bindungsspaziergang – gassi einmal anders

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bindungsspaziergang – gassi einmal anders
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BINDUNGSSPAZIERGANG –
GASSI EINMAL ANDERS
Gassi-Gänge, bei denen man eigentlich nur darauf aus ist, seinen Hund im Auge
zu behalten, damit er nicht zu weit wegläuft, stehen beim „Dog College Franken“
im bayrischen Fürth unter Quarantäne. Der Bindungsspaziergang fordert den Einsatz von Hund und Halter und stärkt deren Zusammenhalt.
MELANIE SCHMIDT,
Jahrgang ’73, studierte am Institut Kappel
und ist Gründerin des
Zentrums für Hundeerziehung Dog College
in Franken.
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„Ich habe mir damals meine Hündin
aus dem Tierheim geholt und gedacht,
ich könnte einfach ein bisschen mit ihr
Gassi gehen und ihr etwas zu fressen
geben“, berichtet Melanie Schmidt (38).
Der Gründerin des Zentrums für Hundeerziehung „Dog College Franken“ in
Fürth ging es wie vielen anderen ErstHunde-Besitzern auch. Denn Probleme
mit der charismatischen Mischlingshündin Sammy stellten sich rasch ein.
Sammy verselbstständigte sich immer
häufiger, vor allem dann, wenn andere Dinge interessanter waren als ihr
Frauchen. Darunter: Spielende Hunde,
Spaziergänger und Kinder oder einfach
nur ein gut duftender Grashalm am
Wegesrand.
„Das ist der Grund dafür, dass wir bei
uns die Bindungsspaziergänge an-
bieten“, berichtet Schmidt. Sie kennt
die Probleme der Hundeführer, die
immer wieder nach ihrem Vierbeiner
rufen und warten müssen, wenn man
gemeinsam auf der Hundewiese oder
im Wald unterwegs ist. „Wir wollen
erreichen, dass die Besitzer für Ihre
Tiere interessanter werden“, erklärt
die gebürtige Nürnbergerin. „Sie sollen
nicht nur als Futterlieferant gelten,
sondern vielmehr als spannender Wegund Spielgefährte.“
Dies wird über unterschiedliche Tricks
und Übungen erreicht. Egal, ob beim
Einmal-um-den-Block oder eine Stunde
Waldspaziergang am Wochenende:
Ganz schnell wird ein Stromkasten,
Hydrant oder ein liegen gebliebener
Baumstamm zum Abenteuerspielplatz
für das Mensch-Hund-Gespann. „Lucky
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und ich balancieren oftmals gemeinsam einfach drüber“, berichtet
Schmidts Kollegin Kerstin Eder (25).
„Aber auch kleine Gehorsamsübungen bieten sich auf Bänken, Baumstümpfen und anderen Gegenständen auf dem Gassiweg an.“ Da wird
das Kommando „Platz“ zu einer ganz
neuen Herausforderung. Denn erst
einmal ist es für die Fellnasen gar
nicht so einfach, das Gleichgewicht
zu halten.
Bordercollie Lucky (5) hingegen
ist Profi. Er liebt es, für Kerstin
Eder sogar „Männchen“ auf dem
schmalen und runden Untergrund
zu machen oder zwischen ihren
Beinen durchzulaufen. „Die Hunde
werden dabei nicht nur körperlich,
sondern auch geistig gefordert“,
erklärt Eder den Mehrfachnutzen
solcher Übungen. Das sei gerade
bei Arbeitshunden wie Bordercollie,
Australien Shepherd und Co. sehr
wichtig. Zwar könne man mit den
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Tieren auch stundenlang Radfahren, aber dadurch würden diese nur
zusätzlich hochgepusht - Auslastung
wird dabei nur wenig erfahren.
Dass viele dieser Rassen für ihre
Besitzer dann anstrengend
werden, weil sie zuhause
nicht zur Ruhe kommen, ist
also nicht verwunderlich.
Schließlich sind diese
Hunde einmal zur Arbeit
gezüchtet worden und
tragen diese individuellen Veranlagungen
weiterhin in sich.
Geeignet sind aber
prinzipiell alle Hunde für
Spaziergänge dieser Art.
Welche Größe die Fellnasen
haben, spielt dabei kaum eine
Rolle. Klar, dass der Chihuahua
vielleicht nicht locker aus dem
Stand auf einen 1,5-m-hohen
Baumstumpf springen kann. Aber
dann sucht man sich eben einen
kleineren oder hebt den Mini-Mexikaner einfach drauf. Den Rest kann
er dann alleine.
Oder man macht es wie Bindungsspaziergängerin Rike Mittermeier.
Die Bürokauffrau ist eine von rund
sechs Teilnehmern der besonderen
Gassi-Gruppe. Ihre Mischlings-Hündin Lea leidet an Spondylose (chronische Veränderung der Wirbelsäule).
Das schreckt Mittermeier aber nicht
ab. Im Gegenteil: „Wir machen regelmäßig bei den Bindungsspaziergängen mit. Das gibt ihm unheimlich
viel Sicherheit und Selbstvertrauen.“
Lea stammt aus Griechenland und
ist inzwischen zehn Jahre alt. „Natürlich kann sie damit nicht so gut über
Bänke springen“, erklärt die 35-Jäh-
rige. „Aber er kann ja auch einfach
zweimal drum herum laufen und
bekommt dafür sein Leckerli.“
Auch Geschicklichkeitselemente
bauen Melanie Schmidt und Kerstin
Eder regelmäßig in den 60-minütigen Spaziergang ein. „Ganz leicht ist
es auch, kleine weiche Leckerle in
Baumrinden verstecken. Am besten
auf einer Höhe, an die der Hund
gerade noch so rankommt“, nennt
Schmidt eine weitere Übung. „Der
Hund kann sich dann selbst überlegen, ob er das Leckerli direkt mit
dem Maul erwischt oder erst einmal
mit der Pfote runterholen muss.“
Eben Gassi mal ganz anders.
Text und Fotos. Virginia Brusch
08.11.2011 09:43:37