deutsche geschichte
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DEUTSCHE GESCHICHTE in Bildern und Zeugnissen DEUTSCHE GESCHICHTE in Bildern und Zeugnissen Deutsches Historisches Museum DEUTSCHE GESCHICHTE in Bildern und Zeugnissen Präsident Alexander Koch Herausgeber Hans Ottomeyer und Hans-Jörg Czech Textautoren Burkhard Asmuss, Sabine Beneke, Regine Falkenberg, Miriam Verena Fleck, Nils Havemann, Stefanie Heckmann, Carola Jüllig, Leonore Koschnick, Sven Lüken, Ina Ulrike Paul, Matthias Pohlig, Uwe Puschner, Ansgar Reiß, Arnulf Scriba, Esther Sophia Sünderhauf, Dieter Vorsteher-Seiler Wissenschaftliche Redaktion und Lektorat Stefanie Heckmann (1. Auflage), Esther Sophia Sünderhauf (Überarbeitung und Erweiterung 2. Auflage), Sabine Beneke (Überarbeitung 3. Auflage) Umschlagabbildung Collage aus Objekten der Stiftung Deutsches Historisches Museum sowie der Leihgabe der Stiftung Preußische Schlösser und Gärten, Anton von Werner „Eröffnung des Reichstages“, 1893, Gestaltung Thoma + Schekorr, © Deutsches Historisches Museum © Texte: DHM und Autoren © für die abgebildeten Werke des DHM: Bildarchiv, DHM © für Leihgaben: die jeweils genannten Leihgeber © für die abgebildeten Werke bei den Künstlern, ihren Erben oder Rechtsnachfolgern; mit Ausnahme von Theo Balden, Willi Baumeister, Fritz Cremer, Erich Gerlach, George Grosz, Lea Grundig, Georg Kolbe, Käthe Kollwitz, Felix Nussbaum, Werner Tübke bei VG Bild-Kunst, Bonn 2009 © John Heartfield bei Heartfield Community of Heirs/VG Bild-Kunst, Bonn 2009 Fotos: S. 4 und S. 384 © Ulrich Schwarz, Berlin; S. 6 © Thomas Bruns, Berlin Maße Maße sind in der Reihenfolge angegeben: Höhe x Breite x Tiefe. H = Höhe, B = Breite, T = Tiefe, L = Länge Layout Gini Klose (Entwurf Grundkonzept), Thoma + Schekorr (Gestaltung Neuauflage) Satz und Reprografie (3. Aufl.) Bettina & Jörg Aigner, Berlin Gesamtherstellung Mohn Media Mohndruck GmbH, Gütersloh Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.ddb.de abrufbar. Alle Rechte, auch diejenigen der Übersetzung, der fotomechanischen Wiedergabe und des auszugsweisen Abdrucks, vorbehalten. © 2015 by Stiftung Deutsches Historisches Museum www.dhm.de und by WBG (Wissenschaftliche Buchgesellschaft) Darmstadt Der Theiss Verlag ist ein Imprint der WBG Besuchen Sie uns im Internet: www.wbg-wissenverbindet.de ISBN Museumsausgabe 978-3-86102-196-4 ISBN Buchhandelsausgabe 978-3-8062-3302-5 INHALT 5 Alexander Koch Vorwort zur 3. Auflage 7 Hans Ottomeyer Vorwort 11 Hans-Jörg Czech Deutsche Geschichte in Bildern und Zeugnissen – Ziele und Strukturen der Ständigen Ausstellung 20 22 28 Ausstellungssequenz 500 – 1500 Grenzen in Europa Die deutsche Sprache Kaiser und Reich 48 50 76 Ausstellungssequenz 1500–1650 Die Reformation und ihre Folgen für das Reich Krisen und Krieg in Deutschland 84 86 114 Ausstellungssequenz 1650–1789 Staatssouveränität und Vormacht in Europa Der deutsche Dualismus und Europa 126 128 144 152 158 166 Ausstellungssequenz 1789–1871 Von der Französischen Revolution zum Wiener Kongress Wiener Kongress und die Ära Metternich Industrialisierung und Arbeitswelt 1848 – Epochenschwelle zur Moderne Wege zum Nationalstaat 1 74 176 182 200 Ausstellungssequenz 1871–1918 Das Bismarckreich Das wilhelminische Kaiserreich Der Erste Weltkrieg 212 214 216 228 Ausstellungssequenz 1918–1933 Kriegsende und Revolution Die schweren Anfänge der Republik Stabilität und Ende der Republik 236 238 260 268 280 Ausstellungssequenz 1933–1945 Das NS-Regime Der Zweite Weltkrieg: Die ersten Kriegsjahre Der Zweite Weltkrieg: Die Radikalisierung des Kriegs Totaler Krieg und Völkermord 308 310 Ausstellungssequenz 1945–1949 Deutschland unter alliierter Besatzung 336 338 340 360 378 Ausstellungssequenz 1949–1994 Das geteilte Deutschland Die Deutsche Demokratische Republik (DDR) Die Bundesrepublik Deutschland (BRD) Friedliche Revolution und Wiedervereinigung 4 5 Alexander Koch VORWORT ZUR 3. AUFLAGE Die Eröffnung der Dauerausstellung des Deutschen Historischen Museums von Beginn an zeitlich befristete Sonderausstellungen zu Museums im Juni 2006 unter dem Titel „Deutsche Geschichte in wechselnden Themen der Geschichte, Kunst, Kultur und Fotografie Bildern und Zeugnissen“ markiert bis heute einen der Höhepunkte etabliert, von denen Jahr für Jahr durchschnittlich sechs bis acht in der vergleichsweise jungen Geschichte des 1987 gegründeten Präsentationen realisiert werden und die sich gleichfalls fantastischen Museums, dessen Gründungsauftrag die Realisierung einer ent- Zuspruchs der Öffentlichkeit erfreuen; diese temporären Schauen ver- sprechenden Präsentation vorsah. Entstanden ist eine Ausstellung stehen sich als wichtige Ergänzungen zur Dauerpräsentation deutscher der Superlative, die einen internationalen Vergleich mit Präsenta- Geschichte, lassen vertiefte thematische Einblicke zu und warten mit tionen nationaler Geschichtsmuseen anderer Länder nicht scheuen unterschiedlichsten Zugängen für das Publikum auf. muss und Jahr für Jahr von vielen tausend Menschen besucht wird. Die erfolgreiche Realisierung der Ausstellung „Deutsche Geschichte Auf zwei Stockwerken und einer Fläche von annähernd 8000m² in Bildern und Zeugnissen“ ist bleibender Verdienst meines Amts- präsentieren derzeit rund 7000 aussagekräftige Objekte, Bilder vorgängers Hans Ottomeyer und seines damaligen Referenten und Dokumente, deren Auswahl bis heute aktualisiert wird, eine Hans-Jörg Czech, denen, gemeinsam mit allen weiteren damals annähernd 1500 Jahre währende, ausnehmend vielschichtige und Unterstützung leistenden Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern sowie wechselvolle Reise durch die deutsche Geschichte von ihren früh- beteiligten Akteuren, dafür zu Recht bis heute großer Dank gebührt. mittelalterlichen Anfängen bis zum ausgehenden 20. Jahrhundert Als nationales Geschichtsmuseum Deutschlands in Berlin und im europäischen und oft auch globalen Kontext. Weniger als zehn besucherorientierte Museumseinrichtung wird das Deutsche Jahre nach ihrer Eröffnung haben annähernd fünf Millionen Gäste Historische Museum mit seinen vielfältigen und abwechslungsreichen aus Deutschland und dem internationalen Raum die Daueraus- Aktivitäten auch weiterhin seinen Auftrag verfolgen, die Öffentlich- stellung des Deutschen Historischen Museums besucht – ein riesiger keit zur Beschäftigung mit Geschichte anzuregen und seine Besuche- Publikumserfolg, der bis heute anhält, die damals von verschiedener rinnen und Besucher für Geschichte zu begeistern. Seite immer wieder aufgekommene Kritik an dieser Präsentation Die vorliegende Neuauflage der inzwischen vergriffenen Erst- und verblassen lässt und einmal mehr die anhaltende Konjunktur von Zweitauflage und als Standardwerk verstandenen Publikation zur Geschichte und insbesondere deutscher Geschichte in unserer Gesell- Dauerausstellung „Deutsche Geschichte in Bildern und Zeugnissen“ schaft und weit darüber hinaus unterstreicht. berücksichtigt sowohl die bis heute anhaltenden Aktualisierungen in Inzwischen wird unser Museum, das seit Jahren zu den bestbesuchten der Präsentation als auch notwendig gewordene grafische und gestal- Museen Deutschlands zählt, etwa hälftig von Gästen aus Deutschland terische Veränderungen, die der kontinuierlichen Weiterentwicklung sowie von Besucherinnen und Besuchern internationaler Herkunft als des Museums als stetig lernender und selbstreflektierender Institution spannender Ort der Beschäftigung mit Geschichte, der Begegnung und geschuldet sind. Für die Realisierung dieser Veröffentlichung gebührt des Dialogs in der Mitte Berlins aufgesucht. Etwa 50 Prozent unserer mein Dank Sabine Beneke und Ilka Linz (beide DHM) sowie den Ver- Gäste statten der Dauerausstellung zur deutschen Geschichte einen antwortlichen der Wissenschaftlichen Buchgesellschaft Darmstadt. Besuch ab, die andere Hälfte wechselnden Sonderausstellungen. Viele Allen Leserinnen und Lesern wünsche ich viel Vergnügen beim Lesen, unserer Besucherinnen und Besucher erweisen sich als Stammgäste, die Blättern, Stöbern und Entdecken! immer wieder zu einem Ausstellungsbesuch in unser Haus kommen oder wegen einer der zahlreichen Kulturveranstaltungen und Bildungs- Ihr angebote unser Museum aufsuchen. Als feste Größe neben der Dauer- Alexander Koch ausstellung haben sich im Programm des Deutschen Historischen Präsident des Deutschen Historischen Museums AUSSTELLUNGSSEQUENZ 500– 1500 24 DAS REICH DER FRANKEN 500–900 500 – 1500 Das Reich der Franken ging als wirkungsvollste Reichsbildung der Germanen aus der Völkerwanderungszeit hervor. Die Franken stammten aus dem Raum östlich des Niederrheins und drangen seit dem 4. Jahrhundert ins Imperium Romanum ein. Als Karl der Große 768 zum König der Franken wurde, war sein Reich bereits das mächtigste im westlichen Europa. Das heutige Frankreich, Süd- und Westdeutschland sowie Belgien, die Niederlande und die Schweiz gehörten dazu. Mit der Kaiserkrönung 800 ging nach damaliger Vorstellung die Weltherrschaft der Römer auf die Franken über. Das Reich Karls überdauerte seinen Tod kaum und wurde dennoch zu einem Fundament des heutigen Europa. Nach einigen Teilungen bildete sich ein west- und ein ostfränkisches Reich heraus, aus denen Frankreich und Deutschland erwachsen sind. Die römische Kaiserwürde wurde von den Ottonen als ostfränkischen Königen erneuert. Seit dem 12. Jahrhundert wurde das an die Staufer gefallene Reich „Heiliges Römisches Reich“ genannt. 1806 legte der Habsburger Franz II. die Krone nieder. Das monarchisch geführte, übernationale Reich erlosch. ← Steigbügel 8. / 9. Jahrhundert Eisen, messingtauschiert; 25,3 x 11,6 x 5,4 cm Der Steigbügel ist wohl im Zuge der Völkerwanderungen vom 4. bis 6. Jahrhundert aus dem vorderasiatischen Raum nach Westeuropa gekommen. Er verschaffte dem bewaffneten Reiter sicheren Halt im Sattel und damit die militärische Überlegenheit gegenüber Fußkämpfern. In der Folge entstand ein elitärer Reiterkriegerstand, der Vorläufer des ritterlichen Adels. ← Westgotische Adlerfibel 6. Jahrhundert Bronze, Granateinlagen; 9,5 x 5,2 x 2,3 cm Adlerfibeln sind vor allem aus dem Herrschaftsgebiet der Westgoten in Spanien und Frankreich sowie dem der Ostgoten in Italien bekannt. Nördlich der Alpen kommen sie nur vereinzelt vor. Das Adlersymbol hatten die Goten auf ihren Wanderungen durch Südrussland von den Völkern Vorderasiens übernommen. → Zwei Spangenhelme Herstellungsort wohl Byzanz; Fundorte: Montepagano bei Ancona, Italien, und Chalon-sur-Saône, Frankreich 6. Jahrhundert Eisen, Kupfer, vergoldet; H ca. 20 cm Spangenhelme gehörten zur Ausrüstung von Offizieren des oströmischen Reichs. Als Ehrengeschenke oder Eigentum fränkischer Adliger, die als Söldner in Byzanz gedient hatten, gelangten sie ins Frankenreich. Unter den Darstellungen des rechten Helms sind neben Jagdmotiven christliche Symbole zu erkennen, Hinweise auf den christlichen Glauben des Trägers. Goldene Spangenhelme sind Vorformen von Bügel- und Zackenkronen. 25 500 – 1500 Christliches Europa und abendländisches Kaisertum Unter den römischen Kaisern Konstantin I. und Theodosius I. wandelte sich im 4. Jahrhundert das Christentum von einer tolerierten Religion zur römischen Staatskirche. Die römischen Kaiser hatten zeitweilig in Trier ihre Residenz. Sie waren Wächter und Hüter der Staatskirche. Mit dem Ende des weströmischen Kaisertums 476 verlor der Papst seinen Schutzherrn. Nach dem Ende der Völkerwanderungszeit mussten Teile Westeuropas neu christianisiert werden. Das Frankenreich wurde ab dem 6. Jahrhundert von den britischen Inseln aus missioniert. So wirkte der angelsächsische Mönch Bonifatius (672–754) in Hessen, Thüringen und Friesland. Als Bischof von Mainz gründete und reorganisierte er Bistümer, schuf die Kirchenorganisation und unterstellte die fränkische Kirche dem römischen Papst: Hier nahm die enge Bindung der Kirche in Westeuropa an Rom ihren Ausgangspunkt. Mit der Krönung des Frankenkönigs Karl zum Kaiser im Jahr 800 durch den Papst wurden die fränkischen und später deutschen Könige und römischen Kaiser die neuen Schutzherren der Christenheit. Im Herrschaftsgefüge des Reichs spielte die Reichskirche fortan bis in die Neuzeit eine wichtige Rolle. Aufgabe der Geistlichen in Domen, Stiften und Klöstern war neben Gottesdienst und Seelsorge auch die Mitwirkung in Verwaltung, Politik und Diplomatie von Kaisern und Fürsten. Dom- und Klosterschulen waren Zentren der Gelehrsamkeit. Von der Bedeutung der mittelalterlichen Kirche zeugen bis heute Architektur, Schatzkunst und Buchmalerei. ← Adlerpult Nordwesteuropa um 1200 Eichenholz; 96,5 x 70 x 54 cm ohne Sockel In der christlichen Kunst ist der Adler Symbol des Evangelisten Johannes, aber auch der Auferstehung und Himmelfahrt Christi. ↗ Fragment des Heliandlieds (Fragment P) um 830 Pergament, handgeschrieben; 17,8 x 24 cm Die 6.000 in altsächsischer Sprache verfassten Stabreime des Heliandlieds schildern das Leben Jesu in einer den Germanen vertrauten Weise: Christus wird als Held dargestellt, der nicht in Jerusalem, sondern in eine Burg einzieht. → Olifant Um 1000 Elfenbein; L 56, Durchmesser 12,3 cm Ein Olifant ist ein aus Elfenbein gefertigtes Signalhorn. Es wurde von Angehörigen des hohen Adels bei der Jagd verwendet. Die Verzierungen deuten darauf hin, dass es im islamischen Bereich hergestellt und importiert wurde. 27 28 500 – 1500 KAISER UND REICH 900 – 1500 Das Reich galt als eine von Gott gewollte Herrschaftsordnung, die gleichermaßen religiöse und politische Aufgaben erfüllte. Als Fortsetzung des römischen Reichs, des letzten der vom Propheten Daniel prophezeiten Weltreiche, kam ihm heilsgeschichtliche Bedeutung zu. Seine territoriale Grundlage bildeten drei Königreiche: Deutschland, Burgund und Italien. Der 1157 aufkommende Name Heiliges Reich sacrum imperium artikulierte das Reichsverständnis Friedrich Barbarossas: Das Reich ist gottunmittelbar und daher unabhängig vom Papst. Die seit 1474 verwendete Titulatur Heiliges Römisches Reich Deutscher Nation bezeichnet die deutsche Nation als Träger des Reichs, dessen Kernraum die deutschen lande bilden. Das Reich besaß im Mittelalter keine Hauptstadt mit einer festen Residenz des deutschen Königs oder Kaisers. Seine Herrscherpflichten erfüllte er als Reisekönig. Vor Ort sprach er Recht und stiftete Frieden. Nach dem Untergang der Staufer geriet das deutsche Königtum in die Abhängigkeit aufstrebender Landesherren. Moderne Staatsbildung wurde in Deutschland Sache der Fürsten. ← Schwert des Hochmeisters Konrad von Thüringen (1239 – 1240) um 1240, Fundort Preußen Eisen, Bronze, messingtauschiert; L 116,5 gesamt, B 5,3 cm Klinge Landgraf Konrad von Thüringen und Hessen folgte 1239 auf den Hochmeister Hermann von Salza. Der Hochmeister stand an der Spitze des Deutschen Ordens, der Ende des 12. Jahrhunderts gegründet worden war. Landgraf Konrad übertrug dem Orden mit der Marburger Elisabethkirche eine seiner bedeutendsten Besitzungen. ← Halbaugustalis Kaiser Friedrichs II. Profil Kaiser Friedrich II. / staufischer Adler Brindisi um 1231 Gold; Durchmesser 1,6 cm Mit diesen Münzen knüpfte Kaiser Friedrich II. an die Goldprägungen und die Tradition der römischen Imperatoren an. Sie dienten der kaiserlichen Repräsentation. → Bildnis Kaiser Karls des Großen im Krönungsornat mit Reichskrone Albrecht Dürer (Nürnberg 1471–1528 Nürnberg) und Werkstatt Nürnberg, signiert AD und datiert 1514 Öl, Lindenholz; 63,5 x 47 cm Karl galt im Mittelalter als derjenige, der den Deutschen das römische Kaisertum brachte. Das Idealbildnis zeigt ihn daher im Krönungsornat mit Reichskrone, die tatsächlich erst später, wohl um 965, entstanden ist und heute in der Wiener Schatzkammer aufbewahrt wird. Es wurde von der Werkstatt Dürers in verschiedenen Versionen hergestellt und verbreitet. Gegenstück ist Dürers Bildnis Kaiser Sigismunds (1368–1437), der die Reichsinsignien nach Nürnberg bringen ließ. 29 30 500 – 1500 Schutz- und Trutzwaffen Die Geschichte der Hieb-, Stich- und Schusswaffen und die Entwicklung der Rüstungen als Körperschutz sind eng miteinander verbunden. Wirksamere Angriffswaffen erforderten besseres und stärkeres Material zur Körperpanzerung. Die Hauptwaffen der Reiter waren Lanze und Schwert. Die Schwerter hatten lange und kräftige Klingen und eigneten sich für den Stich und den Hieb. Kettenhemden schützten vor einer Schwertattacke, aber nicht vor Geschossen aus Armbrust oder Feuerwaffen. Mit seinen vielen Geschüben, feinen Linien und Riefelungen war der spätgotische Harnisch die vollkommene Schutzrüstung. Harnische waren so leicht, elegant und beweglich wie möglich. Helme gewährten dem Träger Schutz und Sicht zugleich. Auch das Pferd wurde durch Eisenplatten geschützt. Das Aufkommen der Feuerwaffe entwertete die Schutzbewaffnung. ← Heiliger Florian in Rüstung Tirol um 1485 Holz, farbig gefasst; 110,5 x 55 x 24 cm Der heilige Florian war ein römischer Soldat, der 304 das Martyrium erlitten hat. Der ritterliche Heilige wurde im 15. Jahrhundert im Plattenharnisch dargestellt. Die Harnischbrust, die der Heilige trägt, ist zeitgenössischen Rüstungen nachempfunden. ← Harnischbrust Missaglia Norditalien um 1420 Eisen, Leder; 57 x 39 cm Die Missaglia-Werkstatt gehörte zu den führenden Waffenschmieden in Europa. In dem großen Unternehmen stellten zahlreiche Spezialisten Einzelteile von hoher Qualität her. → Gotischer Feldharnisch und Rossharnisch Feldharnisch um 1470, Rossharnisch um 1480/90 Ein Harnisch bot seinem Träger ausreichenden Schutz gegenüber zahlreichen Angriffswaffen. Dennoch konnte am Ende einer Schlacht der vom Gewicht seines Harnischs erschöpfte Ritter eine leichte Beute der Fußkämpfer werden. Wie der Ritter wurde auch das Pferd durch eine entsprechende Panzerung geschützt. Das hohe Gewicht verminderte die Wendigkeit von Reiter und Tier. Die Burg selbst, ob sie auf dem Berg oder in der Ebene liegt, ist nicht als angenehmer Ort, sondern als Festung gebaut. Sie ist von Mauern und Gräben umgeben, innen ist sie eng und durch Stallungen für Vieh und Pferde zusammengedrängt. Daneben liegen dunkle Kammern, vollgepropft mit Geschützen, Pech, Schwefel und sonstigem Zubehör für Waffen und Kriegsgerät. Überall stinkt es nach Schießpulver; und dann die Hunde und ihr Dreck, ein lieblicher Duft. Man hört Schafe blöken, Rinder brüllen, Hunde bellen und die Bauern rufen. Der ganze Tag bringt ständige Unruhe und dauernden Betrieb. Reichsritter Ulrich von Hutten, 1518 31 500 – 1500 Schild und Wappen Ursprünglich gehörte der Schild als tragbare Schutzwaffe zur Ausrüstung der Reiter und Fußknechte. Die Außenfläche der Schilde wurde mit farbigen Symbolen und Zeichen bemalt. Zunächst nur Erkennungszeichen einer Gruppe, entwickelte sich das Wappen zu einem erblichen Symbol einer Person, Familie, Stadt oder Körperschaft. In dieser Funktion galt der Schild dem Adel als Standesund Herrschaftszeichen. Als Kennzeichnung persönlicher Würden und als amtliches Symbol fand das Wappen oft auf Siegeln, im Gerichtssaal oder bei Adelsverleihungen Verwendung. Die figürlichen oder abstrakten Wappenbilder waren vielfältig; Herolde konnten Wappenzeichen erkennen und zuordnen. Mit dem Aufkommen der Feuerwaffen verloren militärische Schilde an Bedeutung. Als Wappensymbol ist der Schild noch heute in ganz Europa gegenwärtig. ← Schilde Deutschland 15. Jahrhundert Holz, Leder, Leinwand Die Pavesen genannten größeren Setzschilde waren für Fußkämpfer bestimmt, kleinere wurden von Reitern geführt. Der heilige Georg, wie hier auf den kleineren Schilden in der Mitte zu sehen, wurde auf vielen Schilden abgebildet. Georg starb um 303 als römischer Soldat den Märtyrertod. Seit den Kreuzzügen wurde er von Rittern als miles Christi verehrt. Prachtvoll bemalte böhmische Pavesen wie in der Mitte unten wurden in Prag und Komotau hergestellt. Die großen Schilde links und rechts in der Vitrine tragen beide u. a. das Wappen der Stadt Erfurt. Wie alle Städte war Erfurt bemüht, das eigene Territorium zu erweitern. Der Rat der Stadt kaufte 1343 die aus 15 Dörfern bestehende Herrschaft Vieselbach, 1348/50 die Herrschaft Kapellendorf dazu. Daher ist das Erfurter Wappen auf dem Schild links um die Herrschaft Vieselbach, auf dem Schild rechts um die Herrschaft Vieselbach und Kapellendorf ergänzt. ↗ Ringpanzerhemd 2. Hälfte 15. Jahrhundert Eisen; B 73, L 77 cm Kettenhemden waren, auch in Kombination mit Plattenharnischen, noch im 16. Jahrhundert ein gebräuchlicher Körperschutz. Ein Hemd bestand aus etwa 40.000 Ringen, die Herstellung dauerte etwa sechs Monate. → Zwei Streitkolben Deutschland und Frankreich 16. Jahrhundert Eisen, Holz, Leder; L ca. 53 cm Streitkolben und Streithämmer wurden im 16. Jahrhundert von Befehlshabern nicht mehr als Waffen, sondern als Kommandostäbe und Rangabzeichen getragen. Dafür sprechen reiche Verzierungen und Darstellungen auf Gemälden. 33 34 500 – 1500 Höfisches Leben Die ritterliche Kultur erreichte ihre Hochblüte zur Zeit der Staufer im 12. und 13. Jahrhundert. Überall im christlichen Europa entstanden ähnliche Erscheinungsformen einer übergreifenden Adelskultur. Sie blieben bis ans Ende des Mittelalters verbindlich. Teilnahme am Reichsheer oder am Kreuzzug war Ritterpflicht. Höfische Lebensformen folgten den französischen Vorbildern für Empfang und Abschied, für Unterbringung und Bewirtung der Gäste bei Turnieren und Festen. Zum Ideal des Ritters gehörte die Kraftprobe bei Turnier und gemeinsamer Jagd. Die Verehrung adliger Frauen durch Minnedienst und Minnesang fand ihre Entsprechung in einer gesteigerten Marienverehrung. Der Zugang zu den Höfen und die Pflege der höfischen Kultur waren allein dem Adel vorbehalten. Burgbauten, überlieferte Gebrauchsgeräte und Werke höfischer Dichtung und Buchmalerei geben Zeugnis über Baukunst, Sprache, Kleidung und Umgangsformen an deutschen Adelshöfen. ↖ Armbrust um 1500 Holz, Bein, Horn, Eisen; B 63 cm, L 70 cm Die Armbrust galt ursprünglich als unritterliche und unchristliche Waffe. Das zweite Laterankonzil hatte 1139 die Verwendung gegen Christen untersagt. Dennoch wurde sie zu einer wichtigen Kriegs- und Jagdwaffe. ← Bolzenköcher 2. Hälfte 15. Jahrhundert Eisen, Holz, Wildschweinleder; B 18,5 am Boden, L 45 cm Die zielgenaue Armbrust war eine ideale Jagdwaffe, denn sie schoss lautlos und vertrieb das Wild nicht. Im Köcher bewahrte der Schütze Bolzen für verschiedene Wildarten auf. ↙ Prunksattel südostdeutsch 1440 Holz, Leder, Elfenbein; 30 x 32,5 x 45 cm Der gotische Prunksattel ist mit aufgelegten kostbaren Elfenbeinschnitzereien auf dunklem Grund verziert. Die Themen der Darstellungen beziehen sich auf ritterliche Ideale: Jungfrau und Einhorn stehen für Keuschheit, ein Paar symbolisiert die reine Liebe, der heilige Georg den Kampf des christlichen Ritters. Der Satteltypus leitet sich vom orientalischen Pritschensattel ab, der in Europa am weitesten verbreiteten Sattelform. Die beiden Schlitze in der Sitzfläche dienten zum Anbringen der Riemen für die Steigbügel sowie des Sattelgurts. → Wandbehang – Darstellungen aus dem Marienleben Mittelrhein, um 1478 Wolle, Leinen, gewebt; 62,5 x 304 cm Der gut erhaltene Bildteppich zeigt vier Szenen aus dem Marienleben: die Verkündigung, die Heimsuchung, die Geburt Christi sowie die Anbetung der heiligen drei Könige. Den Teppich hat vermutlich Hans der Reiche von Gemmingen oder sein Sohn Blickard anlässlich der Hochzeit Blickards mit Anna von Dalberg in Auftrag gegeben. Rechts und links an den Außenkanten sind Wappen eingewirkt, die die verwandtschaftlichen Beziehungen der Adelsfamilien dokumentieren, welche durch die Hochzeit 1478 entstanden. Links oben ist das Wappenschild der Familie von Gemmingen abgebildet. Darunter das Wappen der Landschaden von Steinach, der Familie der Mutter Blickards. Rechts oben ist das Wappen der Familie der Braut, der Kämmerer von Dalberg, zu erkennen und darunter das Wappen der Familie der Brautmutter, der Greiffenklau von Vollrat. Mit solchen Bildteppichen wurden repräsentative Räume des Adels und des Stadtpatriziats zu besonderen Anlässen ausgestattet. Es könnte aber auch sein, dass der Bildteppich als Antependium für einen Marienaltar gedient hat, der sich bis heute in der Burgkapelle der Burg Guttenberg über dem Neckartal befindet. Hans der Reiche von Gemmingen hatte die Burg 1449 erworben. 35 36 500 – 1500 Kirche als gestaltete Lebensform Das Christentum beherrschte als wichtigste Religionsform Europa im Mittelalter. Die römische Kirche im Westen mit dem Papst als Oberhaupt war zentral organisiert. Trotz großer regionaler Unterschiede bildete das Christentum eine Einheit. Das Christentum war aber nicht die einzige Religion in Europa. In Südspanien gab es muslimische Gegenden und in den meisten Städten des Reichs lebten Juden. Als Heilsgemeinschaft versprach die Kirche die Sicherung des Seelenheils im Jenseits. Sie reagierte auf die religiösen Bedürfnisse, indem sie neue Formen der Frömmigkeit integrierte oder sie als Ketzerei unterdrückte. So konnte sie ihren universalen Anspruch bewahren. Viele Gläubige übertrugen aus Sorge um ihr Seelenheil der Kirche Land und Geld. Daher konnten die Kirchen oft große Besitzungen ansammeln. Eine Sonderstellung hatte die Kirche im Reich: Bischöfe und Äbte waren geistliche Landesherren, die territoriale Herrschaft ausübten. Das war in Europa einzigartig. ↖ Die Messe des heiligen Gregor wohl Jan Polack (Krakau um 1435–1519 München) wohl Augsburg, 1496 Öl, Holz; 143,5 x 133 cm Die Darstellung zeigt Papst Gregor I. (540–604) im Gebet kniend vor einem Altar, der mit Altargerät ausgestattet ist. Der Legende nach hatte Gregor Gott um ein Zeichen gebeten, das Zweifler vom wirklichen Wandel von Brot und Wein in Blut und Körper Christi überzeugen sollte, worauf ihm Christus in eigener Gestalt bei der Messe erschien. ← Kasel für die Passionszeit wohl Franken, schwarzer Samt aus Italien um 1470 Seidensamt, Leinen, Stickerei; B 76, L 112 cm Neben Altären und Altargerät umfasste die mittelalterliche Ausstattung von Kirchen auch die liturgischen Gewänder der Geistlichen, die oft kostbar gestaltet waren. Seit dem 9. Jahrhundert war festgelegt, was Priester beim Gottesdienst tragen sollten. Den Abschluss über der hemdartigen Albe bildete die Kasel, die hier mit Samt und Seide sowie bildlichen Darstellungen verziert ist. → Ein Altar im Mittelalter Gottesdienst wurde damals wie heute sonntags in der Pfarrkirche gefeiert. Die Messe soll Opfertod und Auferstehung Christi vergegenwärtigen. Der Geistliche zelebriert die Messe am Hauptaltar, der dem Titelheiligen der jeweiligen Kirche geweiht ist. Auf dem Altar befinden sich ein Triptychon mit Christus am Kreuz und der Fürbitte der Heiligen, die liturgischen Gefäße wie Kelch, Patene und Hostienbehälter und das Messbuch, das wichtigste liturgische Buch der römischen Kirche. Der Altar stammt aus der Klosterkirche auf dem Petersberg bei Flinsbach in Oberbayern. Das Stifterwappen auf seiner Außenseite konnte bislang noch nicht identifiziert werden. 37 38 500 – 1500 Die Klöster Klöster organisierten gemeinschaftliches religiöses Leben. An der Spitze der Männerklöster stand der Abt; Frauenklöstern stand die Äbtissin vor. Die bereits im 6. Jahrhundert von Benedikt von Nursia verfasste Benediktinerregel gab die Hauptordnung des abendländischen Mönchtums vor: Stabilität, Abkehr vom weltlichen Leben und Gehorsam gegenüber dem Abt. Im 12. Jahrhundert entstanden die Orden der Zisterzienser und Prämonstratenser, welche die Regel strenger auslegten. Im 13. Jahrhundert kamen die vier Bettelorden hinzu: Franziskaner, Dominikaner, Karmeliter und Augustinereremiten. Angesiedelt in den Städten lebten die Bettelorden von Almosen; die Mönche wirkten als Prediger und Seelsorger. Die Klöster waren von Anfang an Zentren des geistlichen und intellektuellen Lebens. Mönche pflegten den christlichen Kult, schrieben religiöse Texte und beteten für Lebende und Verstorbene. Zudem förderten die Klöster Handwerk, Architektur und Kunst. Mit der sogenannten Zisterziensergotik prägten die Zisterzienser beispielsweise einen eigenen Baustil. In der Schlichtheit der Architektur findet die Strenge der Klosterzucht ihren Ausdruck. ← Der heilige Franziskus empfängt die Wundmale Christi Nürnberg um 1355 Öl, Holz; 44,2 x 27 cm Die kleine Tafel gehörte ursprünglich zu einem Baldachinaltar, der später zerlegt wurde. Außer dieser Tafel haben sich drei weitere kleine Tafeln erhalten, die unterschiedlich beschnitten sind. Ursprünglich handelte es sich bei den Tafeln um die oberen und unteren Hälften von zwei hochformatigen Altarflügeln. Alle anderen Teile des Altars, zwei weitere schmale Flügel, die Schnitzfigur einer stehenden Maria mit Christuskind und das Altargehäuse, sind verloren gegangen. Auf dieser Tafel ist Franz von Assisi (1181/82–1226), der Gründer des Franziskanerordens, dargestellt. 1224 wurden ihm der Legende nach in einer Vision die Wundmale Christi übertragen. Die qualitätvollen Flügelbilder wurden von einem Nürnberger Maler geschaffen, der Einflüsse aus dem Umkreis des Pariser und der franko-flämischen Höfe verarbeitete. ← Bulle Papst Gregors X. zur Verleihung des Patronats der Kirchen Belgern und Torgau an Kloster Grimma Gregor X., Papst (Piacenza 1210–1276 Arezzo) Lyon, 15. Mai 1274 25,5 x 26,4 cm Das Zisterzienserinnenkloster Nimbschen bei Grimma versuchte, seine Grund- und Gerichtsherrschaft an Mulde und Elbe zu erweitern und auch über Patronate Einfluss auf andere Kirchen zu nehmen. → Der Eintritt der heiligen Klara ins Kloster Schwaben um 1500 Holz, Pergament, Öl, Tempera; 87,5 x 66 cm Die Tafel stammt möglicherweise aus einem Klarissenkloster. Dargestellt ist der Eintritt Klaras (1193/94–1253) in die Gemeinschaft des heiligen Franziskus (1181/82–1226). Klara, die aus einer vornehmen Familie stammte, kniet in kostbaren Brokatgewändern vor Franziskus. Er nimmt ihr Gelübde entgegen und ist im Begriff der zukünftigen Novizin als Zeichen der Unterwerfung unter die Ordensregel die Haare zu schneiden. Im Hintergrund links und rechts halten eine Nonne und ein Mönch das Klostergewand für Klara bereit. Ein weiterer Mönch hält in seinen Händen die Attribute der heiligen Klara – Kreuz und Lilie. Später gründete Klara nach dem Armutsideal des Franziskus den Klarissenorden.