Schwankungen*23

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Schwankungen*23
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10.03.2008
0:07 Uhr
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S C H WA N K U N G E N
Mit Bleistift
Das Gegenteil
von Make-Up
Wir betreten das Bleistiftgebiet. Und zwar durch eine schwarze
Stahltür. Hinten dem Rolltor, die nebendran den Hof der Hamburger „Schokoladenfabrik“ begrenzt, basteln Elektronikexperten an Navigationssystemen. Es
geht in einen ersten Raum mit hellen
Holzkisten verschiedener Form und
Größe. Durch einen Durchgang geht’s in
einen zweiten Raum. Frank Gerritz steht
auf zwei großen Styroporblöcken. Er
macht Striche um Striche um Striche
auf eine MDF-Platte, die an der Wand
hängt. Mit Bleistift.
Der weiche 9B von Faber Castell ist dem 1964 in Hamburg geborenen
Zeichner und Bildhauer dabei weder
Warenfetisch noch einerlei. Wie Gerritz’
Arbeiten funktionieren (und welch großen Anteil skulpturales Gedankengut an
den meist großen Grauflächen hat) lässt
sich in der Weserburg derzeit gut nachvollziehen. Eigens für Bremen entstand
„Lowdown“, eine so intensive Arbeit,
dass es sogar ein filmisches Making Of
davon gibt. Eine ganze Armada aus Assistenten, Kunststudierenden und Bremer Künstlern schichtete hauchdünne
Graphitflächen über einander: 9 Meter
breit und 1,60 Meter hoch. Die Oberfläche ist nicht schlicht monochrom, sondern „empfänglich für Licht und Farbe“,
sagt Gerritz. „In dem Moment, wo die
Fahrstuhltür aufgeht, bewegt sich
schon was.“ Obwohl die kleinste Bewegung die Raumsituation verändert,
führt, was gespiegelt wird, ein Schattendasein. „Darum der Bleistift, er erzeugt eine Qualität, „in der Farben und
Formen aufgehoben sind.“
„Lowdown“ lastet, gefühlt
tonnenschwer, auf dem Boden. Bodenhaftung, ein Nachhall früherer GerritzArbeiten: „Blockformation 1“ von 1989
zeigt gleich im nächsten Raum das
Spannungsverhältnis von Boden und
Wand: Zwei horizontale Zeichnungen
übereinander, darauf eine Drauf- und
eine Vorderansicht des Linienspiels auf
jenem Stahlquader, der davor auf dem
Boden liegt. Geometrische Schlichtheit
und das spezifische Gewicht von Skulpturen sind in den Bleistift- oder Paintstick-Zeichnungen des letzten „abstract
hardliners“, wie der US-Kritiker Donald
Kuspit Gerritz bezeichnet, aufgehoben.
Jedes Werk erzählt
von seiner Produktion
Im Hamburger Atelier erklärt
Gerritz sein Produktionssystem: Spezifisch geschliffene Aluminiumplatten,
eigens hergestellte Kisten mit genau auf
Gerritz’ Arbeiten abgestimmten Tragevorrichtungen, die bei der Produktion
auch als Linealhalter dienen. In regelmäßigen Abständen würde alles fotografisch dokumentiert. Es sei schon eigenartig, zwei Lebensjahrzehnte so kompromiert zu sehen, sagt Gerritz, während er in eine große, flache Schublade
blickt. Darin: Skizzenbücher, Werkfotos.
Auch ohne Abbildung erzählen Gerritz’
Arbeiten die Geschichten ihrer Produktion: Wie sich Materialien und Werkzeuge verändern. Und sogar von den Jahreszeiten, deren Temperatur und Feuchtigkeit unterschiedlich auf Farbe, Graphit und Untergründe wirken. Im April
beginnt wieder die Paintsticksaison.
< Tim Schomacker
„Further Down the Line“ ist bis zum 6.
April im Museum Weserburg, Teerhof
20, zu sehen.
Am 19. März um 22 Uhr senden die
Schwankungen ein Portrait des
„Produktionssystems Frank Gerritz“.
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3 .
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M Ä R Z
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KLASSISCH
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2 1
T A G E
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WELLIG
K U LT U R
F Ü R
B R E M E N
Musik kommt, Musik geht
Die Bremer Szene hat schon wieder ein paar Formate verloren – und neue gefunden
Als im Dezember zum finalen
Konzert der Blue Moon Bar in die Weserterrassen geladen wurde, weil Christian
„Barfly“ Zurwellen seine Reihe nach langen Jahren des finanziellen Rumeierns
nicht mehr fortführen konnte und wollte,
ließ sich düster in die Zukunft der LiveMusik in der Bremer Clubszene blicken.
Nun gut, die Blue Moon Bar richtete sich
vor allen Dingen an die Bremer Jazzszene, diese Jazzszene ist klein und nicht
so beinhart eingeschworen wie beispielsweise die Blues-Szene, die immer
kommt und nicht nur zu den großen Acts.
Aber zeitgleich schloss auch der Sendesaal nach dem Umzug von Radio Bremen seine schalldichten Türen – zumindest vorerst, mag man heute hoffen. Damit war ein weiterer Spielort für Jazz
und Anverwandtes futsch.
Römer weg,
„Blue Moon“
untergegangen,
Sendesaal zu
Schließlich geisterte längst
das Gerücht durch die Szene, auch der
Römer werde nicht mehr für Konzerte
zur Verfügung stehen. Das hat sich
inzwischen, wenn auch nicht in dieser
Rigorosität, bestätigt. Damit war auch
eine ganz andere Musiksparte betroffen: Der Römer hat sich in den vergangenen zehn Jahren zum Club gemausert,
in dem neue Trends von Rock bis Pop,
von Rockabilly bis Punk, vom Songwriter
bis zur Country-Koryphäe ausprobiert
werden konnten, also Bands erstmalig
auftraten, die eventuell beim nächsten
Mal nur noch in größeren Sälen und
Hallen gastieren würden.
In dieser Hinsicht hat der
Römer seit einer halben Ewigkeit einen
Ruf zu verteidigen: Sven Regener hatte
mit seiner Band „Element Of Crime“ hier
ebenso den ersten Auftritt wie die
Underground-Helden „The Swans“, die
Hamburger-Schule-Gründer von „Blumfeld“, die Mainstream-Rocker von „Fury
in the Slaughterhouse“ oder eine Band
Foto: Frank Pusch >
# 2 3
UNTEN
wie „Therapy?“ – eine ganz beachtliche
(und unvollstöndige) Liste, die sich um
zahllose Bremer Bands (von „Rumble on
the Beach“ bis zu den „Trashmonkeys“)
ergänzen ließe.
Blue Moon Bar also weg, Sendesaal und Römer ebenfalls: Die Bremer
Szene für Clubkonzerte bricht zusammen, konnte man schon orakeln hören.
Ganz so wild ist es nicht. Ob es im Römer
auf längere Sicht keine Konzerte mehr
geben wird, ist noch nicht heraus, andere Clubs bieten weiter Konzerte, außerdem sind neue Clubs entstanden: Die
Spedition auf dem Gelände des Güterbahnhofs hat sich längst etabliert und
bietet drei unterschiedlich große Räume
und ein Konzertangebot zwischen Independent, Underground und Hardcore.
Vieles, was früher in der „Friese“ stattfand, ist inzwischen in der Spedition zu
erleben. Außerdem sind hier regelmäßig
Filme zu sehen, die sonst in den Kinos
nicht auftauchen. Schließlich bietet die
Spedition Raum für Ausstellungen, so
dass sich hier auch multimediale
Konzepte realisieren lassen.
Die Neuen im Club:
Moments
und Spedition
Fast genau gegenüber, allerdings durch Eisenbahngleise getrennt,
bastelt die Kombination Zucker und NoOk-Club – ersteres Diskothek, letzteres
Konzertraum – an einem eigenen Profil,
das irgendwo zwischen Alternativ-Rock,
Experiment, Ambient und Punk liegt. Auch
im Viertel, traditionell Brutstätte für LiveClubs, tut sich wieder etwas, denn im
Moments finden wieder Konzerte statt.
Als Diskothek hatte das Moments zuletzt keinen übermäßig guten
Ruf mehr, inzwischen gibt es einen neuen Besitzer. Seit Mitte der neunziger
Jahre bis Mitte 2002 hatte das Moments einen hervorragenden Ruf als
Live-Club: Hier hat Sängerin Holly Cole
ihr legendäres Bremen-Debüt gegeben,
die Brass-Band Mardi Grass.BB marschierte spektakulär durch den Laden,
hier wurde auch einer wie Laith Al-Deen
erstmalig ausprobiert. Außerdem stellte
sich die Bremer Jazzszene in stetig
wechselnden Konstellationen im Moments vor (erinnert sei nur an Peter
Apels Reihe „Who’s Uncle Mo?“). An genau diese Tradition will der Club jetzt
wieder anknüpfen. Ein paar Vorversuche
hat es schon gegeben, im März und April
steigt dann das Angebot stetig. Kein
Grund zur Panik also: Die Bremer Clubszene verändert sich, und Veränderung
tut gut.
‚< Christian Emigholz
Be well!
Das Junge Theater zeigt den Science Fiction einer Juristin, in dem Gutes Gesetz ist – und Horror
„Schriftsteller sollen bekanntlich besonders fantasiebegabt sein.“ Im
Grunde ein belangloser Satz, der – siehe
„bekanntlich“ – nicht einmal Neuigkeit
verspricht. Man betrachte aber den
Kontext: Der Satz ist einen Monat alt und
von Otto Schily, der – bekanntlich – einmal Innenminister der Bundesrepublik
Deutschland war, sowie – nicht so bekanntlich – im Aufsichtsrat der Technologiefirma Biometric Systems saß.
Warum aber beschäftigt Schily
die Fantasiebegabung junger Schriftstellerinnen? Sie tut es weniger an sich,
sondern konkret. Denn Fantasie spricht
er Juli Zeh – der Schriftstellerin – nicht
ab, sondern so sehr zu, dass es auch
noch für Juli Zeh – die Juristin – mehr als
ausreicht. Letztere hat beim Bundesverfassungsgericht Beschwerde gegen den
biometrischen Pass eingereicht, den der
Bundestag 2007 auf den Weg gebracht
hatte. Auch um von jener Firma produziert zu werden, in deren Aufsichtsrat
Schily saß. Ein Interessenskonflikt. Plus
Zeh-Kritik an Gesetzgebungsverhältnissen, Gewalten-Entteilungen und Interessenlagen, die hinter der europäischen
„Harmonisierung der Sicherheitsmerkmale“ verschwinden.
Der Ex-Innenminister
macht Fantasie
zum Schimpfwort
Nun hat Juli Zeh aber nicht
einen ihrer Romane wie „Adler und Engel“
oder „Schilf“ nach Karlsruhe geschickt.
Auch nicht den Text zu ihrem ersten
Theaterstück „Corpus Delicti“, das 2007
bei der Ruhrtriennale uraufgeführt wurde und ab März als Produktion des Jungen Theaters in der Schwankhalle zu sehen ist. Denn: „Als Grundlage für Ge-
richtsentscheidungen taugen Fantasieprodukte nicht“, wie Schily richtig bemerkt. Nur dass er die Schriftstellerin
Juli Zeh und die Juristin Juli Zeh weniger
leicht auseinanderhalten kann oder will,
als die beide Berufe ausübende 33Jährige selbst. Obzwar mit traditionellem
juristischem Fachvokabular betitelt,
„weiß“ der Theatertext „Corpus Delicti“
um die Fantasiebegabung seiner Autorin.
„Gesundheit ist nicht Durchschnitt, sondern gesteigerte Norm und individuelle
Höchstleistung“, heißt es im „Vorwort“,
das seinerseits dem „Vorwort“ eines im
Jahr 2047 erschienenen Buches entnommen ist. „Corpus Delicti“ ist ein Stück SciFi-Theater, das um den endzeitlichen,
anti-utopischen Resonanzraum von „Process“ über Orwell bis „Demolition Man“
weiß. Fantasiebegabt arbeitet Zeh ihr
juristisches Fachwissen auch in diesen
Text hinein. Nur eben verfremdet, erweitert. Ihre eine Existenz recherchiert
gewissermaßen in der andern – um dann
etwas eigenes daraus zu machen.
Verfahrensfehler – juristischer
wie literaturwissenschaftlicher Natur –
sind bei Schily auszumachen, weil er die
reale Verfassungsbeschwerde partout
nicht von der erfundenen Geschichte der
Biologin Mia Holl trennen kann, die sich –
als gerade noch so systemimmanenter
aufklärerischer Lichtblick – gegen den
penibel reinlichen gesellschaftlichen Kollektiv-Körper stellt. Kennte er das Stück,
würde Schily sehen, wie nah sich politische Schriftstellerei mitunter an Gesellschaft entlang schreibt. Und würde – ertappt – auch die Fantasiebegabung der
Schriftstellerin Juli Zeh weniger loben.
< Tim Schomacker
„Corpus Delicti“ hat am 19. März
in der Regie von Anja Wedig
in der Schwankhalle Premiere.
Fee getroffen
ALLES
IST
MUSIK
Nachdem ich meiner Fee mitteilte, was auf meinem Themenzettel
stand (Über das Verschwinden und das
Auftauchen von Musikveranstaltungen in
diversen Lokalitäten mit unterschiedlichen Qualitäten), erzählte mir meine Fee
das Märchen über das Pepperland. Dort
fielen eines Tages die Musik hassenden
miesen Blauen ein und Sgt. Pepper's
Lonely Hearts Club Band wurde in einer
Blase gefangen genommen. Pepperland
wurde dadurch total farblos und war
dem Angriff der Blaumiesen hilflos ausgeliefert. Der Bürgermeister schickte
den ollen Fred mit seinem gelben Unterseeboot los, um die Beatles zu holen,
damit diese mit ihrer Musik die Blaumiesen vertreiben sollten. In Pepperland angekommen, gelingt es den Beatles mit
ihrer Musik, die Blaumiesen zu besiegen
und Pepperland zu befreien. Was für eine schöne Lektion. Das heisst doch nichts
anderes, als das wir überall Musik machen müssen. Herzschlag, Puls, Schwingungen. Musik hält sich an keinem Ort
fest, Musik bewegt und lässt die Wände
wackeln. Schuppen, Wiese, Theater, Club
– schwarze Löcher. Strings im Universum und an der Gitarre. Und die Fee
fängt an zu singen:
There is nothing you can do
that can’t be done
Nothing you can sing
that can’t be sung
But you can learn how to play the game...
Danke liebe Fee, ich habe wieder etwas
verstanden: Alles was wir tun ist Musik.
Man muss nur richtig hin hören. Wir
kommen dann schon. It’s easy!
< Renate Heitmann
Liebesbrief
AN DIE
ANONYME
PUPPE
Ich weiß, dass es mit uns nichts
wird. Es war von Anfang an eine verkorkste Geschichte, und vielleicht liegt es ja genau daran, dass ich immer wieder an Dich
denke. Du – das ist das Bild von Dir, das ich
im Kopf behalten werde – hast einfach die
Hosen runtergelassen. Und hast kein Wort
gesagt. Kunststück, wenn man keinen Kopf
hat, wie Du, könntest Du sagen, könntest
Du etwas sagen, und noch dazu aus Hartplastik besteht. Aber das ist es ja eben:
Dieser Kunststoff ist vom Hersteller so
modelliert, dass Du, natürlich!, den Männchen-Blick anziehst. Schon die ganze Körperhaltung ist, ganz sicher, ein Zitat erotischer Kunst. Auch hat Dich Dein Hersteller mit wohlgeformten Brüsten inklusive Nippeln, ja sogar, was mich am meisten verblüfft, mit einem Bauchnabel ausgestattet. Gerade diese Detailversessenheit – schließlich wärst Du, im Normalfall,
nur ein Kleider-Ständer – hat, im Zusammenspiel mit Deiner Kopflosigkeit etwas
Beschämendes, weil: Dass die Werbefuzzis mit den Primärreizen einer Damenbekleidungs-Schaufensterpuppe so viel Aufwand betreiben, heißt ja – ach du Scheiße!, ist das verkorkst. Indem Ihr Eure Hosen runtergelassen habt, also Du und Deine drei Schwestern, scheint Ihr Euch jedenfalls irgendwie zu emanzipieren, auch
wenn Euch dafür noch immer kein Kopf
wächst. Ihr seid nackt: Das macht alles
überdeutlich. Ihr steht zusammen auf einem schwarzlackierten Podest, als Protestgruppe. Deine Schwestern haben weiße
Transparente um, an Dich gelehnt ist ein
rotes Schild, mit Heftpflaster ist ein Zeitungsausriss draufgeklebt, „Iraq pounded“, der Irak sei zerschmettert, verkündet die Headline. Und: „Not in My Name!“,
ist, in wütenden schwarzen Blockbuchstaben, drunter gekrakelt. Ich finde das
cool, das würde ich Dir gerne mal sagen,
versteh das bitte nicht als Anmache, so
ist das nicht gemeint. Glaube ich. Bloß ich,
ich habe noch nicht einmal gefragt, wie
Dein Name lautet. < Benno Schirrmeister
Josephine Meckseper bis 4. Mai in der GAK
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10.03.2008
0:13 Uhr
Mi. 5. 3., 21 Uhr
steptext dance project & anda:
CORPS SOLIDE + GILLES WILENSKI
Tanz Bremen, Schwankhalle
Choreographisches Doublefeature mit einer den Ursprüngen des
Tanzes in Ritual und Trance nachspürende Soloarbeit des langjährigen DietrichTänzers Gilles Wilenski und einer musikalisch-tänzerischen Recherche von
steptext und ANDA.
7. + 8. 3.
DE LOOPERS
ACH, WÄRE ICH NUR...!
Tanz Bremen, Schwankhalle
Seit bald zehn Jahren entwikkelt der in Utrecht geborene Bremer
Wilfried van Poppel Tanztheater für
Kinder und Jugendliche. Für die neue
Produktion „Ach, wäre ich nur...!“ loten
die beiden Tänzerinnen Amaya Lubeigt
und Tina Havers das Spiel mit den Rollen
aus, in dem sich gesellschaftliche
Strukturen und das Regelwerk der
Phantasie gelegentlich treffen. Mit tänzerischer Leichtigkeit entsteht dabei
etwas eigentlich sehr Ernstes: Eine
Seh-Schule, in der nicht nur die jungen
Zuschauenden ihren Blick auf die Welt
erproben können.
Sa. 8.3., 19.30 Uhr
DONA ROSA UND ENSEMBLE
ALMA LIVRE
St. Petri Kirche, Oyten
Ab und an leistet sich die kleine Oytener Initiative Domino ein schönes, wohl ausgewähltes Konzert. Zuletzt
war Jasper van’t Hof an der Orgel zu erleben. Jetzt kommt die blinde Fado-Sängerin Dona Rosa mit ihrem kleinen Ensemble. Vor ein paar Jahren konnte man
sie noch in den Straßen von Lissabon
erleben. Inzwischen hat u.a. André
Heller für größere Popularität gesorgt.
Sa., 8. 3., 20 Uhr
RINGELNATZ, Music Hall Worpswede
Fr. 14. 3., 20 Uhr
NAGELRITZ, Schwankhalle
Die beste vorstellbare Ringelnatz-Interpretation hat anlässlich der
Dichtermuseumseinweihung in Cuxhaven seinerzeit der lokale Shantychor geliefert. Schräg-maritim as schräg-maritim can be präsentieren sich aber auch
der 3-Seemeilen-Kapellmeister Nagelritz solo in der Schwankhalle und – bereits am 8. März in der Worpsweder
Music Hall – Schauspiel-Urgestein Erwin
Wirschaz. Dessen Ringelnatz-Abend mit
Klavier- und Bassbegleitung entsprang
übrigens einem Zufall während der dortigen „Rössl“-Produktion.
So. 9. 3., 20 Uhr
FERIDUN ZAIMOGLU
LIEBESBRAND
Schwankhalle, Ostertorsteinweg 112
Ab 9.3., 20 Uhr
CIRCUS QUANTENSCHAUM
YES – ALLES KEHRT WIEDER
Concordia, Schwachhauser Heerstr. 17
An altgedienter neuer Spielstätte – der wiedererfundenen Concordia – setzt Quantenschaum seinen interdisziplinären Erfindungsreichtum fort:
Mit tanzendem, jonglierendem, musizierendem und rezitierendem Personal
widmet sich Regisseurin Annette Leday
der wunderbaren Welt des In-OrdnungBringens. Die Gegenwelt des, kurz
gesagt, Putzens bildet alles Chaotische.
Textliche Basis dieser ordnenden
Bühnenarbeit ist Sally Potters eigensinnig-jambisches Filmskript „Yes“. Saubergemacht wird bis zum 6. April jeweils
mittwochs bis sonntags.
Mi. 12. 3., 20 Uhr
IMPROVISATIONEN 125
SPEAK EASY
Weserburg, Teerhof 20
In der US-Prohibitionszeit und
in der südafrikanischen Apartheid-Ära
waren Speakeasies klandestine Kneipen.
In der MIB-Reihe Improvsationen ist es
ein Konzerthighlight mit dem charismatischen Vokalisten Phil Minton in der Mitte.
VON JULI ZEH
AB 19. 3.
IN DER SCHWANKHALLE
JUNGES THEATER BREMEN
19., 21. bis 23., 26. 3., 20 Uhr
CORPUS DELICTI
VON JULI ZEH
Junges Theater, Schwankhalle
Die größte One Man Band der
Welt machte keine Musik, sondern Filme:
Orson Welles, sauber gestartet mit „Citizen Kane“, unsanft gelandet im Finanzierungschaos. Aber gefühlte tausend
Jahre produktiv. Zur Teilnahme am Bremer One Man Band-Festival, kurz:
B.O.M.B., berechtigt die gleichzeitige
Bedienung von zwei oder mehr Instrumenten auf der Bühne. Zehn Vertreter
der Zunft in der Tradition von Straßenund Wandermusikanten, von Blues und
Post-Punk treffen sich im März in der
Spedition. Herkunft: Von Australien bis
Vereinigte Arabische Emirate. Einen
Vorgeschmack
gibts
unter:
www.myspace.com/bombfestival.
Juli Zeh ist natürlich vor allen
Dingen als junge Romanautorin ein Begriff, selbst wenn das Junge Theater
schon ihren Roman „Spieltrieb“ auf die
Bühne brachte. Mit „Corpus delicti“ hat
Zeh im vorigen Jahr ihr erstes Theaterstück publiziert. Anja Wedig inszeniert
das Sience-Fiction-Stück über eine
Gesellschaft, in der Sauberkeit und
Gesundheit oberste Gebote sind.
Do. 20. 3., 20 Uhr
K.I.Z.:
IRGENDWER MUSS ES JA MACHEN
Tower, Herdentorsteinweg 7a
Wenn die Straße ruft, muss
der Hund folgen – keine schlechte Einstellung, wenn man seine Tour in Bremen starten will. Garniert mit so manchem Griff in die Klamottenkiste des Pop
kommentieren K.I.Z. aus Berlin BattleRap und Rap-Battles gleichermaßen.
Sa. 22. 3., 20.30 Uhr
TED MILTON
BEST OF BLURT
Lila Eule, Bernhardstraße 10
Sa. 15. 3., 20 Uhr
VELVETONE
YIP YIP!
Lagerhaus, Schildstraße 12-19
Bei den beinharten RockabillyFans, die den Rock’n’Roll eigentlich nur
akzeptieren, wenn Standschlagzeug und
Kontrabass dabei sind, sind die Vier von
Velvetone nicht übermäßig gut angesehen, denn sie verweigern sich dem Diktat. Ohnehin ist es schon lange kein
Rockabilly mehr, was Tammo Lüers & Co
da rocken: Die Band ist auf Rootsrock
abonniert, legt auch schon mal einen
Touch Country- und Bluesrock darunter.
Bei ihrem nagelneuen Album „Yip-Yip!“,
das sie nun live vorstellen, hat die Band
erstmals alle Songs selbst geschrieben.
Di. 18. 3., 21 Uhr
LITTLE CHARLIE
& THE NIGHTCATS
Moments, Vor dem Steintor 65
AUSWÄRTSSPIEL
Ted Milton ist Blurt und liebt
Punk. Er war schon Ende Dreißig, als er
1980 erstmalig zum Saxophon griff, ein
bisschen Unterricht nahm und ziemlich
bald die Band Blurt gründete. Seitdem
hat ihn das Sax nicht mehr losgelassen
und er bläst es bemerkenswert brachial.
Bei Blurt regieren nämlich die PunkFormate in allen erdenklichen Varianten.
Sa. 22. 3., 19.30 Uhr
DARTZ!
THIS IS MY SHIP
Lagerhaus, Schildstraße 12-19
Manchmal fragt man sich, wo
britische Rockmusik ihre immer neue
Neuauflage nun schon wieder ausgegraben hat. Aus Middlesbrough mischt sich
seit einiger Zeit das Post-Punk-Trio
Dartz! ein. Traditionsbewusst zu sein
und zugleich gegenwärtig tanzbar, so
lautet das Dartz!-Erfolgsrezept: Treibend, intelligent, immer auf den Punkt –
aber immer auf einen anderen. Darum
klingen Dartz!-Stücke altvertraut, ohne
dabei retro zu sein.
Wo veröffentlicht ein USBluesmann, der auf sich hält? Na klar,
auf dem Alligator-Label. So hält es natürlich der Gitarrist Little Charlie Baty,
der seit Ewigkeiten seine Alben auf dem
Label publiziert. Nach einer kleinen
Ewigkeit machen Little Charlie & The
Nightcats mal wieder Station in Bremen.
Bis 27. 4.
JOSEPH W. HUBER
DENK-ZETTEL AUS’M OSTEN!
Weserburg, Teerhof 20
++
Wer verpasst hat, wie Tim Fischer im
vorigen Juli den Georg Kreisler gab in
Georg Kreislers renitentem Künstlerrückblick „Adam Schaf hat Angst“, und
wer außerdem nicht warten will, bis Tim
Fischer als „Zarah ohne Kleid“ demnächst wieder nach Bremen kommt, wer
außerdem die scharfzüngig-zynischen
Lieder von Kreisler immer schon für das
Allerbeste hielt, wer also glaubt, ohne
„Adam Schaf hat Angst“ der Frühjahrsmüdigkeit nicht mehr entkommen zu
können – also der, der muss eben nach
Oldenburg fahren, denn dort gibt Tim
Fischer (7. 3., 20.30 Uhr, Kulturetage)
Georg Kreisler in Georg Kreislers EinMann-Schau „Adam Schaf hat Angst“.
Bis 4. 5.
THOMAS KAPIELSKI: BENÖTIGT
WASSER DEN FREISCHWIMMER?
Künstlerhaus, Am Deich 68/69
AU F D I E O H R E N
„Schwankungen“ im Ohr
JAMBANDS - MUSIK FÜR MUSIKER?
14. + 15. 3., 20 Uhr
BREMEN ONE MAN BAND FESTIVAL
Spedition, Güterbahnhof
++
Dies Bildnis ist bezaubernd
schön, beginnt eine berühmte MozartArie. Für Musiktheater hat Zaimoglus
aktueller Protagonist David wenig Zeit.
Denn gleich nachdem ihn eine engelsgleich erscheinende Frau nach einem
Busunfall notversorgt hat, entschwindet
die Gute. Auf Nimmerwiedersehen? Zwei
Jahre nach seinem Romanerfolg „Leyla“
erkundet der 1964 geborene Zaimoglu
die Romantikkompatibilität der Gegenwart – und schickt seinen liebeskranken
Ex-Broker David auf eine Reise mit ungewissem Ausgang.
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Weil nur staatliche Stellen
Postkarten drucken durften, musste
Huber seine Taschenkunstwerke „Kleingrafiken“ nennen. Tat er reichlich. Dazu
Fotos der SCHILDERungen-Serie: „Brathähnchen. Hier klingeln.“ Bild heißt: „Garantiert keine Montage“ und ist auch keine.
Manchmal denkt man: Was
kann der eigentlich nicht? Nasenflöte
spielen, Bücher schreiben, Kunst machen und Bier trinken. Kapielski ist
längst Standard. Diesmal beißen Hausschuhe und fummeln Zahnbürsten.
Selten sind Wortgewalt und Lakonie so
dicht bei einander.
Zu Lesen
WORT UND FLEISCH.
KINO ZWISCHEN TEXT UND KÖRPER
Bertz + Fischer
Für den Fall, dass irgendwer
vor lauter Raumsuche für das wallemüde Kino 46 vergisst, worum es eigentlich
geht, erinnert der frische Dokumentationsband zum letztjährigen Symposium.
Zwischen „Wort und Fleisch“ aktualisiert
das Körper/Text/Bild-Medium Kino ausdauernd die alte Woyzeck-Frage: Wer
das lesen könnt! Dabei sind nicht nur
Filmausschnitte auf CD-Rom, sondern
auch Film-Texte unter anderem des immer eleganten Richard Dyer (über Lena
Horne), des immer überraschenden
Klaus
Theweleit
(über
Méliès’
Mondreise) und der immer präzisen
Christa Blümlinger (über Fassbinder).
Zu Hören
MORE DIRTY LAUNDRY
THE SOUL OF BLACK COUNTRY
Trikont
Welcher große Soulsänger
hätte denn kein Countryalbum aufgenommen, fragt der große Soulsänger
Andre Williams, nachdem er sein Countryalbum aufgenommen hat. Nacherzählt
vom Musikjournalisten Jonathan Fischer
im fröhlich-erhellenden Begleittext der
zweiten Dirty-Laundry-Kompilation. Wie
Brown, Burke, Womack und Turner
Country interpretieren, stellt Fischer
vor und setzt mit seinem Kommentartext da an, wo jener zu Vol. I aufgehört
hatte; bei der Bedeutung des Rundfunks
für die Entwicklung der (nicht nur Black)
Music im 20. Jahrhundert. Großes
Thema; kleiner, feiner Beitrag dazu.
Ab 18. 3.
KLEZMER – HEIJMISCH & HIP
Kulturkirche Stephani
& Volkshochschule Bremen
In der Kulturkirche St. Stephani wird die Wanderausstellung „Klezmer – hejmisch & hip“ eröffnet, die bis
zum 26. April dort zu betrachten ist.
Klezmer, also die traditionelle Musik der
osteuropäischen Juden, ist natürlich vor
allen Dingen auch eine Sache zum Hören.
Deshalb gibt es im Rahmen der Ausstellung eine ganze Reihe von Vorträgen,
Workshops, Filmen und Konzerten,
zumeist rund um die Kulturkirche und in
der benachbarten Volkshochschule. Die
Bremer Band Klezgoyim veranstaltet
ihre 10. Bremer Klezmernacht mit vier
Bands quasi zur Finissage der
Ausstellung am 25. April.
+++++ BLOGBUSTER +++++
www.rebooters.net ist nicht eigentlich
ein Blog: Denn in den Salons, die den
Hintergrund dieser Website bilden, wird
noch handelsüblich debattiert und
gegrübelt, erzählt und ausgetauscht. In
NYC und Toronto und anderen nordamerikanischen Städten geht es vornehmlich um zeitgemäße & zeitgenössische
nordamerikanische jüdische Identitäten.
Anlass dieses Hinweises ist das Musiktheaterstück „Raoul“, das derzeit im
Theater Bremen läuft, bzw. dessen
Komponist: Der heißt Gershon Kingsley,
wurde 1922 in Bochum geboren und hat
dem legendären Moog-Synthesizer zu
Weltruhm verholfen. Unter dem Titel
„God is a Moog“ hat reboot 2005 Kingsleys „electronis prayers“ reissued. Als
schräges Bruchstück der durchaus
freudvollen Bergungsarbeiten in Tradition und Gegenwart. Passend zum Titel
der (auch online) durchaus lesenswerten Zeitschrift: „Guilt & Pleasure“.
„The Good, the Bad and the Ugly“ gräbt in der Musikgeschichte: Die
Jambandszene ist ein US-amerikanisches Phänomen, das in Europa nur
bedingt Bedeutung erlangt hat. Ausgehend von der Band Grateful Dead, die in
den 60er und 70er Jahren stundenlange Improvisationen vor tausenden von
Fans aufführten, haben sich nach deren Ende Mitte der 90er Jahre eine Reihe
von Bands gefunden, die diesem Erbe Tribut zollen. Phish als erfolgreichstes
Beispiel füllten in den letzten 15 Jahren Stadien mit bis zu 100.000 Besuchern
mit langen Improvisationen und alles anderem als leichter Kost.
Viele Bands haben ihren Ursprung im Rock, Country, oder aber auch
im Jazz und Funk. Diese Stile werden transzendiert, vermischt und in andere
Sphären überführt. Dabei steht nicht nur die spannungsgeladene Interaktion
der Musiker im Vordergrund, sondern immer maßgeblich das Spiel mit dem
Publikum. Die Sendung gibt einen Überblick über wichtige Vertreter des Genres
und fragt, ob es sich bei Jambands nur um Musik für Musiker handelt, oder ob
auch der "normale" Musikkonsument seinen Spaß mit dieser Musik haben kann.
< Kai Stührenberg
“The Good, the Bad and the Ugly – Jambands” ist am/ab Donnerstag, 20. März,
um 24 Uhr auf UKW 92,5 oder unter www.schwankungen.de zu hören.
Anderswo on air
PEEL HÖRT MIT
Das in Hamburg beheimatete Webradio ByteFM ist einer der aussichtsreichsten Versuche, gutes und zeitgemäßes Musikradio zu machen: Da
soll einer sagen, dem Musikradio ginge jenseits der öffentlich-rechtlichen
Spielregeln die Höflichkeit ab – „Ich bin Niclas Breslein und bedanke mich für die
Aufmerksamkeit“, sagt Niclas Breslein am Ende einer Doppelstunde über das
Chicagoer Americana-Label „Thrill Jockey“. Die Sendung, die Breslein im
Wechsel mit ByteFM-Initiator Ruben Jonas Schnell und anderen moderiert,
heißt „Zimmer 4 36“. Im „Mixtape“ erzählen Clubbesitzer von ihrer musikalischen Kleinarbeit, bei „In der Rille liegt die Kraft“ mixen Hamburger DJs exklusiv, „Rumble“ verrät Spürsinn und Grabungsanstrengung mit Blick auf die röhrenverstärkte Frühphase der Tonträgermusik. Der Frankfurter Radio-DJ-Held
Klaus Walter sendet hier einen „großen Bob Dylan-Gipfel“. Und das ist immer
noch nur ein kleiner Ausschnitt dessen, was knapp vier Dutzend regelmäßige
Gast-Redakteure seit Januar über den vom Hauptsponsor eigens gebastelten
Web-Player schicken – für eine monatliche Hörerinnenzahl, die bald die
100.000er-Marke durchbrechen dürfte.
„Wir machen ein Programm für eine dann doch gar nicht so kleine
Minderheit“, sagt der studierte Musikwissenschaftler und SchallplattenkritikJuror Schnell. Sein Name ist bei ByteFM gerade nicht Programm, das höchste
Gut ist hier die Zeit. Denn im Grunde besteht ByteFM ausschließlich aus Sendungen, wie sie sonst zu bisweilen undankbaren Tageszeiten zu laufen gezwungen sind. Hier laufen diese Sendungen rund um die Uhr, das Versenden im Web
macht’s möglich. Hat das Internet seinerseits nicht das Radiomachen verändert? „Am Radiofeeling beim Produzieren ändert das nichts“, sagt Schnell.
„Verändert hat sich die Recherche. Und mein Blick. Obwohl das Anfassen von
Tonträgern sehr wichtig ist, glaube ich mittlerweile, das Thema Tonträger hat
sich erledigt.“ ByteFM mag selbst Indikator dieser Veränderungen in der
Musikproduktion sein. Aber einer, der auch zeigt, was nicht kleinzukriegen ist:
„einfach viel Bock auf Musik, das ist das Wichtigste!“, sagt Schnell.
<Tim Schomacker
ByteFM ist rund um die Uhr unter www.byte.fm zu hören. Am Samstag, 22.
März um 13 Uhr senden die Schwankungen ein ausführliches Sender-Portrait.
Radio on Screen
TALK TO ME (2007)
Mit der schönsten Invasion eines Radiosenders seit Welles’ “War of
the Worlds” betritt Ralph Waldo ‚Petey’ Greene (Don Cheadle) die Räume von
WOL-AM in Washington, D.C. Er betritt sie nicht nur, er dringt in sie hinein wie
einer jener Liebenden in Heimito von Doderers Romanen. Petey Green liebt das
Radio. Nach „The Departed“ darf Martin Sheen noch mal den alten, liberalen,
guten Boss geben. Doch was aus dem Vorzimmer in seine Redaktionssitzung
klingt, ist auch ihm zu viel. Er rennt hinaus. Und sieht einen radiostimmlich
hochbegabten (was er noch nicht weiß) Ex-Knacki (was er noch nicht weiß),
der den kleinen Sender bald retten soll, indem er den musikalischen
Generationswechsel vollzieht – von Old-School-R’n’B zur politisch bewussten
Funkära. Auch das weiß der Sendeleiter naturgemäß noch nicht. Zunächst
sieht er nur den extravagant ausstaffierten Maulhelden Green und dessen
Freundin Vernell, die in knappster Garderobe seinen Mitarbeitern den Kopf
verdreht. Zu viel für den gemächlichen Produktionsalltag im für die Zeit sehr
liberal zusammengesetzten Sender.
Wir schreiben die späten 1960er Jahre. Kasi Lemmons’ Biopic „Talk
to Me“ nähert sich – manchmal ein bisschen zu zeitbildverliebt und nacherzählend – einer Figur, die in der historisch wichtigen Phase immer beides zugleich
ist: draußen (Gefängnis ist nicht Freiheit, Studio ist nicht Straße) und mittendrin. Denn Greene (in Wirklichkeit 1931 geboren und wegen eines bewaffneten
Raubüberfalls im Knast gelandet) versteht die Menschen in Washington. Nicht
nur musikalisch. Mit dem jungen, aufstrebenden Radioproduzenten Dewey
Hughes (Chiwetel Ejiofor) hat er einen Black Brother an der Seite, der ihn –
ohne es anfangs recht zu merken – vom Prison-DJ zum Radiostar macht und
ihm später bester Freund wird. Und Dialogpartner, vor allem wenn es um das
Wie? der schwarzen Bürgerrechtsbewegungen geht. Entsprechend eng ist
Greenes Radio-Geschichte mit der politischen Martin Luther Kings verknüpft.
Als der 1968 ermordet wird, leben Greene und Hughes ihren radiophonen
Traum von einer Sache – und wandeln die beginnenden Washingtoner Riots in
selbstermächtigende Besonnenheit um. Ein rührendes Stück RundfunkmagieDarstellung, dem ein bisschen weniger Kostümfilm gut getan hätte.
<Tim Schomacker
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Redaktion: Eva Oelker, Carsten Werner,
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