Zur musikalischen Rezeption des "Badischen Wiegenlied"

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Zur musikalischen Rezeption des "Badischen Wiegenlied"
Populäre und traditionelle Lieder
Historisch-kritisches Liederlexikon
Für das Deutsche Volksliedarchiv
hrsg. von Eckhard John
in Zusammenarbeit mit
Waltraud Linder-Beroud und Tobias Widmaier
DAVID ROBB
Zur musikalischen Rezeption des „Badischen Wiegenliedes”
in der deutschen Folkbewegung
(Mai 2013)
Das „Badische Wiegenlied” von Ludwig Pfau zählt zu jenen politischen Liedern, die in
der Zeit des Vormärz und der 1848er Revolution entstanden sind und von der
deutschen Folkbewegung wiederbelebt wurden.1 In der Form eines Wiegenliedes
formuliert der Text eine kritische Position gegenüber der Unterdrückung der
Badischen Revolution im Sommer 1849 durch preußische Truppen. Vorausgegangen
war eine dreiwöchige Belagerung der Aufständischen in der Festung Rastatt. Das
Lied artikuliert über die Metapher des „Schlafens” den Rückzug in eine innere, private
Welt und wertet dies als eine Folge der politischen Repression:
„Schlaf’, mein Kind, schlaf’ leis,
Dort draußen geht der Preuss’!
[…]
Und wer nicht schläft in guter Ruh’,
Dem drückt der Preuß’ die Augen zu.”
In den 1960er Jahren lag es nahe, die Thematik des „Schlafens“ auf die Gegenwart
zu übertragen und auch als Chiffre für die politische Stagnation der Adenauer-Zeit zu
interpretieren.2 In diesem Sinne lieferte etwa die Aufführung des „Badischen
Wiegenliedes“ durch das Duo „Fredrik und Uli“ (Fredrik Vahle und Ulrich Freise) auf
den Internationalen Essener Songtagen im September 1968 ein Beispiel dafür, wie
solche Volkslieder plötzlich „in der Bearbeitung brand-aktuelle Kampfsongs von
1
Siehe Eckhard John, David Robb: Schlaf mein Kind schlaf leis (2009). In: Historisch-kritisches
Liederlexikon. URL: <http://www.liederlexikon.de/lieder/schlaf_mein_kind_schlaf_leis>.
2
Siehe David Robb: The Reception of Vormärz and 1848 Revolutionary Song. In: Protest Song in
East and West Germany since the 1960s. Hrsg. David Robb. Rochester 2007, S. 16.
1
David Robb: Rezeption „Badisches Wiegenlied“
überzeugender Musikalität und Dramatik” wurden.3 Vor dem Hintergrund der
Studentenbewegung und der Einführung der Notstandgesetze kam solchen Liedern
eine besondere Bedeutung als Ausdrucksform des politischen Protests zu.
Fredrik Vahle hatte eine eigene Melodie für seine Vertonung des Textes
verwendet, die durch Eindrücke griechischer Volksmusik beeinflusst worden war.4
Eine historische oder tradierte Weise war damals noch nicht bekannt. Erst Ende der
1970er Jahre entdeckte die Liedforscherin Barbara James in der Straßburger
Stadtbibliothek einen Musikaliendruck aus der Zeit 1849/50, der eine Vertonung von
Pfaus Gedicht (für Gesang und Klavier) enthielt. Auf dem Titelblatt ist vermerkt, dass
dieser Lieddruck damals in Straßburg „zum Besten deutscher politischer Flüchtlinge”
herausgebracht worden war. Dieser Publikationskontext lässt auch die Hintergründe
erahnen, weswegen Autor und Komponist des Liedes in dem Druck nicht genannt
werden: als Schutz der ohnehin schon Verfolgten vor möglichen Repressalien.
Die Entdeckung dieser im Stil damaliger Kunstlieder gehaltenen Vertonung
war zweifellos eine ziemliche Überraschung für die deutsche Folkszene der 1970er
Jahre, in der das „Badische Wiegenlied“ zuvor vielfach als ein „authentisches“ (also
mündlich überliefertes) „Volkslied“ verstanden worden war. Beispielhaft dafür stehen
Hein und Oss Kröher, ihrerseits Protagonisten des deutschen Folksong-Revivals, die
davon überzeugt waren, dass das „Badische Wiegenlied“ seinerzeit zur Melodie des
populären Kinderliedes „Schlaf, Kindchen schlaf” gesungen wurde, zumal sein Text
rhythmisch ziemlich genau zu dessen Weise passt. Tatsächlich gibt es noch eine
weitere Quelle, die nahelegt, dass das „Badische Wiegenlied“ mit dieser Melodie
kombiniert worden sein könnte – aber dieser Beleg reicht allenfalls bis ins Jahr
1957.5 Er stammt also aus vergleichsweise später Zeit und blieb singulär: Ob Pfaus
Lied auch darüber hinaus mit dieser Melodie verbreitet war, ist nicht bekannt.
Bekannt ist indes die historische Vertonung des Liedes und die
Wiederentdeckung des damaligen Notendrucks war ein wichtiger Ansatzpunkt dafür,
die Projektion einer romantisch verklärten „Volkslied“-Vorstellung auf solche Lieder
einzudämmen und stattdessen die reale Lebenswelt ins Auge zu fassen. Denn die
Existenz einer solchen „Kunstlied“-Version wirft beispielsweise auch ein Licht auf
Status und Bildungsstand der deutschen Flüchtlinge in Straßburg, sowie auf die
Notwendigkeit, im Exil auf irgendeine Weise den Lebensunterhalt bestreiten zu
müssen.6 Bekannt ist zudem, dass Pfaus politisches „Wiegenlied“ über Jahrzehnte
hinweg tradiert wurde, so dass noch nach der Jahrhundertwende in Mecklenburg
(1906) und Sachsen (1909) Versionen davon aus mündlicher Überlieferung
aufgezeichnet wurden.7 Aber wir wissen bislang nicht, ob sich mit dem Liedtext auch
die Melodie der damaligen Vertonung verbreitet hat (wie etwa Cordula Schönherr
3
Detlev Mahnert, Harry Stürmer: Zappa, Zoff und Zwischentöne. Die Internationalen Essener
Songtage 1968. Essen 2008, S. 124.
4
Fredrik und Uli: Wir Bürgermeister und Senat. Da Camera SM 95012 (1968). Zur neuen Melodie vgl.
die Erinnerung von Fredrik Vahle, mitgeteilt an Barbara James (Deutsches Volksliedarchiv), 24. März
1982; DVA-Lieddokumentation Mappe „Schlaf mein Kind, schlaf leis“.
5
Rückblickende Aufzeichnung von Jürgen Frey, der das Lied in den Jahren 1957/58 durch seine
Großmutter und seinen Onkel kennengelernt hat. Mitgeteilt an Barbara James (Deutsches
Volksliedarchiv), 21. Oktober 1985; DVA: A 220799.
6
Siehe Barbara James, Walter Moßmann: Glasbruch 1848. Flugblattlieder und Dokumente einer
zerbrochenen Revolution. Darmstadt 1983, S. 128.
7
Siehe Edition C und Edition D bei John-Robb 2009, Historisch-kritisches Liederlexikon (wie Anm. 1).
2
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David Robb: Rezeption „Badisches Wiegenlied“
annimmt) oder ob man dafür noch andere Melodien verwendete (wie die KröherZwillinge mit Blick auf „Schlaf, Kindchen, schlaf“ meinen).8
Seit der Wiederentdeckung des Liedes in den späten 1960er Jahren gab es neben
„Fredrik und Uli“ weitere Neuvertonungen, die im Zuge des Folk-Revivals entstanden.
Am einflussreichsten wurden dabei die Kompositionen von Dieter Süverkrüp (in der
BRD)9 und der Folkgruppe „Wacholder“ (in der DDR).10 Meist wurde das Lied so
komponiert, dass – wie schon in der historischen Liedversion – ein musikalischer
Kontrast zwischen Refrain und Strophe geschaffen wird. Dabei stehen die relativ
harmlosen Refrainzeilen „Schlaf, mein Kind, schlaf leis’ / Dort draußen geht der
Preuss’”, mit ihrem sanften Wiegenliedduktus, den konkreten politischen Aussagen in
den Liedstrophen gegenüber:
(Refrain):
Schlaf’, mein Kind, schlaf’ leis,
Dort draußen geht der Preuss’!
(erste Strophe):
Deinen Vater hat er umgebracht,
Deine Mutter hat er arm gemacht,
Und wer nicht schläft in guter Ruh’,
Dem drückt der Preuß’ die Augen zu.
In der historischen Lied-Version (Straßburg 1850) wird dieser Kontrast musikalisch
dadurch unterstrichen, dass dem sanften Gestus der Anfangs- und Refrainzeilen eine
höhere rhythmische Pulsfrequenz in den Strophen gegenübersteht. Somit ergibt sich
hier eine stärkere Akzentuierung des Textes und den inhaltlichen Aussagen wird
dadurch größere Aufmerksamkeit zuteil. Bei „Fredrik und Uli“ wird dieser Kontrast
musikalisch durch einen Rhythmuswechsel (von 3/8-Takt zu 2/4-Takt) zum Ausdruck
gebracht. In der Version von Dieter Süverkrüp (1973)11 gibt es keine vergleichbaren
Rhythmuswechsel sondern eine harmonische Brechung, die mit dissonanten
Klängen das in den Liedstrophen thematisierte Leid der Mutter und des „Badischen
Landes“ zum Ausdruck bringen soll. Doch dieser musikalische Ansatz kommt
insofern nicht so gut zum Tragen, als Süverkrüps Interpretation eine durchgehend
8
Vgl. Cordula Schönherr: Die Revolution von 1848/49 im Spiegel des politischen Liedes am Beispiel
von Ludwig Pfaus „Badischen Wiegenlied”. Wissenschaftliche Hausarbeit. Berlin, 2006, S. 69 und S.
55.
9
Dieter Süverkrüp: 1848 – Lieder der deutschen Revolution. Dortmund: pläne S 11 102 (1973).
10
Es gibt verschiedene Einspielungen dieses Liedes von „Wacholder“; die erste erschien 1978 auf
dem Sampler: Ein Kessel Rotes. Berlin (DDR): Amiga 845193 (1978).
11
Süverkrüps Melodie basierte auf der Montage von zwei Weisen, die er aus seiner Kindheit kannte;
die eine sei von einem Wiegenlied, dessen Text ihm mittlerweile entfallen war, die andere von einem
Kinderlied, das nach Süverkrüps Erinnerung folgenden Text hatte: „Wiege, wage, wiege wiege wage.
Dieterchen will ein Butterbrötchen. Mama war nicht da. Papa war nicht da. Husch, war die Maus im
Vogelhaus.“ Auskunft von Dieter Süverkrüp in einem Telefonat mit Cordula Schönherr am 9.
Dezember 2005; zitiert nach Schönherr 2006 (wie Anm. 8), S. 52.
3
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agitatorische Grundhaltung hat, die eine Wiegenliedstimmung gar nicht erst
aufkommen lässt. Dadurch wird die beabsichtigte Kontrastierung eher untergraben
als bestärkt. Süverkrüps Melodie wurde 1978 von der Gruppe „Liederjan“
aufgegriffen,12 wobei dort der Wiegenliedstil durch eine zartere Begleitung und
Vortragsweise wesentlich deutlicher aufrechterhalten wird. Auch eine weitere
Übernahme der Süverkrüp-Melodie durch das Ensemble „Siebenpfeiffer“ im Jahr
1998 rückt die Schönheit der Melodie in den Vordergrund und verzichtet auf einen
politisch-agitatorischen Vortragsstil.
Eine weitere Passage im Liedtext, die in krassem Kontrast zum sanften
Wiegenliedrefrain steht, ist die in der letzten Strophe artikulierte Hoffnung der Mutter,
dass die Badener eines Tages den Spieß gegen die Preußen erfolgreich umdrehen
und „die Freiheit aufersteht“. Bei dieser Perspektive steht nicht mehr das Einschlafen
im Mittelpunkt sondern das Aufwachen:
„Und wo dein Vater liegt, mein Schatz,
Da hat noch mancher Preuße Platz!
Schrei, mein Kindlein, schrei's:
Dort draußen liegt der Preuß'!“
Diese Wendung des Liedtextes wird in der historischen Vertonung musikalisch
dadurch unterstrichen, dass die letzte Strophe nicht mehr wie die vorangegangenen
in g-Moll steht, sondern in G-Dur.13 Mit diesem Tonartenwechsel hin zu einer helleren
Klangfarbe soll der feste Freiheitsglaube der Mutter betont werden. In den neueren
Vertonungen aus der Folk-Bewegung finden sich keine vergleichbaren musikalischen
Stilmittel. In den Versionen von Fredrik und Uli, Dieter Süverkrüp, Liederjan oder
Wacholder werden allenfalls die letzten Zeilen („Schrei, mein Kindlein, schrei’s…“)
etwas anders gespielt oder musikalisch verfremdet, um so die hoffnungsvolle
Wendung im Text zu verdeutlichen.
In musikalischer Hinsicht ist das historische Kunstlied mit seinen
textbezogenen Wechselwirkungen die interessanteste Vertonung. In der
Folkbewegung wurde sie jedoch nur selten verwendet. Sicherlich war dies auch dem
Umstand geschuldet, dass diese Vertonung erst in den späten 1970er Jahren
wiederentdeckt wurde. Einspielungen dieser Version stammen von den Freiburger
Spielleyt (1977),14 Brigitte Foerg und Barbara James (beide 1984).15 Dabei bietet die
Aufnahme von James einen imaginär folkloristischen Vortragsstil, wobei sie in der
Moll-Tonart bleibt und auf den „klassisch“ komponierten Tonartwechsel nach G-Dur
verzichtet. Eine gänzlich umgekehrte Vorgehensweise ist für die Version der
Nordbadischen Gaukler Gang (1997)16 charakteristisch: Ihre Interpretation basiert
ausschließlich auf dem G-Dur-Teil des historischen Liedes.
12
Liederjan: Mädchen, Meister, Mönche. Hamburg: polydor 2371876 (1978).
Siehe Takt 9ff in Edition B bei John-Robb 2009, Historisch-kritisches Liederlexikon (wie Anm. 1);
sowie Schönherr 2006 (wie Anm. 8), S. 35.
14
Freiburger Spielleyt: Die Gedanken sind frei. Freiburg: Ars Musici AM 1209-2 (1977).
15
Brigitte Foerg (Gesang) mit Heribert Möllinger (Klavier), sowie die Aufnahme mit Barbara James:
Auf: Glasbruch 1848. München: Trikont US-08-0114 (1984).
16
Nordbadische Gaukler Gang: Die Freiheit hoch. (Audiokassette) Eigenproduktion Roland Preuss,
Achim Frank (1997).
13
4
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Anknüpfend an die Aufnahme von Hein und Oss Kröher wurde auch von
anderen Interpreten häufig die traditionelle Kinderliedmelodie „Schlaf, Kindchen,
Schlaf” genutzt. Diese weist jedoch hinsichtlich des Liedtextes keine besondere
Dynamik auf. Ihre Wirkung beruht vor allem auf dem Kontrast zwischen den
friedlichen Assoziationen des Wiegenliedes und dem Leiden, das im Text
ausgedrückt wird. Festzuhalten ist auch, dass die „Schlaf, Kindchen, Schlaf“-Melodie
ihrer Form nach nicht ganz genau auf den Text des „Badischen Wiegenliedes“ passt.
Cordula Schönherr hat bereits darauf hingewiesen, dass die Liedstrophen von
Ludwig Pfau jeweils acht Verse haben, das „Schlaf Kindchen“-Lied dagegen nur
sechs. Somit bedarf es einer Wiederholung des Mittelteils der „Schlaf Kindchen“Melodie, um diese an die Strophenstruktur des „Badischen Wiegenliedes“
anzupassen.17 Diese Wiederholung wurde von manchen Interpreten offenbar als
etwas eintönig empfunden. Walter Moßmann (1977) vermeidet dies etwa durch eine
Staccato-Vortragsweise (die an den Vortragsstil Wolf Biermanns erinnert) und
verfremdet die Melodieentwicklung zunehmend, so dass musikalisch eine neue
Version entsteht, welche die Unruhe im Liedtext prägnant zum Ausdruck bringt.18 Nur
noch als Anknüpfpunkt für eine eigene Vertonung diente die „Schlaf, Kindchen,
Schlaf“-Melodie in der Version von Uli Klans Gruppe „Fortschrott“ (1980): lediglich
der Liedanfang nimmt das Motiv des bekannten Kinderliedes auf, ab dem vierten
Vers („Deine Mutter hat er arm gemacht“) geht die Melodie jedoch andere Wege.19
In der DDR nahm die Rezeptionsgeschichte des „Badischen Wiegenliedes“ eine
eigene Entwicklung. Im „Arbeiter-und Bauernstaat“ war man schon frühzeitig
bestrebt, an das „sozialistische Erbe“ der demokratischen und revolutionären Lieder
anknüpfen. Zwar fand „Schlaf, mein Kind, schlaf leis“ im umfangreichen Werk von
Wolfgang Steinitz „Deutsche Volkslieder demokratischen Charakters“ (Berlin
1955/1962) keine Berücksichtigung, da Steinitz aufgrund seines „Volkslied“Verständnisses generell keine reinen Autorenlieder berücksichtigte. Jedoch war
Ludwig Pfaus Text schon 1952 in Bruno Kaisers vielfach aufgelegter Anthologie „Die
Achtundvierziger“ enthalten. Das Gedicht war in der DDR also schon lange bekannt,
bevor es ab 1968 auch in der Bundesrepublik wieder wahrgenommen wurde.
Bereits 1957 hatte der Komponist Günter Kochan das „Badische Wiegenlied“
für gemischten Chor neu vertont und diese Komposition als vierte Nummer in seinen
Zyklus „1848 – Sechs Stücke für gemischten Chor a capella“ integriert. Das Stück
wurde damals auch für den Rundfunk aufgenommen.20 Kochan war Meisterschüler
von Hanns Eisler gewesen und so verwundert es nicht, dass seine Tonsprache
Einflüsse der musikalischen Moderne aufweist. Seine Komposition des Textes von
17
Siehe Schönherr 2006 (wie Anm. 8), S. 54.
Walter Moßmann auf: „Konzert für Pitter“. Live-Mitschnitt des Peter-Rohland-Gedächtnis-Festivals,
Göppingen 1976. Rüsselsheim: Edition Venceremos EV 77001 (1977); eine weitere Einspielung des
Liedes von Walter Moßmann auf: Lieder zur vergessenen Badischen Revolution 1848/49. München:
Trikot US 48 (1979).
19
Audiokassette zum Schulbuch von Hartmut Flechsig: Revolution und Romantik in Deutschland.
Politische und andere Lieder aus der Zeit von 1813 bis 1848. Regensburg: Gustav Bosse Verlag BE
2192 MC (1980).
20
Solistenvereinigung des Deutschlandsenders Berlin (DDR), Ltg.: Helmut Koch (1957). Auf
„Rundfunkchöre 1950–1975“ innerhalb der CD-Edition „Musik in Deutschland 1950-2000“. Hrsg. vom
Deutschen Musikrat. Sony BMG Music (RCA Red Seal 88697 25235 2) 2008.
18
5
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Ludwig Pfau knüpfte in moderater Weise an die Tradition der Eislerschen
Arbeiterchöre und die von Hindemith geprägte Komponistengeneration an und
unterscheidet sich somit völlig von allen späteren Vertonungen des Liedes. Kochans
Komposition scheint damals jedoch keine größere Resonanz gefunden zu haben,
obwohl der politische Chorgesang in der DDR durchaus gepflegt wurde. Auch der
sozialistisch engagierte (West-)Berliner Hanns-Eisler-Chor griff 1983 nicht auf
Kochan zurück als er das „Badische Wiegenlied“ innerhalb des Preußen-Programms
„... von der Maas bis an die Memel ...“ brachte, sondern verwendete dafür eine neue
Komposition von Helge Jörns.21 Auch hier wurde übrigens der Kontrast zwischen
Refrain und Strophe durch einen markanten Rhythmus- und Tempowechsel
unterstrichen.
In der DDR-Folkbewegung ist das „Badische Wiegenlied“ erst in den späten
1970er Jahren durch die prominente Gruppe „Wacholder“ aus Cottbus aufgegriffen
und wiederum mit einer neu kreierten Melodie bekannt geworden. Sie stammte vom
Wacholder-Musiker Matthias Kießling, der damals die anderen Vertonungen des
Liedes – zumal die westdeutschen Versionen von Süverkrüp und den KröherBrüdern – gar nicht kannte.22 An Kießlings in d-Moll gehaltener Musik fiel bereits
Cordula Schönherr die besondere „Düsternis und Schwere” auf, die Kießlings
Begleitung ausstrahle, und sie bemerkte, dass der Gebrauch der Dominate A-Dur –
die man bei einem herkömmlichen deutschen Volkslied unweigerlich erwarten würde
– bei „Wacholder“ gar nicht vorkommt: statt A-Dur spielt die Gruppe stes a-Moll.23
Beide Beobachtungen lassen sich wie folgt erklären. Zum einen war eine solche
musikalische Melancholie für die DDR-Folkszene der späten 1970er und frühen
1980er Jahre durchaus typisch.24 Und im vorliegenden Lied ließ „Wacholders“
Arrangement mit der Kombination der Pfauschen „Schlaf“-Metapher und dieser Musik
Bilder eines Landes in Stagnation entstehen – ein Assoziationsfeld, das unschwer
auch auf die Situation in der damaligen DDR übertragen werden konnte. Diese
Stimmung von Resignation und zerschlagenen Idealen zeitigte häufig einen Rückzug
in eine innere Welt. Im Vergleich zu Süverkrüps Interpretation, der besonders die
Wendung in der letzten Strophe betont, wo die erhoffte Rache und Rebellion
gegenüber den Herrschenden artikuliert wird, singt Mathias Kießling diese Zeilen
lediglich mit leichtem Sarkasmus, als wenn sie nur auf einen fernen utopischen
Traum hindeuten. Hierin kam auch eine Art Pessimismus angesichts der DDRRealität zum Ausdruck in einer Zeit, als noch niemand die politische Wende am Ende
der 1980er Jahre vorhersehen konnte. Zum anderen lässt sich die erwähnte modale
Harmoniefolge (von d-Moll zu a-Moll) auch dadurch erklären, dass sie typisch ist für
jene irische und schottische Folkmusik, die zu dieser Zeit einen großen Einfluss auf
die DDR-Folkszene hatte. Verschiedene Gruppen aus Irland und Schottland, wie die
Sands Family und Dick Gaughan, sind in den 1970er und 1980er Jahren beim
21
„... von der Maas bis an die Memel ...“ Ein Abend in Preußen von Bernt Engelmann und Kurt Lutz.
Hamburg: Teldec 6622437 [1983].
22
Persönliches Interview mit Mathias Kießling, 26 November 2003. Von den verschiedenen
Wacholder-Aufnahmen des Liedes bildet im Folgenden die Einspielung auf Wacholder: Herr Wirt, so
lösche uns’re Brände (1983) den Hauptbezugspunkt. Weitere Aufnahmen, mit teilweise abweichenden
Arrangements stammen aus den Jahren 1978, 1984 und 1998 (siehe Diskographie im Anhang).
23
Schönherr 2006 (wie Anm. 8), S. 62.
24
Siehe Robb 2007 (wie Anm. 2), S. 21.
6
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David Robb: Rezeption „Badisches Wiegenlied“
Festival des politischen Liedes in Ostberlin aufgetreten. Das „Badische Wiegenlied“
von „Wacholder“ war somit für das DDR-Publikum wie gemacht und es kam bei ihm
auch entsprechend gut an. Kießling erinnerte sich 2003, dass dieses Lied für
„Wacholder“ ein großer Hit gewesen sei.25
Das „Badische Wiegenlied” war – neben „Trotz alledem“, dem „Blutgericht“, der
„freien Republik“ und dem „Bürgerlied“ – eines der prominentesten 1848er-Lieder, die
seit den 1960er Jahren in BRD und DDR wieder neu belebt worden sind. Einerseits
wurde es als ein wertvolles historisches Dokument demokratischer Kultur betrachtet,
als eine unmittelbare poetische Reaktion auf die traumatische politische Erfahrung
der militärischen Niederschlagung demokratischer Bestrebungen. Darüber hinaus
enthielt das Lied für die politisch engagierten Sänger der Liedermacher- und
Folkszene aber im Kern auch eine Brücke zur Gegenwart, denn die Thematik der
staatlichen Unterdrückung revolutionärer Freiheitsbestrebungen besaß für sie auch
eine sehr aktuelle Relevanz. In diesem Sinne fungierte „der Preuß’” als ein Symbol
repressiver Herrschaft, die zur Not mit militärischen Mitteln revolutionäre
Bewegungen unterdrückt. Walter Moßmann gab sich indes nicht mit einer
metaphorisch aufgeladenen historischen Anspielung zufrieden, sondern ergänzte
1976 eine neue Strophe, die zur damals aktuellen politischen Situation in Baden (und
Württemberg) unmissverständlich Stellung bezog:
Wach auf, mein Kind, das war
vor mehr als hundert Jahr.
Der Preuß’ ist heut ein alter Hut,
geblieben ist die alte Wut
Auf jeden, der mit Gewalt und Geld
Das badisch’ Land im Schraubstock hält.
Steh auf, mein Kind, es brennt,
wir brauchen tausend Händ’.
Der neue Preuß’, den jeder kennt,
der heißt Ministerpräsident.26
Nach dem Ende des kalten Krieges erlebte das „Badische Wiegenlied“ im Zuge des
150. Jubiläums der 1848er Revolution im Jahr 1998 erneut ein kleines Revival, als es
nochmals von verschiedenen Interpreten eingespielt wurde. In musikalischer Hinsicht
diente wieder die Kinderliedmelodie „Schlaf Kindchen, Schlaf“ verschiedentlich als
25
Interview mit Mathias Kießling (wie Anm. 22).
Walter Moßmann auf der LP „Konzert für Pitter“. Konzertmitschnitt vom Gedenkkonzert für Peter
Rohland in Göppingen 1976. Edition Venceremos, Rüsselsheim 1977. – Die gleiche Aufnahme
erschien zwei Jahre später auch auf der Schallplatte „Lieder zur vergessenen Badischen Revolution
1848/49“ (1979): aber in diesem Fall hat Moßmann auf die neue, gegenwartsbezogene Strophe
verzichtet und die Aufnahme ausgeblendet! Moßmann begründete dies 2005 gegenüber Cordula
Schönherr damit, dass „in der Zwischenzeit der Lärm um den Ministerpräsidenten Filbinger abgeebbt
und er selbst vom politischen Parkett verschunden“ war. Die Formulierung des letzten Verses konnte
somit falsch verstanden werden; siehe Schönherr 2006 (wie Anm. 8), S. 58 (dort Anmerkung 120).
26
7
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David Robb: Rezeption „Badisches Wiegenlied“
Anknüpfungspunkt.27 Insgesamt gesehen ist jedoch auffällig, dass sich bei diesem
recht erfolgreich re-popularisierten historischem Lied keine der verschiedenen, oben
beschriebenen musikalischen Fassungen letztlich durchgesetzt hat. Als einzige
neuere Vertonung, die gelegentlich nachgespielt wurde, wäre die von Dieter
Süverkrüp zu nennen, was vermutlich primär auf die Bekanntheit dieses Sängers und
die Prominenz seiner (relativ früh erschienenen) 1848er-Platte zurückzuführen ist.
Charakteristisch für die musikalische Rezeptionsgeschichte des „Badischen
Wiegenliedes“ ist vielmehr die Vielfalt seiner Gestalten: vom Kunstlied übers Chorlied
bis hin zu den neueren Bearbeitungen im Zeichen des Folkrevivals.
27
Vgl. die Aufnahmen von Leipziger Folksessions: 18 aus 48. Das Beste von der Barrikade (1998);
Georg Schramm: Bunter Abend für Revolutionäre. Ein satirischer Festakt 1848er-Revolution (1998);
Roger Siffer, u.a.: Madam‘ la Republik (1998); Wolfgang Winkler, Eva Kell: Die Freiheit tön' in unseren
Liedern (1999).
8
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David Robb: Rezeption „Badisches Wiegenlied“
Diskographie
Günter Kochan:
Badisches Wiegenlied, aus: 1848 – Sechs Stücke für Chor a capella (1957).
Solistenvereinigung des Deutschlandsenders Berlin (DDR), Ltg.: Helmut Koch (1957):
Auf „Rundfunkchöre 1950–1975“ innerhalb der CD-Edition „Musik in Deutschland 19502000“. Hrsg. vom Deutschen Musikrat. Sony BMG Music (RCA Red Seal 88697 25235 2)
2008.
Fredrik und Uli [Fredrik Vahle und Ulrich Freise]:
Wir Bürgermeister und Senat. Heidelberg: Da Camera SM 95012 (1968).
Dieter Süverkrüp:
1848 - Lieder der deutschen Revolution. Dortmund: pläne S 11 102 (1973).
Hein & Oss [Kröher]:
Deutsche Lieder. 1848/49. Mainz: Songbird 1 C 062-31 126 (1974).
Walter Moßmann:
Auf: „Konzert für Pitter“. Live-Mitschnitt des Peter-Rohland-Gedächtnis-Festivals, Göppingen
1976. Rüsselsheim: Edition Venceremos EV 77001 (1977).
Freiburger Spielleyt:
Die Gedanken sind frei. Freiburg: Ars Musici AM 1209-2 (1977); dort zwei Versionen: Track
13 („volkstümlich“) und Track 15 („Kunstlied“).
Liederjan:
Mädchen, Meister, Mönche. Hamburg: polydor 2371876 (1978), Track B 7 (als Teil eines
Potpourries)
Wacholder:
Auf: Ein Kessel Rotes. Berlin/DDR: Amiga 845193 (1978).
Walter Moßmann:
Auf: Lieder zur vergessenen Badischen Revolution 1848/49. Dokumentation zum Volksfest
vom 26.-27. Mai 1978 in Freiburg. München: Trikot US -48 (1979).
[Fortschrott]
Audiokassette zum Schulbuch von Hartmut Flechsig: Revolution und Romantik in
Deutschland. Politische und andere Lieder aus der Zeit von 1813 bis 1848. Regensburg:
Gustav Bosse Verlag BE 2192 MC (1980).
Achim & Wolfgang:
Internationale Friedenslieder gestern und heute. Wiesbaden: Luzern records LUZ 3011
(1981).
Wacholder:
Herr Wirt, so lösche uns’re Brände. Berlin (DDR): Amiga 845267 (1983).
Hanns-Eisler-Chor:
„... von der Maas bis an die Memel ...“ Ein Abend in Preußen von Bernt Engelmann und Kurt
Lutz. Hamburg: Teldec 6622437 [1983].
9
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David Robb: Rezeption „Badisches Wiegenlied“
Brigitte Foerg (Gesang), Heribert Möllinger (Klavier):
Auf: Glasbruch 1848. München: Trikont US-08-0114 (1984).
Barbara James:
Auf: Glasbruch 1848. München: Trikont US-08-0114 (1984).
Wacholder:
„Trotz alledem – 1848. Revolutionslieder“ Audiokassette mit Konzertmitschnitt vom Februar
1984 beim Festival des politischen Liedes (Berlin/DDR); enthalten auf der CD zur Staatsexamensarbeit „Badisches Wiegenlied“ von Cordula Schönherr (Berlin 2006), Track 14
(DVA: CD 686).
D’Gälfiässler:
Hat alles nicht das Volk. Zeitkritische Lieder von 1774–1984. Hohberg: tss records TSS
095.270-1 [1986].
Chor und Solisten der PH Schwäbisch-Gmünd, Ltg.: Hubert Beck:
Historische Lieder aus acht Jahrhunderten. Kassette mit Hörbeispielen zur entsprechenden
Broschüre. Stuttgart: Landeszentrale für politische Bildung Baden-Württemberg (1987).
Vetterliswirtschaft:
Vetterliswirtschaft 1995/2002. Lahr: Eigenproduktion [ca. 2002].
Nordbadische Gaukler Gang:
Die Freiheit hoch. (Audiokassette) Eigenproduktion Roland Preuss, Achim Frank (1997).
Andrea Frey-Melder & Thomas Held:
Auf: 1848 „...weil jetzt die Freiheit blüht“. Lieder aus der Revolution von 1848/49. Hrsg.
Deutsches Volksliedarchiv. Bad Krozingen: Südwest records SWR 104-98 (1998).
Leipziger Folksessions:
18 aus 48. Das Beste von der Barrikade. Leipziger Folksessions Vol I. heideck HD 98-3
(1998).
Georg Schramm:
Auf. Helmut Lörscher, Matthias Deutschmann, Georg Schramm: Bunter Abend für
Revolutionäre. Ein satirischer Festakt 1848er-Revolution. Live-Mitschnitt aus der Alten
Festhalle Lörrach-Hagen. Staufen: Harald Hassler 49803 (1998).
Wacholder:
unterwegs. 20 Jahre 1978–1998. John Silber Production JS CD 0798 (1998).
Siebenpfeiffer:
Singt das Lied der Freiheit. Lieder der Freiheit (1789-1848). Mutterstadt: Palatina Viva PV
98001 (1998).
Roland Kroell:
Viel Tausend sich erheben... : Lieder zur Badischen Revolution von 1848/49. Wehr: Roland
Kroell. Bestellnummer: Glasmann 184849. Live-Aufn: 1998.
Roger Siffer, Huguette Dreikaus, Henri Muller, Manfred Pohlmann:
Madam‘ la Republik. Strasbourg: Théatre de la Choucrouterie CHO 004 [1998].
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www.liederlexikon.de
David Robb: Rezeption „Badisches Wiegenlied“
Uli Klan und Jochen Wiegandt:
Konzertmitschnitt des Programms „Fürsten zum Land hinaus“ beim Südwestrundfunk
(SWR), Freiburg 25. April 1998.
Wolfgang Winkler, Eva Kell:
Die Freiheit tön' in unseren Liedern. Zeitgenössische Lieder und Texte zur Revolution von
1848/49 aus der Saarregion und der Rheinpfalz. Saarbrücken: Your Music Records (Walter
Krennrich) ymr 8006 (1999).
Passepartout GmbH:
„Ich hatt einen Kameraden“. Soldatenlieder aus den Jahren 1740 bis 1914. Regensburg:
Conbrio Verlagsgesellschaft (1999).
Passepartout-GmbH:
Ein neues Lied. Ein bessres Lied. Lieder von A. H. Hoffmann von Fallersleben, Heinrich
Heine und anderen Vormärzdichtern. Regensburg: Eigenproduktion Passepartout GmbH
(2010).
Zitiervorschlag
David Robb: Zur musikalischen Rezeption des „Badischen Wiegenliedes” in der deutschen
Folkbewegung (2013). In: Populäre und traditionelle Lieder. Historisch-kritisches Liederlexikon. URL:
<www.liederlexikon.de/lieder/schlaf_mein_kind_schlaf_leis/liedkommentar.pdf>
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