Individuelle und korporative moralische Verantwortung
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Individuelle und korporative moralische Verantwortung
Individuelle und korporative moralische Verantwortung Hans Ulrich Gally GxP GmbH Ethik Pharma Gally Seite 1 24 Stunden im Leben der Firma Pharmethos Hans Ulrich Gally GxP GmbH Ethik Pharma Gally Seite 2 Herausfordernde 24 Stunden • Abends – Zivilcourage: Ein geschichtliches Beispiel • Nachts - ein Albtraum: Niemand ist verantwortlich • Morgens: ein schwieriger Entscheid: Wer ist moralisch verantwortlich? • Mittags – Moral im Unternehmen: Mission – Vision - Realisation • Nachmittags – Ethik im Unternehmen: Wir verantworten moralisch, was wir tun Ethik Pharma Gally Seite 3 Abends – Zivilcourage: Ein geschichtliches Beispiel René Magritte: L‘empire des lumières Ethik Pharma Gally Seite 4 Frances Kelsey: der Fall Contergan / Thalidomid On August 7, 1962, President John F. Kennedy awarded Frances Kelsey the highest honour given to a civilian in the United States, the President's Award for Distinguished Federal Civilian Service. She was the second woman to ever receive the award. Kennedy acknowledged "Her exceptional judgment in evaluating a new drug for safety for human use has prevented a major tragedy of birth deformities in the United States. Through high ability and steadfast confidence in her professional decision she has made an outstanding contribution to the protection of the health of the American people." Ethik Pharma Gally Seite 5 Frances Kelsey: der Fall Contergan / Thalidomid • In Europa 1957 zugelassen, FDA sollte die Zulassung rasch nachvollziehen • Frances Kelsey bestand trotz Druck auf ausreichenden Studien zur teratogenen Wirkung, da die Daten ungenügend und widersprüchlich waren • In den USA von der FDA daher nie zugelassen • Schwerwiegende Geburtsschäden in Europa • Keine Schädigungen in den USA • Anforderungen an die klinischen und toxikologischen Studien wurden danach wesentlich erhöht Ethik Pharma Gally Seite 6 Frances Oldham Kelsey: der Fall Contergan/Thalidomid • Verantwortliches Handeln von Person in Organisationen ist massgebend? • Müssen zuerst schwerwiegende Probleme auftreten, bevor Firmen ihrer Verantwortung bewusst werden und ihr nachkommen? • Ist das Unternehmen ein moralischer Agent – hat es so etwas wie ein Gewissen? • Kant: „Der Mensch ist Zweck an sich, er darf nie nur als Mittel gebraucht werden“ Unternehmen als moralisches Gegenüber? Ethik Pharma Gally Seite 7 Nachts - ein Albtraum: Niemand ist verantwortlich Matthias Grünewald: Isenheimer Altar Ethik Pharma Gally Seite 8 Corporation: An ingenious device for obtaining individual profit without individual responsibility. Ambrose Bierce Ethik Pharma Gally Seite 9 John Ladd: Unternehmen als Maschine • Unternehmen sind formale Organisationen und als solche können sie keine moralische Verantwortung gegenüber Individuen tragen, auch wenn Handlungen Organisationen zugeschrieben werden können. Ethik Pharma Gally Seite 10 John Ladd: Unternehmen als Maschine • Die Verantwortlichen in einer Organisation können als ihre Repräsentanten nur im Namen der Organisation Entscheide treffen und dabei allein die Zielsetzungen der Organisation im Auge behalten. Die Entscheidungsträger sind daher simple Instrumente der Organisation und sie sollen auch so behandelt werden. Ethik Pharma Gally Seite 11 John Ladd: Unternehmen als Maschine • Dementsprechend sind auch alle Personen einer Organisation austauschbar, sie sind nicht als Individuen von Bedeutung, sondern als Vollstrecker der Unternehmensziele. • Die Bedürfnisse der Mitarbeiter sind nicht identisch mit den Bedürfnissen des Unternehmens. Ethik Pharma Gally Seite 12 John Ladd: Unternehmen als Maschine • Dieses funktioniert wie eine Maschine und kann daher vernünftigerweise keine moralischen Verpflichtungen gegenüber Personen eingehen, so wie auch Personen keine moralischen Pflichten gegenüber dem Unternehmen haben. • Die moralischen Rechte und Interessen von Aussenstehenden sind daher irrelevant für die Entscheidungen der Firmen. Ethik Pharma Gally Seite 13 Beispiel • 03.12.1984: Chemie-Katastrophe von Bophal • 18‘000 Menschen starben innerhalb von zwei Wochen, 200‘000 verletzte • Vernachlässigung des Unterhalts, nachlässiges Personal, keine Führung • Keine Behördenkontrollen • Schlussbericht wurde nie veröffentlicht • Niemand wurde wirklich zur Verantwortung gezogen • Entschädigungen an Opfer minimal Ethik Pharma Gally Seite 14 Themen • Werden die von Schäden betroffenen Personen / Patienten überhaupt in ihrer Menschenwürde wahrgenommen. • Reiner Ökonomismus, der indirekt das ethisch Richtige durch den ökonomischen Erfolg definiert. Letztlich läuft der Ökonomismus auf eine Ethik des Rechts des Stärkeren hinaus. Ethik Pharma Gally Seite 15 Fra Angelico: Angelus domini Ethik Pharma Gally Seite 16 Morgens: ein schwieriger Entscheid: Wer ist moralisch verantwortlich? Ethik Pharma Gally Seite 17 Unerwartete Verunreinigung in Präparat für klinische Versuche • Eine neue Verunreinigung wird in einem Präparat für Phase III entdeckt • Der Ames-Test zeigt mutagenes Potential an • Das Präparat ist ein lang erwartete Blockbuster mit potentiellem Milliardenumsatz, entscheidend für die Zukunft der Firma Ethik Pharma Gally Seite 18 Unerwartete Verunreinigung in Präparat für klinische Versuche • Was bedeutet der Befund für die Sicherheit der Patienten? Ist er wirklich kritisch? (Influenza A(H1N1)v) • Wer muss sich möglicherweise wo verantworten – vor dem Gericht, vor der Öffentlichkeit, vor dem eigene Gewissen? • Wer trägt die Verantwortung: die fachtechnisch verantwortliche Person, der Studienleiter, ein Team der Firma, die Geschäftsleitung, …? Ethik Pharma Gally Seite 19 Peter A. French: Unternehmen als verantwortlich handelnde Instanz • Er geht davon aus, dass auch Unternehmen, ähnlich wie Personen, auf Grund von Absichten handeln, die sich aus den Eigenheiten des Unternehmens und seiner Intentionen folgerichtig ergeben. • Das Handeln des Unternehmens ergibt sich wie folgt: einerseits setzt sich jedes Unternehmen klare Ziele, die zu erreichen sind. Aus dem Verfolgen dieser Ziele ergeben sich die Handlungsimpulse der Firma. Ethik Pharma Gally Seite 20 Peter A. French: Unternehmen als verantwortlich handelnde Instanz • Die Entscheide über das Handeln ergeben sich aus der korporativen internen Entscheidungsstruktur und diese Struktur bildet auch die moralische Verantwortung der Firma ab. • Diese Entscheidungsstruktur lässt freie Entscheide zu, die sich nicht automatisch aus den organisatorischen, strukturellen und materiellen Voraussetzungen ableiten lassen und ermöglicht auch neuartige Entscheidungen. Ethik Pharma Gally Seite 21 Peter A. French: Unternehmen als verantwortlich handelnde Instanz • Diese Entscheidungen beruhen nicht nur auf den Entscheidungen einzelner Individuen, sondern erfolgen in einem hierarchisch geordneten Prozess. • Dies stellt auch sicher, dass die Entscheidungsprozesse unabhängig von einzelnen Stelleninhabern, die ja wechseln können, ablaufen. • Diese Entscheidungsstruktur erzeugt also korporative Absichten und daher auch korporatives intentionales Handeln. Ethik Pharma Gally Seite 22 Peter A. French: Unternehmen als verantwortlich handelnde Instanz • Wer mit Absicht handelt erwägt auch die Folgen seiner Handlung und bezieht damit auch moralische Gesichtspunkte in seine Entscheidungen eine - einer Korporation kann also als moralischer Akteur verstanden werden. • Korporationen sind also moralisch verantwortlich für ihre Handlungen und Unerlassungen und haben dieselben Rechte und Pflichten wie Individuen. Ethik Pharma Gally Seite 23 Mittags – Moral im Unternehmen: Mission – Vision - Realisation Ferdinand Hodler: Eiger Mönch und Jungfrau über dem Nebelmeer Ethik Pharma Gally Seite 24 Die Frage: Gibt es eine moralische Entwicklung von Unternehmen Der CEO lädt zur Entwicklung einer neuen Unternehmensphilosophie ein! Ethik Pharma Gally Seite 25 Lawrence Kohlberg: Moralische Entwicklung Individuen 1. Gehorsam – Strafe, Ausrichtung an unmittelbarer Auswirkung der Handlung – Strafe oder Sanktionen vermeiden, keine Reflexion 2. Ausrichtung nach Erfolg – Gegenwert für Wohlverhalten erwartet, wie du mir – so ich dir, „Deal“ – kein wirkliche Interesse am Du 3. Beziehungen und Konformität, Reflexion der Folgen der Handlung und der Bedürfnisse des Mitmenschen und des enges soziales Umfelds (Familie, Firma, Verein) Ethik Pharma Gally Seite 26 Lawrence Kohlberg: Moralische Entwicklung Individuen 4. Einbezug des Wohlergehend der Gesellschaft – goldene Regel, bewusste Gegenseitigkeit, leben in Institutionen, Gesetzerorientierung 5. Stufe Sozialvertrag, übergeordnete Perspektiven werden beachtet, Einsatz für die Gemeinschaft, Freiheitsrechte, univ. Verträge 6. Ausrichtung an universellen ethischen Prinzipien, Vernunft und Moral (Kant, Mill), moralische Autonomie Ethik Pharma Gally Seite 27 Gally: Moralische Entwicklung von Unternehmen 1. Firma richtet sich an den unmittelbarer Auswirkung der Handlung aus, die Furcht vor Sanktionen und Strafe bestimmen das Handeln 2. Die Interessen von Kunden werden beachtet, jedoch nur soweit sie den Markterfolg beeinflussen, nur reaktives Handeln, Shareholder-Ansatz Ethik Pharma Gally Seite 28 Gally: Moralische Entwicklung von Unternehmen 3. Ethik in der Unternehmenspolitik und im Management-System verankert, Gesellschaftliche Auswirkungen werden beachtet, doch keine internen ethische Entscheidungsstruktur und nicht integriert 4. Aufbau einer firmeninternen moralische Instanz, Verantwortung und Moral intern verankert, alle Mitarbeiter sind sich ihrer moralischen Verantwortung bewusst Ethik Pharma Gally Seite 29 Nachmittags – Ethik im Unternehmen: Wir verantworten moralisch, was wir tun Michelangelo Buonarotti: Sixtinische Kapelle – die Erschaffung Adams Ethik Pharma Gally Seite 30 Patricia Werhane: Unternehmen: sek. moralische Verantwortung • Als sekundär moralische Handelnde sieht Patricia H. Werhane Korporation an und sie ordnet daher den Unternehmen eine sekundäre moralische Verantwortung zu. • Diese sind nicht nur wirtschaftliche, sondern auch moralische Akteure, wobei sie dies allerdings nicht immer berücksichtigen. Ethik Pharma Gally Seite 31 Patricia Werhane: Unternehmen: sek. moralische Verantwortung • Unternehmen betrachten sich als unabhängige, ökonomische Organisationen und sie wollen möglichst wenig staatliche oder rechtlichen Beschränkungen unterworfen sein. • Sie beanspruchen das Recht auf Autonomie und ökonomischer Freiheit. Legale Rechte müssen, um gerechtfertigt zu sein, eine moralische Basis haben. Ethik Pharma Gally Seite 32 Patricia Werhane: Unternehmen: sek. moralische Verantwortung • Falls daher Unternehmen legale Rechte auf Freiheit und Autonomie fordern, dann müssen sie auch moralische Rechte einfordern. • Falls sie moralische Rechte besitzen, dann müssen sie auch moralische Verpflichtungen eingehen und sie können moralisch verantwortlich gemacht werden. Ethik Pharma Gally Seite 33 Patricia Werhane: Unternehmen: sek. moralische Verantwortung • Die Handlungen von Unternehmen sind sekundäre Handlungen, die von primären Handlungen von rational handelnden Personen ausgelöst werden, die moralische urteilen und moralische Verantwortung tragen können. • Unternehmen können also sekundär moralisch handeln, dies kann jedoch nicht einfach nur auf das primäre Handeln einzelner Personen zurückgeführt werden. Ethik Pharma Gally Seite 34 Immanuel Kant 1784: "Was ist Aufklärung?": Aufklärung ist der Ausgang des Menschen aus seiner selbstverschuldeten Unmündigkeit. Unmündigkeit ist das Unvermögen, sich seines Verstandes ohne Leitung eines andern zu bedienen. Selbstverschuldet ist diese Unmündigkeit, wenn die Ursache derselben nicht aus Mangel des Verstandes, sondern der Entschließung und des Mutes liegt, sich seiner ohne Leitung eines andern zu bedienen Ethik Pharma Gally Seite 35 Wo steht der einzelne • Funktionär im Dienste des Unternehmens oder freies Individuum, dass nach seinem Gewissen handeln kann oder sogar handeln muss? • Aus Freiheit folgt Verantwortung und die moralischen Pflichten. Kann ein Mitarbeiter aus dieser Freiheit „entlassen“ werden? Ethik Pharma Gally Seite 36 Berufsethos • Persönliches Ethos und reale Berufswelt • Sind Handlungen im Berufsalltag moralisch neutral und haben erst ihre Auswirkungen moralischen Charakter • Genügt eine Befolgung von internen und externen Regeln (Stand der Wissenschaft und Technik) und der Gesetzen? • Werden auch ethische Normen befolgt? Ethik Pharma Gally Seite 37 Berufsethos • Wer ist Verantwortungssubjekt, werden Verantwortungen zugeschrieben • Verpflichte ich mich auf Rationalität und Wahrhaftigkeit, Transparenz, Fairness und Dialogbereitschaft? • Bestehe ich im Ernstfall auf die Einhaltung dieser Prinzipien, auch wenn es nicht opportun scheint? • Bin ich im Unternehmen ein „freier Mensch“? Ethik Pharma Gally Seite 38 1. These zur Verantwortung Die Verantwortlichen für die Qualität und Sicherheit der Arzneimittel sind in erster Linie gegenüber dem Patienten als Person moralische verpflichtet, nur einwandfreie Arzneimittel zu vertreiben. Es ist ihr moralische Pflicht, die Sicherheit und Gesundheit des Patienten an erster Stelle zu setzen und sie müssen die Konsequenzen ihres Handelns grundsätzlich gegenüber ihm als Person rechtfertigen können. Ethik Pharma Gally Seite 39 2. These zur Verantwortung Das Unternehmen hat für eine Organisation zu sorgen, die sicherstellt, dass Verantwortungen klar zugewiesen werden und Entscheide zur Qualität und Sicherheit der Arzneimittel vom den dafür moralisch Verantwortlichen unabhängig von anderen Interessen der Organisation gefällt werden können. Ethik Pharma Gally Seite 40 3. These zur Verantwortung Bei komplexen Entscheiden mit der Beteiligung mehrere Personen muss gewährleistet sein, dass die moralische Verantwortung gegenüber dem Patienten effektiv wahrgenommen wird. Eine oder mehrer Personen müssen für die Entscheide persönlich die moralische Verantwortung übernehmen. Diese Personen müssen klar bezeichnet werden, eine Verantwortungsdiffusion, bei der die Verantwortung niemanden mehr klar zugeschrieben werden kann, darf nicht vorkommen. Ethik Pharma Gally Seite 41 4. These zur Verantwortung Das Unternehmen als ganzes hat gegenüber dem Patienten den Status einer moralischen Person (eines Gegenübers) und muss dementsprechend die moralische Verantwortung für Schäden übernehmen. Der Patient darf gegenüber dem Unternehmen nicht nur Bittsteller sein, sondern er hat Anspruch auf einen verantwortlichen Ansprechpartner, der ihn als Person ernst nimmt und auf seine berechtigen Ansprüche eingeht. Dies gilt unabhängig von der Verantwortung einzelner Mitarbeiter des Unternehmens, die möglicherweise Verursacher eines Schadens sind und persönlich dafür haftbar gemacht werden können. Ethik Pharma Gally Seite 42 5. These zur Verantwortung Ein Unternehmen muss sich seiner moralischen Verantwortung bewusst sein und durch das interne Führungs- und Wertesystem sicherstellen, dass eine entsprechende Unternehmenskultur existiert und so die moralische Verantwortung wirklich wahrgenommen werden kann. Ethik Pharma Gally Seite 43 Ethikcheck für den Alltag Vor einem wichtigen Entscheid sind folgende Fragen zu beantworten: • Ist es legal Verletzte ich Gesetzte oder Grundsätze der Firmenpolitik? • Sind die Risiken berücksichtigt und richtig gewertet worden? Berücksichtigt der Entscheid die Risiken für den Patienten und die Firma (sind die Ziel erreichbar)? • Welche Gefühle werde ich nach dem Entscheid haben? Würde ich dieses Medikament (Charge) meiner Frau oder meinen Kinder geben? Würde ich mich wohl fühlen wenn mein Entscheid in den Medien publiziert würde, in der Öffentlichkeit diskutiert würde? Ethik Pharma Gally Seite 44 19 Titel 19.wma Ethik Pharma Gally Seite 45 Literaturvezeichnis Aronson, J.K. 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