Bewegungssteuerung - Bergische Universität Wuppertal

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Bewegungssteuerung - Bergische Universität Wuppertal
Dr. Peter Wastl
Bergische Universität Wuppertal - Sportwissenschaft
Grundlagen der Bewegungslehre im Sport
(Abstract 5)
Bewegungen steuern (Motorische Programme)
Wie werden Bewegungen gesteuert und kontrolliert?
Die motorische Steuerung im Lernen ist abhängig
1. von den sensorischen Meldungen
 Wahrnehmung  Informationsaufnahme
2. von fixiertem Gedächtnisbesitz
 Gedächtnisbildung  Verarbeitung und Speicherung von Information
zu 1. Sensorik/Wahrnehmung
Die Wahrnehmung kann auf visuellen, verbalen, kienästhetischen, taktilen oder vestibulären Informationszuflüssen beruhen.
Die Wahrnehmung verläuft über Sensoren:
1. Optisches Sinnessystem
2. Akustisches Sinnessystem
3. Vestibuläres Sinnessystem
4. Kienästhetisches Sinnessystem
5. Taktiles Sinnessystem
Vier Grundvorgänge der sensorischen Anpassung:
1. Veränderung der absoluten Wahrnehmungsschwellen in den verschiedenen Sinnessystemen (Reize mit sehr niedriger Intensität können wahrgenommen werden)
2. Verbesserung der Reizdifferenzierung (eine sehr gut ausgeprägte Differenzierungsschwelle
zeigt sich dadurch, dass zwei oder mehrere Reize mit ähnlicher Intensität gut unterschieden
werden können)
3. Umschaltprozesse vom „äußeren“ auf den „inneren“ Regelkreis (von den „Fernsinnen“ zu
den „inneren Sinnen“)
4. Veränderungen komplexer Wahrnehmungsmodalitäten, des komplexen Bewegungsgefühls
(damit einher geht eine gute Integration aller Sinneseindrücke, gute innere Abstimmung, gute
Eigeneinschätzung; z. B. „Ballgefühl“)
zu 2. Gedächtnis/Informationsverarbeitung
Zwei Möglichkeiten der zentralnervalen Informationsverarbeitung:
1. ... Koordinationsmodelle wirken als Regelkreise („closed loop“-Kontrolle)
2. … motorische Programme werden gespeichert („open loop“-Kontrolle)
„Open loop“- Kontrolle
Ziel
„closed loop“- Kontrolle
Ziel
Soll-Ist-Vergleich
Exekutive
Exekutive
Effektoren
Effektoren
Ergebnis
Ergebnis
(nach Oliver/Rockmann 2003, 124)
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Grundlagen der Bewegungslehre im Sport
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1. „Open loop“- Kontrolle
Open-loop-Modell
 Charakterisierend für das „open-loop - System sind motorische Programme
 … ein zentralnerval gespeichertes Engramm (Erinnerungsbild), das der Innervation von Muskeln
und Muskelgruppen dient und die Bewegung ohne periphere Rückinformation steuern kann.
 zentralistischer Ansatz
Beweise für die Existenz Motorischer Programme:

Bewegungen sind auch ohne periphere Rückinformationen möglich (z.B. Amputierte; aber auch
kurzzeitige Unterbindungen propriorezeptiver Reafferenzen lassen Bewegungen unbeeinflusst)

Motorische Programme lassen sich auch ohne physisches Üben und Trainieren aufbauen (Vorstellung einer Bewegung, ideomotorisches Prinzip, Carpenter-Effekt)

Extrem schnelle Bewegungen laufen ohne Reafferenzen ab (motorische Programme werden abgespult, auch wenn ...)

Motorische Programme können unterschiedliche Muskelgruppen steuern (linke oder rechte Hand,
Schreiben mit Fuß oder Mund)

Programme laufen auch bei zusätzlichen Anforderungen autonom ab (... nebenbei noch andere
Aufgaben erledigen, die für die unmittelbare Bewältigung primär nicht notwendig sind; geringe
Störanfälligkeit parallel ausgeübter Zweitaufgaben)
2. „closed loop“- Kontrolle
Closed-loop-Modell:
Charakterisierend für das closed-loop-System ist die Kontrolle der motorischen Systeme durch Feedback, Fehler-Erkennung und Fehler-Korrektur = peripheralistischer Ansatz
► Der Bewegungsablauf wird durch die ständige Überprüfung kontrolliert und beim Festellen einer
Diskrepanz von Ist- und Soll-Wert wiederkehrend neu geregelt/korrigiert
► Das Modell des Regelkreises wird zur Veranschaulichung von Lernprozessen (Lernen) und der
Bewegungsregulation herangezogen.
Adams entwickelte 1971 die so genannte „closed-loop-Theorie“ des Lernens.
Ein closed-loop-System beinhaltet (Adams, 1987, S. 58):
• das Feedback über die Reaktion, über die Fehlererkennung und über die Fehlerkorrektur.
• die Reaktion ist zu einem Sollwert = Referenzwert rückgekoppelt.
• Diskrepanzen bedeuten einen Fehler, der anschließend korrigiert wird.
Adams unterscheidet zwischen Wahrnehmungsspur und Gedächtnisspur
Wahrnehmungsspur
Es wird über visuelle und propriozeptive Reafferenzen bei der Bewegung eine so genannte „Wahrnehmungsspur“ im Gehirn zur Erinnerung und Wiedererkennung angelegt. Damit ist wesentliches
Element motorischen Lernens ein Wahrnehmungsprozess.
Gedächtnisspur
Die so genannte „Gedächtnisspur“ ist erforderlich, um die Bewegung auszulösen. Die Gedächtnisspur
enthält einfache motorische Programme. Sie wählt die durchzuführende Reaktion bei gegebener
Reizkonstellation aus, initiiert sie und geht damit dem Feedback und der Nutzung der Wahrnehmungsspur, welche die Bewegung nach dem Beginn reguliert, voraus.
Kritik an Closed-loop-Modellen
Schmidt kritisierte 1975 die closed-loop-Theorie des Lernens unter anderem in folgenden Punkten:
1. Es wird nicht berücksichtigt, dass Bewegungssequenzen auch ohne Hilfe von Feedback
durchgeführt werden können, d.h. Bewegungen sind auch ohne Reafferenzen möglich.
2. Die Variabilität einer Reaktion, auf veränderte Situationen, bleibt außer Acht.
- Das Closed-Loop-Modell sagt nichts darüber aus, wie Personen sich Fertigkeiten aneignen, die
mit verschiedenen Reaktionen bei verschiedenen Bedingungen zu tun haben
3. Das Closed-Loop-Modell ist eine Reaktionskette d.h. Feedback aus Bewegung 1 löst Bewegung
2 aus usw.
- Sie ist auf einzelne, sich wiederholende Bewegungen beschränkt
- Timing - 100ms-Feedback-Zeit: wie dann schnelle Bewegungen?
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3. Konsequenz aus der Kritik an den open/closed-loop-Modellen:
Hybride Modelle der Bewegungskontrolle, d. h. es sind sowohl Steuerungs- als auch
Regelprozesse beteiligt:
1. Motorisches Regelkreismodell (nach Meinel/Schnabel 1977 bzw. 1998)
= Konzept der Programmvorsteuerung mit kontinuierlicher Systemregelung
2. GMP (Generalisierte Motorische Programme)-Theorie (nach Schmidt1975 bzw. 1988)
= Konzept der Programm- und Parametertrennung
3.1 Motorisches Regelkreismodell (nach Meinel/Schnabel)
= Konzept der Programmvorsteuerung mit kontinuierlicher Systemregelung
(Schnabel, 1998b, S. 42)
Weitere Informationen hierzu siehe:
Meinel, K. & Schnabel, G. (1998). Bewegungslehre – Sportmotorik (8. oder 9. Aufl.). Berlin: Sportverlag.
3.2 Konzept Generalisierter Motorischer Programme (Schematheorie)
(nach R.A. Schmidt 1975 u. 1988)
Ausgangssituation:
Überforderung der Speicherkapazität des Gedächtnisses für jede einzelne Bewegung im Detail als motorisches Programm.

Allgemeines motorisches Programm für eine ganze Klasse von Bewegungen, welches lediglich
an situative Bedingungen angepasst wird.

Gegenstand einer eigenständigen Lerntheorie
Hybrides Modell der Bewegungskontrolle von Schmidt:
- sowohl Steuerungs- als auch Regelprozesse beteiligt
- während der ersten 150 bis 200 ms muss open-loop-Kontrolle stattfinden
- ab 200 ms kann closed-loop-Kontrolle stattfinden
- für Bewegungskorrekturen müssen wenigstens 200 ms zur Verfügung stehen
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Exekutive
Entscheidungszentrum
notwendige
Open-Loop-Steuerung
< 200 ms
potenzielle
Closed-Loop-Steuerung
> 200 ms
Effektor
Muskel-Skelett-System
Ein Basketball kann z.B. aus unterschiedlichen Distanzen geworfen werden. Entsprechend der tatsächlichen Entfernung werden der Krafteinsatz und die optimale Flugkurve gewählt. Die Grundstruktur des
Wurfes wird situativ angepasst.  Schema
Schmidt (1975) führte den Gedanken von Adams’ Theorie weiter, da seiner Meinung nach die Theorie
nicht auf alle Bewegungen übertragbar sei.
Seine Überlegungen fasste er in seiner Schema-Theorie zusammen, die zwei grundsätzliche Komponenten der Kontrolle beinhaltete. Sie basiert zum einen auf dem Konzept des motorischen Programms,
zum anderen auf dem des Modells der Bewegung (Gedächtnisspur u. Wahrnehmungsspur) nach Adams.
Menschen machen sich allgemeine Regeln (Schemata) zueigen. Menschen behalten nicht Informationen
über frühere Bewegungen und deren Konsequenzen im Gedächtnis, sondern entwickeln ein Wahrnehmungsschema (motorisches Schema), das die Relationen zwischen den verschiedenen Stimulusbedingungen, den möglichen Bewegungen und deren erwarteten Konsequenzen beschreiben kann.
Die eine Komponente ist die Annahme so genannter generalisierter motorischer Programme (GMP),
welches eine allgemeine Gedächtnisrepräsentation der Aktion darstellt.
Die Zweite Komponente ist die Annahme eines so genannten Motor Response Schemas.
Grundannahme:
► geht davon aus, dass Bewegungen schon zentral vorprogrammiert sind und größtenteils
ohne Feedback ausgeführt werden können; also eine „abstrakte Struktur, die im Gedächtnis verankert ist und durch Bewegungserfahrungen erzeugt wurde“ (Adams, 1989,
S. 79).
► ein generalisiertes motorisches Programm steuert eine ganze Klasse von strukturell ähnlichen Bewegungen. Da die Anzahl der motorischen Programme von jedem Bewegungssegment zu groß wäre, um sie alle im Gedächtnis zu speichern, z. B. für das
Werfen eines Balles.
Beispiel Tennis:
Ein Beispiel aus dem Sport soll das Konzept der generalisierten Programme weiter verdeutlichen. Ein
Tennisaufschlag kann mit großer oder kleiner Beschleunigung des Schlägerkopfes gespielt werden.
Beide Bewegungen werden von einem generalisierten Bewegungsprogramm 'Tennisaufschlag' initiiert
und kontrolliert. Ein Eingangsparameter dieses Programms ist die Beschleunigung des Schlägerkopfes
bzw. der notwendige Kraftaufwand. Je nachdem, ob der Parameter 'Beschleunigung des Schlägerkopfes'
groß oder klein gewählt wird, ergibt sich eine große oder kleine Ballabfluggeschwindigkeit. Die Bewegung
selbst zeigt letztlich die gleichen Strukturmerkmale bei schneller und langsamer Bewegungsausführung
und kann daher auf ein generalisiertes Bewegungsprogramm zurückgeführt werden.
Grundlage der Theorie bilden drei eng miteinander verbundene Annahmekerne:
1. Impuls-Timing-Hypothese (Inhalte motorischer Programme)
2. Gestalt-Konstanz-Hypothese (Benennung der Programmparameter)
3. Schema Theory of Descrete Motor Skil Learning (situationsangemessene Parameterauswahl)
1. Impuls-Timing-Hypothese (Inhalte motorischer Programme)
• mit Bezug auf den Impulsbegriff wird festgeschrieben, wann die einzelnen Aktivitätsphasen der bewegungsausführenden Skelettmuskeln beginnen und enden und mit welchen Intensitäten die muskulären Krafteinsätze erfolgen sollen.
• generalisierte motorische Programme beinhalten drei invariante Zeit- und Kraftrelationen, die eine bestimmte Klasse ähnlich strukturierter Bewegungen festlegen.
• Zu den Programminvarianten zählen:
1) das Sequencing
2) das relative Timing
3) die relativen Krafteinsätze
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1. Programminvariante: das Sequencing
= die Reihenfolge der Einzelimpulse und relative Impulsabstände
… beschreibt die Reihung der Muskelaktivierungen und die Proportionen ihrer zeitlichen Abstände
zueinander.
(nach Göhner 1999, 172)
Beispiel:
Hitch-Kick-Technik beim Weitsprung:
Die Bewegung startet durch die beiden kurz aufeinander folgenden Einzelimpulse A und C.
Ihnen folgen in einer bestimmten zeitlichen Relation die sechs Einzelimpulse B bis H.
2. Programminvariante: das relative Timing
= die relative Impulsdauer
… betrifft die zeitliche Dauer der bewegungssteuernden Muskelaktivitäten, die durch die Verhältnisse der Einschaltdauer der Einzelimpulse festgelegt werden.
3. Programminvariante: die relativen Krafteinsätze
= die relativen Impulshöhen
… betrifft die Relation der während der Ausführung der Bewegung erzeugten Muskelkräfte
(Amplitudenhöhe).
2. Gestalt-Konstanz-Hypothese (Benennung der Programmparameter)
• ausgehend von der Impuls-Timing-Idee steuert ein einzelnes generalisiertes motorisches Programm eine bestimmte Bewegungsklasse.
• Welche spezielle Fertigkeitsausprägung ausgeführt wird, legen nach der Gestalt-Konstanz-Hypothese leicht modifizierbare metrische Programmparameter fest.
• Zu den wichtigsten Programmparametern zählen:
1) Gesamtbewegungszeit
2) Gesamtkrafteinsatz
• Weitere Programmparameter sind:
3) Muskelauswahl
5) Bewegungsrichtung
4) Bewegungsumfang
6) Gelenkwinkel
Parametrisierung des Impuls-Timing-Musters ohne Veränderung der invarianten Programmkennwerte (Roth 1990).
Das motorische Rahmenprogramm kann innerhalb gewisser Grenzen wie bei einem Gummiband in
zeitlicher (horizontaler) und dynamischer (vertikaler) Hinsicht proportional gedehnt oder gestaucht
werden, ohne die invarianten Programmkennwerte zu verändern.
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(Abstract 5)
a) proportionale vertikale Kraftstauchung
b) proportionale horizontale Bewegungszeitstreckung
(nach Roth 1990, 15)
3. Schema Theory of Descrete Motor Skil Learning (situationsangemessene Parameterauswahl)
Zwei Arten des motorischen Gedächtnisses (so genannte motorische Schemata):
1. Wiedergabe- bzw. Erinnerungs-Schema („recall schema“)  „open loop“-Anteile
Das Erinnerungs-Schema („recall schema“) basiert auf einem generalisierten motorischen Programm
(GMP) und beinhaltet Regeln für die Beziehung der Anfangsbedingungen, der GMP-Parameter und
der Bewegungsergebnisse.
2. Wiedererkennungs-Schema („recognition schema“)  „closed loop“-Anteile
Das Wiedererkennungs-Schema („recognition schema“) beinhaltet Regeln über die Beziehung der
Anfangsbedingungen, der sensorischen Konsequenzen und der Bewegungsergebnisse.
Trotz vielfältiger Plausibilitätsannahmen und zahlreicher empirischer Betätigungen ist die GMP- und
Schematheorie von R.A. SCHMIDT nicht ohne Widersprüche geblieben.
Trotzdem sind zumindest zwei Aspekte für das Verstehen und Lernen von Bewegungen von Bedeutung:
1) die GMP- und Schematheorie wurde zum Gegenstand einer eigenständigen Lerntheorie, der so genannten technologischen Position (zum Erlernen von Fertigkeiten).
2) Die Schema-Theorie sagt voraus, dass variables Üben monotonem Üben überlegen ist.
Literaturempfehlungen:
Loosch, E. (1999). Allgemeine Bewegungslehre. Wiebelsheim: Limpert.
Olivier, N. & Rockmann, U. (2003). Grundlagen der Bewegungswissenschaft und –lehre. Schorndorf: Hofmann.
Wollny, R. (2007). Bewegungswissenschaft – Ein Lehrbuch in 12 Lektionen (Lektionen 3,4,und 6) Aachen: Meyer &
Meyer.
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