Nasser Schwamm

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Nasser Schwamm
„Verleihung des Nassen Schwamms“
Einführung von
Dr. Ludwig Eckinger, VBE-Bundesvorsitzender
am Montag, dem 5. März 2007
in Berlin
Filme wie „Das Kettensägenmassaker“ oder „Unterm Dirndl wird gejodelt“ sollen
demnächst zu jeder Tageszeit, also auch nachmittags zur Kinderfernsehzeit
ausgestrahlt werden dürfen. Viviane Reding, EU-Kommissarin für
Informationsgesellschaft und Medien, möchte das Angebot audiovisueller Medien mit
einer neuen Richtlinie unter dem Titel „Fernsehen ohne Grenzen“ liberalisieren. Dafür
hat ihr der VBE den ‚Nassen Schwamm’ zuerkannt, den wir ihr heute überreichen
wollen. Der VBE sieht diese Richtlinie als einen massiven Eingriff in das
verfassungsrechtlich gebotene Ziel des Jugendschutzes in Deutschland.
Hierzulande ist, verglichen mit anderen Ländern Europas, in den vergangenen
Jahren ein Jugendmedienschutz auf hohem Niveau geschaffen worden. Den würde
die neue Richtlinie zunichte machen. Was schon für grenzüberschreitende
Fernsehübertragung gilt, soll nun auch für nicht-lineare Dienste wie Video-onDemand, Web-TV und Handy-TV gelten. Pornos und Gewaltexzesse könnten bald
zur Primetime in die Wohnzimmer flimmern. Der angeblich wettbewerbsfördernden
Ausbreitung von Medieninhalten wird Vorrang vor dem nationalen Jugendschutz
eingeräumt. Wenn sich ein Land in Zukunft mit menschenrechtsverletzenden
Medieninhalten aus einem anderen Land konfrontiert sieht, kann es sich mit seinem
eigenen Jugendschutzsystem nicht mehr wehren, darf es nicht mehr von
unzureichenden Mindeststandards, wie sie im Herkunftsland gelten, abweichen.
Altersangaben, Vertriebsbeschränkungen oder gar –verbote dürfen nicht angewandt
werden. Es lebe der freie Markt.
Was der freie Markt bereithält, war unlängst auf der Nürnberger Spielwarenmesse
bereits zu besichtigen. Inmitten von Faller-Häuschen und Märklin-Eisenbahnen
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konnte man nackte Frauen sehen, die von der Polizei aus einem Puff abgeführt
wurden. Man konnte ebenfalls nackte Frauen sehen, die an einer Stange tanzten. An
anderer Stelle lässt sich ein nackter Mann von einer Frau in aller Öffentlichkeit
befriedigen. Der freie Markt machts möglich. Wenn schon die Nürnberger
Spielwarenmesse den Trend der Zeit erkannt hat, warum sollte sich da die EUKommission mit ihrer Richtlinie zurückhalten!
Die mediale Verwahrlosung (Christian Pfeiffer) greift um sich. Vor allem
pornographische Darstellungen beginnen, das alltägliche Leben zu beherrschen.
Und für viele muss sich Pornographie inzwischen mit Gewalt mischen. In Pornos
empfindet keiner mehr etwas für den anderen. Das Verhältnis der Jugendlichen
untereinander, ihre ersten Rollenerfahrungen als Mädchen und Junge, als Frau und
Mann werden von sexueller Nötigung, von sexueller Leistungserwartung überlagert.
Pornographie ist unter der Hand zur Leitkultur der Unterschicht geworden. Wer also
den angeblich so freien Fernsehhimmel, wie es im EU-Amtsdeutsch so schön heißt,
propagiert, bringt keine Freiheit, sondern das glatte Gegenteil, absolute Unfreiheit.
Verabschieden wir uns endlich von der Behauptung, dass es keinen Zusammenhang
zwischen der Darstellung von Gewalt und Pornographie und den realen
gesellschaftlichen Verhältnissen gebe. Die mentale Penetration ist wie der stete
Tropfen, der den Stein höhlt.
Der Schutzraum Kindheit und Jugend verschwindet so immer mehr. Eine
Gesellschaft, die nicht in der Lage ist, ihren Kindern und Jugendlichen Grenzen,
Verhaltensnormen, Regeln des Zusammenlebens wirklich vorzugeben, braucht sich
nicht zu wundern, wenn sie auseinander bricht. Anything goes, erst im Kinderzimmer,
dann überall. Gibt es noch ein Leben jenseits sexueller Nötigung, jenseits von
Zumutungen der Gewalt, jenseits der Tumbheit rassistischer, menschenverachtender
Parolen? Nun wohl auch im Kinderzimmer nicht mehr. Über 60% der Jungen im Alter
von 10 Jahren haben einen eigenen Fernsehapparat in ihrem Zimmer. Freie
Programmwahl eingeschlossen.
Leider wird Frau Reding den Preis nicht persönlich entgegen nehmen. Aber wir sind
natürlich gern bereit, ihr den Preis zu überbringen. Auf jeden Fall bleibt es dabei: Der
VBE zeichnet Frau Reding dafür aus, dass sie mit der neuen Fernseh-Richtlinie
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„Fernsehen ohne Grenzen“ vorgeschlagen hat, den Medienmarkt fast vollständig zu
liberalisieren. Dafür gibt’s den „Nassen Schwamm“.
Was Frau Reding fahrlässig verkennt, ist, dass sie vierfachen Schaden anrichtet.
Erstens werden die hohen Standards des deutschen Jugendschutzes zerstört. In der
Richtlinie taucht das Wort überhaupt nicht mehr auf. Durch das Herkunftslandsprinzip
können nun alle Länder Europas, unabhängig von ihren nationalen Regelungen, mit
pornographischen Ferkeleien, brutalen Gewaltdarstellungen und abgeschmackten
rechtsradikalen Parolen überschwemmt werden. Wenn nur ein Land in Europa
keinen Jugendschutz praktiziert, soll dies zukünftig für alle Länder gelten. Für die
Medien-Nutzer hat Frau Reding folgende Botschaft parat: Grenzenlose Freiheit im
Medienbereich muss den Produzenten nützen, nicht den Konsumenten. Wer zu
unerfahren ist, sie zu gebrauchen, wie eben Kinder und Jugendliche, ist selbst
schuld.
Warum, Frau Reding, hat sich die EU nicht an den Ländern orientiert, die einen
funktionierenden Jugendschutz praktizieren? Warum hat es keine Einigung auf dem
höchsten Level, sondern eine auf dem niedrigsten Level gegeben? Warum sollen in
Deutschland nicht für ausländische Anbieter die gleichen Anforderungen bestehen
wie für deutsche Anbieter? Könnte es tatsächlich sein, dass die Interessen der
Bürger in einem Europa der Bürgerinnen und Bürger missachtet werden? Wer sich
einmal vor Augen hält, wie eine Beschwerde gegen Pornographie, gegen
Gewaltdarstellungen, gegen rechtsextreme Parolen in Zukunft überhaupt noch
geführt werden kann, muss diesen Eindruck gewinnen.
Denn mit Frau Redings Richtlinie gibt es praktisch keine Kontrollinstanz mehr. Eine
Beschwerde, eine Beanstandung oder eine Rüge müsste in Zukunft wohl folgenden
Weg gehen: Die Landesmedienanstalt gibt die Rüge an die Landesregierung weiter.
Die Landesregierung bestätigt den Eingang und gibt die Rüge an die
Bundesregierung weiter. Diese beauftragt den Außenminister. Der wiederum
überreicht die Rüge an den Außenminister des Landes, aus dem der zu rügende
Beitrag kam. Dieser leitet die Rüge an seinen Innenminister-Kollegen weiter. Und
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dieser rügt dann den Sender. Wenn die ganze EU einen Programmanbieter
gemeinschaftlich rügen wollte, wäre dies noch schwieriger.
Zweitens werden Medien nun unverhohlen zu dem, was sie insgeheim immer schon
waren, zu Verkaufseinrichtungen. Der Informationsaspekt tritt weiter in den
Hintergrund. Product-Placement wird in einzelnen Bereichen gestattet. Der
Konsument wird weiter hinters Licht geführt. Der Begriff Werbung hat ausgedient,
weil er den Sachverhalt nicht mehr bezeichnet. Es wird nicht mehr für Produkte
geworben (Was für ein hilfloser Vorgang!), gegen die man sich als Konsument
womöglich entscheiden könnte. Modernes Advertising, Markenführung, Corporate
Identity und Corporate Design, sollen auf geradem Wege ins Kleinhirn hinein wirken.
Den Konsumenten ruft Frau Reding mit ihrer Richtlinie zu: Die Freiheit der
Medienwelt ist die Freiheit des Konsums. Ihr sollt konsumieren, ohne es zu merken.
Wie Hohn muss deshalb klingen, wofür Frau Reding auf ihrer Website verspricht sich
einzusetzen: „Alle Europäer sollten unabhängig von Gesundheitszustand,
Einkommen oder Wohnort die Vorteile der Informationsgesellschaft nutzen können.
Dabei dürfen wir das Endziel nicht aus den Augen verlieren: ein besseres Leben für
jedermann in Europa.“
Drittens werden die Menschen in der EU für dumm verkauft. Denn was mit dem
subtilen Hinweis auf die angebliche Freiheit des amerikanischen Medienmarktes,
dem wir es in Europa nur gleichzutun bräuchten, verkauft wird, ist die Geiselnahme
des Konsumenten von Medien durch die Medienwirtschaft, assistiert durch die EUKommission. Die EU-Kommission macht sich zum Anwalt obskurer wirtschaftlicher
Interessen im Medienbereich. Den Bürgern Europas sagt sie damit klammheimlich:
Vergesst das Europa der Bürger! Europa ist längst die Verwaltungseinheit
einträglicher Wirtschaftsinteressen. Auf der Website von Frau Reding heißt es: „Mein
Schwerpunkt liegt auf der Steigerung der Wettbewerbsfähigkeit durch den
Wettbewerb.“ Ihr Ziel ist demnach die „Schaffung eines offenen und
wettbewerbsfähigen Binnenmarktes für Dienste der Informationsgesellschaft und der
Medien in der EU“. Da sind Kinder und Jugendliche dann auch nicht mehr zu
schützen, sondern nur noch als Konsumenten zu entdecken.
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Viertens werden bildungspolitische Grundsätze konterkariert. Unterricht und
Erziehung, bisher flankiert vom Jugendschutz, werden durch die neue Richtlinie
weiter erschwert. Hatten Lehrerinnen und Lehrer schon bislang gut damit zu tun, all
die Eindrücke der Kinder und Jugendlichen, die diese aus zahlreichen Medien
vermittelt bekommen, aufzuarbeiten, so wird Erziehung zukünftig zur wahren
Sysiphos-Arbeit. Dazu die Botschaft von Frau Reding: Erziehung hat keinen Wert.
Die Folge ist, dass Gewalt in und außerhalb der Schule, unter Kindern und
Jugendlichen, zunimmt, dass sexuelle Belästigungen und Nötigungen, dass ganz
allgemein Verrohung und Gewalt zunehmen. Wenn Frau Reding nun sagt: „Ich habe
vor Jahren mit den Produzenten von Videospielen eine freiwillige Selbstkontrolle mit
Warnhinweisen auf DVDs vereinbart.“ (SZ, 13.12.06, S. 15), dann ist das ähnlich
sinnvoll wie ein Warnhinweis auf nuklearen Interkontinentalraketen, mit dem
Wortlaut: Sprengstoff kann tödlich sein.
Die EU-Kommissarin für Informationsgesellschaft und Medien hat sich mit ihrer
Richtlinie am entschiedendsten dafür eingesetzt, dass der Medienmarkt liberalisiert
wird, mit allen negativen Folgen. Für diesen bildungspolitischen Tiefschlag des
Jahres 2006 gebührt ihr der Preis des VBE, der „Nasse Schwamm“. Ich will nicht
verhehlen, dass es im letzten Jahr viele preiswürdige Vorschläge gab und die Jury
große Mühe hatte, eine geeignete Kandidatin, einen geeigneten Kandidaten zu
finden. Der „Nasse Schwamm“ wird deshalb auch zukünftig Grenzüberschreitungen
aufspießen, die im Einzelfall tief blicken lassen. In diesem Jahr soll er auf die
verhängnisvollen Folgen der EU-Richtlinie „Fernsehen ohne Grenzen“ aufmerksam
machen. Die Laudatio wird zeigen, wer den Preis bekommt.