Vom Wasser zum Blitz

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Vom Wasser zum Blitz
Vom Wasser
zum Blitz
Der Staudamm von Contra im Verzascatal
und dieWasserkraftwerke im Tessin
Text und Bild: Markus Zohner
Mitternacht. Lautlos springt die Digi-
Als ich wenig später meinen Kopf auf
talanzeige auf 00:00. Reset. Die Zeit
das Kopfkissen lege und das Licht aus-
scheint für immer stehen geblieben
schalte, ist das Bewusstsein, dieses
zu sein. Wäre da nicht das Blinken
Licht jederzeit wieder anschalten zu
der beiden Doppelpunkte zwischen
können, unendlich tröstlich, und kurz
den Nullen, das die Sekunden im Hin-
bevor ich in einen tiefen, traumlosen
tergrund vorantreibt. Lautlose Nacht.
Schlaf falle, nehme ich mir vor, dieser
Die Lampe über dem Schreibtisch
so selbstverständlichen, in Wirklich-
wärmt ein wenig, ihr helles Glühen
keit aber unglaublichen Sicherheit des
schenkt Vertrauen, eine Geborgenheit,
Lichtes, das einfach da ist, wenn man
von der Enegiesparlampen in ihrer
es braucht, auf den Grund zu gehen.
blassen Agonie nur träumen können.
Ein Albtraum. Enge, endlose Gänge.
In seiner Wärme hat es etwas mit Ker-
Betonwände, aus denen an manchen
zenlicht gemein, und ich hoffe, meine
Stellen
Glühbirnenvorräte halten noch für ein
ragen. Alle zehn Meter eine Lampe.
paar Jahre. Das bläuliche Scheinen
Dunkle Abzweigungen, die ins Nichts
des Computerbildschirms macht meine
zu führen scheinen. Ich stolpere voran,
Augen tränen, und so klappe ich ihn
bis der Tunnel jäh endet und ich vor ei-
endlich zu und trete auf den Balkon.
nem Abgrund stehe. Rechts eine enor-
Vollmond. Die winterliche Nacht liegt
me Betonwand, die sich bis in den Him-
in einer Leichtigkeit auf der Stadt, die
mel zu strecken scheint. Flavio lacht.
einen für einen winzigen Moment alles
Wir stehen mitten in der Mauer, an ei-
verstehen lässt. Das Leben, die Liebe,
nem Austritt der Gänge, die sich durch
den Tod. Zwei parallele, dünne Streifen
das Innere des Verzasca-Staudammes
liegen plötzlich über dem schwarzen
ziehen und den Technikern Zugang zu
Himmel, von einem schon verschwun-
den Stellen erlauben, die kontrolliert
denen Flugzeug schnurgerade gezogen
und gewartet werden müssen.
und vom grellen, kreisrunden Mond
«Als ich vor dreissig Jahren hier als Elek-
schneeweiss beleuchtet. Langsam bil-
tromechaniker angefangen habe, war ich
den sie kleine Kurven, verwischen, und
der Jüngste der Mannschaft – heute bin
bald lösen sie sich auch schon auf in
ich der Älteste», sagt er schmunzelnd,
hellen, kleinen Flocken. In den umlie-
als wir uns in einen engen Lift zwängen,
genden Häusern brennt noch hier und
um bis zur Basis des Dammes hinunte
dort Licht. Nachtträumer, Zubettge-
zu fahren. Er erzählt von dem Polizisten,
hende. Aus ein paar Fenstern flimmert
der ihn zu dem Selbstmörder hätte be-
Fernsehschein.
gleiten sollen, der unten in der Schlucht
Wie perfekt alles funktioniert, und wie
lag, «aber er hatte klaustrophobische
normal dieses Funktionieren in Perfek-
Anfälle, er konnte nicht mitkommen.»
tion ist. Ein kleiner Funke springt über,
220 Meter ist der Staudamm von Contra
ein winziger Blitz, das Licht geht an, der
am Ende des Verzasca-Tales hoch oder
Fernseher, der Backofen. Wie wohlge-
tief, und am Scheitel 380 Meter breit – ein
ordnet, wie verlässlich, wie sicher. Und
Meisterwerk der Ingenieurskunst.
Stümpfe
von
Eisenstangen
wie gut das Wissen um diese Sicherheit
für einen Moment tut, in dieser Kälte,
Der Baumeister
inmitten all der Gedanken über das Le-
Doktor Giovanni Lombardi, damals
ben und seine Vergänglichkeit, über die
29 Jahre alt, ist Ende der 1950er Jahre
Liebe und ihre Verwirrungen und über
mit seinem Entwurf ins Rennen gegan-
die Endlichkeit unseres Daseins. Ich
gen und hat die Fachkommission davon
trete wieder in die geheizte Wohnung,
überzeugt, dass seine Lösung den an-
fröstelnd.
deren Entwürfen überlegen war, da sie
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Flavio Moro, Maschinist, Verzasca SA
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Staudamm von Contra, vom Scheitel
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die geologischen Gegebenheiten des Tales
Gummiseil an den Füssen vom Schei-
optimal nutzte und durch ihre doppelt
tel der Talsperre weltrekordverdächtige
gekrümmte Bogenkonstruktion einen ex-
220 Meter in die Tiefe – der «James Bond
trem schlanken Bau erlaubte – was eine
Golden Eye Sprung», mit dem sich der
enorme Einsparung bei den Materialkos-
Held im Film vor seinen Verfolgern rettete.
ten bedeutete – nur 600 000 Kubikmeter
«Der Strom, den wir hier erzeugen, ist
Beton wurden benötigt. Der Damm ist an
ganz besonders wertvoll.» erzählt Dr.
seiner Basis lediglich 25, und am Scheitel
Marco Bertoli, Direktor der Verzasca
nur sieben Meter dick. Bis heute, fünfzig
SA, und führt mich in den Kontrollraum.
Jahre nach seiner Erbauung, ist der Stau-
«Nicht nur, dass wir vollkommen grüne,
damm von Contra am Ende des Verzasca-
da erneuerbare Energie erzeugen. Sei-
Tales einer der weltweit schlanksten
nen hohen Wert bekommt unser Strom
Dämme in dieser Grösse.
vor allem auch dadurch, dass wir ihn
produzieren können, wenn er gebraucht
Das Ventil
wird. Keine andere Energiegewinnung
Wir zwängen uns wieder in den Lift und
kann so präzise ‹just in time› liefern.»
gelangen durch einen tropisch feuch-
Die fünf Kernreaktoren in der Schweiz
ten Gang in die Drosselklappenkam-
erzeugen einen kontinuierlichen, einen
mer – ein Raum, der von einem meh-
flachen Strom, der den Basisverbrauch
rere Meter dicken Rohr durchteilt wird.
abdeckt. Dieser Strom bleibt in seiner
«Die Hauptventile!» sagt Flavio. «Hinter
Menge konstant und kann nicht auf den
dieser Mauer hier liegt der Stausee. Das
ständig schwankenden Verbrauch re-
Wasser wird in dem Rohr gefasst, es
agieren. Dafür ist der wertvolle Strom
durchquert die Ventile und stürzt dann
aus Wasser da, da dieser punktgenau
hinter dieser gegenüberliegenden Wand
erzeugt und geliefert werden kann. Auch
mit einem Gefälle von 93 Prozent in ei-
andere erneuerbare Ressourcen lassen
nem 330 Meter langen unterirdischen
sich in ihrer Produktion nicht steuern:
Rohr in die Tiefe, wo es die Generatoren
Solarstrom kann nur entstehen, wenn
antreibt. Wenn unten Wartungsarbeiten
die Sonne scheint, Strom aus Windkraft
vorgenommen werden müssen, können
nur, wenn es weht – ein unschätzbarer
wir hier oben den Druck – je nach Füll-
Vorteil des Stroms aus Wasserkraftwer-
zustand des Stausees immerhin bis zu
ken, der durch geschickte Steuerung
12 Atmosphären – abstellen.»
sehr präzise im Moment der Nachfrage
Wir klettern wieder über steile Treppen,
produziert werden kann.
zwängen uns in den kleinen Lift und entsteigen schliesslich dem dunklen Beton-
Der Blitz
labyrinth. Die Sonne blendet.
«Als wir den Stausee 1964 zum ersten
Mal haben volllaufen lassen, waren wir
Der Damm
alle natürlich sehr gespannt», erinnert
Der Staudamm von Contra im Verzasca-
sich Giovanni Lombardi. «Den Berech-
Tal ist einer der grössten und der be-
nungen zufolge sollte es über einen Mo-
kanntesten in der Schweiz. Jeder Tessin-
nat dauern, bis der See voll war. Doch
Urlauber hat ihn wenigstens von weitem
dann zog ein enormes Gewitter auf, und
gesehen. Tausende kommen jedes Jahr,
ein sintflutartiger Regen ergoss sich über
um das spektakuläre Bauwerk zu bewun-
die ganze Region, sodass der See bereits
dern und oben über die Mauer zu gehen:
nach einer Nacht überlief. Ein beeindru-
Auf der einen Seite der tiefblaue Lago di
ckendes Schauspiel. Die seitlichen Über-
Vogorno und die Berge, auf der anderen
läufe, die durch geschickte Verdrehung
der Abgrund – flauer Magen garantiert.
dem fallenden Wasser seine Wucht neh-
Die Mutigsten stürzen sich mit einem
men, waren damals noch nicht angesetzt,
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Staudamm von Contra
und so schwappte der See buchstäblich
Turbinen angetrieben werden, auf die
Kilowattstunden, davon im Sommer
über. Das Gewitter dauerte an. Plötzlich
ein Stockwerk tiefer das Wasser aus
131 Millionen, im Winter 78 Millionen.»
sah ich, wie fünf Männer Hals über Kopf
dem Fallrohr trifft. Ein ständiges, har-
Ich fotografiere. Bewundere diese enor-
aus dem Kontrollgebäude stürzten und
tes Rauschen belagert den Saal, in dem
me Technik, diese riesigen Maschinen,
den Berg hinaufliefen. Irgend-
das Turbinenrad aus zentime-
wann hielten sie inne, blickten
Giovanni Lombardi
terdickem Stahl, das gerade
Als ich unten eintraf, berichte-
Giovanni Lombardi (Bild rechts) wurde 1926 in
ben wir wenig Sand im Was-
ten sie, dass alle Instrumente,
Lugano geboren. Er wuchs in den französischen
ser. Sehen Sie, die Turbinen-
die den Druck auf die Mauer an-
Pyrenäen auf, wohin sein Vater aus dem
schaufeln sind noch so gut wie
zeigten, mit einem Mal auf Null
Tessin ausgewandert war. Er besuchte die
neu, obwohl sie schon über
gefallen waren – diesen Instru-
Schule in Lugano und St. Gallen und machte
zehn Jahre alt sind.» Vor al-
menten zufolge war die Mauer
1944 in Basel die Matura. Von 1944 bis 1948
lem aber bewundere ich den
also eingestürzt. Wir forschten
studierte er Bauingenieurwesen an der ETH
menschlichen Geist, der das
nach und entdeckten kurz da-
Zürich.1955 gründete er das Ingenieurbüro
alles erfunden, konzipiert und
rauf, dass ein Blitz in das Lei-
Giovanni Lombardi Ph. D. Consulting Engi-
realisiert hat.
tungssystem eingeschlagen und
neers in Lugano, das heute mit seinen über
Mit einem anderen Lift fahren
die Instrumente ausser Gefecht
100 Mitarbeitern seinen Sitz in Minusio hat
wir eine Station nach oben.
gesetzt hatte.»
und weltweit Talsperren, Tunnels und Brü-
Herr Bertoli öffnet einen schwe-
Im Kontrollraum, der in einem
cken konzipiert, baut und kontrolliert.
ren Durchstieg, wie er zum
Halbkreis über das Tal hin-
Seine in der Schweiz bekanntesten Projekte
Verschliessen von Atombun-
ausragt wie die Brücke eines
sind der Staudamm von Contra im Verzasca-
kern verwendet wird, und ich
Schiffes über das Deck, und
Tal, der Gotthard Strassentunnel, der Gott-
trete hinaus auf eine Brücke,
von dem aus man im Panora-
hard Basistunnel und die Neue Alpentrans-
von der ich schaudernd hin­
ma Damm und Tal bestens im
versale (NEAT).
abschaue in eine Art Vorhölle,
Blick hat, stehen nur zwei Bild-
International war er an Projekten wie dem
auf deren dunklem Grund das
schirme, die aber über sämtli-
Eurotunnel zwischen Frankreich und England
Wasser, das aus den Turbinen
che relevanten Daten Auskunft
beteiligt, an zahlreichen Talsperren in Öster-
tritt, heftig strudelt und dann
geben, und mit denen sich
reich, Italien und in Südamerika. Sein Büro
abfliesst in den unterirdischen
Ventile, Generatoren und Tur-
gewann auch den Entwurfswettbewerb für
Tunnel, der es über knapp zwei
binen steuern lassen. «Früher
den Gibraltar-Eisenbahntunnel, der Europa
Kilometer hinweg in den Lago
basierte das Leitsystem auf elek-
und Afrika zwischen Spanien und Marokko
Maggiore leitet.
tromechanischen
zur Mauer und gingen dann
ausgebaut wurde und das jetzt
überholt wird. «Zum Glück ha-
ganz langsam wieder zurück.
Komponen-
miteinander verbinden soll. Lombardi spricht
ten», erzählt Herr Bertoli. «Heute
fünf Sprachen, liest zwei weitere, und auf die
Die Gefahr
ist es vollkommen elektronisch
Frage, von welchem Projekt er in seinem Le-
Jedes Bauwerk birgt Gefahren
und mit verteilter Intelligenz
ben noch träumt, antwortet er lachend: «Mei-
in sich, und je grösser die He-
angelegt. Jede Maschine, jede
nen Schreibtisch in Ordnung zu bringen.»
rausforderung, desto grösser
das inhärente Risiko. Wie bei
Komponente ist vollständig
solch
autonom, sodass ein Defekt
einer
augenscheinlich
höchstens eine Produktionsgruppe au-
viel Licht durch Glasscheiben flutet, der
gewagten Konstruktion die Risiken
sser Betrieb setzen kann, aber nie das
aber in Wirklichkeit 212 Meter tief un-
kontrolliert werden, frage ich Herrn
ganze System. Wollen Sie die Generato-
ter der Erde liegt und in dem es, legt
Bertoli zögernd, als wir aus dem Fahr-
ren sehen? Kommen Sie!»
man einen Schalter um, finsterer ist als
stuhl wieder in den Kontrollraum ans
in einer Räuberseele.
Tageslicht treten. «Es gibt einen Notab-
Der Abgrund
«Jeder dieser drei Stromerzeuger hat
lass dort im unteren Drittel der Mauer,
Wir fahren im Lift in die Tiefe, bis die
eine Leistung von 35 Millionen Watt.
der es erlaubt, 170 Kubikmeter Was-
Ohren knacken, und treten in eine
Je nach Nachfrage werden sie zu- oder
ser pro Sekunde zu evakuieren und
gros­se Halle, in der drei grosse, knall-
abgeschaltet. Über das Jahr produzie-
den Wasserspiegel des Stausees relativ
rote Generatoren stehen, die von den
ren sie im Durchschnitt 209 Millionen
rasch zu senken, um so den Druck von
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der Mauer zu nehmen. Bei der Menge
viele Kilometer unter die Erde verlegt.
Wasser, immerhin 8,5 Millionen Kubik-
Und: Im Tessin werden mit 62 Turbi-
meter bei vollem See, dauert das na-
nen rund 11 % der Wasserenergie der
türlich seine Zeit. Der GAU, der grösste
Schweiz gewonnen. Oder: Das Tessin
anzunehmende Unfall wäre, dass die
könnte, die Elektrizität betreffend, au-
Mauer mit einem Mal zusammenbricht
tark sein, meistens übersteigt die eige-
und sich der gesamte See in einem ein-
ne Produktion den Verbrauch.
zigen Schwall über Gordola hinweg in
Bald treibt uns die Kälte wieder ins
den Lago Maggiore ergiesst. Auf der
Auto und wir fahren zu den verschie-
anderen Seite des Sees, dem Gambaro-
denen Kraftwerken, die den Ticino und
gno, würde dann eine 16 Meter hohe
seine Nebenflüsse fassen und sein Ge-
Flutwelle gegen den Berg klatschen.
fälle in Elektrizität umwandeln wie die
Von dort würde sie zurückgeworfen
Alchemisten Eisen in Gold. Überall ist
und sich als immerhin noch drei Meter
es blitzsauber, und überall beherrscht
hohe Flutwelle über Ascona und Locarno
dieses harte Rauschen den Raum. Das
ergiessen. Aber dieser Fall ist sehr,
bei weitem schönste Kraftwerk ist das
sehr unwahrscheinlich. Der Zustand
von Piottino, erbaut in den Jahren 1928
der Mauer und ihre Bewegungen – an
bis 1932. Just in dem Augenblick, in
ihrer Krone durch den Wasserdruck
dem wir mit dem Direktor die Genera-
bis zu zehn Zentimeter – werden stän-
toren begutachten, läuft Nummer eins
dig überwacht. Wussten Sie übrigens,
an: es dauert ungefähr eine Minute, bis
dass dieses grösste Wasserkraftwerk
sich das Ventil für die Turbine ganz ge-
des Tessins eingebunden ist in das
öffnet hat. Langsam aber kontinuierlich
Netz der Tessiner hydroelektrischen
nehmen die Stahlachsen an Fahrt auf,
Erzeuger, und in Wirklichkeit von der
bis die volle Drehzahl erreicht ist.
Zentrale der Società Elettrica Ticinese
In manchen der Zentralen arbeiten klei-
in Monte Carasso bei Bellinzona fern-
ne Teams an Maschinen, warten Gene-
gesteuert wird?»
ratoren, halten die Infrastruktur instand.
Der Zauber
Der Weg
Am nächsten Morgen sitze ich im
Sie träumt davon, erzählt Roberta, ei-
Auto neben einem bezaubernden We-
nen Wanderweg anzulegen vom Gott-
sen, Roberta Trevisan von der Società
hardpass zum Lago Maggiore, an all
Elettrica Ticinese, die mit mir das
den Wasserkraftwerken vorbei: «La Via
Leventina-Tal hinauf bis nach Airolo
Energetica» sollte er heissen, und sie
fährt. Spektakuläre Wolkenformationen
hofft, dass er in den kommenden Jah-
greifen sich das Gotthardmassiv. Minus
ren realisiert werden kann. Tatsächlich
sechs Grad zeigt das Thermometer, als
sind die Gebäude, aber auch ihr Inneres
wir am Staubecken von Airolo ausstei-
faszinierende Strukturen, eng verbun-
gen. Das Becken zwischen Autobahn
den mit der Natur, der Geschichte, und
und Bergen ist ein Teich verglichen mit
eingebettet in einmalige Landschaften.
dem Lago di Vogorno. Es sammelt Wasser für das 130 Meter tiefergelegene
Die Kontrolle
Kraftwerk Stalvedro. Roberta erzählt
Am Ende eines wunderbaren Tages
Erstaunliches: Der Fluss Ticino wird
inmitten von Natur und Maschinen, in
von seiner Quelle beim Nufenenpass
Gesprächen über Energiegewinnung,
bis zur Mündung in den Lago Maggiore
die Zukunft der Menschheit, über grün­
fünfmal durch Turbinen gedreht (Fi-
en Strom und das weisse Gold, an
sche kämen dabei nicht zu Schaden,
dem das Tessin so reich ist, führt mich
versichert sie mir), und wurde über
Roberta in das Herz der Stromerzeugung
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Turbinen-Generatorenachsen, Elektrizitätswerk Verzasca SA
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und -verteilung: Das zentrale Leitwerk
Betrieb aller Kraftwerke, vor allem
Anforderungen, also die präzisen Wer-
der Società Elettrica Ticinese in Mon-
aber für die punktgenaue Einspeisung
te, wieviel Strom zu welchem Zeitpunkt
te Carasso, von dem aus über optische
der richtigen Energiemenge in das
ins Netz fliessen soll. Abhängig von
Kabel alle Wasserkraftwerke des Tes-
Schweizer Netz. «Aufgrund der Wet-
diesen Werten und von der Leistungs-
sins ferngesteuert werden. Ein grosser
tervorhersagen wird am Vorabend der
fähigkeit der verschiedenen Zentralen
Raum. An der Stirnwand abstrahierte
voraussichtliche Stromverbrauch des
sowie vom Füllzustand ihrer Wasser-
Pläne der Kraftwerke und ihre Anbin-
Tessins für den folgenden Tag berech-
speicher regelt er dann ständig die
dung ans Netz, gelb leuch­tende Lam-
net. Er hängt sehr stark von der Witte-
Produktion so genau, dass sie mit der
pen auf den Linien zeigen überall den
rung ab. Hier sieht man zum Beispiel,
aktuellen Anforderung übereinstimmt.
Status OK an. Vor der Wand auf einem
wie an einem kalten Tag wie heute der
«Läuft im Verzasca-Kraftwerk alles
langen Tisch ein Bildschirm am ande-
Verbrauch ansteigt. Auch schwankt der
normal?» frage ich, um das System auf
ren, auf denen neben den aktuellen
Verbrauch während des Tages. Über
die Probe zu stellen. «Einen Moment!»,
Zustandsdaten der jeweiligen Wasser-
Mittag, wenn überall gekocht wird, und
antwortet Franco, geht zu einem der
kraftwerke auch die Füllstände der
dann am Abend, sind die Spitzenzeiten.
seitlichen Monitore und schaltet die Ka-
dazugehörigen Stauseen erscheinen.
Anhand dieser Vorhersagen planen wir
mera ein, die den tief in der Erde ver-
Ein einziger Mann sitzt vor all den Bild-
hier den Einsatz der verschiedenen
grabenen Generatorenraum des Kraft-
schirmen, trägt Zahlen in Listen ein,
Kraftwerke und Turbinen.»
werkes überwacht. Der Bildschirm
bleibt schwarz. «Vielleicht sollten wir
klickt ab und zu mit einer Maus und
verschiebt kleine Regler auf den Moni-
Die Nacht
das Licht einschalten, damit die Kame-
toren. Franco Dell'Era, der in ein paar
Franco bekommt dann von SWISSGRID,
ra etwas sieht…» schmunzelt er. Ein
Wochen in Pension geht, ist im Mo-
der nationalen Stromnetzgesellschaft
Klick mit der Maus, es blinkt, und die
ment verantwortlich für den korrekten
der Schweiz, zeitnah die aktuellen
drei riesigen Generatoren erscheinen
Wartungsarbeiten, Elektrizitätswerk Verzasca SA
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auf dem Bildschirm. «Alles bestens»,
Als ich nach dem Abendessen auf den
meint er. «Da arbeiten überall her-
Balkon trete, hat der Mond bereits ab-
vorragende
Geheimnis
genommen. Bald ist Mitternacht. Fern-
liegt in kontinuierlicher Wartung und
seher flimmern, Lichter werden ausge-
Instandhaltung. Man kann Probleme
schaltet. Gleich wird Franco abgelöst
nie ausschliessen. Aber wir setzen al-
werden von seinem Kollegen, der dann
les daran, sie durch vorausschauende
die schwierigste Schicht übernimmt.
Wartung und Überholung der Maschi-
Die Nacht ist zum Schlafen da, geht es
nen weitestgehend zu vermeiden.»
mir durch den Sinn, und ich trete in die
Jetzt sind die Kraftwerke menschen-
warme Wohnung.
leer. Nur hier in der Zentrale sitzt ein
Es wird wunderbar sein, die Via Ener-
einziger Mann, der das gesamte Netz-
getica talwärts zu wandern, träume
werk steuert. 24 Stunden am Tag und
ich, kurz bevor ich wenig später in tie-
365 Tage im Jahr wird das System von
fen Schlaf falle, vom San Gottardo hin-
einer Person bedient. «Ich bin noch bis
unter zum Lago Maggiore, in den sich
Mitternacht hier, dann kommt mein
dann endlich erschöpft all das Wasser
Kollege. Er hat die schlimmste Schicht
ergiesst, nachdem es seine ganze Ener-
von Mitternacht bis sechs Uhr früh.
gie abgegeben hat für mein Licht.
Leute.
Das
Verzasca-Staudamm: Begehung des Dammes (Krone)
jederzeit möglich, bei Unwetter gesperrt. Führung
in Gruppen nach Vereinbarung.
Verzasca-Tal, verzasca.ch
Bungee-Sprung vom Damm, trekking.ch
Markus Zohner ist Theatermann, Fotograf,
Schriftsteller und Entdecker. Sein aktuelles
Buch heisst «Die Wiederentdeckung der Bern­‑
steinstrasse» und ist 2009 bei Fizzo erschienen.
markus.zohner.com, amberroad.ch, zohnertheater.ch
Das ist dann wirklich harte Arbeit. Die
Nacht ist zum Schlafen da, auch wenn
die Systeme und die Welt andere Anforderungen an uns stellen.»
«Spitzenleistungen erfordern Spitzenenergie.»
Ihr Ziel ist auch unser Ziel.
Damit der Energiebedarf auch
während der Verbrauchsspitzen
gedeckt ist, investieren wir
in neue Speicherkraftwerke wie
Nant de Drance im Wallis.
Alpiq engagiert sich für eine umweltverträgliche,
sichere Energiezukunft – mit erneuerbaren Energien,
Energieeffizienz und neuen Grosskraftwerken.
www.alpiq.com
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