in die Pläne der Herrschenden, wenn von Tausenden sexuellen Angriffen in der Silvesternacht fast nur diejenigen überhaupt angezeigt werden, wo die Täter „wie Ausländer ausschauten“. Wenn du in Wien zu Silvester auf die Polizei gehst und anzeigen willst, dass dir wer am Stefansplatz auf die Brust oder zwischen die Beine ge griffen hat, werden sie dir sagen, dass sie jetzt wichti geres zu tun haben. Das ist patriarchale Scheiße, aber allgemein bekannt, dass Frauen als „Freiwild“ behandelt werden und sich selber dagegen organisieren und schützen müssen. Die Kölner Vorfälle haben jedoch einige Besonderheiten, die erst nach und nach bekannt wurden: So schaute die Polizei (wie bei Angriffen auf Asylheime) tatenlos zu, obwohl sie von Beginn an über die sich aufschaukelnden Vor fälle informiert war. Die Polizei ließ die Übeltäter gewähren und trug damit zu ihrer Ermunterung bei. Nach einigen Tagen gab sie bekannt, dass es sich bei den Übeltätern vorwiegend um „Ausländer“ handle, dann hieß es in den Medien, es seien auch Asylwerber aus im Kölner Raum eingerichteten Un terbringungen beteiligt gewesen. Jetzt war man endlich dort, wo man hin wollte. Für die meisten Medien und die „besorgte Öffentlichkeit“ (keines wegs nur die ultrareaktionären und faschistischen „besorgten Bürger“) aber waren spätestens am 9.Jän ner die Übeltäter zweifels frei „Asylanten“. So wurden die Kölner Angriffe zu einem „nationalen Ereignis“ aufge- Proletarische Revolution 62 bauscht, das der Reaktion und dem Rassismus und Chauvinismus hervorragend ins Konzept passt. Wäre das nicht so, würde schon nicht mehr darüber geredet und hätten auch nicht einige hundert Frauen Anzeige erstattet (per 9.Jänner waren es 379, davon 40%, deren Anzei ge sich auch auf sexuelle Belästigung bezieht), son dern wie z.B. beim Münch ner Oktoberfest üblich nur einige wenige. Auch der Zeitpunkt passt genau im Hinblick auf die laufende „Flücht lingsdebatte“ und den mit ihrer Hilfe ins Auge gefass ten weiteren Rechtsruck der Politik und der Staats gewalt. Dafür waren diese Vorfälle ein gefundenes Fressen. Sie dienen als Öl ins Feuer der Xenophobie und des Rassismus. Und auch im Ausland werden sie genussvoll ausge schlachtet. Z.B. kann die österreichische Presse gar nicht genug darüber berichten! Wenn es zu solchen „merkwürdigen“ Berichterstattungen über Vorfälle in Köln kommt, muss in erster Linie nach den Interessen gefragt werden, denen sie eventuell dienen. Es muss konkrete Interessen gegeben haben, die vor Ort be findliche Polizei nicht einschreiten zu lassen, in den darauffolgenden Tagen ein ausgesprochenes Verwirrspiel abzuziehen, alles zu tun, damit möglichst viele betroffene Frauen Anzeige erstatten usw. Ob in der Silvesternacht auf Seiten der Übeltäterbanden wie auf der der Polizei „alles nach Plan“ ablief oder nicht, wissen wir nicht und es ist auch nebensächlich. Tatsache ist, dass alles, die „Vorfälle“ und ihre Ausschlachtung in Politik und Medien, den Interessen der Staatsmacht und der Reaktion diente und dient, um damit eine Verschärfung ihres rassisti schen und chauvinistischen Kurses zu begründen. Die Bundesregierung hat endlich einen Anlass für den schon lange im Raum stehenden Kurswechsel von der angeblichen „Willkommenskultur“ zur Absperrungs-, Abschie bungs- und Hetzkultur und die offen rassistischen, chauvinistischen und fa schistischen Kräfte in Köln und im ganzen Land bekamen neuen Auftrieb. Es gab Interessen und Gründe genug für Staatsmacht und die Polizei, die Aus schreitungen wohlwollend zu beobachteten. Selbst wenn sie sich zurückhielt, angeblich „um in dieser sensiblen Frage nicht den Falschen in die Hände zu arbeiten“, lag das objek- tiv eher im Interesse eben der Rassisten und Faschis ten, auch denen in den Reihen der Polizei und des sonstigen Staatsapparats. Vielleicht war der Staatsapparat sogar mit Provokateuren an den Vorfällen direkt oder indirekt beteiligt. Vielleicht waren auch Provokateure faschis tischer oder halbfaschistischer Kreise im Spiel. In teressen in diese Richtung gab es dort wie da alle mal. Es wäre ein Wunder, wäre es nicht so gewesen. Gäbe es Vorfälle dieser Art nicht, würde die Reaktion sie erfinden oder selbst ins zenieren. Mag sein, dass es auch Kräfte gab, die im gegebenen Zeitpunkt nicht die Ausländer- und Flüchtlingshetze noch zusätzlich füttern wollten und sich deshalb zurück hielten mit sofortigen wilden Angriffen auf die „Asylanten“. Dass es allerdings in den Reihen der Polizei viele solcher Kräfte geben soll (wie es ihnen von „besorgten Bürgern“ Erst Zustechen, dann Schreien … Was machst du, um dich vor sexuellen Übergriffen zu schützen? Also ich hab immer eine sogenannte „Auftrennhilfe“ in der Tasche. Das ist so was wie eine 10 cm lange Häkelnadel, aber mit Spitze und scharf, und gibt’s in jedem Nähbedarf um 2 €. Wenn ein Typ ungut kommt, stech ich ihm diese Nadel in den Oberschenkel und schrei dann laut: „Ich kenn dich nicht, lass mich in ruh!“ Wenn du zuerst schreist, stellt er sich auf Widerstand ein; wenn du zuerst zustichst überraschst du ihn. Wenn du schreist: „Sextäter!“ oder „Ich kenn dich nicht!“ machst du Umstehenden deutlich, dass es kein Bezie hungswickel ist – das isoliert ihn stärker als Beschimpfungen. Und was ist, wenn mehrere Typen auf dich losgehen? Dann stichts du auf den Typen, der dir am nächsten steht, weil du kannst nicht lang herumfummeln, sonst sind sie über dir. Du musst sie rasch aus der vermeintlich überlegenen Position bringen und dann wegrennen oder umstehende Helfer/innen gewinnen… (aus einem Interview in „autodifesa femminile“, eigene Übersetzung aus dem Italienischen) 43 Gegen Sexismus und Rassismus verschiedener Schattierung vorgeworfen wird und was als Grund für ihr Nichteinschreiten behauptet wird), ist hochgradig unwahrscheinlich. Politisch müssen wir dem Versuch der Bourgeoisie entgegengetreten, diese Vorfälle zum Vorwand für verschärfte Ausländerund Asylgesetze zu nehmen. Wir müssen die men schenunwürdigen Zustände in den Anhalte-, Über gangs- und Aufenthaltslagern und die rassistische und menschenfeindliche Asylpolitik anprangern und bekämpfen. Es müsste also auf der ganzen Linie genau das Gegenteil dessen geschehen, was die Reaktionäre samt den offe nen Rassisten und Faschisten jetzt wieder mit neuem Schwung fordern und die Regierung plant. Die demokratischen, antirassistischen, antifaschistischen Initiativen, die es ja in Deutschland fast überall gibt, müssen beson deres Augenmerk darauf richten, die jetzt bevorste henden noch massiveren An- und Übergriffe gegen Ausländer/innen, Immigrant/innen, Flüchtlinge usw. und auch alle ultra reaktionären und faschistischen Aufmärsche und Kundgebungen zu bekämpfen und möglichst zu verhindern. Köln spielt dabei insofern eine besondere Rolle, als dort der „öffentliche Raum“ seit Jahren zwischen den Faschisten der „Pro-NRW“ und der HoGeSa („Hooligans gegen Salafisten“) und Antifaschisten umkämpft ist und in den letzten Jahren viele faschistische Massenauf44 tritte durchkreuzt werden konnten. Köln stand in den letzten Jahren und steht bisher immer noch für ein Übergewicht der antifaschistischen Kräfte - die „Vorfälle“ der Silvesternacht sind ein willkommener Anknüpfungspunkt für die Reaktionäre und Faschisten, die das seit lan gem in Frage stellen und umdrehen wollen. In Deutschland und Österreich verüben Männer jedes Jahr eine sehr hohe Zahl „sexueller Gewalttaten“, auch immer wieder Massenvergewaltigungen. Die christlich-abendländi sche „häusliche Gewalt“, auch die sexuelle, der mas senhafte Missbrauch von Kindern in ihren christlichabendländischen Familien, die Gewalt gegen und der sexuelle Missbrauch von Minderjährigen in kirchlichen und öffentlichen „Er ziehungseinrichtungen“ das alles wird systematisch so lange und so weit wie möglich totgeschwiegen und verharmlost. (Wenn z.B. Anfang Jänner 2016 wieder einmal ein solcher „Skandal“, Quälerei und Missbrauch von ein paar hundert „Regensburger Domspatzen“ ganz kurz ins Licht der Öffentlichkeit trat, war das eher Zufall. Die vor ein paar Jahren aufgedeckte jahrzehntelange sexuelle Gewalt im Klostergymnasium Kremsmünster/OÖ ist schon fast wieder vergessen. Ebenso kommt es zu ganz ähnli chen Vorfälle wie in der Silvesternacht in Köln jedes Jahr bei Massenbesäuf nissen wie dem Münchner Oktoberfest und Zeltfesten in Österreich. Offensicht lich sind das christlich- abendländische Männerund Frauenbild für so etwas völlig ausreichend und bedarf es dazu keines „Kulturschocks“. Aber selbstverständlich werden die Kölner Vorfälle gerade von denen aufgebauscht, die über die einheimische „Kultur“ von sexueller und sexualisierter Gewalt und von Missbrauch den Mantel des Schweigens breiten. Wenn Innenministerin Mikl-Leitner verkündet, dass „wir Frauen uns sicher keinen Millimeter in unserer Bewegungsfrei heit einschränken lassen“, müssen wir ihr entschieden entgegnen, dass sie nicht zu den Kämpferinnen für Freiheit und Frauenrechte gehört, sondern zu den Un terdrückern und zu denen, die ein System aufrecht erhalten, in dem Unterdrü ckung, Missbrauch und sexuelle wie andere Gewalt gegen Frauen staatlich abgesichert werden. Dieses System heißt Kapitalismus und nützt das Patriarchat zur Aufrechterhaltung der Ausbeuterordnung. Nur durch den engen Zusammenschluss von Arbeiterinnen und Arbeitern kann dieses Unrechtssystem in einer proletarischen Re volution besiegt und können die Diktatur der Bourgeoisie, die Lohnsklaverei und das Patriarchat beseitigt werden. Proletarische Revolution 62 Ausplünderung durch asoziale Lohnsteuerreform … bei 1100 bis 1600 Bruttolohn zahlst du ein Viertel, darüber gar ein Drittel an die Steuer! Die Steuerfreigrenze von 11.000 € steuerpflichtigem Jahreseinkommen (d.h. nach Abzug der ozialversicherungsbeiträge) wurde nicht erhöht. Dem entspricht ein Monatslohn von 1.107 € brutto oder eine Pension von 966 €. Gerade für Niedrigverdiener wäre eine deutliche Entlastung das Wichtigste an einer „sozialen“ Lohnsteuerreform gewesen. Aber statt die Steuerfreigrenze massiv zu erhöhen, wird sie faktisch gesenkt, denn wegen der Geldentwertung sind 11.000 € heute nicht mehr dasselbe wie 11.000 € im Jahr 2009. Den Niedrigstverdiener/innen bringt die „Reform“ gar nichts. Zwar wurde eine 25%-Stufe wurde neu eingeführt, um zu vermeiden, dass ab 11.000 € Jahreseinkommen die Lohnsteuer sofort auf 35% springt, aber diese Stufe gilt nur bis 18.000 € (entspricht 1.581 € monatlich), ab dort geht es mit 35% Steuersatz weiter. Lohnerhöhungen durch die sogenannte kalte Progression real mehr als aufgefressen (du rückst in die nächsthöhere Steuerklasse vor, obwohl du dir vom erhöhten Lohn nicht mehr kaufen kannst als vorher). Die Ausbeutung durch das Kapital im Betrieb wird so durch die Ausplünderung über das Steuersystem fortgesetzt. Während die Lohn- und Gehaltssumme zwischen 2009 und 2013 brutto nur um 14% stiegen, stieg das Lohnsteueraufkommen im selben Zeitraum um 24% - mit entsprechenden Folgen für den Nettolohn. Die Lohnsteuerquote stieg dementsprechend von 13,7% im Jahr 2009 auf 14,9% 2013 und schätzungsweise 15,5% im Jahr 2015. (Siehe Grafik 1: Lohnsteuerquoten). Die Steuerreform 2015 tut also nichts anderes, als den Raubzug der letzten Jahre zu einem sehr geringen Teil für die nächsten ein, zwei Jahre etwas abzuschwächen. Dazu kommt die Entwertung des Lohnes durch die Inflation: Die lächerlich geringen Lohnerhöhungen der letzten Jahre deckten für die niedrigeren Einkommensschichten, wo ja die Wirkung der Geldentwertung wesentlich größer ist als das, was im Verbraucherpreisindex, also der offiziellen Inflationsrate, zum Ausdruck kommt, nicht einmal die Geld- und Kaufkraftentwertung ab. Flugblatt der IA*RKP, März 2016 Die von SPÖ und ÖGB viel bejubelte Lohnsteuerreform ist mit 1.Jänner 2016 in Kraft getreten und die von uns, die über der Armutsgrenze leben, haben gegenüber Dezember mehr Lohn (netto) erhalten. Wie schaut es aber bei den niedrigsten Einkommen aus? Viele Frauen können oft nur Teilzeitjobs annehmen und sind außerdem wegen Arbeitsunterbrechungen und Stellenwechsel in den berüchtigten „Frauenlohngruppen“ eingestuft, die weit unter dem statistischen Durchschnittslohn liegen. Eine halbwegs „soziale“ Lohnsteuerreform müsste jedenfalls die Steuerfreigrenze drastisch anheben und die Progression vor allem für die niedrigen und auch mittlere Einkommen drastisch senken, sie aber zugleich für die hohen drastisch erhöhen. Die Lohnsteuerreform 2015 tut das gerade Gegenteil, ist also eine asoziale Reform. Trotzdem bringt sie für viele eine vorübergehende Entlastung (bis zur nächsten Lohnerhöhung). Seit der letzten Lohnsteuerreform 2009 (und auch vorher) wurden gerade bei den unteren Einkommen Jahr für Jahr alle 45 Lohnsteuerraub Das alles zusammen - geringe Nominallohnerhöhungen (wenn überhaupt), Inflation und kalte Steuerprogression - führten eben zum Reallohnabbau der letzten Jahre für große Teile der Arbeiter/innenklasse und des Volkes. Die kalte Progression geht natürlich nach einer kurzen Atempause unvermindert weiter. Genauso war es auch nach der Reform 2009 gewesen; nach Minuseinnahmen bei der Lohnsteuer von damals 1,4 Mrd. € im Jahr 2009 war bereits 2010 von der „Entlastung“ nicht mehr viel übrig und 2011 wurde das Aufkommen von vor der Reform sogar schon wieder um 0,5 Mrd. € überschritten; es folgte ein jahrelanger satter Anstieg (insgesamt um 25% !). Diesmal wird es genauso kommen. Der staatliche Räuber brüstet sich damit, seinen Raubzug zwar fortzusetzen, aber für zwei Jahre etwas abzumildern. Auch zielt die Reform bewusst nicht darauf ab, die Steuerlast der Arbeiter/ innenklasse und speziell der Niedrigverdiener substantiell zu erleichtern. Die „Menschen“, die Fay- 46 mann im Auge hat, sind vornehmlich die Besserund vor allem die Best verdiener. Die Grafik 2 (Abgabenbelastung) zeigt: Wer z.B. 15.000 € steuerpflichtiges Jahreseinkommen hat wird um 300 € im Jahr entlastet, wer 20.000 bis 30.000 € verdient, und das sind die meisten, um vielleicht 800 €, wer 50.000 € verdient schon um 1.500 € und wer 120.000 € verdient um 2.200 €. Von einer „sozialen“ Reform ist hier wirklich keine Spur. Müsste nicht dafür gesorgt werden, dass die Entlastung umso größer ist, je weniger du verdienst? Übrigens: Die auf 5 Jahre befristet eingeführte „Millionärssteuer“ mit dem Spitzensteuersatz von 55% betrifft nur ein paar Dutzend Leute mit einem steuerpflichtigen Monatseinkommen über 80.000 €. Aber selbst wenn das etwas für die Steuereinnahmen brächte, könnten sich normale Arbeiter/innen oder Angestellte davon nichts abbeißen. Die Lohnsteuer ist aber bei weitem nicht alles, was Arbeiter/innenklasse und Volk an Steuerausplünderung zu tragen haben. Wichtiger noch sind die indirekten Steuern, v.a. die Umsatzsteuern, über die kaum geredet wird. Die Steuerreform erhöht den begünstigten Mehrwertsteuersatz von 10 auf 13% z.B. in Gaststätten und Restaurants, Hotels und bei Tierfutter. Aber diese nominelle Mehrwertsteuererhöhung ist zweitrangig, viel maßgeblicher ist, dass sich das Mehrwertsteueraufkommen mit der Teuerung automatisch erhöht. Was also bei der Lohnsteuer weniger wird, wird bei den indirekten Steuern mehr. Insgesamt soll die Mehrwertsteuer 2016 gegenüber 2015 um 1,9 Mrd. € steigen. Steigen werden auch Tabaksteuer, Mineralölsteuer, KFZ-Steuer und Motorbezogene Versicherungssteuer, Versicherungssteuer usw. - alles zusammen um insgesamt 2,1 Mrd. €. Die viel gepriesene Lohnsteuerersparnis ist damit bereits heuer schon wieder fast futsch. Die Segnungen der Lohnsteuerreform sind also erstens, soweit es sich um angebliche „4,9 Mrd. € direkt ins Börsel“ handelt, blanke Lüge. Tatsächlich geht es laut Budgetbericht 2016 nur um 2,5 Mrd. €. Zweitens werden damit die allein durch die Geldentwertung und die kalte Progression erlittenen Reallohnverluste der letzten Jahre bei weitem nicht „kompensiert“. Drittens schließlich - das sieht man gut an der obigen Grafik wird sie „gegenfinanziert“ durch eine Erhöhung des sonstigen Massensteuer- Proletarische Revolution 62 aufkommens. Im Endeffekt hat die Reform nicht einmal im ersten Jahr eine nennenswerte positive Auswirkung auf die reale Kaufkraft. Die famose Reform hätte natürlich auch durch eine Erhöhung der tatsächlich bestehenden Kapitalistensteuern „gegenfinanziert“ werden können, speziell durch eine Erhöhung der Körperschaftssteuer (d.i. Einkommensteuer für Kapitalgesellschaften) entweder durch höheren offiziellen Steuersatz oder durch Beseitigung von Ausnahmen und Begünstigungen (Absetzbarkeit nicht konkret begründeter, sondern „bilanzbezogener“ Rücklagen, „Gruppenbesteuerung“, Verlustvortrag usw.) Aber das stand nicht einmal zur Debatte. Die Körperschaftssteuer liegt auf dem Papier bei 25%, in Wirklichkeit bei den Aktiengesellschaften in der jüngeren Vergangenheit stets unter 10%. 2016 wird sie laut Budgetplanung nochmals von 6,6 auf 6,3 Mrd. € sinken - trotz des behaupteten „Wirtschaftsauf schwungs“. Zugleich sieht die Steuerreform ein „Wirtschaftspaket“ von 200 Mio. € mit allerhand zusätzlichen Förderungen und Subventionen der Kapitalisten vor (Förderungen für Klein- und Mit telbetriebe, Erhöhung der „Forschungsprämien“ von 10 auf 12%, zusätzliche steuerliche Begünstigung von „Mitarbeiterbeteiligungen“). (Siehe Grafik 3: Massensteuern) Die arbeiter/innen- und volksfeindliche Struktur des Steuersystems besteht grundsätzlich einmal darin, dass sie die Finanzierung des Staates des Kapitals zum weitaus überwiegenden Teil auf die Volksmassen abwälzt. Die direkten und indirekten Massensteuern machen 2015 83% des Steueraufkommens aus. Dem stellen wir die Losung entgegen, dass sich die Kapitalisten ihren Staatsapparat selber zahlen, nicht aber die Arbeiter/innenklasse und andere Teile des Volkes selbst auch noch den Staat ihres Ausbeuters, Plünderers, Unterdrückers, kurzum ihres Klassenfeinds finanzieren müssen. Diese Struktur besteht zweitens darin, dass der kapitalistische Profit der Kapitalgesellschaften nicht der „normalen“ Einkommensteuer unterliegt, sondern einem Körperschaftssteuersatz von 25%, der durch die sehr flexiblen „Gestaltungsmöglichkeiten“ systematisch auf unter 10% gesenkt wird. So kommt es, dass das Körperschaftssteueraufkommen seit einem Jahrzehnt kaum gestiegen ist, sondern immer um lächerliche 6 Mrd.€ schwankte. Die Struktur besteht drittens im Übergewicht der indirekten Steuern. Die indirekten Steuern sind die hauptsächliche und zugleich am wenigsten unmittelbar wahrnehmbare Steuerkeule, denn sie stecken „unsichtbar“ in den Preisen. Sie machen einen deutlich größeren Teil der Massensteuern aus als die Lohnsteuer, werden aber genauso wie diese aus den Löhnen gezahlt. Ohne hier anzusetzen, bleibt alles Schall und Rauch. Würden - das ist nur eine fiktive Rechenoperation - die indirekten Massensteuern auf die Lohnsteuer umgelegt, würde diese sich - wenn ansonsten das bestehende Steuersystem unverändert bliebe - weit mehr als verdoppeln (genau gesagt um 135% steigen, wenn wir die Zahlen aus 2015 zugrunde legen). Das macht anschaulich, welches Ausmaß die Steuerausplünderung angenommen hat und dass der übergroße Teil der Steuerlast, mindestens 70 der 82 Mrd. € Gesamtsteueraufkommen in 2015, von Arbeiter/innenklasse und Volk getragen werden. In der Gestalt der indirekten Steuern wird der Klassencharakter dieser Steuern verdeckt: sie erscheinen als neutral („jeder zahlt das Gleiche“), obwohl na- 47 türlich ein Kapitalist oder sonstiger „Reicher“, der zehn oder hundert Mal mehr Einkommen hat als Arbeiter/innen, nicht zehn oder hundert Mal soviel konsumiert, sondern sich allenfalls mit der Kapitalertragssteuer herumschlagen wird müssen (wenn er nicht günstigere Wege der Steuerhinterziehung oder „Steuervermeidung“ findet). Das Ziel der revolutionären Arbeiter/innenbewegung bestand immer und kann nur darin bestehen, der staatlichen Ausplünderung ebenso wie der Ausbeutung in Produktion und Lohnsystem entgegenzutreten, dafür radikale Losungen und „strategische“ Forderungen zu erheben und letztlich mit dem kapitalistischen Staatsapparat auch das kapitalistische Steuersystem zu zerschlagen. Die Kapitalisten sollen sich ihren Staat selbst finanzieren! Daher: Abschaffung aller indirekten Steuern und steuerähnlichen Abgaben! Einführung einer massiv verstärkt progressiven Einkommensteuer! Vollständige Steuerfreiheit für Einkommen bis 1.600 € monatlich (d.h. bis zur Höhe eines zu erkämpfenden gesetzlichen Mindestlohns bzw. einer gesetzlichen Mindestpension)! 8.März – Internationaler Frauentag Feiern oder kämpfen? Als Arbeiterinnen werden wir im Kapitalismus unterdrückt und ausgebeutet, als Frauen der unterdrückten Klassen werden wir jedoch besonders unterdrückt und ausgebeutet – nicht nur von der herrschenden Kapitalistenklasse, wir sollen durch patriarchale Strukturen auch innerhalb unserer Klasse gespalten, geschwächt und zusätzlich unterdrückt werden! Zur Situation der Frauen weltweit - Zahlen und Fakten: Frauen stellen die Hälfte der Menschheit (3,456.780.650), erbringen weltweit 52% aller Arbeitsleistungen, erhalten aber nur 10% des Welteinkommens und besitzen 1% des Eigentums. Von der geleisteten weiblichen Arbeit wird nur ein Drittel bezahlt. Dies gilt mit geringen Unterschieden sowohl für unterdrückte wie imperialistische Länder. 48 2/3 der weltweit 1,3 Milliarden Menschen, die in Armut leben sind Frauen. Die Frauen der unterdrückten Länder produzieren zwischen 60 und 80% der Grundnahrungsmittel und leisten den Großteil der Arbeit in Landwirtschaft und Haushalt. Der Anteil der Frauen im informellen Sektor (Kleinhandel, Handwerk, Heimarbeit) wird auf 60% geschätzt. Dies sind Arbeiten zu Niedriglöhnen ohne Sozialversicherungen oder rechtlichen Schutz, die volkswirtschaftlich nicht erfasst werden. Auch in den Industriestaaten betragen die Durchschnittslöhne für Frauen (außerhalb der Landwirtschaft) immer noch 75% des Einkommens der Männer. Jährlich sterben eine halbe Million Frauen bei der Geburt des Kindes oder an Komplikationen während der Schwangerschaft. In vielen Gesellschaften sind Frauen und Mädchen schlechter ernährt und krankheitsanfälliger. Weltweit nimmt die Gewalt gegen Frauen zu (körperliche, sexualisierte, psychisch-emotionale, soziale und ökonomische Gewalt). Jede 5. Frau in Österreich erlebt als Erwachsene körperliche und oder sexuelle Gewalt. 90% aller Gewalttaten passieren im nahen sozialen Umfeld. Allein in Deutschland sind nach Schätzungen vier Millionen Frauen häuslicher Gewalt ausgesetzt. Laut UNHCR waren 2014 60 Millionen Menschen auf der Flucht (innerhalb und außerhalb des eigenen Landes) – die Hälfte davon sind Frauen. Die aktuelle Situation der Frau in Österreich Die Erwerbstätigenquote der 15- bis 64-jährigen Frauen stieg in den letzten zehn Jahren von 61,6% (2003) auf 67,6% (2013). Damit liegt sie deutlich über dem EUDurchschnitt (58,8%). 2013 waren 70,6% der Frauen im Alter von 25 bis 49 Jahren mit Kindern unter 15 Jahre teilzeitbeschäftigt (Männer nur 6,5%). Proletarische Revolution 62 Unter kapitalistischen Verhältnissen bedeutet Gleichberechtigung für eine Frau, eine eigenständige Kapitalistin zu sein, eine führende Position einzunehmen, oder – für die Arbeiterin bedeutet es – gleiche Unterdrückung und Ausbeutung wie für den Arbeiter. Der Kampf um Gleichstellung hat seine Berechtigung, hat aber kein identisches Ziel, denn ihm liegen grundlegend unterschiedliche Interessen zugrunde. Die Arbeiterinnen haben ebenso wenig Interesse daran ausgebeutet zu werden, wie die bürgerliche Frau kein Interesse zeigt, ihre Privilegien und Machtpositionen freiwillig aufzugeben – es würde ihre bisherige Existenz und Identität zerstören und den radikalsten Bruch mit ihrer eigenen Klasse, eine Unterordnung ihrer Interessen unter die Führung der ArbeiterInnenklasse fordern. So sind es einzig die Arbeiterinnen und werktätigen Frauen, welche ein objektives Interesse an der Zerschlagung dieses Systems haben. Nur mit der aktiven Beteiligung der Arbeiterinnen am Klassen kampf kann Unterdrückung und Diskriminierung konsequent bekämpft werden. Ein konsequenter Kampf für unsere Interessen als Frauen der Arbeiter/innenklasse bedeutet uns nicht mit Reformen, „Zugeständnissen“ (recht lichen Verbesserungen, mehr Lohn, gleichgeschlechtliche Ehen…) der Herrschenden ab speisen zu lassen und die Klassenspaltung hinzunehmen. Als Arbeiterinnen müssen wir Gleichberechtigung in unserer Klasse einfordern und erkämpfen, sowie unseren Posten in der ersten Reihe im Klassenkampf beziehen! Als Kommunistinnen kämpfen wir Schulter an Schulter mit den fortschrittlichen und revolutionären Angehörigen unserer Klasse – für die Zerschlagung des Kapitalismus, des bürgerlichen Staates und all seiner Unterdrückungsmechanismen! In einer Klassengesellschaft bedeutet Gleichberechtigung gleichberechtigt unterdrückt zu werden: Klassenbefreiung ist Frauenbefreiung! Denn eins ist klar: Unter der Herrschaft des Kapitals werden wir, sowie die gesamte Klasse der ArbeiterInnen niemals frei sein. Auch um gegen die spezielle Unterdrückung der proletarischen Frauen konsequent zu kämpfen, müssen wir eine neue Gesellschaft errichten – eine im Interesse der Arbeiter/innenklasse, den Sozialismus. Flugblatt der KOMAK-ML, März 2016 Gleichstellung ist keine Gleichberechtigung! Demonstration: 8. März 2016 - Internationaler Frauenkampftag Treffpunkt: Praterstern, 1020 Wien, 17 Uhr Ohne Frauen keine Revolution! Ohne Revolution keine Frauenbefreiung! Leben in Elend und Unterdrückung ODER organisieren und kämpfen! Lohnunterschiede zwischen Frauen und Männern in Österreich: Betrachten wir die Einkommenssituation aller unselbständig Erwerbstätigen, so lagen die mittleren Bruttojahreseinkommen der Frauen 2013 um 39,1% unter jenen der Männer. Bezogen auf die ganzjährig Vollzeitbeschäftigten sank die Einkommensdifferenz zwischen Frauen und Männern von 22,5% im Jahr 2004 auf 18,2% 2013. Vergleicht man die auf Bruttostundenverdienste standardisierten Löhne und Gehälter von Frauen und Männern in der Privatwirtschaft, dann sank der Gender Pay Gap laut Eurostat von 25,5% 2006 auf 23,0% 2013. Im EU-Vergleich zählt Österreich damit weiter zu den Ländern mit den größten geschlechtsspezifischen Lohnunterschieden. In Schweden (15,2%) oder Dänemark (16,4%) liegt der Gender Pay Gap dagegen trotz hoher Frauenerwerbstätigkeit und hoher Teilzeitbeschäftigung der Frauen unter bzw. im EU-Durchschnitt (EU-27: 16,4%). Alleinlebende Pensionistinnen, Alleinerzieherinnen und Migrantinnen sind besonders armutsgefährdet! Niedrigere Erwerbseinkommen und Versicherungsverläufe, die vor allem durch Kinder erziehung Lücken aufweisen, führen auch zu niedrigeren Pensionen. Die mittlere Alters pensionen der Frauen lag laut Hauptverband der österreichischen Sozialversicherungsträger im Jahr 2013 mit 852 Euro um 51,8% unter jener der Männer mit 1.769 Euro. Laut EU-SILC 2013 waren 24% der alleinlebenden Pensionistinnen, aber nur 11% der alleinlebenden Pensionisten armutsgefährdet. Ein-Eltern-Haushalte – das sind fast ausschließlich Frauen mit ihren Kindern – haben mit 27% ebenfalls ein erhöhtes Armutsrisiko. Zahlen und Fakten: Statistik Austria 49 Aufruf des Feministischen Frauenbndnisses zum 8. März 2016 Schluss mit Sexismus, Rassismus und imperialen Kriegen Schluss mit Sexismus Sexismus ist keine Frage der „Kultur“, Nationalität oder der sozialen Herkunft, sondern tragende Struktur des Patriarchats weltweit! Die sexistischen Angriffe von Männern(-gruppen) auf Frauen - in Köln und anderen Orten - haben Frauen durch Anzeigen öffentlich gemacht. Wenn wir Frauen uns verteidigen, schreien oder wegrennen müssen, schauen die meisten einfach zu oder weg! Sexistische Gewalt an Frauen wird kaum hinterfragt. Der sexistische Täter ist selten „der Unbekannte“, sondern - wie durch die jahrzehntelangen weltweiten Kämpfe der Frauenbewegungen sichtbar gemacht wurde meist der „bekannte“ Vater, Bruder, Onkel, Lebensgefährte, Freund, Nachbar, Lehrer, Arzt, Arbeitskollege, „Chef“ u.a.m. Die Männergewalt an Frauen und Mädchen ist Bestandteil des strukturellen Sexismus wie auch: Bekleidungs- und Verhaltensvorschriften für Frauen, Bildungs-und Berufsverbote, Zwangsehen, Genitalverstümmelung, niedrige Frauenarbeits-Löhne, geschlechtshierarchischer Arbeitsteilung, Abtreibungsverbote u.a.m. Sexismus als Ideologielehrt Frauen sich schuldig und schmutzig zu fühlen, „geduldig“ und stumm zu bleiben. Wenn wir sexistische Gewaltbenennen, werden wir als lächerlich, gewalttätig oder prüde bezeichnet. Von klein auf wird uns erklärt, dass wir uns vor dem „Unbekannten“ und „Fremden“ fürchten und beim „eigenen Mann“ Schutz suchen sollen. Aber wir sind niemandes Besitz. Wir wollen nicht beschützt, betreut oder eingesperrt werden. Wir sind vor allem wütend! Wir fürch- 50 ten weder das „Unbekannte“ noch das „Fremde“. Wir nehmen uns Raum und Bewegungsfreiheit und kämpfen für die Freiheit für Frauen! Gegen die sexistische Dominanzkultur gestalten wir kollektiv FrauenLesbenRäume, organisieren feministische Selbstverteidigung, FrauenLesbenDemos u.a.m.- als öffentliche Kraft für gelebte aktive Frauensolidarität. Schluss mit Rassismus Wir lassen uns nicht für rassistische Hetze benützen! Rassismus ist ein System von Spaltung, Entrechtung und Ausbeutung weltweit. Die sexistischen Angriffe in Köln werden in den Medien und vom Staat für rassistische Politik gegen Flüchtlinge benutzt. Rechte Bürgerwehren, linksliberale Medien und MinisterInnen sprechen plötzlich von Frauenrechten und der Verteidigung „unserer Werte“. Von welchen Werten sprechen sie? - Dassin Europa ein Großteil der Frauen von ihrem Arbeitslohn nicht eigenständig leben kann? Dass muslimische Frauenmit Kopftuch auf der Straße bespuckt werden? Dass Schwarze Frauen als „exotisch“ und sexualisiert angegriffen oder kriminalisiert werden? Dass Lesben beschimpft oder verschwiegen werden? Dass Frauen allgemein in den Medien, in der Werbung bis zur Pornoindustrie als sexualisierte Objekte dargestellt und vermarktet werden? Dass Frauen alltäglich in Beziehungen misshandelt werden und jährlich fast jede Woche eine Frau von ihrem (Ex)Partner ermordet wird? Oder meinen sie die Vergewaltigungskultur, die wir alltäglich erleben müssen? Oder die Kultur der „gang bangs“, der inszenierten Gruppenver- gewaltigungen in den Großbordellen, und eine Kultur, die Frauen, die in der Sexindustrie arbeiten als „unanständige Frauen“ ausgrenzt und kriminalisiert? Sie nennen ihre Werte demokratisch. Was ist an Unterdrückung demokratisch? Wir finden diese sexistischen und rassistischen Verhältnisse im Namen der liberalen Gleichberechtigung unerträglich! Die rassistische Hetze macht den geflüchteten Mann zum Feindbild und geflüchtete Frauen zu stummen Opfern einer so genannten „fremden Kultur“. Doch wir schweigen nicht! Menschen flüchten aufgrund von Krieg, Verfolgung und Armut. Fluchtgründe für Frauen aufgrund sexistischer Gewalt (Vergewaltigung, Zwangsverheiratung, Genitalverstümmelung u.a.m.) werden(noch immer) nicht als selbstverständliche Asylgründe anerkannt. Frauen, die über Familiennachzug nach Österreichkommen, erhalten kein eigenständiges Aufenthaltsrecht. Sie werden mit rassistischen Gesetzen in die Abhängigkeit von einem (Ehe)Mann gezwungen. Frauen, die aus Frauenhandelsstrukturen flüchten, erhalten kein selbstverständliches Aufenthaltsrecht. Ihnen droht die Abschiebung, wenn sie nicht bereit sind mit Polizei und Justiz zu kooperieren! Wir kooperieren nicht! Wir brauchen aktive Solidarität! Die Regierungen der EU bauen Stacheldrahtzäune gegen flüchtende Menschen und errichten so genannte „hot spots“ als Selektions- und Sammellager. Die EU-Außengrenzen werden mit Frontex militärisch hochgerüstet, wodurch jährlich tausende Menschen u.a. im Mittelmeersterben. Die österreichische Regierung spricht von Obergrenzen und will 50.000 geflüchtete und migrierte Menschen mit Proletarische Revolution 62 Militärtransportern abschieben. Wir sehen dies als einen Krieg gegen Menschen auf der Flucht! Wir machen da nicht mit und lassen uns nicht in dieses System integrieren! Rassistische Politik bewirkt eine Spaltung, Vereinzelung und soziale Verschärfung für alle. Durchbrechen wir die Grenzen und reißen die Zäune ein. Und stellen wir uns gegen die wachsende Faschisierung. Wir kämpfen für Bewegungsfreiheit und gleiche soziale und politische Grundrechte für Alle! Weltweit kämpfen Frauen für ihre Rechte, gegen Krieg, Ausbeutung und Männerdominanz. Wir können viel voneinander lernen. Unsere gemeinsame Sehnsucht für die Freiheit aller Frauen weltweit verbindet uns. Schluss mit Waffenproduktion und imperialen Kriegen gung, Pornografie und organisierte Prostitution sind strukturierende Grundlagen für Militarismus und Teil der Kriegsführung. Aktuell wird - im Namen der europäischen Flüchtlingspolitik - u.a. die türkische Regierung finanziell und militärisch unterstützt, um Menschen aus Kriegsgebieten von Europa fernzuhalten. Diese türkische Regierung führt einen Krieg gegen die kurdische Zivilbevölkerung und ihre basisdemokratische Selbstverwaltung im kurdischen Frauen-FreiheitsKampf. Durchbrechen wir die mediale Zustimmung zu Massakern, militärischer Belagerung und Vertreibung der Bevölkerung. Die kurdische Frauenbewegung in Nordkurdistan/Türkei ruft nach internationaler Frauensolidarität. Eine Frauensolidari- tät, die Grenzen überschreitet und gemeinsam gegen Krieg und Männerdominanzkämpft. Die als solidarische Kraft Perspektiven eines freien und gemeinschaftlichen Lebens ernst nimmt und sich dem zunehmenden Militarismus und Nationalismus entgegen stellt. Für eine solidarische Welt ohne Krieg, Rassismus und Sexismus. Für eine solidarische Ökonomie und kollektives, selbstverwaltetes Wirtschaften ohne Waffen, Profite, Ausbeutung, und Unterdrückung! Frauen – verbünden wir uns und gehen gemeinsam auf die Straße. Feminismus ist eine revolutionäre Kraft, um die HERRschenden Bedingungen zu durchbrechen. Feministisches Frauenbündnis zum 8. März 2016 Krieg bedeutet Zerstörung, Hunger, Mord, Vergewaltigung, Verfolgung und Vertreibung - und Profite für die Rüstungsindustrie und Transnationalen Konzerne. Die EU beteiligt sich aktiv an den Kriegseinsätzen in Osteuropa, im Mittleren Osten, Afrika, Asien und Südamerika. Wir sind aktuell Zeuginnen eines grausamen und militarisierten Wettbewerbs über die Verteilung von Rohstoffen und Märkten für ein kapitalistisches System, das einhergeht mit der Kontrolle und Überwachung der Bevölkerung im Namen der „Sicherheit“. Öffentliche Gelder, die in die Rüstungsindustrie und in die Aufrüstung von Polizei, Militär und „Staatssicherheit“ fließen, sind Millionen Euros, die uns alle für soziale Infrastrukturen und das „Gemeinwohl“ fehlen. Die Waffen, die hier produziert werden, morden mit in aller Welt. Und Vergewalti- 51 „Nord-Süd-Konflikt“ oder Antiimperialismus? http://monthlyreview.org/2015/07/01/imperialism-and-the-transformation-of-values-into-prices/ Kritik an „Imperialismus und die Transformation von Werten in Preise“, Artikel von von Lauesen und Cope in der „Monthly Review“, July-August 2015 “ungleichen Tausch”, der üblicherweise nur eine politisch eingefärbte moralische Kategorie ist, eine solide ökonomische Basis zu verpassen. Die “Transformation von Werten in Preise”, wie sie es nennen, ist in der Tat eine wichtige Frage für das Verständnis der Ausbeutung der kolonialen, halbkolonialen, neokolonialen und sonstigen vom Imperialismus abhängigen Länder, denn sie thematisiert Mehrwerttransfer und Mehrwertumverteilung und begnügt sich nicht mit augenscheinlichen Preis- und sonstigen Ungerechtigkeiten. Leider wird man rasch enttäuscht, denn auch Lauesen und Cope landen wieder nur bei einer Binsenweisheit: Die Kapitalisten der imperialistischen Länder kaufen im “Global South” (in weiterer Folge einfach: der “Süden”, obwohl das weniger elegant und wissenschaftlich klingt) billig ein, um in den imperialistischen Ländern (dem “Norden”) teuer zu verkaufen. Diese Banalität nennen sie “Transformation der Werte in Preise” und dafür versuchen sie, eine neuartige und originelle “marxistische” Erklärung zu präsentieren: Möglich sei das, meinen sie, weil “in einer Welt, in der der Marktpreis der Güter dazu tendiert, global zu konvergieren, während der Marktpreis der Arbeitskraft variiert ..., ist das Resultat eine Umverteilung von Wert aus Ländern mit einem niedrigen Marktpreis der Arbeitskraft in Länder mit einem hohen Marktpreis derselben ist.” (p.62) Anders ausgedrückt heißt das (am Beispiel ihrer Referenzware, dem iPad): Wenn das iPad überall auf der Welt zu ziemlich einheitlichen Preisen verkauft wird (was beiläufig überhaupt nicht stimmt), macht das Kapital, wenn es das iPad in einem Billiglohnland produzieren lässt, einen höheren Profit, als wenn es dies in einem Land mit höheren Löhnen tut. Apple zieht daher einen Extraprofit aus dem chi- Warum die Anführungszeichen? Das Phänomen, das üblicherweise als „ungleicher Tausch“ beschrieben wird, ist vielschichtig. Immer geht es um Mehrwerttransfer, also um Mehrwertumverteilung in dem Sinn, dass von dem einem Kapital produzierter Mehrwert von einem anderen Kapital als Profit realisiert wird, aber teilweise spielt sich das ab über Mechanismen der Wertbildung selbst, die im Einklang stehen mit dem Wertgesetz in seiner kapitalistischen Form. Von ungleichem Tausch kann dann nur sehr bedingt und in schlampiger Ausdrucksweise gesprochen werden. Die Verwandlung von Werten in Produktionspreise, die bei Lauesen und Cope im Zentrum steht, ist im strengen wissenschaftlichen Sinn kein ungleicher Tausch, sondern bloß die kapitalistisch verwandelte Form (gleichen) Tausches. Es käme ja auch niemand auf die Idee, die Bildung gesellschaftlicher Werte (gegenüber verschiedenen individuellen Werten) als ungleichen Tausch zu bezeichnen - und ebenso wenig die Verwandlung der Werte in Produktionspreise durch den Ausgleich der Profitraten, sei es innerhalb einer nationalen Wirtschaft (z.B. Kärnten und Wien), sei es global. Nur soweit das Wertgesetz verletzt wird und Mehrwertumverteilung über die Verwandlung von Werten in Marktwerte und Produktionspreise hinaus stattfindet, handelt es sich um ungleichen Tausch im wahren (marxistischen) Sinn des Wortes. Das ist der Fall beim Kapitalexport in Form von Verschuldung der neokolonialen und abhängigen Länder, aber auch bei den vielfältigen Formen der das Wert gesetz verletzenden Mehrwertumverteilung im Handel, von ökonomischer Monopolmacht bis hin zu Raub und Plünderung. Lauesen und Cope selbst verwenden den Begriff „ungleicher Tausch“ nur gelegentlich, handeln aber das Paradebeispiel ihrer Transformation, das iPad, haargenau in der Art eines, noch dazu willkürlichen und jenseits aller ökonomischen Gesetze, nur durch imperialistische und monopolistische Macht bestimmten „unglei chen Tausches“ ab. 1 52 Der Artikel von Lauesen und Cope erschien in einer Doppelnummer des Magazins Monthly Review, die wieder einmal dem “New Imperialism” gewidmet war, über den man in diesem Magazin schon allerhand lesen konnte. Die Einbettung des Artikels in diese Doppelnummer und der Anklang von Marxismus im Titel verheißen - wieder einmal! - neue Entdeckungen und Enthüllungen. In der Tat lässt der Artikel - anders als die sattsam bekannte pseudomarxistische oder wenigstens mit einer Art bürgerlichem “Marxismus” kokettierende Leier über “Zentrum und Peripherie” etc. - gleich am Anfang aufhorchen. Ökonomische Analyse, noch dazu marxistische, statt moralisierende Phrase scheint der Leitsatz der beiden Autoren zu sein. Da sie den “ungleichen Tausch”1 für die Hauptsache bei der Ausbeutung der neokolonialen und abhängigen Länder halten, geht es ihnen speziell darum, dem Proletarische Revolution 62 nesischen iPad und da der Marxist ja weiß, dass hinter dem Profit der Mehrwert steckt und dieser durch produktive Arbeit geschaffen wird, eignet sich Apple ganz offensichtlich Mehrwert aus dem “Süden” an. Das ist unbenommen, aber die Frage nach dem Warum und dem Wie dieses Mehrwerttransfers wird so nicht beantwortet. Müsste nicht die Analyse dieser Transformation sich auch ein bisschen mit der Wertebene, nicht nur mit der Preisebene befassen? Der Artikel handelt leider, sobald er konkret wird, wieder nur - wie jede bürgerliche Betrachtung - von Preisen. Sobald es über Preisbildung und dadurch verursachte Profitumverteilung, wie sie auf der Oberfläche der Gesellschaft erscheinen, hinaus auf den Wert und seine verwandelten Formen, den Marktwert und den Produktionspreis, und auf den Mehrwert zugeht, findet man einerseits eine unvollständige und fehlerhafte “Zusammenfassung” eines Teils der Marx’schen Wert- und Mehrwerttheorie2, die völlig aufgepropft und ohne Bezug zur eigentlichen Analyse und deren Schlüsselthese bleibt, und andererseits recht armselige und hauptsächlich falsche Ansätzen der ökonomischen Analyse der Wertbildung im Monopolkapitalismus und Imperialismus, der Frage der Weltmarktpreise, des globalen Ausgleichs der Profitraten, auch der vergleichenden Analyse des Werts der Arbeitskraft usw. usf., womit die aus der Luft gegriffene Schlüsselthese “abgepolstert” werden soll. Dabei beginnt der Artikel vielversprechend. Die Autoren berufen sich auf den Marxismus, worüber man sich freut, wenn auch angesichts des heutigen bürgerlichen “Marxismus”, über den man überall stolpert, mit Skepsis. Sie weisen richtig darauf hin, dass die “hauptsächlichen Mechanismen für den Transfer von Wert (aus dem “Süden” in den “Norden”, wie sie schreiben) ... die Aneignung von Mehrwert durch Direktinvestitionen, der ungleiche Tausch ... und die Ausplünderung durch den Schuldendienst” (p.54) sind. Sie haben eine weitere Komponente vergessen, die an Bedeutung immer mehr gewinnt, nämlich die Migration und die damit heute verbundene Überausbeutung ausländischer Arbeitskräfte in den imperialistischen Ländern. Aber abgesehen davon sind das die relevanten Mechanismen der globalen Ausbeutung und Ausplünderung. Sie haben auch absolut recht damit, sich auf die Frage nach ökonomischen Mechanismen und Gesetzmäßigkeiten zu konzentrieren - und nicht auf bloße Kolonial- und Neokolonialpolitik, Gewalt und Korruption, monopolistisches Preisdiktat, alles ebenfalls wichtige Faktoren der imperialistischen Ausbeutung, aber nicht hauptsächlicher Gegenstand ihrer Untersuchung. Leider verfolgen sie von den angeführten “hauptsächlichen Mechanismen” nur einen weiter, nämlich den “ungleichen Tausch”. Aus welchen Gründen immer haben sie ihr Untersuchungsobjekt auf den “ungleichen Tausch” eingeschränkt, vermutlich weil sie diesen für den weitaus wichtigsten “Mechanismus” halten, und in weiterer Folge handelt der Artikel daher nur mehr von dieser einen Ebene der Ausbeutung und Ausplünderung der vom Imperialismus abhängigen Länder. Dagegen wäre an und für sich noch nichts einzuwenden, es handelte sich dann eben um die Analyse eines Teilbereichs des Problems. Allerdings müsste klar sein, dass damit von vornherein nur ein, noch dazu relativ kleiner Teil der imperialistischen Ausbeutung abgedeckt wird, und zweitens ist die Crux dabei, dass sie in weiterer Folge fast alle Im Wesentlichen referieren sie auf p.60/61 mehr schlecht als recht die Verwandlung der Werte in Produkti onspreise durch den Ausgleich der Profitraten (vgl. Marx, Kapitel 9 des „Kapital“ Band III, bei gleichzeitigem „Vergessen“ des Kapitels 10), was sie allerdings für ihre Theorie des „ungleichen Tausches“ überhaupt nicht bräuchten, da diese rein auf Preisunterschieden bei der Arbeitskraft ansetzt, sodass dieser Bezug nur Verwirrung stiftet. Es bleibt dem Leser überlassen, sich in diesem Kuddelmuddel zurechtzufinden und sich entweder für den abstrakt-“analytischen“ Wertansatz auf p.59-61 („The Value-Price Transformation“), der einen marxistischen Bezug darstellt, aber ansonsten zu nichts dient, zu entscheiden oder für den davon unberührten konkret-“posi tivistischen“ Preisansatz ab p.61 („The Global Framework“), der schlussendlich am Beispiel des iPad abgehandelt wird. 2 53 Nord-Süd-Konflikt oder Antiimperialismus? Ausbeutung und Ausplünderung des “Südens” unter “ungleichen Tausch” subsumieren, auch solche “Mechanismen”, die damit wenig bis gar nichts zu tun haben - wodurch wiederum eine ganz falsche Sicht des “ungleichen Tausches” befördert wird. Ein Beispiel: Es gibt eine “Grauzone” zwischen ausbeuterischem Handel und ausbeuterischen Direktinvestitionen in Gestalt von Kapitalisten im “Süden”, die zwar rechtlich gesehen “selbständig”, aber in Wahrheit nichts als Handlanger imperialistischer Konzerne sind. Viele imperialistische Konzerne halten sich solche “Scheinselbständige”. Das hat viele Vorteile. Über diese Firmen und Firmennetzwerke beteiligen sich an bzw. organisieren imperialistische Konzerne die exzessive Überausbeutung der Arbeitskraft und sind damit in Wahrheit direkte Ausbeuter in der Produktionssphäre. Dies hat mit “ungleichem Tausch” überhaupt nichts zu tun, erscheint aber als “ungleicher Tausch”, als “Umverteilung” von Mehrwert über den Handel, in der Zirkulationssphäre. In Wirklichkeit ist es keine Umverteilung, sondern Produktion von Mehrwert (unter exzessiven Bedingungen) und nur eine verschleierte Form von Direktinvestitionen, von direkter Partizipation an der Ausbeutung der dortigen Arbeitskraft. Die Ausbeutung und Ausplünderung, der z.B. die bangladeschische Textilmonokultur unterworfen ist, gehört nicht in die Rubrik “ungleicher Tausch”, 54 sondern in die Rubrik “Direktausbeutung” - ebenso wie der Uran”handel” zwischen Niger und Frankreich, der zusätzlich in die Rubrik Kolonialismus gehört. I. “Die Politische Perspektive” - Klassenkampf oder wohlwollende Anteilnahme an der “Dritten Welt”? Lauesen und Cope betreiben sozusagen einen teleologischen “Marxismus”. Sie haben ihr “neu-imperialistisches” politisches “Weltbild” schon vorfabriziert und garnieren es mit ein paar mehr oder weniger geeigneten “marxistischen” Elementen. Wir fassen daher dieses politische “Weltbild” gleich einmal vorweg zusammen: Gearbeitet und produziert würde heutzutage in der Hauptseite nur mehr im “Süden”, während der “Norden” aus “post-industriellen” Gesellschaften bestünde (p.55). Die “Konsumtionsgesellschaften” im “Norden” stünden den “Produktionsgesellschaften” des “Südens” gegenüber (p.57). Der “Süden” wäre die “Werkstatt der Welt” (p.57). Daraus folgt: “Nicht nur die Kapitalisten des Nordens profitieren materiell von der Überausbeutung der Niedriglohn-Arbeit im Süden”, sondern auch die Arbeiterklasse des “Nordens” lebte wesentlich von der Ausbeutung des “Südens”. Der aus dem “Süden” herausgepresste Mehrwert würde zu einem erheblichen Teil “nicht als Unternehmensprofit realisiert, sondern (Anm.: von der Arbeiterklasse des “Nordens”) als Konsumentennutzen in Gestalt billigerer Produkte”. Folglich wären “die Kernschichten der Bevölkerung unbeabsichtigte Nutznießer der Ausbeutung (des ‘Südens’)” (p.65). An die Stelle des “alten” Klassenwiderspruchs zwischen Bourgeoisie und Proletariat ist bei Lauesen und Cope der zwischen Bourgeoisie und Proletariat des “Nordens” einerseits und dem “Süden” andererseits getreten. Für die “Marxisten” Lauesen und Cope stehen sich nicht Arbeit und Kapital gegenüber, sondern “südliche” Produzenten und privilegierte und schmarotzende “nördliche” Konsumenten. “Realisierung von Mehrwert nicht als Profit, sondern als Konsumentennutzen” - was für ein Unsinn! Mehrwert kann nur als Profit realisiert werden, um sich dann in den eigentlichen Unternehmerprofit, Zins, Grundrente (und allerhand unproduktive Verwendungen) aufzuspalten, und überhaupt kann sich Wert nicht als stofflicher Nutzen “realisieren”. Wahrscheinlich meinen Lauesen und Cope mit diesem Nonsens-Satz ohnedies, dass die “nördlichen” Kapitalisten Nutzen aus dem Billigimport von Konsumgütern ziehen, weil dies den Wert und damit die Reproduktionskosten der Arbeitskraft im “Norden” senkt, daher die Senkung der Löhne erlaubt und so ihren Profit erhöht - aber das ist nicht Realisierung des im Süden produzierten Mehrwerts, sondern Erhöhung des im Proletarische Revolution 62 “Norden” produzierten Mehrwerts. Die “Political Perspective” (p.66), die daraus resultiert, kennt man schon bis zum Erbrechen: Die Arbeiterklasse des “Nordens” sei, da “überbezahlt (‘superwaged’) ... und ... nur scheinbar produktiver” (p.65) und eigentlich korrumpierter Schmarotzer, für den Klassenkampf nicht mehr zu haben. Noch viel “wichtiger” ist ihnen aber, dass auch die Intellektuellen, “Globalisierungskritiker” usw., kurz: die “sozialistischen Kräfte” des “Nordens” (Arbeiter finden sich ja ihrer Meinung nach darunter nicht mehr) sich nicht mehr mit irgendeinem illusionären Klassenkampf in den “Metropolen” abstrudeln bräuchten, sondern allenfalls den Kampf der Arbeiter und armen Bauern des “Südens” unterstützen könnten - da sie, diese Sorte von “sozialistischen Kräften”, selbst anscheinend, ergänzen wir, wie durch ein Wunder und obwohl es ihnen in der Regel wesentlich besser geht als der Arbeiterklasse, von der Korrumpierung ideologisch weniger betroffen sind als diese bzw. gar nicht. Die im “Süden” sollen halt kämpfen, obwohl das auch nichts mehr heißt im Vergleich zu den revolutionären Befreiungsbewegungen früherer Jahrzehnte, aber sie haben dafür wenigstens noch objektiv ihre guten Gründe, ein “objektives Interesse und die Fähigkeit, dem globalen Neoliberalismus zu widerstehen”3 (p.66). Auf uns im “Norden” bräuchten sie jedenfalls nicht zu zählen, denn die Arbeiterklasse im “Norden” habe beides nicht. Man hört solches, die Ausbeutung im “Norden” durch Fokussierung auf die des “Südens” beschönigendes und von Klassenwidersprüchen und Klassenkampf ablenkendes Geschwätz übrigens (fast) nur im “Norden“. Im “Süden”, wo man den Imperialismus anders erfährt und erlebt, hört man so etwas nicht (oder kaum). Dort wissen oder spüren Arbeiterklasse und Volk, dass ohne Klassenkampf auch in den imperialistischen Ländern, gegen den gemeinsamen Feind, zumindest für seine Zersetzung und Schwächung, auch ihr Kampf gegen den Neokolonialismus verdammt schlechte, jedenfalls wesentlich schlechtere Karten hat. Beispiele? Die Befreiungsbewegungen in Angola, Mocambique, Guinea-Bissau und Cabo Verde riefen eine revolutionäre Situation in Portugal hervor - wäre nicht auch vielleicht die weitere Entwicklung in den ehemaligen portugiesischen Kolonien nach ihrer Befreiung vom Kolonialismus anders verlaufen, wenn es in dieser Situation in Portugal eine erfolgreiche sozialistische Revolution gegeben hätte? Der algerische Befreiungskampf hat den Klassenkampf in Frankreich enorm beflügelt (und übrigens auch dazu beigetragen, zumindest ansatzweise die revisionistische Spreu vom revolutionären Weizen zu trennen) - wäre es nicht hilfreich gewesen, wenn sich damals, Anfang der 1960er Jahre, in Frankreich eine mächtige revolutionäre Arbeiterbewegung gebildet hätte, die sich dem Neokolonialismus gegenüber den soeben “in die Unabhängigkeit entlassenen” jungen Staaten in den politischen, ökonomischen und militärischen Arm geworfen hätte? Wer dagegen die Arbeiterklasse des “Nordens” gegen Arbeiterklasse und unterdrückte Völker des “Süden” ausspielt, betreibt das Werk der imperialistischen Bourgeoisien. Verachtung für die “korrumpierte” Arbeiterklasse in den imperialistischen Ländern, bei Ignoranz gegenüber ihrer wirklichen Lage, dafür “klassenloses” Mitleid für die Armen des “Südens”, ebenfalls bei Ignoranz gegenüber ihrer wirklichen Lage, ihren wirklichen Problemen, den dort relevanten Klassenwidersprüchen und Perspektiven des Klassenkampfes ... und das alles mit einer “sozialistischen” oder “marxistischen” Tarn- und manchmal Narrenkappe auf - lauter Fabrikate der ideologischen Fälscherwerkstatt der Bourgeoisie! Am Schluss des Artikels (p.66) verfallen die beiden zu allem Überdruss noch auf einen nostalgischen In üblicher „globalisierungskritischer“ Manier verwechseln auch Lauesen und Cope den Kampf der „Empörten“ gegen den „Neoliberalismus“, also kleinbürgerlichen „Kampf“ gegen bestimmte Auswüchse des Kapitalismus, mit dem proletarischen Klassenkampf gegen Kapitalismus und Imperialismus. 3 55 Nord-Süd-Konflikt oder Antiimperialismus? Rückblick auf die kämpferischen 1960er und 1970er Jahre, als auch in den imperialistischen Ländern noch gegen Kapitalismus und Imperialismus gekämpft wurde. Wie das? Lebte womöglich der imperialistische “Norden” damals noch nicht vom Neokolonialismus bzw., noch etwas früher, vom “alten” Kolonialismus? Tatsächlich glauben anscheinend sämtliche Kämpfer gegen den “Neu-Imperialismus”, dass es Mehrwerttransfer großen Stils und qualitativ neuer Dimension vom “Süden” in den “Norden” erst seit den 1970er Jahren gibt. Heute jedenfalls würde nirgendwo mehr ernsthaft gekämpft, weder im “Norden”, noch im “Süden”, aber für den “Süden” wäre es immerhin vorstellbar, obwohl auch dort zwar die objektiven Faktoren, das gewaltige Wachstum der dortigen Arbeiterklasse, vorhanden seien, aber nicht die “subjektiven Kräfte”. Dieses ganze Jammertal ist überschrieben mit “The Political Perspective”. II. Imperialismus gegen neokoloniale Abhängigkeit oder “Norden” gegen “Süden”? Bevor wir uns den “ungleichen Tausch” näher ansehen, muss geklärt werden, zwischen wem getauscht wird. Aus marxistischer Sicht stehen auf der einen Seite die imperialistischen Bourgeoisien und auf der anderen die vom Imperialismus unterdrückten Völker bzw., in geographischen Kategorien ausgedrückt, die imperialistischen und die vom Imperialismus neokolonisierten und abhängigen Länder. Bei Lauesen und Cope dagegen wird dieser Widerspruch in bekannter “globalisierungskritischer” Manier verdeckt und versteckt durch den zwischen dem “Norden” und dem “Süden”. Mehr als 80% der weltweit in der Industrie arbeitenden Lohnabhängigen, schreiben sie, schufteten heute bereits im “Süden” (p.57) - und sie tun das, wird suggeriert, hauptsächlich für den “Norden”. Wer ist dabei wer? Der “Norden” besteht für die beiden Autoren offensichtlich nur aus den klassischen “westlichen” imperialistischen OECD-Ländern (EU, USA, Japan, Kanada, Australien plus ein paar Anhängsel wie Südkorea, Israel, Neuseeland usw.), wo nur mehr eine Minderheit der Industriebeschäftigten arbeitet, nämlich etwa 15% - der Rest von “mehr als 80%” schuftet im “Süden”. 80% im “Süden” - das geht sich schon rein rechnerisch nur aus, wenn imperialistische Länder wie China und Russland zum ausgebeuteten und ausgeplünderten “Süden” gezählt werden. China, ein imperialistisches Land, das andere Länder in riesigem Ausmaß ausbeutet und ausplündert, liegt nicht nur geografisch betrachtet weitgehend im Norden, sondern gehört auch politisch-ökonomisch zum imperialistischen Lager4. Für Lauesen und Cope dagegen gehört es zum “Süden”, zu den vom Imperialismus abhängigen Ländern. Es ist absurd, das nicht nur bevölkerungsmäßig, sondern inzwischen auch in vieler Hinsicht ökonomisch größte imperialistische Land der Erde nicht zur imperialistischen Seite des Widerspruchs zu rechnen. In China alleine arbeitet mehr als ein Drittel (35%) der globalen “industrial workforce”, nämlich 250 von 700 Millionen, das heißt 35 der Lauesen und Cope’schen weltweit 80%. Zwar nicht der Größenordnung, aber der Sache nach und vor allem auch politisch ebenfalls absurd ist es, das imperialistische Russland zum “Global South” zu rechnen. Und noch einige weitere Länder profitieren aus der Ausbeutung anderer Länder, zumindest China ist ein imperialistisches Land. Dessen ungeachtet ist der Kapitalismus in China durch ungleichmäßige, un gleichzeitige und kombinierte Entwicklung gekennzeichnet. Neben in jeder Hinsicht höchstentwickelter findet sich auch noch rückständige Produktion, darunter auch immer noch die von Billig- und Billigstschund für den Export, aber auch technologisch hochwertige Industriegüter. China ist im Eilschritt auf dem Weg der kapitali stischen „Modernisierung“. Rückständige Produktionsmethoden und Produkte wurden und werden zunehmend aufgegeben. Industrien wie die Textilindustrie in Bangladesh gibt‘s schon einige Jahre nicht mehr und Zustände wie in Dagongmai auch nicht, und es hat sich auch eine neue Arbeiterbewegung entwickelt. In vielen Bereichen steht China in dieser Hinsicht auf der „nördlichen“, in anderen noch auf der „südlichen“ Seite. Es findet nicht nur Mehrwerttransfer aus China hinaus, sondern auch solcher nach China statt. Als Ganzes trägt China inzwischen den Charakter eines imperialistischen, ergo „nördlichen“ Landes. 4 56 Proletarische Revolution 62 auf regionaler Ebene, z.B. Indien (mit 15% der Weltindustriebeschäftigten), Brasilien (3%), in kleinerer Dimension auch Südafrika (also die restlichen BRICS). Diese Länder pauschal zum “Global South” zu rechnen und ihren ebenfalls und immer stärker ausgeprägten zumindest regionalhegemonistischen und ausbeuterischen Aspekt “vergessen”, heißt, den Widerspruch zwischen imperialistischen und abhängigen Ländern zu vernebeln und Konfusion zu verbreiten. Rechnet man aus dem imposanten Schaubild auf S.56, nach dem über 80% aller Industriebeschäftigten im “Süden” schufteten, China heraus, landet man schon bei “nur mehr” 45%. Rechnet man auch Russland zur Gänze und die restlichen BRICS-Staaten wenigstens mit ihrem “nördlichen” Aspekt, also sagen wir zur Hälfte, heraus, landet man bei höchstens 35%. Also: Nur 35% der Industriearbeiter/innen der Welt arbeiten tatsächlich im „Globalen Süden“, nicht 80% wie Lauesen/Cope behaupten. Die Theorie vom “Global South” und der Pseudowiderspruch zwischen “Norden” und “Süden ist, ob die Autoren das subjektiv wollen oder nicht, poli- tische Falschmünzerei zur Verwischung der Klassenund grundlegenden Widersprüche auf der Welt und zur Untergrabung des internationalen Klassenkampfes. Die chinesischen Imperialisten freilich werden sich freuen, wenn ihnen von “marxistischer” Seite bestätigt wird, was sie jahraus, jahrein zwecks Lug und Trug von sich selbst behaupten, nämlich dass sie ihn gewisser Weise das “größte Entwicklungsland” seien und nicht zu den Imperialisten, sondern zur “Dritten Welt” (so hieß nämlich der “Global South” bis vor wenigen Jahren) gehörten - was diese ihnen allerdings immer weniger glaubt. III. “Produktionsgesellschaften” versus “Konsumtionsgesellschaften”? Schauen wir uns jetzt den Widerspruch zwischen den “Produktionsgesellschaften” des “Südens” und den “Konsumtionsgesellschaften” des “Nordens” an. China z.B. produziert, hieße das, während z.B. die EU konsumiert. Dazu müsste China das von ihm Produzierte exportieren und die EU selbiges importieren. China müsste daher eine gewaltige Exportquote und die EU eine gewaltige Importquote haben.5 Ist das tatsächlich der Fall? Anscheinend liegt diese banale Frage außerhalb des Interessensbereichs von Lauesen und Cope. China hat eine Exportquote am BIP von 22% (2014). Das heißt, 78% oder mehr als drei Viertel der chinesischen Produktion sind für die chinesische Verwendung (private, als Konsumgüter, und produktive, als Produktionsmittel) bestimmt. Mehr als drei Viertel der chinesischen Arbeiterklasse arbeiten also rein statistisch für das Inland. Diese 78% werden zwar ebenfalls ausgebeutet und überausgebeutet, aber nicht um billige Produkte für den “nördlichen” Markt zu erzeugen.6 Dass die “nördlichen” Imperialisten auch daran profitieren, auch am Inlandsmarkt, z.B. in Form von Absatzmärkten und von aus ihren Direktinvestitionen gezogenen Profiten, ist eine andere Geschichte, die mit “ungleichem Tausch” zwi- Wir gehen bei den folgenden Zahlen von den Handelsbilanzen aus, also dem Export bzw. Import von Gütern, und vernachlässigen den von Dienstleistungen, weil er in der Frage des „ungleichen Tauschs“ zwischen „Nor den“ und „Süden“ nicht die entscheidende Rolle spielt. Z.B. machen die Güterexporte Chinas 91% seiner Ge samtexporte aus, die Güterimporte der EU 75% ihrer Gesamtimporte. 5 6 Auch die restlichen 22%, der Export, muss zuerst einmal in China produziert werden - da aber China auch eine fast gleich große Importquote (20%) hat, gleichen sich beide Seiten fast aus. Der Export Chinas besteht übrigens im Gegensatz zu den Vorstellungen des konsumierenden Ignoranten nicht v.a. aus T-Shirts, Kinderspielzeug, Pla stikblumen und i-Phones, sondern - um die wichtigsten Branchen zu nehmen - aus Elektrischen Maschinen (12%), Geräten für Nachrichtentechnik (12%), Büromaschinen etc. (10%) - und natürlich Rüstungsgütern, die in der Außenhandelsstatistik nicht adäquat abgebildet werden, aber mindestens 10% der Gesamtexporte ausmachen. 57 Nord-Süd-Konflikt oder Antiimperialismus? schen dem “Global South” und dem “Norden” nichts zu tun hat7. Kommen wir zu den “Konsumtionsgesellschaften” des “Nordens” und nehmen wir das Beispiel der EU. Die EU hat eine Importquote am BIP von 30% (2015). Es werden also 70% aller in der EU konsumierten oder im weiteren Produktionsprozess vernutzten Waren innerhalb der EU produziert und nur etwa 30% importiert. Die EU hat andererseits eine Warenexportquote von 32% und auch diese Waren müssen ja zuerst in der EU produziert werden. Die EU produziert also sogar mehr Waren, als sie selbst konsumiert oder produktiv vernutzt. Dazu kommt, dass keineswegs aller EUImport aus dem “Süden” kommt, ganz im Gegenteil: 63% des Imports kommen aus anderen imperialistischen Ländern und nur 37% aus dem “Süden”. 37% von 30% sind nicht weniger, aber auch nicht mehr als 11% des BIP. Einer Überlegung wert ist es, dass im Inneren der EU sich ja ebenfalls abhängige, neokoloniale und sogar koloniale Länder (Bosnien, Kosovo...) befinden, erhebliche Teile des Balkan. Müsste man diese nicht auch dem “Süden” zurechnen? Aber welches Gewicht haben diese Länder in Bezug auf unsere Frage? Wie viel Handel und damit zwangsläufig “ungleichen Tausch” treiben sie mit den imperialistischen Kernländern der EU? Der gesamte Balkan (Ex-Jugoslawien, Albanien, Rumänien und Bulgarien) steht nur für 2% des EU-BIP, spielt also in der globalen Betrachtung keine Rolle. Deshalb hat ja auch die Eurozone alleine, also in gewisser Hinsicht der Kern der EU, ebenfalls eine Importquote von 31% und eine Exportquote von 34%, also nur unbedeutend mehr als bei der EU insgesamt. Noch ein Blick auf den sonstigen “Norden”. Die Importquote der USA ist 13%, seine Exportquote 9%. Die USA leben noch weniger als die EU überwiegend vom “ungleichen Tausch”, wie es Lauesen und Cope nahelegen. Dafür sind bei den USA die anderen Formen der Ausbeutung und Ausplünderung des “Südens”, die bei Lauesen und Cope nur zu Beginn erwähnt, aber nicht weiter behandelt werden, stärker ausgeprägt (verschiedene Formen des Kapitalexports, von den Direktinvestitionen über den Schuldendienst bis zur Nutzung des Dollar als Weltwährung). Die Importquote Japans ist 17%, die Exportquote 16%, beides ebenfalls weit unter EU-Niveau. Fassen wir diese Fakten zusammen, erheben sich - wieder am Beispiel Chinas und der EU - folgende Fragen: Inwiefern ist angesichts dieser Export- und Importquoten z.B. China eine “Produktionsgesellschaft”, die EU hingegen eine “Konsumtionsgesellschaft”? Inwiefern lebt die EU sehr maßgeblich, wenn nicht hauptsächlich vom billigen Konsum von in China und anderswo im “Süden” produzierten Waren? Inwiefern wird der in China produzierte Mehrwert überwiegend im “Norden” realisiert, “als Konsumentennutzen in Gestalt billigerer Produkte” (p.65), also in Form von “südlichen” Subventionen für den “nördlichen” Konsumenten? Nicht dass nicht Mehrwert aus China nach Europa fließen würde, aber nicht in der von Lauesen und Cope suggerierten Größenordnung - und vor allem nicht, um zu einer Subvention an die Arbeiterklasse Europas zu werden (ohne nämlich, dass durch die Verbilligung von Konsumwaren nicht im Gegenzug deren Lohn gesenkt würde). Noch kurz zu Österreich: Österreich hat eine überdurchschnittliche Import- wie auch Exportquote, nämlich 36% bzw. 37%. Das hat klarerweise auch mit der Kleinheit des Landes zu tun. Lebt also Österreich mehr noch als die anderen Imperialisten vom “ungleichen Tausch” mit dem “Global South”? Bei weitem nicht aller Import kommt aus dem “Sü- Dass ein Teil der chinesischen Produktion die von nicht-chinesischen imperialistischen Konzernen ist, zum Teil für den chinesischen Inlandsmarkt, zum Teil zwecks Exports und davon wiederum zu einem Teil zwecks Exports in den imperialistischen „Norden“, tut nichts zur Sache. Er ist Teil des chinesischen Wertprodukts und schafft chi nesischen Mehrwert. Die Eigentumsverhältnisse der in China tätigen Firmen sind für viele Fragen wichtig, aber nicht für die Tatsache, dass es sich um chinesische Wert- und Mehrwertproduktion handelt - die auf dem Weg von Direktinvestitionen von ausländischen Kapitalen angeeignet und zum Teil ins Ausland transferiert wird. 7 58 Proletarische Revolution 62 den”, vielmehr kommen 71% des österreichischen Imports aus der EU (davon 57% aus der Eurozone). Weitere 11% des österreichischen Imports kommen aus anderen OECD-Staaten außerhalb der EU (incl. USA, Japan), ebenfalls zweifelsfrei “Norden”. Aus China, das als imperialistisches Land eigentlich auch dem Norden zuzurechnen wäre, kommen 2% des österreichischen Imports, aus Russland 4%. Der langen Rede kurzer Sinn: aus dem “Süden”, wenn man China und Russland nicht zu diesem “Süden” rechnet, dafür das eine oder andere Balkanland schon, kommen nur höchstens 10% aller österreichischen Importe (oder, bei einer Importquote von 36%) ganze 3,6% des BIP. Dazu kommt die Exportquote von 37% - da sich Import und Export mehr als ausgleichen, wird in Österreich sogar eine Spur mehr produziert als kon sumiert. Nimmt man diese Zahlen, erweist sich das Bild, das Lauesen und Cope zeichnen, als Hirngespinst. Das schlechte Gewissen des “globalisierungskritischen” Kleinbürgers wird durch die “Global South”Schablone eventuell befördert, der Klassenkampf gegen die imperialistische Bourgeoisie hingegen nicht. Die chinesische Arbeiterklasse schuftet also statistisch gesehen zu 22% für den Export, aber zu 78% für die chinesische Reproduktion und Akkumulation. Politisch steht sie zu 100% der chinesischen Bourgeoisie und ausländischem Kapital, das Direktinvestitionen in China getätigt hat, gegenüber. Die Arbeiterklasse der EU schuftet zu 32% für den Export , aber zu 68% für die Reproduktion und Akkumulation des Kapitals in der EU, wobei der Export in der Hauptseite in andere imperialistische Länder geht (China mit 20% des EU-Gesamtexports, USA mit 14% und Russland mit 10% usw.) und nur ein Teil in den “Süden”. Politisch steht sie zu 100% der/den europäischen Bourgeoisie(n) und ausländischem Kapital, das Direktinvestitionen in der EU getätigt hat, gegenüber. Der entscheidende Klassenwiderspruch verläuft in China wie im imperialistischen “Norden” zwischen Proletariat und Bourgeoisie im jeweiligen Land/in den jeweiligen Ländern und dieser Widerspruch ist auch im Weltmaßstab einer der grundlegenden Widersprüche. Zu diesem kommt ein zweiter grundlegender Widerspruch, der zwischen dem Imperialismus und den unterdrückten Völkern, der aber den ersteren nicht etwa überwiegt oder gar aushebelt. Diese beiden grundlegenden Widersprüche bestimmen den internationalen Klassenkampf. IV. Realitätscheck dieser Zahlen durch das wirkliche Leben Zahlen erscheinen manchmal als abstrakt, machen wir sie also anschaulicher. Der normale österreichische Lohnabhängige gibt fast sein ganzes oder tatsächlich sein ganzes Geld und nicht selten mehr als das aus für das Lebensnotwendige an Wohnung, Kleidung und Ernährung, auch ein Smartphone, allenfalls noch ein Auto usw. Das weitaus meiste davon und auch die Produktionsmittel zur Produktion dieser Konsumgüter werden nicht im “Süden”, sondern im “Norden” produziert: Landwirtschaft und Nahrungsmittelproduktion, Wohnbau und Bauwirtschaft überhaupt, Energiewirtschaft (außer dem Import von Öl und Gas, sehr wohl jedoch die Raffinierung), Transportwirtschaft, Stahlerzeugung und andere Metallurgie, große Teile z.B. des Maschinenbaus, Kraftwerksbaus, Stahlwerksbaus, der Verkehrstechnik, Gesundheitswesen, Schulwesen, Restaurants und Cafés und andere Dienstleistungssektoren usw. usf. - das alles ist österreichischen oder EU-Ursprungs, also aus dem “Norden”. Natürlich stößt man überall auch auf T-Shirts aus Asien, Autos aus Japan, Elektrogeräte asiatischen Ursprungs und last but not least auf das iPhone, das Lauesen und Cope für die typische 59 Nord-Süd-Konflikt oder Antiimperialismus? “Neoliberale Industrialisierung”? Lauesen und Cope leben in einer “neoliberalen” Scheinwelt. Die “substanzielle Industrialisierung des Südens in den letzten drei Jahrzehnten ...wurde möglich durch den Zerfall der sowjetischen und osteuropäischen ‘real existierenden sozialistischen’ Wirtschaftssysteme und die Öffnung Chinas für den globalen Kapitalismus.” (p.55). Tatsächlich gab es eine substanzielle Industrialisierung in der Sowjetunion und nach dem Zweiten Weltkrieg in Teilen Osteuropas (z.B. Albanien, Polen, Rumänien, Bulgarien) sowie Chinas und Koreas erst nach der Befreiung von Imperialismus und Kapitalismus, während die anschließende Restauration des Kapitalismus diese wieder untergrub und der schließliche Kollaps der Sowjetunion und der revisionistischen Regime in Osteuropa auch zum weitgehenden Zusammenbruch der dortigen Wirtschaft und zu einer regelrechten Entindustrialisierung führte, die teilweise bis heute andauert. Umgekehrt besteht die durch den “Neoliberalismus” beförderte Industrialisierung in den meisten Fällen, auch wenn sie große und bisher nicht dagewesene Dimensionen annimmt, nur in einer vom Imperialismus abhängigen, auf dessen Bedürfnisse zugeschneiderten einseitigen Entwicklung. Das was sich in vielen Ländern des “Südens” abspielt, kann man nur sehr euphemistisch als Industrialisierung bezeichnen. Der Aufstieg Chinas bildet eine historische Ausnahme. Sogar Indien hat keine im vollen Sinn auf eine eigenständige Entwicklung gerichtete Industrialisierung zustandegebracht. Gar nicht zu reden von den Lauesen und Cope aufgezählten Beispielen Indonesien, Vietnam, Brasilien und Mexico und schon gar nicht von solchen Ländern, die tatsächlich nur “verlängerte Werkbänke” oder Bergwerke der Imperialisten sind (wie z.B. Bangladesh oder viele afrikanische Länder). Weltware überhaupt halten - aber das ist nur der kleinere Teil dessen, was in Österreich konsumiert wird8. Jede Leserin und jeder Leser können sich selbst einmal überschlagsmäßig ausrechnen, wieviel sie von ihrem Monatseinkommen für Produkte aus dem „Süden“ ausgeben: Miete, Betriebskosten, Essen, Transport, Gesundheit, Bildung, Kultur,… - wieviel Euro bleiben da noch für Waren aus dem „Süden“? V. Aussagekraft der Export- und Importquoten? Gegen die obigen Zahlen bzw. ihre Aussagekraft gibt es statistische Einwände und sie sind in einem gewissen Maß berechtigt. Diese Zahlen beruhen nämlich allesamt auf Preis- und nicht auf Wert- größen, denn Wertgrößen würde man in der bürgerlichen Statistik vergeblich suchen.9 Vielleicht, könnte man ja fragen, sind die Exportquote Chinas und die Importquote der EU nur deshalb so niedrig, wie sie ausgewiesen werden, weil die Preise dieser Waren weit unter ihren Werten liegen? Und vielleicht exportiert umgekehrt der “Norden” zu Preisen über den Werten? Vielleicht versteckt sich also die Mehrwerttransfer gerade hinter diesen “falschen”, von den Werten abweichenden Preisen, also hinter falschen Zahlen? An diesen Einwänden ist etwas dran, aber nicht das und nicht so, was und wie die meisten “Globalisierungskritiker” glauben. Es stimmt, dass die Preise nicht nur von den Werten abweichen können, sondern dies unweigerlich alleine schon durch die Marktbewegungen aufgrund der Konkurrenz der Kapitale untereinander tun, aber die Preise werden nicht beliebig in der Zirkulationssphäre gebildet (“Angebot und Nachfrage”) und können sich nicht beliebig von den aus der Produktionssphäre stammenden Werten los lösen. Die Preise gravitieren (schwanken) um den Wert bzw. seine “verwandelte” Form, den Marktwert und letztendlich den Produktionspreis. Dazu kommen dann Faktoren wie monopolistische Preisbildung, Überausbeutung der Arbeitskraft etc. Oft kommen auch “außerökonomische” Faktoren dazu wie Raub, Plünderung, politische Monopolstellungen, Schutzzölle, Marktabschließungen und -einschränkungen etc. Der österreichische oder generell „nördliche“ Inhalt ist oft nicht sofort sichtbar, z.B. wenn bei einem aus ländischen Auto oft jede Menge österreichischer Karosseriestahl, Motoren und Getriebe, Steuerungschips und viele andere Teile verarbeitet wurden. Ähnliches gilt für viele andere Branchen. Sogar in so mancher asiatischen Textilie steckt Lenzing Modal. 9 Kein stichhaltiger Einwand ist, dass das BIP als Maßstab für Export- und Importquote nicht tauge, da es nur aus aufaddierten Preisen besteht und keine Wertgröße repräsentiert und so alles Mögliche, auch unproduk tive Tätigkeiten in sich einschließt. Das ist wahr, aber es gilt genauso für die Berechnung des Exports und Imports – das Verhältnis wird also weitgehend korrekt widergespiegelt. 8 60 Proletarische Revolution 62 Die Statistik auf Basis der Preise kann daher und wird sogar verzerren, aber nicht in einem Ausmaß, dass das die obigen Größenverhältnisse und die getroffenen Aussagen in Frage stellen würde. Dazu kommt, dass man die Dimension des Tauschhandels nicht überschätzen darf. Aus dem “Global South” (den Balkan als “innere” Neokolonie der EU schon dazu gerechnet) kommen insgesamt nur 10% der Gesamtimporte Österreichs. Es können diese 10% mehr an Wert repräsentieren als die Preise ausdrücken, aber nicht ein Vielfaches. In einzelnen Fällen, bei einzelnen Produkten kann das ausnahmsweise anders sein, aber nicht für den Gesamtimport. Wenn die Gesamtimporte 36% des BIP ausmachen und der Anteil des “Global South” (samt Balkan) an den Gesamtimporten 10% ist, dann machen diese letzteren Importe 3,6% des BIP aus und der daraus resultierende “Konsumentennutzen” ist dementsprechend schon rein statistisch beschränkt. Die obigen Zahlen veranschaulichen daher trotzdem, wenn auch mit dieser Einschränkung, dass zwar selbstverständlich der imperialistische “Norden” den “Süden” auch über den “ungleichen Tausch”ausbeutet, dass aber diese Form oder Ebene der Ausbeutung des “Südens” nicht das überwältigende Gewicht hat, das Lauesen und Cope ihm beimessen. Außerdem gibt es auch Verzerrungen in der entgegengesetzten Richtung: Die o.a. Export- und Im- portquoten übertreiben in der Regel, für manche Länder sogar sehr erheblich, weil sie auch Transithandel einschließen. Wenn ein Land aus einem anderen Land Waren bezieht und diese an ein drittes weiterverkauft, gehen sie in seine Export- und Importquote ein, ohne aber in diesem Land produziert worden zu sein. Dass das so sein muss, auch wenn es statistisch schwer oder gar nicht dingfest zu machen ist, sieht man daran, dass die respektiven Quoten bei einigen Ländern unvorstellbar hoch sind. So hätte z.B. die Slowakei eine Exportquote von 83% oder Ungarn 73% - und fast eben so hohe Importquoten. Das ist, wenn man bedenkt, dass einige Wirtschaftszweige zwangsläufig lokal sind, gänzlich unmöglich und es kann sich nur um Transithandel handeln. VI. Klassenwidersprüche oder Breitengrade? Der Pseudo-Widerspruch zwischen “Norden” und “Süden” ist nur eine modernisierte Neuauflage der diversen “Dritte Welt”-Theorien und nur dazu angetan, den Klassenkampf zu unterminieren. Dies einem Lauesen oder Cope nahe bringen zu wollen, wäre indes vergebliche Liebesmüh’, denn mit Klassenkampf haben die beiden Autoren nichts am Hut. Dafür schrecken sie vor keiner noch so lächerlichen Bourgeois-Plattitüde zurück. “Nach dem Ökonomen der Weltbank (das auch noch!), Branko Milanovic, ... ist die Ungleichheit heute nicht mehr überwiegend durch Klassenzugehörigkeit bestimmt ... , sondern fast ausschließlich dadurch, wo man wohnt. Letzteres bestimmt zu 80% die globale Ungleichheit” (p.57 und die diesen Schrott noch mehr aufplusternde Milanovic’sche Grafik auf p.58). Die Klassenzugehörigkeit spielte demnach nur zu 20% eine Rolle, also eigentlich keine nennenswerte. Das ist nicht sehr viel gescheiter als für ein imperialistisches Land zu sagen: ob man arm oder reich ist, hängt höchstens zu 20% von der Klassenzugehörigkeit ab, aber zu 80% von der “location”, nämlich ob man in einem Penthouse eines Nobelviertels oder in einer verschimmelten Souterrain-Wohnung schräg unter der Stadtautobahn haust. Freilich, dass man z.B. im Jemen geboren ist und nicht in Österreich, kann man sich nicht aussuchen - aber der, der in der verschimmelten Wohnung schräg unter der Stadtautobahn wohnt, kann sich das auch nicht aussuchen. An jeder Stelle des Planeten gibt es Klassen und Klassengegensätze und sie bestimmen das Leben. Auch im “Global South” hängt es in erster Linie davon ab, welcher Klasse man angehört, Reiche gibt es auch dort genug. Natürlich geht es im Durchschnitt den Menschen in den imperialistischen Ländern wesentlich besser als denen im “Global South”, auch den armen Menschen hier immer noch besser als den armen dort - das ist das Ergebnis einer langen Geschichte der imperialis61 Nord-Süd-Konflikt oder Antiimperialismus? tischen Ausbeutung der Kolonien und Neokolonien einerseits und der Arbeiterbewegung, der Klassenkämpfe, revolutionärer Krisen usw. andererseits, also all dessen, was Marx als die “historische und moralische Dimension” des Werts der Arbeitskraft fasste. Aber überall gibt es Ausbeuter und Ausgebeutete. Die Ausbeuter beider Sphären halten zusammen - und die Ausgebeuteten beider Sphären sollten das auch. Dass der Wert der Arbeitskraft hier und dort nicht derselbe ist und auch ihre Lebensverhältnisse nicht, hilft weder den einen, noch den anderen, wenn sowohl den einen als auch den anderen tendenziell der Lohn unter diesen jeweiligen Wert gedrückt wird. Es geht für uns in den imperialistischen Ländern darum, den Klassenkampf hier zu führen und die Klassenkämpfe im “Süden” und die Kämpfe der unterdrückten Völker zu unterstützen und für die Einheit der internationalen Arbeiterklasse zu kämpfen, wobei - was unseren Beitrag betrifft - der Klassenkampf hier, die Schwächung des Imperialismus, die Behinderung und Störung seiner Machenschaften auch der Arbeiterklasse der abhängigen und neokolonialen Länder und den unterdrückten Völkern am meisten nützt. Wer eine “Dichotomie” zwischen “Norden” und “Süden” jenseits der Klassen dahingehend theoretisiert, dass ein Klassenkampf hier sowieso sinn- und jede gewerkschaftliche Bemühung nutzlos wäre, weil wir ja alle, auch die Arbeiterklasse, “materiell von der Überausbeutung der südlichen NiedriglohnArbeit profitieren” (p.65), ist ein Bourgeoisbüttel. VII. Seltsame Kurven ... Wir kommen jetzt zum Herzstück des Artikels, zur eigentlichen Analyse der Transformation der Werte in Preise (p.59ff.). Die übliche “globalisierungskritische” Meinung, sofern marxistisch gefärbt10, be steht darin, dass durch “ungleichen Tausch” die Preise dergestalt von den Werten abweichen, dass der “Süden” zu unter den Werten liegenden Preisen in den imperialistischen “Norden” exportiert11. Die ganze Chose läuft auf Mehrwerttransfer und Umverteilung in der Zirkulationssphäre hinaus und, da außerdem noch Imperialismus, Finanzkapital und Monopolmacht im Spiel sind, auf üble, gegen den “Süden” gerichtete Machenschaften auf der Preisebene. Lauesen und Cope landen - entgegen ihrem Vorsatz zur Entschlüsselung der dahinter liegenden ökonomischen Gesetzmäßigkeiten - letztlich ebenfalls dort, aber auf einem verschlungenen Weg und nicht ohne diesen mit einem auf ihren Argumentationsbedarf hin zurechtgeschneiderten “Auszug” Marx’scher Theorie (p.60f.) aufzumotzen. Sie thematisieren die Tatsache der Transformation der Werte in Preise; gehen auch davon aus, dass diese Transformation nicht nur oder in erster Linie eine Frage von Gewalt, Korruption und monopolistischem Preisdiktat sein kann, sondern - wenn das Ganze nicht eine zufällige Entgleisung des Kapitalismus sein sollte - nach ökonomischen Gesetzmäßigkeiten ablaufen muss; sie sprechen auch an, dass es hinter der Zirkulationssphäre eine Produktionssphäre von Wert und Mehrwert geben muss - aber sie können keine Brücke von der Produktionssphäre zur Zirkulationssphäre schlagen und den Prozess und die Mechanismen der Transformation von Werten in Preise nicht erhellen und landen trotz einiger 10 Wer nicht vom Marxismus angehaucht ist, wird sich wahrscheinlich nicht für die Frage der Transformation von Werten in Preise interessieren, da ihm gar nicht geläufig ist, dass es überhaupt Werte hinter den Preisen gibt. Üblicherweise begnügt sich der „globalisierungskritische“ Mensch mit der Ansicht, dass es sich doch wohl irgendwie um „Ausbeutung“ handeln muss, wenn Hungerlöhne in Bangladesh gezahlt und die T-Shirts in den imperialistischen Ländern weit über den Produktionskosten verkauft werden. (Logische politische Schlussfolge rung daraus übrigens: Würden die dortigen Löhne erhöht, die Arbeitsbedingungen verbessert und notfalls auch der hiesige Preis des T-Shirts erhöht, wäre die „Ausbeutung“ überwunden, zumindest die extreme, sodass man zumindest kein schlechtes Gewissen mehr haben müsste.) Die Frage des „ungleichen Tausches“ stellt sich klarerweise nur für diejenigen Waren, die vom „Süden“ in den „Norden“ exportiert werden bzw. umgekehrt, nicht für diejenigen, die dort konsumiert oder als Produktions mittel verbraucht werden, wo sie produziert werden. Sie stellt sich also nur für den weitaus geringeren Teil aller Waren. 11 62 Proletarische Revolution 62 “marxistischer” Girlanden wieder nur bei der gemeinplätzigen “Erkenntnis” des billigen Kaufens und teuren Verkaufens, bei der Beschreibung und Anprangerung imperialistischer Preispolitik und Preisbildung. Das Herzstück des Artikels ist so aufgebaut: Das Kapitel zur “Wert-Preis-Transformation” (p.59f.) greift einen Teil der Marx’schen Wert- und Mehrwerttheorie heraus (die Verwandlung der Werte in Produktionspreise) und repräsentiert sozusagen die marxistische Theorie, leider eine verengte und zurechtgestutzte Theorie; das nächste Kapitel zum “Globalen Rahmen” (p.61f.) skizziert, ohne jeden Beleg oder jede stichhaltige Begründung, ein aus der Luft gegriffenes Bild des Rahmens, in dem sich diese Transformation heute angeblich abspielt, mit einer falsche Sicht von Weltmarkt und Weltmarktpreisen; das folgende Kapitel “Das Kernstück von Apple” (p.63f.) schließlich präsentiert am Beispiel des iPad ein nicht nur zweifelhaftes, sondern an und für sich der Sache (der Transformationsproblematik von Werten in Preise) in keiner Weise dienendes Zahlenwerk, das die “Analyse” der beiden Autoren belegen soll. Das Unternehmen scheitert kläglich. Sie können ihre “Erkenntnis” nicht schlüssig erklären und auch keinen Zusammenhang herstellen mit dem “Beispiel” des iPad. Das iPad-Kapitel treibt sich - wie viele andere Teile des Artikels - ausschließlich in der Zirkulationssphäre um, es handelt nur von Preisen. Weder sind dahinter liegende Werte angesprochen, noch deren Transformation in Preise. Die marxistische Werttheorie ist zu bürgerlicher Kalkulation und Betriebswirtschaft verkümmert12. (Das iPad ist übrigens ein zwar sehr beliebtes und spektakuläres, aber leider kein gutes, da für die große Masse der Warenwelt nicht repräsentatives Beispiel.) Lauesen und Cope steigen ein mit einer Grafik zur “Wert- und Preisbildung in der globalen Produktionskette” am Beispiel von Computern (p.59 - siehe Chart 3, diese Seite oben!), die zwei einander gegenüber liegende Kurven zeigt, eine nach oben offen und 12 Das drückt sich in seltsamen Kategorien, wahrscheinlich für den „neuen Imperialismus“ neu erfunden, aus, darunter im „scheinbaren Mehrwert“ (p.65) und im „dunklen Mehrwert“ (p.63f.). Scheinbarer Mehrwert sei, wenn durch billig aus dem „Süden“ importierte Konsumgüter die Löhne der Arbeiter im „Norden“ relativ (rela tiv! denn eigentlich sind sie „superwaged“) niedriger gehalten werden können, als dies ohne diese Billigimporte möglich wäre, und wenn dadurch sowie auch durch billig importiertes konstantes Kapital (Rohstoffe, Zwischen produkte, Maschinen etc.) ein scheinbarer „Mehrwert“ entstünde. Sorry, das ist nicht „scheinbarer ‚Mehrwert‘“, sondern schlicht und einfach Mehrwert. Wenn der Wert der Arbeitskraft gesenkt werden kann und das konstan te Kapital sich verbilligt, erhöht sich der Mehrwert des „nördlichen“ Kapitalisten. „Dunkler“ Mehrwert für das Kapital im „Norden“ sei, wenn z.B. im „Süden“ der Wert der Arbeitskraft bzw. Lohn durch informelle, nichts mit dem Lohnverhältnis zu tun habende Umstände gesenkt werde (gemeint ist damit z.B. Verringerung der Reproduktionskosten durch von der Familie betriebene Subsistenzwirtschaft) oder wenn wegen fehlender Um weltstandards auch keine Kosten für deren Einhaltung anfielen. Ersteres erhöht durch die dadurch ermöglichte Lohnsenkung bzw. wenn es „Standard“ ist sogar ein Sinken des Werts der Arbeitskraft den lokalen Mehrwert, der dann zum Teil, manchmal zum Großteil in den Taschen „nördlicher“ imperialistischer Kapitale landet. Zwei teres schafft überhaupt keinen Mehrwert, hält aber die Kosten des lokalen Kapitals niedriger, als sie sonst wären. Die Bourgeois nennen solche vermiedenen Kosten „Opportunitätsgewinne“ (und übrigens durch Pech nicht ein gefahrene Gewinne „Opportunitätsverluste“, eine wichtige Größe, die die in der Buchhaltung gerne zum Ver schleiern der tatsächlichen Profite benutzt wird). Schlechtere oder gar keine Umweltstandards schaffen ebenso wenig Mehrwert wie z.B. die größere Ergiebigkeit einer Mine oder staatliche Subventionen für den Bourgeois usw. usf. Laueses/Cope stolpern auch an dieser Stelle über ihr ständiges Mischmasch von Wert- und Preiskate gorien und generell ihren dilettantischen Umgang mit marxistischen Kategorien. Hier verwechseln sie offenbar auch Wertproduktivität mit stofflicher Produktivität (anders ausgedrückt: abstrakte und konkrete Arbeit). 63 Nord-Süd-Konflikt oder Antiimperialismus? eine nach unten, die beide aussehen wie eine Art zugespitzter Hyperbeln. Erstere, ein “smiley”, wie sie sagen, zeige die bürgerliche Vorstellung von Wertbildung (“Wertschöpfung” auf jeder Stufe der Kapitalverwertung und des Kapitalkreislaufs auf Basis von Preisen), nach der die Masse der bürgerlich verstandenen “Wertschöpfung” an den beiden Rändern, den vor- und nachgelagerten Bereichen der eigentlichen industriellen Produktion erfolgt. Die zweite, ein “sour smiley”, repräsentiere die marxistische Auffassung (auf Basis von Wertproduktion), nach der die Masse der Wertschöpfung in der Mitte der Kurve, in der Produktion, erfolgt. Beide Kurven unterscheiden zwischen dem Mittelteil der eigentlichen Produktion (beim iPad z.B. in China) und solchen Tätigkeiten, die dieser vorgelagert (“Management, Finanzen, Design, Forschung & Entwicklung”) und nachgelagert (“Marketing, Markenpflege, Werbung, Verkauf”) und in den USA bzw. anderen imperialistischen Ländern angesiedelt sind. Die bürgerliche “smiley”-Kurve erweckt den Eindruck, die eigentliche Produktion sei fast gar nichts “wert”, die “marxistische” “sour smiley”-Kurve zeige dagegen, dass es umgekehrt sei und die vor- und nachgelagerten Tätigkeiten fast gar keinen Wert produzierten. Ersteres ist selbstverständlich falsch, aber auch zweiteres ist so nicht richtig, denn vieles davon 64 sind ebenfalls Tätigkeiten, ohne welche die Produktion des iPad nicht möglich wäre und daher produktive Tätigkeiten. Beide Kurven sind im Grunde nur wohlmeinende moralische Projektionen, die mittels einer Zeichnung überzeugen sollen. Offenbar, schließen die beiden Autoren aus ihrer Grafik, weichen die Verrechnungsoder Verkaufspreise auf den verschiedenen Stufen der Produktion substantiell von den respektiven Werten ab. Lauesen und Cope machen sich in weitere Folge an die Aufgabe, das in der Grafik abgebildete Phänomen marxistisch zu erklären, d.h. nicht durch willkürliche Machenschaften der imperialistischen Bourgeoisien, sondern auf Basis ökonomischer Gesetzmäßigkeiten. Sie schreiben zunächst noch ganz richtig: “Obwohl ... der Marktpreis einer Ware regelmäßig von ihrem Wert abweicht, ist er letztlich durch diesen bestimmt.” (p.59) Deshalb gehen sie ja der Frage nach: “Wenn eine Korrelation zwischen dem Wert im marxistischen Sinn und dem Marktpreis besteht, wie spielt sich dann diese Transformation ... ab?” (ebenda) Das genau ist die Frage. Ihr Ansatz ist simpel, aber eben zu simpel: “In einer Welt, in der die Marktpreise der Waren dazu tendieren, global zu konvergieren, während die Marktpreise der Arbeitskraft wegen des historischen und zeitgenössischen Klassenkampfes variieren, ist das Resultat eine Umverteilung von Wert aus Ländern mit niedrigem Preis der Arbeitskraft zu solchen mit hohem.” (p.62) Sie vergessen - nicht nur an dieser Stelle - bei den Bestimmungsgründen des Werts der Arbeitskraft das Entscheidende, die Reproduktionskosten derselben, den Wert der Waren, die in diese Reproduktion eingehen, also rein ökonomische Bestimmungsgründe. Kann sich die Arbeitskraft - als Klasse - nicht mehr reproduzieren, ist es auch mit der Ausbeutung, dem Mehrwert und dem Kapital vorbei. Aber das hier nur nebenbei. Sie behaupten nun tendenziell stark konvergierende, suggerieren aber eigentlich schon fast einheitliche Weltmarktpreise (siehe auch die Referenz auf Grossmann in Fußnote 13). Das enthält das Körnchen Wahrheit, dass es tendenziell in diese Richtung geht, es stimmt, dass die Tendenz zur immer weitergehenden Entwicklung des Weltmarkts in die Breite und in die Tiefe (das ist ja die “Globalisierung”, v.a. auch die der Produktion) in diese Richtung wirkt, aber alle, die mit offenen Augen durch die Welt gehen, sehen, dass es per heute offensichtlich für die allermeisten Waren bzw. Wirtschaftssektoren bei weitem keine (einheitlichen) Weltmarktpreise von Bangladesh bis in die USA gibt. Für die allermeisten Waren - mit Ausnahme börsengehandelter Rohstoffe und einiger extrem monopolisierter Bereiche wie z.B. bei einiger Proletarische Revolution 62 Hochtechnologie (einschließlich technologieintensiver Rüstungsgüter) stimmt es nicht. Nicht einmal das Coca Cola und der Burger von McDonald’s, früher der Inbegriff der “Weltware”, haben einen einheitlichen Weltmarktpreis, ganz im Gegenteil, und der heutige Inbegriff derselben, das iPad und das iPhone, haben es auch nicht, auch ganz im Gegenteil. Gar nicht zu reden von allen wesentlichen Waren und Dienstleistungen, die der Ernährung, Wohnung, Kleidung usw. der Arbeiter dienen. Kein einziger Arbeiter und keine einzige Arbeiterin auf der ganzen Erde zahlt global konvergierende Weltmarktpreise für Lebensmittel, Wohnung, Kleidung, Gesundheit, Ausbildung der Kinder und auch nicht für das Auto, das iPad oder einen allfälligen Urlaub. Das Schlüsselelement der Lauesen-Cope’schen Erklärung der Wert-PreisTransformation, das einzig Originelle an dem ganzen Artikel, ist also schon rein empirisch gesehen hinfällig. Vergeblich hofft man ab p.59, dass sie Fakten für ihre Behauptung anführen, aber sie bringen nur zwei Zitate (p.62). Eines des marxistischen Ökonomen Henryk Grossmann aus 1929 (“Das Akkumulations- und Zusammenbruchsgesetz des Kapitalismus”), wo dieser - in einem ganz anderen theoretischen Zusammenhang - auf die Tendenz des Imperialismus zur Herausbildung eines Weltmarkts, der sich von dem des 19. Jahrhunderts qualitativ unterscheidet, hinweist und auf die in weiterer Folge auch Schritt für Schritt tendenziell konvergierenden Weltmarktpreise, dabei allerdings in der Formulierung - 1929, vor fast einem Jahrhundert und ein halbes Jahrhundert, bevor der “Neoliberalismus” und die “Globalisierung” die Bühne betraten! - weit über das Ziel hinausschießt13, aber den Finger auf eine wichtige Entwicklung legt und natürlich nicht ahnen konnte, dass ihm jemand fast ein Jahrhundert später etwas für 1929 unterstellen würde, das es selbst 2016 nur ausnahmsweise gibt. Das zweite Zitat stammt von einem gewissen Howard Nicholas aus 2015, es mutet sehr abstrakt-”strukturalistisch” an und sagt nur, dass im Kapitalismus jede einzelne Ware integraler Bestandteil des Gesamtsystems der Warenproduktion und der Kapitalverwertung und -akkumulation sei, die zu ihrer Produktion verausgabte Arbeit daher integraler Teil der gesamten verausgabten Arbeit für die gesellschaftliche Gesamtproduktion, der Weltarbeit sozusagen, ihr Wert daher integraler Bestandteil des gesamten welt- weit produzierten Werts, des Weltwerts sozusagen, usw. usf. Das ist alles richtig, aber deshalb muss es lange keine einheitlichen Weltmarktpreise gaben. Lauesen und Cope setzen fort, dass diese bahnbrechende Erkenntnis “wahr (ist) für nationale wie internationale Wirtschaftssysteme ..., während der Preis der Arbeitskraft, der Lohn, auf einer globalen Ebene enorm zwischen dem Norden und dem Süden differiert.” (p.62) Eine marxistische Erklärung des “Paradoxons” ist das alles nicht - und es gibt auch keine. Die Behauptung von Lauesen und Cope ist nicht nur empirisch falsch, es ist auch theoretisch absurd, einen globalen Weltmarktpreis für alles und jedes, also auch für die lebensnotwendigen Waren, die die Reproduktionsgrundlagen der Arbeitskraft bilden, zu behaupten, aber zugleich auf eine “enorme Differenzierung” des Werts der Arbeitskraft, die sich in den Löhnen ausdrückt, zu verweisen. Es blieben dann zur Erklärung der nationalen Verschiedenheit der Löhne nur mehr sozusagen soft facts übrig, historische und kulturelle Faktoren, von der Lebensweise bis zur Geschichte der Klassenkämpfe, die es selbstverständlich gibt, die aber nicht ausreichen. Auch die Arbeiter des “Südens” müssen sich und die 13 „Heute werden die Preise der wichtigsten Rohstoffe und Endprodukte international gebildet, auf dem Weltmarkt. Wir haben es nicht länger mit einem nationalen Preisniveau zu tun, sondern mit einem Niveau, das sich auf dem Weltmarkt bildet.“ (Grossmann) Das stimmte als historische Tendenz und für die wichtigsten Rohstoffe, aber sicher nicht für die Konsumgüter (Endprodukte), nicht einmal im Jahr 2016. Das Buch Gross manns wurde übrigens wegen seiner Mängel 1930 von Eugen Varga einer ausführlichen Kritik unterzogen („Akkumulation und Zusammenbruch des Kapitalismus“, in der Zeitschrift „Unter dem Banner des Marxis mus“, 1930, p.60-95) 65 Nord-Süd-Konflikt oder Antiimperialismus? Reproduktionskosten der Ware Arbeitskraft „Der Wert der Arbeitskraft, gleich dem Wert jeder andren Ware, ist bestim mt durch die zur Produktion, also auch Reproduktion, dieses spezifischen Artikels notwendigen Arbeitszeit“ (Marx, Kapital Bd.I, S.178) Das bedeu tet, dass der Lohn in jeden Land (im Durchschnitt) immer so hoch ist, dass die Arbeiter/innen sich und ihre Familien versorgen und die Erziehung und Ausbildung der nächsten Generation von Lohnarbeiter/innen sichern kön nen. (vgl. Politische Ökonomie – Lehrbuch (1955), S.126) Klasse reproduzieren können - bei mit den imperialistischen Ländern vergleichbarem Preisniveau und ihren tatsächlichen Löhnen wäre das undenkbar. Der Erklärungsansatz des Artikels besteht jedoch gerade in diesem behaupteten wundersamen Widerspruch zwischen einer angeblichen weit fortgeschrittenen Konvergenz der Preise für das Gros der Waren - und “enorm differenzierten” Preisen der Arbeitskraft, d.h. Löhne. Eine Analyse des Werts der Arbeitskraft, ihrer Reproduktionskosten, im “Norden” wie im “Süden” wäre der einzige Weg zur Aufklärung des Wunders, zu seiner Widerlegung oder seiner Bestätigung - aber gerade das müssen Lauesen und Cope mit allen Mitteln umschiffen. Sie interessieren sich nicht wirklich für die nationalen und regionalen Unterschiede des Werts der Arbeitskraft, für die ökonomischen Grundlagen solchen Unterschiede. Gleich auf der ersten Seite des Artikels (p.54) dehnen sie ihr Argumentarium für die “miserablen Niedriglöhne in diesen Ländern” (des “Südens”) auf eine Reihe von Faktoren aus: (1) durch die Exportabhängigkeit des “Südens” verursachter Zwang für die Arbeiter, in der Konkur66 renz um Marktanteile an dem großen “nördlichen” Konsumgütermarkt bestehen zu müssen, (2) der Abfluss von Wert und natürlichen Ressourcen, welche sonst für die Entwicklung der Produktivkräfte einer nationalen Wirtschaft eingesetzt werden könnten, (3) die ungelöste Landfrage, was zu einem Überangebot an Arbeitskräften führt, (4) repressive Kompradorenregierungen, die dem Neoliberalismus verpflichtet sind und keine Lohnerhöhungen hergeben, aus Angst, damit die Arbeiter zu Forderungen nach mehr politischer Macht anzuspornen (Anm.: Lohnerhöhungen führen zur Forderung nach mehr politischer Macht?), (5) militarisierte Grenzen, die die Migration der Arbeiter verhindern. Faktor (1) ist ein klassenversöhnlerischer Unsinn, denn die Arbeiter des “Südens” kämpfen gegen ihre Kapitalisten, Kompradoren wie ausländische, und nicht um Marktanteile an den “nördlichen” Märkten durch “ihre” Exporte dorthin - oder haben wir es hier mit einem Doppelgänger des angeblichen gemeinsamen Klasseninteresses von Bourgeoisie und Proletariat des “Nordens” (an der Ausbeutung des “Südens”) in Gestalt eines angeblichen gemeinsamen Klasseninteresses von Bourgeoisie und Proletariat des “Südens” (an der Eroberung von Marktanteilen im “Norden”) zu tun? Mit ganz gleichem Recht könnte man sagen, die österreichischen Arbeiter kämpfen um Marktanteile auf den Weltmärkten und für die Lohndrückerei sei ergo dessen der Weltmarkt zuständig und nicht das österreichische Kapital. Die bisherige Menschheit nennt diesen Faktor, der keineswegs nur im “Süden” wirkt, banal die Konkurrenz. Der Faktor (2) findet ebenfalls auch im “Norden” eine Entsprechung in Form ungeheuerlicher Ressourcenverschwendung und -vernichtung, nur dass man es sich als imperialistisches Land leichter leisten kann. Sogar zu Faktor (3) gibt es im “Norden” etwas Vergleichbares, nicht wegen einer ungelösten vorkapitalistischen Landfrage, aber wegen der “ungelösten” kapitalistischen Jobfrage, die sich in Entvölkerung ganzer Landstriche und Regionen ausdrückt. Faktor (4) bedeutet der wissenschaftlichen Sache nach das Drücken der Löhne unter den Wert der Arbeitskraft und er wirkt massenhaft auch in den imperialistischen Ländern in Form von enormer Lohndrückerei und Lohndumping (gesteigert durch hohe Arbeitslosenraten), Prekarität und Armut in den imperialistischen Ländern. Und auch Faktor (5) gilt - wie wir gerade an den europäischen Grenzen erleben - mindestens genauso, wahrscheinlich sogar stärker für die Länder des “Nordens”, wenn Proletarische Revolution 62 man die faktische Durchlässigkeit oder Nichtdurchlässigkeit der Grenzen als Maßstab nimmt. Übrigens gibt es, obwohl die nationalen Lohnniveaus enorm divergieren, auch bei den Löhnen in gewissem Rahmen und unter gewissen Bedingungen Tendenzen zu Annäherungen, allerdings, das ist wahr, im Vergleich zu den sonstigen Märkten sehr bescheidene14. Ja, folks, es herrschen Kapitalismus und Imperialismus, ökonomisch, politisch und militärisch, im “Norden” wie im “Süden” und wir brauchen den Klassenkampf im “Norden” und im “Süden”, den gemeinsamen Kampf für die internationale proletarische Revolution. Mitleid des “Nordens” für den “Süden” bei gleichzeitiger relativer Schönfärberei der Ausbeutung und Verbreitung von Defaitismus im “Norden” brauchen wir nicht und wir haben davon auch schon viel zu viel. Résumé: Lauesen und Cope haben keine marxistische und genau genommen gar keine Antwort auf die von ihnen gestellte Frage: Wie spielt sich dieser Transfer von Mehrwert durch “un- gleichen Tausch” ab? Ihr Transformations”modell” besteht nur aus Preisverzerrungen und Umverteilung der Preismasse. Gegen den eigenen plakativen Vorsatz bleiben sie in der Zirkulationssphäre hängen und damit der Wahrnehmung des Handelskapitals verhaftet: Billig kaufen, um teuer zu verkaufen. Kurioserweise plagte sie anscheinend während des Schreibens des Artikels das schlechte marxistische Gewissen: “Es wäre unfair (disingenuous = wörtlich: unehrlich), zu behaupten, dass dies (Anm.: ihre These) den Begriff der Ausbeutung aus der Produktions- in die Zirkulationssphäre verschiebt.” (p.62) Es ist nicht unfair, folks, es ist die Wahrheit! VII. ... und falsches Zahlenwerk (am Beispiel des iPad) Das Zahlenwerk auf p.63ff. über das iPad ist zweifellos als schlagender Beweis für die Lauesen und Cope’sche Theorie der Wert-PreisTransformation gedacht, liefert aber ebenfalls keine neuen Erkenntnisse. Der Fabrikspreis des iPad, also der Verkaufspreis von Apple an den Handel, im Geschäftsjahr 2010/11 in Höhe von $ 275 und der Endverkaufspreis von 499 $ wird gegenübergestellt nicht etwa dem Einkaufspreis von Apple für das aus China importierte Assembling-Produkt oder noch besser: den anfallenden Gesamtkosten (einschließlich der “nördlichen”), sondern nur den in China angefallenen direkten ($ 33 oder $ 45, je nachdem, ob man den Wert von p.63 oder p.64 nimmt) bzw. indirekten Lohnkosten ($ 35), zusammen $ 68 oder $ 80, je nachdem. So soll es beim Leser hängen bleiben: $ 275 bzw. sogar $ 499 gegen $ 68 (oder $ 80) - was für eine ungeheuerliche Profitgier! Dass es eine gewaltige Preisschere in der “Produktionskette” auf dem Weg von China in die USA gibt, steht außer Frage, und ebenso, dass die bürgerliche “smiley”-Kurve durch ihre seltsamen Vorstellungen von Wertbildung dies zu rechtfertigen sucht. Aber wie groß ist diese Schere wirklich? Die $ 68 oder $ 80 beinhalten viele Kostenfaktoren bzw. Wertbestandteile nicht. Sie enthalten nur die eigentlichen Fertigungslöhne, aber nicht andere “südliche” Lohnkosten wie z.B. die Löhne für 14 Man denke z.B. an die Lohnentwicklung der rumänischen Dacia-Arbeiter des französischen Renault-Kon zerns. Durch harte gewerkschaftliche Kämpfe konnten die Dacia-Beschäftigten seit den großen Streiks 2008 erhebliche Lohnerhöhungen erkämpfen, damals in kürzester Zeit um + 50 bis 60% und seither nochmals in mehreren Wellen. Grundlage des erfolgreichen Kampfes war und ist natürlich die zunehmende Verflechtung der Warenmärkte und - in wesentlich geringerem Maß, aber doch auch zunehmend - auch der „Arbeitsmär kte“ (Personalverflechtungen mit Frankreich, gewerkschaftliche Kontakte der Renault-Arbeiter verschiedener Länder, inzwischen auch (noch!) Migrationsmöglichkeit aufgrund der EU-Zugehörigkeit, was z.B. auch den Import billigerer rumänischer Arbeiter in die französischen Renault-Werke erlaubt ...) gepaart mit einer au ßergewöhnlich günstigen Entwicklung der Kampfkraft. Eine äußere günstige Bedingung war die aufgrund der extrem hohen Exportquote von 95% hohe Profitabilität von Dacia. (Wir diskutieren hier nicht die Pro bleme, die sich auf der anderen Seite aus der gewaltigen Aufspreizung der Löhne in Rumänien ergeben.) Ein anderes Beispiel sind die sehr starken Lohnerhöhungen in Slowenien ab ca.1995, zu denen die slowenische Kapitalistenklasse (und Auslandsinvestoren) gezwungen waren, um einer Massenauswanderung gut ausge bildeter slowenischer Arbeiter/innen nach Österreich und Deutschland entgegenzuwirken. 67 Nord-Süd-Konflikt oder Antiimperialismus? begleitende produktive Tätigkeiten (z.B. Werksinfrastruktur, Anlagenwartung, Betriebsbuchhaltung, usw.), was aber dem chinesischen Produzenten ebenfalls abgegolten werden muss und in den Wert und, wenn alles mit rechten kapitalistischen Dingen zugeht, auch in den Preis eingeht, den Apple zu zahlen hat. Dazu kommen noch unproduktive Lohnkosten (von der Bilanzbuchhaltung bis zum Wach- und Sicherheitsdienst zur Niederhaltung der Arbeiter), die ebenfalls gedeckt werden müssen. Sie enthalten auch nicht den Preis bzw. Wert des übertragenen konstanten Kapitals, also die Kosten des chinesischen Produzenten bzw. Kapitalisten beispielsweise für Rohstoffe und Rohmaterial, Hilfsund Betriebsstoffe, Anlagenabschreibung, Werkzeug usw., Verpackung, Lager- und Transportkosten, also alles konstante Kapital, das wertmäßig im Produktionsprozess auf das Produkt übertragen wird. Das heißt, der tatsächliche Einkaufspeis ist sicher weit höher als $ 68 oder 80. Auf der USSeite fallen ebenfalls der chinesischen Produktion vor- und nachgelagerte Kosten an, teils unproduktive, aber trotzdem Kosten, teils produktive, genauso wertproduktiv wie die Arbeit des chinesischen Fabrikarbeiters, und für sie müssen USLöhne gezahlt werden. Zu den produktiven gehören jedenfalls ein Teil des Design, die Forschung & Entwicklung (v.a. Software-Entwicklung für Betriebssystem und Gerät), die Organisation der ganzen Produktionskette, die Transport- und Lagerfunktion im Bereich des Verkaufs und auch ein gewisser Anteil am Posten Marketing, Werbung etc., der in technischer Produktinformation, Benutzerhandbüchern, Internetseiten für die technische Beratung und Problembe- handlung, den regelmäßigen Software-Updates und anderem mehr besteht. Kurzum: Die Berechnungen auf p.63/64 sind Larifari und Makulatur15. So schürt man vielleicht berechtigte Empörung über die Ausbeutung der asiatischen, namentlich chinesischen Arbeiter wie auch über den Druck von Apple auf die chinesischen Kapitalisten, es ist vielleicht gut antiimperialistisch gemeint, aber als marxistische Analyse völlig unbrauchbar. Der Artikel ist beendet bzw. gelesen, aber die im Titel aufgeworfene Fra ge der Verwandlung der Werte in Preise bzw. des globalen Mehrwerttrans fers ist unbeantwortet. Da Lauesen und Cope zu ihrer Beantwortung nichts beigetragen ha ben, müssen wir uns sel ber daran machen. Einen Beitrag dazu werden wir in der nächsten Nummer der Proletarischen Revo lution veröffentlichen. In der Studie von Kraemer, Linden, Dedrick „Capturing Value in Global Networks“, auf die sich Lauesen und Cope beziehen, wird angegeben, dass die Kosten des iPad 2011 53% des Endverkaufspreises ausmachen, das wären immerhin $ 264 (von den $ 499). Von diesen Kosten entfallen 38% auf die reine Produktion und 15% auf die Distribution (Handel, Transport, Lagerung, Verkauf...) und von den reinen Produktionskosten wiederum 7% auf Löhne und 31% auf Materialkosten. Die nach Abzug der Kosten verbleibenden 47% des Endverkaufspreises verteilen sich nach dieser Studie auf Profite, davon 17% auf Profite der Zulieferer aus China, Taiwan, USA, Japan, Korea und 30% auf solche von Apple. Lauesen und Cope hätten bloß die Seite 5 der Basisstudie richtig abschrei ben brauchen, um ihrem Rechenkunststück wenigstens ein bisschen mehr Hand und Fuß zu verleihen. 15 68 Proletarische Revolution 62 Iran und Türkei - “verlängerte Werkbänke“? Oft hört man, die Türkei, der Iran, einige Staaten des Mittelmeerraums seien “verlängerte Werkbänke” der imperialistischen Länder. Stimmt das bzw. in welchem Ausmaß stimmt es? Der Iran hatte eine Exportquote von 21,3% (und, hier spielt der imperialistische Boykott eine Rolle, eine Importquote von 12,2%). Die Türkei hatte 2014 eine Exportquote von 19,7% (und eine Importquote von 30,3%). Auch hier bleiben offensichtlich in beiden Fällen etwa vier Fünftel der Produktion im Inland. Auch die türkische und iranische Arbeiterklasse arbeiten daher zu vier Fünftel nicht für den “Norden”, sondern für die inländische Wirtschaft. Auch ihr Hauptwiderspruch ist nicht der zu den Konsumenten des “Nordens”. Zweitens spielt, soweit exportiert wird, sich die Masse des Exports nicht mit dem “Norden” im Sinne von Lauesen und Cope ab. Fast der gesamte Export des Iran geht in Länder, die Lauesen und Cope dem “Global South” zurechnen: 39% nach China, 16% nach Indien, 14% in die Türkei, nur 9% nach Japan (vornehmlich Öl), 7% nach Südkorea, nur 2% in die EU und Null in die USA. Vermutlich spielt sich allerdings bisher einiger Handel über Drittländer ab. Nur 2% der iranischen Wirtschaftsleistung werden in den “westlichen” imperialistischen “Norden” exportiert und weitere 8% in das imperialistische China - und auch beides zusammen ist bescheiden. Was wird exportiert? Fast nur Erdöl, Erdölerzeugnisse, Erdölderivate, Gas, metallurgische Erze. Das Bild der “verlängerten Werkbank” wäre daher für den Iran irreführend. Zutreffen mag es auf einzelne Wirtschaftszweige - und es werden natürlich Bodenschätze für die imperialistischen Länder (vor allem für China) extrahiert und raffiniert, aber da geht es in erster Linie um Rohstoffe, nicht um eine Werkbank. Anders ist das bei der Türkei, deren Exporte zu etwa der Hälfte in die EU gehen (die USA sind kein wesentlicher Exportmarkt) und auch wesentlich “industrialisierter” und diversifizierter sind, aber auch im Falle der Türkei reden wir nur von 10% des BIP (50% EU-Anteil an der 20% Exportquote). Nicht mehr als ein Zehntel der in der Türkei produzierten Waren geht also in den „Globalen Norden“ à la Lauesen und Cope. Broschüren herausgegeben und übersetzt von einem linken iranischen Aktivisten in Wien, Öster reich, Kontaktadresse: Amerlinghaus, Stiftg.8, 1070 Wien. Mailadresse: linksaktivist(at)gmx.at 69 4 überflüssige Thesen zum „Reformismus auf der Höhe der Zeit“ (M. Birkner) Kommentar zu Birkners Thesen: Wie geht’s weiter? 4 Thesen zur Re-Organisierung der Linken in Österreich“ (3.2.2016) http://mosaik-blog.at/wie-gehts-weiter-4-thesen-zur-re-organisierung-der-linken-in-oesterreich/ M.Birkner: Die folgenden Thesen verstehen sich als Diskussionsbeitrag in der aktuellen Debatte über die Re-Organisierung der Linken in Österreich. 1 Soziale (Massen)Bewegun gen sind die zentralen AkteurInnen gesellschaftlicher Veränderung Bedeutende soziale Fortschritte wurden und werden in erster Linie durch soziale Bewegungen erkämpft und nicht durch Parteien; letztere dienten bestenfalls der Sicherung dieser Errungenschaften im Rahmen von Gesetzen. Soziale Bewegungen gehorchen jedoch eigenen Regeln, sie sind zyklisch und meistens eher kurzlebig. Das muss kein Nachteil sein, hat aber ein Problem: Erfolgreich erkämpfte Errungenschaften, können nur von Dauer sein, wenn sie in den existierenden Institutionen verankert werden. Diese Prozesse gehen immer auch mit einer Veränderung dieser Institutionen selbst einher – und genau daran müsste sich eine zukunftsorientierte Politik orientieren: Die Offenheit gegenüber sozialen Bewegungen und die Bereitschaft zur (Selbst)Transformation als zentrale Elemente einer neuen linken Politik. Einer Politik, die keinen Alleinvertretungsanspruch stellt, sondern sich als Dienstleisterin für soziale Bewegungen begreift. Das bedeutet sich als Organisation zu beschränken, mit dem Ziel Räume für kommende Bewegungen und Kämpfe zu öffnen. 70 Paul N.: 4 Thesen, die die Welt nicht braucht Paul Nebenan zu einem Diskussionsbeitrag von Martin Birkner Einmal juckt‘s die Leute da, und das andre Mal kratzen sie sich ganz woanders. So entstehen soziale Bewegungen und so ver gehen sie wieder. Ebenso aber sieht man die Wundheilung der Krätze als soziale Bewegung. So kann man soziale Bewegungen dann identifizieren mit etwaigen Protestbewegungen gegen Tempolimits auf Autobahnen, mit Tierrechts- bzw. Tierbefrei ungsbewegungen oder Hausbesetzerbewegungen, oder aber mit Feminismus oder Arbeiterbewegung. Lauter inkommen surable Größen, die jeweils als soziale Bewegungen eingestuft werden. Martin Birkner macht in seinen 4 Thesen zur „Re-Or ganisiserung der Linken in Österreich“ da keinen Unterschied. Sähe er einen, so könnte er natürlich nicht so salopp über sie hinwegschreiben: „sie sind zyklisch und meistens eher kurzle big“. Sind sie zyklisch in dem Sinne, dass die einen sozialen Be wegungen, welche auch immer, dahingehen und andere, welche auch je, einsetzen, oder aber sind sie zyklisch in dem Sinne, dass sie in periodischen Zeitläuften ihre Intensität, ihre Erscheinungs form oder auch ihren Charakter ändern? So unterschiedlich der Sachverhalt auch ist, lässt uns Birkner dennoch im Unklaren darüber, was er meint. Nichtsdestotrotz weiß er darüber zu be richten, dass soziale Fortschritte „in erster Linie durch soziale Bewegungen und nicht durch Parteien“ erkämpft würden und erkämpft worden seien. Welche Art von Parteien, ob nämlich den Fortschritt behindernde oder den Fortschritt fördernde, ist Birkner auch piepschnurz. Klar, die Radlerinnenbewegung lässt sich nicht von der Autofahrerinnenpartei vertreten und oponiert gegen deren Gesetzgebung, aber die große Mehrheit der Arbei terInnenbewegung im ausgehenden 19. Jahrhundert sah in der Sozialdemokratischen Arbeiterpartei (SDAP) ihre Organisation. Darum waren schließlich die erkämpften Errungenschaften auch von nicht geringer Dauer, weil sie eben von der Partei der Bewe gung, also von ihren bewusstesten Teilen, in den Institutionen verankert werden konnten. Nebenbei hat die Partei in Wien bei spielsweise auch gar nicht nur in die Institutionen hineingearbei tet, sondern indessen den sozialen Wohnbau vorangetrieben, so zusagen Institutionen in Stein überhaupt erst erschaffen. Birkner stellt diesem alten Modell aus Fleisch und Blut eines gegenüber, das wohl dem modernen Kapitalismus, der Dienstleistungsgesell schaft entnommen ist. Er fordert eine „neue linke Politik“, „die keinen Alleinvertretungsanspruch stellt, sondern sich als Dienst leisterin für soziale Bewegungen begreift“. Wer aber soll diese Politik machen? Eine „Organisation“ „mit dem Ziel Räume für kommende Bewegungen und Kämpfe zu öffnen“. Weiß Birkner, was er sagen will? Wie öffnet man Räume? Hat er die Schlüssel? Die „Organisation“ wäre der Verein der linken Hauswarte oder -wärter? Und die Räume werden jetzt und heute für die Ungebo renen offen gehalten? Ist das eine Reservierung für die zukünf tigen Reservationen? Kann man das alles auch virtuell? Proletarische Revolution 62 M.Birkner: Soziale Bewegungen können nicht geplant werden Soziale Bewegungen gehorchen ihren eigenen Rhythmen, sie entwickeln autonome Organisierungsformen und einen politischen Eigensinn. Sie entstehen nicht im luftleeren Raum, sondern durch die geduldige Arbeit von AktivistInnen und organisatorischen Zusammenhängen. Soziale Bewegungen können jedoch nicht am Reißbrett entworfen werden. Dem ist auch im Rahmen der Re-Organisierung der Linken Rechnung zu tragen. Da in Österreich soziale Bewegungen traditionell schwach sind, können wir diese neue politische Macht nicht aus einer Massenbewegung heraus aufbauen. Es wird jedoch überlebensnotwendig sein, Offenheit zu den kommenden Bewegungen zu bewahren. Dies bedeutet nicht die Bevormundung sozialer Bewegungen, sondern ein Handeln auf gleicher Augenhöhe sowie die Akzeptanz unterschiedlicher Rhythmen von Bewegungen und Organisationen. Paul N.: Dann belehrt uns Birkner darüber, dass soziale Bewegungen nicht geplant werden können. Da schau aber her! Soziale Bewe gungen entstehen, wenn es nach Birkner geht, auf eher mysteri öse Weise. Natürlich können sie „nicht am Reißbrett entworfen werden“. Der „Raum“, der ihnen reserviert würde, dürfe auch nicht „luftleer“ sein, da entstünden sie nicht. Birkner weist also darauf hin, dass es sich bei sozialen Bewegungen um Menschen handle, besser gesagt, dass soziale Bewegungen sich nicht bei Konstrukteuren oder Architekten, sondern da bemerkbar ma chen, wo sich Menschen tatsächlich bewegen. Haben das jetzt alle kapiert? Hoffentlich, denn jetzt wird’s schwer. „Da in Öster reich soziale Bewegungen traditionell schwach sind, können wir diese neue politische Macht nicht aus einer Massenbewegung heraus aufbauen.“ Worauf bezieht sich das grammatikalische Objekt des zitierten Satzes, „diese neue politische Macht“? Wohl auf die in Österreich „traditionell schwachen sozialen Be wegungen“: Schwache politische Macht, aber immerhin, ein po litisches Mächtlein. Und dieses Mächtlein können wir nicht aus einer Massenbewegung heraus aufbauen. Hätte Birkner nicht einfacher sagen können, dass er auf Österreichisch mit keiner Massenbewegung nicht rechnet? Wobei wir ja Charakter und Zweck der Massenbewegung noch gar nicht kennen. Birkner hält sich bedeckt. Weil‘s „überlebensnotwendig“ sein werde (für wen und warum?), bewahrt er allerdings eine Offenheit zu den nicht näher beschriebenen Bewegungen und erlässt ein linkes Toleranzpatent. „Dies bedeutet nicht die Bevormundung sozi aler Bewegungen, sondern ein Handeln auf gleicher Augenhö he sowie die Akzeptanz unterschiedlicher Rhythmen von Bewe gungen und Organisationen.“ Im Grunde verkleidet Birkner eine alte Diskussion in moderne Worte. Was ehedem die „Klassenpartei“ war, ist bei ihm „die Lin ke“ oder „die Linken“ bzw. sogar auch „die Organisation der Lin ken“, nach deren „Re-Organisation“ natürlich. Vermutlich würde er „die Linken“ moderndeutsch aber lieber als „Community“ be zeichnen, was sich ja gar so gut damit trifft, dass ihm die diversen „Bewegungen“ die Klassen ersetzen. Schlagworte, wie „gegen Bevormundung“, „gleiche Augenhöhe“ oder „Akzeptanz“, die Birkner pluralistisch und demokratiereif auf uns niederträufeln lässt, sind nur die Umgehung der alten verleumderischen Argu mentation, dass eine Arbeiterpartei sich anmaße, „von außen“ Bewusstsein in die Massen zu tragen. Birkner, der das Verhält nis von Partei und Klasse nicht begriffen hat und natürlich auch nicht die Verleumdung durchschaut hat, weiß sich anarchistisch selbst aber auch nicht zu helfen. Und eben darum, weil er mit seiner (konstruierten) Linken letztlich selber im Abseits steht, missbraucht er seine Toleranz gegenüber „den Bewegungen“. 71 Reformismus auf der Höhe der Zeit? M.Birkner: 2. Es gibt keine ArbeiterInnenbewegung mehr Die nicht demokratisch legitimierte Institution der SozialpartnerInnenschaft diente lange der Integration des Großteils der ArbeiterInnenklasse in das herrschende System. Eine wirkliche ArbeiterInnenbewegung gab es in der zweiten Republik nur in Spuren. Die Gewerkschaften waren fest in die kapitalistischen Herrschaftsmechanismen eingebunden und tolerierten dementsprechend auch keine autonomen Kämpfe der ArbeiterInnen. Die SozialpartnerInnenschaft existent heute nur als „Zombie“, in der mehr als Abwehrkämpfe in diesem Rahmen nicht mehr möglich sind. Wie fest die SozialpartnerInnenschaft dennoch im Denken und Handeln von ÖGB und AK verankert ist zeigt jedoch etwa die Steuerreform. Zentrale Auseinandersetzun gen jenseits von „mehr im Börsel“, wie z.B. drängende ökologische Fragen, die Sicherung und Verbesserung sozialer Dienstleistungen oder Geschlechtergerechtigkeit sind mit ihnen nicht durchsetzbar. Es existieren zwar Ansätze von Widerstand jenseits der etablierten Organisationen (rund um Themen wie Prekarisierung oder Carearbeit), diese sind jedoch noch weit davon entfernt, eine gemeinsame politische Agenda und dementsprechende Kampfformen auszubilden. Paul N.: Seine zweite These leitet Birkner mit einem Griff in die rheto rische Trickkiste ein. Mit provokant aufgelegtem Blödsinn er öffnet er: „Die nicht demokratisch legitimierte Institution der SozialpartnerInnenschaft …“, und fährt nach dieser gewaltigen Lüge mit einer zweiten fort: „… diente lange der Integration des Großteils der ArbeiterInnenklasse in das herrschende System.“ Die erste Lüge soll die zweite verstecken. Die Sozialpartnerschaft ist nämlich durch die österreichische Gesellschaft und Arbeiter schaft durchaus demokratisch legitimiert, soweit man den Be griff der bürgerlichen Demokratie zugrundelegt. Denn es erach ten durchaus viele ÖsterreicherInnen die Sozialpartnerschaft als durchaus positiv, wenn sie vielleicht auch keine absolute Mehr heit bilden. Dennoch ist es den Kritikern der Sozialpartnerschaft, wie sehr sie auch Recht hatten, bis heute nicht gelungen, zu überzeugen. Mag sein, dass sie Birkner überzeugt haben, und er eben deshalb die Sozialpartnerschaft als illegitim sieht, aber da rum ist sie noch lange nicht demokratisch unlegitimiert. Auch die fehlende Transparenz bei gewissen Entscheidungen, vielleicht demokratisch problematisch, besagt keineswegs, dass diese In stitution nicht demokratisch legitimiert wäre. Die Parteien, wel che zur Sozialpartnerschaft historisch gestanden sind, werden meistens alle vier Jahre wiedergewählt. Zu dieser Demokratie stehen die WählerInnen. Dass die Sozialpartnerschaft in Zeiten wie den heutigen anders gewichtet ist, heißt nur, dass sich ihre Legitimation ändern muss, soll sie noch weiter bestehen. Sie ist aber demokratisch nicht weniger legitimiert wie das von Birkner in dem Zusammenhang benützte Binnen-I der „SozialpartnerIn nenschaft“. Die zweite Lüge ist aber, dass die Sozialpartnerschaft der Integra tion des Großteils der ArbeiterInnenklasse in das herrschende Sy stem gedient habe. Erstens einmal suggeriert das Verb „dienen“, welches ein ziel- und zweckgerichtetes Handeln bezeichnet, Absicht. Von welcher Seite? Von Seiten der ArbeiterInnenklasse selbst? Das meint Birkner wohl nicht, denn dann hätte er wohl kaum den Mut die Sozialpartnerschaft als nicht legitimiert zu bezeichnen. Hatten also im Klassenkampf tatsächlich beide Sei ten identische Absichten? Zweitens aber suggeriert diese These einen Skandal. Der Skandal bemüht einmal mehr die Phrase vom Verrat der Sozialdemokratie. Die Sozialpartnerschaft ist aber al les andere als Verrat, jedenfalls eben nicht am Großteil der öster reichischen ArbeiterInnenklasse, sondern höchstens Verletzung der anarchistisch-religiösen Gefühle des Herrn Birkner. Was über haupt ist das herrschende System? Das sozialpartnerschaftliche System? Das kann es nach Birkner nicht sein, denn dann wäre ja wohl logisch, dass sich die ArbeiterInnenklasse, die dieses System legitimiert, sich auch darein integriert. Es ist vermutlich das kapi talistische System gemeint, aber hierin wiederum ist die gesamte ArbeiterInnenklasse und nicht nur ein Großteil seit Anbeginn in tegriert: Lohnarbeit und Kapital – zwei Seiten ein und derselben Sache; so fest sind die beiden miteinander identisch, dass man früher den Kapitalismus gar nicht so nannte, sondern viel öfter noch „Lohnsystem“. Wir sehen, dass es in dieser These Birkner, nachdem er in der ersten versucht hat die eher bolschewistische Linie des Proletariats schlechtzureden, jetzt darum geht auch die reformerische, sozialdemokratische mit Dreck zu beschmeißen. Damit im Zusammenhang steht auch der nächste Anwurf, dass man an der letzten Steuerreform erkennen könne, wie wenig sich die dahinterstehende politische Fraktion um die gesell schaftspolitischen Anliegen kümmere. Das Wichtigste sei ihnen dass die ArbeiterInnenschaft „mehr im Börsel“ habe. Birkner lie fert natürlich keinen Begriff von den Aufgaben von Partei und Gewerkschaft. Dass eine Gewerkschaft sich um die Gesamtheit 72 Proletarische Revolution 62 M.Birkner: Paul N.: der gesellschaftspolitischen Bedingungen in einem Lande kümmert ist ja vornehmlich nur von Solidarność und dem polnischen Popen bekannt. Normalerweise haben gewerkschaft liche Bemühungen mehr mit den unmittelbaren ökonomischen Angelegenheiten der Arbeiter schaften zu tun: Lohn, Arbeits- und Freizeit, Ar beitsplatzsicherheit und -sicherung oder auch die Rechtssicherheit gegenüber den Arbeitge bern usw. usf. Und so betrachtet geht natürlich die Einmischung einer Gewerkschaft in fiskal politische Belange weit über ihre Zuständig keiten hinaus. Aber auch da verkennt Birkner die Lage. Es hat nämlich die letzte Steuerreform für den Großteil der ArbeiterInnenklasse kein „Mehr im Börsel“ gebracht. Man muss also kei neswegs zufrieden sein mit den gewerkschaft lichen Aktivitäten in Österreich. Die gesellschaftliche Arbeit ist das Zentrum der sozialen Frage Die gesellschaftliche Arbeitsteilung wie auch ihr Gegenbegriff, die Zusammensetzung der lebendigen Arbeit stehen nach wie vor im Zentrum kapitalistischer Gesellschaftsformationen. An ihr orientieren sich in letzter Instanz die großen politischen Weichenstellungen. Solange das neoliberale Paradigma dabei nicht gebrochen werden kann, wird der Zwang zur Lohnarbeit einhergehen mit der Abwertung unbezahlter Arbeit sowie die Produktion gesellschaftlichen Reichtums mit der Zunahme von Arbeitslosigkeit und Armut. Daran wird auch die beste Antidiskriminierungspolitik nichts ändern. Durch die Vervielfältigung von Arbeitsverhältnissen und Formen der Arbeitsorganisation ist der kulturelle Zusammenhang der traditionellen ArbeiterInnenbewegung verloren gegangen. Die vielzitierte „Einheit der ArbeiterInnenklasse“ war zwar immer schon ein Konstrukt auf Kosten der vielfältigen Lebensrealitäten von ArbeiterInnen (nicht zuletzt bestimmt durch geografische Verortung, Geschlecht, Alter und Qualifikation), dennoch funktionierte diese Konstrukt im Rahmen der klassischen ArbeiterInnenorganisationen zumindest soweit, dass die Repräsentation proletarischer Interessen durch Parteien, Gewerkschaften und Vorfeldorganisationen politisch wirksam werden konnte. Mit einer dermaßen institutionalisierten ArbeiterInnenbewegung war wahrhaftig ein Staat zu machen. Die Ideologie eines neutralen Staates, der durch die institutionelle Besetzung durch die ArbeiterInnenorganisationen zu einem Medium der Emanzipation werden kann, ist nicht länger aufrecht zu erhalten. Sowohl der „Realsozialismus“ als auch das Scheitern der Sozialdemokratie zeigen heute die Beschränktheit staatlichen politischen Handelns auf, wenn es um die Befreiung von Ausbeutung und Unterdrückung geht. Eine Re-Organisierung der Linken, die die soziale Frage wieder ins Zentrum rückt, muss Die zweite These ist von Birkner „Es gibt kei ne ArbeiterInnenbewegung mehr“ betitelt. Im zweiten Teil seiner diesbezüglichen Erläute rungen geht er näher darauf ein. Dabei räumt er zunächst ein: „Die gesellschaftliche Arbeitstei lung wie auch ihr Gegenbegriff, die Zusammen setzung der lebendigen Arbeit stehen nach wie vor im Zentrum kapitalistischer Gesellschafts formationen.“ Freilich ist das ein schwer zu ver stehender Satz, denn man muss erst dahinter steigen, in welcher Beziehung, außer der will kürlich „ästhetischen“, in die Birkner sie setzt, gesellschaftliche Arbeitsteilung und lebendige Arbeit zueinander stehen. Sodann ist zu klä ren, was „Zusammensetzung der lebendigen Arbeit“ heißen will, aber einzusehen, dass Birk ner natürlich durch sie erst zum antonymischen Gegensatz von (Arbeits)„-teilung“ und „Zusam mensetzung“ kommt. Die dritte Schwierigkeit ergibt sich aus der Behauptung, dass sozusagen Begriff und Gegenbegriff im Zentrum der ka pitalistischen Gesellschaftsformation stünden, als ob am Himmel nicht der Mond, sondern sein Begriff um die Erde kreiste. In Wirklichkeit ist es natürlich so, dass bis auf den heutigen Tag Lohnarbeit und Kapital den Grundwiderspruch der kapitalistischen Gesellschaft bilden. Daran „orientieren sich … die großen politischen Wei chenstellungen.“ Warum Birkner dann dem neoliberalen Paradigma noch einen Seitenhieb versetzt, wo er doch schon gegen die Sozial partnerschaft gewettert hat, bleibt in einem an tikapitalistischen Sinn allerdings unklar. Warum nach Birkner einander Einheit und Vielfalt in Bezug auf die Arbeiterklasse ausschließen sol len, erst recht. Wieso soll das eine weniger real als das andere sein? Vielleicht aber verwechselt Birkner nur mit Mehrheit und Einfalt der demo kratischen Gesellschaft? Birkners Behauptung, dass es keine ArbeiterInnenbewegung mehr gäbe, richtet sich nach dem äußeren Schein. Tatsächlich ist sogar ein Teil jener gesellschaft lichen Unruhen, die er selbst Bewegung nennt, 73 Reformismus auf der Höhe der Zeit? M.Birkner: zwar wohl oder übel auch im staatlichen Rahmen agieren, ist jedoch gut beraten, diesen als zu überschreitendes Problem und nicht als Horizont zu verstehen. Eine Fokussierung auf die soziale Frage bedeutet dementsprechend eine die aktuellen Tendenzen der Transformation der Arbeit in Rechnung stellende Strategie, die sich nicht auf den nationalen wohlfahrtsstaatlichen Umverteilungsreformismus begrenzt. Paul N.: nichts anderes als ArbeiterInnenbewegung in concreto. Birkners Behauptung ist nur der tief ern Tatsache geschuldet, dass momentan die ge sellschaftliche Linke im Nichts verpufft, was Bir kner sich freilich zuzugeben scheuen muss, sähe er sich doch sonst selbst als einen Teil davon. 3. Eine neue linke repräsentative Formation ist notwendig Ich schreibe im Folgenden von der Notwendigkeit einer „neuen repräsentativen Formation“ (NRF), um die Differenz zur klassischen Partei sichtbar zu machen. Klassische Parteien beruhten auf der Repräsentation sozialer Großgruppen und ihrer Bewegungen im bürgerlichen Staat. Diese Form der Repräsentation ist mit dem Ende des Fordismus unwiederbringlich in die Krise geraten: sowohl durch die Bewegungen von und nach 1968 als auch durch die siegreiche neoliberale Konterrevolution dagegen. Heute verweist der neoliberal gewendete Kapitalismus jede Möglichkeit einer kulturell vermittelten Einheit der Arbeitenden ins Reich der Legenden. Die Re-Organisierung der gesellschaftlichen Linken kann sich nicht mehr auf die identitätsstiftende Gemeinsamkeit von Arbeits- bzw. Ausbeutungserfahrungen gründen, zu unterschiedlich sind auch die Bedürfnisse und Interessen einzelner Klassensegmente. Dies bedeutet auch, dass es kein revolutionäres Subjekt im Singular mehr gibt. Eine NRF muss ihren Zusammenhalt daher aus anderen Quellen speisen: - Klare Frontstellung gegenüber dem politischen Gegner, den kapitalistischen und staatlichen Eliten - Anerkennung von Unterschiede bei der Suche nach gemeinsamen Handlungsfeldern - kollektive soziale Experiment e - erfolgreiche und somit gemeinschaftsstiftende Kampagnen - Re-konstruktion einer neuen großen Erzählung vom „Guten Leben für Alle“ Eine NRF kann das politische Vakuum links von SPÖ und Grünen füllen, wirksame Deutungsangebote für all jene machen, die von der Politik der großen Koalition genug haben, die rassistische Politik der FPÖ nicht mittragen und den Grünen eine Antwort von „links unten“ auf die soziale Frage nicht zutrauen. 74 In seiner dritten These erklärt uns Birkner, dass die Arbeiterschaft im „neoliberal gewendeten Kapitalismus“, wie er offenbar „den bösen Kapitalismus“ bezeichnet, im Gegensatz zum „guten“, gar keine Einheit mehr bilden könne, weil die Bedürfnisse einiger ArbeiterInnen (Bir kner schreibt: „einzelner Klassensegmente“) zu unterschiedlich seien. Weil sich also „einzelne Klassensegmente“ Extrawürste brieten, gäbe es „kein revolutionäres Subjekt im Singular mehr“. Das bedeutet ungefähr so viel und nicht mehr, als wenn man sagte, dass jede Klasse aus lau ter einzelnen Personen bestehe und sich daher keine Klasse jemals als revolutionäres Subjekt konstituieren könne. Aber Birkner verbindet ja etwas anderes mit dieser Aussage, nämlich dass mit dieser Entwicklung von der Singularität zur Partikularität hin auch die Parteiorganisationen obsolet seien, die auf der „Repräsentation so zialer Großgruppen und ihrer Bewegungen“ beruht hätten. Selbstverständlich ist natürlich auch das wiederum Birkners Sichtweise, denn in Wirklichkeit hatten sich ja die funktionstüch tigen ArbeiterInnenparteien genau umgekehrt die Aufgabe gestellt, die Partikularität in eine Singularität (sprich: revolutionäre Einheit) über zuführen. Birkner fordert nun die Bereitstellung einer neuen Partei, einer neuen repräsentativen Formation, kurz: die sich nicht Partei nennt, sondern NRF. Er nennt auch einige Punkte von denen er glaubt, dass sie wichtig seien, um den Zusammenhalt der NRF zu gewährleisten. Diese Punkte sind aber nur so dahingesagt und wenig verständlich. Im Großen und Ganzen meint Birk ner darin, dass man gegen die staatlichen Eliten Stellung beziehen solle, sich die Sorgen der Leu te anhören solle, mit ihnen reden und manches ausprobieren solle und danach wäre noch so etwas wie Sinnstiftung (die „große Erzählung vom ‚Guten Leben für Alle‘“) angebracht. Mit dieser Empfehlung für die zuvor im Geiste ge gründete NRF will Birkner zu den parlamen tarischen Parteien Österreichs in Konkurrenz treten, sucht allerdings nicht nach neuen Lö sungen, sondern bloß „wirksame Deutungsan gebote“. Ja, warum nicht wieder auf das uralte politische Instrument Orakel zurückgreifen?! Proletarische Revolution 62 M.Birkner: Paul N.: Es braucht einen Reformismus auf Höhe der Zeit Vom Trugbild der revolutionären Partei sollten wir uns ein für alle Mal verabschieden. Die Geschichte des 20. Jahrhunderts zeigt, dass der Staat kein Vehikel einer radikalen Veränderung der Gesellschaft sein kann. Aspekte einer radikalen Veränderung sind vielmehr der Bruch mit dem kapitalistischen Normalbetrieb durch soziale Massenbewegungen und andererseits der Aufbau neuer, post-kapitalistischer und post-staatlicher Institutionen. Beides kann und soll von einer NRF unterstützt, nicht aber ersetzt werden. In nicht-revolutionären Phasen beschränkt sich die Reichweite einer NRF wohl auf Kampagnen zur Durchsetzung von Reformen in enger Tuchfühlung mit existierenden Bewegungen und Kämpfen. Birkners Reformismus, den er „auf Höhe der Zeit“ nennt, zeigt sich in der Folge noch von seiner widersprüchlichen Seite, denn nachdem er ja bei spielsweise die ArbeiterInnen bewegung schon längst für tot erklärt hat, möchte er jetzt wiederum brechen mit „dem kapitalistischen Normalbe trieb durch soziale Massenbe wegungen“. Er will lieber im „politischen Vakuum links von SPÖ und Grünen“ den Auf bau „post-kapitalistischer und post-staatlicher Institutionen“ forcieren. Nicht in nichtrevo lutionärer Phase zwar, denn dann bekommt er im Vakuum keine Luft, aber ansonsten viel leicht ein bisschen Räte ohne Republik. Deuten darf man ja! 4. Für eine politische Neuzusammensetzung der Subjekte AktivistInnen sozialer Bewegungen, linke Intellektuelle, Aktive in linken NGOs und im Bereich solidarischer Ökonomie, kritische Gläubige: Das Potenzial einer NRF wird umso größer sein, je vielfältiger das Mosaik der Beteiligten ist. AktivistInnen mehr oder weniger linker Parteien und ihrer Vorfeldorganisationen werden eine wichtige Rolle beim Aufbau einer NRF spielen. Um zu einer qualitativ anderen Form von Politik zu gelangen, braucht es jedoch eine deutlich breitere Zusammensetzung, andere und vielfältige Formen von Know-How inhaltlicher und organisatorischer Art. Dabei ist sowohl die Unter- als auch Überschreitung des Nationalstaats von Bedeutung: Zum einen die Verankerung im gesamten Bundesgebiet und somit eine kritische Reflexion der WienLastigkeit der Linken, zum anderen ein Selbstverständnis als Teil der transnationalen Linken, die weiß, dass die zentralen politischen, sozialen und ökologischen Probleme im Rahmen nationalstaatlicher Politik nicht gelöst werden können. Die Beteiligung sozialdemokratischer AktivistInnen an einer NRF ist notwendig und wünschenswert. Dies liegt einerseits in der quantitativen Schwäche der Linken begründet, andererseits soll eine neue linke Kraft eine inhaltliche Breite repräsentieren, die auch genuin sozialdemokratische Positionen beinhaltet. Unabhängig von den politischen Positionen wird jedoch die aus den sozialdemokratischen Organisationen mitgebrachte Organisationskultur ein Problem bei der Formierung einer NRF darstellen. Die Art der Gremienarbeit Zuletzt nimmt Birkner Dr. Frankensteins Arbeit wieder auf. Er plädiert „für eine po litische Neuzusammensetzung der Subjekte“ und arbeitet sich an den „diversen Linken“ ab. In Wirklichkeit will er di ese Subjekte aber nicht neu zusammensetzen, wie es ohne Absicht sein paternalistischer Sprachstil vortäuscht, sondern er will, dass sich diese erneut zusammensetzen (besser noch: zusammenbewegen oder -for mieren), um quasi eine neue Politik innerhalb bzw. im Rah men der eben konzipierten NRF zu entwerfen. Auf Sozial demokraten will der Reformist „auf Höhe der Zeit“ natürlich nicht verzichten; das Reformi stische widersagt ihm ja nicht, nur das Organisatorische. und der (innerparteilichen) Machtpolitik der SPÖ sind Paradebeispiele für strukturell undemokratisches Handeln. Sie dürfen in einer neuen Organisation nicht bestimmend werden, was angesichts einer oft jahrzehntelangen Sozialisierung in SP-Apparaten keine leichte Aufgabe darstellt. 75 Reformismus auf der Höhe der Zeit? M.Birkner: Paul N.: Mit den Gewissheiten der alten Linken brechen Eine Linke, die gesellschaftliche Bedeutung erringen will, muss wahrnehmbare Deutungsangebote für einen Ausweg aus der gegenwärtigen Vielfachkrise des Kapitalismus machen. Diese sollen den Raum für mögliche Verbindungen von Massenbewusstsein, sozialen Bewegungen und repräsentativer Politik öffnen. Eine derartige Perspektive kann nur aus einer offensiven und zukunftsgerichteten Analyse entwickelt werden. Aktuellen Verhältnissen ist nicht mit politischen Rezepten aus der Garküche der 1960er-Jahre beizukommen. Heute stellt sich die soziale Frage als qualitative – und das heißt auch als ökologische: Wie ist ein „Gutes Leben für Alle“ möglich? Weder die Staatsorientierung noch der Lohnarbeitsfetisch oder das – in der Linken leider nach wie vor weit verbreitete – Wachstumsparadigma sind dafür brauchbare Ansätze. Eine zeitgemäße emanzipatorische Politik in Richtung einer sozial-ökologischen Transformation muss diese sozial und ökologisch fatalen Vergesellschaftungsmuster überschreiten. In diesem Sinne ist eine emanzipatorische Politik mehr als Umverteilung plus Anerkennung. Es ist er Kampf ums Ganze: um die Verteidigung und Gewinnung alter und neuer Gemeingüter, das Recht auf Bewegungsfreiheit, „Einkommen zum Auskommen“ – zum Beispiel in Form eines Bedingungslosen Grundeinkommens, soziale Sicherheit und politische Beteiligung für alle auf allen Ebenen, auch in der Ökonomie. Es geht um den Aufbau einer neuen politischen Kraft unter der Perspektive des Primats sozialer Bewegungen – bei gleichzeitig weitgehender Abwesenheit letzterer. Angesichts der anhaltenden Schwäche sozialer Bewegungen in Österreich kann der Aufbau einer NRF nicht aus einem Bewegungszyklus heraus in Angriff genommen werden. Eine NRF muss die Gratwanderung meistern, die soziale Frage ins Zentrum ihrer Politik rücken, gleichzeitig und gleichrangig auf zweierlei Art: als Umverteilungsfrage und als Kritik der „imperialen Lebensweise“ und des damit verbundenen, ökologisch verheerenden Arbeits- und Konsumethos der globalen Mittelklassen. Dies ist der Einsatz einer organisatorischen Neuzusammensetzung der Linken. Dazu braucht es den Mut, mit liebgewonnenen Gewohnheiten und Politikformen zu brechen. Nur die Anerkennung von Unterschieden, die Neugier auf das „noch nie Dagewesene“ sowie ein solidarischer Dialog auf Augenhöhe wird uns erlauben, gemeinsam die ausgetretenen Pfade zu verlassen. 76 Die abschließenden Bemer kungen Birkners sind die ver bale Bewegung im Deutungs raum vielfacher Repräsentanz trivialer Irrelevanz. Dabei ficht Birkner nun einen „Kampf ums Ganze“ und geht der pro toethischen Frage nach dem „guten Leben für alle“ nach. Qualitativ erwartet er sich‘s auch aus der Ökologie und quantitativ („mehr im Börsel“) wohl aus der Ökonomie. Die ausgetretenen Pfade werden als Umverteilungsfrage oder als Kritik der „imperialen Le bensweise“ auf Augenhöhe des Grundeinkommens bedin gungslos zu den Gemeingü tern der Bewegungsfreiheit … oder zum „noch nie Dage wesenen“. Das Orakel spricht: „Mit den Gewissheiten der al ten Linken brechen!“ Proletarische Revolution 62 Boykott, Desinvestition und Sanktionen gegen Israel BDS-Stellungnahme zu den Diffamierungen (Anfang März 2016) Wir wollen im Folgenden auf die Hauptvorwürfe, Falschdarstellungen und Denunziationen eingehen: BDS Austria ist ein Zusammenschluss von Einzelpersonen und lokalen Vereinen und Initiativen, die dem palästinensischen Aufruf nach weitgreifenden Boykott, Sanktionen und Investitionsentzug gegen Israel aus dem Jahr 2005 folgen. Weltweit wird diese, der Gewaltfreiheit verpflichtete Kampagne von unzähligen, zum Teil namhaften Personen, Gruppen, Initiativen und Institutionen, darunter dem südafrikanischen Erzbischof Desmond Tutu, der US-amerikanischen Bürgerrechtsaktivistin und Humanwissenschaftlerin Angela Davis, dem amerikanisch-israelischen Friedensaktivisten Jeff Halper, dem weltberühmten britischen Astrophysiker Stephen Hawking uvm. – getragen. Die internationale BDS-Kampagne folgt damit dem Beispiel der Anti-Apartheidbewegung, die mit ähnlichen Maßnahmen das rassistische System in Südafrika zu Fall gebracht und zu einer Aussöhnung geführt hat. Die drei zentralen Forderungen von BDS stehen im Einklang mit völkerrechtlichen und menschenrechtlichen Grundlagen und lauten: - Ende der Besatzung und fortgesetzten Kolonisierung palästinensischen Landes und Abriss der Mauer - Anerkennung der Grundrechte der arabisch-palästinensischen BürgerInnen Israels auf völlige Gleichheit und - Respektierung und Umsetzung der Rechte der palästinensischen Flüchtlinge, in ihre Heimat und zu ihrem Eigentum zurückzukehren, wie es in der UN Resolution 194 vereinbart wurde. Von Beginn an hat sich die internationale BDS-Kampagne unmissverständlich gegen jede Form von Rassismus, Antisemitismus, antijüdischer Stereotype oder Vorurteile ausgesprochen. Nicht zuletzt wird die BDS-Bewegung nicht nur von jüdischen Israelis unterstützt (Boycott from Within), sondern auch von einer wachsenden Anzahl jüdischer Organisationen und Individuen weltweit. Diese wehren sich damit vor allem auch gegen die Gleichsetzung von Judentum und Jüdischsein mit Zionismus und der israelischen Staatspolitik sowie der damit einhergehenden Instrumentalisierung ihrer Zugehörigkeit. Als Beispiele seien an dieser Stelle die Organisation „Jewish Voice for Peace“ in den USA, „Independent Jewish Voice Canada“ und in Europa verschiedene Mitgliedsorganisationen des Dachverbands „European Jews for A Just Peace“ genannt. Den in dem „Offenen Brief an Bürgermeister Dr. Michael Häupl, die Stadt Wien sowie die Verantwortlichen im Amerlinghaus“ (ausgesendet via OTS am 7. März 2016 Vormittags) aufgestellten Verleumdungen entgegnen wir im Detail: BDS Austria stellt sich als lokaler Kampagnenträger unzweideutig gegen jede Form des Rassismus und Antisemitismus. Die von der APA in einer Pressanfrage gestellte Frage „zur soziodemographischen bzw. ethnischen Zusammensetzung“ der Aktivistinnen und Aktivisten sowie die Frage, ob sich „unter ihren Mitgliedern z.B. auch Juden“ befänden (E-Mail des verantwortlichen Redakteurs der APA an BDS Austria, 07.03.2016), empfinden wir als höchst befremdlich, da wir keinerlei „ethnische Zugehörigkeitslisten“ führen. Um die im Kern höchst fragwürdige Anfrage dennoch zu beantworten: Unter den Aktivistinnen und Aktivisten von BDS Austria befinden sich Menschen unterschiedlicher „ethnischer“ Herkunft und religiöser (und nicht-religiöser) Bekenntnisse, auch jüdische AktivistInnen. Die Behauptung, BDS Austria oder namentlich der aktuelle Pressesprecher Oliver Hashemizadeh hätten Hamas als Widerstandsbewegung bezeichnet, ist eine glatte Lüge – man kann es leider nicht höflicher ausdrücken. Die Behauptung stützt sich auf eine Rede bei einer Kundgebung vom September 2014 (https://www.youtube. com/watch?v=8jKAC-rCD-4). Erstmals aufgetaucht ist diese Falschbehauptung im Bericht des Vereins wifno (WIFNO REPORT 02/2015), zu dessen Vorstand Andreas Peham (auch bekannt unter dem Pseudonym „Heribert Schiedl“) zählt. Pehams Engagement gegen Rechtsextremismus, Neonazismus und eine höchst anrüchige österreichische http://www.bds-info.at/index.php/aktuelles/39-stellungnahme-von-bds-austria-zu-den-diffamierungengegen-bds-die-israeli-apartheid-week-und-gegen-das-amerlinghaus Seit etwa zwei Wochen wird als Reaktion auf die jährlich stattfindende, internationale „Israeli Apartheid Week“ (IAW) ein konzertierter, medialer Feldzug gegen den lokalen Kampagnenträger BDS Austria geführt. Den Anfang dieser Kampagne setzte Benjamin Weinthal, Mitarbeiter des neokonservativen US-amerikanischen Think-Tanks „Foundation for Defense of Democracies“ mit einem Artikel in der „Jerusalem Post“ und in der österreichischen Tageszeitung „Der Standard“. Zeitgleich erhöhten lokale Akteurinnen und Akteure rund um die, als Reaktion auf BDS Austria gegründete, Plattform „Boycott Antisemitism“ den Druck auf das „Kulturzentrum Spittelberg im Amerlinghaus“, in dessen Räumlichkeiten zwei Veranstaltungen im Rahmen der IAW stattfinden sollten. In einem „Offenen Brief“ an den Bürgermeister Michael Häupl und an das Amerlinghaus wiederholten die VerfasserInnen die an Rufmord grenzenden Diffamierungen gegen BDS Austria und stellten unrichtige Zusammenhänge her, die die Menschenrechts-Kampagne BDS und deren lokalen VertreterInnen als „antisemitisch“ denunzieren sollen. Auch die Wiener ÖVP und die FPÖ schlossen sich am 07.03.2016 jeweils mit einer OTS-Aussendung der politischen Erpressung an und forderten das Aus des Kulturzentrums Spittelberg. Dem „Kulturzentrum Spittelberg im Amerlinghaus“ wurde schließlich seitens der Stadt Wien – namentlich der Magistratsabteilung 13 – unverhohlen der Entzug von Subventionen gedroht. In einem Telefonat hieß es sogar, die Rot-Grüne Stadtregierung könnte aufgrund der beiden Veranstaltungen im Amerlinghaus zum Rücktritt gezwungen werden. 77 Zionismus und Apartheit - BDS Partei wäre in höchsten Tönen zu loben und jeder Kritik erhaben, ließe sich Andreas Peham nicht zugleich dafür hergeben, antirassistische und linke Gruppen aufgrund ihrer Position zu den israelischen Menschenrechtsverletzungen zu diffamieren. Zu den im „Offenen Brief“ und in einer Anfrage der APA erwähnte Behauptung, es häuften sich an US -amerikanischen Universitäten Vorfälle antisemitischen Gewalt; Lehrveranstaltungen von jüdischen ProfessorInnen würden regelmäßig gestört, als Jüdinnen und Juden ausgemachte Studierende am Campus belästigt: BDS hat als internationale zivilgesellschaftliche, gewaltfrei agierende Kampagne klare und unmissverständliche Richtlinien, an die sich jede in ihrem Namen arbeitende lokale Gruppe zu halten hat. Zu diesen Richtlinien zählt u.a., dass der Boykottaufruf sich explizit NICHT gegen jüdische Einzelpersonen oder Unternehmen richtet, sondern ausschließlich gegen israelische wie nicht-israelische Produkte, Unternehmen und Institutionen, die sich an der Unterdrückung der palästinensischen Bevölkerung beteiligen und die Besatzung und Apartheid Israels stützen, nicht zuletzt indem sie von dieser profitieren. Dementsprechend ruft die BDS-Kampagne auch weder dazu auf, wahllos alles „Jüdische“, noch alles „Israelische“ zu boykottieren, weil es jüdisch oder israelisch ist. Das wäre in der Tat antisemitisch und eine solche undifferenzierte Logik und Vorgehensweise lehnt BDS daher ganz unmissverständlich ab. Der Boykott hingegen zielt auf die Überwindung einer politischen Struktur und fragt daher nicht nach ethnischer oder religiöser Zugehörigkeit. BDS Austria war in den vergangenen 12 Monaten umgekehrt einigen physischen Angriffen von militanten GegnerInnen aus den sogenannten „antideutschen“ Gruppierungen ausgesetzt, bei denen es auch zu Ermittlungen seitens der Polizei kam. So griffen vier Personen aus „antideutschen“ Zusammenhängen im Juni 2015 einen Infotisch von BDS Austria an und versuchten damit eine angemeldete Versammlung zu stören (https://www.youtube. com/watch?v=o8PpMi6mpes), was zweifelsfrei ein Delikt gemäß Strafgesetzbuch darstellt. Über den Stand der Ermittlungen bzw. des möglichen Verfahrens durch die Staatsanwaltschaft wurden wir bisher nicht informiert. Im August 2015 kam es am Graben in Wien zu einem Vorfall, bei dem ein Aktivist von BDS Austria mit körperlicher Gewalt konfrontiert war (Ohrfeige und Kinnhaken). Die AngreiferInnen gaben in dem anschließenden Wortgefecht nach dem körperlichen Angriff zu verstehen, sie könnten die „Israelitische Kultusgemeinde“ (Mitunterstützerin der Plattform „Boycott Antisemitism“) zu Hilfe rufen und – Zitat – „dann geht es hier richtig ab“. Eine Aufzeichnung des Vorfalls auf Video wurde der Staatsanwaltschaft übermittelt und ist online unter https://www. youtube.com/watch?v=tjoxL4LmrgU dokumentiert. Die Behauptung, die Veranstaltung fände bewusst zum 78. Jahrestag des Anschlusses Österreichs an das „Deutsche Reich“ statt, ist haarsträubender Unfug. Die „Israeli Apartheid Week“ findet jedes Jahr Ende Februar, Anfang März statt. Es ist bezeichnend und grenzt schon an die Methoden von VerschwörungstheoretikerInnen, mit welchen Mitteln versucht wird BDS in ein falsches Licht zu setzen. Auch der in der OTS-Aussendung behauptete Zusammenhang zwischen BDS Austria und einer kurzlebigen Studenteninitiative aus dem Jahr 2003 ist eine – oft wiederholte – Diffamierung, die nicht zutrifft. Es gibt weder einen personellen, noch organisatorischen Zusammenhang zwischen jener „Sedunia“ und BDS Austria. Als BDS Austria sind wir erschüttert über die Mittel und Methoden unserer KritikerInnen, deren Ziel es zu sein scheint, jede Diskussion über den israelisch-palästinensischen Konflikt mit allen erdenklichen Mitteln abzuwürgen. Dass dabei weder vor Diffamierungen, blanken Lügen, politischem Druck auf Veranstaltungsräume und sogar körperlicher Gewalt nicht zurückgeschreckt wird, zeigt, mit welcher undemokratischen Gesinnung hier gegen eine berechtigte Kritik an israelischer Staatspolitik und gegen eine Menschenrechtsgruppe vorgegangen werden soll. Das Kulturzentrum Amerlinghaus informierte uns heute, dass der Vorstand dem politischen Druck nicht mehr standzuhalten in der Lage ist. Der Vortrag des israelischen Aktivisten Ofer Neiman wird daher vom Amerlinghaus verlegt und findet selbstverständlich dennoch am Donnerstag, 10.03.2016 um 18 Uhr statt (Ort wird noch bekannt gegeben). BDS Austria lädt außerdem am Mittwoch um 13 Uhr zu einer Pressekonferenz mit Ofer Neiman im Cafe Stein (Währingerstrasse 6-8, 1090 Wien) ein. Bei der Kundgebung am 11. März 2016 von 16 bis 20 Uhr am Stephansplatz wird unter anderen auch die 91jährige Holocaust-Überlebende und BDS-Aktivistin Hedy Epstein sprechen. Wir laden alle Interessierten herzlich dazu ein, sich selbst ein Bild zu machen. Im Anschluss dokumentieren wir die OTS-Meldungen gegen BDS Austria und die IAW 2016: Karin Stanger (ÖH, Gras) und UnterstützerInnen http://www.ots.at/presseaussendung/OTS_20160307_OTS0090/offener-brief-anbuergermeister-dr-michael-haeupl-die-stadt-wien-sowie-die-verantwortlichen-imamerlinghaus FP-Lasar fordert klare Positionierung gegen Antisemitismus in Wien (FPÖ) http://www.ots.at/presseaussendung/OTS_20160307_OTS0187/fp-lasar-fordert-klarepositionierung-gegen-antisemitismus-in-wien Juraczka: Weiterer Skandal rund um das Amerlinghaus (ÖVP) http://www.ots.at/presseaussendung/OTS_20160307_OTS0156/juraczka-weiterer-skandal-rund-um-das-amerlinghaus?asbox=box1&asboxpos=1 Stellungnahme des Vorstandes des Vereins Kulturzentrum Spittelberg (Amerlinghaus) http://www.ots.at/presseaussendung/OTS_20160307_ OTS0203/stellungnahme-des-vorstandes-des-vereins-kulturzentrum-spittelberg-amerlinghaus 78 Inhalt Editorial Österreich Faschisierung: Asylverweigerung, Spaltung und Hetze, Faschisierung von Staat und Gesellschaft (SPÖVP – FP) 3 SPÖ und 12.Februar 1934 8 Schluss mit faschist. Hetze...! 10 Asylrecht abgeschafft 11 Frankreich Reaktionärer Schub 14 Ausnahmezustand 20 Antiterroeinsätze 20 Ukraine Zwei Jahre nach dem Putsch 21 Griechenland KKEml: Nein zur NATO-Operation in der Ägäis Klassenkämpfe und sozialistische Revolution Was tun ... in revolutionärer Situration? ... bei revolutionärer Erhebung? 30 31 34 37 Philippinen Taktische Offensiven der NPA 39 Wahlen - Revolution 40 Österreich Klassenkämpfe und Volkskämpfe Silvesterskandal - Sexismus 42 Steuerreform 45 Feiern oder kämpfen? (komakml-Flugblatt) 48 Lohnunterschiede Frauen-Männer Schluss mit Sexismus, Rassismus und Krieg (Feministisches Frauenbündnis 8.März) 49 50 (klein)bürgerliche Theorien „Nord-Süd-Konflikt“ oder Antiimperialismus? 52 „Werkbank“ Iran und Türkei? 69 „Reformismus auf der Höhe der Zeit“ (4 Thesen) 70 BDS-Stellungnahme zu Verleumdungen 77 In den letzten 6 Monaten hat sich deutlich gezeigt, dass die sogenannten „zivilgesellschaftlichen“ Mobilisierungen und Graswurzelbewegungen politisch unwirksam sind. Während in Österreich zehntausende Freiwillige in ihren Wohnorten praktische Solidarität mit den Heimatvertriebenen und Auswander/innen üben und hunderte wöchentlich oder gar täglich Hilfsgüter zu den Verzweifelten an den Grenzen Österreichs, Ungarns und verschiedener Balkanstaaten bringen, zur selben Zeit errichtet die österreichische Regierung kilometerlange Zäune, Anhaltelager, Überwachungsanlagen und Militärcamps. Auch wenn über 100.000 Voices for Refugees am Wiener Heldenplatz zusammenkommen, kann das offensichtlich nicht die Abschaffung des Asylrechts und die Militarisierung des öffentlichen Lebens an Grenzen und in „Aufnahmelagern“ verhindern, oder auch nur deutlich einbremsen. Die „Zivilgesellschaft“ mit ihren verständnisheischenden Appellen an die Vernunft und Menschlichkeit der Herrschenden ist gescheitert. Solange nicht entschlossene Kräfte an Einfluss gewinnen, die sagen: Das sind unsere Brüder und Schwestern, Unterdrückte und Ausgebeutete wie wir, und nur zusammen werden wir im Kampf gegen unseren gemeinsamen Feind, die kapitalistische Ausbeuterklasse, die Verhältnisse für uns alle verändern! – solange eine solche revolutionär-demokratische Massenbewegung unter Führung der Arbeiter/innenklasse nicht erstarkt, werden die Herrschenden mit den Flüchtlingen und mit uns tun, was sie wollen bzw. für sich und ihre Profitinteressen am besten halten. Die vorliegende Nr.62 der Proletarischen Revolution konzentriert sich, soweit es die tagtäglichen Aktivitäten der IA*RKP und ihr nahestehenden Kräfte betrifft, auf Fragen des Demokratieabbaus und der Faschisierung. Dazu dokumentieren wir mehrere Flugblätter und bringen einen Artikel, der sich mit der Einschätzung der FPÖ und der Faschisierung in Österreich beschäftigt. Ergänzend dazu gibt es einen Beitrag über die jüngsten Entwicklungen in Frankreich, das nicht erst seit den Anschlägen in Paris 2015 ein Vorreiter in der EU in Bezug auf faschistischen Ausnahmezustand, Grenzschließung und Massendeportation (v.a. von Roma) ist. Da der Medienwirbel um die Syrienkonferenzen einen viel näher gelegenen Brennpunkt der zwischenimperialistischen Konkurrenz permanent überdeckt, bringen wir einen Artikel zur Ukraine. (Kiew ist gleich weit von Wien entfernt wie Paris, und näher als Athen oder Barcelona!) In Fortsetzung unserer Auseinandersetzung mit den Entwicklungen in Griechenland (in der vorangegangenen PR 61) bringen wir einen Beitrag zu den dortigen Klassenkämpfen und der Perspektive der sozialistischen Revolution. Im theoretischen Teil der PR62 setzen wir uns kritisch mit zwei Strömungen auseinander, die in der aktuell schwachen Klassenkampf-Situation ihre äußerst schädliche Wirkung entfalten können: Einerseits geht’s um den sogenannten „Nord-Süd-Konflikt“ am Beispiel eines Artikels von Lauesson/Cope in der Monthly Review, und andererseits um vier (überflüssige) Thesen aus dem Eck der autonomen Bewegung über „einen Reformismus auf der Höhe der Zeit“ und eine „zeitgemäße emanzipatorische Politik“ … Als unser Beispiel aus dem „globalen Süden“ und zu unseren Ansichten über eine „zeitgemäße emanzipatorische Politik“ bringen wir einen Bericht über die Aktivitäten der Neuen Volksarmee (NPA) auf den Philippinen. Abschließend möchten wir aufgrund verschiedener (kritischer) Anfragen darauf hinweisen, dass die Proletarische Revolution in der derzeitigen Situation nicht viel mehr leisten kann, als die tatsächliche revolutionäre kommunistische Bewegung in Österreich widerzuspiegeln. Nehmt an Aktionen und Diskussionen aktiv teil, schreibt Flugblätter und Beiträge und beteiligt euch daran, die Zeitschrift besser zu machen! Kollektiv Proletarische Revolution Für neue Leser/innen: Die „Proletarische Revolution“ erscheint seit 2001. Sie greift mit revolutionär-kommunistischen Positionen in aktuelle Kämpfe und in damit verbundene praktische und theoretische Auseinandersetzungen ein. So setzt sie die Tradition der von den Marxisten-Leninisten Österreichs 1963 gegründeten „Rote Fahne“ und der 1972 bis 1980 erschienen österreichischen (Wochen-) Zeitung „Klassenkampf“ fort. Das Kollektiv Proletarische Revolution stellt sich die Aufgabe, durch die Verbindung der Erfahrungen und Lehren von nahezu 200 Jahren revolutionärer, internationaler Arbeiter/innen-Bewegung mit dem aktuellen Klassenkampf in Österreich und weltweit einen Beitrag zu leisten zur Bewusstmachung und Revolutionierung der Arbeiter/innenklasse im heutigen Österreich. Die „Proletarische Revolution“ kämpft in der Tradition der internationalen revolutionär-kommunistischen Bewegung. Diese hat sich vor einem halben Jahrhundert intensiv mit den Fehlern der Kommunistischen Partei der Sowjetunion auseinandergesetzt und ab Anfang der 1960er Jahre einen scharfen Kampf gegen die Wegbereiter des bürokratischen Staatskapitalismus in der Sowjetunion geführt. Die theoretische und praktische Verteidigung einer marxistisch-leninistische Generallinie für die Weltrevolution hat damals zur Gründung neuer, revolutionär-kommunistischer Zeitungen und Parteien geführt, die sich an der chinesischen Kulturrevolution unter Mao Zedong orientierten. Das Kollektiv Proletarische Revolution geht davon aus, dass ohne positive Berücksichtigung der theoretischen und praktischen Leistungen der chinesischen Kulturrevolution die Theorie und Praxis der revolutionären kommunistischen Bewegung nicht entsprechend den aktuellen Anforderungen des revolutionären Klassenkampfs weiterentwickelt werden können. Die „Proletarische Revolution“ bringt in 4 bis 6 Ausgaben jährlich sowohl agitatorische und propagandistische Aufrufe, Stellungnahmen und Redebeiträge zu aktuellen Kämpfen als auch wissenschaftliche Untersuchungen, Analysen und Thesen von österreichischen und international relevanten Parteien und Organisationen der revolutionären kommunistischen Weltbewegung. Die „Proletarische Revolution“ ist unabhängig von Staat und Kapital und finanziert sich ausschließlich aus Spenden, Abo-Einnahmen und anderen freiwilligen Beiträgen. Abo-Bedingungen siehe Umschlag hinten! Die „Proletarischen Revolution“ kann als pdf-Datei im Netz unter <prolrevol.wordpress.com> heruntergeladen werden. Kollektiv Proletarische Revolution Proletarier/innen aller Länder, vereinigt euch! Proletarische Revolution Nr.62 unabhängig von Staat und Kapital 16. Jg. revolutionär-kommunistische Zeitung in Österreich im 146. Jahr der Pariser Kommune Spendenempfehlung: 2,- Euro April 2016 Impressum: Medieninhaber, Herausgeber, für den Inhalt verantwortlich Kollektiv Proletarische Revolution c/o Stiftgasse 8, 1070 Wien www.prolrevol.wordpress.com Die Proletarische Revolution liegt in folgenden Buchhandlungen / Vereinslokalen auf (und ist dort auch käuflich zu erwerben): - Buchhandlung Frick, 1010 Wien, Schulerstraße 1-3 - Buchhandlung des ÖGB, 1010 Wien, Rathausstraße 21/Ecke Universitätsstraße - Literaturcafe Buchhandlung Lhotsky, 1020 Wien, Rotensterngasse 4/Ecke Taborstraße - Marxer Lesestube, 1030 Wien, Marxergasse 18 - Buchhandlung Jauker, Sampogasse 4, 1140 Wien - Buchhandlung Alex, 4020 Linz, Hauptplatz 21 - Buchhandlung Hacek, 9020 Klagenfurt, Paulitschgasse 5-7 - Rotes Antiquariat, Rungestraße 20, D-10179 Berlin - M 99, Manteuffelstraße 99, D-10997 Berlin - Buchladen Rote Straße, Nikalokirchhof 7, D-37073 Göttingen - Aufbau Buchvertrieb, Kanonengasse 35, 8004 Zürich Flugblätter der IA*RKP als Broschüren auf Persisch Im Abo kostet die PR für 1 Jahr im Inland 20,-, Sozialabo 15,im Ausland 30,- Euro Die Konkurrenz der imperialistischen Mächte führt zum Krieg, wenn die proletarische Revolution dem Krieg nicht zuvorkommt!