Es frisst ihn auf - muehli
Transcription
Es frisst ihn auf - muehli
17 — Mittwoch, 3. April 2013 Bern Zwischen Kita und Hallenbad Interview mit Franziska Teuscher nach 100 Tagen im Amt. 18 Streit um Verkehr einer Lysser Grossüberbauung Das Verwaltungsgericht stützt einen Entscheid des Kantons – rügt aber das Vorgehen. «Wenn es sein muss, kämpfe ich, bis ich tot umfalle»: Peter Burkhart alias Mühli-Pesche am Grab eines Fahrenden auf dem Friedhof von Vic-Fezensac. Foto: Christoph Lenz Es frisst ihn auf Anwohner sind nicht zufrieden Mühli-Pesche hoffte auf einen ruhigen Lebensabend in Südfrankreich. Nun führt er einen Feldzug gegen Philipp Fankhauser und die neue Mühle-Hunziken-Crew. Heute beginnt der Prozess um das Kulturlokal. Christoph Lenz, Vic-Fezensac Wie beginnt man ein neues Leben? Peter Burkhart schob in jener Winternacht vor zwei Jahren die Bettdecke zur Seite, ging leise in die Küche, setzte Kaffee auf und startete den Computer. «Wie spät ist es?», rief Pia, seine Frau, aus dem Schlafzimmer. «Vieri.» «U was machsch?» «Mir choufen ä Ggämper.» «Ä was?» «Ä Ggämper.» «Ah», sagte Pia. «Auso guet.» Drei Monate später hatten sie den Kaufvertrag unterzeichnet. Nicht nur für das Wohnmobil, sondern auch für dieses kleine Fleckchen Erde in Vic-Fezensac, einem kleinen Nest tief in der südwestfranzösischen Provinz. Das Grundstück liegt exakt im Sattel zwischen zwei sanften Hügeln, umgeben von alten Eichen und rotbraunen Äckern. Ein halb überwachsener Weg führt von der Landstrasse hinunter zum Hof mit den durchhängenden Giebeln. Die Ruine brachten sie selbst auf Vordermann, sie legten einen Garten an, zogen Tomaten, pflanzten Palmen und eine Magnolie. Abends sassen sie vor dem Hof, tranken Floc de Gascogne, sahen den Eidechsen zu, die übers Gemäuer huschten, und lauschten den Nachtigallen. Alles war genau so, wie Peter und Pia Burkhart es sich vorgestellt hatten. Bis das Idyll im Spätherbst 2011 zerbrach. Wie führt man ein neues Leben, wenn einen das alte einholt? Mühli-Pesche, 71, zuckt mit den Schultern. Er weiss es nicht. «Es frisst mich auf», sagt er. Nach 38 Jahren war Schluss Es, das ist der Streit um die Mühle Hunziken. 38 Jahre verbrachte Peter Burkhart in der Mühle bei Rubigen. Über 30 Jahre betrieb er sie als Kulturlokal. Ein eigenwilliger – manche Musiker sagen «autoritärer» –, aber erfolgreicher Alleinherrscher. Dann war Schluss: Im Juni 2011 übergab er das Lokal feierlich an ein Team um seinen Sohn Thomas und Bluesmusiker Philipp Fankhauser. Keine sechs Monate später hatten sich Burkhart und Fankhauser verkracht. Mühli-Pesche wirft seinem Nachfolger vor, er halte die getroffene Abmachung nicht ein. Fankhauser könne oder wolle das Geld für die Mühle, das Nebenhaus und das Grundstück nicht aufbringen. Dies, obschon der Bluesmusiker 2011 auch gegenüber dem «Bund» bestätigte, dass er eine Absichtserklärung zum Kauf der Mühle unterzeichnet hat. Die Gegenseite argumentiert, ein Kauf der auf rund 2,5 Millionen Franken geschätzten Liegenschaft sei nicht vereinbart gewesen. Heute Mittwoch beginnt die Verhandlung am Regionalgericht Bern-Mittelland. Mühli-Pesche ist als Zeuge geladen. Klägerin ist seine Tochter Catherine Burkhart, die Fankhauser 2011 ihre Anteile an der Mühle Hunziken Konzert GmbH verkaufte und den Handel nun rückgängig machen will. Gegen den «respektlosen Angeber» «Ich bin zuversichtlich» sagt Peter Burkhart. Trotzdem ist er angespannt. Während des Gesprächs scheint es, als wären seine Gedanken über ein elastisches Band mit Fankhauser und dessen Anwalt Thomas Bähler verbunden. Zwischendurch erzählt Burkhart in ausschweifenden Bögen von seiner Jugend in Spiez, von der Mutter, die früh verstarb, vom Vater, einem soliden Bauunternehmer und Freisinnigen, und von seinem Ausstieg aus der Armee, «Oberleutnant Peter Burkhart, 817 Diensttage» – nur um letztlich doch wieder und wieder bei Fankhauser zu landen. Dem «arroganten Emporkömmling», dem «respektlosen Angeber», dem «Blender». Eine Idée fixe? Burkhart, eine Faserpelz-Jacke über das Jeans-Hemd geworfen, nickt und deutet in den Garten. «Die Anita Bachmann Südwestlich von Lyss an der Eisenbahnlinie Lyss–Aarberg liegt ein grosses Baufeld brach. Dort soll die Überbauung Stigli-Spinsmatte entstehen, mindestens 300 Wohnungen für rund 700 Personen sind in Planung. Im Frühsommer könnten die Bagger auffahren, wenn nicht die Erschliessungsfragen das Projekt noch länger ausbremsen. Weil für die Überbauung keine eigene Zufahrtsstrasse vorgesehen ist, sondern der zusätzliche Verkehr über die angrenzenden Quartierstrassen rollen soll, hat eine Gruppe Anwohner Einsprache erhoben und anschliessend Beschwerde geführt. Die Einsprechenden sind Bewohner des Kornwegs, welcher die kürzeste Verbindung von der geplanten Überbauung Richtung Autobahn oder Zentrum Lyss ist. Weil die Justiz-, Gemeinde- und Kirchendirektion ( JGK) des Kantons Bern die Beschwerde abgewiesen hatte, musste nun das Verwaltungsgericht in der Sache entscheiden. Das Gericht krempelte den Entscheid nicht um, rügte aber das Vorgehen der JGK. Sie habe den Sachverhalt mangelhaft abgeklärt sowie die im Raumplanungsrecht verankerte Pflicht, Planungen aufeinander abzustimmen, verletzt. Konkret geht es darum, dass die verkehrsmässigen Auswirkungen der Überbauung StigliSpinsmatte auf den Kornweg verschwiegen oder nicht richtig eingeschätzt wurden und etwa ein «unbehelfliches» Lärmgutachten beigezogen wurde, wie im gestern veröffentlichten Urteil steht. drei Hühner, die zwei Hunde, die Sau Poubelle und die Bäume – alle hier kennen den Fankhauser.» Warum? «Ich erzähle ihnen von meinen Problemen.» 24 Stunden am Tag, sieben Tage die Woche, sei er mit seinen Gedanken bei seinem Nachfolger. Manchmal, wenn er und Pia sich abends ins Bett legen, sagt Mühli-Pesche zu seiner Frau, sie solle noch ein Stück rutschen. «Fankhauser liegt mit im Bett.» Er stösst ein schrilles Lachen aus. Dann greift er zum Bier. Distanz schaffen ist schwierig Pia, die neben ihrem Mann sitzt, zupft an den Ärmeln ihrer Bluse. Sie selbst habe es irgendwann nicht mehr ertragen, sagt sie, sei krank geworden wegen des Streits. Jetzt versucht sie, sich davon zu distanzieren. Das ist nicht einfach. Das Paradies, das die Burkharts sich in Südfrankreich erschaffen haben, ist klein. Da bleibt wenig Raum für Distanz. «Aber es geht», sagt Pia. Als das Schweizer Fernsehen das Castingformat «The Voice» ausstrahlt, mit Philipp Fankhauser als Juror, schickt Pia ihren Pesche an den Samstagabenden hinaus ins Wohnmobil. Dort sieht er sich die Sendungen alleine an. Manchmal verkneift er sich später eine böse Bemerkung über den «Juror» auf seinem Facebook-Profil. Manchmal nicht. Peter Burkhart weiss, wie das wirkt. Und er weiss, was manche Leute in Bern über ihn sagen. Er führe einen Privatkrieg gegen Fankhauser. Und er könne nicht loslassen. «Die Hühner, die Hunde, die Sau und die Bäume – alle hier kennen den Fankhauser.» Das Erste stimmt. Das Letztere nicht. Sagt Peter Burkhart. «Loslassen? Kein Problem. Aber erst, wenn die Sache bereinigt ist.» Will heissen: Wenn Fankhauser und sein Anwalt Bähler die Mühle verlassen haben. «Wenn es sein muss, kämpfe ich, bis ich tot umfalle», sagt Peter Burkhart. Aber was ist, wenn Fankhauser die Mühle doch noch kaufen würde? «Dieser Streit hat so viel Schaden angerichtet. Pia ist krank, Catherine wird gemobbt. Nach anderthalb Jahren Gesprächsverweigerung ist es für eine gütliche Lösung zu spät», sagt Peter Burkhart. Und wie steht er heute zu seinem Sohn Thomas, der sich mit Fankhauser und Bähler verbündet hat? «Dazu sage ich nichts», sagt Peter Burkhart. Die zwei Gräber auf dem Friedhof Eine Viertelstunde später steht er auf dem Friedhof von Vic-Fezensac. Er komme oft hierher, um seine Gedanken zu ordnen, sagt er, als er durch die Zeilen von prunkvollen und halb zerfallenen Grabstätten schreitet. Manche Steinkammern, die seit mehreren Jahrzehnten verwaist sind, werden nun wieder angeboten. Interessenten können sich beim Gemeindepräsidenten melden. Peter Burkhart will das demnächst tun, schwankt aber noch zwischen zwei Gräbern. Aus einem sticht senkrecht eine junge Zypresse in den Himmel. Das gefällt ihm. Das Gespräch wendet sich nochmals dem Prozess zu. Wenn die Klage von Catherine Burkhart abgewiesen wird, «dann wird die Mühle versteigert», sagt Peter Burkhart. Aber so weit soll es nicht kommen: «Wenn wir gewinnen, ist alles ganz einfach.» Zu Details will sich Mühli-Pesche zwar nicht äussern. Fest stehe aber: «Dann kann ich mich endgültig zurückziehen.» Es ist ein Versprechen, das er auch seiner Pia gegeben hat. Das neue Leben in Südfrankreich wartet schon zu lange. Die Versäumnisse, so das Verwaltungsgericht, hätten im Verfahren aber nachgeholt werden können, sodass der Entscheid der JGK nicht aufgehoben werden müsse. So wird im Urteil vorgerechnet, dass zu den heute 350 Fahrten pro Tag auf dem Kornweg mit der neuen Überbauung bis zu 700 Fahrten dazukommen würden. Damit könne entgegen den Beschwerdeführern nicht gesagt werden, dass der Wert von 1000 Fahrten pro Tag klar übertroffen werde, heisst es. Das Gericht trägt dem Umstand, dass die Vorinstanz aufgrund ungenügender Fakten entschieden hat, Rechnung, indem es den unterlegenen Kornweg-Anwohnern nur die Hälfte der Verfahrenskosten auferlegt, Lyss muss die Kosten für einen zusätzlichen Bericht und die Hälfte der Parteikosten übernehmen. Ob der Rechtsstreit damit ein Ende hat, ist noch nicht entschieden. Man sei mit dem Resultat nicht zufrieden und müsse nun besprechen, ob die Beschwerde ans Bundesgericht weitergezogen werde, sagte ein Anwohner des Kornwegs auf Anfrage. Unabhängig davon beginnt im Mai der Bau der neuen SBB-Haltestelle Lyss-Grien, die unter anderem der Erschliessung der geplanten Überbauung dienen soll. Heute Abend Petar Ralchev Bulgariens bester Akkordeonist Dem Musiker Petar Ralchev eilt der Ruf voraus, er sei der beste Akkordeonist Bulgariens. Aus der Sicht seiner zahlreichen Fans ist dieses Etikett allerdings etwas gar bescheiden: Sie finden, Ralchev sei mindestens der virtuoseste Akkordeonist des ganzen Balkans. Wie dem auch sei: Für bernische Ohren gibt es dank einem in Eile eingefädelten Konzert die seltene Möglichkeit, Ralchev Gehör zu schenken und die These zu prüfen. Er tritt gemeinsam mit dem Ensemble Pletenitsa auf und verspricht einen facettenreichen Einblick in den Reichtum der bulgarischen Folklore und der balkanischen Rhythmen. (mul) 19.00 Uhr im Kirchgemeindehaus Johannes, Wylerstrasse 5, 3014 Bern