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Umfeld und Erreichbarkeit von urbanen Grünflächen mit öffentlichen Verkehrsmitteln in Istanbul
Kerstin DOHR, Josef GSPURNING und Wolfgang SULZER
Universität Graz · [email protected]
Dieser Beitrag wurde durch das Programmkomitee als „reviewed paper“ angenommen.
Zusammenfassung
Ein ausschlaggebender Faktor, der die Attraktivität von urbanen Räumen deutlich steigert,
sind Grünflächen innerhalb einer Stadt oder Metropole. In der gegenständlichen Arbeit
haben sich die Autoren mit dem Umfeld und der Erreichbarkeit der innerstädtischen Grünflächen von Istanbul beschäftigt, wobei ganz im Sinne der Nachhaltigkeit, das Netz der öffentlichen Verkehrsmittel – in gewissem Sinne strukturgebend für das Untersuchungsgebiet
− im Fokus der Betrachtung stand. Die aktuellen Erhebungen konzentrieren sich räumlich
auf das historische Finanz-, Wirtschafts- und Kulturzentrum (CBD), die Areale beiderseits
des Haliç und die daran anschließenden Stadterweiterungszonen. Die die urbanen Grünflächen charakterisierenden Studien wurden auf der Basis aktueller hochauflösender Satellitenbilddaten durchgeführt. Erreichbarkeitsanalysen und Zonierung des Grünland-Umfeldes
wurden unter Zuhilfenahme von Netzwerkdatensets umgesetzt. Ergänzend dazu wurden Demografie- und Marktforschungsdaten verwendet, um das Umfeld der Grünanlagen bezüglich der Bevölkerungsverteilung, der Alters- und Einkommensstruktur näher zu untersuchen.
1
Einleitung
In Zeiten, in denen Städte, vor allem Metropolregionen wie Istanbul, gut entwickelt sind
und soziale Kriterien, wie Bildung, Beschäftigung und Sicherheit zu einem zufriedenstellenden Maße erreicht werden, bestimmen andere Faktoren die Attraktivität eines Raumes.
Umweltbedingungen, zu denen auch innerstädtische Grünflächen zählen, werden immer
bedeutender. Das Fehlen von urbanen Grün- und Erholungszonen ist einer der Hauptgründe
für die Entsiedelung der Innenstädte und die daraus resultierende Suburbanisierung (VAN
HERZELE & WIEDEMANN 2003).
Bereits im Juni 2009 hat ein Artikel in der Tageszeitung Hürriyet auf die steigende Urbanisierung auf Kosten der urbanen Grünflächen in Istanbul hingewiesen. The Green Area
Ratio GAR (LOPEZNIETO 2012 & FITZGERALD 2007), die die verfügbare Grünfläche pro
Person beschreibt, betrug in Istanbul 2009 nur 6,4 m2 (SIEMENS 2009 & HÜRRIYET 2009)
während der Durchschnitt für die Europäische Union bei 20 m2 und global bei 7 m2 liegt.
Im European Green City Index (SIEMENS 2009) rangiert Istanbul lediglich auf dem 62. Platz.
Ein Resultat, das unter anderem dem geringen Anteil an Grünflächen in der Stadt zuzuschreiben ist.
Strobl, J., Blaschke, T., Griesebner, G. & Zagel, B. (Hrsg.) (2014): Angewandte Geoinformatik 2014.
© Herbert Wichmann Verlag, VDE VERLAG GMBH, Berlin/Offenbach. ISBN 978-3-87907-543-0.
Dieser Beitrag ist ein Open-Access-Beitrag, der unter den Bedingungen und unter den Auflagen der
Creative Commons Attribution Lizenz verteilt wird (http://creativecommons.org/licenses/by/3.0/).
Umfeld und Erreichbarkeit von urbanen Grünflächen
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Ein erheblicher Teil der existierenden Veröffentlichungen über urbanes Grün und dessen
Erreichbarkeit nutzt Geographische Informationssysteme, wie es auch in dieser Arbeit der
Fall ist. Unter den Autoren herrscht weitgehende Übereinstimmung in der Definition von
physischer Erreichbarkeit betreffend der Distanz zwischen zu definierenden Ausgangspunkten (etwa Wohnstätten oder – wie im vorliegenden Fall – Haltestellen des ÖPNV) und
urbanen Grünflächen sowie der empfohlenen Mindestgröße innerstädtischen Grüns. Allgemein gelten Distanzen zwischen 300 und 500 Metern als plausibel für den Fußweg und
2 Hektar für die erwähnte Mindestgröße (COMBER et al. 2008, 2010, 2011; BARBOSA et al.
2007; VAN HERZELE & WIEDEMANN 2003). Die gewählten Zugänge der genannten Autoren
sind unterschiedlich und reichen vom Sicherheitsaspekt über die Zugänglichkeit von Grünflächen nach gesellschaftlichen, sozioökonomischen und kulturellen Hintergründen bis zu
ethnischen und religiösen Zugehörigkeiten. MOSELEY et al. (2013) und LA ROSA (2014)
haben einen Vergleich unterschiedlicher Ansätze zur Klassifikation der Erreichbarkeit von
urbanen Grünflächen unternommen und Analysen mithilfe der euklidischen Distanz komplexen Netzwerken gegenübergestellt.
KISAR-KORAMAZ & TÜRKOĞLU (2010) haben die Bedeutung von urbanen Grünflächen für
die Lebensqualität und die Zufriedenheit der Bewohner in Istanbul untersucht. HOSGOR &
GENLI YIGITER (2006) beschäftigten sich wiederum mit der Bedeutung von Grünflächen im
historischen Zentrum von Istanbul und deren Wert als Erholungszonen für die Einwohner
einer Stadt, die teilweise als „Freiluftmuseum“ fungiert. OGUZ (2000) führte eine Befragung von Nutzern dreier verschiedener Parks in Ankara durch. ERKIP (1997) evaluierte die
Verteilung von öffentlichen städtischen Dienstleistungen wie Parks und Naherholungsgebieten ebenfalls in Ankara. Historisch sind städtische Parkflächen ein relativ junges Phänomen in türkischen Planungsbemühungen. OGUZ (2000) stellte auch fest, dass es keine
„[…] Parktradition vor der Republikanischen Zeit“ gab. Die Errichtung klassischer Parks
erfolgte erst ab 1923 und war Teil des Republikanischen Projektes (OGUZ 2000).
In der vorliegenden Arbeit untersuchen die Autoren die Erreichbarkeit urbaner Grünflächen
mit öffentlichen Verkehrsmitteln in Istanbul. Frühere Studien in Großbritannien zeigten,
dass für nahezu 40 % der Befragten die Erreichbarkeit mithilfe der öffentlichen Verkehrsmittel von Bedeutung ist (COMBER et al. 2011). Dies und die Tatsache, dass sich Istanbul
seit einigen Jahren zur Forcierung des ÖPNV veranlasst sieht, war Motivation für die Fokussierung auf dieses Verkehrsmittel.
Das Ziel der vorliegenden Arbeit ist es, in diesem Sinne die Entfernung zwischen urbanen
Grünflächen und Haltestellen öffentlicher Verkehrsmittel zu untersuchen, und so in weiterer Folge Aussagen über die Zugänglichkeit eben dieser Bereiche unter Nutzung des öffentlichen Verkehrs treffen zu können. An dieser Stelle sei angemerkt, dass in Istanbul 54 %1 der
Einwohner öffentliche Verkehrsmittel für ihren täglichen Weg zur Arbeit nutzen (SIEMENS
2009). Ausgehend davon ist die Nähe zu Haltestellen ein wichtigstes Kriterium der Zugänglichkeit und Häufigkeit der Nutzung von Grünflächen (FOSTER 1989 & ERKIP 1997). Das
Ergebnis bildet eine Klassifikation des urbanen Grün nach seiner Erreichbarkeit mit den
öffentlichen Verkehrsmitteln, mit deren Hilfe einerseits Ausstattungsdefizite innerhalb des
1
Diese Angaben beinhalten normalerweise auch Personen, die zu Fuß oder mit dem Fahrrad zur
Arbeit gelangen. Kenntnisse der lokalen Situation haben die Autoren jedoch dazu veranlasst, die
Angaben auf die Nutzung öffentlicher Verkehrsmittel zu beschränken, da in Istanbul der Fußweg
oder das Fahrrad kaum zur Bewältigung täglicher Wegstrecken genutzt werden.
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Testgebiets identifiziert werden können, und andererseits eine Bewertung der Grünflächen
unterstützt werden kann. Diese Aussagen werden durch Einbeziehung von Daten über das
soziodemografische und ökonomische Umfeld der ausgewählten Parkflächen noch ergänzt.
2
Grundlagen
2.1
Untersuchungsgebiet
Das Untersuchungsgebiet umfasst sowohl das historische Kultur-, Finanz-, Wirtschaftszentrum (CBD), die Areale beiderseits des Haliç (Fatih, Beyoğlu und Teile von Eyüp) als auch
die daran anschließenden Suburbanisierungszonen von Eyüp, Gaziosmanpaşa, Kağithane
und Zeytinburnu (SEGER 2010) und ist besonders gut von den Linien des öffentlichen Verkehrs erschlossen; des Weiteren ermöglichten zahlreiche Umstrukturierungsprogramme in
diesem Raum die Schaffung ausgedehnter neuer Parkanlagen und prädestiniert das Gebiet
für eine solche Untersuchung.
Abb. 1:
Überblick über das Untersuchungsgebiet im
Originalmaßstab 1:100.000. Grundkarte:
ESRI modifiziert durch DOHR et al. (2014). 2.2
Urbane Grünflächen
Unter urbanen Grünflächen sind Plätze innerhalb oder um eine Stadt zusammengefasst, die
die Lebensqualität erhöhen und sich positiv auf die Umwelt auswirken (BEER 2000). Sie
ermöglichen entweder eine direkte (aktive oder passive) Erholung für die Besucher oder
wirken sich positiv auf die städtische Umwelt aus (ATIQUL HAQ 2011). Die vorliegenden
Untersuchungen der urbanen Grünflächen umfassen grundsätzlich alle intraurbanen Parkanlagen. Damit kann die Verknüpfung von öffentlich geplanter Verkehrsinfrastruktur mit
geschaffenem Erholungsraum analysiert werden.
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Die räumliche Verteilung von Parks in Istanbul und ihre Häufigkeit in den einzelnen Stadtteilen ist sehr heterogen (AKSOY 2012). In den Stadtteilen mit einer Bevölkerungsabnahme
aufgrund der Suburbanisierung konnten – im Sinne einer „nachträglichen Planung“ − zusätzliche Grünflächen geschaffen werden. Im Gegensatz dazu weisen Randbereiche sehr
niedrige Raten auf, was durch das Fehlen wirksamer Planungsmaßnahmen begründet werden kann (AKSOY 2012). Die Parkfläche pro Person betrug 2004 nur 1,1 m2, entgegen den
gesetzlichen Forderungen von 2,2 m2/Person und jener von 10 m2/Person für Grünflächen
(AKSOY 2007, zitiert in AKSOY 2012 & HÜRRIYET 2009).
2.3
Erreichbarkeit
Zur Messung der Erreichbarkeit von urbanen Grünflächen werden grundsätzlich die Anzahl
von Grünflächen in einer Stadt und deren Entfernung von bzw. zu den einzelnen Wohnstätten
herangezogen (COMBER et al 2011 & BARBOSA et al. 2007 & VAN HERZELE & WIEDEMANN 2003 & COMBER et al. 2008 & OGUZ 2000). Auch ERKIP (1997) stellte fest, dass der
Zugang zu öffentlichen Dienstleistungen u. a. von Parkanlagen und deren Verteilung im
Raum abhängt.
Frühere Arbeiten untersuchten die Erreichbarkeit ausgehend von Wohnstätten (COMBER et
al. 2008, 2010, 2011 & BARBOSA et al. 2007). Diese Untersuchung fokussiert hingegen auf
die Erreichbarkeit mithilfe des öffentlichen Verkehrs und konzentriert sich hierbei auf die
Entfernung zwischen Haltestellen und städtischen Parks, orientiert sich jedoch nur bedingt
an den sonst in der Literatur verwendeten Distanzen, wo 300 Meter als gute, 300 bis 1000
Meter als mittlere und über 1000 Meter Entfernung von einer Haltestelle als unzureichende
Erreichbarkeit mithilfe des öffentlichen Verkehrs angesehen werden. Als Schwellenwerte
für Gehzeiten werden je nach Kategorie unter 5, 5 bis 10 oder 15 und mehr Minuten angenommen (COMBER et al. 2010 & ERKIP 1997). Diese Klassifizierung entspricht im Übrigen
auch den Indikatoren der OECD (2012) für eine kompakte Stadtentwicklung.
3
Datenverarbeitung
3.1
Datenerfassung
Für die Erfassung der urbanen Grünräume im Untersuchungsgebiet wurde eine WV2-Satellitenbildaufnahme vom 26. Mai 2013 mit einer Auflösung von 0,5 m verwendet. Die Kartierung erfolgte in einem ersten Schritt über eine objektbasierte Klassifikation eines Satellitenbildes mit einer Softwarelösung von Definiens. Die Zuordnung von Grünflächen hinsichtlich ihres funktionalen bzw. „amtlichen“ Status als Park erfolgte einerseits mit CrowdMapping − basiertem Material, andererseits aber durch Verwendung der via Internet angebotenen und aus den offiziellen Planungsgrundlagen abgeleitetem Kartenmaterial der Stadt
Istanbul (http://sehirrehberi.ibb.gov.tr/map.aspx).
Unter Zuhilfenahme von hochauflösendem (Luft-)Bildmaterial und Ortskenntnis wurden
für die Analysen zusätzlich noch Zugangsreferenzpunkte zu den berücksichtigten Anlagen
digitalisiert. Zur Darstellung und Analyse des öffentlichen Verkehrsnetzes (Liniengraphen
und Haltestellen) wurde ebenso wie beim Straßen-Netzwerk auf die zu diesem Zeitpunkt
(Anfang Jänner 2014) aktuellsten OpenStreetMap-Daten der Provider Geofabrik und Metro
Extract zurückgegriffen; diese Datensätze wurden im Anschluss daran auf Geometriefehler
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und korrekte Topologie überprüft und gegebenenfalls korrigiert. Das solcherart entstandene
und der Untersuchung zugrunde liegende Verkehrsnetz umfasst: Eisenbahn-, U-Bahn-,
Straßenbahn- und Metrobuslinien sowie die dazugehörenden Haltestellen. Die Bushaltestellen mussten erfasst werden und wurden unter Verwendung von Referenzdaten der Stadt
Istanbul (http://sehirrehberi.ibb.gov.tr/map.aspx) im ArcGIS digitalisiert und mit im Rahmen anderer Unternehmungen GPS-gestützt akquirierten Datenquellen abgeglichen.
Um demografische Informationen über die Bevölkerung im Einzugsgebiet der Parks zu
erhalten, wurden soziodemografische Daten (MB-RESEARCH 2010) in die Analyse mit
einbezogen. Ausgewertet wurden die Altersstruktur/m2 und Einzugsgebiet in Wegzeitminuten sowie die Kaufkraft/m2 im selbigen Teilgebiet.
3.2
Datenmodell und Analyse
Auf der Basis der erhobenen Daten und des konstruierten Netzwerkes wurden Analysen
durchgeführt, die die Erreichbarkeit der urbanen Parkanlagen mittels öffentlicher Verkehrsmittel evaluierten. Durch das gegenwärtig erst rudimentär vorhandene und daher wenig repräsentative Datenmaterial über die Herkunft der Parkbesucher lassen sich kaum
tragfähige Schlussfolgerungen hinsichtlich ihres Mobilitätsverhaltens zwischen Wohnung
und Eintritt in das öffentliche Verkehrsnetz ziehen; die vorliegende Studie geht also von der
Annahme aus, dass − unabhängig vom Einstiegsort – der Passant auf seinem Weg zum Park
automatisch die für ihn wegtechnisch günstigste Kombination von Ausstiegshaltestelle und
Parkzugang auswählt.
Anders als in den in Punkt 2.3 vorgestellten Zugängen, in denen ausgehend von diesen
Haltestellen gemeinhin drei Erreichbarkeitsklassen definiert wurden, werden in dem hier
propagierten wegzeitbasierten Ansatz Erreichbarkeitszonen mit 10 äquidistanten Wegzeitklassen von je 3 Minuten konstruiert. Die Entfernung wird über die reelle Distanz spezifiziert. Der zurückgelegte Weg wurde abhängig von Steigung bzw. Gefälle in exakt beschreibbaren Beziehungen zwischen Verkehrsgraphen und Geländemodell verlängert. Zudem wurden die lokalen Neigungsverhältnisse bzw. deren Auswirkung auf die Impedanz/Wegzeit durch die Einbeziehung eines Leistungskilometer- (besser: Leistungsmeter-)
Konzeptes gewichtet. Auch das mittlere Verkehrsaufkommen bzw. die diesbezügliche
Attraktivität der Strecke wurden eingebaut. Schlussendlich wurde versucht, Einflüsse des
passenger flow environments mithilfe von GPS- und Videoaufzeichnungen aus früheren
Untersuchungen einfließen zu lassen.
Neben der Erreichbarkeit mithilfe der öffentlichen Verkehrsmittel wurde auch das Einzugsgebiet der Parks untersucht. Dieses wurde nach Wegzeitminuten klassifiziert und mit soziodemografischen und ökonomischen Daten verschnitten. Um einen ersten Überblick zu
erhalten, wurden für die gegenständliche Analyse die ersten 3 Zonen des zugrunde liegenden Wegzeitmodells herangezogen, d. h. 0 bis 3, 3 bis 6 und 6 bis 9 Minuten ausgehend
vom jeweiligen Parkpolygon. Die Analyse der mit diesen Zonen assoziierten statistischen
Daten versucht die Frage zu klären, ob sich im Umfeld bestimmter städtischer Parks bevorzugt bestimmte sozio-ökonomische bzw. demografische Gruppen niederlassen, und untersucht zudem die Kaufkraft und die Altersstruktur im Umfeld der urbanen Parks.
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Ergebnisse
Aus dem Blickwinkel der unter Punkt 1 formulierten Zielvorgaben lassen sich bereits jetzt
auf mehreren Ebenen Ergebnisse vorstellen: Schon bei Betrachtung des Untersuchungsgebiets in seiner Gesamtheit fällt die relativ gleichförmige Verteilung der berücksichtigten
Anlagen (3 Größenklassen mit einer mittleren Fläche von je ca. 36500 m²) auf, wobei lediglich im Bereich der historischen Altstadt, entlang der W-E Hauptverkehrsachse und am
europäischen Bosporusufer eine besondere Nähe zwischen Haltestellen und Parks zu erkennen ist. An dieser Stelle soll zudem auf ein bemerkenswertes Detail hingewiesen werden, das – obwohl nicht im Fokus der Analyse – wegen seiner planerischen Relevanz dennoch nicht verschwiegen werden soll: In Summe nehmen die 142 Parks eine Gesamtfläche
von etwa 520.000 m² ein, die nach offiziellen Szenarien (BU et al. 2003) im Erdbebenfall
knapp 150.000 Personen Schutz bieten könnten. Die aktuell in diesem Stadtviertel lebende
Bevölkerung beläuft sich jedoch nach jüngsten Schätzungen auf ca. das 7-fache!
Hinsichtlich des Zusammenhangs zwischen ÖPNV und urbanem Grün erlaubte die Verschneidung der Isochronen mit den ausgewiesenen Grünflächen zunächst eine Beurteilung
der Qualität der jeweils zugeordneten Haltestelle und zwar in Gestalt der Anzahl der davon
innerhalb einer bestimmten Zeitspanne erreichbaren Parkzugänge, des Weiteren aber auch
als Summe der von einer bestimmten Wegzeitzone vereinnahmten Grünlandfläche. Etwa
die Hälfte der untersuchten Parkzugänge liegt in Entfernungszonen 3 bzw. 4, also etwa 9
bis 12 Minuten von den Stationen entfernt, etwa ein Viertel liegt in den Zonen 5 und 6
(max. 15 bis max. 18 Minuten). Besonders bemerkenswert: Die verbleibenden 25 %, die
letztlich jene Bereiche markieren, in denen Haltestellen und Parks besonders weit voneinander getrennt auftreten, liegen in Zeytinburnu, beiderseits des mittleren Haliç und in
Beyoğlu.
Der zweitgenannte Zugang untersucht das Problemfeld aus einer eher Park-zentrierten
Sichtweise. Durch die Berücksichtigung der wirtschaftlichen und demografischen Charakteristik der unmittelbaren Umgebung der Grünflächen können Aufschlüsse über möglicherweise existierende Zusammenhänge zwischen (der bisher noch nicht berücksichtigten)
Ausstattung der Grünflächen und der Struktur ihrer Umgebung nachgewiesen werden.
Angesichts dessen wurde das Einzugsgebiet der Parks wie oben erwähnt charakterisiert.
Der erste Aspekt der solcherart eingebunden wurde, war die Kaufkraft als Parameter für
den „Wohlstand“ der Anwohner. Als Beispiele wurden Parks in Beyoğlu stellvertretend für
die Innenstadt und Parks in Eyüp repräsentativ für das Stadterweiterungsgebiet ausgewählt.
Die nachstehende Abbildung zeigt die unterschiedliche Verteilung in den einzelnen Regionen. In Beyoğlu (siehe Abb. 2 oben) ist die Kaufkraft bezogen auf die Fläche höher je näher
man den einzelnen Parks kommt. In den Klassen 0 bis 3 und 3 bis 6 Minuten ist sie „sehr
hoch“ während sie in der Zone 6 bis 9 auf „hoch“ bis „mittel“ abnimmt. Die Gebiete um die
abgebildeten Parks gehören zu jenen Gebieten, die mitunter die höchste Kaufkraft in Beyoğlu aufweisen. Die Situation um die ausgewählten Parks in Eyüp spiegelt ein umgekehrtes Bild wieder. In der Klasse 0 bis 3 Minuten ist sie „sehr niedrig“ bis „niedrig“ während
sie ein mittleres bis hohes Niveau in den beiden übrigen Klassen erreicht. Die Kaufkraft
nimmt also mit der Entfernung von den einzelnen Parks zu. Unter Berücksichtigung, dass
es sich in den ausgewählten Regionen rund um die Parks um dünn besiedelte Wohngebiete
handelt, ist die geringe Kaufkraft auf starke bzw. fehlende wirtschaftliche Aktivität im
Einzugsgebiet zurückzuführen.
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Abb. 2:
K. Dohr, J. Gspurning und W. Sulzer
Die Abbildung zeigt die Kaufkraft in EURO/m2 im Einzugsgebiet der Parks
zwischen 0 bis 3, 3 bis 6 und 6 bis 9 Minuten Wegzeit (von links nach rechts) in
Beyoğlu (oben) und in Eyüp (unten) (nach DOHR et al. 2014).
Als letzter Aspekt aus dem Kanon der soziodemografischen Variablen soll ein Blick auf die
Altersstruktur im Einzugsgebiet der Parks geworfen werden. Es wurden wiederum zwei
Beispiele ausgewählt. Dazu zählen Parks in Fatih/Zeytinburnu (siehe Abb. 3) angrenzend
an die Theodosianische Mauer und am oberen Haliç in Kağithane. Die Ergebnisse zeigen in
der Region um die Parks in Fatih einen hohen Anteil an Bewohner mit 60 Jahren und darüber. „Hohe“ Anteile sind in allen drei Klassen zu verzeichnen. Der Anteil der Senioren ist in
der Klasse 6 bis 9 Minuten „sehr hoch“. In den Klassen von 0 bis 3 und von 3 bis 6 Minuten
liegt er noch immer bei „hoch“ bis „mittel“. Diese Werte gelten für die nordöstlichen bis südlichen Breiche der untersuchten Einzugsgebiete. Diese umfassen jene Wohngebiete jenseits
der Theodosianischen Mauer, die zum Stadtteil Fatih gehören. Während jene, die zum Stadtteil Zeytinburnu gehören, aufgrund der gewerblich genutzen Bereiche einen niedrigeren
Anteil an Senioren aufweisen. Im Vergleich dazu reicht der Anteil der übrigen Altersgruppen in allen Klassen nur von „sehr gering“ bis „mittel“. Allgemein ist festzuhalten, dass der
westliche Teil des Einzugsgebietes in Zeytinburnu vor allem industriell genutzt wird.
Abb. 3: Die Abbildung zeigt den Anteil der Bewohner mit 60 Jahren und älter/m2 im Einzugsgebiet ausgewählter Parks in Fatih (oben) und der übrigen Altersgruppen
(unten) (nach DOHR et al. 2014).
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In Kağithane hingegen ist der Unterschied des Anteils der einzelnen Altersgruppen am
Einzugsgebiet der Parks gering. Während der Anteil der 0- bis 59-Jährigen in den einzelnen
Klassen variiert, ist jener der 60-Jährigen und älter konstant und reicht von „mittel“ bis
„hoch“.
Bezogen auf die soziodemografischen Daten kann festgehalten werden, dass die geringe
Kaufkraft in der unmittelbaren Umgebung der Parks, aufgrund der dünnen Besiedelung,
dem Vorhandensein bzw. der Abwesenheit lokaler wirtschaftlicher Aktivität zugeschrieben
werden kann. Städtische Parks sind demnach nicht entscheidend für die Niederlassung
wirtschaftlich gut gestellter Gruppen. Hingegen lässt die Betrachtung der Altersstruktur in
unmittelbarer Umgebung der Parks Rückschlüsse auf die Besiedelung des Einzugsgebietes
zu. Die Analyse hat ergeben, dass besonders die Gruppe der 60-Jährigen und älter die Nähe
zu städtischen Parks sucht. Ein naheliegender Abgleich dieser Ergebnisse mit allenfalls aus
Umfragen gewonnenen Resultaten musste bedauerlicherweise unterbleiben, weil im Rahmen von Feldarbeiten mit Studierenden zwar Erhebungen bezüglich Besucherzahl,–struktur
und –verhalten vorgenommen wurden, die solcherart gewonnenen Informationen jedoch
wegen sprachlicher Barrieren aber auch aus anderen Gründen als nicht repräsentativ erachtet wurden.
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