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DeutschlandRadio Berlin ZeitReisen 2004 Präventivkrieg und Krisenprävention Vom Recht des Stärkeren zur Stärkung des Rechts Feature von Birgit Kolkmann Redaktion: Hans-Jürgen Fink Produktion: 18. Juni 9.30 – 17.00 Uhr, Studio 11 Regie: Johanna Elbauer Sendetermin: 24. Juli 2004 19.05 -19.30 Uhr Länge: 24’09’’ Pressetext: Das Vorgehen der USA im Irak-Krieg hat die Aufmerksamkeit auf eine besondere Art der Kriegsführung gelenkt: den Präventivkrieg. Dieser wirft mehrere Fragen auf: entspricht er dem Völkerrecht? Ist er moralisch vertretbar? Ist er überhaupt sinnvoll? Welche Alternativen gibt es? Das Feature durchleuchtet verschiedene Strategien und Zukunftsmodelle zur Lösung derzeitiger und künftiger überregionaler Konflikte. O-TON 1 Irene Khan, Vors. Amnesty International As a strategy the war and terror is bankrupt of vision and bereft of principle. Sacrificing human rights in the name of national security, turning a blind eye to abuses abroad, and using pre-emptive military force when and where the powerful chooses have damaged justice and freedom and made the world a more dangerous and divided place. Darüber: Sprecherin Übersetzung: Krieg und Terror als Strategie ist der Bankrott von Visionen und Verlust von Prinzipien. Menschenrechte im Namen von nationaler Sicherheit zu opfern, deren Missachtung im Ausland zu ignorieren und Präventivkriege zu führen, wo und wann es den Mächtigen passt, haben recht und Freiheit beschädigt und die Welt gefährlich gespalten. O-Ton 2 Rupert Neudeck, „Grünhelme“ 2 Die Amerikaner haben sich in eine ganz furchtbare Situation manövriert auf der ganzen Welt, dadurch, dass sie eben mit einem imperialen Machtanspruch auftreten und dieser imperiale Machtanspruch auch durch nichts mehr an den Rändern gedämpft oder kontrolliert oder reserviert ist. Es gibt nichts mehr, was diesen Machtanspruch aufhält. Diese Haltung wurde bisher für uns am manifestesten im Irak. Autorin: Das Irak-Desaster – Irene Khan, die Vorsitzende von Amnesty International übte bei der Vorlage des Jahresberichts vernichtende Kritik an der US-Politik – ebenso wie Rupert Neudeck, seit Jahrzehnten als ziviler Helfer in Krisengebieten rund um die Welt im Einsatz. Jetzt wieder mit seiner neuen Organisation „Grünhelme“ im Irak, Kosovo und in Afghanistan. Der Krieg im Irak, den die USA ohne Wenn und Aber gegen den erklärten Willen eines großen Teils der Internationalen Gemeinschaft führten, war ein Präventivschlag – mit dem erklärten Ziel, Saddam Hussein zu entmachten, seine angeblichen Massenvernichtungswaffen zu eliminieren, den Nahen und mittleren Osten mittelfristig zu demokratisieren und zugleich Irak als mögliche Basis für den internationalen Terrorismus auszuschalten. Die gesamte Aktion war völkerrechtlich höchst umstritten. Wie überhaupt die Frage schwer zu beantworten ist, ob, und wenn ja – unter welchen Bedingungen der Einsatz von Gewalt erlaubt ist, um Gewalt zu verhindern. In der abstrakten Welt des Völkerrechts hingegen weiß man durchaus klar zu unterscheiden, sagt der Konfliktforscher Ulrich Schneckener von der Stiftung Wissenschaft und Politik. O-Ton 3 Ulrich Schneckener, SWP Der Begriff Präventivkrieg hat verschiedene Bedeutungen. Es ist jetzt kein neues Konzept, sondern wir haben das in der strategischen Debatte schon sehr lange, denken Sie an die Abschreckungsdoktrin, in der auch eine Präventivoption enthalten war. Man muss hier unterscheiden einmal zwischen einem Präemptivkrieg und einem Präventivkrieg. Im Deutschen haben wir da nur ein Wort, in der angelsächsischen Literatur wird das eben in diese beiden Begriffe unterschieden. Der Präemptivkrieg ist eigentlich das, was auch völkerrechtlich als gedeckt gilt, nämlich, dass man reagiert vorauseilend auf einen unmittelbar bevorstehenden Angriff von einer Gegenseite. Etwas Anderes ist das, was in der amerikanischen nationalen Sicherheitsstrategie zum Ausdruck kommt, nämlich eine Präventiv-Option, wo zwar eine Art von Bedrohung vorliegt, wo aber die Gegenseite aber nicht unbedingt zum Angriff entschlossen ist, man der Gegenseite aber unterstellt, das sie irgendwann eine Bedrohung darstellen könnte, und man hier einen Präventivkrieg führt. Der Irak-Krieg ist sicherlich ein Beispiel für diese Art von Präventivkrieg. Autorin: Die Skeptiker haben Recht behalten. Die USA haben zwar den Krieg gewonnen, können aber den Frieden nicht erringen ohne Allianzen in der UN und im Irak. Hätte es einen anderen Weg, eine bessere Strategie gegeben? O-Ton 4 Ulrich Schneckener, SWP 3 Wir hatten ja ein präventives Mittel, wenn Sie so wollen, mit den Waffeninspektoren im Lande. Das ist ja ein Regime gewesen, das leidlich funktioniert hat, wenn auch unter großen Schwierigkeiten, aber doch über die Jahre einiges zu Tage befördert hat. Auf der anderen Seite muss man ja auch feststellen, wenn man das jetzt heute bilanziert: Wer nicht viel hat, hat auch nicht viel zu verraten und das ist natürlich das Problem: Wie kann man nachweisen, dass man nicht das hat, was einem unterstellt wird, wenn man es nicht hat? Autorin: Die angeblichen Massenvernichtungswaffen des Irak wurden bis heute nicht gefunden, stattdessen das Land durch den Krieg und die anschließende Besatzung nachhaltig destabilisiert. Neue staatliche Strukturen zu installieren, den Menschen Sicherheit im eigenen Lande zu garantieren – damit steht Irak gerade erst am Anfang eines Weges, der auf lange Sicht eine Gratwanderung bleiben wird. Das Beispiel Balkan zeigt, wie verheerend und wie lange die Folgen des Krieges nachwirken. Und dass es viel mehr bedarf als kurzfristiger Hilfe zum Aufbau von Infrastruktur, Verwaltung und Wirtschaft, um tatsächlich Frieden und Stabilität für lange Zeit zu sichern. Ist erst einmal das letzte Mittel, der Krieg als Ultima Ratio eingesetzt worden, sind Hass und Gewalt so stark, dass es ohne langfristigen Einsatz von Sicherheitskräften, Friedenstruppen nicht möglich ist, die Feinde von gestern für den Frieden von morgen zu gewinnen. In Bosnien und im Kosovo zeigt sich, wie an diesem Punkt psychosoziale Betreuung der Menschen zur Konfliktnachsorge und damit zur Vermeidung künftiger Konflikte beitragen kann. Denn die Spätfolgen des Krieges, die negativen Konsequenzen für den Friedensprozess sind groß. Krieg, Besatzung, Folter und Gewalt hinterlassen psychische Sprengsätze in den Köpfen, in den Seelen der Menschen. Der Krieg hört praktisch nicht auf, sagt Monika Hauser, Ärztin und Gründerin von Medica Mondiale, die nach dem Bosnien-Krieg erst auf dem Balkan und nun auch in Afghanistan medizinische und psychosoziale Betreuung vor allem der Frauen nach dem Krieg organisiert. O-Ton 5 Monika Hauser, Medica Mondiale Bis zu einem gewissen Grad geht er tatsächlich weiter, weil nur die Abwesenheit von Granaten oder von Beschuss noch nicht bedeutet, dass die Menschen wieder in der Lage sind, miteinander zu kommunizieren und in einer Art und Weise umzugehen, wie wir uns das gerne vorstellen würden. Und speziell für Frauen sehen wir, dass gerade in Nachkriegs-Situationen erhöhte Gewalt an der Tagesordnung ist, sei es, weil in den Familienstrukturen, in denen sie leben, sie tägliche Gewalt erleben, als auch dass aufgrund der Traumatisierung der Männer, der wirtschaftlichen Perspektivlosigkeit in der Nachkriegszeit häusliche Gewalt gegen Frauen und gegen Kinder durch die ihrerseits traumatisierten Männer an der Tagesordnung ist. Autorin: 4 Jahre nur hat es gedauert, bis das Frauenberatungszentrum im Kosovo völlig eigenständig arbeiten konnte – das Kölner Team um Monika Hauser zog sich zurück, Medica Kosova arbeitet jetzt als Nichtregierungsorganisation mit Unterstützung des deutschen Entwicklungsministeriums. O-Ton 6 Monika Hauser, Medica Mondiale 4 In der Stadt Gjakova haben wir parallel zum Aufbau des Therapiezentrums begonnen, gesellschaftlich relevante Kreise zu sensibilisieren für diese Frage, seien es politische Autoritäten, religiöse Autoritäten, im Krankenhaus die Chefärztin der gynäkologischen Abteilung, Polizei etc., dass ihnen wirklich klar ist, dass es schwere Menschenrechtsverletzungen gewesen sind, die diesen Frauen während des Krieges geschehen sind, und dass, wenn nicht offen über dieses Thema gesprochen wird, dass die Frauen durch diese Isolation eine weitere Menschenrechtsverletzung erleben und die Gesellschaft auch diese Frauen verlieren wird, weil sie apathisch werden, weil sie schwer krank werden, weil sie unter Umständen auch ein Suizid begehen und dass die Zukunftsträgerinnen auch sind, diese Frauen, gerade auch die jungen Frauen und dass ohne die Frauen auch kein Staat zu machen ist und nur, wenn diese Frauen einen Platz in der Gesellschaft bekommen, diese Gesellschaft überhaupt eine Chance hat, gesund zu werden. Musik unterlegen Intro (0:41) „Lane moje“ – Zeljko Joksimovic (Ethno-Pop SerbienMontenegro) Stehen lassen, ca. 0’40’’ dann darüber: Autorin: 0’45’’ Ein Ziel, das näher rückt, auch wenn der serbisch-albanische Konflikt im April im Kosovo kurz wieder aufflammte. Versöhnungsarbeit wurde geleistet, nicht nur durch Medica – und zumindest auf der Ebene der Unterhaltungskultur scheint sich die Jugend in den Staaten Ex-Jugoslawiens zu verstehen – ganz traditionell unterstützten sie beim European Song Contest gemeinsam den serbischen Sänger Zeljko Joksimovic – eine Geste, nicht mehr, aber er kam auf Platz 2. Musik kurz stehen lassen dann ausblenden. (Lane-moje) Versöhnung und Wiederaufbau im Irak sind dagegen in einem anderen Stadium. Der Frieden ist noch nicht gesichert. Was kann mit friedlichen Mitteln getan werden zum „Nation building“, zum Aufbau einer demokratischen Gesellschaft? Sicherheit zuerst, meint Friedens- und Konfliktforscher Ulrich Schneckener. O-Ton 7 Ulrich Schneckener, SWP Die Situation im Irak ist natürlich extrem schwierig. Es ist sehr schwer, jetzt mit dem Instrumentarium, dass sich mit den Begriffen zivile Konfliktbearbeitung, Krisenprävention, Konfliktnachsorge verbindet, und den Ressourcen, die wir auch in Deutschland dafür haben, hier eine Lösung so ohne weiteres zu finden. Ich glaube, dass sind erst Konzepte, die erst zum Einsatz kommen können, wenn sich die Situation im Irak stabilisiert hat. Wenn die enormen Sicherheitsprobleme geringer geworden sind und wenn man wirklich in eine Phase der Konsolidierung, des Wiederaufbaus und des Aufbaus politischer Institutionen eintritt. Autorin: Doch - Demokratie als Exportartikel? Der Begriff des „Nation Building“ ist umstritten – es geht nicht um eine Mission sondern – im Sinne der Dauer und Stabilität – um Hilfe zur Entwicklung von innen, sagt Rupert Neudeck als Gründer der Friedensorganisation „Grünhelme“: O-Ton 8 5 Rupert Neudeck, „Grünhelme“ Ich bin ein geborener Europäer und ich halte im Tiefsten meiner Selbst, vielleicht in meinen Träumen, in denen ich ja nicht kontrollieren kann, was ich da denke, halte ich und halten wir uns für die Meister der Welt. Und das ist etwas, das wir ablegen müssen. Darin liegen alle Fehler begründet. Man kann eine Gesellschaft nicht von außen ändern. Man kann nur bescheiden, aber beherzt bestimmte Bedingungen für die Menschen verbessern. Die Allerwichtigsten sind Schulen, Bildung, Bildung und noch einmal Ausbildung, Gymnasial-Bildung, Sekundärschulbildung, Berufsausbildung, und man kann die Gesundheitsversorgung verbessern. Das sind Bereiche, in denen können wir mit ganz großer Beherztheit arbeiten aber nicht unter dem Anspruch, dass wir damit eine Nation schaffen oder eine soziale Bedingtheit der Menschen oder der Clans schaffen. Autorin: Der militärische Sieg kann mit Masse und Material relativ schnell errungen werden, was danach kommt, dauert und ist riskant – wie Katja Roehder, Expertin für Krisenprävention und Nachkriegssituationen beim Deutschen Institut für Entwicklungspolitik, betont. O-Ton 9 Katja Roehder, Deutsches Institut für Entwicklungspolitik Das ist vorherrschende Ansicht, dass man mit Wahlen und Demokratie weiterkommt, man hat aber auch gesehen, dass zu frühzeitige Wahlen eher instabilisierend wirken, deswegen werden zum, Teil Wahltermine verschoben, sehr schwierig, man hat dazu auch noch keine wirklichen Lösungen aber – man braucht auf jeden Fall mehr Ressourcen. Die meisten Mittel werden kurz nach Konfliktende bereitgestellt, da gibt es dann noch sehr viel Schwung, aber die größte Aufnahmefähigkeit von Geld ergibt sich erst 3 bis 7 Jahre nach einem Konflikt, nach Friedensverhandlungen, wenn denn überhaupt so lange noch Frieden existiert. Und da muss sich die Gebergemeinschaft noch darauf einstellen, dass man mit langem Atem darangehen muss, auch langfristig finanziell unterstützt. Autorin: Wie kann dennoch die Bereitschaft zur Kooperation gefördert und vermittelt werden, so dass alle etwas vom Frieden haben? Ulrich Schneckener von der Stiftung Wissenschaft und Politik. O-Ton 10 Ulrich Schneckener, SWP Das geht über verschiedene Mechanismen. Es geht über Anreize. Es gibt ja nun bei den meisten Konflikten eine so genannte Geberkonferenz, die in Aussicht gestellt wird. Das ist ja für das Land und für viele Gruppen, die an diesen Konflikten beteiligt sind, eine sehr wichtige Sache, das sichert ja auf jeden Fall eine Art von Ressourcenzufluss. Bestimmte politische Lösungen können Anreize sein. Aber es ist natürlich auch so, dass Sanktionen, Druck von außen, das, was man Zwangsdiplomatie auch nennt, dass auch das Bereitschaft auf der ein oder anderen Seite fördern mag, weil man sich eben entscheidet, eine bestimmte Strategie, die 6 eine Gewaltstrategie war, dass man die so nicht auf Dauer wird durchhalten können angesichts des internationalen Drucks und möglicherweise bevorstehender Militärinterventionen. Autorin: Vor allem dann, wenn sie vom Krieg leben. Die „Störenfriede“ des Friedens, die sogenannten „Spoiler“, können bildlich gesprochen überall dabei sein: unter oder am Verhandlungstisch, hinter den Vertretern der Parteien – und sie können ein Abkommen, eine Lösung zum Scheitern bringen. Aber Störenfried ist nicht gleich Störenfried: das Spektrum reicht von Kriegsopfern über ethnische Gruppen bis hin zu Warlords, die gar kein Interesse daran haben, dass der Krieg aufhört, denn er beschert ihnen Reichtümer. Eventuell O-Ton ATMO: Trommeln Darüber: Interessen können außer spalten aber auch einen – über Landes- und ideologische Grenzen hinweg – Ortswechsel: Afrika: es geht um Wasser und Wald und möglichen Kampf um beides: Uschi Eid, Staatssekretärin im Bundesministerium für Wirtschaftliche Zusammenarbeit und langjährige Afrika-Kennerin: O-Ton 11 Uschi Eid, Staatssekretärin im BMZ Unser Auftrag im BMZ ist ja, langfristige Strukturen so zu verändern, dass Konflikte nicht ausbrechen. Und da ist ein Themenbereich, ein ganz breites Feld, die Frage der knapper werdenden Ressourcen und der Menschen, die sich um diese knapper werdenden Ressourcen streiten. Also, wir unterstützen z.B. die Kongo-Becken Wald-Initiative , das ist eine Initiative von fünf Kongo-Becken-Ländern, die gemeinsam eine harmonisierte Forstwirtschaft erarbeiten wollen, damit sie gehen illegalen Holzeinschlag vorgehen können und da sitzen dann Länder an einem Tisch, die aus politischen Gründen gar nichts miteinander zu tun haben wollen aber in solchen technischen Kommissionen kriegt man sie an einen Tisch, wo wir darauf setzen, dass da Vertrauen aufgebaut wird und auch diese Aktivitäten sehen wir im Kontext einer Friedenspolitik auf dem afrikanischen Kontinent und einer afrikanischen Stabilitätsarchitektur. Autorin: Kämen wir hier, im Interesse der Menschen, der Sache, vom Recht des Stärkeren zu einer Stärkung des Rechts – zur Einsicht auf der Basis schlichten ökonomischen Denkens? Ulrich Schneckener von der Stiftung Wissenschaft und Politik, Autor einer Studie über die „Störenfriede des Friedensprozesses“: O-Ton 12 Ulrich Schneckener Das wäre in gewisser Weise der Übergang – auch hier würde es um die Durchsetzung von Recht dann gehen – nämlich wenn Sie jetzt Afghanistan nehmen , kann man natürlich diese Warlords, die man im Moment gewähren lässt, das kann man nur begrenzt durchhalten, weil, wenn es nicht gelingt, diese Transformation vom Warlord zum Politiker oder Regionalpolitiker zu bewältigen, sind diese Leute eine dauerhafte Gefahr für die Stabilisierung eines Landes. Sie unterminieren ja den 7 gesamten Stabilisierungs- und Aufbau-Prozess in diesem Land und das ist natürlich nicht vorstellbar, dass Afghanistan zur Ruhe kommt, solange es aus einem guten Dutzend verschiedenen Armeen besteht. Autorin: Die nur durch militärische Intervention zu disziplinieren sind? In Afghanistan sollten nicht nur die Taliban besiegt, es sollte Bin Laden zur Strecke gebracht werden. Nach dem Bunker-Krieg um Tora Bora stellte sich heraus: er war über Eselspfade entwischt. Die neuen Kriege haben neue Schlachtfelder: Hotelanlagen, Restaurants, Bahnhöfe, öffentliche Orte im Internet werden zu Hinrichtungsstätten. Verläuft die Frontlinie im Kampf gegen El Kaida, längst nicht mehr im Irak oder in Afghanistan, sondern in Saudi Arabien, und nach Madrid auch bald in Europa? Welche Armee kann das verhindern? Martina Fischer, Politikwissenschaftlerin, im Stiftungsrat der Deutschen Friedensforschung und kommissarische Leiterin des Berliner Berghof Forschungszentrums für konstruktive Konfliktbearbeitung: O-Ton 13 Martina Fischer, Komm. Leiterin Berghof-Zentrum Das große Problem, dass ich sehe bei militärischen Interventionen, ist, dass durch die Traumatisierungen, durch die Verletzungen, durch die menschlichen Opfer, durch das Leiden, durch den Tod, dass durch diese Folgewirkungen Märtyrer geschaffen werden. Es handelt sich ja um die 2000 aktive Menschen, die ein Terrornetzwerk wie El Kaida beispielsweise unterstützen, wirklich aktiv daran mitarbeiten. Und wenn man dieses Rekrutierungspotential aktiv vermindern will, muss man mit anderen Mitteln vorgehen als mit derartigen Militäraktionen. Meine Befürchtung ist, dass solche Netzwerke eher Zulauf erhalten und dass insofern dieser Wunsch nach diesem starken Instrument Militär uns irgendwann entgegenschlägt und dass das genau das Gegenteil bewirkt von dem, was eigentlich beabsichtigt ist. Autorin: Militär und zivile Krisenprävention – nicht nur national organisiert oder mithilfe von UNO oder EU – neue Staaten-Bündnisse entstehen – Staatssekretärin Uschi Eid, auch Afrika-Beauftragte der Bundesregierung, über die neue afrikanische Friedensund Sicherheitsarchitektur der Afrikanischen Union. O-Ton 14 Uschi Eid, Staatssekretärin BMZ und Afrika-Beauftragte der Bundesregierung Die Afrikanische Union ist ja im Prinzip eine neue afrikanische Struktur. Und sie hat sich neue, sehr konkrete Aufgaben gesetzt und die allererste und oberste Aufgabe ist, Frieden in Afrika herbeizuführen. Was macht man in einem sehr konkreten Konflikt, der gelöst werden muss, wie demokratische Republik Kongo. Da haben es die Afrikaner, auch im Auftrag der Afrikanischen Union hingekriegt, also gerade Südafrika, einen Friedensvertrag zwischen Kongo, Ruanda und Uganda zu Stande zu bringen und vor einigen Monaten wurde analog des UN-Sicherheitsrates ein Afrikanischer Sicherheitsrat bei der AU etabliert, welcher dann als politisches Gremium die Entscheidungen vorbereitet, ob die AU irgendwo interveniert oder nicht. 8 Also hier sind ganz neue und ich will mal sagen, paradigmatische Veränderungen auf dem afrikanischen Kontinent zugange, die wir hier in Europa so gar nicht wahrnehmen. Wir denken immer, wir müssen da selber hin. Das ist völlig falsch. Autorin: Solche Prozesse können nur gefördert und gestützt werden durch breite Abstimmung in internationalen Gremien, zwischen Ministerien und Institutionen bis zur Friedensforschung. Querschnittpolitik, die auf langen Atem und große Erfahrung gründet. Positive Beispiele für neue Wege der Konfliktprävention aus der Sicht des Wissenschaftlers. Stephan Klingebiel. O-Ton 15 Stephan Klingebiel, Deutsches Institut für Entwicklungspolitik Großbritannien ist das Land, wo die ressortübergreifende Kooperation – und das sind ja dann in der Regel Außenpolitik, Sicherheitspolitik und Entwicklungspolitik – am weitesten fortgeschritten ist, wo man Instrumente geschaffen hat. Dort gibt es einen speziellen Konfliktpräventionsfonds, wo alle 3 Ressorts gemeinsam über entsprechende Verwendung befinden. Ich sehe als einen Meilenstein die Europäische Sicherheitsstrategie von Dezember 2003, die vom Europäischen Rat in Brüssel verabschiedet wurde. Das ist schon mal an sich ein Dokument, das einen Markstein darstellt. Und die Frage der Schnittstellen spielt dort die zentrale oder eine ganz zentrale Rolle, dass man mit diesen neuen sicherheitspolitischen Herausforderungen nur dann sinnvoll umgehen kann, wenn alle außenorientierten Politiken zusammenwirken. Und das halte ich letztlich auch für ein wichtiges Zeichen über den Atlantik hinweg. Autorin: Die EU als bislang erfolgreiches Friedensprojekt, das zur Stärkung des Rechts auch innerhalb der weltweiten Gemeinschaft, der UNO modellhaft beiträgt? Der historische Vorlauf zumindest spricht für eine positive Zukunft, sagt Ulrich Schneckener von der Stiftung Wissenschaft und Politik. O-Ton 16 Ulrich Schneckener, SWP Die Europäische Union sagt ja in ihren eigenen Papieren gerne als ersten Satz: Das erfolgreichste Krisenpräventionsprojekt in der Geschichte Europas ist die Europäische Union – das ist viel Pathos, aber es enthält auch ein Körnchen Wahrheit – man muss natürlich, um den ganzen historischen Bogen zu spannen, sehen, durch welche Geschichte dieser Kontinent gegangen ist, um zu diesem Punkt zu kommen. Also, so richtig Konfliktprävention ist das dann auch nicht. Aber es ist natürlich schon richtig, die Europäische Union als Regionalorganisation, als Organisation für regionale Integration und zwar auf den verschiedensten Ebenen, Ökonomisch, politisch, sozial, kulturell ein Projekt ist, dass Krisen, Konflikte, zumindest zwischen den Ländern, die der Europäischen Union angehören, vermieden hat . Und das ist natürlich ein hohes Gut, eine große historische Leistung, die man vielleicht vor 60 Jahren, vor 100, vor 200 Jahren diesem Kontinent nicht zugetraut hätte. O-Ton 17 Toncollage D-Day-Feiern Fanfare 9 Chirac « La france n’oubliera jamais. Elle ‘oubliera jamais ce 6 juin 1944 qui fut renaitre l’espoir. Elle n’oubliera jamais ces hommes, qui concentrirent au sacrifice suprème pour libérer notre sol, notre patrie, notre continent du jue de babarie nazi et le … meurtrielle. Elle n’oubliera jamais l’Amérique, son ami de toujours, ce qu’elle doit à tous ces alliés grace au quels l’Europe enfin réunifi, vit dans la paix, la liberté et la démocracy ». Schröder. »Wir Deutsche wissen, wer den Krieg verbrochen hat, wir kennen unsere Verantwortung vor der Geschichte und wir nehmen sie ernst.“ Bush „I wanna understand you to be honored every.. and always by the countries you served and by the nations you’ve freed.” US-Hymne – Schluss: Kampfjets zischen vorbei Darüber: Autorin: An der Küste der Normandie reichten sich zum 60. Jahrestag der Alliierten Landung auf dem Kontinent das alte Europa und Amerika wieder die Hand – manchmal liegt in der Krise die Chance zum Wandel – vielleicht die einzige – ohne Konflikte kein Fortschritt. Martina Fischer vom Berghof-Zentrum für konstruktive Konfliktbearbeitung. O-Ton 18 Martina Fischer Es geht darum, die Vereinigten Staaten davon zu überzeugen, dass sie diese Allianz weltweit auch benötigen, um weitere Bedrohungen dieser Art von sich zu halten. Da wäre es also wünschenswert, wenn die europäischen Staaten an einem Strang ziehen würden, also einerseits innerhalb einer Partnerschaft, einer transatlantischen Partnerschaft machen wir nicht alles mit, also wir beteiligen uns nicht an Angriffskriegen - das wäre mir auch im Hinblick auf die bundesdeutsche Außenpolitik wichtig – dieses klare Bekenntnis: Bis hierhin und nicht weiter! Autorin: Vor dem Irak-Krieg haben die USA die Vereinten Nationen ausgebremst, zeigt sich nun, dass die UNO die einzige Hoffnung auf Durchsetzung globalen Rechts ist? O-Ton 19 Ulrich Schneckener, SWP Es gibt Aussagen von UN-Experten die sagen, dass bis zum Jahresende etwa 75.000 UN-Peace-Keeper weltweit stationiert sind – im Moment sind wir bei etwa 40.000. Da sehen Sie den enormen Bedarf für eine UN, dass wir auch in der Welt eine UN brauchen, weil es die einzige Organisation ist, die diese Art von Krisenbewältigung letztendlich leisten kann. Und die anderen Player, die EU, die USA und so weiter müssen sich eben in gewisser Weise in den Dienst der UNO stellen und da gibt es eben unterschiedlich ausgeprägte Bereitschaft – aber das ist ein Lernprozess für alle Beteiligten. Autorin: 10 Ein Lernprozess, der bereits im Gange ist. Hat die internationale Gemeinschaft, haben die USA aus dem Irak-Desaster gelernt? Ein Konflikt, der auf der Kippe steht, dessen Ausgang noch unklar ist. Aber Rupert Neudeck ist Berufsoptimist. O-Ton 20 Rupert Neudeck, „Grünhelme“ Es dürfte mit dem Teufel zugehen, wenn das nicht gelingen könnte, weil das ist ein sehr reiches Land mit einer unglaublich gut ausgebildeten Führungsschicht, einer Bildungsschicht, die der in Deutschland gleicht. Und ich könnte mir vorstellen, dass wir, wenn der Alptraum einmal vorbei sein wird, wir einmal zurückschauen werden und wir nur noch mit theologischen Vokabeln begründen können, was hier vor unseren Augen geschieht - dass das vielleicht eine glückliche Tragödie gewesen ist.