Die vier Grundfragen der biologischen Forschung als

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Die vier Grundfragen der biologischen Forschung als
Die vier Grundfragen der biologischen Forschung als Ausgangspunkt für eine Systematik ethologischer Fragestellungen
Fragen nach den unmittelbaren Zusammenhängen
[Fragen nach den proximaten Ursachen oder nach den Nahursachen]
(1) Verursachungen (Ursachen-Wirkungs- (2) ontogenetische
Beziehungen bei den Funktionsabläufen)
Zusammenhänge
(A) Beispiele für
Wie "funktionieren" Erleben u. Verhalten auf Was bewirken wann/welche (a) inFragestellungen
der chemischen, physiologischen, neuroetho- neren Programmschritte u (b) Umaus der Ethologie logischen, psychischen u. sozialen Ebene - und welteinflüsse? Mit anderen Worten:
und ihrer

Nachbardiszi● wie sehen d. Bezüge zwischen d. Ebenen aus? Was sind die ontogenet. Grundlagen
von Verhalten und Lernen? Z.B.:
plinen
● Wie sind biologische Vorprogrammierungen
Welche Auswirkungen haben
[z.B. "instinktive" Antriebe und Hemmungen],
● Hormone und ● Reafferenzen für
Lernen, Intellekt und Kultur, sowie Können,
Wollen und Sollen miteinander verschränkt und ● Reifungsprozesse und
● gibt es dabei Unterschiede in Abhängigkeit v. ● prägungsähnliche Schritte?
Spezies, Alter, Geschlecht u. Verhaltensbereich? ● Welchen Einfluß haben diese
● Welche Bezüge haben Wahrnehmung, subjek- Prozesse auf Lernleistungen?
● Was wird gelernt?
tives Innenleben und Verhalten zur Umwelt?
● Der Endorphinspiegel steigt b. Sender u. Em- ● Kinder erkennen sich mit ca. 20
(B) Verhaltenspfänger während der sozialen Fell- u Hautpflege. Monaten im Spiegel. Das ist eine der
beispiele
● Freundliche Verhaltensweisen sind GegenGrundlagen für soziale Kognition:
spieler der Aggression, sie können kulturell ge- z.B. für erste einfache
fördert werden. Unattraktive Verhaltensweisen - Perspektivenübernahmen als
z.B. destruktive Formen d. Aggression - können Voraussetzung für kognitiven
kulturell gehemmt und unterdrückt werden.
Altruismus und Kooperation.
At, Mol: Biochemie,
(C) Beispiele für
wissenschaftliche Ze, Gew, Org: Neurophysiologie, N.-biologie,
Org, Ind: Neuroethologie, N.-psychologie,
Org, Ind: EntwicklungsFachgebiete, mit
Neurologie, Verhaltensphysiologie, V.-genetik, neurologie, Neurobiologie,
Hinweisen auf die
V.-endokrinologie, V.-immunologie, ChronoBezugsebenen:
biologie, Psychosomatik, Psychiatrie,
Atom-, Molekül-,
Ind, Gr: Ethologie, Soziobiologie, VerhaltensInd, Gr: Ethologie,
Zell-, Gewebs-,
ökologie, Psychologie, Pädagogik, Theorien
Entwicklungspsychologie,
Organ-, Individuums-, Gruppen-,
der Psychotherapie, Urgeschichte,
Theorien der Psychotherapie.
Gesellschaftsebene. Ges: Sozio- u. Politologie, Rechts-, Wirtschafts-,
Geistes-, Geschichts- u Kulturwissenschaften.
Fragen nach den grundlegenden Zusammenhängen
[Fragen nach den ultimaten Ursachen oder nach den mittelbaren oder Letztursachen]
(3) A n p a s s u n g s w e r t
(a) ökologisch
| (b) innerartlich
Wozu sind die einzelnen Leistungen der Wahrnehmung, des subjektiven Innenlebens, des
Lernens und des Verhaltens da? Beispielsweise:
Was sind die Kosten, was ist der Nutzen einer
Verhaltensweise - etwa
● hinsichtlich Energie- | ● in Abhängigkeit von
aufnahme und
| Verwandtschaftsgrad und
Verbrauch?
| ● sozialer Attraktivität?
● Welche Veränderungen ergaben sich an bestehen
gebliebenen stammesgeschichtlich älteren
Merkmalen des Verhaltens unter den Selektionsbedingungen jüngerer Verhaltensmerkmale?
● Soziale Zusammen● Freundliches Verhalschlüsse sind zweckvoll ten hilft Bindungen zu
zum Beispiel bei
stiften und zu erhalten
● dem Schutz vor
als Basis für gegenseitiRaubtieren,
ge Unterstützungen, z.B.
● kollektiver Jagd,
bei Brutpflege oder bei
● Bautätigkeiten.
Auseinandersetzungen.
(4) phylogenetische
Zusammenhänge
Warum sind strukturelle Zusammenhänge stammesgeschichtlich "so und
nicht anders" geworden? Konkret:
● Welche Merkmale waren phylog. Vorbedingung welcher neuen Merkmale und
● welche Folgen haben ältere Merkmale
für weitere Entwicklungen - z.B. für
● Hormon- u. Transmitter-Funktionen,
● neuroanatomische Strukturen und
● Verhaltensmerkmale?
● Welche Merkmale sind homolog und
welche analog?
● Die Brutpflege und das Eltern-KindBand waren Vorbedingungen für soziale
Bindungen. Elemente des Brutpflegeverhaltens fanden im Rahmen dieser Entwicklung Verwendung als sozial freundliches Verhalten, z.B. Kuß u. Schnäbeln
und soziale Fell- und Gefiederpflege.
Ze, Gew, Org: Neurobiologie,
Org, Ind: Neuroethologie,
Ind, Gr: Ethologie,
Verhaltensökologie,
Sozioökologie.
Ind, Gr: Ethologie,
Soziobiologie.
Ind, Gr: Ethologie.
Verhalten, Erleben und Denken können nicht aus der Sicht nur einer Fragestellung verstanden werden, weil die Fragenbereiche in der Realität eng miteinander verschränkt sind. Wenn
bestimmte Zusammenhänge nicht berücksichtigt werden, wird auf Wissen verzichtet. Die vier Grundfragen sind Ausgangspunkt für die Entwicklung eines fächerverbindenden Konsens für
jene Wissenschaften, die Bezüge zu Leistungen des Nervensystems haben. Die ersten drei fett & kursiv gedruckten Zeilen von "Bsp. für Fragestellungen" (Absatz A, Spalten 1-4) gelten
mutatis mutandis für Biowissenschaften, Psychologie, Sozial-, Wirtschafts- und Kulturwissenschaften. Die Grundfragen basieren auf Darwin z.B. 1859, 1871; Lorenz z.B. 1937, 1957; Tinbergen z.B.
1951, 1963; C1: Bezugsebenen nach Lorenz 1973; C1: Zuordnung d Disziplinen nach Riedl z.B. 1980; Verhaltensbeispiele: B1: Bsp.1: Panksepp z.B. 1981; Bsp.2: vergleiche Lorenz 1963, Eibl-Eibesfeldt z.B.
1984; s.a. Ridley 1997; B2: Bischof-Köhler 1989; B3a: z.B. Krebs & Davies 1984, Dunbar 1988; B3b: Hamilton 1964; Eibl-Eibesfeldt z.B. 1970, 1984; Goodall 1986; Frank 1988; de Waal 1996; B4: EiblEibesfeldt z.B. 1970
Tabelle nach: Gerhard Medicus: Was uns Menschen verbindet. Humanethologische Angebote zur Verständigung zwischen Leib- und Seelenwissenschaften. Berlin: VWB–Verlag 1. Auflage (2012): ISBN 978-3-86135-582-3; 3. Auflage (2015): ISBN 978-3-86135-585-4; Englische Ausgabe (2015): ISBN 978-3-86135-584-7