Gäste des Lebens

Transcription

Gäste des Lebens
dradio.de
http://www.dradio.de/dkultur/sendungen/religionen/1323021/
RELIGIONEN
20.11.2010
5 Für Viele ist es immer noch ein Tabu, über Krankheit und Tod zu spre-
chen (Bild: AP)
Gäste des Lebens
Über Sterben in Würde
Von Susanne von Schenck
10 Der Tod war lange Zeit ein Tabuthema - wie auch der
Eintritt ins Leben fand er meist nur in Krankenhäusern
statt. Das Thema Sterben kehrt langsam wieder in die
Gesellschaft zurück, nicht zuletzt durch Diskussionen
um Patientenverfügungen und Sterbehilfe.
15 Jeden Morgen gegen 10 Uhr verlassen die Assistenzärz-
tin Cornelia Rienäcker und die Krankenschwester Bettina Junge die Universitätsklinik Jena. Die Krankenschwester hat eine Palliativ-Zusatzausbildung: Neben
der medizinischen Pflege gehört auch die psychologi20 sche und seelsorgerische Begleitung von Schwerstkranken dazu. Die beiden Frauen kümmern sich täglich um
vier bis fünf Menschen, die am Ende ihres Lebens stehen und nun zuhause ärztlich und pflegerisch versorgt
werden müssen.
25 Der erste Patient, den sie besuchen, wurde vor fünf
Tagen aus der Klinik entlassen: Der Darmtumor hatte
Metastasen gebildet und die Chemotherapie bei dem 66Jährigen nicht angeschlagen. Jetzt liegt er im Bett, mit
eingefallenem Gesicht, blass, mager, kaum ansprechbar.
30 Seine Frau ist plötzlich mit seinem nahenden Tod konfrontiert.
"Er war vorher überhaupt nicht krank, ich darf nicht
drüber nachdenken. Es ist eigentlich unmenschlich, zu
sehen, wie ein Mensch zerfällt. Aber was soll's. Es ist
35 der Lauf der Zeit, des Lebens überhaupt. Man muss sich
damit auseinandersetzen, aber es ist so schwer zuzugu-
cken. Man kann nichts machen. Irgendwo ist man so
hilflos, dass ich überhaupt nicht damit klarkomme."
Keiner denkt gerne ans Sterben. Und doch kommt der
40 Tod täglich, in Altersheimen, Krankenhäusern, auf der
Straße, zuhause - mal still und leise, mal gewaltsam und
laut. Auch wenn, nach langen Jahren des Stillschweigens, das Sterben als Thema in die Gesellschaft zurückgekehrt ist, so ist es für viele Menschen immer noch ein
45 Tabu, über Krankheit und Tod zu sprechen. Denn damit
ist vieles verbunden, was in unserer leistungsorientierten Gesellschaft keinen Raum haben darf: Schwäche,
Abhängigkeit von anderen, Schmerzen. Mit dem Prozess des Sterbens und dem Tod sind die wenigsten ver50 traut. Den ersten Toten sehen die meisten erst in fortgeschrittenem Alter. Vor zwei, drei Generationen war das
noch anders, erinnert sich Erhard Weiher, Seelsorger aus
Mainz und Buchautor. Was er über seine Großeltern erzählt, ist heute kaum noch vorstellbar: einerseits die
55 klare Vorstellung eines Lebens nach dem Tod, andererseits eine zum Leben dazugehörende Vorbereitung auf
den Tod.
"Mein Großvater ist, das war vor 50, 60 Jahren inzwischen, der ist mitten im Sterbekoma aufgewacht und hat
60 gesagt: 'Ach, ich hab geglaubt, ich wäre schon drüben.
Jetzt bin ja doch noch mal hier.' Und diese Ideenwelt
war ganz tief im Menschen verankert. Meine Großmutter hat mich einmal abends ans Bett gerufen, ich möge
ihr doch ein Taschentuch aus dem Schrank holen. Ich
65 hab dabei ein ganz langes, weißes Stück Stoff herausgezogen. Und da hat sie gesagt: 'Ach, leg' s wieder zusammen, das ist mein Totenhemd.' Das gibt es heute nicht
mehr. Also, wir hatten diese Art von Kultur, in die der
Mensch hinein genommen war, die musste man sich
70 nicht aneignen, da ist man hineingewachsen, die haben
wir heute nicht mehr, und von daher müssen wir das neu
lernen."
Denn irgendwann müssen wir alle durch das Tor, das
wir Tod nennen. Was sich dahinter verbirgt, übersteigt
75 unser Vorstellungsvermögen. Was passiert, wenn ich
diese Welt verlasse? Komme ich in den Himmel? In die
Hölle? - das fragten sich die Menschen im Mittelalter
voller Angst.
In unserer Gesellschaft hingegen fürchtet man sich mehr
80 vor dem Prozess des Sterbens selbst. Schreckensvorstel-
lung: Dement im Pflegeheim einsam und entmündigt
vor sich hinzusiechen. Oder: in Kliniken künstlich an
Apparaten an einem Leben zu hängen, das nicht mehr
lebenswert erscheint. Manche lassen es erst gar nicht so
85 weit kommen, sondern bestimmen ihr Ende selbst und
lehnen lebensverlängernde Maßnahmen ab. Sterbehilfe
und Patientenverfügung sind die Stichworte, sagt Andreas Heller. Er leitet den Lehrstuhl für Palliative Care
und Organisationsethik an den Universitäten Klagenfurt,
90 Graz und Wien. Die interdisziplinäre Einrichtung ist in
Europa einmalig. Der Schwerpunkt der Arbeit: eine
Kultur der Hospiz- und Palliativversorgung in das gesamte Gesundheitssystem zu integrieren. Und das ist gar
nicht so einfach.
95 "Die moderne Gesellschaft, die den Menschen leis-
tungsorientiert und selbstbestimmt sieht und in einer ho-
hen Flexibilität, mutet uns eigentlich allen zu, dass wir
nicht nur unser Leben gestalten, sondern auch das Sterben gestalten, bis hin in die Patientenverfügung, die uns
100 vor die Zumutung stellt, Situationen vorwegzunehmen,
die man sich nicht vorstellen kann. Und unterschätzt
dort völlig die Notwendigkeit menschlichen Lebens in
den Brüchen, in den Erschütterungen der eigenen Biografie auf Beziehungen zu anderen, die für mich Sorge
105 tragen, die Sorgen für mich übernehmen. Wir diskutieren menschenwürdiges Sterben unter anderem sehr stark
unter diesem Beziehungsaspekt. Natürlich ist notwendig
eine gute medizinisch-pflegerische Versorgung einerseits, und auf der anderen Seite hat der Soziologe Nor110 bert Elias sehr schön gesagt: Das Problem der Moderne
ist die Einsamkeit des Sterbens und der Sterbenden."
In einer Welt, in der mehr und mehr Singles leben,
nimmt die Einsamkeit zu. Wer wird sich um sie kümmern, wenn es keine Familie gibt? Wer kann sie auf
115 dem letzten Weg begleiten? Wird die Zahl der Pflegeheime und Palliativstationen zunehmen? An der Universitätsklinik Jena wurde ein solche im vergangenen Jahr
neu eröffnet. Ulrich Wedding leitet sie.
"Ich denke, wir müssen Angehörige weniger dann als
120 familiär-biologisch definiert sehen, sondern Angehörige
sind dann auch Freunde, sind ein Bekanntenkreis, sind
ein soziales Umfeld. Ich denke, die Entwicklung geht
dahin, dass die Einbindung in die Familie weniger relevant ist, aber der Freundeskreis immer mehr Bedeutung
125 gewinnt, und das ist Aufgabe schon zu aktiven Zeiten,
ein soziales Netzwerk zu haben, das möglicherweise in
solchen Situationen auch tragen kann."
Eine große Herausforderung rollt auf die Gesellschaft
zu. Da ist es erfreulich, dass inzwischen mehr Gelder
130 für die Einrichtung von Palliativstationen bereitgestellt
werden und dass in der Medizinerausbildung der Umgang mit dem Sterben thematisiert wird. Auch das Pflegepersonal ist sensibilisierter, wie der Mainzer Seelsorger Erhard Weiher beobachtet hat.
135 "Es stirbt heute keiner mehr im Badezimmer oder in der
fen kann, hin und wieder Mofa fahren und sich tagsüber,
wenn seine Frau arbeitet, selbst versorgen kann. Aber
der Tod ist in seinem Leben allgegenwärtig. Ob er sich
vorstellen kann, dass danach noch etwas kommt?
160 "Ich glaube eher nicht. Ja vielleicht zwei, drei Moleküle,
dass die dann mal übrig bleiben von mir, dass die in
einem anderen, in einem Maikäfer vielleicht rumfliegen,
das kann schon möglich sein. Aber so kompakt nicht."
Der Prozess, das Sterben anzunehmen, beginnt mitten
165 im Leben. Der mongolische Schamane und deutschspra-
chige Schriftsteller Galsan Tschinag schreibt dazu:
"Wenn wir schmerzarm und angstfrei sterben können
und nicht peinvoll sterben müssen, kommen wir am
Ende zu der Einstellung, sterben zu dürfen. Wir werden
170 würdig sterben. Man muss glauben, man muss an die
Güte der Natur, der Dinge, des Himmels glauben. Und
immer hoffen. Man muss zum All, zum Universum gut
sein. An das Gute glauben und zu allem, was es auch
sei, Ja sagen. Nicht zagen. Ja sagen immer, wenn es
175 auch der Tod ist. Also nicht vor dem Tod flüchten - das
ist Unsinn, wir können nirgendwohin flüchten. Alle
Ecken sind abgesperrt. Dem Tod entgegengehen, dann
hat man weniger Schmerzen. Aber dann, wenn es sein
muss, schnell entgegengehen."
180 Dem Tod schnell entgegenzugehen - das wird oft ver-
hindert und führt dazu, dass für viele Menschen der
Sterbeprozess voller Mühen ist: weniger Schmerzen
einerseits, langes Siechtum andererseits. Ulrich Wedding, der die Palliativstation der Universitätsklinik Jena
185 leitet, meint, der gute Tod sei ein Mythos.
"Oft gelingt es, Beschwerden zu nehmen und einen
sanfteren Tod zu erzielen, aber immer wieder erleben
wir auch hier trotz aller Möglichkeiten und Maßnahmen, die wir versuchen einzuleiten, dass das Sterben be190 lastend, anstrengend, mit Beschwerden verbunden sein
kann für die Patienten, für die Angehörigen und auch für
die Betreuenden. Auch mit allen Maßnahmen der Palliativmedizin werden wir nicht erreichen, dass es immer
einen sanften und guten Tod gibt."
Abstellkammer der Klinik. Das gibt es nicht mehr. Das
Personal weiß ganz genau, dass es hier um etwas ganz
Großes, Würdiges geht. Und die Pflegekräfte sagen
195 Um einen guten, begleiteten Tod bemühen sich auch
heute in einem Krankenhaus, wenn jemand verstorben
Mitarbeiter in Hospizen. Die Hospizidee stammt aus
140 ist zu den Angehörigen: Sie haben Zeit, nehmen Sie sich
dem Mittelalter: Damals dienten Hospize Pilgern auf
Zeit. Das war vor zehn Jahren nicht denkbar. Auch das
ihren Reisen als Herberge. Auch Kranke wurden dort
müssen wir sehen, dass sich etwas gewandelt hat."
gepflegt. Nach diesem Vorbild wollen die neuen HosBettina Jungen und Cornelia Rienäcker vom ambulanten 200 pize nun Herbergen für sterbenskranke Menschen sein.
Palliativteam sind auf dem Weg zum nächsten PatienAls ihre Begründerin gilt Lady Cicily Saunders. Weil sie
145 ten: ein ausgemergelter Mann im Trainingsanzug, geaktive Sterbehilfe strikt ablehnte, gründete sie in den
zeichnet von seiner Krankheit, freundlich und zuge1960er-Jahren in England ein Haus, in dem sie die letzwandt.
ten Tage eines Menschen möglichst angenehm gestalten
205 wollte - im Sinne christlicher Nächstenliebe. Ihre Idee
"Ich habe CLL, chronisch-lymphatische Leukämie. Ich
ging um die Welt. Der englischen Ärztin ist im Wesenthabe die schon zwölf Jahre lang, die Krankheit, die ist
lichen die Entwicklung der Palliativmedizin und der
150 nicht heilbar, aber man kann es eben rausziehen. RichHospize zu verdanken, sagt Andreas Heller, Leiter des
tige Schmerzen und so habe ich eigentlich während der
Lehrstuhls für Palliative Care und Organisationsethik.
Krankheit kaum kennengelernt. Die letzte Zeit bin ich
öfter in der Klinik wie am Anfang der Krankheit, aber
210 "Die Begründerin der modernen Hospizbewegung,
es geht eben noch."
Cicily Saunders, hat das ja auch einmal als Antwort auf
die Frage: Muss man ein Christ sein, um in der Hospiz155 Er freut sich, dass er nach so langer Krankheit noch lauarbeit tätig sein zu können? gesagt: Man muss so etwas
haben wie eine philosophische, spirituelle Basis. Man
215 muss jemanden haben, zu dem man gehen kann, wenn
man verzweifelt ist. Und ich finde, diese beiden Bedingungen, ein spirituelles, religiöses Gedankengebäude,
eine religiöse Orientierung zu haben einerseits und andererseits sie einzubinden in menschliche Beziehungen,
220 ist nach wie vor eine hohe Qualität, auch eine hohe spirituelle Qualität in dieser Arbeit."
Für viele Menschen verbinden sich mit einem würdevollen Sterben folgende Vorstellungen: Sie möchten bei
möglichst klarem Bewusstsein in die Familie integriert
und zu Hause sein. Sie hoffen, dass sie das eigene
275 Leben noch mal reflektieren und Beziehungen klären
können. Sie wünschen keine künstlich lebensverlängernden Maßnahmen, aber ausreichende Schmerzbehandlung.
Vielleicht hat derjenige weniger Angst vorm Sterben,
Religion, der Glaube an ein Leben nach dem Tod spieder als Schwerkranker um eine gute palliativmedizini280 len dabei eine untergeordnete Rolle. Christliches Gedansche Versorgung weiß. Die Patientin in Zimmer sieben
kengut ist hierzulande von einem Bündel an spirituellen
225 auf der Palliativstation in Jena fühlt sich dort jedenfalls
Richtungen abgelöst worden. Dahinter steht die Sehnbesser umsorgt als zuhause. Ihr Zimmer ist in hellen,
sucht nach einem Geheimnis hinter dem im Jetzt verhafwarmen Farbtönen gestrichen. Eine Glastür geht hinaus
teten Dasein. Im Umfeld des Sterbens spielt der
auf eine hölzerne Terrasse, von dort schweift der Blick
285 inzwischen überstrapazierte Begriff der Spiritualität eine
über einen sanft geschwungen grünen Hügel. Wie früher
große Rolle: Woher komme ich? Wohin gehe ich? In
230 Babys im Bettchen an die frische Luft geschoben worallen Kulturen ringen Menschen um Antworten auf die
den seien, so würden jetzt die Leidenden auf die Terrasfundamentale Frage, was Leben und Tod bedeuten und
se gerollt, erzählt die Sechzigjährige.
wie die Vorbereitung auf das Sterben gelingen kann.
290 Erhard Weiher, Seelsorger aus Mainz, hat damit täglich
"Man sagt ja, die Hoffnung ist das Letzte, was stirbt,
zu tun.
daran halte ich mich. Ich denke, das wird schon in Ord235 nung gehen. Manchmal ist man schon hoffnungslos, da
"Was ich erlebe, ist der Wunsch, gut aufgehoben zu
ist man depressiv, da weiß man nicht mehr. Wenn man
sein, also nicht, wird es im Himmel ein neues Leben
so starke Schmerzen hat und weiß nicht, was hinten und
geben, sondern werde ich auch im Tod und nach dem
vorne ist, da möchte man mit niemandem reden, da
295 Tod gut aufgehoben sein? Das scheint sich mir mehr als
möchte man einfach seine Ruhe haben. Und das hatte
Frage in der heutigen Zeit zu entwickeln, als die Frage:
240 ich in letzter Zeit nicht mehr, seitdem ich hier bin überGibt es ein explizites Leben nach dem Tod, werde ich da
haupt nicht und ich denke, das verliert sich bestimmt
moralisch zur Verantwortung gezogen oder nicht. Das
auch."
scheint mir sekundär geworden sein."
Die Patientin leidet an Eierstock- und Darmkrebs. Die
frühere Krankenschwester verdrängt, wie schwer ihre
245 Erkrankung bereits fortgeschritten ist. Nur wenige Tage
nach dem Interview ist sie gestorben.
"Ich bin nicht gläubig, aber ich denke, wer Glauben hat,
dem geht es besser. Meine Meinung: eine Erziehungsfrage. Ich weiß es nicht. Die haben bestimmt einen Halt,
250 die wissen, was sie tun, ich habe es nicht."
260
265
270
Prozesses, der nicht erst im Angesicht von Krankheit
und Sterben beginnt. Sie gehört zur menschlichen
Grundausstattung. Jeder, so Erhard Weiher, habe einen
"inneren Geist" - spiritus -, aus dem heraus er sein
305 Leben entwerfe und gestalte. Damit habe der Mensch
spirituelle Ressourcen, die auch bei Krankheit und Sterben aktiviert werden können.
"In meinem Beruf geht es darum, mit Patienten das zu
erkunden, was wesentlich war in ihrem Leben und was
310 sie sozusagen auf den Altar des Lebens legen können.
Das sind meistens ganz kleine, alltägliche Dinge, die
"Ich denke, gerade wenn man Christ ist, ist man schon
aber, weil sie in diesem Leben verwirklicht worden sind,
gläubig bis zur letzten Minute. Man klammert sich
eine ganz große Bedeutung haben. Und das gilt dann in
schon daran, dass man irgendwie etwas von sich wiederden Augen des Seelsorgers und den Augen des Mannes
findet, manche Erinnerungen, die sind doch auch was
315 der Kirche, ich steh ja für das Heilige, das gilt dem Heiwert. Ist schon in Ordnung, man möchte ja nicht mutterligen anvertraut, das gilt der heiligen Sphäre gesagt, in
seelenallein irgendwo da rumirren."
der man hofft, dass sie von dort her gewürdigt wird, obwohl es ganz kleine alltägliche, banale Dinge sind. ErSie ist Mitte fünfzig, die Haut ist eingefallen, die Knozählungen vom Hund, von den Enkeln. Da liegt das
chen treten hervor. Vor einigen Tagen wurde sie auf die
320 Glück der Menschen drin, darin haben sie etwas vom
Palliativstation verlegt, ihr Mann kann dort mitwohnen,
großen Heiligen erfahren."
die Tochter kommt täglich zu Besuch. Sie erzählt, dass
ihre Mutter sich hier geborgen fühle.
Bettina Jungen und Cornelia Rienäcker vom ambulanten
Palliativteam sind einmal quer durch Jena gefahren, um
"Auf der Station, wo die Mama vorher war, die waren
Kranke zu besuchen.
auch total engagiert, die Ärzte haben alles versucht, aber
da kommen halt Ärzte rein, die knallen einem irgend325 "Manchmal fahren wir auch hin, wenn medizinisch gar
welche medizinischen Fachbegriffe vor, wo man so danichts Wichtiges ist, sondern weil wir merken, die Ansteht, so bummbummbumm. Und hier ist es halt viel
gehörigen sind massivst überlastet und überfordert. Die
ganzheitlicher, wo es um die Mama als Mensch geht,
Angehörigen brauchen häufig diese Sicherheit, dass es
das hat viel zu tun mit Würde."
in Ordnung ist, so wie es zu Hause ist, dass es auch in
Die Schwerstkranke, die zwei Zimmer weiter liegt, fühlt
sich hingegen in ein großes Ganzes eingebettet.
255
300 Spiritualität ist Weg und Ergebnis eines lebenslangen
330 Ordnung ist, wenn der Angehörige zuhause stirbt. Und
dann sind die schon beruhigt, und es kann weitergehen."
Es geht hinauf auf einen der Berge, die Jena umgeben.
Ein schmaler, holpriger Weg führt zu einem Haus mit
schönem Gartengrundstück.
335 "Jetzt fahren wir zu einem Patienten, der letzte Nacht
verstorben ist, um noch mal kurz mit der Angehörigen
zu sprechen, wie es für sie war, ob alles in Ordnung war,
wie es ihr jetzt geht."
Die Frau des Verstorbenen wartet schon am Gartentor.
340 Sie umarmt die Schwester und die Ärztin, schluchzt, die
Stimme versagt ihr. Dann gehen alle ins Haus und setzen sich an den Küchentisch. Der Verstorbene war
schwer an Krebs erkrankt, in der Klinik konnte ihm
nicht mehr geholfen werden. In der Nacht ist er gestor345 ben und gleich in den frühen Morgenstunden abgeholt
worden. Seine Frau hat ihn auf seinem letzten Weg ein
Stück begleitet. Es war schwer, sagt sie. Einem Menschen beim Sterben beizustehen, bedeutet, ihn im "Loslassen" zu unterstützen. Abschied zu nehmen heißt, den
350 anderen gehen lassen zu können. Auch das gehört zu
einem würdevollen Sterben dazu.
Zum Thema - Buchhinweis: "Und was mach ich, wenn
ich tot bin? Eine Entdeckungsreise ins Leben danach"
heißt eine Sammlung von Texten, in denen 50 Men355 schen Auskunft geben, wie sie sich das nach dem Tod
vorstellen - und dabei viel über das Leben erzählen.
Darunter so bekannte Namen wie Margot Käßmann,
Eugen Drewermann oder Juli Zeh.
Das Buch wurde herausgegeben von Claudia Toll und
360 Iris Schürmann-Mock, ist erschienen bei Pendo, hat 272
Seiten und kostet 16,95.
© 2011 Deutschlandradio